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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde der Schweizerischen Rabattmarkengesellschaft in Zürich gegen den Regierungsrat des Kantons Bern wegen Verbots des Absatzes von Rabattmarken.

(Vom 31. Oktober 1902.)

Der schweizerische Bundes rat hat über die Beschwerde der S c h w e i z e r i s c h e n R a b a t t m a r k e n g e s e l l s c h a f t in Zürich gegen den Regierungsrat des Kantons Bern wegen Verbots des Absatzes von Rabattmarken, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Am 16. November 1901 hat der Regierungsrat des Kantons Bern folgenden Beschluß gefaßt: ,,1. Der Geschäftsbetrieb der sogenannten schweizerischen Rabattmarkengesellschaft und anderer ähnlicher Unternehmungen ist im ganzen Gebiet des Kantons Bern untersagt.

,,2. Wer sich als Vorsteher, Agent, Unteragent oder sonstiger Teilnehmer einer solchen Gesellschaft mit dem Verkauf oder Vertrieb von Rabattmarkenbüchlein oder Rabattmarken befaßt, macht sich einer unerlaubten Handlung schuldig und ist mit der

861 durch § 95 des Gewerbegesetzes vom 7. November 1849 angedrohten Strafe für Gewerbebetrieb ohne Bewilligung zu belegen.

,,3. Dieser Beschluß tritt sofort in Kraft und ist in das Amtsblatt, die Amtsanzeiger und die Gesetzessammlung einzurücken. "· Dem Regierungsbeschluß sind folgende Erwägungen vorgedruckt : ,,Seit einiger Zeit arbeitet in der Ostschweiz und nun auch im Kanton Bern eine Gesellschaft für den Absatz sogenannter Rabattmarken im Detailwarenhandel. Ihr Geschäftsbetrieb besteht darin, daß sie den Detaillisten Rabattmarken verkauft, welche dann von diesen den Konsumenten als Rückzahlung von 5 % des Wertes der gekauften Waren eingehändigt werden und denselben, wenn eine gewisse Anzahl von Marken (1250 Marken für Fr. 250 Waren) in einem Büchlein beieinander sind, das Recht gegeben, für den betreffenden Rabattbetrag (Fr. 12. 50) im Magazin der Gesellschaft weitere Waren nach Auswahl einzutauschen.

,,Es ist bei einiger Überlegung nicht schwer, einzusehen, daß dieser Geschäftsbetrieb auf unreeller Grundlage beruht. Vorerst ist dabei offenbar auf Verlorengehen oder Nichteinlösen eines Teils der Marken gerechnet, und es könnte ohne dies oder dann ohne andere unlautere Geschäftskniffe die Gesellschaft kaum bestehen. Weniger bemittelte Leute namentlich werden nur selten in den Fall kommen, bis auf Fr. 250 Waren bei den betreffenden Geschäften zu kaufen, und also schließlich um den Betrag des entsprechenden Rabattes in Verlust geraten. Sodann aber und davon abgesehen haben auch die mit der Gesellschaft verkehrenden Händler und Konsumenten durchaus keine Garantie dafür, daß die Gegenleistungen für den von der Gesellschaft in bar eingestrichenen Wert der Marken wirklich erfüllt werden. Es ist keinerlei Sicherheit dafür gegeben, weder daß die Händler den scheinbar gewährten Rabatt nicht wieder auf die Waren schlagen, noch daß die von der Gesellschaft aus ihrem Magazin gelieferten Waren preiswürdig und gut beschaffen sind, noch daß überhaupt die Marken jederzeit zur gehörigen Einlösung gelangen. Durch den Besitz der Marken wird das Publikum vielfach zur Erwerbung von Waren verleitet werden, die es eigentlich gar nicht nötig hat, und die es nur darum bezieht, um für seine Rabattbeträge, die man ihm eigentlich in bar vergüten sollte, doch etwas zu haben. So wie endlich eine Rabattmarkengesell-

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schaft aufgetaucht ist, kann sie auch wieder verschwinden, und es haben dann sowohl Detaillisten als Käufer für ihre Marken und Ansprüche das Nachsehen. Dieser letztere Fall ist denn auch schon mehrfach in verschiedenen Ländern eingetreten, das heißt es sind solche Rabattmarkengesellschaften verkracht, mit Hinterlassung bedeutender Schulden nicht nur an uneingelösten Marken, sondern auch an anderen Forderungen.

,,Nimmt man das alles zusammen, so zeigt sieh klar, daß der beschriebene Rabattmarkenhandel nichts anderes ist, als ein ganz "überflüssiges, schmarotzerisches Gebilde, welches sich zwischen Händler und Konsument hineindrängt, und das mit seinen Funktionen selbst im günstigsten Falle niemand nützt, als, solange es gehen mag, der Rabattmarkengesellschaft selbst, in ungünstigen Fällen aber vielfach für das gesamte beteiligte Publikum höchst schädlich wirken kann. Es ist, mit einem Wort und genau besehen, das Treiben dieser Gesellschaften nicht, wie sie vorgeben, auf Belebung und Förderung von Handel und Verkehr, sondern vielmehr auf einseitige Ausbeutung derselben, ohne genügende Gegenleistung für das Publikum, gerichtet.

,,Dieser zweideutige und unreelle Charakter der Rabattmarkengesellschaften hat bereits verschiedene Staaten bewegen, den Geschäftsbetrieb derselben zu verbieten. Im Kanton Bern kann die Behörde nach § 11 des Gewerbegesetzes vom 7. November 1849 die Bewilligung zum Geschäftsbetrieb verweigern, wenn die Einrichtung der betreffenden Unternehmung so beschaffen ist, daß ihr Betrieb erhebliche Nachteile für das Publikum oder überhaupt eine Schädigung des Gerneinwohls herbeizuführen droht."

Die Einrückung ins Amtsblatt ist am 23. November 1901 erfolgt.

II.

Gegen diesen Beschluß hat die Schweizerische Rabattmarkengesellschaft, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. A. Brüstlein, mit Eingabe vom 21. Januar 1902 die staatsrechtliche Beschwerde erklärt und das Rechtsbegehren gestellt, es sei der fragliche Beschluß als mit der verfassungsmäßig gewährleisteten Handelsund Gewerbefreiheit (Art. 31 Bundesverfassung) unvereinbar aufzuheben.

Die Rekurrentin begründet ihr Rechtsbegehren folgendermaßen :

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A.

Es sind dreierlei wirtschaftliche Gebilde, die sich heutzutage im Detailhandel um die Gunst des Konsumenten bewerben: die großen Warenhäuser (Bazare), die kooperativen Konsumgenossenschaften und die Spezialgeschäfte alter Observanz. Jedes dieser Gebilde hat seine eigentümlichen Vorzüge, die es ihm ermöglichen, den Wettstreit mit den beiden ändern auszuhalten.

Dem großen Warenhaus kommt seine Kapitalkraft zu gute ; es vermag massenhaft und darum billig einzukaufen, und der Massenabsatz bringt ihm, trotz einer geringen Profitrate am einzelnen Stück, «inen großen Reingewinn im ganzen; hierbei nützen die meisten Warenhäuser noch den weitern Vorteil aus, nur gegen Barzahlung zu verkaufen. Die Konsumgenossenschaft ihrerseits genießt den Vorteil, daß sie an den Genossenschaftern einen gegebenen Kundenkreis hat, den sie nicht erst durch Reklame, luxuriöse Ausstattung, Schaufenster u. s. w. anzulocken braucht ; auch sie verkauft nur gegen bar. Den Spezialgeschäften kommt die gründliche Kenntnis ihrer speziellen Branche zu gute. Was aber das Spezialgeschäft als Krebsübel empfindet, an dem es vielfach sogar zu Grunde geht, das ist die Festlegung seines ohnehin kleinern Betriebskapitals im Kredit, den es wohl oder übel seinen Kunden gewähren muß, auf die Gefahr hin, sein gutes Geld Monate oder Jahre hinaus zinslos stehen zu haben und Jahr um Jahr empfindliche Verluste daran abschreiben zu müssen. Die Ermahnungen an das Publikum, von dieser übeln Gewohnheit abzustehen, sind ebenso häufig als fruchtlos.

Das nächstliegende Mittel zur Abstellung dieses Übelstandes besteht in der Gewährung eines sofort bei der Barzahlung abzuziehenden Skontos ; dieses Mittel versagt aber bei kleinern Bezügen meist, weil der Rabattbetrag im einzelnen zu klein ist, um vom Kunden noch als Stimulierung empfunden zu werden.

Um diesem Übelstande abzuhelfen, sind einzelne Detaillanten auf ·den Gedanken verfallen, den Rabatt nicht auf dem einzelnen Bezug zu gewähren, sondern ihn auf die Gesamtheit der Bezüge eines ganzen Jahres zu verteilen. Das praktisch übliche Verfahren für die Durchführung dieses Systems besteht in der Verabreichung sogenannter Rabattmarken oder Skontocoupons im Nominalbetrag, der Einkäufe, wie solche z. B. von der Firma Johann Sommer & Cie. in Bern ausgegeben werden. Nach der diesem Coupon aufgedruckten Bemerkung kann z. B., wer bei Johann Sommer & Cie. nach und nach für Fr. 50 gekauft und

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somit den Betrag von Fr. 50 in Coupons beisammen hat, dieselben während des laufenden Jahres jederzeit einziehen, den Rest im Januar des folgenden Jahres, und zwar bekommt er dafür nach seiner Wahl entweder 2% des Couponbetrages in Geld oder 3% in Waren.

Obsehon dieses Verfahren von einzelnen Großdetaillanten mit Erfolg praktiziert wird, ist seine Anziehungskraft auf das Publikum im allgemeinen eine ziemlich beschränkte geblieben, und zwar deshalb, weil der einzelne Käufer im einzelnen Geschäftshaus viel zu viel einkaufen muß, bis die angesammelten Rabattmarken die Mühe des Sammeins lohnen. Um beispielsweise bei Johann Sommer & Cie. Fr. 10 in Geld oder Fr. 15 in Waren zu beziehen, muß man vorerst im gleichen Jahr für Fr. 500 Waren dort gekauft haben. Der Detailgeschäfte sind wenige, die darauf rechnen können, bei einem einzelnen Kunden für Fr. 500 jährlich Waren abzusetzen, und auch die Haushaltungen, die einem Detailgeschäft jährlich so viel zu verdienen geben können, sind verschwindende Ausnahmen. Liebt es doch gerade der Besserbemittelte, jede einzelne Warengattung eklektisch an dem Orte zu holen, wo er gerade für diese Ware die beste Bezugsquelle glaubt gefunden zu haben.

Aus dieser Wahrnehmung hat sich vielerorts das weitere Bestreben herausgebildet, das Rabattmarkenwesen zu zentralisieren, mit der Maßgabe, daß die von den. Geschäften verschiedenster Art, Metzger, Bäcker, Spezierer, Möbelhändler, Konfektionär u. s. w., bezogenen Marken unterschiedslos vereinigt und insgesamt bei einer Zentralstelle gegen Barschaft oder gegen Waren eingetauscht werden.

Eine solche Zentralisierung benötigt selbstverständlich eine entsprechende Organisation; diese ist einerseits möglich auf dem Boden der Gegenseitigkeit, auf genossenschaftlicher Grundlage, anderseits auf dem Boden des Privatunternehmens. Im ersten Fall wird die wirtschaftliche Funktion der Zentralisierung des Rabattwesens von der organisierten Gesamtheit der Rabatt gewährenden Kleinhändler besorgt, im ändern Falle ist es ein einzelner (Privatmann oder Gesellschaft), der diesen Dienst als Privatunternehmen versieht und dabei selbstverständlich aus der von ihm ausgeübten wirtschaftlichen Funktion eine Erwerbsquelle macht, gerade wie die Gesellschaften im Gebiete des Versicherungswesens, deren hohe gemeinwirtschaftliche Bedeutung mit der Tatsache wohl vereinbar ist, daß sie an und für sich weiter nichts bezwecken, als die Erzielung eines Reingewinnes. Beide

865 Systeme sind an und für sich vernünftig und lebensfähig; es ist daher nicht zu verwundern, daß sie so ziemlich gleichzeitig auf den Plan getreten sind. Als typische Repräsentanten des genossenschaftlichen Systems findet sich in der Schweiz die am 6. November 1900 in Basel gegründete ,,Basler Konsumgesellschaft" und die ihr unlängst nachgebildete ,,Handelsgesellschaft von Biel und Umgebung".

Als typischer Repräsentant der zentralisierten Rabattgewährung auf privatwirtschaftlicher Grundlage tritt anderseits die ,,Schweizerische Rabattmarkengesellschafta auf.

Dieses Institut ist eine Aktiengesellschaft. Es besitzt zur Zeit Etablissemente in Zürich und in Genf. In Zürich haben ihm 475, in Genf 265 Firmen die Besorgung ihres Rabattdienstes anvertraut, indem sie sich der Gesellschaft gegenüber verpflichtet haben, jedem ihrer Kunden, der beim Einkauf bar bezahlt, auf sein Verlangen Rabattmarken der Gesellschaft abzugeben. Eine Barzahlung von je 20 Cts. gibt Anspruch auf eine Rabattmarke.

"Wenn der Kunde durch seine Einkäufe bei den verschiedenen Firmen 1250 Stück Rabattmarken gesammelt und in das ihm zu diesem Zwecke gratis verabfolgte Büchlein eingeklebt hat, was einem Einkaufe von Fr. 250 entspricht, so kann er dafür im Magazin der Rabattmarkengesellschaft einen Gegenstand im Preise von Fr. 12. 50 (= 5 % von Fr. 250) auswählen. In diesem Magazine wird nichts gegen Bargeld verkauft; die in Büchlein zu je 1250 Stück gesammelten Rabattmarken bilden das ausschließlich zulässige Zahlungsmittel. Die Einnahmen der Gesellschaft bestehen aus dem Erlös der von ihr à l Ct. per Stück den Vertragsfirmen abgegebenen Rabattmarken, so daß für diese Firmen die Abgabe der Rabattmarken an die bezahlenden Kunden einer Skontogewährung von höchstens 5 °/o gleichkommt (wir sagen ,,höchstens", weil für Teilbeträge unter 20 Cts. keine Rabattmarke gewährt wird). Aus diesen Einnahmen bestreitet die Rabattmarkengesellschaft den Ankauf der den Kunden als Rabattprämien anzubietenden Waren ; und da sie mit 80 ähnlich operierenden Gesellschaften in Deutschland und Belgien affiliiert ist, so vermag sie diese Wareneinkäufe mit der kapitalistischen Kaufkraft eines" sehr großen Warenhauses unter so vorteilhaften Bedingungen vorzunehmen, daß, bei Einsetzung des effektiven Verkaufserlöses von 1250 Marken zu Fr. 12. 50 per Prämie als dem Verkaufspreise zwischen diesem V e r k a u f s p r e i s und dem A n k a u f s preis, eine genügende Marge verbleibt, um sowohl die

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Verwaltungsspesen zu decken, als den gesuchten Reingewinn zu erzielen.

