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Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Art der Entschädigung der Betreibungs- und Konkursbeamten.

(Vom 23. Dezember 1919.)

Getreue, liebe Eidgenossen !

Durch Beschluss vom heutigen Tage haben wir einen neuen Gebührentarif zum Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz erlassen, in Ersetzung des bisher geltenden Tarifs vom 1. Mai 1891. Die Kantone sowohl als die Verbände der Betreibungs- und Konkursbeamten hatten Gelegenheit, den ersten Revisionsentwurf zu prüfen und ihre Wünsche und Abänderungsvorschläge anzubringen. Die auf Grund dieser Äusserungen umgearbeitete Vorlage wurde überdies der Beratung durch eine vornehmlich aus Männern der Praxis zusammengesetzte Expertenkommission unterworfen, deren Beschlüsse massgebenden Einfluss auf die endgültige Fassung hatten.

Wir hoffen, dass dank dieser Vorbereitung der neue Tarif den Bedürfnissen der Praxis möglichst angepasst worden sei.

Allerdings wird ihm möglicherweise der Vorwurf nicht er spart bleiben, dass auch die neuen, erhöhten Gebühren den Betreibungs- und Konkursbeamten noch kein ausreichendes Einkommen sichern ; die Erwartungen der auf den Gebührenbezug angewiesenen Beamten sind vielleicht in dieser Hinsicht nicht vollständig erfüllt worden. Trotz dieses ßewusstseins glaubte der Bundesrat in der Bemessung der Gebühren nicht höher gehen zu können. Die Revisionsarbeiten, insbesondere die Verhandlungen der Expertenkommission haben aufs deutlichste die Schwierigkeit zutage treten lassen, die berechtigten Ansprüche der auf die Gebühren angewiesenen Beamten in Einklang zu bringen mit der notwendigen Schonung des Schuldners, der die Betreibungskosten zu tragen hat, namentlich des armen und bedrängten Schuldners.

Die Rücksicht auf den Schuldner macht es beinahe unmöglich, die Gebühren im Betreibungsverfahren so zu bemessen, dass sie die Beamten für ihre Arbeit und Verantwortlichkeit .voll entschädigen. Wir haben diese kollidierenden Interessen dadurch einigermassen auszugleichen versucht, dass wir die Gebühren in

1030 viel weitergehendem Masse als bisher nach der Höhe der i» Betreibung gesetzten Forderung abgestuft haben; die bisherigen zwei Klassen (mit der Forderungsgrenze von Fr. 100) sind bisauf sechs Klassen (mit den Forderungsgrenzen von Fr. 50, 100, 1000, 10,000 und 50,000) erweitert worden. Dank dieser Neuerung konnten die Gebühren für grosse Betreibungssummea unbedenklich bedeutend erhöht, zum Teil vervielfacht werden.

Weit mehr aber fallen die kleinen Betreibungen ins Gewicht,.

denn sie sind die häufigsten, und gerade sie ertragen eine Erhöhung der Gebühren am wenigsten, sollen nicht die Betreibungskosten eine im Verhältnis zur Forderungssumme übermässige Höhe erreichen und den Schuldner ungebührlich belasten.

Obwohl wir uns also bei der ganzen Revisionsarbeit von dem Bestreben leiten Hessen, die Gebühren dem gesunkenen Geldwert wieder einigermassen anzupassen und die Arbeit der Beamten angemessen zu entschädigen, mussten wir uns gerade da, wo dieser Zweck am wirksamsten hätte gefördert werden können, aus unerlässlicher Rücksicht auf den Schuldner die grösste Zurückhaltung auferlegen.

Diese Schwierigkeit besteht überall da, wo die Betreibungsund Konkursbeamten nicht fest besoldet, sondern auf den Bezug der ihnen für ihre Amtshandlungen laut dem Tarif zukommenden Gebühren angewiesen sind, und sie wird solange nicht verschwinden, als dieses System der Entschädigung beibehalten wird.

