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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend internationale Schiedsverträge.

(Vom 11. Dezember 1919.)

I.

,

Die Bestrebungen zur Schaffung einer dauernden Friedensordnung unter den Staaten sind seit langem aufs engste mit der Idee der internationalen Schiedsgerichte verbunden. Durch die I. H a a g e r F r i e d e n s k o n f e r e n z , die eine Ordnung für das Verfahren zur friedlichen Beilegung von Staatenstreitigkeiten und insbesondere den sogenannten Ständigen Schiedshof im Haag geschaffen hat, ist die Bewegung zum Abschluss von Schiedsabkommen mächtig gefördert worden.

Spanien und eine Reihe südamerikanischcr Staaten machten den Anfang mit der Ausführung der von der Haager Konferenz aufgestellten Forderung des Abschlusses von Schiedsverträgen.

Von besonderer Wichtigkeit waren die Verträge, die Frankreich 1903 mit Grossbritannien und Italien einging und durch die sich die Vertragschliessenden verpflichteten, die künftig sich zwischen ihnen erhebenden Rechtsstreitigkeiten dem Haager Schiedshofe zu unterbreiten, sofern diese Streitigkeiten nicht durch diplomatische Verhandlungen beigelegt werden können und nach der Auffassung der Streitenden weder deren Lebensinteressen noch deren Ehre berühren. Seither haben eine beträchtliche Zahl von Staaten ganz ähnliche, zum grossen Teil aber auch wesentlich weitergehendeSchiedsabkommen geschlossen. * Zurzeit bestehen etwa hundert solche Verträge. Ein bedeutendes Verdienst um die Entwicklung des Schiedsgerichtswesens kommt der Interparlamentarischen Union zu. Während früher nur von Fall zu Fall Schiedsgerichte eingesetzt zu werden pflegten, bezweckten diese neuen Übereinkommen, für die Dauer ihrer Geltung eine grundsätzliche Verpflichtung zur Einlassung auf eine schiedsrichterliche Entscheidung künftiger Streitigkeiten festzusetzen, d . h . das Schiedsgericht zu einer bis zu einem gewissen Grade dauernden Einrichtung zu machen.

926 Die zweite Haager Friedenskonferenz versuchte auf dieser Grundlage einen Weltschiedsvertrag zu errichten; es gelang ihr aber nicht, ein allgemein annehmbares Abkommen aufzustellen.

Die S c h w e i z , in deren Staatsrecht die Schiedsgerichte schon seit dem Bund von 1-91 eine bedeutende Rolle spielen, und die in neuerer Zeit wiederholt, sei es als Partei, sei es namentlich durch Berufung ihrer Magistrate zum Richteramt an internationalen Schiedsgerichten beteiligt gewesen ist, hat sich sogleich dieser Bewegung angeschlossen.

Sie hatte übrigens schon 1883 den Vereinigten Staaten einen Vertrag über allgemeine bedingungslose Schiedsgerichtsharkeit vorgeschlagen und in den Freundschafts- und Niederlassungsverträgen mit S a l v a d o r vom 30. Oktober 1883 (Art. 13), mit E c u a d o r vom 22. Juni 1888 (Art. 4) und mit dem frühem Kongo-Staat vom 16. November 1889 (Art. 13) Bestimmungen aufgenommen, wonach alle diplomatisch nicht zu erledigenden Streitigkeiten unter den Vertragsteilen schiedsgerichtlich ausgetragen werden sollten.

Mit seiner Botschaft vom 19. Dezember 1904 (Bundesbl. 1904, VI, 688 ff.) hat der Bundesrat der Bundesversammlung die Genehmigung von Schiedsvertragen mit B e l g i e n , G r o s s b r i t a n n i e n , d e nV e r e i n i g t e n S t a a t e n , I t a l i e n , Ö s t e r r e i c h - U n g a r n , F r a n k r e i c h sowie S c h w e d e n u n d N o r w e g e n beantragt.

Später sind weitere Verträge zustande gekommen mit P o r t u g a l (1905) und mit S p a n i e n (1907).

Da diese Verträge zum Teil nur auf eine bestimmte Zahl von Jahren abgeschlossen waren, mussten sie erneuert werden.

Indessen sind die Verträge mit folgenden Staaten mangels Erneuerung a u s s e r K r a f t g e t r e t e n : Das Abkommen mit Italien, das zweimal erneuert worden war, ist am 16. November 1914 abgelaufen, dasjenige mit Frankreich, 1910 und 1912 erneuert, am 14. Juli 1917, dasjenige mit den Vereinigten Staaten am 23. Dezember 1918 und dasjenige mit Grossbritannien endlich am 16. November 1919.

Der Vertrag mit Österreich-Ungarn war 1913 neu abgeschlossen worden auf die Dauer von fünf Jahren, gerechnet vom 15. Tage nach der Ratifikation an (12 Juni 1914); er gilt, wenn nicht sechs Monate vor Ablauf Kündigung erfolgt, als auf je weitere fünf Jahre verlängert. Der Vertrag mit Belgien ist seit
1914 jederzeit auf ein Jahr hinaus kündbar. Derjenige mit Schweden bzw.

Norwegen ebenfalls seit 1915; derjenige mit Portugal ist 1913 bis zum 23. Oktober 1923 verlängert worden. Das Abkommen mit Spanien geht bis zum 14. April 1924 und verlängert sich jeweilen

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«m weitere fünf Jahre, wenn nicht sechs Monate vor Schluss «iner Laufzeit Kündigung erfolgt.

Zwecks E r n e u e r u n g d e s a b g e l a u f e n e n V e r t r a g e s mit Italien sind Verhandlungen geführt worden, die zum Abkommen vom 4, März 1915 führten. Dieser Vertrag ist noch von keiner der beteiligten Regierungen ratifiziert worden ; vielmehr befindet er sich noch unter den vom Nationalrat zu behandelnden Geschäften.

