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Schweizerisches Bundesblatf.

54. Jahrgang. II.

Nr. 18.

30. April 1902.

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Bericht der

Kommission des Nationalrates betreffend den diplomatischen Zwischenfall zwischen der Schweiz und Italien.

(Vom 22. April 1902.)

Tit.

Der schweizerische Bundesrat hat am 10. April abbin den eidgenössischen Bäten die überraschende Mitteilung gemacht, daß er sich genötigt gesehen habe, den amtlichen Verkehr mit dem Gesandten des Königreichs Italien, Herrn Commandeur Silvestrelli, abzubrechen, und daß darauf der italienische Minister des Äußern, Herr Prinetti, gegenüber dem schweizerischen Gesandten in Rom, Herrn Carlin, das Gleiche gethan habe. Gleichzeitig stellte der Bundesrat einen Bericht über die Vorgänge in Aussicht. Dieser Bericht samt einem Abdruck der dazu gehörenden Aktenstücke befindet sich seit dem 15. April in Ihren Händen, und ich berufe mich, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, auf dessen Inhalt. Parallel hiermit hat die italienische Regierung ihrerseits dem dortigen Parlament in einem Grünbuch die bezüglichen Aktenstücke, jedoch ohne begleitenden Bericht, ebenfalls zugestellt. Ich stelle fest, daß dieses Grünbuch, soweit dies den gegenseitigen Notenwechsel betrifft, mit dem schweizerischen Blaubuch übereinstimmt, so daß in Bezug auf die thatsächlichen Vorgänge keine Differenzen bestehen. Der Bundesrat spricht am Schlüsse seines Berichtes die Hoffnung aus, daß die Bundesversammlung seine Haltung in dieser Angelegenheit billigen werde.

Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. II.

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966 Wenn es sich heute darum handelt, daß die Bundesversammlung in einer Sache diplomatischen Charakters Stellung nehme, so ist vorerst die konstitutionelle Frage der Kompetenz zu erledigen. Gemäß Art. 102, Ziffer 8, der Bundesverfassung ist der Bundesrat zur Besorgung der .auswärtigen Angelegenheiten unzweifelhaft ausschließlich kompetent. ' Allein nach Art. 85, Ziffer 11, steht, seine ganze Geschäftsführung unter der Oberaufsicht der Bundesversammlung, und er legt deshalb der letztem alljährlich seinen Geschäftsbericht zur Genehmigung vor. Der vorliegende Bericht ist ein anticipiorter Teil des Geschäftsberichtes pro 1902 und unterliegt daher nach Ansicht der Kommission der nämlichen Behandlung wie der ordentliche Geschäftsbericht.

In der Sache selbst beantragt Ihnen die Kommission nach einläßlicher Prüfung der Akten einstimmig, die Haltung des ßundesrates in dieser Angelegenheit zu billigen. Bei diesem Antrag hat sie sich von folgenden Erwägungen leiten lassen : Der Gegenstand der Beschwerde des italienischen Gesandten, Herrn Silvestrelli, in seiner Unterredung vom 5. Februar abbin mit dem Bundespräsidenten war ausschließlich der im ,,Risveglio111 vom 18. Januar 1902 in Genf erschienene Artikel, in welchem das Andenken an den verstorbenen König von Italien, Umberto, verunglimpft wurde. Diese pietätlosen und völlig ungerechtfertigten Auslassungen in einem Schweizerblatt sind tief zu beklagen. Der König Umberto war ein wohlwollender und der Schweiz stets freundlich gesinnter Monarch, und es hat sein unglückliches Knde durch feige Mörderhand in der Schweiz große und aufrichtige Teilnahme gefunden. Allein es handelte sich vorläufig nicht um die moralische Qualifikation des inkriminierten Artikels, sondern der Bundesrat mußte vorerst die Frage aufwerfen und prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine gerichtliche Verfolgung nach Schweizergesetz möglich sei. Er hat hierüber uin Gutachten der Bundesanwaltschaft und des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements eingeholt, welche zu dem richtigen Schluß kommen, daß der Fall ausschließlich unter den Artikel 42 des schweizerischen Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1.853 fällt, welcher lautet: ,,Art. 42. Öffentliche Beschimpfung eines fremden Volkes oder seines Souveräns oder einer fremden Regierung wird mit einer Geldbuße bis auf Fr. 2000,
womit in schweren P'ällen Gefängnis bis auf sechs Monate verbunden werden kann, bestraft.

