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Schweizerisches Bundesblatt mit schweizerischer Gesetzsammlung, 7l. Jahrgang.

Bern, den 30. April 1919.

Band II.

Erscheint wöchentlich. Preis 12 Franken im Jahr, 6 Franken im Salbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr".

Einrückungsgebühr : 16 Kappen die Zeile oder deren Raum. -- Anzeigen franko an die Bachdruckerei Stämpfli & de. in Bern.

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Bericht des

Eidg. Versicherungsgerichts an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Monat Dezember 1917 und im Jahre 1918.

(Vom 31. März 1919.)

, Hochgeehrter Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen hiermit gemäss Art. 28 des Bundesbeschlusses betreffend die Organisation und das Verfahren des Eidg. Versicherungsgerichts CO B) über unsere Amtstätigkeit im Monat Dezember 1917 und im Jahre 1918 wie folgt Bericht zu erstatten :

A. Allgemeiner Teil.

I. Gerichtsgebäude.

Am 1. Dezember 1917 haben Präsident und Vizepräsident die vom Bund als Gerichtsgebäude gemietete Villa des Luzerner Kantonschemikers Dr. C. Schumacher-Kopp bezogen. Die Villa musste zuerst zweckentsprechend eingerichtet werden, was nur zum Teil möglich war, da der Charakter des Gebäudes als Provisorium jedermann sofort offenbar wurde und deshalb angezeigt erschien, von tiefer greifenden Veränderungen der Villa Umgang zu nehmen. Das neue Gerichtsgebäude muss in der Tat schon wegen seiner Lage als für Gerichtszwecke unpassend bezeichnet werden, indem es ausserhalb der Stadt und zuoberst an der nach Adligenswil führenden steilen Strasse gleichen Namens steht. Vor allem weist es aber zu wenig Räume auf. Trotzdem der ganze verfügbare Platz ausgenützt worden ist, müssen sich die Richter Bundesblatt. 71. Jahrg. Bd. II.

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im Nebenamt, die oft längere Zeit hindurch und gleichzeitig in Luzeru zum Aktenstudium weilen, mit einem einzigen, Verhältnismassig kleinen Raum begnügen, während zwei Sekretäre in der mit ungenügenden Fenstern versehenen Dachwohnung und die meisten Kanzlisten in einer schmalen, länglichen Glasveranda arbeiten müssen, die im Sommer unerträglich heiss und im Winter bitter kalt werden kann.

II. Persönliches.

Am 13. Dezember 1917 hat die=Bundesversammlung an Stelle des nach seiner Wahl in den Nationalrat zurückgetretenen Herrn Dr. Feigenwinter in Basel zum Mitglied des Eidg. Versicherungsgerichts gewählt: Herrn Karl Koch, Vizepräsident des aargauischen Obergerichts, von Büttikon, in Wohlen.

Als infolge des später zu besprechenden Andranges von Berufungen in Militär Versicherungssachen das Gericht auf intensivsten Herbeizug der Richter im Nebenamt trachten mussto, hat Herr Bundesversicherungsrichter Kaspar Müller vom Grossen Rate dei Kantons Luzern für eine unbestimmte, selbstverständlich nicht allzulange dauernde Zeit, Urlaub als Obergerichtspräsident erhalten und sich seither ausschliesslich dem Eidg. Versicherungsgericht gewidmet.

Am 22. Dezember 1917 wurde zum Gerichtsschreiber Herr Dr. Werner Lauber, von Marbach (Kt. Luzern), Sekretär des Bundesgerichts in Lausanne, gewählt, der sein Amt am 1. Februar 1918 antrat.

Es folgten dann am 28. Mai und 2. Oktober 1918 die Wahlen der Herren Rechtsanwälte Emil Hofmann, von Kreuzungen und Weiningen, in Zürich, und Dr. Hans Gyr, von Einsiedeln, in Luzern, zu deutschsprachigen Sekretären des Gerichts. Herr Hofmann trat sein Amt am 15. Juni 1918 an, starb aber schon am 23. November 1918 als Opfer der Grippe im Aktivdienst, zu dem er als Justizoberleutnant einberufen worden war. Herr Dr. Gyr war schon vor seiner Wahl, vom 20. Juni 1918 an, provisorisch im Gericht beschäftigt.

Mehrmalige Ausschreibungen und sonstige persönliche Bemühungen zur Gewinnung eines französischsprachigen Sekretär» blieben während des Berichtsjahres, zumal wegen der als ungenügend empfundenen Besoldung gemäss OB, ohne Erfolg. Ebenso war es nicht möglich, bis Ende des Jahres 1918 die durch den Tod desHerrn Hofmann freigewordene Stelle wieder zu besetzen.

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Schliesslich wählte das Gericht einen Kanzlisten I. Klasse, vier Kanzlisten II. Klasse und einen Weibel-Hauswart, deren Zahl und Stellung in der Kanzlei zunächst nur als eine vorläufige gedacht war. Über die mittlerweile erfolgte definitive Ausgestaltung der Kanzlei wird erst im Geschäftsführungsbericht für das Jahr 1919 zu berichten sein.

