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Schweizerische Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 15. September 1919, nachmittags 4 Uhr, zur Fortsetzung der ordentlichen Sommertagung (11. Tagung der XXIV. Amtsdauer) zusammengetreten.

Im N a t i o n a l rat hielt bei der Eröffnung der ersten Sitzung Herr Präsident Häberlin folgende Ansprache: Meine Herren Nationalräte !

Leider liegt mir die schmerzliche Pflicht ob, auch unsere mutmasslich. letzte Session mit einem Trauernachruf zu eröffnen.

Unser Bundesgericht hat in diesem Jahre seinen zweiten .grossen Verlust erlitten. Herr Bundesrichter Vincent Gottofrey ist am 21. Juli, erst 57 Jahre alt, nach tapfer ertragenem Krankenlager von uns geschieden. Eine Zierde des höchsten Gerichtshofes, ein Jurist von solidem Wissen, das formale Recht beherrschend und es durchtränkend mit dem Lebensinhalt der materiellen Gerechtigkeit und der Billigkeit, ein gewissenhafter Forscher, der vorgefassten Meinung abhold, so hat er sich als Richter einen Namen gemacht. So kannte ihn schon das freiburgische Kantonsgericht, dem er von 1888 bis 1906 angehörte und im ständigen Wechsel präsidierte; so kannte ihn auch seit 1906 das Bundesgericht, dessen Schuldbetreibungs- und Konkurskammer er präsidierte.

Die gleichen Eigenschaften hat er auch in der eidgenössischen Pensionskommission zur Geltung gebracht. -- Gross ist die Zahl derjenigen, die ihn als Rechtslehrer an der Universität Freiburg schätzen lernten und vor allem seine Gabe klarer Diktion bewunderten, welche Zeugnis davon ablegte, mit welchem Eifer und Erfolg er als Student französische und deutsche Rechtswissenschaft in sich aufgenommen und verarbeitet hatte. Uns altern Mitgliedern dieses Rates, dem er von 1902--1906 nach langer politischer Tätigkeit im Heimatkanton angehörte, ist er wohl vor allem in Erinnerung geblieben als französischer Berichterstatter für das Zivilgesetzbuch, wo er dem Altmeister Huber mit sicherer Klinge sekundierte.

Am meisten habe ich aber in Erinnerung behalten den sympathischen Menschen Gottofrey. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er mir vor 15 Jahren zum erstenmal entgegentrat, droben in den Bergen vor der Mischabelhütte, eine hochragende markige

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Offiziersgestalt, die Wunder des von ihm so heiss geliebten Vaterlandes in sich saugend und den Zauber seiner vornehmen, geraden Liebenswürdigkeit ausstrahlend, die auch in der Folge den politischen Gegner zu seinem Freunde machen musste. Wer gesehen hat, wie das Freiburger Volk seinen Toten ehrte, weiss, dass ihm auch dort sein prächtiger Charakter dankbare Freunde geworben hat, und dass sein Verlust als ein schwerer empfunden wurde, Meine Herren Kollegen, ich lade Sie ein, sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Sitzen zu erheben.

Im S t ä n d e r a t eröffnete Herr Präsident Dr. F. Brügger die erste Sitzung mit folgenden Worten : Meine Herren Ständeräte !

Vor Eintreten in unsere Verhandlungen haben wir noch eine Ehrenpflicht zu erfüllen.

Am 21. Juli 1919 starb in Lausanne nach langem Leiden, gefasst und gottergeben und wohlversehen mit den letzten Tröstungen seiner Religion, Bundesrichter Vincent Gottofrey von Echallens und Estavayer-le-Lac.

Geboren war Gottofrey am 25. Mai 1862 in Estavayer, wo sein Vater, aus einer der ältesten katholischen Waadtländer Familien von Echallens, Arzt war. Der junge Gottofrey kam von der Primarschule von Estavayer an das Gymnasium nach Freiburg, dann an das philosophische Lyzeum nach Feldkirch.

Von da kehrte er wieder nach Freiburg zurück und trat hier in die kantonale Rechtsschule ein, wo er zwei Jahre Rechtswissenschaft studierte und Lizentiat der Rechte wurde. Er vervollkommnete dann seine juristische Ausbildung während vier Semestern an der Universität Paris und während zwei weitern Semestern an der Universität Berlin, wo besonders der Romanist Dernburg ihm Lehrer und Vorbild wurde.

