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Bericht des

Bundesrates an die Kommission des Ständerates über die Rekursbeschwerde des Charles Capt in Vers-leLac gegen den Beschluß des Bundesrates vom 28. September 1900 betreffend Schutz gegen Funkenwurf.

(Vom 5. Juni 1902.)

Hochgeachteter Herr Präsident !

Hochgeachtetet Herren Ständeräte!

In dem Berichte, welchen wir am 9. Dezember vorigen Jahres in der Rekursangelegenheit Capt an die Bundesversammlung erstatteten, beschränkten wir uns darauf, die f o r m e l l e Seite zu behandeln und der Bundesversammlung zu beantragen, auf die Rekurseingabe wegen Inkompetenz nicht einzutreten.

Dabei behielten wir uns vor, falls die Bundesversammlung sich trotzdem kompetent erklären sollte, in einem weiteren Berichte die Gründe auseinanderzusetzen, aus welchen auch die m a t e r i e l l e Abweisung des Rekurses erfolgen müßte. Da Sie uns unterm 4. April abbin ersuchten, diesen Bericht jetzt schon, d. h.

bevor die Bundesversammlung sich über ihre Zuständigkeit ausgesprochen habe, abzugeben, so beehren wir uns, im nachstehenden auch die materielle Seite des Rekurses zu behandeln.

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In seiner Eingabe an den Bundesrat vom 30. November 1899 hatte der Vertreter des Rekurrenten, Herr Dr. Spiro, Advokat in Lausanne, das Gesuch gestellt, es möchte der Bundesrat die Eisenbahngesellschaft Pont-Brassus, beziehungsweise die den Betrieb besorgende Jura-Simplon-Bahn verpflichten, das in der Nähe der Haltstelle Golisse gelegene Wohnhaus des Charles Capt, das zur Zeit mit Schindeln bedeckt sei, mit einer harten Bedachung, und zwar aus galvanisiertem Eisenblech zu versehen.

Zur Begründung dieses Gesuches wurde der Artikel 16, Alinea 2, des Eisenbahngesetzes vom 23. Dezember 1872 angerufen, wonach die Bahn Verwaltung alle diejenigen Vorkehren auf ihre Koston zu treffen habe, welche zur öffentlichen Sicherheit nötig befunden werden. Außerdem statuiere Artikel 7 des Expropriationsgesetzes vom 1. Mai 1850 die Pflicht des Unternehmers eines öffentlichen Werkes, Vorrichtungen zu erstellen, welche im Interesse der öffentlichen Sicherheit oder derjenigen des einzelnen notwendig werden.

Der Verwaltungsrat der Pont-Brassus-Balm, welchem das Gesuch des Impetranten zur Vernehmlassung mitgeteilt worden war, ließ durch seinen Anwalt, Herrn Nationalrat Gaudard, antworten, daß Artikel l (i des Eisenbahngesetzes auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Denn eine Umdeckung des fraglichen Hauses sei nicht zur öffentlichen Sicherheit notwendig, sondern läge ausschließlich im privaten Interesse des Eigentümers Capt und würde zudem, falls die Kosten von der Bahn allein übernommen werden müßten, eine ungerechtfertigte Bereicherung desselben involvieren.

Das Eisenbahndepartement teilte hierauf dem Impetranten, beziehungsweise seinem Anwalte mit, es pflichte der Ansicht, daß es sich hier nicht um den Schute der ö f f e n t l i c h e n Sicherheit handle, bei; es könne daher dem Bundesrat nicht beantragen, eine Verfügung im Sinne der Eingabe vom 30. November 1899 zu erlassen. Dagegen stehe es dem Impetranten frei, sich unter Berufung auf Artikel 7 und 26 des Expropriationsgeset/es und Art. 9, Ziffer 5, des Reglements für die eidgenössischen Schätzungskommissionen vom 22. April 1854 an die zuständige Schätzungskommission zu wenden, damit diese die Frage entscheide, ob die Pont-Brassus-Bahn verpflichtet sei, die Umdeckung des Hauses auf ihre Kosten vorzunehmen.