Frankreich hat durch eine Note vom 2. August dieses Jahres den Wunsch nach Erneuerung des abgelaufenen Abkommens ausgesprochen. Der Bundesrat hat darauf geantwortet, dass er den Abschluss eines neuen Schiedsvertrages lebhaft begrüsse, aber von ·der Erneuerung des alten Vertrages oder dem Abschluss eines Abkommens auf ähnlicher Grundlage Umgang nehmen möchte, : bis die Bundesversammlung zu den in diesem Bericht erörterten Fragen Stellung genommen hätte. Dabei erklärte sich der Bundesrat bereit, bis zum Abschluss eines neuen Schiedsvertrages im Eiuzelfalle zur schiedsrichterlichen Austragung allfälliger Streitigkeiten jeweilen Hand zu bieten.

Übereinstimmende Noten wurden an Grossbritannien, Italien und die Vereinigten Staaten gerichtet, da auch im Verhältnis zu diesen Mächten die abgelaufenen Verträge noch nicht durch neue rechtskräftige Abkommen ersetzt sind.

Mit allen hier noch nicht genannten Staaten bestehen keine Schiedsverträge, noch haben solche früher bestanden, insbesondere also auch nicht mit dem D e u t s c h e n R e i c h und mit R u s s Jaiid. 1915 haben Verhandlungen mit U r u g u a y stattgefunden, ·die aber bis jetzt noch kein Ergebnis gezeitigt haben.

Obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit besteht im Verhältnis zu verschiedenen Staaten auf Grund sogenannter S c h i e d s k l a u s e l n , durch die für Streitigkeiten aus bestimmten Verträgen ein schiedsrichterliches Verfahren vorgesehen ist. Das wichtigste Anwendungsgebiet bilden die Handels- und Zoll vertrage.* Diese Schiedsklauseln gehen den allgemeinen Schiedsverträgen, wenn sie eine weitergehende Bindung als letztere mit mit sich bringen, vor.

* SchiedsklauselQ enthalten folgende Verträge der Schweiz: Gotthardvertrag vom 13. Okt. 1909, Art. 13; Weltpostvereinsvertrag vom 26. Mai 1906, Art. 23; Handelsvertrag mit dem Deutschen Reich vom 12. Nov. 1904, Art. 10; Handelsvertrag mit Fiankreich vom 20. Okt. 1906,
Art. 24; Handelsvertrag mit Italien vom 13. Juli 1904, Art. 18; Handelsvertrag mit ·Österreich-Ungarn vom 9. März 1906, Art. 14 ; Handelsvertrag mit Rumänien vom 3. März 1893, Art. 7 ; Handelsvertrag mit Serbien vom 28. Februar 1907, Art. 14. Die Schiedsklauseln in den oben, S. 2, erwähnten Verträgen mit Salvador und Ecuador haben allgemeine Geltung und ersetzen förmliche Schiedsverträge.

Bundesblatt. 71. Jahrg. Bd. V.

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928 li.

Alle von der Schweiz abgeschlossenen Schiedsverträge enthalten die sogenann te U n a b h ä n g i g k eits- und E h r e n k l a u s e l .

Demnach besteht die Pflicht, eine Streitigkeit gemäss dem Schiedsvertrag einem Schiedsgericht zu unterbreiten, dann nicht, wenn nach dem Ermessen der einen oder der andern Partei der Streitfall die Unabhängigkeit, die Souveränität, die Ehre oder sonstige Lebensinteressen berührt. Nur im Vertrag mit Belgien ist der Vorbehalt der ,,Lebensinteressen" nicht aufgenommen worden.

Diese Vorbehalte -- mit denen bisweilen auch noch andere betreffend die Verfassung, die Rechte dritter Staaten usw. verbunden werden -- würden bei strenger Auslegung talsächlich keine sehr wesentliche Einschränkung der Schiedsgerichisbarkeit bedeuten.

Indessen sind die Begriffe Ehre, Unabhängigkeit und Lebensinteressen im Verhältnis der Staaten unter einander so unbestimmt und so dehnbar, dass ein Staat sich überall, wo es sich nicht um Bagatellstreitigkeiten handelt, sich darauf berufen kann. Dies ist um so bedenklicher, als die meisten dieser Verträge vorsehen, dass jeder Streitteil nach freiem Ermessen, also vielleicht auch willkürlich, darüber entscheidet, ob die Voraussetzungen des Vorbehaltes zutreffen. Derartige Verträge schaffen deshalb keine bestimmten rechtlichen Bindungen, sie stellen vielmehr einen Grundsatz auf, dessen Verwirklichung der Gewissenhaftigkeit desjenigen Staate» jeweilen überlassen bleibt, gegen den der Vertrag augerufen wird.

Die Schweiz hat zwar im Jahre 1883 den Vereinigten Staaten von .Amerika den Vorschlag zu einem bedingungslosen Schiedsvertrag gemacht. Seither aber hat der Bundesrat stets grosses Gewicht auf den Vorbehalt der Ehre und Unabhängigkeit gelegt und aus diesem Grunde sich auch ablehnend verhalten gegenüber den auf der II. Haager Friedenskonferenz gestellten Anträgen über obligatorische Schiedsgerichte. Noch anläßlich der Verhandlungen über einen Schiedsvertrag mit Italien (Bundesbl. 1915, I, 961) glaubte der Bundesrat dem Vorschlage der italienischen Regierung betreffend Fallenlassen der fraglichen Vorbehalte nicht zustimmen zu können.