Die Verfolgung findet jedoch nur auf Verlangen der betreffenden fremden Regierung statt, wofern dei- Eidgenossenschaft Uegenrecht gehalten wird.'1

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Mit der letztern Vorschrift steht das schweizerische Strafgesetz nicht einzig da, sondern das deutsche, französische, österreichische und sogar das italienische Strafgesetz verlangen zur Einleitung einer Strafverfolgung wegen Beleidigung eines fremden Souveräns ebenfalls einen Antrag der betreffenden fremden Regierung, und Deutschland verlangt noch außerdem, wie die (Schweiz, die Verbürgung des Gegenrechts.

Diese Bestimmungen sind schon wiederholt zur Anwendung gekommen. Die deutsche Reichsregierung hat nie Anstand genommen, sich den Vorschriften eines fremden Staates gegebenenfalls zu unterziehen oder von dem betreffenden fremden Staat die Beobachtung ihres eigenen Gesetzes zu verlangen, so im Jahr 1888, wo sie durch ein an der Basler Fastnacht verbreitetes Schmähgedicht insultiert worden war. Die kaiserlich deutsche Gesandtschaft stellte damals mit Note vom 26. März 1888 beim schweizerischen Bundespräsidenten im Auftrag ihrer Regierung das Ansuchen, der Bundesrat möge behufs -Einleitung einer Strafuntersuchug das Erforderliche veranlassen. Im weitem heißt es in dieser Note: ,,Hiernach nimmt der Unterzeichnete keinen Anstand, die Zusicherung ganz ergebenst zu erteilen, daß eine der Regierung der Schweiz zugefügte öffentliche Beschimpfung auf deren Verlangen deutscherseits verfolgt und bestraft wird."

Der Bundesrat beschloß hierauf am 10. April die Einleitung der Strafuntersuchung, und am 19. Juni erfolgte das Urteil der Bundesassisen in Basel, durch welches der Hauptangeklagte zu einer Geldbuße von Fr. 800, eventuell zu einer Gefängnisstrafe von 160 Tagen verurteilt wurde. Ich füge hier noch bei, daß in Bezug auf das Gegenrecht des klagenden Staates die Erklärung seiner Regierung nicht einmal genügt, sondern daß das urteilende Gericht die Frage, ob Gegenrecht thatsächlich gewährt werde, noch frei und selbständig zu prüfen hat. Diesen Satz hat die schweizerische Kriminalkammer im angeführten Falle ausdrücklich ausgesprochen und die Prüfung an der Hand des deutschen Gesetzes vorgenommen. Auf Grund des Artikels 103 des deutschen Strafgesetzes hat in den letzten Tagen in Elberfeld eine gerichtliche Verhandlung wegen Majestätsbeleidigung gegenüber dem österreichischen Kaiser durch eine Flugschrift stattgefunden, wobei die österreichische Regierung durch ihren Bevollmächtigten in Berlin den Strafantrag
gestellt hat. Ferner hat im Jahr 1888 die deutsche Gesandtschaft beim französischen Ministerium des Äußern nach Maßgabe des französischen Gesetzes Klage erhoben wegen beleidigenden Plakaten, welche bei Anlaß

968 des Todes des deutschen Kaisers Wilhelm des Ersten gegen diesen in Paris verbreitet worden waren.

Speciell das italienische Strafgesetz über die Presse, vom 26. März 1848, bestimmt in Artikel 25, daß die gegen fremde Souveräne oder Staatsoberhäupter gerichteten Beschimpfungen mit Gefängnis bis auf sechs Monate und mit Buße von 100 bis 1000 Lire bestraft werden. Sodann enthält Artikel 56 dieses Gesetzes folgende Vorschrift : ,,Im Falle einer Beschimpfung gegen fromdo Souveräne oder Staatsoberhäupter tritt eine strafrechtliche Verfolgung nur auf Begehren der Souveräne oder Staatsoberhäupter ein. a Hiermit stimmen überein die Vorschriften des italienischen Strafgesetzbuches vom 30. Juni 1889, Artikel 128 und Artikel 400, aus welchen im Zusammenhang hervorgeht, daß die Beschimpfung eines fremden Souveräns, auch wenn sie nicht durcli die Prosse erfolgt, ein Antragsdelikt ist und nur auf Verlangen der fremden Regierung verfolgt wird.