Schon im Oktober 1886, erst 24 Jahre alt, wurde Gottofrey an der neu gegründeten Universität Freiburg Professor für Römisches Recht, Rechtsenzyklopädie und Wechselrecht. Wissenschaftlich lückenlose Durchbildung, klare Diktion und ein hervorragend pädagogisches Talent wurden dem Professor Gottofrey sogleich und zeitlebens nachgerühmt. Er blieb 20 Jahre lang Professor der Universität.

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1888 wurde Gottofrey Kantonsrichter und 1889 schon Präsident des Kantonsgerichtes, das er von nun an alle zwei Jahre alternierend präsidierte.

Im Jahre 1891 kam Gottofrey in den Grossen Rat von Freiburg, den er 1900 präsidierte und dem er bis zu seinem Wegzug von Freiburg angehörte.

Im Jahre 1898 kam Gottofrey in den Nationalrat, wo er speziell bei der Beratung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, zuerst als Mitglied der Expertenkommission und dann im Rat als französischer Kommissionsberichterstatter, durch seine gründlichen Kenntnisse und durch seine klaren Auseinandersetzungen sich hervortat, so sehr, dass er am 13. Dezember 1906 fast einstimmig, mit 163 von 173 Stimmen, von der Bundesversammlung in das Bundesgericht gewählt wurde.

Gottofrey verliess ungern sein Freiburg und all seine glänzende und befriedigende Tätigkeit dort, aber er nahm bei der grossen Ovation, die ihm dargebracht wurde, Abschied mit den Worten: ,,Ich habe dem Rufe nach Lausanne Folge geleistet aus patriotischer Pflicht; über dem Kanton Freiburg sieht das Gesamt vaterland.tt In Lausanne ward Gottofrey mit seiner Wissenschaft, seinem Geist, seiner Arbeit bald einer der hervorragendsten Bundesrichter. Neben seiner absoluten Unparteilichkeit, die sich übrigens bei einem Richter von selber versteht, wurde ihm besonders die Fähigkeit nachgerühmt, bei jedem einzelnen Rechtsfalle Gesetz und Recht und die immer lebendig wechselnde Wirklichkeit in harmonischen Einklang zu bringen.c Im Militär war Gottofrey zuerst Artillerieoffizier, dann Hauptmann und Major im Generalstab, dann Kommandant des Freiburger Fiisilierbataillons 14, zuletzt, seit 1902, InfanterieOberstleutnant im Territorialdienst. Bei der Truppe war Gottofrey gern gesehen wogen seiner hübschen, flotten Erscheinung, ein hochgewachsener, schlanker, eleganter Offizier, der durch seine Tüchtigkeit und seine Sorge für die Leute bei allen rasch sich beliebt machte, trotz oder vielleicht wegen seiner absoluten Pünktlichkeit und seiner männlich strengen Dienstauffassung.

Im persönlichen Verkehr war Gottofrey äusserst zuvorkommend und liebenswürdig und dabei grad und zuverlässig.

Sein Haus, wo seine Gemahlin, eine geborne Le Roy d'Armigny, waltete, atmete die stille Zurückgezogenheit eines Gelehrtenheims, wo unablässige Arbeit im Studierzimmer für das Wirken draussen im Leben stete Vorbereitung und Grundlage gab.

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Wir haben das Andenken eines hochverdienten hervorragenden Eidgenossen zu ehren, und zum Ausdrucke dieser Ehrung bitte ich Sie, von Ihren Sitzen sich erheben zu wollen.

Bei der Eröffnung der Sitzung vom 16. September gedachte Herr Nationalratspräsident Häberlin des am Vorabend in Bern verstorbenen Herrn Nationalrat Dr. E. Feigenwinter aus Basel mit folgenden Worten : Meine Herren Nationalräte !

Kaum hatten wir gestern abend unsere Tagesarbeit abgeschlossen, so drang zu uns die schmerzliche Kunde, dass einer der Unsrigen von uns geschieden sei. Herr Dr. Ernst Feigenwinter, der schon seit längerer Zeit seine Gesundheit untergraben gefühlt und während unserer letzten Session in einer Kuranstalt bei Luzern Heilung gesucht hatte, war gestern, von seinem starken Pflichtgefühl getrieben, nach Bern gereist und hier oben von Unwohlsein befallen worden. Als ihn besorgte Freunde irn Quartier aufsuchten, um ihm die Hülfe des Arztes zu bringen, hatte bereits Fürst Thanatos seine kühle Hand auf die Stirue des rastlosen Kämpfers gelegt. Er war nicht mehr.