So wird das dein Detailhandel sonst feindliche Warenhausprinzip dieosem dienstbar gemacht : es entsteht zum Besten der Kleinhändler und ihrer Kunden ein Warenhaus eigener Art, das, weit entfernt davon, dem Kleinhandel Konkurrenz zu machen, ihn im Gegenteil wirksam unterstützt: denn es verabfolgt seine Waren nur denjenigen, die sich darüber ausweisen, daß sie zuvor das Zwanzigfache bei Kleinhändlern ö^ gekauft haben.

Das Operationsschema der schweizerischen Rabattmarkengesellschaft ist, wie man sieht, durchaus durchsichtig und ebenso einfach als reell. Im Vergleich zum vorhergehenden Systeme der ,,Basier Konsumgesellschaft41 haftet ihm der Nachteil an, daß der rabattgenössige Kunde seine Dividende nicht in Geld erheben und beliebig verwenden kann, sondern sie nur in Waren aus dem Magazine der Gesellschaft beziehen darf. Dieser Nachteil muß bei diesem Systeme wohl oder übel mit in den Kauf genommen werden, weil ja die Gesellschaft darauf angewiesen ist, sich aus ihrem Warengeschäft eigener Art für die Verwaltungsspesen, Kapitalverzinsung u. s. w., die ihr sonst niemand bezahlt, selber zu decken. An ihr ist es daher, durch möglichst reellen Betrieb dieses Warengeschäftes, d. h. durch Anbietung einer r e i c h e n A u s w a h l p r e i s w ü r d i g e r Prämienware, d a s Publikum für den Mangel des Systems schadlos zu halten. Tut sie es nicht, so wird sie unfehlbar im Wettstreite mit dem Basler Systeme unterliegen : keine Firma wird ihre Marken führen, kein Käufer sie nehmen wollen. Umgekehrt wird das Basler System überall unterliegen, wo es durch zu große Verwaltungsspesen, schlechte Geschäftsführung, Zwistigkeit unter den Mitgliedern, Ausschließlichkeit oder Einseitigkeit in der Rekrutierung der Genossenschaftsmitglieder sich bei der Geschäftswelt oder beim Publikum mißbeliebig machen sollte.

Aus dieser Darstellung des Wesens und des Geschäftsbetriebes der Schweizerischen Rabattmarkengesellschaft ergibt sich für jeden Unbefangenen der Schluß, daß der heutige Staat, selbst wenn es keinen Art. 31 der Bundesverfassung gäbe, keinen Grund hat, das fragliche System a priori in Bausch und Bogen zu untersagen. So wenig der Staat, will er als Hort der Rechtsgleichheit ü b e r den wirtschaftlichen Parteien stehen, in dem Wettstreit zwischen den Warenhäusern und den Konsumgenossenschaften einerseits und den Kleinhändlern anderseits Partei

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ergreifen darf, so wenig soll er sich in die Wahl der Mittel und Wege einmischen, womit dieser oder jener Kleinhändler sich der Konkurrenz der Warenhäuser und Konsumgenossenschaften glaubt" wirksam erwehren zu können, sofern nur diese Mittel sich im.

Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung bewegen.

Der Rekursverfasser will sich hier keineswegs als ein Don Quixote der Gewerbefreiheit aufspielen und den Versuch unternehmen, eine 25jährige Praxis wieder bis zu ihrem Ausgangspunkt zurückzurollen. Er weiß wohl, daß ein Verfassungsgrundsatz nicht ein Vierteljahrhundert lang den Händen von politischen und Verwaltungsbehörden anvertraut werden kann, ohne daß er dabei seine Kanten etwas abschleift und auf seinem Lebensweg» einen Teil seiner Schärfe liegen läßt.

Die Bundesbehörden haben in der Tat mit der Zeit wohl oder übel zugeben müssen, daß Art. 31 der Bundesverfassung nicht wie ein isolierter Obelisk mitten in einer Sandwüste steht und daß es neben dem Schütze der freien Konkurrenz in Handel und Gewerbe noch andere sittliche und Rechtsgüter gibt, die der Staat zu schützen berufen ist, sollte dabei auch die Handels- und Gewerbefreiheit etwas zu kurz kommen. Die Sicherheit des Lebens, der Gesundheit, des Eigentums, die Aufrechterhaltungvon Treu und Glauben im Verkehr, die Bekämpfung der Prellerei, die Reaktion gegen die Ausbeutung der Unerfahrenheit, der Spielleidenschaft und anderer menschlicher Schwächen : Alles das sind Aufgaben, die der Staat bei seinem grundsätzlichen Bestreben, die Verkehrsfreiheit zu schützen, nicht aus den Augen verlieren darf.

Aus diesen und ähnlichen Erwägungen sind die Entscheidungen zu erklären und wohl auch zu rechtfertigen, welche z. B. das Hausieren mit Prämienlosen, die Lotteriesparkassen ^Crédit à l'Epargne", gewisse Geschäfte in Prämienobligationen und gar das berüchtigte Gella- oder Hydrasystem vom Schütze der Gewerbefreiheit ausgenommen haben. Mit Bezug auf das letztera namentlich war es ja sonnenklar, daß es direkt auf Prellerei und Schädigung ausging, und bei den Geschäften in Prämienobligationen, Losen und dergleichen ließ sich füglich behaupten, daß sie auf den unsittlichen und unwirtschaftlichen Trieb der Spielsucht spekulierten und auf eine direkte vom Durchschnittsbürger nicht kontrollierbare Übervorteilung des Publikums hinausliefen.

Auf die Rabattmarken dagegen trifft keines dieser Bedenken zu. Von einer durch die Erfahrung bestätigten Schädigung des

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Publikums oder der Gewerbetreibenden kann bei einem so jungen Institute, das im Kanton Bern noch gar nicht Fuß gefaßt hatte, sowieso keine Rede sein. Es kann im Gegenteil durch eine Reihe von Zeugnissen aus dem Kanton Genf die Tatsache belegt werden, daß die K l e i n h ä n d l e r , die sich daselbst der Rabattmarken bedienen, mit dieser Einrichtung wohl zufrieden sind (Beilagen Nr. 21). Und was das P u b l i k u m betrifft, so darf wohl auch der beschränktesten Hausfrau so viel praktischer Verstand zugetraut werden, daß sie nach der Auswahl des ersten Prämiengegenstandes im Magazin der Rabattmarkengesellschaft wird einsehen gelernt haben, ob es sich für sie verlohne oder nicht, zur Erreichung dieses Zieles die Rabattmarken führenden Läden zu bevorzugen und die Marken fleißig zu sammeln.

Mit Bezug auf die verfassungsrechtliche Frage darf sich die Rekurseingabe auf das Gesagte beschränken, indem sie im übrigen auf das ausführliche Rechtsgutachten verweist, das Prof. Fleiner über die Frage erstattet hat.

Nach den vorstehenden wirtschaftlichen und rechtlichen Erörterungen erübrigt noch, die Beweisführung der bernischen Regierung im einzelnen auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen.

1. Der Regierungsbeschluß wirft erstlich der Rabattmarkengesellschaft vor, sie spekuliere auf das Verlorengehen oder Nichteinlösen eines Teiles der Marken und könnte ohne dies oder dann ohne andere unlautere Gesehäftskniffe (welche ?)

kaum bestehen.

Es ist bereits im vorstehenden der Nachweis erbracht, daß die Gesellschaft weder auf diesen noch auf irgend einen ändern Geschäftskniff angewiesen ist. Ihre Lebensquelle ist genau die nämliche wie diejenige jedes ändern Warengeschäftes: die Differenz zwischen dem Ankaufspreis und dem Verkaufserlös ihrer Waren.

Daß ein allfälliges Verlorengehen von Marken, das in der Tat in einem kleinen Prozentsatze vorkommt, ihr, an und für sich genommen, zum Profit gereicht, soll nicht in Abrede gestellt werden. Einen ähnlichen Profit wird jeder Händler machen, der für sein Geschäft eigene Rabattmarken ausgibt, die Bieler Gesellschaft nicht ausgenommen, und dieses Profitieren von der Nachlässigkeit eines Konsumenten ist im einen Falle genau so legitim wie im ändern. Auch die Postverwaltung zieht bekanntlich aus dem Verlorengehen von Postmarken einen ganz ansehnlichen Gewinn. Und wenn das Mitglied einer Konsumgenossenschaft sein Rabattbüchlein verliert, so geht auch es damit für alle darin

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eingetragenen Einkäufe der Rabattdividende verlustig. Überall gilt da der Satz : volenti vel negligenti non fit injuria.

Übrigens ,,spekuliert"1 die Rabattmarkengesellschaft keines wegs auf diesen ungewollten Beitrag der Konsumenten an ihre Spesen. Sie trachtet vielmehr, den Prozentsatz desselben möglichst herunterzudrücken ; ist es doch für sie ein viel sichereres Zeichen des Gedeihens und der Entwicklung ihres Geschäftsbetriebs, ' wenn ihre Marken wertgeschätzt, als wenn sie verschmäht werden, und ein Konsument, der ihre Marken in das gratis empfangene Büchlein sorgsam aufklebt und zum Austausch sammelt, bildet für sie einen viel wertvolleren Faktor ihres Bestandes, als derjenige, der sich der Marken nicht annimmt; denn wer seine Marken nicht aufbewahrt, wird sich bald auch keine Mühe mehr geben, welche zu verlangen, und die Geschäftsinhaber werden den nicht Verlangenden selbstverständlich keine solchen aufdrängen.

Von dem Satze der Berner Regierung ist also genau das Gegenteil wahr: nicht auf das Verlorengehen, sondern auf das Aufbewahren der Marken spekuliert die Gesellschaft, und je weniger Marken verloren gehen, desto größer ist ihre Prosperität.

2. Die Berner Regierung sagt ferner: ,,Weniger bemittelte Leute werden nur selten in den Fall kommen, bis auf Fr. 250 Waren bei den betreffenden Geschäften zu kaufen."· Das ist nun eine Behauptung, die den allbekanntesten Tatsachen direkt ins Gesicht schlägt. Das gesetzliche Existenzmininium des Bürgers beträgt bekanntlich im Kanton Bern Fr. 600, und jedermann ist darüber einig, daß es viel zu niedrig angesetzt ist. Eine Erkundigung bei der Konsumgenossenschaft Bern oder bei der Konsumgenossenschaft ,,Vorwärts"1 hätte genügt, um zu erfahren, daß auch ein ganz bescheiden situierter Arbeiter in jenen Geschäften für mindestens Fr. 400 jährlich konsumiert.

Und dabei handelt es sich nur um L e b e n s m i t t e l , während die Rabattmarken der Schweizerischen Rabattmarkengesellschaft aus allen möglichen Geschäften gesammelt werden können und die Sammelfrist überdies nicht an das Kalenderjahr gebunden, sondern eine unbeschränkte ist.

3. Fernere Behauptung: ,,Die mit der Gesellschaft verkehrenden Händler und Konsumenten haben durchaus keine Garantie dafür, daß die Gegenleistungen für den von der Gesellschaft in bar eingeschriebenen Wert der Marken wirklich erfüllt werden. Sie haben weder Sicherheit dafür, daß die Händler den scheinbar gewährten Rabatt nicht wieder auf die Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. IV.

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Waren schlagen, noch dafür, daß die. Waren der Gesellschaft preiswürdig und gut beschaffen sind, noch endlich dafür, daß die Marken jederzeit zur Einlösung gelangen.a Die mit sotanen Besorgnissen begründete Einmischung der Berner Regierung in die Verhältnisse des privatrechlichen Güterverkehrs ist geradezu verblüffend. Wer anders, als das Gesetz der freien Konkurrenz, hat denn irn heutigen Rechtsstaate dafür zu sorgen, daß im Warenhandel keine Überforderung eintrete, und daß die Waren preiswürdig seien? Will man in diesem Gebiete statt der freien Konkurrenz die staatliche Fürsorge walten lassen, so muß man die ganze heutige Wirtschaftsordnung auf den Kopf stellen und 'Knall auf Fall den Sozialstaat einführen.

Aber solange dies nicht geschieht, hat es keinen vernünftigen Sinn, nur den mit der Rabattmarkengesellschaft affiliierten Geschäftshäusern eine Überforderungstendenz, und nur dieser Gesellschaft den Hang, preisunwürdige Waren zu liefern, oder gar die Absicht zuzutrauen, ihre eingegangenen Verpflichtungen gar nicht zu erfüllen.

4. Im weiteren meint die Berner Regierung: ,,Durch den Besitz der Marken wird das Publikum vielfach zur Erwerbung von Waren verleitet, die es eigentlich gar nicht nötig hat und die es nur darum bezieht, um für seine Rabattbeträge, die man ihm eigentlich in bar vergüten sollte, doch etwas zu haben."

Wenn es sich ernstlich darum handelt, das Publikum vor der Erwerbung der Waren abzuhalten, ,,die es eigentlich gar nicht nötig hata, so werden noch ganz andere, wirksamere Maßregeln ins Auge gefaßt werden müssen. Eine genaue Inspektion aller Verkaufsläden wird zur Beseitigung oder Konfiszierung aller derjenigen Artikel führen müssen, die zum Leben nicht notwendig sind, und die Glacehandschuhe, die Nippsachen, die Schmucksachen der Frauen, die Spielkarten der Herren werden aus dem Berner Warenverkehr verschwinden müssen.

5. Fünfte Erwägung: ,,So wie eine Rabattmarkengesellschaft aufgetaucht ist, kann sie auch wieder verschwinden, und es haben dann sowohl Detaillisten als Käufer das Nachsehen. Dieser Fall ist in verschiedenen Ländern schon mehrfach eingetreten.a Dieses Motiv bildet lediglich eine Variante zu dem unter 3 hiervor Erörterten. Es ist ja freilich richtig, daß auch die Rabattmarkengesellschaften die Ewigkeit nicht gepachtet haben ; und daß auch in diesen Geschäftsbetrieb sich räudige Schafe einschleichen können so gut wie in jeden ändern, ist unbestreitbar.

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Aber was beweist dies für oder gegen · das Institut als solches ?