III. Gerichtsabteilungen.

Durch das Reglement, das sioh das Gericht am 2. Februar 1918 gegeben hat, wurden gemäss den entsprechenden Bestimmungen des OB folgende Gerichtsabteilungen gebildet: Fiinferabteihtng, in der neben Präsident und Vizepräsident drei Mitglieder im Nebenamt sitzen. Dieser Abteilung liegt ob : 1. die erst- und letztinstanzliche Erledigung der Streitigkeiten nach Art. 57 und 58 MVG von 1914, sofern der Streitwert Fr. 4000 erreicht; 2. die Behandlung der Berufungen im Sinne von Art. 120 ff.

OB und Art. 55 Ziffer 2 und 3 MVG von 1914, sofern der Streitwert Fr. 4000 erreicht; 3. die Beurteilung der gegen die genannten Berufungsurteile gerichteten Revisionsbegehren, sofern sich diese auf Art. 101 Ziffer 2 und 3 OB stutzen.

I. Dreierabteiïunff, in der neben Präsident und Vizepräsident ein Richter im Nebenamt sitzt. Ihr liegt ob : 1. die erst- und letztinstanzliche Erledigung der Streitigkeiten gemäss Art. 57 und 58 MVG von 1914, sofern der Streitwert Fr. 4000 nicht erreicht; 2. die Behandlung der Berufungen im Sinne von Art. 120 ff.

OB und Art. 55 Ziffer 2 und 3 MVG von 1914, sofern der Streitwert Fr. 300, aber nicht Fr. 4000 erreicht; 3. die Beurteilung der gegen die genannten Berufungsurteile gerichteten Revisionsbegehren, sofern sich diese auf Art. 101 Ziffer 2 und 3 OB stützen.

II. Dreierabteilung, in der neben Präsident und Vizepräsident «in Richter im Nebenamt sitzt. Ihr liegt ob : 1. die Behandlung der Berufungen im Sinne von Art. 120 ff.

OB, sofern der Streitwert Fr. 300, aber nicht Fr. 4000 erreicht, oder nicht in Geld schätzbar ist und nicht Leistungen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt für Krankenpflege in Frage stehen ;

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2. die Beurteilung der gegan die genannten Berufungsurteile gerichteten Revisionsbegehren, sofern sich diese auf Art. 101 Ziffer 2 und 3 OB stützen; 3. die Beurteilung der Revisionsbegehren im Sinne von Art. 101 Ziffer l OB gegen Urteile des Einzelrichters.

Präsident als Einseirichter. Ihm liegt ob : 1. die Behandlung der Berufungen im Sinne von Art. 120 ff.

OB und Art. 55 Ziffer 2 und 3 MVG von 1914, sofern der Streitwert Fr. 300 nicht erreicht, sowie im Sinne von Art. 55 Ziffer l MVG von 1914; 2. die Behandlung der Reyisionsbegehren gegen die genannter» Berufungsurteile, sofern sich diese auf Art. 101 Ziffer 2 und 3 OB stützen; 3. die Prämienforderungen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt als im Sinne von Art. 10 des BG betreffend die Ergänzung des BG über Kranken- und Unfallversicherung vom 13. Juni 1911 vollstreckbar zu erklären.

Vizepräsident als Eineelrieltter. Ihm liegt ob: 1. die Behandlung der Berufungen irn Sinne von Art. 120 ff.

OB, sofern der Streitwert Fr. 300 nicht erreicht; 2. die Behandlung der Berufungen im Sinne von Art. 120 ff.

OB, sofern der Streitwert nicht in Geld schätzbar ist'und Leistungen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt für Krankenpflege in Frage stehen ; 3. die Behandlung der Revisionsbegehren gegen die genannten Entscheide, sofern sie sich auf Art. 101 Ziffer 2 und 3 OB stützen.

In der nämlichen Plenarsitzung vom 2. Februar 1918 wurden die Gerichtsabteilungen bis Ende des Jahres 1918 wie folgt bestellt: F ü n f e r a b t e i l u n g . Präsident: Albisser; Mitglieder: Piccard, Berta, Correvon und Koch.

I. D r e i er a b t e i l u n g. Präsident: Albisser; Mitglieder: Piccard und Kaspar Müller.

II. D r e i e r a b t e i l u n g. Präsident : Piccard ; Mitglieder : Albi&ser und Hans Müller.

«5 IV. Geschäftslast und Organisation des Gerichts.

Die Frage nach der mutmasslichen Arbeitslast des Eidg.

Versicherungsgerichts hat bei der Organisation des Gerichts im OB eine grosse Rolle gespielt. Die Unmöglichkeit, sich hierüber zum voraus ein zutreffendes Bild zu machen, hat dazu geführt, dass schon der Entwurf des Bundesrates ein gemischtes Gericht vorsah, in welchem nur Präsident und Vizepräsident ihre ganze Zeit und Kraft ausschliesslich dem Gericht zu widmen haben und daneben fünf Richter im Nebenamt beschäftigt sind. In der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung (vgl. B undesbl. Jahrgang 1915, Nr. 52, S. 237) wurde ausgeführt, dass diese Regelung ,,für den Anfang" genügen dürfte, indem damit dem Gericht eine ,,Elastizität" gegeben sei, ,,die es ihm erlaubt, seine Kräfte der jeweiligen Belastung anzupassen".