Wenn es mir wegen der knapp zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich war, ein genaues Bild speziell über die vorparlamentarische vielseitige Lebensbetätigung des Verstorbenen zu gewinnen, so werden Sie das gewiss entschuldigen ; bessere Zungen und Federn werden das nachholen. -- Dr. Feigenwinter, Bürger von Reinach, Baselland, ist im Jahre 1853 dort als Sohn einer angeseheneu Bauernfamilie geboren und hat die Basler Schulen absolviert, seine juristischen Studien in Basel und Strassburg gemacht. In die Heimat zurückgekehrt, hat er sich als geschätzter und gesuchter Anwalt sehr rasch einen Namen gemacht, der weit über die Schranken seines Kantons hinausging, eidgenössischen Ruf erhielt. Seinem grossen Bureau anzugehören, galt als ein besonderer Vorzug; 'wir entfernteren Kollegen vernahmen von seiner Tätigkeit besonders in Haftpflicht und politischen Prozessen. Denn auch in die Politik war der temperamentvolle Jurist selbstverständlich gar bald verwickelt worden.

Er wurde der prominente Vorkämpfer der katholisch-konservativen Partei auf exponiertem Posten, den er mit bewundernswerter Sehlagfertigkeit und Zähigkeit durch Jahrzehnte verteidigte und zum Bollwerk ausbaute, das in der Politik des Kantons Basel seine grosse Bedeutung gewonnen hat. Die Lebensfragen, mit

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denen der forensische Beruf Dr. Feigenwinter in Berührung brachte, haben seinen regen Geist auch nach der wissenschaftlichen Richtung erfasst ; er machte vor allem die sozialen Fragen, die Versicherungs- und Lohnfragen, zum eigentlichen Studium, dessen reife Früchte in vielen literarischen Monographien sich darboten. Es war ihm Bedürfnis, eine positive Lösung zu finden, die sich mit den Grundsätzen seines katholischen Glaubeiis deckte ; der Frage des Klassonkampfes und seiner Versöhnung, der Frage eines g e r e c h t e n Lohnes hat er seine grösste Aufmerksamkeit geschenkt.

In spätem Jahren erst ist auch dem Politiker die Frucht der parlamentarischen Anerkennung zuteil geworden. Im vergangenen Jahre hätte er das Präsidium des Basler Grossen Rates übernehmen sollen, das er aus Gesundheitsgründen ablehnte. In unsern Rat trat er erst für diese Legislaturperiode ein. Auch wir haben ihn als geistreichen, gewandten Kämpfer und Debatter kennen gelernt. Mit seinem vollen · Organ, mit dem feurigen dunklen Auge vermochte er noch in letzter Tagesstunde einen bereits übermüdeten Rat um sich zu sammeln. Mit prasselnden Quarten und Terzen des wissenschaftlichen Kampfes wusste er den Gegner in die Parade hinaufzulocken und auf einmal sass der Durchzieher des Witzes und der satirischen Ironie. Wie sich mit diesem spielenden Humor eine tiefinnerliche Veranlagung und Frömmigkeit verband, enthüllten uns seine Gespräche, wenn er uns von den Gewissenskonflikten des Anwaltsberufes erzählte, die ihm nur der Beichtvater befriedigend lösen konnte, wenn er anderseits von den Problemen des Klassenkampfes wieder zu seinem bäuerlichen Idyll zurückkehrte ; es konnte mich nicht ganz überraschen, gestern von einem Kollegen zu hören, dass der Verstorbene im stillen auch ein feinsinniger Dichter gewesen sei.

Meine Herren Nationalräte, ich lade Sie ein, sich zu Ehren des Kollegen von Ihren Sitzen zu erheben.

Zu Beginn der Sitzung vom 16. September 1919 gedachte Herr Ständeratspräsident Dr. F. Brügger des in Bern verstorbenen Herrn Nationalrat Dr. Feigenwinter mit folgenden Worten: Gestern gegen Abend, während wir hier in diesem Saale Sitzung hielten, sass drüben im Nationalratssaale auch Dr. Ernst Feigenwinter. Er fühlte sich plötzlich unwohl, ging hinaus und in sein Hotel und dort sank er lautlos dem Tod in die Arme.

67 Längere Zeit schon kränkelte der gross und breit gestaltete Mann, und er ging Pflege und Besserung in Kuranstalten suchen, zuletzt in der Kuranstalt Sonnmatt in Luzern. Anscheinend geheilt kehrte er heim, aber die Zeit war da, sein Erdengang am Ziele.