Die genannten Vorbehalte, denen übrigens auch andere Staaten grossen Wert beilegen, haben -- wenigstens bis jetzt -- ihre Berechtigung gehabt. Einmal ist zu beachten, dass das Völkerrecht in seinem heutigen
Zustande so lückenhaft und unsicher ist, dass sich schwer -- viel weniger als im Bereich des innerstaatlichen Rechtes -- voraussehen lässt, in welcher Weise eine Streitfrage entschieden werden wird. Die Schiedsrichter erhalten dadurch eine Aufgabe, die über die Anwendung anerkannter, klarer Rechtssätze hinausgeht. Freie Rechtsfindung in ihrer Anwendung auf Staatenstreitig-

929 keiten ist aber im Grunde Politik in der Form der Rechtssprechung.

Damit ändern sich die Grundlagen, auf denen sonst das gericht-; liehe Verfahren beruht, und politische Einflüsse und Anschauungen können in die Schiedssprechung sich einmischen, auch wenn sich die Schiedsrichter grösster Unparteilichkeit befleissen.

,, Diese Bedenken sind um so gewichtiger, als sich einmal nicht vorhersehen lässt, was für Streitigkeiten zur Entscheidung gebracht werden wollen, und sodann weil Anstände unter Stauten -- und: oft gerade die wichtigsten -- im Grunde Interessenkonflikte sind, die auf der Grundlage des geltenden Rechts keine sachgemässe Erledigung finden können, vielmehr eine ausschliesslich auf Billigkeit und Zweckmässigkeit beruhende Neuordnung bestehender Verhältnisse fordern, wenn dem Frieden dauernd gedient sein soll.

Es tritt aber noch eine andere Erwägung hinzu. Währendein kleiner Staat gegenüber einem mächtigeren durch einen Schieds-.

vertrag unbedingt -- nicht nur rechtlich, sondern auch tatsäch lieh -- gebunden ist und deshalb in jedem Falle, wo es der.

Gegenpartei passt, sich einem gerichtlichen Verfahren unterziehen muss, stehen umgekehrt einem Grosstaat häufig Mittel zur Verfügung, um einen Druck auszuüben, der die schwächere Gegenpartei abhält, an ihrem Anspruch auf ein Schiedsgericht festzuhalten.

Ein Staat, dem Machtmittel fehlen, begibt sich unter Umständen durch, einen Schiedsvertrag der Möglichkeit, durch Beharren au£ seinem Rechtsstaudpunkt, durch eine hinhaltende Politik eine EntScheidung unter für ihn vielleicht ungünstigen Umständen zu verhindern, ohne dafür den Vorteil einzutauschen, selber jederzeit sein Recht gegenüber dem mächtigeren Staate vor einem unparteiischen Richter wirklich geltend machen zu können.

Das sind die Hauptgründe, die für eine zurückhaltende Politik; in der Schiedsvertragsfrage bisher geltend gemacht werden konnten; Das Gewicht dieser Gründe mag verschieden eingeschätzt werden.

Ohne sie irgendwie zu verkennen, misst ihnen der Bandesrat heute nicht mehr die gleiche Bedeutung bei wie früher.

Mögen auch die erwähnten Mängel und Nachteile zutreffen, so werden -- alles in allem genommen -- gerade Staaten ohne grosse politische Macht mit Schiedsgerichten sich besser stellen,, als wenn sie, ganz auf diplomatische Verhandlungen oder auf ihre eigenen
Massnahmen gestellt, ihre Rechte geltend macheu, oder, unberechtigte Ansprüche abwehren müssen. Der kleine Staat hat; seine grösste Stärke in seinem guten Recht. Dieses findet trotz, aller Mängel, die den Schiedsverträgen anhaften können, in diesen.

Abkommen doch im allgemeinen einen stärkeren Rückhalt und; eine grössere Sicherheit als in irgendeiner andern Politik.

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Vor allem ist es aber die n e u e T a t s a c h e des V ö l k e r b u n d es, die eine veränderte Stellung zur Frage der Schiedsvertrage notwendig macht. Diese Notwendigkeit ergibt sich unabhängig davon, ob die Schweiz dem Völkerbund angehöre oder nicht, und ob der Bund nur einen grossen Teil oder die Gesamtheit der Staaten umfasse. Dies trifft wenigstens solange zu, als nicht für die Völkerbundsmitglieder eine ausschliessliche Rechtssprechung eingeführt wird -- was überdies höchst unwahrscheinlich ist. Das auf freier Vereinbarung der Parteien beruhende Schiedsgericht wird immer seinen Platz in den zwischenstaatlichen Beziehungen haben.

Die Ordnung des Gerichtswesens im Völkerbünde weist, wie in der Botschaft vom 4. August l919(Bundesbl. 1919,1 V, 541), angeführt ist, sowohl Lücken als Mängel auf. Die schiedsgerichtliche Erledigung ist dort wohl als eine der beiden Formen des vorgeschriebenen friedlichen Verfahrens anerkannt, alter für keine Art von Streitigkeiten besteht die unmittelbare Pflicht zur Einlassung auf ein Schiedsgericht.

Wenn sich die Parteien nicht auf ein Schiedsgericht einigen können, steht es jeder Partei frei, ihre Angelegenheit vor den Rat oder die Versammlung des Völkerbundes zu bringen. Dieser Instanz kann sich niemand entziehen. In Art. 13 des Völkerbundsvertrages ist zwar der Kreis der Streitigkeiten, die sich ihrer Natur nach im allgemeinen zur schiedsgerichtlichen Erledigung eignen, sehr weit, alle Rechtsstreitigkeiten umfassend, gezogen, aber nicht im Sinne einer zwingenden Rechtsvorschrift, sondern einer grundsätzlichen Erklärung.

Aus dieser Ordnung der S c h i e d s g e r i c h t s b a r k e i t im Völkerbunde ergibt sich, dass sieh künftig ein Staat wohl der schiedsrichterlichen Beurteilung, nicht aber der Durchführung eines U n t e r s u c h u n g s - u n d V e r g l e i c h s v e r f a h r e n s mehr entziehen kann, sobald die eine Partei in einem Streite ein solches Verfahren verlangt. Das gilt unbedingt für die Gliedstaaten des Völkerbundes; es kann aber durch letztern diese Verpflichtung auch andern Staaten auferlegt werden (Art. 17).