Der Bundesrat betrachtete indessen diese Organisation schon damals nur als einen ,,Versuch", der um so mehr ,,gewagt" werden könne, ,,als es ja nur eines Beschlusses der Bundesversammlung bedürfe, die Zusammensetzung des Gerichts nach Art und Zahl der Richter zu verändern, wenn sich ein Bedürfnis hierzu fühlbar machen werde". Diese Ordnung ist dann bekanntlich auch im National- und Ständerat befürwortet und angenommen worden, an beiden Orten aber mit dem nämlichen Vorbehalt für den Fall, dass sie sich in der Folge nicht bewähren sollte. So führte der Berichterstatter im Ständerat aus, die Organisation des Gerichtes müsse ,,sich für den Anfang die volle Elastizität und Anpassungsfähigkeit wahren, um dem Bedürfnis entsprechend abgeändert werden zu können, was auf der Basis eines Beschlusses der Bundesversammlung geschehen könne" (vgl. Sten. Bull., Ständerat, Jahrgang 1916, S. 49, Spalte rechts), während der Berichterstatter des Nationalrates sich darüber folgendermassen äusserte: ,,Alle diese Erwägungen (über die voraussichtliche Geschäftslast des Gerichts) haben nun dazu geführt, eine Organisation des Gerichts zu wählen, die den Verhältnissen und Bedürfnissen rasch angepasst, und, wenn nötig, ebenso leicht geändert werden kann. Man wagt nicht, jetzt schon ein Gericht mit einer grössern Zahl vollbeschäftigter, d. h. ausschliesslich dem Richteramt sich widmender Mitglieder zu schaffen. Ein solches Gericht hätte den Übelstand, dass, wenn die Arbeitslast weniger gross sein
sollte, als man jetzt vielleicht annimmt, die Zahl der ständigen Richter dann nicht leicht reduziert werden könnte. Viel leichter wird es sein, wenn nötig, die Zahl der ständigen Richter später zu erhöhen" (vgl.

Sten. Bull., Nationalrat, Jahrgang 1916, S. 130, Spalte rechts).

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Schliesslich ist auch noch an folgende Äusserungen eines Mitgliedes der nationalrätlichen Kommission im Plenum des Nationalrates zu erinnern: ,,Wir wissen zur Zeit gar nicht, wieviel Arbeit die Herren Präsident und Vizepräsident des Versicherungsgerichtes zu leisten haben werden, ob sie die halbe Zeit, oder den Viertel der normalen Arbeitszeit, oder ob sie vollauf beschäftigt sind" (vgl. Sten. Bull., Nationalst, Jahrgang 1916, S. 190, Spalte rechts).

Nachdem das erste Geschäftsjahr des Gerichts verflossen ist, ist es nunmehr möglich, dessen wirkliche Geschäftslast in quantitativer und qualitativer Beziehung nicht nur rückwärts für den vergangenen Zeitraum, sondern auch vorwärts für die nächsten Jahre zu überblicken. Diese Geschäftslast muss, wie gleich erklärt werden mag, als eine ganz unerwartet grosse bezeichnet werden. Bis zum 81. Dezember 1918 sind im ganzen 1004 Geschäfte anhängig gemacht worden, über deren Natur der besondere Teil dieses Berichts nähere Auskunft gibt.

Von diesen Geschäften gehört der weitaus kleinere Teil dem Gebiete der Kranken- und Unfallversicherung an ; bei der überwiegenden Mehrzahl der Fälle handelt es sich um Militärversicherungsstreitigkeiten, die bei der Schätzung der voraussichtlichen Inanspruchnahme des Gerichts sowohl in der Botschaft des Bundesrates, als auch bei der Beratung in den eidgenössischen Räten immer nur nebenbei erwähnt worden waren. Unter den erstgenannten Geschäften wiederum werden die Berufungen von den Gesuchen um Vollstreckbarerklärung von Prämienforderungen der Zahl nach bei weitem übertroffen. Dies berechtigt jedoch nicht zur Annahme, dass auch in Zukunft die Berufungen gegen Entscheide der kantonalen Versicheruugsgerichte wenig zahlreich sein werden. Einmal ist zu berücksichtigen, dass die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt erst auf den 1. April 1918 in Betrieb gesetzt worden ist. Sodann ist klar, dass vom Tag eines Unfalles an bis zum Weiterzug des daraus entstandenen Rechtsstreites an das Eidg. Versicherungsgericht eine erhebliche Zeitspanne verstreichen kann und auch tatsächlich verstreicht. Dio Versicherungsfälle bleiben naturgemäss schon bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt einige Zeit hängig, und zwar gerade die schwereren Fälle, indem nach Art. 76 K U Invalidenrenten erst dann zu gewähren sind, ,,wenn von der
Fortsetzung der ärztlichen Behandlung eine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes des Versicherten nicht erwartet werden kann", d.h. wenn bereits ein meistens längere Zeit dauerndes Heilungs versuchsverfahren

