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Bundesblatt

86. Jahrgang.

Bern, den 28. März 1934.

Band I.

Erscheint wöchentlich, Preis SO Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr : 60 Happen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inaerate franko an Stämpfli & de. in Bern.

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Ablauf der Referendumsfrist: 36. Juni 1934.

Bundesgesetz über

die politischen und polizeilichen Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft.

(Vom 26. März 1934.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 9. Oktober 1938, beschliesst :

Art. 1.

Gegen die Mitglieder des Nationalrates und des Ständerates kann während der Dauer der Bundesversammlung eine polizeiliche oder gerichtliche Verfolgung wegen Verbrechen oder Vergehen, "welche sich nicht auf ihre amtliche Stellung beziehen, nur mit ihrer schriftliehen Zustimmung oder mit Zustimmung des Rates, welchem sie angehören, eingeleitet werden.

2 Vorbehalten bleibt die vorsorgliche Verhaftung wegen Fluchtverdachts oder im Falle des Ergreifenst auf frischer Tat bei Verübung eines Verbrechens; 1

für eine solche Verhaftung muss v o n d e r anordnenden Behörde gesucht werden, sofern der Verhaftete nicht sein schriftliches Einverständnis zur Haft gegeben hat, Art. 2.

1 Ist bei Beginn der Bundesversammlung bereits eine polizeiliche oder gerichtliche Strafverfolgung wegen der in Art, l genannten Straftaten gegen ein Mitglied der eidgenössischen Eäte eingeleitet, so hat es das Recht, gegen die Fortsetzung der bereits angeordneten Haft sowie gegen Vorladungen zu wichtigen Verhandlungen durch Vermittlung des Bundesrates den Entscheid Bundesblatt. 86. Jahrg. Bd. I.

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des Hâtes, welchem es angehört, anzurufen. Die Eingabe hat keine aufschiebende Wirkung.

3 Für erst nach Beginn der Bundesversammlung angeordnete Verhaftungen gilt das Verfahren nach Art. l, Abs. 2.

Art. 8.

Gegenüber einer durch rechtskräftiges Urteil verhängten Strafhaft, deren Antritt vor Beginn der Bundesversammlung angeordnet wurde, kann das Immunitätsrecht nicht angerufen werden.

Art. 4.

Gegen die Mitglieder des Bundesrates, den Bundeskanzler und eidgenössische Bepräsentanten oder Kommissäre ist eine Verfolgung im Sinne von Art. l nur mit ihrer schriftlichen Zustimmung oder derjenigen des Bundesrates zulässig.

2 Die entsprechende Strafverfolgung gegen ein Mitglied des Bundesgerichts ist nur mit seiner schriftlichen Zustimmung oder mit derjenigen des Gresamtgerichtes zulässig.

3 Wo in den Art. l bis 3 auf Beginn oder Dauer der Bundesversammlung abgestellt wird, ist hier sinngemäss abzustellen auf Antritt oder Dauer des Amtes oder des erhaltenen Auftrags.

4 Art. l, Abs. 2, und Art. 2, Abs. 2, sind entsprechend anwendbar.

6 Wahrend der Dauer des Verfahrens über Bewilligung oder Verweigerung der Immunität ruhen die Verjährungs- und Verwirkungsfristen.

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Art. 5.

Bei Verweigerung der Zustimmung zur Strafverfolgung durch Bundearat oder Bundesgericht kann die Strafv erfolgungsbßhorde binnen zehn Tagen von der Bekanntgabe der Entscheidung an bei der vereinigten Bundesversammlung Beschwerde fahren.

Art. 6.

Wer wissentlich ohne Zustimmung des Verhafteten oder des zur Erteilung der Bewilligung zuständigen Bates eine Verhaftung der in den vorstehenden Artikeln unter Schutz gestellten Personen vornimmt oder verfügt oder die in Art. l, Abs. 2, vorgeschriebene Einholung der Bewilligung unterlässt, wird mit Busse bis zu zweitausend Franken bestraft, womit in schwereren Fällen Gefängnis bis auf sechs Monate verbunden werden kann. Vorbehalten bleiben die vorsorglichen Verhaftungen nach Art. l, Abs. 2, und Art. 2, Abs. 2.

2 Das Vergehen untersteht der Bundesstrafgerichtsbarkeit.

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Art. 7.

Strafverfolgungshandlungen, die in Verletzung des gegenwärtigen Gesetzes gegen die unter Schutz gestellten Personen unternommen werden, sind ungültig.

Ait. 8.

1 Die Verbrechen und Vergehen gegen Leib und Leben und gegen die Freiheit, welche an Mitgliedern des Bvmdesrates oder an dem Bundeskanzler verübt werden, unterstehen der Bundesgerichtsbarkeit; ebenso die Verbrechen und Vergehen gegen die Ehre, soweit sie sich auf die Amtsführung der genannten Beamten beziehen.