Nun hut aber, wie schon in der Botschaft vom 4. August 1919 ausgeführt ist, der Völkerbundsvertrag den Nachteil, dass der Rat und die Versammlung, vor die jede Streitigkeit gezogen werden kann, wesentlich politische Organe sind
und auch nach ihrer Zusammensetzung nicht alle Garantien für eine unparteiische Untersuchung bieten. Die Versammlung ist namentlich auch viel zu gross, um selber einen Streitfall zu untersuchen; sie wird dafür besondere Ausschüsse bestellen müssen, über deren Zusammensetzung der Vertrag keine Vorschriften enthält.

931 Diejenigen Staaten, die nicht im Rate regelmässig vertreten sind -- und zu diesen gehört vorerst die Schweiz --, haben zwar das Recht, im Rate mit allen Mitgliedschaftsrechten zu sitzen, wenn sie besonders berührende Angelegenheiten behandelt werden.

Aber sie werden doch leicht unter dem Eindruck stehen, dass bei einem Streite mit einem ordentlioherweise dem Rate angehörenden Staate dieser letztere durch die enge und häufige Zusammenarbeit seines Vertreters mit den übrigen Ratsmitgliedern eine gewisse Vorzugsstellung habe. Auch ist es nicht ausgeschlossen, dass die im Rata die Mehrheit bildenden Grossstaaten die vor sie gebrachten Streitigkeiten mehr von dem für sie vor allem wichtigen Staudpunkt der allgemeinen politischen Lage als unter besonderer Würdigung der Interessen der unmittelbar beteiligten Nichlgrossmäc.hle behandeln. Und wenn eine Angelegenheit vor die Versammlung gebracht wird, bildet die grosse Zahl der dort vertretenen Staaten ein Moment der Unsicherheit und Unberechenbarkeit.

Im Hinblick auf diese Umstände hatte der Bundesrat in seiner N o t e a n d i e P a r i s e r K o n f e r e n z v o m M ä r z 1919 u n d übereinstimmend in seinen Anträgen an der Konferenz der Neutralen verlangt, dass nur diejenigen Angelegenheiten vor den Rat gebracht werden sollen, die nicht durch ein in allen Fällen vorgeschriebenes Vergleichs- oder Schiedsverfahren ihre Erledigung haben fiuden können, d. h. Streitigkeiten, die schliesslich durch das Dazwischentreten der Machtfaktoren der internationalen Politik im Interesse des Friedens aus der Welt geschafft werden müssen.

Auf der Konferenz der Neutralen haben verschiedene Staaten ähnliche Anträge wie die Schweiz in dieser Beziehung gestellt.

Insbesondere die Forderung nach einer durchaus unparteiischen Behörde für die Untersuchung der Streitigkeiten und die Vergleichsverhandlungeu war allgemein und ist auch seither von berufener Seite, von Vereinigungen und hervorragenden Einzelpersonen verschiedener Siaaten, wie z. B. namentlich von Prof. H. Lammasch, immer wieder erhoben worden.

Bis der Völkerbund die Ordnung der Sohiedsgerichtsbarkeit und des Vergleichsverfahrens in diesem Sinne ausgebildet haben wird, müssen die an einer solchen Ordnung interessierten Staaten selber versuchen, durch E i n z e l v e r t r ä g e mit den für sie namentlich in
Betracht kommenden Mächten die Beilegung ihrer Streitigkeiten nach diesen Grundsätzen im R a h m e n des V ö l k e r b u n d s v e r t r a g s zu regeln.

DBS gilt ganz besonders von der Schiedsgerichtsbarkeit. Wenn man berücksichtigt, wie verschieden gross die Neigung zur Bindung durch solche Abkommen ist, wird man annehmen müssen, dass

932 der Völkerbund nicht nächstens dazu kommt, alle seine Glieder in weitem Umfang einer bedingungslos obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen. Es ist deshalb Aufgabe, ja -- im Geiste des Völkerbundes gesprochen -- geradezu Pflicht der Gliedstaaten, durch Verträge unier sich das Schiedswesen auf eine breite, feste und scharf bezeichnete Grundlage zu stellen.

Mit Recht sagt Art. 2l des Völkerbundsvertrages, dass solche ,,Schiedsverträge nicht als unvereinbar mit irgendeiner Bestimmung des Völkerbundsvertrages angesehen werden". Es handelt sich in der Tat bei der Ausdehnung der Schiedsgerichtsbarkeit nicht um eine unzulässige Einengung der Befugnisse der politischen Völkerbundsorgane, sondern vielmehr um die Ersetzung dieser durch eine den Rechtsgedanken in einer höhern Form verkörpernde, auf der freien und unbedingten Unterwerfung der Staaten beruhende Justiz.

Ein zweiter Grund für die Schweiz, den Anschluss von Schiedsverträgen mit weitreichenden Bindungen anzustreben, liegt in dem V e r h ä l t n i s des V ö l k e r b u n d e s z u d e n i h m n i c h t a n gehörenden Staaten.

Der Bundesrat hat in seiner Botschaft vom 4. August 1919 darauf hingewiesen, dass die Bestimmungen des Art. 17 des Völkerbundsvertrages als mangelhaft erscheinen. Es ist deshalb unsere Pflicht, diese Mangel zu .beheben, soweit es an uns liegt, und unsere Beziehungen zu den Nicht-Gliedstaaten in möglichst umfassender und gerechter Weise für den Fall von Streitigkeiten zu ordnen. Es ist dies um so wünschbarer, als zwei Nachbarstaaten der Schweiz nicht von Anfang an dem Völkerbund angehören.

