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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend ein Gesuch tessinischer Gemeinden und Jäger um Aufhebung des Bundesgesetzes vom 17. September 1875 über Jagd und Vogelschutz für den Kanton Tessin.

(Vom 25. Mai 1886.)

Tit.

Unterm 4. Mai 1884 Übermächte uns die Regierung des Kantons Tessin zu Händen der Bundesversammlung ein Gesuch eines Komites tessinischer Jäger vom 7. Februar desselben Jahres, es möchte dem Kanton Tessin die Ermächtigung gegeben werden, die Jagd, statt nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz vom 17. September 1875, möglichst im Einklang mit den diesbezüglichen Gesetzen und Verordnungen Italiens, und entsprechend den tessinischen Gebräuchen, wenigstens auf so lange regeln zu dürfen, bis eine internationale Uebereinkunft zu Stande gekommen.

Diesem Gesuche ist folgende Erklärung von 255 tessinisehen Gemeinden beigeschlossen : ,,La Municipalità di interprete dei sentimenti di tutti i suoi amministrati, aderisc pienamente alla domanda di abrogazione della legge sulla caccia."

In einem nachträglichen Schreiben vom 4. Dezember 1885 wird oberwähntes Gesuch mit dem Beifügen wiederholt, daß in zweiter Linie wenigstens die Bildung einer neutralen Jagdzone längs der italienischen Grenze bewilligt werden möchte.

506 Zur Begründung ihrer Einlage führen die Petenten Folgendes an : Durch Einführung des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz sei dem Tessiner eine seiner beliebtesten und altgewohntesten Vergnügungen entzogen worden, und weit entfernt die vom Gesetzgeber bezweckten V ortheile zu bringen, habe dasselbe den Kanton finanziell erheblich geschädigt.

Die Zugvögel ließen sich gegenwärtig im Kanton nicht mehr nieder, weil sie nicht mehr gerufen (chiamato), d. h. durch keine Lockvögel mehr zum Einfallen veranlaßt werden. In Folge dessen brächten die Zugvögel der Landwirtschaft auch keinen Nutzen mehr und die Vegetation leide stärker als je unter verschiedenen Krankheiten.

Der ganze Vortheil, der, vor Inkrafttreten des betreffenden Bundesgesetzes, durch die Jagd dem Tessin angefallen, komme jetzt Italien zu gut, das längs der schweizerischen Grenze alle möglichen Fanggeräthe aufgestellt habe.

Die Regierung des Kantons Tessin empfiehlt das Gesuch zu Prüfung und Inerwägungziehung, indem sie der angeführten Begründung desselben beipflichtet und hervorhebt, daß von 265 Gemeinden, aus welchen der Kanton bestehe, 255 um Aufhebung des Jagdgesetzes nachgesucht, und ferner auf die Schwierigkeiteil hinweist, mit welchen der Vollzug desselben unter obwaltenden Verhältnissen zu kämpfen habe.

Fassen wir den Kanton Tessin mit Bezug auf seine jagdlichen Verhältnisse in's Auge, so ist seine geographische Lage, seine orographische Gestaltung, seine Bodenbeschaffenheit und reiche Vegetation dem Wildstand ungemein günstig ; zugleich geht durch's Tessiu eine Hauptlinie der Zugvögel, ja ein großer Theil letzterer läßt sich dort zum Brutgeschäft nieder. Tessin besitzt somit die vorteilhaftesten Bedingungen zu einer an Wildarten manigfaltigen und reichen Jagd und zur Niederlaßung zahlreicher nützlicher Vögel.

Dessen ungeachtet ist das inländische, das sog. Standwild, in den meisten und ganz besonders in den tieferen, südlicheren Gegenden Tessins sehr schwach vertreten, wogegen allerdings die Zugvögel noch immer in Menge erscheinen, wenn sie auch in einigen Arten abgenommen haben.

Nun ist aber in volkswirtschaftlicher Beziehung die Jagd auf das Standwild, wozu namentlich das werthvolle Haarwild gehört, von weit größerer Wichtigkeit als die Jagd auf Zugvögel ; sie bietet dem Jäger selbst auch einen größern Gewinn und weit mehr Vergnügen, schon ihrer langem Dauer und größern Manigfaltigkeit wegen.

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Die Jagd auf Zugvögel beschränkt sich auf eine kurze Zeitdauer und auf bestimmte wenige Oertlichkeiteu, und der Erlös aus den meisten kleinen Vögeln ist ein geringer, abgesehen davon, daß die meisten derselben der Land- und Forstwirthschaft nützlich sind, zu den Sängern gehören und daher geschont werden sollten.

Bei Erlaß des Bundesgesetzes über die Jagd und den Vogelschutz wurde erstlich Hebung des Wildstandes durch eine regelrechte, weidmännische Ausübung der Jagd und zweitens Schonung der nützlichen Vögel bezweckt.

Wenn das Gesetz im Tessin bisher wirkungslos geblieben, so hat dies seinen Grund darin, daß dasselbe weder gehandhabt, noch beobachtet wurde, was aus den Berichten der Jagdexperten aufs Ueberzeugendste hervorgeht.

Würde dem vorliegenden Gesuch der tessinischen Gemeinden und Jäger entsprochen, so würde der Jagdleidenschaft, die sich jetzt schon möglichst über Gesetze und Verordnungen hinwegsetzt, das wenige noch vorhandene Standwild verfallen, und zum Abschuß und Fang der Zugvögel würden die Tausende von Schußwaffen, Schlingen und Fallen nicht mehr genügen, sondern der eigentliche Massenfang mit den sog. roccoli, der an einigen Orten des Tessins in den letzten Jahren bereits wieder in Betrieb gesetzt wurde, allgemein wieder eingeführt.

Wenn Italien gegenwärtig noch kein Vogelschutzgesetz besitzt, so kann uns dies kein Grund bieten, von unserm diesfälligen Gesetze abzugehen, und dies selbst nicht ausnahmsweise mit Bezug auf den Kanton Tessin. Wir sollen vielmehr durch Festhalten an unsern Grundsätzen das Zustandekommen der von uns längst schon angestrebten und bei unsern Nachbarstaaten wiederholt schon angeregten internationalen Uebereinkunft zum Schutze nützlicher Vögel zu erleichtern suchen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 25. Mai 1886.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Stellvertreter des eidg. Kanzlers: Schatzmaun.

508 (Entwurf)

Bundesbeschluß über

ein Gesuch von tessinischen Gemeinden und Jägern, betreffend die Aufhebung des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz, vom 17. September 1875, fUr den Kanton Tessin.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 25. Mai 1886, i u Erwägung: 1) daß das Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz vom 17. September 1875 keine Ausnahmestellung gestattet, wie solche von den Petenten nachgesucht wird ; 2) daß eine Revision des Gesetzes im Sinne der Petition oder gar Aufhebung des Gesetzes im Widerspruch mit dem Zwecke steht, welchen mau durch Aufnahme des Art. 25 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 verfolgen wollte; 3) daß übrigens die Angelegenheit einer internationalen Uebereinkunft zum Schutze, der nützlichen Vögel in letzter Zeit wieder aufgenommen wurde, und daß der Bundesrath sein Möglichstes thut, um eine solche zu Stande zu bringen, beschließt: Das Gesuch tessinischer Gemeinden und Jäger um Aufhebung, resp. Revision des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz, wird abgewiesen.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend ein Gesuch tessinischer Gemeinden und Jäger um Aufhebung des Bundesgesetzes vom 17. September 1875 über Jagd und Vogelschutz für den Kanton Tessin. (Vom 25. Mai 1886.)

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05.06.1886

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