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stattgefunden hat. Abgesehen hiervon dürfte die Liquidierung der Unfälle durch die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt im Berichtsjahr noch in besonderm Mass dadurch Verzögerungen erfahren haben, dass sich das Personal der Anstalt zuerst in den neuen Betrieb einarbeiten musste, und dass sich auch die Anstalt den Folgen der Grippe und der wiederholten Militäraufgebote nicht entziehen konnte. Liegt aber einmal eine Verfügung der Anstalt über die Versicherungsansprüche des Versicherten vor, so kann dieser nach Art. 9 der Verordnung II mit der Klageanhebung noch volle sechs Monate zuwarten, welche Verwirkungsfrist in der Regel voll ausgenützt wird. Alsdann fängt erst das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht an, welches je nach dem Gericht, sowie je nach den im einzelnen Fall zu treffenden Beweisvorkehren (wie ärztliche Expertisen) bis zur Urteilsfällung verschieden lang dauert. Das Bidg. Versicherungsgericht kann daher im Berichtsjahr nur mit einem verschwindend kleinen Teil der im Jahre 1918 erfolgten, zu einem Rechtsstreit führenden Unfälle befasst worden sein. Schliesslich erklärt sich die vorläufig vcrhältnismässig geringe Zahl der Berufungen aus dem Gebiet der zivilen Unfallversicherung hauptsächlich auch aus der offenbar in vielen Kreisen von Versicherten noch mangelhaften Kenntnis des Gesetzes, sowie aus dem Darniederliegen der Industrie, insbesondere des Baugewerbes.

Ist sonach mit Sicherheit anzunehmen, dass die Geschäfte aus dem Gebiet der zivilen Unfallversicherung in den nächsten Jahren ganz bedeutend anwachsen werden, so ist anderseits jetzt auch schon möglich, sich über die damit für das Gericht verbundene Arbeit im grossen und ganzen Rechenschaft zu geben.

Bekanntlich erschöpft-sich das Rechtsmittel der Berufung an das Eidg. Versicherungsgericht nicht in einer blossen revisio in jure, wie das Rechtsmittel der Berufung an das Bundesgericht, sondern es ergibt sich aus Art. 59, 134, 136 und 137 OB, im Gegensatz zu Art. 80 und 81 OG, dass die Parteien in der Berufung neue Tatsachen vorbringen und neue Beweismittel anrufen können, sowie, dass das Gericht den kantonalen Tatbestand zu überprüfen, eventuell auch ohne Parteianträge neue Tatsachen zu berücksichtigen und Beweisergänzungen zu treffen hat. Die Erfahrung hat nun gezeigt, dass das Eidg. Versicherungsgericht im
Berufungsverfahren gemäss Art. 120 ff. OB nicht ,,nur ausnahmsweisea in die Lage kommt, neue Beweise zu erheben, wie im Ständerat angenommen worden war (vgl. Sten. Bull., Ständerat, Jahrgang 1916, S. 49, Spalte links). Vielmehr sind bei gut der Hälfte aller während des Berichtsjahres eingelangten Berufungen

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gegen Urteile dor kantonalen Versicherungsgerichte Beweisvorkehren nötig geworden, wodurch die Arbeit des Gerichts in einem Mass in Anspruch genommen wird, wie dies sonst bei einer letzten Instanz, insbesondere beim Bundesgericht, nicht der Fall zu sein pflegt. Es trifft aber auch die andere, von der mit den Vorarbeiten zum OB betrauten Arotsstclle in ihrem Bericht vom 31. August 1913 geäusserte Auffassung nicht zu, dass ,,die Würdigung des Tatbestandes, die Feststellung des Umfanges der Erwerbsfähigkeit usw. weit mehr zur Anfechtung eines kantonalen Urteils fuhren werden, als die Anwendung der an sich einfachen Gesetzesbestimmungen auf den- Tatbestand". Bisher haben sich dem Richter fast ausnahmslos wichtige grundsätzliche Rechtsfragen gestellt, deren Entscheidung eine um so sorgfältigere Prüfung erfordert, als sich der Richter dabei auf juristischem Neuland bewegt.

Es kann nicht etwa einfach die Haftpflichtpraxis übernommen werden, wie ebenfalls bei der Beratung des OB vorausgesetzt worden war (vgl. Sten. Bull., Nationalrat, Jahrgang 1916, S. 189).

Vielmehr ist stets auch zu prüfen, ob und inwieweit die Grundsätze des Haftpflichtrechtes wirklich weiter anzuwenden seien.

Ausserdem sind eine Reihe von Fragen zu lösen, für die man im bisherigen Rechte vergeblieh nach Analogien suchen würde (z. B. betreffend Beginn, Beendigung und Unterbrechung der Versicherung, betreffend Krankengeldberechnung, Rentenrevision usw.).

Daraus, dass die meisten der im Berichtsjahr ergriffenen Berufungen in die Kompetenz des Einzelrichters Heien, darf nicht geschlossen werden, dass es sich dabei in der Regel um einfachere Fälle gehandelt habe oder in Zukunft bandeln werde.

Es sind im Gegenteil gerade die einzelrichterlichen Fälle, welche bis jetzt zur Entscheidung der grundsätzlich wichtigsten Fragen führten. Die Unfallversicherungsanstalt und die Arbeitersekretariate und Krankonkassen (durch welche die Versicherten sich meist vertreten lassen) ergreifen die Berufung nicht sowohl wegen des einzelnen Falles, als vielmehr wegen der Konsequenzen. Die im Spiele stehenden Interessen überragen deshalb bei solchen grundsätzlichen Entscheiden den Streitwert des einzelnen Falles um ein Vielfaches und die Fälle müssen dementsprechend sorgfältig behandelt werden.