In der Diskussion über den Völkerbundsvertrag in der Schweiz ist lebhafte Kritik an diesem Abkommen geübt worden. Auch von den Anhängern des Beitritts ist die Forderung nach A u s gestaltung und Verbesserung des Völkerbundsvert r a g e s , und zwar besonders im Sinne der Verstärkung des richterlichen gegenüber dem politischen Elemente, erhoben worden.

Wenn die Schweiz als Glied des Völkerbundes an einer solchen Ausgestaltung mitwirken will und soll, so muss sie auf dem, den einzelnen Staaten überlassenen Gebiete der Schiedsverträge selber eine fortschrtitliche und zielbewusste Politik treiben.

Die Fragen des Schieds- und Vergleichsverfahrens haben bereits den Gegenstand eingehender Beratungen der für die Völkerbundsfrage
eingesetzten bundesrätlichen E x p e r t e n k o m m i s s i o n gebildet. Diese Kommission, in der Politiker, Diplomaten, Richter und Vertreter der Rechtswissenschaft vereinigt waren, war einstimmig darin, dem Vergleichs- und Schiedswesen in den internationalen Beziehungen die weitest mögliche Geltung zu sichern, und zwar ging die Ansicht der Mehrheit dahin, dass alle Streitig-

933 keiten, ohne Rücksicht auf ihren mehr oder weniger politischen Charakter und auf ihre Bedeutung für den Staat, einer Beurteilung nach Rechtsgrundsätzen zugänglich seien. Der gegenwärtige Bericht des Bundesrates fusst somit auch auf den Ergebnissen der Beratungen dieser Sachverständigen und bewegt sich in seinen grundsätzlichen Vorschlägen in einer Richtung, in der die Kommission einstimmig war.

III.

ö Wenn die Frage des Abschlusses von Schiedsverträgen bejaht wird, so ist es notwendig, sich klar zu werden, auf w e l c h e n G r u n d l a g e n d i e n e u e n V e r t r ä g e b e r u h e n s o l l e n . Dabei kann es sieh nicht um die Festlegung auf ein bestimmtes Programm handeln, sondern nur darum, festzustellen, welche Lösungen vorzugsweise anzustreben seien, und welches das äusserste Mass der einzugehenden Bindungen sein solle. In Anbetracht der verschiedenen Stellungnahme der einzelnen Staaten zur Schiedsgerichtsbarkeit ist es von vornherein sicher, dass die abzuschliessenden Abkommen unter sich sehr verschieden sein werden.

Dabei kann aber sehr wohl die Möglichkeit ins Auge gefasst werden, dass eine grössere Zahl von Staaten -- namentlich von Staaten des Völkerbundes -- unter sich einen auch andern Staaten zum Beitritt offenen Ko l e k ti v v e r t r a g schliessen und auf diese Weise verwirklichen, was auf der U. Haager Konferenz nicht zustande gekommen ist.

Die M ä n g e l d e r b i s h e r von der Schweiz a b g e s c h l o s s e n e n V e r t r ä g e sind namentlich folgende: Erstens sind die Pflicht zur Einlassung auf das Schiedsverfahren und die nähern Bedingungen für dessen Durchführung zu wenig genau bestimmt und es ist dem freien Ermessen der belangten Partei zu viel überlassen. Neue Verträge auf dieser Grundlage innerhalb des Völkerbundes abzuschliessen, hätte im Hinblick auf die Art. 12 und 13 des Bundesvertrages kaum einen praktischen Wert: in beiden Fällen handelt es sich um grundsätzliche Erklärungen, deren Befolgung dem guten Willen der beteiligten Staaten anheimgestellt ist, und die keinen sichern Rechtsboden bilden.

Zweitens lassen die bisherigen Verträge eine Instanz vermissen, die den Übergang von den diplomatischen Verhandlungen zum Gerichtsverfahren bildete und die allenfalls da, wo ein Schiedsverfahren nicht platzgreifen soll oder kann, einen unparteiischen Befund abgeben könnte. Die Erfahrungen, des internationalen Lebens nicht weniger als des bürgerlichen, zeigen, dass die Er-

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zwingung eines schiedsrichterlichen oder überhaupt eines gerichtlichen Verfahrens zwar einen Entscheid herbeiführen, gleichzeitig aber eine Verstimmung und damit neue Anstände hervorrufen kann.

Nach den beiden hier erwähnten Richtungen bieten zahlreiche Schiedsverträge anderer Staaten wertvolle Fingerzeige, welche Lösungen mit Aussicht auf Erfolg angestrebt werden können.

Im einzelnen wollen wir auf folgende namentlich wichtigen E i n z e l f r a g e n hinweisen: » 1. Schon die I. Haager Konferenz hatte die Einrichtung der internationalen U n t e r s u c h u n g s k o m m i s s i o n e n eingeführt, dief ähnlich wie die Schiedsgerichte zusammengesetzt, lediglich die Aufgabe haben, streitige Tatsachen abzuklären. In der sogenannte» Doggerbank-Angelegenheit 1904 hat diese Einrichtung dem Weitfrieden einen grossen Dienst geleistet. In organischer Verbindung mit der Schiedsgerichtsbarkeit erscheinen die unparteiischen Untersuchungskommissionen in den Verträgen von 1911 zwischen den Vereinigten Staaten einer- und Frankreich bzw. Grossbritanniea anderseits, die leider wegen der vom amerikanischen Senat gestellten Bedingungen nicht ratifiziert worden sind. Dagegen hat die Union in den Jahren 1913 und 1914 mit einer grossen Zahl von europäischen und amerikanischen Staaten die unter dem Namen des damaligen Staatssekretärs W. J. Bryan bekannten Abkommen abgeschlossen. Darnach sollen alle nicht durch diplomatische Verhandlungen oder Schiedsgerichte beigelegten Streitigkeiten von einer durch die Parteien gebildeten ständigen Untersuchungskommission untersucht und begutachtet werden, und es sind während einer solchen Untersuchung kriegerische Massnahmen unter den Parteien verboten. Hier ist die geschichtliehe Wurzel der grundlegenden Bestimmungen des Völkerbundes (Art. 12 und 15} zu suchen.

