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Botschaft des

Bundesrates au die Bundesversammlung über die Gewährleistung der Revision der §§ 31 und 34 der Verfassung des Kantons Thurgau.

(Vom 11. April 1919.)

In der Volksabstimmung vom 2. März dieses Jahres hat das thurgauische Volk zwei die Kantonsverfassung abändernde Gesetze angenommen, nämlich : mit 12,709 gegen 10,379 Stimmen das Gesetz betreffend die Einführung des Grossratsproporzes und des fakultativen Gemeindeproporzes vom 16. Januar 1919 und mit 13,124 gegen 10,975 Stimmen das Gesetz betreffend das kantonale Besoldungs- und Gebührenwesen vom 16. Januar 1919.

Für diese Verfassuugsrevisionen sucht der Regierungsrat des Kantons Thurgau mit Schreiben vom II]. und 29. März die Gewährleistung des Bundes nach.

I. Die beiden Gesetze haben folgenden Wortlaut: D a s G e s e t z b e t r e f f e n d d i e Einführung d e s Grossratsproporzes u n d d e s f a k u l t a t i v e n G e m e i n d e p r o p o r z e s vom l(>. Januar 1919: ,,§ 1. Die Wahl des Grossen Rates erfolgt nach dem proportionalen Wahlverfahren. Die Bezirke bilden die Wahlkreise.

.,§ 2. Die Gemeinden sind berechtigt, die Wahl ihrer Behörden nach dem Grundsatze der Proportionalität zu beschliessen.

,,§ 3. Die Ausführungsbestimmungen über die Proportionalwahlen des Grossen Rates und der Gemeindebehörden werden auf dem Verordnungswege durch den Grossen Rat erlassen.

49 Vl§ 4. Durch dieses Gesetz erhält § 31 der Kantonsverfassung folgenden neuen Wortlaut: ,,Die höchste Behörde des Kantons ist der Grosse Rat. In denselben wählen die Bezirke nach dem proportionalen Wahlverfahren auf je 250 Stimmberechtigte einen Abgeordneten; eine Bruchzahl von mehr als 125 ermächtigt ebenfalls zu einer Wahl.

,,Während einer Amtsdauer darf die Gesamtzahl der Mitglieder nicht verändert werden.

,,Die Ausführungsbestimmungen über die Proportionalwahlen des Grossen Rates werden auf dem Verordnungswege durch den Grossen Rat erlassen.

,,§ 5. Dieses Gesetz tritt nach seiner Annahme durch das Volk und Genehmigung dus § 4 durch die eidgenössischen Räte in Kraft. Durch dasselbe werden die ihm widersprechenden Bestimmungen des Gemeindeorganisationsgesetzes vom 8. November 1874 und des Gesetzes betreffend Stimmberechtigung, Wahlverfahren, Volksabstimmungen und Entlassung von Beamten vom 24. Mai 1904 ausser Kraft gesetzt."

Das Gesetz betreffend das k a n t o n a l e B e s o l d u n g s und Gebührenwesen vom 16. Januar 1919: ,,§ 1. Der Grosse Rat ist ermächtigt, auf Antrag des Regierungsrates die sämtlichen aus der Staatskasse zu entrichtenden Besoldungen and die in die Staatskasse fallenden Gebühren festzusetzen.

,,§ 2. Unter Besoldungen im Sinne von § l sind verstanden alle Entschädigungen für die im Dienste der öffentlichen Verwaltung des Kanlons geleistete Arbeit und die zu gleichem Zwecke gemachten Aufwendungen, nämlich: a. Barbesoldungen ; b. Naturalleistungen, wie freie Wohnung, Holz, Licht, Pflanzland Verpflegung.

,,§ 3. Die auf Antrag des Regierungsrates vom Grossen Rat festzusetzenden Gebühren, Beschlussestaxen und Gerichtsgelder, .welche von den administrativen und gerichtlichen Behörden und Beamten des Kantons, der Bezirke und Kreise für besondere Verrichtungen zu beziehen sind, fallen in die Staatskasse.

,,§ 4. Mit dem Zeitpunkt der Neuordnung des Besoldungsund Gebuhrenwesens gemäss diesem Gesetze treten die demselben Bundesblatt. 71. Jahrg.

Bd. II.

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widersprechenden Bestimmungen des § 34, Absatz l, der Kantonsverfassung, der Besoldungsgesetze, sowie alle widersprechenden Bestimmungen anderer Gesetze und Verordnungen ausser Kraft.

.,§ o. Dieses Gesetz tritt nach seiner Annahme durch das Volk und Genehmigung des § 4 durch die eidgenössischen Räte in Kraft. Der Grosse Rat ist ermächtigt, dasselbe in einzelnen Positionen rückwirkend auf 1. Januar 1919 zu erklären.''

II. Die in Frage stehenden bisherigen Verfassungsbestimmungen lauten wie folgt : § 31 : "Die höchste Behörde des Kantons ist der Grosse Rat.