Mit ebensoviel Recht läßt sich sagen : So wie ein Käufer aufgetaucht ist, kann er auch wieder verschwinden, und es hat dann der Détaillant das Nachsehen, wenn er ihm auf Kredit verkauft hat. Kann er ihm mit Hülfe der Rabattmarken das Kreditnehmen abgewöhnen, so wird er dafür das Risiko, die Rabattmarkengesellschaft könnte ihrerseits auch verschwinden, gerne in den Kauf nehmen. Aber aufs Verschwinden haben es Geschäfte, die technisch richtig fundiert sind, überhaupt nicht abgesehen, sondern auf das Weiterleben. Die Rekurrentin wäre begierig, die angeblich in ändern Ländern eingetretenen Fälle, auf welche die Berner Regierung anspielt, kennen zu lernen. Soweit ihre Kenntnis reicht, hat sich im Gegenteil das Rabattmarkengeschäft vielerorts als durchaus lebensfähig erwiesen ; das bezeugen die 80 Zweiggesellschaften, mit denen die schweizerische Gesellschaft zum gemeinsamen Ankauf in Verbindung steht.

6. Endlich nennt die Berner Regierung die Rabattmarkengesellschaft ,,ein ganz überflüssiges, schmarotzerisches Gebilde, das sich zwischen Händler und Konsument hineindrängt, im günstigsten Falle niemand nützt, im ungünstigsten aber für das gesamte Publikum höchst schädlich wirkt, Handel und Verkehr höchst einseitig und ohne Gegenleistung ausbeutet".

Es liegt eine gewisse Ironie darin, daß die Behörde als Sprachrohr der Gewerbekammer, als der offiziellen Vertretung des Kleingewerbes und Kleinhandels, hier ein Urteil abgibt, das mit nicht minderer Schärfe schon oft über jeden Zwischenhandel überhaupt gefällt worden ist. Es ist ja, kann man wohl sagen, das theoretische Steckenpferd aller Konsumgenossenschaften, den Zwischen- und Kleinhandel als einen Schmarotzer am Wirtschaftskörper hinzustellen, den man durch den Genossenschaftsbetrieb ausschalten müsse. Die Detaillanten wehren sich sonst mit allem Nachdrucke gegen diesen Vorwurf. Und nun es einzelnen von ihnen, z. B. in Basel und in Biel, gelungen zu sein scheint, durch genossenschaftliches Zusammentreten die Privatwirtschaft mit Bezug auf die Zentralisierung des Rabattwesens auszuschalten, sind sie selber über dieses Genossenschaftstum des Lobes voll und brandmarken die Privatwirtschaft als ein Schmarotzergebilde.

Man fühlt sich fürwahr versucht, als Variante zum bekannten Sprichwort das Axiom aufzustellen: on est toujours le parasite de quelqu'un.

872 B.

Aus dem von der Rekurrentin eingelegten Gutachten von Prof. F. Fleiner in Basel vom 19. Dezember 1901, welches zum Schlüsse kommt, das Verbot des bernischen Regierungsrates vom 16. November 1901 stehe im Widerspruch mit Art. 31 der Bundesverfassung und könne daher nicht aufrechterhalten werden, sind folgende Ausführungen zu entnehmen : Die Vorschriften des bernischen Gesetzes über das Gewerbewesen vom 7. November 1849, auf die sich der Regierungsratsbeschluß vom 16. November 1901 beruft, setzen fest: ,,Eine besondere polizeiliche Genehmigung ist erforderlich: 1. zu dem Beginn solcher Gewerbe, bei welchen entweder durch ungeschickten Betrieb, oder durch Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in sittlicher Hinsicht die Erreichung allgemein polizeilicher Zwecke gefährdet werden kann, oder wo das Gemeinwohl besondere Sicherheit erfordert.

,,Wer ohne die nach den Bestimmungen der §§ 4, 5, 11, 12, 14 und 17 verlangten Ausweisungen und erforderlichen Bewilligungen einen Beruf oder ein Gewerbe ausübt oder nach erfolgter Untersagung fortsetzt (§§ 19 und 20), gewerbliche Einrichtungen oder Anlagen gründet oder von dem in der Genehmigung festgesetzten Bedingungen abweicht (§§ 17, 30 und 32), verfällt in eine Strafe von Franken Ein bis Franken Hundert, und kann zur Entfernung oder Abänderung der getroffenen gewerblichen Einrichtungen angehalten werden."· Prüft man nun die Gründe, von denen aus der Regierungsrat des Kantons Bern dazu gelangt ist, den Geschäftsbetrieb der Rabattmarkengesellschaft zu verbieten, so erweisen sich ohne weiteres eine ganze Reihe von Erwägungen als juristisch unstichhaltig.

Das gilt vor allem von der Behauptung, es bestehe keine Garantie dafür, ,,daß die Gegenleistungen für den von der Gesellschaft in bar eingestrichenen Wert der Marken wirklich erfüllt werden", und ferner ,,sowie eine Rabattmarkengesellschaft aufgetaucht ist, kann sie auch wieder verschwinden, und es haben dann sowohl die Detaillisten als Käufer für ihre Marken und Ansprüche das Nachsehen.tt Diese Ausführungen enthalten eine unzulässige Einmischung der Verwaltungsbehörde in Verhältnisse des privatrechtlichen Verkehrs, über die im Streitfalle allein der Zivilrichter zu Gericht zu sitzen hat. Denn so wenig der Regierungsrat befugt ist, einem beliebigen ändern Gewerbetreibenden

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die Ausübung seines Gewerbes lediglich deshalb zu untersagen, weil die Regierung befürchtet, der Mann möchte seine Gläubiger nicht befriedigen, ist er berechtigt, aus diesen Gründen ein Verbot gegen die Rabattmarkengesellschaft zu erlassen. Es besteht kein Zweifel darüber, daß in der Eidgenossenschaft seit der Anerkennung der Handels- und Gewerbefreiheit jedes auf privatrechtlichen Erwägungen gegründete Eingreifen der Verwaltungsbehörden in die Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner unzulässig ist. Dies muß auch gelten für den Verkehr der Rabatmarkengesellschaft mit den ihr durch privatrechtlichen Vertrag verbundenen Ladeninhabern. Übrigens gewinnt man aus der Diskussion des zürcherischen Gewerbeverbandes den Eindruck, nicht die Gefahr, die Rabattmarkengesellschaft werde ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, sondern die andere, sie werde die kleinern Gewerbetreibenden überflügeln, habe die Opposition wachgerufen. Die Regierung des Kantons Bern weist nun allerdings auf ausländische Beispiele finanziell ruinierter Rabattmarkengesellschaften hin ; selbst wenn man aber die Richtigkeit dieser Behauptung ohne weiteres annehmen könnte, würde dies dem Beschlüsse der bernischen Regierung nur für den Fall als Grundage dienen, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden wären, daß das Rabattmarkensystem als solches notwendigerweise den finanziellen Zusammenbrach eines bestimmten Geschäftes herbeiführen müsse. Diesen Nachweis ist der Regierungsrat des Kantons Bern schuldig geblieben.

Ebensowenig vermögen die ändern Behauptungen des Regierungsrates sein Verbot zu rechtfertigen : es sei nämlich keinerlei Sicherheit dafür gegeben, ,,weder, daß die Händler den scheinbar gewährten Rabatt nicht wieder auf die Waren schlagen, noch daß die von der Gesellschaft aus ihrem Magazin gelieferten Waren preiswürdig und gut beschaffen sind, noch daß überhaupt die Marken jederzeit zur gehörigen Einlösung gelangen"1'. Hier stehen an Stelle der Beweise Vermutungen. Wenn aber der Regierungsrat das Verbot damit begründet, die von der Rabattmarkengesellschaft gelieferten Waren seien nicht preiswürdig, so verletzt er damit die Gewerbefreiheit. Die Praxis des Bundesrates nimmt an, daß eine amtliche Festsetzung der Preise für Brod und Mehl, also für u n e n t b e h r l i c h e Nahrungsmittel, in Widerspruch mit Art. 31 der Bundesverfassung
steht (Salis, Bundesrecht, Nr. 597) ; um so mehr muß ein Eingreifen des Staates in die Bestimmung der Warenpreise als unzulässig gelten, wenn es sich um Gegenstände handelt, die nicht zu jener Kategorie gehören.

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Aus dem Beschluß des bernischen Regierungsrates vom 16. November 1901 bleiben als rechtlich relevant allein die Vorwürfe übrig, die sich gegen das Rabattmarkensystem als solches und zwar in der besondern Form richten, wie es von der Rabattmarkengesellschaft vertreten wird. Der Regierungsrat des Kantons Bern behauptet, dieses System enthalte eine Gefahr für das Gemeinwohl: er sei befugt, das Verbot zu erlassen, da § 11 des bernischen Gesetzes vom 7. November 1849 ihm die Möglichkeit gebe, gegen Gewerbebetriebe einzuschreiten, ,,wo das Gemeinwohl besondere Sicherheit erfordert". Der Regierungsrat hat diese Stelle des Gesetzes in seinem Beschlüsse durch den Zusatz erweitert, ,,wenn die Einrichtung der betreffenden Unternehmung so beschaffen ist, daß ihr Betrieb erhebliche Nachteile für das Publikum herbeizuführen droht11. Dieser Satz steht nicht im Gesetz; sofern er mehr enthalten soll, als eine Umschreibung des Gesetzestextes, kommt ihm keine rechtliche Bedeutung zu.

Das Gemeinwohl scheint nun dem Regierungsrat des Kantons Bern durch folgende Besonderheiten in dem Geschäftsbetrieb der Rabattmarkengesellschaft bedroht zu sein : 1. Durch die Art, wie die Rabattmarkengesellschaft ihren Gewinn erzielt und die Kunden anlockt. Die Gesellschaft erhalte von den Abnehmern der Rabattmarken (den Inhabern der Verkaufsläden) eine Vergütung in bar für jede von diesen ausgegebene Rabattmarke, während die Gesellschaft selbst erst bei Vorweisung von 1250 Stück Marken zu einer Leistung verpflichtet sei. Sie spekuliere somit darauf, daß viele Marken verloren gehen oder aus einem ändern Grunde nicht eingelöst würden, oder daß wenig bemittelte Leute ,,nur selten in den Fall kommen, bis auf 250 Franken Waren bei den betreffenden Geschäften zu kaufen (und dadurch 1250 Stück Rabattmarken zu erwerben), und also schließlich um den Betrag des entsprechenden Rabattes in Verlust geraten-". In diesen. Momenten sieht der Regierungsrat ein unreelles Geschäftsgebahren. Er hat überdies noch auf ,,andere unlautere Geschäftskniffe" hingewiesen, aus denen die Rabattmarkengesellschaft Gewinn ziehen soll ; da er diese aber nicht näher bezeichnet, so können dieselben bei einer juristischen Erörterung nicht mit berücksichtigt werden.

2. Die Gefahrdung des Gemeinwohls erblickt der Regierungsrat ferner darin, daß ,,das Publikum vielfach zur Erwerbung von Waren verleitet wird, die es eigentlich gar nicht nötig hat und die es nur darum bezieht, um für seine Rabattbeträge, die

875 man ihm eigentlich, in bar vergüten sollte, doch etwas zu haben".

3. Endlich macht der Regierungsrat geltend, die Rabattmarkengesellschaft stelle sich dar ,,als ein ganz überflüssiges, schmarotzerisches Gebilde, welches sich zwischen Händler und Konsument hineindrängt, und das mit seinen Funktionen selbst im günstigsten Falle niemandem nützt, als, solange es gehen mag, der Rabattmarkengesellschaft selbst, in ungünstigen Fällen aber vielfach für das gesamte beteiligte Publikum höchst schädlich wirken kann".

Die Handels- und Gewerbefreiheit, wie sie die Bundesverfassung von 1874, Art. 31, einführte, hat dem System der freien Konkurrenz rechtlichen Ausdruck verliehen. Die Bundesverfassung selbst hat diese Regel aber durch eine Reihe von Ausnahmen durchbrochen. Zu ihnen gehören ,,Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben"1. Danach ist es den Kantonen gestattet, z. B. für den Betrieb gewisser Gewerbe {Börsenagenten, Trödler, Pfandleiher u. s. w.) den Besitz der bürgerlichen Ehrenfähigkeit, die Erlegung einer Kaution, den Nachweis der Befähigung u. s. w. zu verlangen ; ebenso ist es ihnen erlaubt, gewissen Gewerbetreibenden aus Gründen der Sanitätspolizei und der öffentlichen Sicherheit Schranken aufzuerlegen.

Darf sich, abgesehen von diesen Rücksichten, ein Kanton in den Güterumlauf zwischen Händler und Kunden einmischen, um die vermögensrechtlichen Interessen des einen Teiles, des Käufers, zu schützen?

Der Bundesrat hat in den Jahren, die der Bundesverfassung von 1874 folgten, richtig und konsequent ein solches Eingreifen des Staates als mit Art. 31 unvereinbar erklärt. Er ging von der Ansicht aus, daß der Gewerbetreibende und seine Kunden sich auf dem Boden des Privatrechtes gleichberechtigt gegenüberstünden, somit sei es ihrer eigenen Einsicht überlassen, dafür zu sorgen, daß jeder von ihnen auf seine Rechnung komme.

Allein seither hat die Bundesversammlung durch ihre Rekurspraxis Schritt für Schritt die Handels- und Gewerbefreiheit über das Maß der in Art. 31 aufgestellten ,,Vorbehalte" hinaus eingeschränkt, und der Bundesrat ist ihr hierin nachgefolgt. Im Hinblick auf diese Vorbehalte erachteten die Bundesbehörden es für zuläßig, daß von den Kantonen für das Kutschergewerbe, daß für die Stellenvermittlung für Dienstboten Maximaltaxen

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aufgestellt wurden. Der Bundesrat erklärte, die Aufstellung von Tarifsätzen mache die Ausübung des Stellenvermittlungsgewerbcs nicht unmöglich ; sie enthalte eine nach der Bundesverfassung zulässige Verfügung über die Ausübung von Handel und Gewerbe, weil sie lediglich dazu bestimmt sei, die armem Klassen vor wucherischer Ausbeutung zu schützen.

Die Bundesbehörden sind aber noch einen Schritt weiter gegangen ; sie haben angenommen, es stehe den Kantonen auch zu, bestimmte Arten von Gewerbebetrieben gänzlich zu verbieten, auch wenn diese nicht unter den ,, Vorbehalten " des Art. 31 der Bundesverfassung aufgezählt seien. Vergleiche das Verbot ,,meuchlerische Waffen"1 zu tragen, eine Dynamitfabrik zu errichten, das den Kantonen zugesprochene Recht, ein allgemeines Verbot gegen Lotterien auszusprechen (Salis, Bundesrecht II, Nrn. 560, 555, und IV, Nrn. 1406--1412).

