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Schreiben des

Bundesrathes an den schweizerischen Nationalrath, betreffend den Rekurs der Regierung des Kantons Luzern in Sachen der Inanspruchnahme der dortigen Mariahilfkirche zu christkatholischen Kultuszwecken.

(Vom 21. Juni 1886.)

Tit.

Sie haben durch Schlußnahme vom 11. Dezember 1885 die Rekursangelegenheit M a r i a h i l f mit dem Auftrag an uns zurückgewiesen, zwischen den Parteien eine Vermittlung zu versuchen, in der Meinung, daß, wenn die Vermittlung nicht zu Stande kommt, die Angelegenheit in der nächsten Session entschieden werden solle.

Wir haben hierauf schon unterm 15. Dezember 1885 den Herrn Ständerath Dr. Birmann zu unserem Delegirten ernannt und denselben ersucht, die bezüglichen Unterhandlungen zu eröffnen.

Herr Dr. Birmann zeigte uns durch Schreiben vom 16. Dezember die Uebernahme der Mission an.

Wir ermangelten nicht, den Parteien hievon sofort Kenntniß zu geben und denselben gegenüber die Zuversicht auszusprechen, daß sie dem Wunsche der eidg. Behörden, diese Angelegenheit gütlich beigelegt zu sehen, Rechnung tragen und nicht ermangeln werden, in freundeidgenössischem Sinne unserem Delegirten die Erfüllung seiner Aufgabe möglichst zu erleichtern.

Ueber den Gang der Verhandlungen geben Ihnen die Akten, die wir Ihnen hiemit zuleiten, insbesondere der sehr einläßliche Endbericht des Herrn Delegirten, vom 11. Juni 1886, Aufschluß.

858 Herr Dr. Birmann schließt seinen Bericht damit, daß er sagt, es sei nach dem Wegfall aller frühern Vergleichsprojekte zwar noch in letzter Stunde bei der evangelischen Kirche zu Luzern augeklopft und auch die Ueberlassung eines Bauplatzes an die christkatholische Genossenschaft angeregt worden; a b e r auf der ganzen Linie werde der Abschluß verlangt; das aug e s t r e b t e F r i ed ens w e r k s e i d e m n a c h a l s n i c h t z u Stande gekommen zu betrachten.

Indem wir Ihnen hievon Kenntniß geben, können wir nur unser lebhaftes Bedauern über dieses negative Resultat der Unterhandlungen ausdrücken. Wenn der Vermittlungsversuch gescheitert ist, so trifft jedenfalls misera Vertreter daran keine Schuld, der mit wärmster Hingebung an den Gedanken der Frieden sstiftung der ihm übertragenen schwierigen Aufgabe sich unterzogen hat.

Wir müssen es nach diesem Ausgang der Sache Ihnen anheimgeben, den auf Ihr Traktanden verzeichniß gesetzten Rekurs betreffend die Mariahilfkirche in Luzern weiter zu behandeln und seiner Erledigung entgegenzufahren, sei es durch Auffindung einer die Parteien befriedigenden Vergleichsbasis, sei es durch sofortige Entscheidung der Sache, soweit letztere der Bundesversammlung zukömmt.

Wir wollen jedoch diese Angelegenheit nicht der endlichen Lösung zugeführt wissen, ohne zur Kennzeichnung und Erläuterung des von uns eingenommenen Standpunktes ein letztes Wort gesprochen zu haben. Es veranlaßt uns hiezu die Wahrnehmung, daß die Parteien den Streit mehr und mehr auf das privatrechtliche Gebiet hinübergezogen haben.

Den Anfang hat in dieser Richtung die Luzerner Regierung in ihrem Rekursmemorial vom 16. Februar 1885 an die Bundesversammlung gemacht, wobei sie, die öffentlich-rechtlichen Kiemente der Streitfrage mit den privatrechtlichen Gesichtspunkten, die sich daran knüpfen können, verbindend, dem B u n d e s r a t h e glaubte vorwerfen zu dürfen, er habe ,,formell und materiell über die ihm zum Rekursentscheid vorliegende Frage hinausgegriffen In den Verhandlungen, welche sodann seit Anfang dieses Jahres zur gütlichen Beilegung des Streites geführt wurden, ist wiederum die privatrechtliche Seite, die Frage, über M e i n und D e i n i n G e g e n w a r t u n d Z u k u n f t , allzusehr i n d e n Vordergrund getreten. Wir erblicken hierin den Hauptgrund, warum eine
Verständigung nicht hat Platz greifen können. Die Ausscheidung der privatrechtlichen Verhältnisse zwischen der römisch-katholischen und der christkatholischen Religionsgenossenschaft in Luzern ist eine über den vorliegenden Rekursfall weit hinausgehende Frage.

859 Unser Beschluß vom 23 Januar 1885 hält sich mit formeller Strenge innerhalb der Grenzen des in Frage kommenden öffentlichrechtlichen Gebietes. Er stellt vorerst fest, daß die staatsrechtlichen Voraussetzungen des Art. 50, Absatz 3, der Bundesverfassung in cafu zutreffen, und daß ein ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e r Anstand zwischen zwei bisher einem und demselben kirchlichen Verbände angehörenden Religionsparteien vorliege. Rechtliche Erwägungen haben uns sodann zum Schlüsse geführt, daß die Luzerner Regierung, als sie am 4. Januar 1884 aus d e n von i h r angeführten öffentlich-rechtlichen Erwägungen der christkatholischen Genossenschaft in Luzern die vom Stadtrathe bewilligte Mitbenützung der Mariahilfkirche untersagte, im Unrechte war.

Der Bundesrath ist als verfassungs- und gesetzmäßige eidgenössische Rekursbehörde berechtigt und verpflichtet, einen derartigen Anstand zwischen zwei Religionsgenossenschaften nach selbstständiger materieller Prüfung zu entscheiden, da die Bundesverfassung (Art. 50, Alinea 3) die nähere Feststellung der hiebei in Betracht fallenden faktischen und rechtlichen Momente der staatsrechtlichen Spruch praxis überläßt und n i c h t der Gesetzgebung vorbehält.

Wir lehnen deßhalb den Vorwurf der Kompetenzüberschreitung als einen durchaus ungerechtfertigten von uns ab und möchten gegentheils die Aufmerksamkeit der eidgenössischen Räthe nochmals auf den w i r k l i c h e n Charakter der zum Entscheide vorliegenden Rekursfrage hingelenkt haben.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, Herren Nationalräthe, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 21. Juni 1886.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Deueher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Ringier.

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Schreiben des Bundesrathes an den schweizerischen Nationalrath, betreffend den Rekurs der Regierung des Kantons Luzern in Sachen der Inanspruchnahme der dortigen Mariahilfkirche zu christkatholischen Kultuszwecken. (Vom 21. Juni 1886.)

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26.06.1886

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