Dazu kommt die hohe Zahl der Gesuche um Vollstreckbarerklärung
der Prämienforderungen der Schweizerischen Ilnfallversicherungsanstalt, welche Gesuche nicht etwa, wie angenommen werden könnte, eine mechanische Behandlung gestatten, sondern vielfach eine richterliche Prüfung des einzelnen Falles' erfordern.

Da der ßetriebsinhaber in diesem Verfahren nicht zum Wort

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kommt, wird darauf gehalten, die Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung besonders genau zu prüfen, wobei nicht selten die Rückweisung der Sache zur Aktenvervollständigung nötig wird.

Was nun aber die Zahl der eingelangten Militärversicherungsstreitigkeiten anbelangt, so muss sie zum Aufsehen mahnen, da keine Aussicht vorhanden ist, dass sie in absehbarer Zeit sinken werde. Es wäre nämlich irrig, die Hochflut dieser Geschäfte allein a,uf die während des Krieges notwendig gewordeneu ausserordentlichen Truppenaufgebote, sowie auf die Grippeepidemie, also auf bloss vorübergehende, bzw. nun bereits vorübergegangene Erscheinungen zurückzuführen, deren Wirkungen übrigens für das Eidg. Versicherungsgericht noch auf lange Zeit fortbestehen werden, indem ja, wie allgemein bekannt ist. bei der Militärversicherung noch Tausende von Versicheruugsfällen ihrer Erledigung harren. Ein nicht weniger wichtiger Grund für den so ausserordentlich zahlreich erfolgten Weiterzug an das Eidg. Versicherungsgericht ist darin zu erblicken, dass in weitesten Kreisen unserer Wehrmänner das Vertrauen in die Institution der Militärversicherung, zumal in die Entscheide des Vertreters des Oberfeldarztes, gänzlich geschwunden ist. Wir haben nicht zu untersuchen, ob dieses Misstrauen begründet ist; wir müssen aber feststellen, dass es besteht, insbesondere aus den Akten der uns unterbreiteten Berufungen nur allzusehr ersichtlich ist, und dass infolgedessen die Zahl der Berufungen eine nie geahnte Höhe erreicht hat. Ob jenes Misstrauen auch bei einer alJfalligen wirklichen Reorganisation der Militärversicherung sobald dahinfallen wird, ist zweifelhaft; jedenfalls dürften sich Änderungen im Betriebe der Mililärversicherung erst nach geraumer Zeit durch eine Verminderung der Berufungen an das Eidg. Versicherungsgericht fühlbar machen. Für das Anhalten des hohen Geschäftsstandes spricht sodann, dass bei den Militärpatienten die Kenntnis ihrer Versichernngsansprüche, sowie ihrer Aussichten im Berut'ungsverfahren, eine verbreitetere als bei den gewöhnlichen Versicherten ist, was zum Teil davon herrührt, dass sich viele von ihnen gemeinsam in Sanatorien aufhalten, wo sie sich an Hand der ergangenen Urteile des Eidg. Versicherungsgerichtes gegenseitig aufklären können, zum Teil aber damit zusammenhängt, dass sich sowohl private Vereinigungen
(Neue Helvetische Gesellschaft, Gruppe Basel; Bund für Soldatenwohl in Kilchberg usw.), als auch militärische Organisationen (wie die vom Armeestab geschaffene Zentralstelle für Soldatenfürsorge), und nicht zuletzt auch Spezialauwälte ihre Vertretung zur Aufgabe gemacht haben.

Endlich ist zu berücksichtigen, dass in Miliiärversicherungs-

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Streitigkeiten von dem Rechtsmittel der Berufung an das Eidg.

Yersicherungsgericht deshalb immer sehr ergiebiger Gebrauch gemacht werden wird, weil es sich dabei um ein kostenloses Verfahren handelt, in welchem der Versicherte, ungeachtet des Ausganges des Prozesses, nichts zu verlieren, sondern nur zu gewinnen hat. Bisher mussten übrigens durch das Eidg. Versicherungsgericht ungewöhnlich viele dieser Berufungen in Militärversicherungssachen ganz oder wenigstens teilweise gutgeheisseu werden, was natürlich auch nicht dazu angetan ist, die Zahl der zu erwartenden neuen Geschäfte zu vermindern. Seit dem Ende des Berichtsjahres sind denn auch die Berufungen im Sinne von Art. 55 MVG von J914 nicht etwa zurückgegangen, sondern im Gegenteil weiter angewachsen. Im bloss 28 Tage zählenden Monat Februar 1919 sind 128, d. h. 36 Berufungen mehr anhängig gemacht worden, als im belastetsten Monat des Berichtsjahres, wahrend vollends der Monat März 1919 mit '146 Berufungen die Rekordziffer aller bisherigen Monate aufweist.