Unseres Erachtens kommt diesen unparteiischen Untersuchungsund Vergleichskommissionen eine vielleicht noch grössere Bedeutung als den Schiedsgerichten selbst zu, und zwar sowohl dauiij wenn die Schiedsverträge lückenhaft sind, als auch wenn sie alle denkbaren Streitigkeiten erfassen. Das V e r g l e i c h s v e r f a h r e n !

sollte in allen Fällen versucht werden. Es erreicht die Hauptsache, nämlich die Behandlung einer Streitsache durch unbefangene Persönlichkeiten, wenn die bisherigen Unterhändler auf einen toten
Punkt gekommen sind. Es schaltet ferner nach Möglichkeit die politischen Verstimmungen aus, die sich ergeben können, sei es aus der Notwendigkeit für die unterliegende Partei, sich einem Spruche fügen zu müssen, sei es gar aus einem Versuche einer Partei, sich dem gerichtlichen Verfahren zu entziehen. Der Ver-

935 gleich bietet den Ausweg eines Nachgebens ohne Preisgabe des grundsätzlichen Standpunktes. Es bietet endlich das Untersuchungsund Vergleichsverfahren auch den Vorteil, dass da, wo es weder zum Vergleich noch zum Schiedsspruch kommt, sondern gegebenenfalls der Streit schliesslich vor den Rut oder die Versammlung des Völkerbundes gezogen wird, diese Instanzen sich bereits einem Befund gegenüber befinden, der von unparteiischer Seite herrührt.

2. Die A b g r e n z u n g der g e r i c h t s f ä h i g e n , sog. a r b i t r a b e l n S t r e i t i g k e i t e n von den übrigen gehört zu den umstrittensten Fragen der Schiedsvertragspolitik. Unseres Erachtens kommt es nicht so sehr auf ein Mehr oder Weniger der Bindung, als auf deren Klarheit und Bestimmtheit a,n. Nichts kann eine Streitigkeit so sehr verbittern, als wenn eine Partei sich mit mehr oder weniger guten oder zweifelhaften Gründen dem Ausspruch der andern auf schiedsgerichtliche Beurteilung entziehen kann. Die Vertragsbestimmungen sollen so klar und vollständig sein, dass eine Streitigkeit darüber, ob ein bestimmter Konflikt nach dem vertraglichen Verfahren zu behandeln sei oder nicht, nach Möglichkeit ausgeschlossen ist, und dass'im kritischen Zeitpunkt nicht noch Verständigungen über Einzelpunkte getroffen werden müssen.

Im allgemeinen erscheint es richtig, alle Streitigkeiten in letzter Linie, d. h. nach fruchtloser Durchführung der diplomatischen Verhandlungen und des Vergleichsverfahrens, Schiedsrichtern vorzulegen. Der Vorbehalt, dass ein Streitfall die E h r e , Unabhängigkeit oder a n d e r e Lebensinteressen der Parteien berühre, sollte jedoch gemacht werden dürfen. Die Entscheidung aber darüber, ob eine auf diesen Vorbehalt gestützte Einrede einer Partei berechtigt sei, sollte nicht, die belangte Partei, sondern das Gericht selber fällen; zum mindesten sollte eine unparteiische Untersuehungskommission iu solchen Fällen ihre Ansicht darüber kundgeben können. Die Rechtfertigung dieses Vorbehaltes liegt, wie bereits oben ausgeführt, in der Mangelhaftigkeit des Völkerrechts und den politischen Gefahren einer allzu grossen Ausdehnung des richterlichen Ermessens in internationalen Fragen.

Wir wären aber bereit, wenn ein anderer Staat Wert darauf legt, auch noch weiter zu gehen und a l l e S t r e i t i g k e i t e n oli n e diesen
V o r b e h a l t der Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, wie dies z. B. nach dem der Schweiz 1915 von Italien gemachten Vorschlag der Fall gewesen wäre. Da aber immerhin iu der Form von Rechtsbegehren Fragen aufgeworfen werden können, für die das geltende Völkerrecht keine oder keine passenden Entscheidungsnormen besitzt, oder die die Unabhängigkeit und den Bestand des Landes berühren können, so sollte der

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Schiedsvertrag bestimmen, dass das Gericht da, wo eine Rechtsnorm fehlt oder wo die Anwendung einer solchen die Unabhängigkeit oder den Bestand der einen Partei bedroht, die Billigkeit als die oberste Norm zu betrachten habe. Man kann sagen, dass sich dies aus dem Wesen des Rechtes und der Rechtssprechung ohne weiteres ergebe; dennoch kann es von Wert sein, diesen Grundsatz ausdrücklich auszusprechen.

In den Verträgen, in denen jede Partei grundsätzlich endgültig über die Zulässigkeit der Berufung auf den Vorbehalt der Ehre und der Lebensinteressen entscheidet, hat man es für wichtig erachtet, für gewisse Arten von Streitigkeiten, bei denen die höchsten Staatsinteressen voraussichtlich gar nicht in Frage kommen können, diese Einrede ein für allemal auazuschliessen (z. B. Art. 3 des schweizerisch-schwedischen bzw. norwegischen Schiedsvertrages). Die Aufstellung einer solchen L i s t e ist da, wo die Vorfrage der Einlassungspflicht nicht vom Gericht selber entschieden wird, von grossetn Wert; dabei soll jedoch die Liste so umfangreich als möglich sein, und nicht durch ihre Spärlichkeit beinahe den Eindruck der Lächerlichkeit machen, wie dies in bezug auf die endgültige Liste des Kommissionsvorschlages der II. Haager Konferenz nicht ganz ohne Recht bemerkt worden ist.