2 Diese Straftaten unterstehen der Bundesgerichtsbarkeit ebenfalls, wenn sie gegen Mitglieder der Bundesversammlung oder des Bundesgerichts, gegen eidgenössische Geschworne, gegen den Bundesanwalt oder die eidgenössischen .Untersuchungsrichter, gegen Ersatzmänner und Vertreter dieser Beamten, oder gegen eidgenössische Eepräsentanten oder Kommissäre verübt werden, während die genannten Personen sich im wirklichen Dienste des Bundes befinden.

3 Die Bestimmungen über die Zuständigkeit des Bundesgerichta in bezug auf Verbrechen und Vorgehen gegen den Bund und die Bundesgewalt bleiben vorbehalten.

Art. 9.

Die Mitglieder des Bundesrates und des Bundesgerichtes sowie der Bundeskanzler behalten ihr politisches und bürgerliches Domizil in denjenigen Kantonen bei, in welchen sie verbürgert sind. Besitzen sie in mehreren Kantonen das Bürgerrecht, so sind sie mit Beziehung auf Art. 96 der Bundesverfassung als demjenigen Kantone angehörig zu betrachten, in welchem sie zur Zeit der Wahl ihren Wohnsitz hatten, und, in Ermangelung des Wohnsitzes in einem dieser Kantone, als demjenigen angehörig, in welchem das Bürgerrecht zuletzt erworben worden ist. Sie stehen unter der Hoheit und der Gesetzgebung des betreffenden Kantons, soweit ihre Eigenschaft als Privatpersonen in Präge kommt. Dieser Grundsatz bezieht sich jedoch nicht auf den Besitz von Liegenschaften und auf die indirekten Steuern, Art. 10.

Die Bundeskasse und alle unter der Verwaltung des Bundes stehenden Fonds sowie diejenigen Liegenschaften, Anstalten und Materialien, die unmittelbar für Bundeszwecke bestimmt sind, dürfen von den Kantonen nicht mit einer direkten Steuer belegt werden.

Art. U.

Die Kantone sind für das Eigentum der Eidgenossenschaft verantwortlich, sofern dasselbe durch Störung der Öffentlichen Ordnung auf ihrem Gebiet beschädigt oder entfremdet wird.

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Art. 12.

Wenn der Bundesrat wegen öffentlicher Unruhen die Sicherheit der Bundesbehörden, am Bundessitze für gefährdet erachtet, so ist er, abgesehen von andern verfassungsmässigen Sicherheitsmassregeln, berechtigt, seine eigenen Sitzungen an einen andern Ort zu verlegen und auch die Bundesversammlung an den gleichen Ort einzuberufen.

Art. 13.

Sollte infolge von Aufruhr oder anderer Gewalttat der Bundesrat ausserstande sein, zu handeln, so ist der Präsident des Nationalrates oder bei dessen Behinderung der Präsident des Ständerates verpflichtet, sofort die beiden gesetzgebenden Eäte in einem beliebigen Kantone zu versammeln.

Art. 14.

Die zum Gebrauche der Bundesbehörden bestimmten Gebäude stehen unter der unmittelbaren Polizei derselben.

2 Während der Sitzungen der Bundesversammlung übt jeder Bat die Polizei in seinem Sitzungssaale aus.

Art. 15.

1 Streitigkeiten, die über dio Anwendung dieses Gesetzes entstehen, gehören in die Zuständigkeit der vereinigten Bundesversammlung. Hievon ausgenommen sind die Streitigkeiten über die Anwendung von Art. 10, die dem Bundesgerichte zugewiesen sind.

2 Allfällig erforderliche provisorische Verfügungen hat der Bundesrat zu erlassen.

Art. 16.

Durch dieses Gesetz werden aufgehoben : a. das Bundesgesetz vom 23. Dezember 1851 über die politischen und polizeilichen Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft; b. Art. b'O des Bundesgesetzee vom 4. Februar 1853 über daa Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft; c. Art. 15, Abs. 2, des Bundesgesetzes vom 22. März 1893 über die Organisation der Bundesrechtspflege.

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Art. 17.

Der Bundesrat bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes.

Also beschlossen vom Nationalrat, B e r n , den 22. März 1934.

Der Präsident: J. Hubor.

Der Protokollführer : F. T. Ernst.

513 Also beschlossen vom Ständerat, B e r n , den 26. März 1934.

Der Präsident : A. Riva.

Der Protokollführer: Leimgruber.

Der schweizerische B u n d e s r a t beschliesst: Das vorstehende Bundesgesetz ist gemäss Art. 89, Abs. 2, der Bundesverfassung und Art. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreifend Volksabstimmung aber Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse zu veröffentlichen.

B e r n , den 26. März 1934.

Im Auftrag des Schweiz. Bundesrates, Der Vizekanzler:

Leimgruber.

Datum der Veröffentlichung: 28. März 1934.

Ablauf der Referendumsfrist: 26. Juni 1934.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesgesetz über die politischen und polizeilichen Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft.(Vom 26. März 1934.)

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28.03.1934

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509-513

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