Was diese Zahlen für das Gericht an Arbeit bedeuten, kann sich der Aussenstehende nicht leicht vorstellen. Im Gegensatz zum Berufungsverfahren gemäss Art. 120 ff. OB erhält das Eidg.

Versicheruugsgericht die Streitsachen hier nicht aus der Hand einer Gerichts-, sondern einer Verwaltungsbehörde, die überdies, sofern es sich um Verfügungen im Sinne des Art. 55 Ziffer l und 2 MVG von 1914 handelt, von dem Institut der Militärversicherung als solcher nicht einmal verschieden ist, da der Vortreter des Oberfeldarztes zugleich ,,Bureauchef der eidg.

Militärversicherung" ist, und die, sofern Entscheidungen gemäss Art. 55 Ziffer 3 MVG von 1914 in Betracht kommen, mit der Militärversicherung selber in engster Beziehung steht, da dabei der Vertreter des Oberfeldarztes tatsächlich wiederum eine ausschlaggebende Rolle spielt. Die Art und Weise aber, wie hier die in Betracht kommenden Tatbestände festgestellt werden, ist meistens eine durchaus ungenügende, sei es, dass den betreffenden Amtsstellen die zu den verschiedenen Beweiserhebungen notwendigen Zwangsmittel der Prozessordnungen nicht zur Verfügung stehen, sei es, dass sie sich überhaupt mit einer bloss ungefähren Abklärung der tatsächlichen Verhältnisse begnügen.

So kommt es, dass das Eidg. Versicherungsgericht sich in Militärversicherungssachen
sozusagen in jedem einzeln Fall zur weitgehendsten Anwendung der Art. 134, 136 und 137 OB genötigt sieht, und zwar auch dann, wenn es sich auf die für die Entscheidung der Streitfrage essentiellsten Feststellungen beschränkt.

Von der gewöhnlichen schriftlichen Anfrage an bis hinauf zur

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Einholung von Expertisen und zur Zeugeneinvernahme kommen alle gebräuchlichen Beweismittel nicht nur zur Anordnung, sondern auch zur Vornahme durch das Eidg. Versicherungsgericht selber. Was speziell die Beauftragung anderer Gerichte zur Abhörung von Zeugen anbetrifft, so wurden damit nicht immer die gewünschten Ergebnisse erzielt, da durch zum voraus auch noch so sorgfältig abgefasste Zeugenfragen die zu erforschenden Verhältnisse angesichts der besondern Natur der hier zu entscheidenden Fragen oft nicht genügend festzustellen sind. So arbeitund zeitraubend nun auch die Nachholung dieser ganzen sonst der ersten Instanz obliegenden Prozessinstruktion für das Eidg.

Versicherungsgericht ist, so kann darauf in der Regel nicht verzichtet werden. Wir gehen davon aus, dass der Wehrmann, der im Dienst des Vaterlandes an seiner Gesundheit Schaden gelitten hat, Anspruch auf die grösste Sorgfalt bei der Behandlung seines Falles durch die Behörden hat, und -haben uns selber genug davon überzeugen können, welche geradezu verheerenden. Wirkungen eine andere Auffassung auf die Staatsgesinnung und Dienstfreudigkeit weitester Kreise von Dienstpflichtigen ausgeübt hat.

Gleich wie im Berufungsverfahren gemäss Art. 120 ff. OB stellten sich nach durchgeführter Prozessinstruktion auch hier wichtige Rechtsfragen, deren Erörterung nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden konnte.

Dieser ganz ausserordeutlich starken Inanspruchnahme gegenüber hat die im OB vorgesehene Schaffung von nur zwei hauptamtlichen nebst fünf nebenamtlichen Richterstellen natürlich gleich von Anfang an vollständig versagen müssen. Während noch Präsident und Vizepräsident, deren Amtsantritt auf den 1. Dezember 1917 angesetzt worden war, mit den allernotwendigsten Organisations- und Installationsarbeiten beschäftigt waren, die fast ganz vom Gericht selbst besorgt werden mussten, setzte schon ein mächtiger Weiterzug von Entscheiden des Oberfeldarztes und der eidgenössischen Pensionskommission ein, dessen das Gericht bald nicht mehr Herr zu werden vermochte. Es zeigte sich nämlich sofort, dass die Richter im Nebenamt, die in ihrem Hauptberuf alle stark in Anspruch genommen sind, die Arbeiten für das Eidg. Versicherungsgericht eben als nebenamtliche behandeln müssen, und dass ihnen der Aufenthalt an einem vom Gerichtssitz verschiedenen Ort
die Heranziehung des juristisch geschulten Personals der Kanzlei, die Verwendung der Fachliteratur des Gerichts usw. sehr erschwert und überhaupt ihre ganze Tätigkeit unverhältnismässig kompliziert. Es ist nur ihrem besondern Ent-

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Versicherungsgericht übertragen würde.

V. Rechtssprechung des Gerichts.

Die gefällten grundsätzlichen Entscheide wurden in der "Schweizerischen Zeitschrift für Unfallkunde"- (,,Revue Suisse des Accidents du travail") veröffentlicht (Verlag Ferd. Wyss, Bern).

Dadurch konnten die Kosten einer besondern Publikation, die im Berichtsjahr unverhältnismässig gross gewesen wären, vermieden werden.