Aus der neuern Zeit sind folgende Entscheidungen unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen : Im Jahre 1890 schützte der Bundesrat das von der freiburgischen Regierung erlassene Vorkaufsverbot, indem er es mit den folgenden Worten begründete: ,,Je nach dem Charakter des Marktes und der Waren, die auf demselben zum Kaufe angeboten werden, ist der Vorkauf, d. h. der massenhafte Ankauf von Waren, zum Zwecke des Wiederverkaufs derselben, nichts anderes als die Ausbeutung der Handelsfreiheit durch Wenige zum Schaden der Mehrheit"1. Die Kommission des Ständerates spendete bei Prüfung des Geschäftsberichtes des Bundesrates für das Jahr 1890 dem Bundesrat Lob; sie sagte; ,,Vorkauf ist die w u c h e r l i c h e A u s b e u t u n g des Mittelstandes und der ärmern Klassen und die tatsächliche Vernichtung der Verkehrsfreiheit (Salis II, Nr. 548).

Der Staatsrat des Kantons Waadt untersagte im Jahre 1897,.

gestützt auf das kantonale Lotterieverbot, der Genossenschaft ,,Crédit à l'Epargne" in Lyon den Geschäftsbetrieb für den Kanton. Die Genossenschaft rekurrierte an den Bundesrat, und dieser stellte fest, daß die Operationen des ,,Crédit à l'Epargne" nicht den Charakter einer Lotterie trügen, und daß daher der Staatsrat nicht befugt gewesen sei, das Lotterieverbot zur Anwendung zu bringen. Allein trotzdem wies der Bundesrat den Rekurs des ,,Crédit à l'Epargne" ab ; er sprach die Ansicht aus, ,,das Verbot des Gewerbebetriebes rechtfertige sich, weil ,,der ,,Crédit à l'Epargne" für das Publikum eine sehr unvorteilhafte

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Kapitalanlage bietet und weil er infolge der besondern Art der von ihm ausgegebenen Titel, sowie nach den Mitteln, die zur Heranziehung des Publikums angewendet werden, vom wirtschaftlichen Standpunkte aus eine eigentliche G e f a h r f ü r d i e j e n i g e n B e v ö l k e r u n g s k l a s s e n bildet, w e l c h e n i c h t in der Lage sind, sich von dem w i r k l i c h e n W e r t e d e r a r t i g e r W e r t p a p i e r e ein richtiges Bild zu machen 11 .

(Bundesbl. 1897, IV, 551).

Die wirtschaftliche Gefahr bestand in diesem Fall in folgenden Momenten : Der ,,Crédit à l'Epargne11 forderte das Publikum zu Einzahlungen auf. Gegen eine einmalige Einlage von z. B. Fr. 70 oder gegen 75 monatliche Einzahlungen von je Fr. l erhielt die einzahlende Person einen in einem spätem Termin fälligen Anspruch auf Rückzahlung von Fr. 500. Nun bedurfte es aber einer relativ verwickelten Rechnung, damit aus dem Amortisations- und Verzinsungsplan festgestellt werden konnte, wann dieser Termin der Rückzahlung herankomme und zu welchem Zinsfuß bis dorthin die einbezahlten Beträge verzinst würden. Eine genaue Rechnung ergab, daß 76 °/o der Einzahlungen nahezu ein Jahrhundert auf Rückzahlung warten müssten und während dieser Zeit nur zu 2 °/o in Zinsberechnung gestellt waren. Da der größte Teil des Publikums, an das sich der ,,Crédit à l'Epargne" richtete, nicht Geschäftskenntnis genug besaß, eine so verwickelte finanzielle Operation überblicken zu können, so hielt der Bundesrat dafür, es werde Irrtum und Unkenntnis des Publikums widerrechtlich ausgebeutet.

Von ähnlichen Erwägungen ging der Bundesrat aus, als er am 19. Juni 1900 das Verbot schützte, das die Regierungen von Bern und Genf gegen das ,,Schneeballen"--, ,,Hydratt- oder ,,GellaaSystem gerichtet hatten (Bundesbl. 1900, III, 465, 479). Das ,,Schneeballena-System kann von jedem beliebigen Geschäftshaus zur Anwendung gebracht werden. Es besteht in folgendem : Das Geschäftshaus verspricht einem Kunden Waren im Betrage von z. B. Fr. 30 zu liefern, wenn der Kunde bei ihm statt Barzahlung zu leisten einen Gutschein mit 5 Coupons im Gesamtwert von Fr. 6 löse und dann dafür besorgt sei, jeden dieser 5 Coupons wieder an eine Person zu je Fr. l abzusetzen. Der Kunde hat alsdann nur die Pflicht, dem Geschäftshaus die Adressen aller 5 Personen zu übermitteln,
denen er die Coupons verkauft hat; den Erlös aus dem Verkaufe (Fr. 5) behält er für sich.

Das Geschäftshaus schickt darauf jedem dieser 5 Personen einen Gutschein mit je 5 Coupons zu und wenn jede dieser 5 Per-

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sonen hierfür die Nachnahme von Fr. 5 einlöst, hat der erste Verkäufer der Coupons gegen das Geschäftshaus den Anspruch auf Lieferung von Waren im Wert von Fr. 30. Dieselbe Operation wiederholt sich bei den Abnehmern der 5 Coupons ; auch diese dürfen auf die versprochenen Waren im Wert von Fr. 30 nur zählen, falls sie ihrerseits dem Geschäftshause 5 neue Kunden, die Gutscheine erwerben, definitiv zugeführt haben. ,,In kurzer Zeit wird aber jeder der überhaupt kauffähig ist, im Besitze eines Coupons sein,a so sagt der Bundesrat in seinem Entscheide im Bundesblatt 1900, III, 476, ,,die letzten Käufer von Gutscheinen aber, und sie sind */s aller Käufer überhaupt, werden ihre Coupons nicht mehr verkaufen können. Damit werden sie nicht nur um Fr. l, sondern um die Fr. 6 gebracht, die sie für den Coupon und den Gutschein ausgelegt haben. Und der Käufer «ines Gutscheins weiß nicht und kann nicht wissen, daß die Vertragsbedingung für ihn eine objektiv unerfüllbare ist, weil der Augenblick, wo alle Leute mit Gutscheinen versehen sind, ihm unbekannt ist. Die P r e l l e r e i ist also darin zu erblicken, daß unter der Vorspiegelung der Möglichkeit, durch Bezahlung von Fr. l Waren im Werte von Fr. 30 zu erwerben, Leute zur Eingehung eines Vertrages und zur Bezahlung von Fr. 6 verleitet werden, von welchen notwendigerweise ein Teil, nämlich */5 aller Käufer von Gutscheinen, das angelegte Geld verliert, weil die Vertragsbediugung für sie zu einer unmöglichen wird."

In allen diesen Entscheidungen tritt uns der Grundsatz entgegen, die Bundesverfassung habe unter keinen Umständen Unredlichkeit in Handel und Verkehr schützen wollen, deshalb seien von der Gewährleistung des Art. 31 alle auf Unsittlichkeit und Unredlichkeit aufgebauten Gewerbebetriebe stillschweigend ausgeschlossen. Nur durch den Hinweis auf einen solchen stillschweigenden ,,Vorbehalt10 lassen sich die angeführten Entscheidungen der Bundesbehörden juristisch begründen. Daß die Praxis des Bundesrates in der Tat einen solchen stillschweigenden ,,Vorbehalt"' zu Hülfe zieht, beweisen die angeführten Rekursentscheide; danach soll das Publikum vor wucherischer Ausbeutung, vor Übervorteilung, vor Prellerei geschützt werden.

Aus diesen Erörterungen folgt, daß der gegen die Rabattmarkengesellschaft ergangene Beschluß des bernischen Regierungsrates vom
16. November 1901 nur dann rechtlich zulässig ist, wenn die Rabattmarkengesellschaft ihre Geschäfte mit unredlichen oder unsittlichen Mitteln betreibt, und dadurch das Ge-

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l

879 meinwohl gefährdet. Es ist zu untersuchen, ob das Verbot des bernischen Regierungsrates sich in dieser Hinsicht rechtfertigen läßt.

1. Liegt in der Art, wie die Rabattmarkengesellschaft ihren Gewinn erzielt, und die Kunden anlockt, eine Unredlichkeit?

Macht sich die Rabattmarkengesellschaft der Prellerei schuldig oder nutzt sie die Unkenntnis des Publikums in verwickelten finanziellen Operationen zu dessen Übervorteilung aus?

Der Beschluß des Regierungsrates legt großes Gewicht darauf, die Rabattmarkengesellschaft spekuliere darauf, ein großer Teil der Rabattmarken werde in den Händen der Kunden verloren gehen. Dem gegenüber muß betont werden, daß die Rabattmarkengesellschaft dieser Gefahr, so viel an ihr liegt, vorzubeugen sucht, durch die unentgeltliche Abgabe von Sammelbüchern, in welche die Marken eingeklebt werden können. Verliert der Kunde trotzdem Rabattmarken, so fällt das seiner Unachtsamkeit zur Last, und dafür darf die Rabattmarkengesellschaft nicht verantwortlich gemacht werden. Aber auch darin liegt keine Unredlichkeit, daß der Kunde (der Sammler von Rabattmarken) erst dann einen Gegenstand im Magazin der Rabattmarkengesellschaft zu beziehen befugt ist, wenn er 1250 Stück Rabattmarken vorzuweisen vermag. Denn jeder Geschäftsinhaber gewährt erfahrungsgemäß Rabatt erst, wenn ein Kunde, für einen erheblichen Betrag Waren eingekauft hat. Die Gewährung von Rabatt ist eine freiwillige, vom Rechte nicht geforderte Leistung. Statt daß die Inhaber der Verkaufsläden, die mit der Rabattmarkengesellschaft in einem Vertra°;sverhältnis stehen,i ihren Kunden den Rao batt direkt zukommen lassen, verweisen sie dieselben auf eine Centralstelle, die Rabattmarkengesellschaft. Diese Gesellschaft darf somit bei der Feststellung des Rabattes die nämlichen geschäftlichen Grundsätze befolgen, nach denen sich auch die Inhaber der Verkaufsläden bei Gewährung von Rabatt richten.

Dagegen, daß erst auf einen Betrag von Fr. 250 Rabatt gewährt wird, ist keinerlei rechtliche Einwendung möglich.

Es bleibt somit als das einzige Bedenken übrig die Behauptung des bernischen Regierungsrates, die Bedingung, unter der die Rabattmarkengesellschaft sich verpflichte, an Stelle des Rabatts in Bargeld einen Gegenstand aus ihrem Magazin zu liefern, sei nicht oder nur schwer erfüllbar ; weniger bemittelte Leute, so sagt
der Regierungsrat, werden nur selten in den Fall kommen, Waren im Werte von Fr. 250 zu erwerben und damit den Anspruch auf ein Objekt aus dem Magazin der Rabattmarken-

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gesellschaft erheben zu können. Vielleicht haben bei dieser Begründung dem Regierungsrat die Rekursentscheidung des Bundesrats in Sachen des ,,Crédit à l'Epargne" und des sogenannten Schneeballen-Systems vorgeschwebt. Allein bei der Rabattmarkengesellschaft liegen die Dinge ganz anders. Zwar erwecken die Motive des angefochtenen Beschlusses vom 16. November 1901 den Glauben, der Kunde sei verpflichtet, seine 1250 Rabattmarken aus ein und demselben Verkaufsladen zu beziehen, also dort allein für Fr. 250 Waren zu erwerben. Diese Annahme beruht auf Irrtum. Für die Rabattmarkengesellschaft ist es gleichgültig, wer dem Kunden die Rabattmarken gegeben hat. Er kann sie sich infolgedessen in all den verschiedenen Verkaufsläden erwerben, an die die Rabattmarkengesellschaft ihre Marken abzugeben verpflichtet ist. Der Kreis dieser Verkaufsläden ist groß, er umfaßt alle möglichen Zweige (Lebensmittel, Kleidungsstücke u. s. w.). Das Bestreben der Rabattmarkengesellschaft ist darauf gerichtet, mit möglichst vielen Ladeninhabern Verträge abzuschließen. Dazu kommt, daß jede ausgegebene Marke zeitlich unbeschränkte Gültigkeit behält. Aus allen diesen Gründen ist es auch weniger bemittelten Leuten möglich, in absehbarer Zeit die erforderliche Zahl Rabattmarken zu sammeln und sich damit einen Gegenstand im Magazin der Rabattmarkengesellschaft zu erwerben. Die Erwägungen, die für den Bundesrat bei der Entscheidung der Rekurse in Sachen des ,,Crédit à l'Epargne"1 und des Schneeballen-Systems den Ausschlag gegeben haben, treffen im vorliegenden Falle nicht zu. Es fehlt jeder Nachweis dafür, daß die Rabattmarkengesellsahaft ihre Geschäfte mit unredlichen Mitteln betreibt und die Geschäftsunkenntnis für ihre Zwecke ausbeutet.

2. Durfte der Regierungsrat den Geschäftsbetrieb der Rabattmarkengesellschaft verbieten, um das Publikum zu verhindern, unnötig Geld auszugeben?

Wollte man die Frage bejahen, so würde man dem Regierungsrat die Befugnis zusprechen, sich in die Privatangelegenheiten der Bürger einzumischen. Daß dies unzulässig ist, braucht nicht näher nachgewiesen zu werden. Besäße der Regierungsrat.

dieses Recht, so hätte er es damit in der Hand, den Kreis der Gegenstände zu bestimmen, die jeder Bürger nach Maßgabe seiner finanziellen Kräfte nötig hat, und es würde zur Vernichtung der Gewerbefreiheit führen, wenn einem Bürger die Ausübung seines Gewerbes verboten werden dürfte, nur damit das Publikum verhindert wäre, bei ihm Waren zu kaufen, ,,die es eigentlich gar

881 nicht nötig hat a . Sobald ein Gewerbe und die Art seiner Ausübung erlaubt sind, hat seit der Einführung der Bundesverfassung von 1874 kein Kanton mehr das Recht, dagegen Einsprache zu erheben.

3. War der Regierungsrat des Kantons Bern befugt, den Geschäftsbetrieb der Rabattmarkengesellschaft zu verbieten, weil er ihn als wirtschaftlich überflüssig (,,schmarotzerisch") betrachtet ?

Die Handels- und Gewerbefreiheit stellt sich in erster Linie dar als eine Reaktion gegen jeden Versuch einer staatlichen Reglementierung der Gewerbe. Nicht mehr der Staat, sondern die freie Konkurrenz soll darüber entscheiden, ob eine bestimmte Form des Gewerbebetriebes den Bedürfnissen des Verkehrs entspricht. Gegen diesen Satz verstößt der angefochtene Beschluß des Regierungsrates.

III.

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;

Zur Vernehmlassung auf die Beschwerde eingeladen, beantragte der Regierungsrat des Kantons Bern mit Zuschrift vorn 18./21. Februar 1902 die Abweisung.