Im vorliegenden Falle hat der Bundesrat in seinen beiden Noten vom 25. Februar und 12. März auf die Vorschriften des schweizerischen Strafrechtes, Artikel 42, in durchaus korrekter Weise aufmerksam gemacht. Allein Herr Silvestrelli erklärte in seiner Note vom 8. März, daß die königliche Regierung nicht beabsichtige, einen Verfolgungsantrag zu stellen ; sie glaube genug gethan zu haben, indem sie die eidgenössische Regierung an die Beobachtung ihrer internationalen Pflichten erinnere. Auch das Hegehren um Zusicherung des Gegenrechts lehnte er ausdrücklich ab, weil es den Umständen nicht angepaßt erscheine. Herr Silvestrelli weigerte sich also, den vom Bundesrat angegebenen Weg auf Grund des schweizerischen Gesetzes einzuschlagen. Kr verlangte im Gegenteil, daß der schweizerische Bundesrat den eigenen Landesgesetzen zuwiderhandle ; er verband damit nicht undeutlich den Vorwurf, daß die schweizerische Regierung ihre internationalen Verpflichtungen nicht beobachte, und protestierte dagegen, daß Publikationen, wie die des ,,Réveil"1, in der Schweiz ungestraft bleiben. Das sagte er in dem nämlichen Augenblick, wo der Bundesrat sieh bereit erklärte, eine Strafuntersuchung anzuordnen, sobald nur die italienische Regierung es hegehre.

Der Bundesrat fühlte sich durch diese ungewohnte Sprache verletzt und erhob in seiner Erwiderung vom 12. März dagegen Einsprache, ohne jedoch
weiter zu gehen. Er hoffte noch immer, daß Herr Silvestrelli von seiner unrichtigen Anschauung abkommen werde. Allein Herr Silvestrelli beharrte auf seinem Standpunkte vom 8. März und erklärte in seiner Note vom 23. Mär/,,

969 er könne nicht zugeben, daß die juristischen Auseinandersetzungen des Bundesrates mit der vorliegenden Frage etwas zu thun haben.

Diese Bemerkung war unannehmbar, weil die juristischen Auseinandersetzungen des Bundesrates gerade die streitige Frage enthielten. Zudem wich Herr Silvestrelli in dieser Note vom Gegenstand der Diskussion ab und berief sich auf andere Reklamationen, die die Gesandtschaft im Monat Juni 1901 beim damaligen Bundespräsidenten, Herrn Brenner, gegen das verbrecherische Treiben des ,,Réveil"1 mündlich erhoben habe.

Es ist nun richtig, daß der italienische Geschäftsträger, Herr Berti, sich im Juni des vorigen Jahres bei dem Bundespräsidenten mündlich beschwert hat wegen zweier Artikel des ,,Réveil"1 vom 8. gleichen Monats, in welchen die That Brescis verherrlicht wurde.

Auch hier muß gesagt werden, daß die schweizerischen Behörden und das Schweizervolk die Excesse der anarchistischen Presse beklagen und verurteilen, und daß sie keineswegs gewillt sind, die Ruhe und den Frieden im Lande und unsere guten Beziehungen zu den auswärtigen Staaten durch Aufwiegler ungestraft stören zu lassen. Allein auch in diesem Falle hatte der Bundesrat vorerst die Frage zu prüfen, ob das Strafverfahren auf Grund der schweizerischen Gesetzgebung möglich sei. Die über diese Frage eingeholten Gutachten kamen wegen Mangels des erforderlichen Thatbestandes zu einer verneinenden Antwort. Sie beriefen sich dabei insbesondere auf ein Urteil des schweizerischen Bundesgerichts vom 29. Mai 1900 in einer ähnlichen Sache.

Gestützt auf diese Gutachten teilte der Bundesrat mit Note vom 10. Juli 1901 dem italienischen Geschäftsträger mit, daß von einer gerichtlichen Verfolgung des ,,Réveil"1 abgesehen werden müsse.

Die Angelegenheit war damit erledigt, und der Bundesrat durfte mit Recht annehmen, daß auch die italienische Gesandtschaft sie als erledigt betrachte, da sie nichts mehr erwiderte.