Von den grundsätzlichen Entscheiden aus dem Gebiet des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes sind namentlich die Urteile zu erwähnen, die sich mit Art. 62 KU befassen, wonach die Versicherung mit dem Ablauf dos zweiten Tages nach dem Tage endet, an dem der Lohnanspruch, d. h. die Arbeit aufhört.

Diese Bestimmung, bei deren Aufstellung der Gesetzgeber hauptsächlich an Arbeitsunterbrechungen wegen ,,Blaumachens" dachte, führt dazu, dass auch bei Arbeitsunterbrechungen wegen Krankheit oder aus ändern, vom Willen des Versicherten unabhängigen

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öründen, die Versicherungspflicht der Unfallversicherungsanstalt für die Folgen eines während dieses Zeitraumes vorgekommenen Unfalls regelmässig zu verneinen ist. Im Zusammenhang hiermit rausste auch zu einer Anzahl von Fragen, die sich' auf die Prämieneerechnung beziehen, schon jetzt Stellung genommen werden.

Zur Beurteilung kam weiter die Frage, ob sich die Unfallversicherung auch auf die Beschädigung oder Zerstörung von Prothesen erstreckt. Das Gericht ging davon aus, dass solche Beschädigungen oder Zerstörungen als blosser Sachschaden eigentlich weder nach dem Wortlaut des Art. 67, noch nach demjenigen des Art. 73 KU einen Ersatzanspruch zu begründen vermögen, dass indessen unter ,,Heilung11 im Sinne des Art. 73 KU doch unter Umständen auch die Wiederherstellung oder Ausbesserung von Prothesen zu verstehen sei. Voraussetzung dazu ist, dass es sich um eine Sache handle, welche den fehlenden Körperbestandteil nicht nur funktionell, sondern namentlich auch morphologisch, oder auch nur morphologisch zu ersetzen bestimmt ist, dass sodann0 die betreffende Prothese speziell im Moment ihrer Beschädigung oder Zerstörung dem menschlichen Körper inhärent .gewesen sei, dass sie ferner anlässlich eines Unfalls, d. h. eines die Versicherungspflicht auslösenden Unfalles im Sinne von Art. 67 KU beschädigt oder zerstört worden sei, sowie dass sie keine Luxusanschaffung dargestellt habe.

Was das Gebiet der Militärversicherung anbelangt, so wurden die den Versicherten zu gewährenden Entschädigungen bisher sowohl vom Vertreter des Oberfeldarztes, als auch von der eidgenössischen Pensionskommission oft allzusehr unter dem Gesichtspunkt von blossen ,,Unterstützungen" bewilligt, bei deren Ausrichtung auch fiskalische Erwägungen mitspielten, während anderseits die frühern Rekursbehörden sich in ihren Entscheiden nicht .selten auf eine einfache Paraphrase der Auffassung der ersten Instanz beschränkten. Es galt daher für das Eidg. VersicheTungsgericht, die Militärversicherungsstreitigkeiten auf den Boden zu stellen, auf den sie allein gehören, nämlich auf denjenigen des Militärversicherungsgesetzes, unter voller Berücksichtigung anderseits odes besondern Fürsorgecharakters dieses Gesetzes. Dabei waren bereits eine Reihe von Entscheidungen zu treffen, die für die Auslegung entsprechender Bestimmungen des Kranken-
und Unfallversicherungsgesetzes von mehr oder weniger präjudizieller. Bedeutung sein werden. Ein wichtiger Punkt, in welchem die früher^ herrschend gewesene Praxis durch das Eidg. Versicherungsgericht abgeändert werden musste, be-

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trifft die Berechnung des Tagesverdienstes des Versicherten als Grundlage des Krankengeldes. Als Verdienst gilt nicht nur der Lohn im engern Sinn, sondern es gehören dazu noch Nebenbezüge aller Art, Teuerungszulagen und Sachbezügo (Kost und Logis usw.), welch letztere mit demjenigen Wert in Rechnung zu setzen sind, den sie für den Versicherton darstellen. Praktisch von grosser Tragweite ist weiterhin, dass nicht mehr auf den Verdienst abgestellt wird, den der Versicherte bei Ausbruch der Krankheit hatte, sondern auf denjenigen, den er gegenwärtig beziehen würde, wenn er nicht erkrankt wäre. Diese Auffassung hat nicht nur den unzweideutigen Wortlaut des Gesetzes für sich, sondern konnte angesichts der seit Kriegsausbruch eingetretenen Umwandlungen auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens (Steigen der Löhne usw.) schlechterdings nicht mehr länger umgangen werden. Weiterhin wurde, namentlich- im Hinblick auf die latenten Tuberkulosen, der Grundsatz aufgestellt, dass eine vordienstliche Krankheit im Sinne des Art. 8 MVG nur dann vorliege, wenn vor dem Militärdienst bereits die körperliche Integrität angegriffen oder die normale Funktion eines Organs gestört war. In Pensionssachen ist sodann erkannt worden, dass der Anspruch auf eine Rente eine Verminderung der Erwerbs f ä h i g k ei t und nicht eine bereits eingetretene Erwerbs e i n b u s s e voraussetzt, weil bei Zugrundelegung der augenblicklichen Verdiensteinbusse das Gewicht auf ein oft rein zufälliges Moment gelegt würde. Schliesslich hat das Gericht es nicht umgehen können, sich im Interesse eines geordneten Verfahrens wiederholt auch mit prozessualen Fragen zu befassen und überhaupt danach getrachtet, nicht nur eine mit dem Gesetz besser in Einklang stehende, sondern auch eine weitherzigere und weniger schematische Rechtssprechung als bisher zu schaffen.