Anders in den Kantonen, die ihre Betreibungs- und Konkursbeamten fest besolden und dafür die Gebühren zuhanden der Staatskasse beziehen. Hier leiden nicht die Beamten -- vorausgesetzt, dass ihre Besoldung eine hinreichende sei -- unter dem erwähnten Übelstand, sondern der Staat trägt den Ausfall, wenn der Ertrag der Gebühren den Aufwand für die Besoldung der Beamten nicht deckt. Hierzu ist aber der Staat ungleich besser imstande als die Beamten selbst.

Das System der festen Besoldung .verdient also vor dem der Verweisung auf die Gebühren bei weitem der Vorzug. Leider ist es bis heute aber nur die Minderzahl der Kantone, die ihren Betreibungs- und Konkursbeamten feste Besoldungen ausrichtet.

In der Mehrzahl der Kantone beziehen diese Beamten einfach die Gebühren für ihre Verrichtungen und müssen daraus leben, auch wenn (z. B. bei einem Zurückgehen^ der Zahl der Betreibungen und Konkurse, wie es gerade gegenwärtig
vielfach beobachtet wird) die Gebühren zu einem angemessenen Einkommen nicht mehr ausreichen. Mag dieses System der Entschädigung auch zum Teil aus den Besonderheiten der kantonalen Organisation

103t des Betreibungs- und Konkurswesens entsprungen sein, so sollte es doch verschwinden und überall dem System der festen Besoldung Platz machen. Es ist auch vom grundsätzlichen Standpunkt nicht richtig, die Gebühren lediglich als Gegenleistung für die Arbeit der Beamten zu betrachten und sie den letztern direkt zufliessen zu lassen. Das Schuldbetreibungs- und Konkursverfahren ist ein Zweig der staatlichen Rechtspflege, die darin tätigen Beamten staatliche Organe und die von ihnen in Ausübung des Gesetzes vorgenommenen Amtshandlungen staatliche Verrichtungen.

Für diesen Zweig der Rechtspflege hat der Staat aufzukommen,, ohne Rücksicht darauf, ob er für den dazu nötigen Aufwand durch Bezug von Gebühren wieder vollständig gedeckt wird, wie dies denn auch hinsichtlich der Rechtspflege durch die Gerichte nirgends der Fall ist.

Der Bundesrat nimmt den Anlass der Revision des Gebührentarifs wahr, um mit allem Nachdruck die Regierungen der Kantone, die ihre Betreibungs- und Konkursbeamten noch auf den Gebührenbezug verweisen, auf die schweren Nachteile dièsesSystems aufmerksam zu machen und an sie die Frage zu richten,, ob sie es nicht aus den erörterten Gründen als eine begrüssungswerte Änderung betrachten würden, den genannten Beamten feste Besoldungen auszurichten und die tarifmässigen Gebührenzuhanden der Staatskasse zu beziehen.

Die kantonalen Einführungsgesetze zum Schuldbetreibungsund Konkursgesetz geben nur zum Teil Aufschluss über die Art der Entschädigung der Betreibungs- und Konkursbeamten. Wir bitten der Vollständigkeit halber sämtliche Kantone, uns über die gegenwärtigen Verhältnisse in dieser Hinsicht in Kenntnis zu setzen. Ferner ersuchen wir die Kantonsregierungen, die es betrifft, uns mitzuteilen, ob sie die Absicht haben, die nötigen Schritte zu tun, um auf dem nach dem kantonalen Recht gegebenen Wege zum System der festen Besoldung ihrer Betreibungs- und Konkursbeamten' überzugehen.

Wir benützen auch diesen Anlass, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 23. Dezember 1919.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, DerBundespräsident: Ador.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.

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Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Art der Entschädigung der Betreibungs- und Konkursbeamten. (Vom 23. Dezember 1919.)

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31.12.1919

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