Auch in der sieben Monate nach diesem Vorfall stattgehabten Unterredung mit dein Bundespräsidenten hat Herr Silvestrelli einzig und allein den Artikel des ,,Risveglio"1 vom 18. Januar 1902 zur Sprache gebracht und nur die bezügliche Nummer dieses Blattes dem Bundespräsidenten abgegeben. Einen unwiderleglichen Beweis hierfür bildet die Depesche des Herrn Silvestrelli an Herrn Prinetti vom nämlichen Tag, welche im schweizerischen Blaubuch nicht enthalten ist, wohl aber im italienischen Grünbuch. In dieser Depesche heißt es: ,,Ich zeigte heute dem Bun-

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despräsidenten einen Artikel der Zeitung ,.,11 Risveglio11 und machte ihn auf denselben aufmerksam etc.u, und am Schluß: ,,Der Bundespräsident ersuchte mich, ihm den Artikel zu überlassen, um ihn dem Justizdepartement zur Prüfung vorzulegen.Cl Der hierauf folgende Notenwechsel betraf daher naturgemäß ausschließlich diesen letztern Artikel, und der Bundesrat konnte es nicht hinnehmen, daß Herr Silvestrelli in seiner Note vom 23. März auf eine abgethane Sache in allgemeinen Ausdrücken zurückkam. Herr Silvestrelli hat in dieser seiner letzten Note nicht mir dem Bundesrat vorgeworfen, er brauche Ausflüchte, sondern er hat auch ausdrücklich und wiederholt die Behauptungen aufrecht erhalten, die der Bundesrat schon früher als mit seiner Würde unverträglich hatte zurückweisen müssen. Bei dieser Sachlage konnte eine Wendung nicht ausbleiben. Der Bundesrat, in der Absicht, die zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und Italien bestehenden guten Beziehungen aufrecht zu erhalten, ließ durch seine Gesandtschaft in Rom die italienische Regierung ersuchen, Herrn Silvestrelli durch einen ändern Diplomaten zu ersetzen, und als dieses Gesuch abgelehnt wurde, war er genötigt, den amtlichen Verkehr mit Herrn Silvestrelli abzubrechen.

Die Kommission ist der Ansicht, daß der Bundesrat nicht anders handeln konnte. Herr Silvestrelli hat vor allem aus dem Bundesrat die unmögliche Zumutung gemacht, das eigen«; Landesgesetz zu verletzen. Er übersah hierbei, daß der Bundesrat selbst an die Verfassung und die Gesetze seines Landes gebunden ist und dieselben zu schützen hat. Der Bundesrat hat dies gethan mit Ruhe und Würde und darf deshalb versichert sein, daß die öffentliche Meinung unseres Landes ihm zustimmt.

Einen beredten Beweis hierfür liefert die schweizerische Presse, welche einmütig erklärt, daß der Bundesrat richtig und pflichtgemäß gehandelt habe. Im weitern muß aber auch der Vorwurf, daß der Bundesrat gegenüber der anarchistischen Propaganda seine internationalen Pflichten nicht beobachte, abgelehnt werden.

Wir konstatieren mit Genugthuung und können dies mit zahlreichen Beispielen aus älterer und neuerer Zeit belegen, daß der Bundesrat in dieser Richtung seine verantwortungsvolle Aufgabe stets mit Umsicht und Festigkeit erfüllt hat.

Die Kommission bedauert den Konflikt, den der Bundesrat nicht gewollt
und nicht verschuldet hat. Italien und die Schweiz sind zwei von alters her befreundete Nachbarvölker, welche in großem und mannigfaltigem Verkehr zu einander stehen und in

971 wesentlichen Interessen auf einander angewiesen sind. Es ist daher zu hoffen, daß der obschwebende Zwischenfall keine ernsthaften Verwicklungen zwischen den beiden Ländern zur Folge habe, und daß er bald eine befriedigende Lösung finde.

Der Antrag, den ich Ihnen im Namen der Kommission vorzulegen die Ehre habe, lautet: ,,Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft des Bundesrates vom 15. April 1902 betreffend den diplomatischen Zwischenfall zwischen der Schweiz und Italien, nimmt Akt von den Erklärungen des Bundesrates und billigt seine Haltung in dieser Angelegenheit.a Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 22. April 1902.

Namens der Kommission: Der Berichterstatter: A. Brosi, Nationalrat.

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Bericht der Kommission des Nationalrates betreffend den diplomatischen Zwischenfall zwischen der Schweiz und Italien. (Vom 22. April 1902.)

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