In zahlreichen Schied s vertragen wird ein besonderer Vorbehalt zugunsten der V e r f u s s u n g s n o r m e n gemacht; d. h. die Pflicht zur Einlassung auf ein Schiedsgericht fällt dahin, wenn die Streitfrage das Verfassungsrecht der einen Partei berührt. Eine solche Ausnahme ist ungerechtfertigt, da die Unterscheidung von Verfassung und Gesetz eine staatsrechtliche Frage ist, auf die einzulassen fremde Staaten weder Recht noch Pflicht haben. Von sich aus hat die Schweiz nie einen solchen Vorbehalt gemacht und würde ihn nur nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit allenfalls für sich beanspruchen.

Von Wichtigkeit ist die Ausschliessung oder Einbeziehung der Streitigkeiten die sich auf Angelegenheiten beziehen, die in den Bereich der R e c h t s p f l e g e eines Staates gehören. Einerseits ist es undenkbar, a»ss die Schiedsgerichte eine besondere Instanz bilden, vor die Streitfälle zivil- oder strafrechtlicher Art, die Ausländer betreffen, gezogen werden könnten. Anderseits ist nicht einzusehen, weshalb eine Verletzung völkerrechtlicher
Ansprüche durch die Rechtspflege der Schiedsgerichtsbarkeit entzogen sein sollte. Die Endgüliigkeit letztinstanzlicher Urteile ist ein auf der Gewaltentrennung beruhender staatsrechtlicher, aber kein völkerrechtlicher Grundsatz. Immerhin soll die Anrufung eines Schiedsgerichts in solchen Fällen nur zulässig sein nach Erschöpfung

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des ordentlichen Instanzenzuges und nur wegen Verletzung internationaler Rechtssätze bzw. wegen Rechtsverweigerung. Die Anrufung des Schiedsgerichtes soll stets Sache des unmittelbar oder mittelbar beteiligten Staates sein. Die bereits auf der II. Haager Konferenz erörterte Frage, unter welchen Voraussetzungen auch P r i v a t p e r s o n e n sich an ein internationales Gericht wegen Verletzung von Stantsverträgen sollen wenden können, dürfte eine befriedigende Lösung nicht durch Einzel vertrage, sondern nur auf breiter Basis, im Völkerbund, und nach Errichtung eines wirklich ständigen Gerichtshofes finden können.

Namentlich auf der II. Haager Konferenz sind von den Gegnern der obligatorischen Schiedsgerichtsbai keit zahlreiche Einwände erhoben worden, z. B. betr. R e c h t e d r i t t e r S t a a t e n , KollektivVerträge usw. Es handelt sich dabei aber grossenteils um juristische Sobtilitäten, die nicht ausschlaggebend sein können.

3. Es wäre zu erwägen, ob die künftigen Schiedsverträge genauere Bestimmungen über die Z u s a m m e n s e t z u n g der S c h i e d s g e r i c h t e aufnehmen sollten, während sie sich heute gewöhnlich mit einem Verweis auf die einschlägigen Haager Bestimmungen begnügen.

Es empfiehlt sich, die zu führenden Verhandlungen nach Möglichkeit nicht mit Fragen organisatorischer Natur zu belasten.

Das Haager Abkommen, von 1907 bildet das Ergebnis reiflicher Überlegung und zudem ist zu hoffen, dass in nicht ferner Zeit der Völkerbund einen wirklich ständigen Gerichtshof errichten wird, der alle Vorteile der Unabhängigkeit und Fähigkeit und einer zusammenhängenden Rechtssprechung bieten wird. Bis dahin mag man es beim bisherigen Zustande bewenden lassen. Wünschbar wäre allerdings eine besondere Regelung des Falles, in dem die Parteien säumig sind mit der Ernennung der Richter oder sich auf den Obmann nicht einigen können. Hier ist es wichtig, dass der Zögerung rasch ein Ende bereitet werden kann dadurch, dass nach einer bestimmten Frist eine unparteiische Instanz von vornherein berufen int, die erforderlichen Wahlen vorzunehmen. Wenn nach dem Vorbild der sogenannten Bryan - Verträge die oben Seite 934 erwähnten Untersuchungskommissionen ständig sind, d.h.

eine für die ganze Vertragsdauer bestirnnve Besetzung haben, wurden diese in der Lage sein, an Stelle einer säumigen
Partei zu handeln. Bisher sind für solche Fälle Staatsoberhäupter oder oberste Gerichtshöfe von dritten, voraussichtlich nie an den in Betracht kommenden Streitigkeiten beteiligten Staaten bezeichnet worden. Es sind auch noch andere unparteiische Instanzen denkbar.

4. Die meisten Schiedsgerichisverträge sehen ein sogenanntes K o m p r . o m i s s oder einen Schiedsvertrag im engern Sinne vor,

938 d. h. eine Übereinkunft unter den Parteien, zum Zweck, die Einzelheiten der Anwendung eines Schiedsgerichtsvertrages auf einen gegebenen Streitfall festzustellen (Besetzung des Gerichts, Bezeichnung der zu entscheidenden Streitfragen, Zeitpunkt und Ort des Verfahrens u. dg].). Solche Kompromisse sind notwendig mit Rücksicht auf die Lückenhaftigkeit der Verträge und namentlich wegen des Fehlens eines wirklich ständigen Gerichts.

Die I. Haager Konvention vom 18. Oktober 1907 (Art. 54) sieht zwar vor, dass mangels Einigung der Parteien das Kompromiss festgestellt wird durch eine nach den für die Schiedsgerichte selbst massgebenden Grundsätzen berufene Kommission.

Aber auch in diesem Falle wäre eine von vornherein vorhandene Instanz, wie bereits oben S. 937 bemerkt, vorzuziehen. Was die Bestimmung der Streitfrage anbelangt, so sollten die Parteibegehren massgebend sein.