A. Unter Hinweis auf ein Gutachten der bernischen Handels- und Gewerbekammer vom 13. Februar 1902, sowie der Erhebungen derselben bezüglich von Verboten, die in ändern Ländern gegen die Rabattmarkengesellschaft erlassen worden seien, führt er zur Rechtfertigung seiner Schlußnahme vom 16. November 1901 folgendes aus: Die Rekurrentin muß ausdrücklich zugestehen, daß die Gesellschaft so eingerichtet ist, um an der Nichteinlösung ihrer Marken Profit zu machen; andere wichtige Momente, z. B. die Tatsache des Verbotes ihres Betriebes in ändern Ländern, übergeht der Rekurs mit Stillschweigen. Das Unlautere und Unreelle des Geschäftsbetriebes der Rekurrentin besteht hauptsächlich darin, daß ihrem Erwerb keine reelle Gegenleistung entspricht, und daß sie zugleich das Publikum über die wahre Natur ihrer Operationen täuscht. Ein Rabatt im wahren Sinne des Wortes müßte in bar vergütet, oder es müßte doch wenigstens dem Publikum die Wahl zwischen Barzahlung und Leistung in natura gelassen werden. Statt dessen zieht die Gesellschaft den Wert des Rabatts in bar von den Detaillisten ein und gibt dem Publikum nichts dafür als ein Lieferungsversprechen in Gestalt einer Anweisung auf ein Magazin, wo das Publikum viel-

882 leicht gar nichts seinen Wünschen Entsprechendes findet, sondern, wenn es überhaupt etwas für seinen Rabatt haben will, Gefahr läuft, sich beliebige Ausschußware aufdrängen lassen zu müssen. Ohne weder mit dem Publikum noch mit den Detaillisten in irgend welcher natürlichen Geschäftsverbindung zu stehen, drängt sich die Rabattmarkengesellschaft zwischen beide ein, und schöpft unberechtigterweise den Rahm von der Milch.

Dies ist Erwerb ohne Gegenleistung, oder derb aber wahr ausgedrückt, kollektiv organisierte, mit einem Mäntelchen der Gemeinnützigkeit behängte Schmarotzerei. Die Theorie des Rekurses, daß die Behörde alle Erwerbstätigkeiten, die nicht geradezu mit dem Kriminalgesetzbuch in Konflikt kommen, gewähren lassen müsse, ist langst überlebt; Art. 31, lit. e der Bundesverfassung ermächtigt die Kantone, nicht nur richterlich, sondern auch wohlf'ahrtspolizeilich, d. h. unter umständen auch mit den zur Beförderung der Staatswohlfahrt dienlichen Verboten gegen unmoralische und das Gemeinwohl schädigende Gewerbe einzuschreiten.

Auch die kantonalerseits erforderliche Gesetzesvorschrift für solches Einschreiten (§ 11 des Gewerbegesetzes vom 7. November 1849) ist vorhanden und im Entscheide vom 16. November 1901 zwar nicht ganz buchstäblich, aber doch dem Sinne nach richtig zitiert worden. Allerdings figuriert der Gewerbebetrieb der Rekurrentin nicht in dem durch § 12 des Gesetzes aufgestellten Verzeichnis der Gewerbe, welche einer polizeilichen Genehmigung bedürfen, aus dem einfachen Grunde nämlich, weil er als eine hochmoderne Erfindung zur Zeit des Erlasses des Gesetzes noch nicht bekannt war. Dafür ist aber eben dieses Verzeichnis, wie das im ersten Absatz des § 12 vorausgeschickte "Wort ,,namentlich"' beweist, kein erschöpfendes, und es tritt hier ergänzend der allgemeine § 11 des Gesetzes ein, der die Behörde überhaupt ermächtigt, Gewerbebetriebe, welche die Erreichungpolizeilicher Zwecke gefährden können, oder wo das Gemeinwohl besondere Sicherheit erheischt, zu verbieten. (Denn daß, wer genehmigen darf, auch nicht genehmigen, mithin verbieten kann, läßt sich vernünftigerweise nicht bestreiten.) Zugegeben ist, daß die Tätigkeit der Rabattmarkengesellschaften nicht auf so grober Täuschung des Publikums beruht, wie das sogenannte Hydrasystem ; aber unreell und gemeinschädlich ist sie, wie auch andere Staaten bereits eingesehen haben, in nicht viel geringerem

883:

Dazu kommt als weiteres Charakteristikum der schwindelhaften Natur der Rabattmarkengesellschaften der unsolide Charakter ihrer Organisation, oder mit ändern Worten der Mangel an jeder gehörigen Deckung für die Ansprüche der mit den Gesellschaften verkehrenden Detaillisten und Konsumenten, verbunden mit dem Mangel an jeder gegenseitigen Kontrolle im Schöße der Gesellschaft selbst, wie sie doch sonst bei allen soliden Konsum- uad Sparvereinen vorhanden ist.

B. Das Gutachten der kantonalen bernischen Handels- und Gewerbekammer vom 13. Februar 1902 kann dahin resümiert werden : In tatsächlicher Beziehung ist festzustellen, daß Funktion, Bedeutung und Verbreitung des Geschäftsbetriebes der Rabattmarkengesellschaft sowohl in der Rekursschrift der Rekurrentin als auch vom Verfasser des staatsrechtlichen Gutachtens unrichtig dargestellt worden ist. Die genossenschaftliche und die privatwirtschaftliche Rabattgewährung werden einander als gleichberechtigte Parallelerscheinungen gegenübergestellt, welche der Staat in offenem Wettstreit um die Palme streiten lassen soll ; beide Systeme seien an sich vernünftig und lebensfähig, weshalb auch beide gleichzeitig auf den Plan getreten seien; auch seidie schweizerische Rabattmarkengesellschaft mit 80 ähnlichen Gesellschaften in Deutschland und Belgien affiliiert. Die Rekursschrift will mit diesen Behauptungen den Anschein erwecken, als handle es sich bei der Rabattmarkengesellschaft um ein wirtschaftlich anerkanntes Gebilde. Es sind dies aber Behauptungen und Voraussetzungen, zu denen jeder Beleg fehlt.

a. Bezüglich der Rabatt-Sparvereine ist folgendes zu sagen :.

In Deutschland hatte bis zum vorigen Jahr nur dasjenige System der Rabattorganisation Eingang gefunden, wonach Vereine, beziehungsweise Genossenschaften, aber auch Einzelfirmen, ihren Vereinsangehörigen, beziehungsweise ihren Kunden, am Ende des Jahres einen vereinbarten Rabatt ausbezahlen und zwar meist in bar, seltener, nach Wahl, in Waren. Nachdem einige auf genossenschaftlicher Grundlage organisierte Sparvereine in Berlin zusammengebrochen waren, wurden alsbald Rufe nach gesetzgeberischem Eingreifen laut. Dies veranlaßte die Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin zu einer Rundfrage bei den Handelsund Gewerbekammern Deutschlands über die Verbreitung und Verwaltung der Rabatt-Sparvereine, um daraus zu erfahren, ob-

884

es sich um eine weitverbreitete Geschäftsform und um allgemein empfundene Mißstände handle. Aus den von Nord-, Mittel- und Süddeutschland eingegangenen Antworten haben sich als allgemeine Übelstände bei allen Sparvereinen herausgestellt, daß die Kaufleute bei Waren, die keine Preismilderung ertragen, zu minderwertiger Ware oder zu geringerem Gewicht griffen, um sich für den gewährten Rabatt schadlos zu halten, und anderseits, daß die leitenden Vorstände im Verhältnis zu den rasch anwachsenden Umsätzen zu wenig kontrolliert seien.

b. Bezüglich der Rabattmarkenkompagnien.

Die Rabattmarkenkompagnien, die in den letzten Jahren nach amerikanischem Vorbild da und dort ins Geschäft zu kommen suchten, sind von den vorgenannten Rabattgeschäften und Rabatt-Sparvereinen grundverschieden; sie haben mit denselben nichts gemein als das in den beiden Titeln vorkommende Wort ,,Rabatt". Die Rabattmarkenkompagnien, welche Warenhäuser und bankartige Institute zugleich sein sollen, suchen einmal im Gegensatz zu den Rabattmarken der vorbehandelten Geschäftsarten eine neue Art Rabattmarke zu schaffen, welcher weiterer Verkehrswert zukommen soll. Diese Marke beruht nicht mehr auf einem Vertragsverhältnis zwischen Händler und Konsument, sondern erhält allgemeinen Verkehrs- und Tauschwert, welcher von Drittstellen dann eingelöst wird, wenn eine bestimmte Anzahl Marken präsentiert werden kann. Ganz parallel zu dem Hydra-Couponschwindel werden die einmaligen Abnehmer in ein Vertragsverhältnis einbezogen, welches sie zur Zahlung von vollen zweihundert und fünfzig Franken nötigt, und zwar bei ganz bestimmten Geschäften. Ist diese Leistung erfüllt, so müssen sie an Stelle des Rabattes in bar oder in benötigten Waren vorliebnehmen mit Waren, welche ihnen im Warenhause der Gesellschaft zum sogenannten Rabattwert von Fr. 12. 50 offeriert werden.

Auf welcher Garantie beruht das in den allgemeinen Verkehr geworfene neue Tauschmittel?

Rekurrentin führt unter ihren Beilagen selber an, die Basler Konsumgesellschaft habe innert den ersten 10 Monaten des BeO triebs zwei Millionen umgesetzt. Danach läßt sich ermessen, auf welch immense Umsatzziffern die schweizerische Rabattmarkengesellschaft bei unbehinderter Geschäftsaufnahme in allen größern Städten der Schweiz rasch zu kommen hofft. Sie läßt sich die Rabattsummen allwöchentlich von den mit ihr paktie-

885 renden Händlern vorausbezahlen, mit der Aussicht, erst in viel späterer Zeit ihrerseits an den Konsumenten aus der ihr beliebenden Warenauswahl leisten zu müssen. Sie verschafft sich damit in raffinierter Spekulation ihr Betriebskapital von den Detaillisten selbst. Diese und das Publikum haben als einzige Garantie ein Aktienkapital von Fr. 25,000 nennen hören.

Diese neue Rabattmarke ist also in aller Form ein Spekulationspapier, das -- abgesehen davon, daß es so gut wie gar nicht gedeckt ist -- noch überdies zu der Beschaffung weiterer ähnlicher Papiere bis auf einen gewissen Betrag zwingt, und zwar mit dem weitern Zwang der beschränkten Auswahl; sonst ist der bereits erworbene und bezahlte Rabattanspruch null und nichtig.

Dieser garantielose Ckarakter des neuen Tauschmittels führte überall alsbald auch zu ausnahmsweisen Vorkehren im Interesse des öffentlichen Wohles. In Nordamerika, dem Ursprungsland der neuen Spekulation, erließen einzelne Staaten sofort Verbote in Spezialgesetzen. Die seit 1898 in Deutschland aufkommenden Rabattmarkengesellschaften haben es dank der Warnungen durch Handels- und Gewerbekammern und durch Behörden zu keiner Bedeutung zu bringen vermocht. Man kann dahin resümieren, daß der unreelle Charakter der neuen Rabattmarken die berufenen Instanzen überall zu öffentlichen Verwarnungen veranlaßten, in Ermangelung gesetzlicher Handhaben zum schärfern Eingreifen, oder dann zu Verboten, wo dies, wie in Amerika, durch rascher arbeitende Gesetzgebung möglich war.

In juristischer Hinsicht sind damit alle von Herrn Professor Fleiner in seinem staatsrechtlichen Gutachten geforderten Momente der Unreellität und der Ausbeutung von Publikum und Händlern durch die schweizerische Rabattmarkengesellschaft -- mittelst sozusagen ungedeckter Marken -- in einer Weise nachgewiesen, daß gerade gemäß der in den Fällen des Vorkaufes, des Couponschwindels, des Geschäftsbetriebes des Lyoner ,,Crédit à l'Epargne" befolgten bundesrätlichen Praxis amtliche Verwarnungen vor Rabattmarkengesellschaften, oder, wo die Gesetzgebung es zuläßt, auch Verbote des Geschäftsbetriebes derselben vom Bunde geschützt werden müssen. Daß das bernische Gewerbegesetz im Interesse des Gemeinwohles ein solches Verbot stützt, ist an sich nicht bestritten.

C. In einer weitern Zuschrift vom 19. März 1902 beruft sich die bernische Handels- und Gewerbekammer ferner noch auf ein Urteil des Düsseldorfer Schöffengerichtes und der Strafkammer Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. IV.

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des Landgerichtes zu Düsseldorf, das diese Gerichte anläßlich eines Verleumdungsprozesses über das Rabattmarkensystem gefällt haben.

Die wesentlichen Stellen dieses Urteils lauten: ,,Die Hauptverhandlung hat ergeben, daß die vom Angeklagten (gegen das Rabattmarkensj'stem) behaupteten Angaben, wenn auch in einem Punkte übertrieben, zum größten Teil wahr sind.

,,Der Nutzen des Käufers ist nur ein scheinbarer . . . Der Käufer bekommt allerdings auf einen spätem Rabatt eine Rabattmarke. Anspruch auf wirklichen Rabatt erlangt er aber erst, wenn er 1000 Marken zusammen hat. Der besser situierte Käufer wird daher wohl in den seltensten Fällen Zeit und Lust zum Sammeln haben. Die Geduldprobe ist eine zu harte. Es ist auf den kleinen Mann abgesehen. Wie lange dauert es aber, bis dieser für 200 Mark Waren gekauft hat? Hat er auch mit großem Eifer seine Sammlung begonnen, die Lust wird bald nachlassen und in dem allerseltensten Falle wird er es bis zu 1000 Marken bringen . . . Darin liegt aber gerade der große Nachteil für das Publikum, daß ihm für 999 Marken nichts gewährt wird. Das Markenbuch muß voll s e i n . . . . Dasselbe führte der Angeklagte in seiner Zeitung aus. Es kann somit von einer verleumderischen Beleidigung im Sinne des Strafgesetzbuches nicht die Rede sein.

,,Der Angeklagte konnte nach den Erfahrungen, welche man im allgemeinen mit der Sammelfähigkeit des Publikums macht, wohl annehmen, daß nur wenige Personen 1000 Marken zusammenbringen und somit den ihnen zukommenden Vorteil genießen können. Wenn der Angeklagte aus dieser Erwägung weiter schließt, dass das Rabattmarkensystem den Rabattnehmer zum Vorteil des Markengebers schädige, so ist dieser Schluß durchaus nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen.

,,Seine Kritik (nämlich die des .beklagten Redakteurs) ist scharf, aber objektiv und gerecht. Eine Absicht, zu beleidigen, ist an keiner Stelle nachweisbar. Selbst der Ausdruck Schwindel und Unfug, lediglich auf das Unternehmen angewandt, hat der Angeklagte nicht unberechtigt gebraucht; denn wenn, wie die Zeugen Vogelsang, Buschhausen und Witwe Faulenbach bekunden, ein Vertreter des Privatklägers in Elberfeld die Zeugen dadurch zum Beitritt zu gewinnen suchte, daß er ihnen anriet, den 5 °/oigen Nachlaß durch falsches Gewicht wettzuschlagen,

887

und ihnen schließlich drohte, zur Konkurrenz zu gehen, so darf man diese Vorgänge wohl als Schwindel und Unfug bezeichnen.