B. Besonderer Teil.

Die Statistik ergibt für das Berichtsjahr 1004 anhängig gemachte und 539 erledigte Geschäfte. Sie verteilen sich wie folgt : I.

Unfallversicherung.

Von Mitte August 1918 an sind 11 B e r u f u n g e n g e m ä s s .

Art. 120ff. OB eingelaufen. Davon sind 5 erledigt und 6 auf das Jahr 1919 übertragen worden. Die 5 erledigten Berufungen wurden alle vom Einzelrichter beurteilt; die auf 1919 übertragenen 6 Geschäfte konnten deshalb nicht mehr im Berichtsjahr

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behandelt werden, weil sie teils bei den medizinischen Experten zur Erstattung von Gutachten lagen, teils erst gegen Ende des Jahres 1918 einlangten. Von den erledigten Berufungen stammen 3 aus dem Kanton .Zürich und je l aus den Kantonen Solothurn.

und Schaffhausen. Davon wurden beurteilt: eine Berufung innerhalb des ersten, drei Berufungen innerhalb des zweiten und eine innerhalb des dritten Monats nach ihrem Einlangen, Wie sich aus ihrer Herkunft ergibt, gehören sie alle dem deutschen Sprachgebiet an.

Die Zahl der bis zum 31. Dezember 1918 gestellten Ges u c h e um V o l l s t r e c k b a r e ° r k l ä r u n g im Sinne von Art. 10 des Bundesgesetzes betreffend die Ergänzung des BG über die Kranken- und Unfallversicherung vom 13. Juni 1911 (vom 18. Juni 1915) beträgt 283. Davon sind 273 erledigt und 10 auf dasJahr 1919 übertragen worden. Von den erledigten Gesuchen wurden 265 gutgeheissen, 6 abgewiesen und 2 als infolge Rückzugs erledigt vom Protokoll abgeschrieben. Die Erledigung erfolgte in 223 Fällen innerhalb des ersten, in 28 Fällen innerhalb des zweiten, in 15 Fällen innerhalb des dritten, in 6 Fällen inerhalb des vierten und in einem Fall innerhalb des sechsten Monats nach der Einreichung der Gesuche. Grössere Zeitdauer beanspruchte die Erledigung da, wo zufolge Unvollständigkeit der Akten deren Ergänzung, zum Teil nach verschiedenen Richtungen und wiederholt, verarilasst werden musste.

II. Militärversicherung.

Die Gesamtzahl der ergriffenen Berufungen gemäss Art. 55 MVG von 1914 erreicht 710. Davon richten sich 486 gegen Verfügungen der Militärversicherung und 224 gegen Entscheideder Pensionskommission. Erledigt wurden 261 und auf das Jahr 1919 übertragen 449 Berufungen. ,Von den erledigten Berufungen wurden 90 von den Abteilungen (in 42 Sitzungen) und 171 vom Einzelrichter (in 113 Sitzungen) beurteilt. Bei 75 der erstgenannten 90 und bei 89 der letztgenannten 171 Berufungen mussten Beweiserhebungen im Sinne des Art. 134 und 136 OB vorgenommen werden, deren Zahl insgesamt 855 beträgt. -Die auf das Jahr 1919 übertragenen Berufungen befinden sich teilsim Instruktionsstadium, teils aber erst im Vorverfahren gemässArt. 148 und 149 OB. Ganz oder teilweise gutgeheissen wurden 123, abgewiesen 22, durch Nichteintreten erledigt 20 und infolge Rückzugs nach erfolgter Aufklärung durch das Gericht oder wegen Vergleichs usw. vom Geschäftsverzeichnis abgeschrieben 96 Be-

D6

rufuugen. 40 Berufungen wurden innerhalb des ersten, 105 innerhalb des zweiten, 57 innerhalb des dritten, 20 innerhalb des vierten, 21 innerhalb des fünften oder sechsten und 18 innerhalb des siebenten bis zwölften Monats nach ihrem Einlangen erledigt.

Längere Zeit beanspruchten besonders diejenigen Fälle, in denen umfängliche Beweiserhebungen, wie Expertisen und die Beschaffung der notwendigen Grundlagen für dieselben, nicht zu umgehen waren. Nach den Nationalsprachen verteilen sie sich wie folgt : 218 = 83 % stammen aus der deutschen, 36 = 14 % aus der französischen und 7 = 3% aus der italienischen Schweiz.

L u z e r n , den 31. März

1919.

Im Namen des Eidg. Versicherungsgorichts, Der Präsident:

Albisser.

Der Gerichtsschreiber: Lauber.

*SS
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Bericht des Eidg. Versicherungsgerichts an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Monat Dezember 1917 und im Jahre 1918. (Vom 31. März 1919.)

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30.04.1919

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81-96

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