Nationalrat Dr. jur. Ernst Feigenwinter war von Reinach, Baselland, geboren im Jahre 1853. Er studierte Jurisprudenz in Basel, Berlin und Strassburg und liess sich dann als Advokat in Basel nieder. Der Advokat Dr. Feigenwinter war ein tüchtiger Arbeiter und ein hervorragend gescheiter und gewandter Mann, und er brachte sein Geschäftsbureau zu Blüte und Ruf.

Die blosse Erwerbstätigkeit aber genügte dem feurigen und ideal gerichteten Geiste nicht, er wollte auch im öffentlichen Leben, in der Politik, sich betätigen. Günstig für ihn war der Boden in Basel nicht, und es brauchte ein ganzes langes Leben voll Arbeit und Kampf, bis der katholische Sozialpolitiker Feigenwinter in seiner Niederlassungsstadt sich Anerkennung zu erringen vermochte.

Feigenwinter, selber ein überzeugungstreuer Katholik,sammelte und organisierte die in Basel zerstreut lebenden Katholiken. Er gründete das Basler Volksblatt, gründete Vereine, half Kirchen bauen und kämpfte ganz besonders für die katholische Schule und für katholischen Religionsunterricht, und heute sind die Katholiken von Basel mit ein Schutz und ein Damm gegen die sozialistische Hochflut, die das alte stolze Basel zu überschwemmen droht.

Feigenwinters öffentliche Bedeutung liegt ganz besonders auf dem Gebiet der Sozialpolitik: er war, mit dem verstorbenen Nationalrat Dr. Decurtins und mit dem noch lebenden Professor Dr. Beck in Froiburg, von den ersten in der Schweiz, welche die ganze Wichtigkeit der modernen Arbeiterfragen erkannten und dem Studium und der Lösung derselben sich zuwandten. Feigenwinter war sehr eifrig mittätig in der internationalen Vereinigung für Arbeitergesetzgebung, und er war auch ständiger Mitarbeiter bei den periodischen Publikationen des Sozialpolitikers Freiherr Vogelsang. Feigenwinter kämpfte immer für den Gedanken, die Lösung der modernen Arbeiterfragen zu suchen und zu finden auf dem Boden christlicher Weltanschauung, die den Arbeiter und den Menschen überhaupt nicht nur an die materiellen DiesseitsInteressen und -Sorgen, sondern auch an die freudige Jenseitsgewissheit weist, welche erst den vollen und gerechten Ausgleich schaffen kann für jeden Menschen nach seinem Verdienst.

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Arbeiterschutz, Frauenschutz, Kinderschutz, Verbesserung der Arbeitsverhältnisse in den Fabriken, gerechte Löhnung, das waren die sozialpolitischen Hauptpunkte, um die Feigenwinter sein Leben lang gekämpft hat, aber immer auf dem Boden friedlicher Entwicklung von Recht und Gesetz.

Feigenwinter war seiner ganzen Veranlagung und seinem Werdegang nach eine Kampfnatur, ein Draufgänger, aber ein grader und offener, und das brachte ihm Freunde und Feinde.

Gehasst hat er seine Feinde nicht, seinen Freunden aber war er treu und zuverlässig.

Und nun ist der alte Kämpe müde geworden und matt -- Gott gebe ihm die ewige Ruhe.

Ich bitte Sie, das Andenken des Verstorbenen zu ehren und zum Ausdruck dieser Ehrung sich von Ihren Sitzen erheben zu wollen.

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Aus denVerhandlungen des Bundesrates.

(Vom 15. September 1919.)

Die bisherigen Mitglieder und Ersatzmänner der eidgenössischen Kommission für die forstlich-praktische Wählbarkeitsprüfung werden für eine neue Amtsdauer von drei Jahren, d. h. bis 9. September 1922, bestätigt, und zwar: a. als Mitglieder die Herren : Ernst Muret, Kantonsforstinspektor in Lausanne ; Wilhelm Örtli, Kantonsoberförster in Glarus, und Arnold von Seutter, Kreisoberförster in Bern · b. als Ersatzmänner die Herren : Theodor Weber, Oberforstmeister des Kantons Zürich, und Henri Biolley, Kantonsforstinspektor in Neuenburg.

Die vom Staatsrat des Kantons Wallis am 11. Juli 1919 erlassene kantonale Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über Mass und Gewicht wird genehmigt.

Dem Kanton Uri wird an die zu Fr. 90,000 veranschlagten Kosten für die Erstellung eines Alpweges ins Kleintal, Gemeinde Isental, ein Bundesbeitrag von 30 °/o, im Maximum Fr. 27,000, bewilligt.

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24.09.1919

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