,,Betreffend die Preiswürdigkeit der Waren des Düsseldorfer Rabattmarkengeschäftes ermittelte das Gericht, daß die verabfolgten Waren allerdings nicht einen Einkaufswert von höchstens 3 Mark haben, wie der beklagte Redakteur behauptet hatte, sondern daß diese Waren, welche also einen Rabattwert von 10 Mark vorstellen sollen, von zwei Zeugen auf 4--8,50 Mark gewertet worden seien.

,,Es muß mit dem Angeklagten angenommen werden, daß das fragliche Rabattmarkensystem lediglich dem Unternehmer Nutzen, und zwar großen Nutzen bringt, während das kaufende Publikum keine Vorteile von demselben hat . . . . Der Nutzen des Käufers ist nur ein scheinbarer.

,,Es kann dahingestellt bleiben, ob das Rabattmarkensystem wirklich ein betrügliches, d. h. bewußt auf Täuschung des Publikums abzielendes ist. Es ist ein Mittel zur Reklame, soll das Publikum heranlocken, obwohl es klar und jedem Geschäftsmanne bekannt ist, daß das Publikum durchweg keine zum Sammeln von 1000 Marken ausreichende Ausdauer besitzt, und infolgedessen aller Vorteile der sofortigen Barzahlung verlustig geht, während der nach kaufmännischem Gebrauche zur Rabattgewährung Verpflichtete den Vorteil der Barzahlung und den versprochenen Rabatt für sich behält.

,,Wenn der Angeklagte ein solches im Punkte der Ehrenhaftigkeit zweifelhaftes Mittel zur Bekämpfung der Konkurrenz als Schwindel bezeichnet, so übt er eine durchaus der Sachlage entsprechende Kritik und es wäre unangebracht, einzelne Ausdrücke dieser Kritik aus dem Zusammenhang zu reißen und aus diesen eine formelle Beleidigung konstruieren zu wollen, die über den Rahmen der wahrungsberechtigten Interessen hinausginge."

IV.

In der Replik vom 24. Mai 1902 verweist die Rekurrentin, indem sie die Richtigkeit der Ausführungen der Rekursbeantwortung bestreitet und die Vorbringen der Rekursschrift in den betreffenden Punkten bestätigt und ausführt, noch auf die beigelegten Zustimmungserklärungen von 46 Detailgeschäften und von 200 Käufern in Zürich, die alle in wenigen Tagen zusammengekommen seien und die sich sämtlich in empfehlendem Sinne über das in Zürich bestehende Rabattmarkensystem aussprechen.

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Sie habe diese Erklärungen aus der Stadt Zürich deshalb gesammelt, weil die Verhältnisse des Platzes Genf von der Regierung des Kantons Bern für die Stadt Born als nicht maßgebend bezeichnet werden.

Sie verweist des fernem auf eine ihr in letzter Stunde zugekommene Mitteilung der schweizerischen Gesandtschaft in Washington, wonach durch Entscheidung des obersten Appellationshofes des Staates New-York das von diesem Staate gegen das Rabattmarkenwesen erlassene gesetzliche Verbot als verfassungswidrig erklärt worden ist; auch legt sie ein amtliches Zeugnis bei, wonach eine Trading stamps compan}r (Rabattmarkengesellschaft) im Staate Massachusetts ihre Geschäfte trotz eines Verbotes weiter betreibt.

Die Rekurrentin legt auch ein revidiertes Adressenverzeichnis der Zürcher Kaufleute, die Rabattmarken ausgeben, ins Recht, aus welchem hervorgeht, daß, trotz einiger Rücktritte, noch immer 320 Firmen Rabattmarken verabfolgen. Endlich beruft sie sich auf 4 in extenso zu den Rekursakten gelegte Gerichtsurteile, bezüglich welcher sie ausführt: . Der Verwaltungspräsident der schweizerischen Rabattmarkengesellschaft, Herr A. Wiedenbach, ist Teilhaber verschiedener gleichartiger Geschäfte in Deutschland. Die Gegenpartei produziert und kommentiert mit Wohlgefallen ein Düsseldorfer Schöffenurteil, das die von einem Journalisten an seinem Geschäftssysteme geübte Kritik für straflos erklärt und zum Teile sogar billigt.

Wir produzieren dagegen vier Urteile deutscher Gerichte, in denen dem gleichen Herrn Wiedenbach volles Recht widerfahren ist. Die Urteile verdienen ' namentlich um ihrer tatsächlichen Feststellungen willen, die mit den Behauptungen der Berner Regierung im direkten Widerspruche stehen, eingehender gewürdigt zu werden.

A.

Urteil des Amtsgerichts Hannover, vom 24, Januar 1899, in Sachen Wiedenbach contra Bettmann.

Das Urteil stellt fest, daß die Verträge Wiedenbachs mit den Detailfirmen weder gegen das Reichsgesetz zur Bekämpfung des unlautern Wettbewerbes (vom 27. Mai 1896) noch gegen die guten Sitten verstoßen.

>

889 B.

Urteil des Landgerichts Hannover, vom 9. Sai 1899, in Saclien Wiedenbach contra Bergmann.

Das Urteil konstatiert auf Grund des Gutachtens sämtlicher Sachverständiger, daß Wiedenbach zwar ,,aus Mangel an spezieller Geschäftskenntnisa einen Teil seiner Prämienwaren zu teuer eingekauft hat, daß aber die von ihm für die Waren ausgesetzten Werte durchaus angemessene sind'. Es liege einerseits ,,auf der Hand, daß ein Vorteil durch das Sparsystem dem Publikum wirklich geboten wird, da das Publikum ohne Geldauslagen in den Besitz von Artikeln von wirklichem Wert kommen kann."

Der Vorwurf des zu teuern Einkaufens, der in diesem Urteile der Firma Wiedenbach gemacht wurde, erklärt sich aus dem Umstände, daß Herr Wiedenbach damals, in den ersten Anfängen seiner Geschäftstätigkeit, in der Auswahl der Bezugsquellen selbstverständlich noch nicht die Erfahrung besaß, über die er heute verfügt. Daß dies inzwischen anders geworden ist, bezeugen die nun folgenden spätem Urteile.

C. Urteil des Landgerichts Düsseldorf, vom 16. Februar 1900ì in Sachen Wiedenbach contra Schieren.

Wir heben namentlich folgenden Passus der Erwägungen hervor : ,,Nach dem Inhalt dieser Akten . . . hat der Kläger (Wiedenbach) tatsächlich die Waren, die er in seinem Hauptgeschäft zu Hamburg und auch in seiner Filiale zu Düsseldorf geführt hat, en gros gegen" bar eingekauft. Der Preis derselben bewegt sich ohne Fracht und sonstige Spesen zwischen 6 Mark und 7,50 Mark.

Die Preise sind die niedrigsten, die überhaupt gewährt werden, die selbst große Warenexporthäuser kaum erhalten . . . . und müßte der Detail Verkaufspreis selbst großer Geschäfte in Deutschland, wenn die Frachtkosten, Diskont und sonstige Geschäftsunkosten noch berücksichtigt würden, nicht unter 12, ja bis 14 Mark betragen. "· In dieser tatsächlichen Feststellung liegt eine eklatante Rechtfertigung und Ehrenrettung des Wiedenbachschen Systems, wie man sie nicht besser wünschen kann.

··f

890 D. Urteil des Landgerichts Elberfeld, vom 2. Mars 1900, in Sachen Wiedenbacli contra Vogelsang.

Das Urteil erklärt in Übereinstimmung mit dem vorerwähnten : ,,Über die Frage, ob die in der Zentrale dos Klägers (Wiedenbach) befindlichen Waren und die von ihm an Rabattmarkensammler verabfolgten Waren einen Detailwert von annähernd 10 Mark gehabt haben, sind Sachverständige, und zwar solche der verschiedenen hier in Betracht kommenden Branchen, gehört worden. Nach dem Gesamtresultat der erstatteten Gutachten, auf welche hier Bezug genommen wird, ist obige Frage zu bejahen . . . .

,,Dazu kommt, daß alle Zeugen, die in dieser Richtung befragt worden sind, ausgesagt haben, daß sie mit den für die Marken erhaltenen Gegenständen zufrieden gewesen seien. Nicht einer hat das Gegenteil bekundet, und es sind dies gerade die Fälle, in welchen, wie der Beklagte behauptet hatte, minderwertige Sachen gegeben worden sein sollen."

Nach so klipp und klaren Feststellungen unparteiischer Behörden, die von den Zeugnissen der Zürcher und Genfer Beteiligten bestätigt werden, läßt sich die Zulage, die Rekurrentin führe nur Ramschware und täusche ihre Kunden, schwerlich mehr aufrecht erhalten. Ein wirtschaftliches Gebilde, das nur auf Täuschung und Übervorteilung abzielte, bedürfte zu seiner Beseitigung keines behördlichen Verbotes; es würde in kurzer Zeit von selbst zerfallen.

*VIn Erwiderung der in der Replik berührten Punkte duplizierte die Regierung des Kantons Bern am 6. Juli durch Einreichung eines neuen Gutachtens der bernischen Handels- und Gewerbekammer.

Das Gutachten sagt: Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die von der Rabattmarkengesellschaft ausgegebenen Marken und Markenhefte Spekulations- und Lotteriepapiere seien, neue Umlaufswerte, für welche weder Deckung noch Garantien gegeben seien. Dem ist nun beizufügen, daß die Verbindlichkeiten der Warenrabattmarkengesellschaften wie z. B. bei einer Lebens- oder Unfallversicherung außer allem Verhältnis zum Grundkapital stehen.

891 .liei dem für das Publikum ebenso riskanten Versicherungsgeschäft besteht aber eine Kontrolle, eine Konzessionspflicht, welche die Geschäftsführung einer Gesellschaft von vorneherein im einzelnen bloßgelegt wissen will. Außerdem müssen Kautionen geleistet werden. Erst auf Grund dieser Requisite wird die Ermächtigung erteilt. Der Versicherte kann sich in den Berichten des Versicherungsamtes über die von der Gesellschaft gebotenen Garantien jederzeit orientieren. Beim Warenrabattmarkengeschäft sind solche Garantien nicht vorhanden. Marken und Büchlein der Rabattmarkengesellschaft sind nicht persönlich ; sie können unbeschränkt in Umlauf gesetzt, oder, nach dem Ausdruck des Zirkulars der Gesellschaft, ,,verschenkt10 werden. Nach dieser Seite, als Zirkuîationspapiere betrachtet, stellen sich diese Marken als eine Art Privatpapiergeld dar, das auf einem ungesicherten Einlösungskredit beruht.

Der Vertrieb der Marken und Hausierbüchlein hat auch < b a u s i e r a r t i g e n Charakter: ein Warenhaus verhausiert durch das Mittel der Kleinhändler Warenmarken. Alle bei den betreffenden Kleinhändlern verkehrenden Konsumenten werden mit ·den Glückszeddeln belästigt ; sie müssen für ihre Barzahlung mit Warenanweisungsscheinen vorlieb nehmen, die einen Wert erst erhalten, wenn sie in gewisser Anzahl übernommen werden.

Wie gegenüber dem Gellasystem ist also auch gegenüber dem Vertrieb der Rabattmarken die Anrufung des bernischen Hausiergesetzes zulässig.

Der Umstand, daß weder dieses Gesetz, noch die soeben noch zu nennende bernische Spiel-, beziehungsweise Lotteriegesetzgebung in der Motivierung des Verbotes des Geschäftsbetriebes der Schweizerischen Rabattmarkengesellschaft aufgeführt werden, hat nichts auf sich ; hat doch der Bundesrat im Rekursfall ,,Crédit à l'épargne" das Verbot der Waadtländer Regierung geschützt, abgesehen von der als irrtümlich erklärten Motivierung.

Auf die Spiel- und Lotteriegesetzgebung ist zu greifen, falls der Bundesrat es für ausgeschlossen erachten würde, daß das Verbot sich schon aus Art. 11 und der kantonalen Hausiergesetzgebung rechtfertige.

In Betracht fällt zunächst das bernische Gesetz über das Spielen vom 27. Mai 1869, dessen § 2 lautet: ,,Alle nicht von kompetenter Behörde gestatteten Lotterien sind verboten." Ferner die kantonale Verordnung über die Lotterien vom 25. Januar 1872, welche in § l sagt: ,,Gänzlich verboten sind alle rein auf den Gewinn in Geld oder Geldeswert abzielenden Lotterien oder

892

Glücksspiele, wie das Zahlenlotto, Geld- oder Güterlotterien und dergleichen mehr."

Der allgemeine Begriff des Spiels, der Güterlotterie trifft auf die Schweizerische Rabattmarkengesellschaft deshalb zu, weil einmal ein zinsloser Spieleinsatz des Konsumenten vorhanden ist und weil ferner dieser Einsatz überhaupt verloren geht, ohne Entschädigungsanspruch, wenn nicht weitere Einsätze dazukommen.

Noch wesentlicher ist das Moment des Zufalls, der Chance bei der Warenauslösung -- welch große Rolle es hier spielt, haben wir schon im ersten Teile unserer Untersuchung angedeutet -- ebenso aber auch schon bei der Ansammlung der Einsatzmarken, indem je nach der Zahl der beigetretenen Detaillisten der Konsument größere oder kleinere, raschere oder erschwerte Aussicht hat, zu einer Auslösung im Rabattwarenhaus zu kommen.

Im Geschäftsbetrieb der Schweizerischen Rabattmarkengesellschaft liegt demnach ganz allgemein eine Güterlotterie, beziehungsweise ein Warenausspielgesehäft vor.

Wir machen hierzu ferner geltend, daß nach althergebrachter kantonaler Praxis unter anderm auch das Ausspielgeschäft unter den Begriff des Glückspiels fällt.

Wir halten es deshalb für ausgemacht, daß der Geschäftsbetrieb der Schweizerischen Rabattmarkengesellschaft seinem allgemeinen Charakter nach von den zitierten kantonalen Spielverboten erfaßt wird.

In finanztechnischer Hinsicht stellten wir bereits begrifflich fest, daß der beanstandete Geschäftsbetrieb sich als ein unverzinsliches Warenlotterieanleihen darstellt. Das Warenhaus realisiert das Anleihen durch das Mittel der Detaillisten bei den Konsumenten. Die Anleihensquoten sind unverzinslich und von Anfang an verloren, wenn nicht weitere Quoten geleistet werden. Die Chancen wechseln je nach Umsatz, Mitteln und Bedarf des Konsumenten, je nach der Zahl der beigetretenen Detaillisten, die für den Umsatz des Konsumenten in Frage kommen können, und je nach der Geschäftsführung, der Routine und der Größe des Warenhauses der Rabattmarkengesellschaft.