Eine Reihe von Staaten, namentlich die Vereinigten Staaten von Amerika, behandeln die sogenannten Kompromisse wie Staatsverträge, d. h. es haben die gleichen staatsrechtlichen Organe bei deren Abschluss mitzuwirken. Demgemäss hatte die Schweiz auf Grund des Gegenrechts in den amerikanischen Schiedsgerichtsvertrag die Bestimmung aufgenommen, dass die B u n d e s v e r s a m m l u n g die mit der Union zu schliessenden Kompromisse zu genehmigen habe. In allen übrigen Fällen ist der Bundesrat zuständig, da ihm die Handhabung der Staatsverträge obliegt. Durch die Gleichstellung der Kompromisse mit den andern Staatsverträgen wird der praktische Wert eines Schiedsvertrages sehr vermindert ; denn wenn auch ein gesetzgebender Körper nicht weniger als eine Regierung verpflichtet und gewillt ist, einen abgeschlossenen Vertrag zu erfüllen, so ist doch gewiss, dass die Einmischung des Parlaments in ein solches Ausführungsabkommen dieses in erhöhtem Mass politischen Wechselfällen aussetzt und unvermeidlich eine starke Verzögerung zur Folge hat.

5. Eine staatsrechtliche Frage endlich ist noch zu erwähnen : die D a u e r bzw. K ü n d b a r k e i t und E r n e u e r u n g der Schiedsverträge. Die ersten von der Schweiz eingegangenen Abkommen sind auf bestimmte Zeit geschlossen worden ; die einen so, dass nach Ende der Laufzeit der Vertrag ohne weiteres dahinfällt ; die andern so, dass nach jenem Zeitpunkt Kündbarkeit eintritt.

Die Kündbarkeit
kann teils jederzeit auf eine bestimmte Frist hinaus erfolgen, teils tritt, mangels Kündigung vor Ende einer längeren Laufzeit, von selbst Verlängerung auf eine neue, gleiche Reihe von Jahren ein.

Was die Form der Erneuerung anbelangt, so hat sie frühei* in einzelnen Fällen durch Notenwechsel stattgefunden. Entsprechend

939 dem Wunsche der Bundesversammlung geschieht die Erneuerung jetzt jeweilen in Form eines ordentlichen Vertragsschlusses.

Der Umstand, dass eine Reihe von Schiedsverträgen zurzeit dahingefallen sind, weil sie nicht rechtzeitig erneuert werden konnten, legt es nahe, wenn möglich von dieser Ordnung abzusehen und die Verträge, nach einer ersten feston Laufzeit von fünf bis zehn Jahren, jederzeit auf eine kürzere Frist hinaus kündbar zu erklären. Wir erachten es nicht für wünschenswert, jedenfalls nicht für notwendig, die Kündigungsbefugnis für eine längere Zeit . sich verwirken zu lassen, wenn von ihr nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt jeweilen Gebrauch gemacht wird, wie /. B. in den Verträgen mit Österreich- Ungarn und Spanien vorgesehen ist. Da die Schiedsverträge ihre Anwendung in unter sich unabhängigen Einzelfällen von Anrufung der Gerichtsbarkeit finden, besteht keine Veranlassung für eine Erneuerung auf eine längere Reihe von Jähren. .Es genügt eine Frist von einem bis zwei Jahren, um eine Kündigung mit Rücksicht auf eine schwebende Streitigkeit zu verhindern. Die stillschweigende Weiterführung eines Abkommens unter jederzeitiger Kündbarkeit ist besonders dann zweckmässig, wenn für die Verlängerung eine neue Vertragsschliessung als notwendig erachtet wird.

Wenn der Bundesrat durch Vorlegung dieses Berichtes an die Bundesversammlung von der soost gellenden Regel, Verträge erst nach deren Abschluss zur Genehmigung zu unterbreiten, abweicht und eine Kundgebung grundsätzlicher Art über eine 'Mehrheit erst zu schliessender Staatsverträge nachsucht, so geschieht es namentlich aus zwei Gründen : Einmal hat die Schweiz, von der einzigen Ausnahme des schwedischen und norwegischen Vertrages und den besondern Schiedsklauseln in verschiedenen Staats ver trägen abgesehen, bisher keine in beschränktem oder vollem Umfang bedingungslos verbindlichen Schiedsgerichtsverträge abschliessen wollen. Der Bundesrut möchte deshalb nicht ohne Kenntnis der Stellungnahme der eidgenössischen Räte Verhandlungen über Schiedsverträge auf neuer Grundlage eröffnen, trotzdem, wie in diesem Bericht dargelegt ist, veränderte Verhältnisse eine andere Haltung rechtfertigen, ja geradezu erheischen.

Sodann glaubt der Bundesrat, dass eine Erklärung der Bundesversammlung zugunsten einer stärkern Entwicklung des Schiedsgerichtswesens
den Verhandlungen mit den fremden Staaten eine erhöhte Bedeutung verleihen und auch für die Schweiz in ihrer Stellung zu den Völkerbundsfragen von Wert sein wird.

940

Die in diesem Berieht dargelegten Grundsätze für kommende Schiedsgerichtsverträge sollen weder vollständig sein, noch können sie unbedingt bindend sein. Über die Möglichkeit, sie au r Anerkennung zu bringen werden künftige Verhandlungen Aufschluss geben.

Bei der Genehmigung der einzelnen Verträge wird die Bundesversammlung Gelegenheit haben, zu entscheiden, ob die getroffenen Lösungen dem angestrebten Ziele entsprechen.

Demgemäss beantragen wir, die Bundesversammlung möge in zustimmendem Sinne von den für den Abschluss neuer Schiedsverträge in diesem Bericht dargelegten Grundsätzen Kenntnis nehmen.

B e r n , den 11. Dezember 1919.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Ador.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend internationale Schiedsverträge. (Vom 11. Dezember 1919.)

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