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Bundesversammlung.

Die vereinigte Bundesversammlung hat am 22. März 1984 verschiedene Wahlen vorgenommen. Es -wurden gewählt: Ale Mitglied des Bundesrates an Stelle des zurückgetretenen Herrn Dr.

H. Häberlin Herr Dr. Johannes Baumann, Ständerat, alt Landammann, von und in Herisau.

Als Bundeskanzler an Stelle des zurückgetretenen Herrn Dr. E. Käslin Herr Dr. George Bovet, Vizekanzler, von Fleurier, in Bern.

Als Bundesrichter an Stelle des zurückgetretenen Herrn V. Merz und des verstorbenen Herrn Dr. A. von Arx die Herren Paul Kasser, Oberrichter, von Niederbipp, in Bern, und Dr. Hans Huber, Bundesgerichtssekretär, von St, Gallen und Helds-wil-Hohentannen (Thurgau).

Vor der Wahl des neuen Mitgliedes des Bundesrates und derjenigen des neuen Bundeskanzlers hat der Vorsitzende der Bundesversammlung jeweilen folgende Ansprachen zum Rücktritt der Herren Bundesrat Häberlin und Bundeskanzler Käslin gehalten: Ansprache des Herrn Präsidenten Huber zum Bücktritt des Herrn Bundesrates Häberlin.

Meine Herren Nationalräte!

Als wir am 12. dieses Monats nach einem leidenschaftlichen Référendumskämpf hierher kamen, erwartete uns die Bücktrittsorklärung von Herrn Bundesrat Häberlin. Sie kam nicht mehr überraschend. Trotzdem löste sie tiefes Bedauern aus, nicht nur bei den Parlamentariern, sondern in den Herzen Tausender aufrechter Eidgenossen, mochten sie am l I.März ein Ja oder ein Nein in die Urne gelegt haben.

Es handelt sich -- glücklicherweise -- heute nicht darum, ein abgeschlossenes Lebenswerk zu überblicken. A.ber es ist nicht nur meine Pflicht als Ihr Vorsitzender, sondern auch mein eigenes persönliches Bedürfnis, an dieser Stelle ein Wort des Dankes an Herrn Bundesrat Häberh'n zu richten, und ich bitte Sie, mir das zu gestatten, trotz der besondern Situation.

Unter keineswegs einfachen Verhältnissen ist Herr Häberlin am 12. Februar 1920 in den Bundesrat eingetreten. Noch zitterten die schweren Erschütterungen nach, die der Krieg der Welt gebracht hatte. Die Schweiz stand vor der schweren Aufgabe, ihre internationale Stellung den veränderten Verhältnissen anzupassen. Innenpolitisch meldeten sich fast unlösbar erscheinende Probleme.

Wirtschaftlich, politisch, sozial war alles in Bewegung. Die Partei, deren parlamentarischer Führer Herr Häberlin war, hatte durch den Proporz die absolute Mehrheit im Rate verloren. Neue
politische Gebilde traten in die Arena. Und nun galt es, in geschwächter Position, bei völlig veränderter Verteilung der politischen Kräfte, neue Wege, neue Lösungen zu suchen.

523 Ich höre jetzt noch die ernsten und bescheidenen Worte, mit denen Herr Häberlin unmittelbar nach Verkündung des Wahlergebnisses die Annahme der Wahl und die Übernahme der damit verbundenen schweren Aufgaben erklärte.

Land und Volk zu dienen, das war der kategorische Imperativ, unter dem Herrn Häberhns ganze Tätigkeit als Bundesrat von der Annahme- bis zur Bücktrittserklärung stand.