In denselben wählt jeder Kreis mittelst der Stimmurne auf je 250 Stimmberechtigte einen Abgeordneten ; eine Bruchzahl von mehr als 125 ermächtigt ebenfalls zu einer Wahl.

,,Während einer Amtsdauer darf die Gesamtzahl der Mitglieder nicht verändert werden."

§ 34, Absatz l : ,,Die Mitglieder des Grossen Rates beziehen für ihre Verrichtungen eine tägliche Entschädigung von 3 Franken aus der Staatskasse und überdies ein einmaliges Reisegeld von 50 Rp.

für die Wegstunde, sofern sie über eine Stunde vom Sitzungsorte entfernt wohnen."·'' III. F o r m e l l sind diese Verfassungsrevisionen durch Gesetze herbeigeführt worden, in denen nicht ausschliesslich von der Verfassungsänderung die Rede ist. Dieses Verfahren ist vorn Kanton Thurgau bereits bei den zwei frühern kantonalen Verfassungsrevisionen eingeschlagen worden. Die Bundesversammlung hat es nicht beanstandet (vgl. Botschaften des Bundesrates vom 30. November 1904 und 14. Februar 1912; Bundesbl. 1904, VI, 88 ff. und 1912, I, 395 ff; eidg. Gewährleistungen vom 21. Dezember 1904 und 12. März 1912; Gesetzsammlung XX, und XXVHI, 413). Wir halten dafür, dass auch den vorliegenden Verfassungsrevisionen wogen der Form, in die sie gekleidet worden sind, die eidgenössische Gewährleistung nicht zu versagen sei.

Es wäre aber zu begrüssen, wenn der Kauton Thurgau in Zukunft Verfassungsrcvisionen -- wenigstens insofern es sich nicht lediglich um die Auf hebung von Verfassungsbestimmungen handelt -- dem Volke in besondern, nur diese enthaltenden Vorlagen zur Annahme oder Verwerfung unterbreiten würde, wie es in den ändern Kantonen sozusagen ausnahmlos geschieht.

IV. M a t e r i e l l besteht die eine der Vorfassungsrevisionen des Kantons Thurgau, um deren Gewährleistung nachgesucht wird, darin, dass durch den neuen § 31 für die Wahl des Grossen

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Rates das proportionale Wahlverfahren obligatorisch gemacht wird, tlass den Wahlkörper nicht mehr der Kreis, sondern der Bezirk bildet, und dass die Ausführungsbestimmungen durch den Grossen Hat zu erlassen sind.

Die andere, durch das Gesetz betreffend das kantonale Besoldungs- und Gebührenwesen herbeigeführte Verfassungsänderung besteht in der Aufhebung des ersten Absatzes des § 34. Das Ausserkrafttreten dieser Bestimmung, in welcher das Taggeld und die Reiseentschädigung der Mitglieder des Grossen Rates festgelegt ist, soll aber nicht sofort und unbedingt erfolgen, sondern nur für den Fall, dass dem bisherigen § 34, Absatz l, der Kantonsverfassüng widersprechende Bestimmungen aufgestellt werden.

V. Gegen die Abänderung des § 3 ! und die nur unter einer bestimmten Voraussetzung eintretende Aufhebung des § 34, Absatz l, der thurgauischen Kantonsverfassung ist vom Standpunkt des Bundesrechts nichts einzuwenden. Immerhin sind die Behörden des Kantons Thurgau einzuladen, dem Bundesrate Mitteilung zu machen, sobald die erwähnte^ an die Aufhebung des § 34, Absatz l, geknüpfte Bedingung erfüllt sein wird.

Wir beantragen Ihnen daher, gemäss dem nachfolgenden Beschlussesentwurf die für die Abänderung der §§ 31 und 34 der thurgauischen Kantonsverfassung nachgesuchte Gewährleistung des Bundes zu erteilen.

B e r n , den 11. April 1919.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Ador.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreuend

die eidgenössische Gewährleistung der Revision der §§31 und 34 der Verfassung des Kantons Thurgau.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Kenntnisnahme einer Botschaft des Bundesrates vom 11. April 1919 über die Gewährleistung der Abänderung des § 31 und der Aufhebung des ersten Absatzes des § 34 der thur gauischen Kantonsverfassung vom 28. Februar 18(59, in Erwägung, dass diese Verfassungsänderungen den Vorschriften der Bundesverfassung nicht zuwiderlaufen, b e s c h l i esst : 1. Der in der Volksabstimmung vom 2. März 1919 vom Volke beschlossenen Abänderung des § 31 und der Aufhebung des ersten Absatzes des § 34 der thurgauischen Kantonsverfassung wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

2. Die Regierung des Kautons Thurgau wird eingeladen, dem Bundesrate Mitteilung zu machen, wenn der Kanton dem bisherigen ersten Absatz des § 34 der Kantonsverfassung widersprechende Bestimmungen aufgestellt haben wird.

3. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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