Mit ändern Worten, wir haben alle juristischen Merkmale vor uns, welche z. B. Salis, IV, N. 1411, Seite 119, für die Prämienlotterien angibt : die unbedingte Leistung des Spielers, Hingabe des Zinses seiner Einzahlung, die bedingte und nach ihrer Höhe unbestimmte Verpflichtung des Unternehmers, der Zufall

893

betreffend das Entstehen einer Verpflichtung der Rabattmarkengesellschaft und betreffend die entsprechende Leistung derselben.

Das Recht der Kantone, gewisse, beziehungsweise einzelne bestimmte Anleihenslotterien zu verbieten, ist unbestritten. Die Kantone können einzig kein absolutes Verbot des Verkaufs von Anleihenslosen aufstellen (Salis, IV, N. 1411).

Das Verbot des Geschäftsbetriebs der Schweizerischen Rabattmarkengesellschaft besteht daher auch unter diesem besondern.

Gesichtspunkt der Warenanleihenslotterie zu Recht.

Es erübrigt noch, auf einige besondere staatsrechtliche Einwände der Replik einzutreten.

Inwiefern und inwieweit in Amerika Maßnahmen beziehungsweise Verbote, welche gegen Warenrabattmarkengesellschaften erlassen würden, von den Gerichten geschützt oder nicht geschützt werden, das zu wissen, ist zur Beurteilung der amerikanischen Verhältnisse nicht uninteressant.

Von Belang aber für den vorliegenden Fall ist einzig der Umstand, beziehungsweise die Tatsache, daß ein amerikanischer Einzelstaat nach dem ändern sich genötigt sah, gegen das Warenrabattmarkensystem mit meist besondern Gesetzen einzuschreiten.

Die Handelshoheit der Union beschränkt sich auf den Handel mit fremden Nationen, zwischen den einzelnen Staaten und mit .den Indianerstämmen. Ausgenommen von dieser Handelshoheit ist derjenige Verkehr, welcher sich ganz innerhalb der Grenzen eines einzelnen Staates bewegt, also innerhalb derselben sowohl beginnt als endigt.

Wenn nun einzelne derjenigen Staaten, welche verfassungsgemäß für ihren Binnenhandel die volle Handelsfreiheit proklamiert haben, gleichwohl Verbote gegen die Rabattmarkengesellschaften erließen und dann wieder zu deren Aufhebung veranlaßt wurden, so ist letzteres deshalb für die schweizerischen Verhältnisse belanglos, weil unsere Handelsfreiheit keine schrankenlos freie ist, sondern ausdrücklich kantonale Beschränkungen vorbehält.

Die schweizerischen staatsrechtlichen Verhältnisse sind also in dieser Hinsicht ganz andere als diejenigen der Union.

Wichtig bleibt einzig das ,,Daß", die Tatsache, daß einzelne amerikanische Staaten, trotzdem ihre Verfassung nur volle Handelsfreiheit kennt, die Rabattmarkengesellschaften zu verbieten suchten, weil sie dieselben so sehr als gemeinschädlich erkannt hatten.

894 VI.

Am 1. September 1902 ist dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement durch die bernische Direktion des Innern ein an letztere gerichtetes Schreiben der bernischen Handels- und Gewerbekammer übermittelt worden, in welchem ausgeführt wird, es bestehe bezüglich der Behandlung der Rabattmarkengesellschaft bereits eine vor dem Erlaß des bernischen Regierungsrates vom 16. November 1901 aufgestellte eidgenössische Verwaltungsmaxime, wonach der Geschäftsbetrieb der Rabattmarkengesellschaft den kantonalen Lotteriegesetzgebungen unterstellt werde.

Die Direktion des eidgenössischen Versicherungsamtes nämlich habe sich schon vor dem bernischen Verbot die Frage gestellt, ob nicht die Schweizerische Rabattmarkengesellschaft von Bundes wegen zur Kautionsleistung und überhaupt zu einer den öffentlich-rechtlichen Vorschriften betreffend die Versicherungsgesellschaften entsprechenden Geschäftsführung anzuhalten sei.

Die Direktion sei aber bei ihren Erwägungen zum Ergebnis gekommen, daß hier kein Analogen zum Vorsicherungsgeschäft bestehe ; vielmehr stelle sich der Geschäftsbetrieb der Rabattmarkengesellschaft, nach seiner technischen Grundlage untersucht, durchaus als ein Prämienlotteriegeschäft dar, für welches die Kantone gemäß ihren Lotteriegesetzen allein kompetent seien.

Es habe sich die Direktion daher dahin entschieden, es sei von Bundes wegen nichts vorzukehren, da an Hand der angezogenen Gesetzgebungen allein die kantonalen Regierungen zuständig seien.

Der Direktor des eidgenössischen Versicherungsamtes antwortete mit Schreiben vom 10. September 1902 auf diesen Nachtrag, der ihm zum Bericht übergeben wurde, er habe auf eine Anfrage des Vertreters der bernischen Handels- und Gewerbekammer sich folgendermaßen geäußert: Die Schweizerische Rabattmarkengesellschaft bezahle bekanntlich den von einigen Krämern bewilligten Rabatt an Stelle derjenigen rabattgewährenden Geschäfte aus, welche sich der von der Gesellschaft ausgegebenen Rabattmarken bedienen, und zwar zahle sie die an die Gesellschaft zurückgelangenden Marken in der Weise aus, daß sie sukzessive alle Jahre eine gewisse Summe von Rabattguthaben in der Form einer Lotterie von Losen à Fr. 100 das Stück unter die Berechtigten verteile; das Charakteristische in der Rabattauszahlung sei also eine Lotterie, aber nicht eine Versicherung ;
somit seien die Kantone, nicht aber der Bund in der Lage, sich über die Zulässigkeit dieses Verfahrens zu äußern. Dies sei heute noch die persönliche Ansicht des Direktors.

895

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Der von der Rekurrentin, der Schweizerischen Rabattmarkengesellschaft, Aktiengesellschaft in Zürich, nach dem Rabattmarkensystem geführte Geschäftsbetrieb ist von der bernischen Regierung auf dem Gebiet des Kantons Bern durch Erlaß vom 16. November 1901 unter Berufung auf die §§ 11 und 95 des bernischen Gewerbegesetzes vom 7. November 1849 wegen unlautern und unreellen Geschäftsbetriebes verboten worden.

Die Rekurrentin hat innert nützlicher Frist seit der Veröffentlichung des Erlasses am 23. November 1901 die staatsrechtliche Beschwerde an den Bundesrat ergriffen.

Sie behauptet, durch den Erlaß in dem ihr durch Art. 31 der Bundesverfassung gewährleisteten Rechte der Handels- und Gewerbefreiheit verletzt zu sein. Der Bundesrat ist daher kompetent auf Grund von Art. 189 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893, wonach er, respektive die Bundesversammlung Beschwerden beurteilt, welche sich auf Art. 31 der Bundnsverfasaung betreffend die Handels- und Gewerbefreiheit beziehen.

II.

Das von der Rekurrentin betriebene Handelsgeschäft besteht darin, daß sie mit Detaillisten der verschiedensten Branchen Verträge abschließt, wodurch diese sich verpflichten, jedem ihrer Kunden, der bei einem Einkauf von wenigstens 20 Cts. bar bezahlt, auf sein Verlangen ,,Rabattmarken"1 zu verabreichen, und zwar so viele Rabattmarken, als die Einkaufssumme durch die Einheit von 20 teilbar ist; die Marken werden in einem von der Gesellschaft gratis abgegebenen Markenheft eingeklebt.

Hat ein Kunde für Fr. 250 Waren bezogen und bar bezahlt, so wird er 1250 Rabattmarken erhalten haben; diese Anzahl von Marken gibt ihm das Recht, gegen Aushändigung des vollen Markenheftes in dem Magazin der Rabattmarkengesellschaft einen Gegenstand für sich auszuwählen. Die Gesellschaft erklärt, jeder der in ihrem Magazin ausgestellten Gegenstände repräsentiere im Detailhandel einen Wert von Fr. 12. 50. Die Rabattgewährung besteht also darin, daß derjenige, der für Fr. 250 Waren bezahlt

896 hat, in Gestalt des ihm von der Gesellschaft angebotenen Gegenstandes den Gegenwert von Fr. 12. 50 zurückerhält. Dies entspräche, unter Vernachlässigung der Bruchteile unter 20 Cts., die bei der Ausgabe der Rabattmarken nicht berücksichtigt werden, einer Rabattgewährung an die K u n d e n von 5 % der Barzahlungen. Der Vorteil der die Rabattmarken führenden Det a i l l i s t e n besteht darin, daß die Kunden, um Anspruch auf die Rabattmarken erheben zu können, bei ihren Einkäufen bar bezahlen werden, sowie, daß sie eher bei solchen Kaufleuten kaufen werden, welche Rabattmarken führen; endlich auch darin, daß die Aussicht, einen Gegenstand im Magazin der Gesellschaft gegen eine bestimmte Zahl Rabattmarken zu erhalten, die Kauflust der Kunden anzufeuern vermag. Der Vorteil der R a b a t t m a r k e n g e s e l l s c h a f t endlich ergibt sich daraus, daß sie für die in ihrem Magazine ausgestellten Gegenstände von den die Rabattmarken führenden Kaufleuten Fr. 12. 50, d. h. den Wert des Gegenstandes im Detailhandel erhalten hat, während sie selbst dieselben zu Engrospreisen einkauft.

in.

Der Regierungsrat des Kantons Bern charakterisiert in der Zusammenfassung seiner Ausstellungen in der Rekursbeantwortung das Unreelle und Unlautere des Geschäftsbetriebes der Rekurrentin, um dessen willen er das Verbot erlassen, dahin : Dem Erwerbe der Rekurrentin aus ihrer Geschäftsführung entspreche keine reelle Gegenleistung, sie täusche das Publikum über die wahre Natur ihrer Operationen, wozu noch die schwindelhafte Natur und der unsolide Charakter ihrer Organisation komme, der sich im Mangel an jeder gehörigen Deckung für die Ansprüche der mit der Gesellschaft verkehrenden Detaillisten und Konsumenten äußere, verbunden mit dem Mangel an jeder gegenseitigen Kontrolle im Schöße der Gesellschaft selbst.

Auf Grund dieser Charakterisierung leitet der Regierungsrat sein Verbotsrecht aus den §§11 und 95 des bernischen Gewerbegesetzes, und, in der Duplik, aus dem bernischen Hausiergesetz vom 24. März 1878 und dem bernischen Lotteriegesetz vom 27. Mai 1869 ab.

1. Es wird von der Rekurrentin nicht bestritten, daß die Bundesverfassung nach der ihr von den obersten kompetenten Behörden gegebenen Auslegung Verfügungen der Kantone zu-

897 lasse, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit das Publikum vor Täuschung und Übervorteilung, vor Prellerei und Schwindel schützen. Sie bestreitet auch nicht, daß der Regierungsrat des Kantons Bern nach bernischem Recht zum Erlaß einer solchen Verfügung auf Grund der §§ 11 und 95 des bemischen Gewerbegesetzes kompetent sei. Der Streit beschränkt sich auf die Frage, ob sich aus den von der Regierung angeführten Tatsachen Momente öffentlich rechtlicher Natur herleiten lassen, die nach der Bundesverfassung die Einschränkung, und unter Umständen das Verbot des Geschäftsbetriebes einer Rabattmarkengesellschaft >L rechtfertigen.

e>* 2. Der Regierungsrat des Kantons Bern führt unter der allgemeinen Behauptung, die Rekurrentin täusche das Publikum über seine Operationen, insbesondere die Tatsache an, dem Publikum werde ,,für seinen Anspruch auf Rabatt11 kein Geld gegeben, sondern ,,ein bloßes Leistungsversprechen".

Dieser gegen das Rabattmarkensystem erhobene Vorwurf, der den Anschein erwecken soll, als wolle oder könne die-Rabattmarkengesellschaft ihre Versprechen überhaupt nicht erfüllen, ist aus den Akten nicht zu belegen.

Vor allem ist zu sagen, daß die Geschäftsbedingungen, welche das Publikum allein interessieren und die es verstehen muß, nach der in den Rabattbüchlein vorgedrukten Bemerkung leicht verständlich sind. Besteht doch die Leistung des Publikums einfach darin, für Barzahlungen, die 20 Cts. betragen oder durch 20 teilbar sind, Rabattmarken zu verlangen und dieselben in das Rabattbüchlein einzukleben ; die Leistung der Gesellschaft, wenn der Kunde 1250 Rabattmarken vorweisen kann, darin, ihm nach seiner Wahl einen Gegenstand aus ihrem Magazin zu überlassen.

Das Publikum weiß, daß es, um 1250 Marken zusammenbringen zu können, für Fr. 250 Waren gegen bar eingekauft haben muß; diese Umrechnung ist im Markenbüchlein vorgedruckt.

Das Publikum weiß auch, daß es mit der Barzahlung einen Rabattanspruch erhält, der nicht in Geld, sondern nur in Geldeswert erfüllt wird. Von einem ,,bloßen Leistungsversprechena, im Sinne der Regierung kann, wenn zu diesem ,,bloßen Leistungsversprechen"' die ,,tatsächliche Leistung'1 in Gegensatz gestellt werden soll, nicht die Rede sein, denn für die Annahme, daß die Rekurrentin wohl verspreche, den aus ihren Versprechen

898 folgenden Verpflichtungen aber sich zu entziehen suche, hat die bernische Regierung keinen Anhaltspunkt gegeben.

Ebensowenig kann die Rede von einem ,,Anspruch des Publikums auf Rabattgewährung", oder gar von einem Anspruch auf Rabattgewährung in Geld die Rede sein. Die Rabattgewährung beruht, mit Ausnahme der Rabattgewährung bei den Genossenschaften, bei welchen sie in den Statuten vertraglich festgelegt ist, auf dem Belieben des Rabattgewährenden, sowohl was die Höhe als was die Art der Leistung anbetrifft. Auch ist es für die Frage, ob Rabatt im geschäftlichen Sinne des Wortes gewährt werde, gleichgültig, ob der Rabatt in einem Geld- oder in einem Warencoupon gegeben wird. ,,Es liegta, wie sich das von der Rekurrentin angeführte Urteil des Landgerichtes Hannover vom 9. Mai 1899 ausdrückt, ,,auf der Hand, daß ein Vorteil durch das ,,Sparsystem"' dem Publikum wirklich angeboten wird, da das Publikum ohne Geldauslage in den Besitz von Artikeln von wirklichem Wert kommen kann.a Daß endlich, wie die [Regierung der Rabattmarkengesellschaft vorwirft, das Versprechen der Rabattgewährung das Publikum zum Einkauf veranlasse, ist wohl anzunehmen, ist dies doch gerade einer der Zwecke jeder Rabattgewährung; von einer Überlistung und Täuschung des Publikums durch dieses Geschäftsmittel aber kann im Ernste nicht gesprochen werden.