Die Schweiz ist ein Eechtsstaat und will es bleiben. Unter dem Ubermass wirtschaftlicher Sorgen und dem Lärm wirtsühaftspolitiacher Kämpfe wird vielfach übersehen, welch grosse Aufgabe dem Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes Überbunden ist in Zeiten, in denen die lebenswichtige Bedeutung von Verfassung und Gesetz für Volk und Staat im Streit der Tagesinteressen von vielen verkannt wird. Zu leicht wird in solchen Zeiten von «totem Buchstaben», von «überlebten Formen» gesprochen, welche den Interessen des Lebens nicht hinderlich sein dürfen. Zu leicht findet man bequeme und beschwichtigende Worte von «ausserordentlichen Verhältnissen, die ausserordentliche Mittel erfordern», auch wenn dabei «die Verfassung geritzt» werde und dergleichen. Sicher lässt es sich nicht vermeiden, dass enge Formen gesprengt, hemmende Vorschriften ausgeweitet werden, wenn sie Lebensinteressen des Volkes im Wege stehen und nicht rasch genug den neuen Bedürfnissen angepasst werden können. Aber Aufgabe des Justizdepartementes ist es -- eine oft undankbare Aufgabe --, mit grösster Vorsicht den Bestand des Eechtes zu wahren und dafür zu sorgen, dass mit der bequemen Formel vom «Notrecht» kein Missbrauch getrieben wird.

Herr Bundesrat Häberlin hat diese Pflicht gewissenhaft erfüllt und damit dem schweizerischen Eechtsstaat, der Achtung vor dem Eecht und der Demokratie unschätzbare Dienste geleistet.

Daneben galt es, den Tagesaufgaben, die auch beim Justiz- und Polizeidepartement ständig wuchsen, gerecht zu werden. Mit welcher Gewissenhaftigkeit, mit welch unbeugsamer Gerechtigkeit und Unparteilichkeit das geschehen ist, das wissen die, die in solchen Tagessorgen mit dem Departement zu verkehren hatten.

Die grossen gesetzgeberischen Arbeiten einzeln zu erwähnen und aufzuführen, erübrigt sich hier; sie sind Ihnen allen bekannt. Wem es, wie Ihrem Vorsitzenden, vergönnt war, in Expertenkommissionen und in zahlreichen parlamentarischen
Kommissionen an diesen Arbeiten teilzunehmen, der weiss auch, mit welcher Gewissenhaftigkeit, mit welch souveräner Beherrschung des Stoffes Herr Bundesrat Häberlin auch hier seinen Mann gestellt hat.

Es liegt eine Tragik darin, dass sein Name nach einer üblen politischen Sitte insbesondere mit zwei Gesetzen verbunden wurde, wo das am wenigsten angebracht war, und dass Herr Häberlin gleich am Anfang seiner Tätigkeit mit dem völlig unberechtigten Stempel eines engen Polizeigeistes und eines freiheitsfeindlichen Reaktionärs stigmatisiert wurde. Das auch an dieser Stelle zu sagen, ist mir Pflicht und Bedürfnis.

524 Herr Bundesrat Häberlin war nicht der Mann kleiner und kleinlicher Poliaeimassnahmen. Er war auch nicht der Mann, der der Tagosloidenschaft oder gar kurzsichtiger Demagogie erlag. Er erhob den berechtigten Anspruch, ein Staatsmann zu sein und als Staatsmann zu handeln. Wie er diese Aufgabe auffasstc, hat er in diesem Saale ausgesprochen in Sätzen, aus denen der ganze Mann sprach : «Man hat die Worte ,,Schwäche" und ,,Mangel an Mut" gebraucht. Mit diesen Worten ,,Schwäche" und ,,Mangel anilut" wird recht viel Unfug getrieben. Braucht es mehr Mut, sich von der Leidenschaft tragen zu lassen, von der Aufwallung der öffentlichen Meinung und ihr in der Form, wie es die öffentliche Meinung verlangt, sofort nachzugeben, oder braucht es nicht viel mehr Mut, in einem solchen Moment der Leidenschaft, die man au sich sehr wohl versteht, Kaum und Zeit für besonnene Überlegung zu verlangen ? Der starke Mann ist der, welcher seine Besonnenheit nie verliert und auch nach einem Jahr noch recht behält. Diese Auffassung darf nach meiner Meinung der Staatsmann in so wichtigen Fragen vertreten. Die gerade Linie muss innegehalten werden.» In diesen wenigen Sätzen hat Herr Bundesrat Häberlin seine Auffassung vom Staatsmann und von der Aufgabe des Staatsmannes umschrieben, und niemand konnte den Staatsmann Häberlin besser umschreiben, als er selber es mit diesen Worten getan hat: Ein Mann zu sein, der die Besonnenheit auch in der Leidenschaft nicht verliert, hat er sich zum Ziel gesetzt; der Leidenschaft nicht nachzugehen, sondern eine Politik zu treiben, die auch nach einem Jahr noch recht behält, das war seine Losung. Eine gerade Linie zu verfolgen, das hatte er sich vorgenommen beim Beginn seiner politischen Tätigibit, und er ist diesem Vorsatze treu geblieben bis zum Ende dieser politischen Tätigkeit.

