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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuche der wegen Eisenbahngefährdung bestraften Frau Rosa Boder geb. Kohler, Barrieren Wärterin in Grellingen, Kanton Bern.

(Vom 27. Mai 1902.)

Tit.

Am 3. August 1901 war ein mit zwei Pferden bespannter Holzfuhrwagen eben im Begriffe, den Straßenübergang zu passieren, welcher bei km. 109 314/15 bei Grellingen die Linie der Jura-Simplon-Bahn kreuzt, als ein Eisenbahnzug heranfuhr, dessen .Lokomotive den hintern Teil des Fuhrwerkes ergriff und eine Strecke weit mit sich riß, nachdem durch Zerreißen der Geschirre der Wagen von dem Gespann abgetrennt worden war.

Der auf dem Wagen sitzende Emil Karrer von Asch konnte sich durch Abspringen retten, ebenso konnte der die Pferde zu Fuß begleitende Knecht Louis Zeugen mit den Tieren noch rechtzeitig ausweichen. Die Lokomotive erlitt nur unbedeutende Beschädigung, dagegen wurde das Fuhrwerk in einzelnen Teilen demoliert.

Wie sich sofort herausstellte, hat die als Barrierenwärterin funktionierende Frau Rosa Boder vergessen, den Bahnübergang vor dem nach Fahrplan kursierenden Zug ordnungsgemäß abzuschließen. Sie gab dies unumwunden zu, mit der Erklärung, daß sie das Läutwerk, welches das Herannahen des Zuges hätte signalisieren sollen, nicht ,,aufgezogen " und deshalb keine Kenntnis von der Ankunft des Zuges besessen habe.

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Frau Boder wurde von der Direktion der Jura-Simplon-Bahn diciplinarisch mit Fr. 10 gebüßt, im weitern aber gemäß Artikel 67 b des Bundesstrafrechtes wegen fahrlässiger Eisenbahngefährdung dem Amtsgericht Laufen überwiesen. Dieses erklärte sie durch Urteil vom 8. April 1902 des eingeklagten Vergehens schuldig und verfällte sie zu einer Strafe von einem Tag Gefängnis und Fr. 3 Geldbuße sowie zur Tragung von Fr. 20 Prozeßkosten.

Nunmehr ersucht Frau Boder um gnadenweisen Erlaß der Gefängnisstrafe, indem sie zur Begründung vorbringt, daß es ihr sua 'Mutter von fünf Kindern beinahe unmöglich sei, diese Strafe abzusitzen. Der Regierungsstatthalter des Amtes Laufen empfiehlt das Gesuch aus dem nämlichen Grunde bestens zur Genehmigung.

Die Schuldigerklärung und Bestrafung der Petentin war zweifellos sehr wohl begründet, dagegen hatte die Anwendung von Freiheitsstrafe neben Geldbuße offenbar ihren Grund nur in der zwingenden Vorschrift des derzeit noch geltenden Gesetzes, dessen Revision demnächst den Richter ermächtigen soll, in Fällen bloßer Fahrlässigkeit nur Geldstrafe zu verhängen. Die Familienverhältnisse der Frau Boder lassen es gerechtfertigt erscheinen, die Gefängnisstrafe im Wege der Begnadigung aufzuheben, trotzdem die alsdann noch verbleibende gerichtliche Buße nur eine minime ist, da außer derselben noch eine Disciplinarstrafe und die Pflicht des Kostenersatzes auf der Fehlbaren lastet.

Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den Antrag: Es sei der Frau Boder die Gefängnisstrafe von einem Tag in Gnaden zu erlassen.

B e r n , den 27. Mai 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zenip.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuche der wegen Eisenbahngefährdung bestraften Frau Rosa Boder geb. Kohler, Barrieren Wärterin in Grellingen, Kanton Bern. (Vom 27. Mai 1902.)

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1902

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28.05.1902

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385-386

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