3. Ebenso fehlt die tatsächliche Unterlage für die weitern Behauptungen der Regierung, dem Erwerbe der Rekurrentin entspreche keine reelle Gegenleistung.

Was die Regierung in erster Linie unter diesem Gesichtspunkt vorbringt, ist die Behauptung, der Barzahlung leistende Kunde, welcher den Anspruch auf Rabatt erworben habe, laufe Gefahr, beliebige Ausschußware zu bekommen, oder aber, wenn er wirklich etwas dem Werte von Fr. 12. 50 Entsprechendes erhalte, sei er nicht sicher, ob er diesen Gegenstand nicht doppelt bezahlt habe, weil vielleicht schon der Detaillist den Betrag des Rabattes, d. h. 5 °/o, auf den Preis der dem Kunden verkauften Waren geschlagen habe.

Für beides ist die Regierung den Beweis schuldig geblieben.

Weder hat sie einen Augenschein der Warenlager vorgenommen oder vornehmen lassen, welche die Rekurrentin in Schweizer Städten wie Zürich und Genf besitzt, noch vermag sie einen Anhaltspunkt für die von ihr geäußerte Vermutung des Preis-

899 aufschlages durch die Detaillisten zu geben; ja es muß die Frage aufgeworfen werden, ob der Regierungsrat überhaupt das Recht hätte, wegen Nichtpreiswürdigkeit der Waren der Rekurrentin ohne weiteres den Geschäftsbetrieb zu verbieten; dies muß verneint werden.

Auf die Frage, was die Gegenleistung der Rekurrentin für die von ihr für 1250 Rabattmarken bezogenen Fr. 12. 50 sei, kann somit die Rekurrentin nach wie vor durch den Hinweis auf den Wert der Gegenstände antworten, für welche der Kunde überall im Detailhandel Fr. 12. 50 zahlen müsse. Ihr Geschäft ist ein ,,Handelsgeschäft'1 im engern, kaufmännischen Sinne des Wortes ; wie dieses beruht es darauf, aus der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis der Waren, welche die Rabattmarkengesellschaft in ihrem Magazine hält, Gewinn zu ziehen; aus diesem Gewinne muß die Gesellschaft ihre sämtlichen Geschäftsausgaben, den Druck der Rabattmarken u. s. w. decken.

Die Behauptung der Regierung, Rekurrentin habe ein ausdrückliches Geständnis abgegeben, ,,daß die Gesellschaft so eingerichtet sei, um aus der Nichteinlösung ihrer Marken Profit zu machen", ist irrtümlich.

Unter die Behauptung des Erwerbes der Rabattmarkengesellschaft ohne Gegenleistung fällt auch der weitere Vorwurf der Regierung, Rekurrentin gewähre keinen Rabatt, wenn auch nur eine Rabattmarke weniger als 1250 vom Kunden vorgewiesen werden. Da, wie bereits oben festgestellt, die Rabattgewährung auf dem freien Willen des den Rabatt Gewährenden beruht, und da dieser allein zu bestimmen hat, für welche Beträge und von welchem Betrage an er denselben gewähren will, so könnte ein Verbotsgrund aus der von der Rekurrentin festgesetzten Grenze der Rabattgewährung nur dann abgeleitet werden, wenn die Rabattmarkengesellschaft diesen Umstand zu verheimlichen und den Anschein zu erwecken suchte, daß Rabatt schon bei geringern Einkäufen gewährt werde, oder wenn diese Bedingung in betrügerischer Weise durch sie als leichter ausführbar dargestellt würde, als sie es wirklich ist, oder als erfüllbar, wenn sie in Wirklichkeit unerfüllbar wäre.

Daß dem nicht so ist, ist bezüglich des ersten Punktes bereits unter Ziffer 2 ausgeführt. Es liegt aber auch keine Täuschung bezüglich der Erfüllbarkeit der Rabattbedingung vor.

Wenn der Bundesrat das Gellàsystem durch seine Beschlüsse vom 19. Juni 1900 verboten hat, so geschah dies, weil die Er-

900

füllung der Vertragsbedingung in 4/s der Fälle unmöglich war und der Kunde dies nicht wußte noch wissen konnte. Im vorliegenden Falle liegen die Tatsachen aber anders. Es darf gesagt werden, daß jedermann sich die Frage beantworten kann, ob er in den Fall kommen wird, für seine Haushaltung je für Fr. 250 Waren zu kaufen. Irrt er sich hierin, so wird er sich für diesen Irrtum jedenfalls nicht durch die Behauptung der Täuschung durch die Rabattmarkengesellschaft zu rechtfertigen versuchen; und er wird es um so weniger, als er auch in -diesem Falle einen Verlust, wenn man in casu eine entgangene Hoffnung so nennen darf, vermeiden kann, weil nach der Erklärung der Rekurrentin nichts im Wege steht, daß die Kunden sich zur Sammlung von 1250 Rabattmarken vereinigen; dies fällt um so mehr ins Gewicht, als die Gültigkeit der Rabattmarken und der Rabattmarkenbüchlein an keine zeitliche Grenze gebunden ist.

Aus dieser Überlegung ergibt sich auch, daß die Betrachtung der Regierung, ,,die Marken gelangen vielleicht nie zur Auszahlung" nicht einmal insofern richtig ist, daß die Bruchteile der Summe von 1250 Rabattmarken verloren sind, da eben bei der Möglichkeit der Vereinigung mehrerer Kunden zur Sammlung der Rabattmarken auch die Bruchteile noch verwertet werden können.

4. Mit dem endlich, was die Regierung zuletzt als Charakteristikum der schwindelhaften Natur der Rabattmarkengesellschaft bezeichnet, hat sie vollends einer bloßen Befürchtung Ausdruck verliehen. Sie sagt : ,,So wie eine Rabattrnarkengesellschaft aufgetaucht ist, kann sie auch wieder verschwinden" und begründet dies mit dem ,,unsoliden Charakter ihrer Organisation" und dem ,,Mangel an jeder gehörigen Deckung für die Ansprüche der Detaillisten und Konsumenten". Angesichts der Tatsachen aber, ·daß die Regierung weder gegen die finanziellen Grundlagen des ·Geschäftes, noch gegen die persönlichen Leiter desselben irgend etwas vorbringt, kommt ihren Befürchtungen keine rechtliche Bedeutung zu.

Die unter diesem Gesichtspunkt ebenfalls zu prüfende Behauptung, daß die der Rabattmarkengesellschaft aus ihrem Geschäftsbetrieb erwachsenden Verbindlichkeiten ihr Aktienkapital weit überschritten, ist einmal weder aus den Akten zu belegen, .

noch wäre sie an sich etwas einem ,,Handels geschäft im kaufmännischen engern Sinne des Wortes Widersprechendes. Denn es

901 ist bei jedem Geschäft das Betriebskapital zu unterscheiden von der Höhe des Umsatzes, und der Betrag des letztern übersteigt den des erstem stets um ein Mehrfaches; aus diesem Umstände kann also einem Handelsgeschäft der Vorwurf der schwindelhaften Organisation nicht gemacht werden. Würde aber im Geschäft der Rekurrentin die Höhe des Umsatzes in einem außergewöhnlichen Verhältnis zur Höhe des Betriebskapitals stehen, so wäre erst noch zu untersuchen, aber auch dann erst, ob in diesem Geschäftsbetrieb eine Gefahr für die Öffentlichkeit ^zu erblicken sei, und wenn ja, ob dieselbe nur durch das Verbot des Geschäftsbetriebes könne abgewendet werden, oder ob der Staat nicht durch die Forderung einer Kautionsleistung oder derjenigen Garantien, welche für Versicherungsgesellschaften verlangt werden, seiner Pflicht des Schutzes des Publikums zu genügen vermöge. Diese Fragen werden selbstverständlich durch die heutige Entscheidung nicht präjudiziert.

5. Zur Begründung aller ihrer Behauptungen hat sich die bernische Regierung auf die in Deutsehland gegen das Rabattmarkensystem der Rekurrentin von Amtsstellen veröffentlichten Warnungen, und die in den Vereinigten Staaten von Nordamerika erlassenen Verbote berufen. Dieser Berufung kommt nun aber deshalb keine Bedeutung zu, ·weil die Regierung die Übereinstimmung des Geschäftsbetriebes der Rekurrentin mit dem, was im Ausland als unreell oder schwindelhaft bezeichnet worden, nicht nachgewiesen hat, ganz abgesehen davon, daß die auf gesetzlichem Wege in den Vereinigten Staaten erlassenen Verbote vom Obersten Gerichtshof in Washington zum Teil bereits aufgehoben worden sind, und daß die Urteile deutscher Gerichtshöfe, welche die Rekurrentin ins Recht gelegt hat, im Widerspruch mit den von der bernischen Handels- und Gewerbekammer vorgelegten Urteilen, die von der bernischen Regierung gegenüber der Organisation der Rabattmarkengesellschaf ten vorgebrachten Klagen als unbegründet erklären.

6. Mit der erst in der Duplik erscheinenden Berufung auf das bernische Hausiergesetz vom 24. März 1878 hat die Regierung keine ändern rechtlichen Momente zum Schütze ihres Verbotes vom 16. November 1901 vorgebracht, als sie bereits in der Begründung ihres Verbotes auf die §§11 und 95 des Gewerbegesetzes geltend gemacht.

Sie verweist auf das Hausiergesetz, weil der Bundesrat sie seiner Zeit in ihrem Verbote des Vertriebes der Gellacoupons, das Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. IV.

63

902

sie auf die Hausiergesetzgebung gründete, geschützt habe, und beim Vertrieb der Rabattmarken die gleiche Gefahr wie beim Gellasystem vorliege.

Jenes Verbot stützte sich auf § 7, lit. d, des Hausiergesetzes, wonach der Regierungsrat befugt ist, solche Hausiergewerbe, deren Betrieb in Prellerei des Publikums ausartet, gänzlich zu untersagen. Der Begriff der Prellerei ist nun aber demjenigen der Täuschung und des Schwindels kongruent. Der Beweis für das Vorliegen von Prellerei im Geschäftsbetriebe der Rekurrentin kann also aus den von der Regierung angeführten Tatsachen ebensowenig als erbracht angenommen werden wie derjenige der Täuschung und des Schwindels.

7. Was schließlich das bernische Gesetz über das Spielen vom 27. Mai 1869 anbetrifft, dessen § 2 bestimmt: ,,Alle nicht von kompetenter Behörde gestatteten Lotterien sind verboten", so ist die Anwendung dieses Gesetzes ausgeschlossen, weil beim Einlösen der Rabattmarken durch die Kunden das Hauptmoment des Spieles (Lotterie), der Zufall, fehlt.

8. Den im Nachtrag vom 1. September 1902 enthaltenen Ausführungen der bernischen Handels- und Gewerbekammer und der bernischen Regierung, es bestehe hinsichtlich der Behandlung des Geschäftsbetriebes der Rabattmarkengesellschaft eine vom Eidgenössischen Versicherungsamt aufgestellte ,,eidgenössische Verwaltungsmaximeu, gemäß welcher derselbe als Lotterie zu betrachten sei, kann nicht beigetreten werden. Der Direktor des eidgenössischen Versicherungsamts ist, wie aus seinem Schreiben vom 10. September 1902 hervorgeht, bei der von ihm geäußerten rein persönlichen Ansicht von der Voraussetzung ausgegangen -- die bei ändern Rabattmarkengesellschaften richtig sein mag -- die Rekurrentin zahle die Rabattguthaben durch Verteilung von Losen à Fr. 100 das Stück aus. Diese tatsächliche Voraussetzung trifft nun aber beim Geschäftsbetrieb der Rekurrentin, gegen welchen die Regierung des Kantons Bern ihr Verbot erlassen hat, nicht zu, und es findet sich auch in den Akten kein Anhaltspunkt für ihre Annahme. Der in casu zur Beurteilung vorliegende Geschäftsbetrieb ist, wie unter II der Erwägungen dargestellt, ein ganz anderer. Es mag beigefügt werden, daß gegenüber jener Rabattmarkengesellschaft, welche den Rabatt in der Form der Veranstaltung einer Lotterie auszahlt, die Berufung der bernischen Regierung auf ihre Lotteriegesetzgebung wohl kaum anfechtbar wäre.

903 Demnach wird e r k a n n t : Die Beschwerde wird als begründet erklärt.

Der Beschluß des Regierungsrates des Kantons Bern vom 1.6. November 1901 betreffend Verbot des Geschäftsbetriebes der sogenannten Rabattmarkengesellsehaften ist aufgehoben.

B e r n , den 31. Oktober 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

904

# S T #

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Voranschlag der schweizerischen Bundesbahnen für das Jahr 1903.

(Vom 3. November 1902.)

Tit.

In unserem Berichte betreffend die Genehmigung des Budgets der Bundesbahnen vom 12. Juni 1902 (Bundesbl. III, 821) stellten wir in Aussicht, daß das Budget in Zukunft schon im Laufe des Monats Oktober der Bundesversammlung werde vorgelegt werden können. Wir gingen dabei von der Annahme aus, daß der Verwaltungsrat fortan die im Art. 62 der Vollziehungsverordnung vom 7. November 1899 angesetzte Frist (Ende September) einhalten werde. Leider ist diese Voraussetzung diesmal noch nicht eingetroffen, da die Vorlage des Budgets seitens des Verwaltungsrates erst am 15. Oktober erfolgte. Der Bericht des Verwaltungsrates spricht sich nicht über den Grund dieser Verzögerung aus.

Wir gehen aber kaum fehl, wenn wir annehmen, dieselbe beruhe einesteils auf dem Umstand, daß die Organisation der Bundesbahnverwaltung noch nicht abgeschlossen ist, und andernteils in der Ungewißheit, welche über die Gestaltung des Bundesbahnnetzes für das Jahr 1903 herrschte, indem es eine Zeitlang schien, als würde das Netz der Jura-Simplon-Bahn schon auf den 1. Januar 1903 an den Bund übergeben, statt auf den 1. Mai.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluß über die Beschwerde der Schweizerischen Rabattmarkengesellschaft in Zürich gegen den Regierungsrat des Kantons Bern wegen Verbots des Absatzes von Rabattmarken. (Vom 31. Oktober 1902.)

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1902

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4

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45

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05.11.1902

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860-904

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10 020 292

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