Wir stehen heute an einem vorläufigen Schlusspunkt dieser politischen Tätigkeit von Herrn Bundesrat Häberlin. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als seinem Wunsche zu entsprechen und ibm die Last abzunehmen, die ihm vor 14 Jahren auferlegt worden ist. Wir tun das mit dem Ausdruck tiefgefühlten Dankes an den Mann, der nie das Seine gesucht, sondern stote nur Land und Volk gedient hat. Wenn Herr Bundesrat Häberlin nun Abschied nimmt von Bern und wieder in den schönen Thurgau zurückkehrt, begleitet ihn der Ausdruck dieses Dankes aus allen Lagern und allen politischen Parteien und der Ausdruck der Hochachtung, die er von uns verdient hat.

Ansprache des Herrn Präsidenten Huber zum Bücktritt des Herrn Bundeskanzler Kaeslin.

Meine Herren Nationalräte!

Am 3. März hat Herr Bundeskanzler Dr. Kobert Käslin seinen Eücktritt erklärt. Herr Dr. Käslin trat im Jahre 1902 in den Dienst des Bundes als Adjunkt des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes. 1912--1917

525 war er Sekretär der zweiten Expertenkommission für ein schweizerisches Strafgesetzbuch und Chef des Sekretariates der Expertenkommission für das neue Militärstrafgesetzbuch. Im Jahre 1918 wurde er Chef der Polizeiabteilung des Justiz- und Polizeidepartementes.

Von 1919 bis zu seinem Bücktritt war er der geschätzte Protokollführer des Ständerates, Ebenfalls im Jahre 1919 wurde er zum Vizekanzler gewählt, 1925 zum Bundeskanzler, Mit Hingabe und Treue hat er in allen diesen Ämtern gedient. Er war ein Mann von ausserordentlichem Wissen, ein feiner, klarer Jurist, ein Beamter von vorbildlicher Gewissenhaftigkeit und unermüdlichem Arbeitseifer. Sein künstlerisches Interesse und seine Sprachkultur kamen der Eedaktion unserer Gesetze zugute, deren klare und sprachlich unanfechtbare Form ihm am Herzen lag.

Leider nötigt ernste Krankheit den fünften Bundeskanzler viel zu früh, aus seinem Amte zu scheiden. Wir danken ihm für seine wertvollen Dienste und hoffen, die erzwungene Buhe werde ihm Erholung bringen.

In den Nationalrat sind neu eingetreten: Herr Paul B i l l i e u x , Bezirksprokurator des Jura, von Alle, in Pruntrut, an Stelle des zurückgetretenen Herrn H. Sandoz; Herr Marino B o d e n m a n n , Arbeitersekretär, von Martisberg (Wallis), in Zürich, an Stelle des zurückgetretenen Herrn E. Arnold; Herr Leonz F i s c h e r , Landwirt, von und in Merenschwand, an Stelle des verstorbenen Herrn A. Mühlebach; Herr Francois-Joseph R o ss i au d, Landwirt, von und in Anieres, an Stelle des zurückgetretenen Herrn A. Ehrler; Herr Jakob S c h m i d h e i n y , Industrieller, von Balgach, in Heerbrugg, an Stelle des zurückgetretenen Herrn A. Mäehler.

Herr Hans K e r n , Industrieller, von Zürich und Bülach, in Thalwil, an Stelle des zurückgetretenen Herrn Dr. H. Sträuli; Herr Georges J u n o d , Handelsmann, von und in Ste-Croix, an Stelle des zurückgetretenen Herrn B. Masson.

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Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom 23. März 1934.)

Als Delegierter des Bundesrates an dem vom 18. bis 21. Juli 1934 in London stattfindenden V. internationalen Kongress der Geometer wird gewählt: Herr Jakob Baltensperger, eidgenössischer Vermessungsdirektor, in Bern.

Bundesblatt. 86. Jahrg. Bd. I.

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