Herr Spiro beharrte jedoch darauf, daß seine Eingabe dem Bundesrat zum Entscheid vorgelegt werde. Dieser erfolgte unterm

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28. September 1900 in ablehnendem Sinne, und zwar aus folgenden Gründen : Die Frage, ob der Artikel 16, Alinea 2, des Eisenbahngesetzes vom 23. Dezember 1872 auf den vorliegenden Fall zutreffe, muß verneint werden. Dieses Alinea lautet: ,,Die Gesollschaft wird die Bahn, wo es die öffentliche Sicherheit erheischt, in ihren Kosten auf eine diese Sicherheit hinlänglich gewährende Weise einfrieden und die Einfriedung stets in gutem Stand erhalten. Überhaupt hat sie alle diejenigen Vorkehrungen auf ihre Kosten zu treffen, welche jetzt oder künftig zur öffentlichen Sicherheit nötig befunden werden." Der Begriff der ö f f e n t l i c h e n Sicherheit darf nun jedenfalls nicht so interpretiert werden, daß jeder P r i v a t e gegen allfällige schädliche Einflüsse des Eisenbahnbetriebes sichergestellt werden müsse. Es wird mitunter schwierig sein, die Grenze zwischen öffentlicher und privater Sicherheit zu ziehen ; im allgemeinen wird man aber doch sagen dürfen, daß da, wo bestimmte Individuen und deren Interessen als a u s s c h l i e ß l i c h gefährdet erkennbar sind, eine Gefährdung der ö f f e n t l i c h e n Sicherheit n i c h t vorliege. Aus diesem Grunde verlangt auch das citierte Alinea in seinem ersten Satze nicht einfach, daß die Bahn auf ihrer ganzen Länge auf Kosten der Gesollschaft einzufrieden sei, sondern es hat offenbar nur diejenigen Stellen der Bahn im Auge, wo unbestimmte Rechtssubjekte, z. B. jeder beliebige Passant, in ihrer Sicherheit bedroht erscheinen. Ein ähnlicher Fall des Schutzes der öffentlichen Sicherheit liegt z. B. auch dann vor, wenn eine Bahngesellsehaft angehalten wird, an einer Brücke, welche die Bahn über eine Straße führt, Schutzvorrichtungen anzubringen gegen das Hinunterfallen von Schottersteinen und gegen das Hinuntertraufen des Regenwassers. Auch hier ist kein bestimmtes Rechtssubjekt vorhanden, welches seine Interessen selbst in Schutz nehmen könnte; deshalb muß der Bundesrat nötigenfalls gestutzt auf Artikel 16, Alinea 2, des Eisenbahngesetzes die Bahngesellsehaft zur Anbringung schützender Vorkehren veranlassen.

Liegt nun aber eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auch dann vor, wenn ein einzelnes Haus, das nahe an der Bahnlinie steht, in Gefahr kommt, durch Funkcnwurf aus einer vorbeifahrenden Lokomotive in Brand gesteckt zu werden? Gewiß nicht ! Wenn
wir auch voraussetzen wollen, daß diese Gefahr für das Haus des Herrn Capt bestehe, -- eine nähere Untersuchung haben wir nicht angeordnet -- so kann es sich eben nur um dieses bestimmte Haus und -- indirekt --· dessen Be-

608 wohner handeln, somit um ganz genau definierbare p r i v a t e Interessen. Um diese zu schützen, braucht der Private nicht den Artikel 16 des Eisenbahngesetzes anzurufen und die Administrativbehörden in Mitleidenschaft zu ziehen, sondern er hat sich an den zuständigen Richter zu wenden. Wer dieser sei, ergiebt sich aus dem Artikel 26 in Verbindung mit Artikel 7 des Bundesgesetzes vom 1. Mai 1850 betreffend die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten, deren erster lautet: ,,Die Prüfung der im Art. 12, Ziffer 2, und Art. 20 erwähnton Eingaben, und die Ausmittlung der Leistungen, welche sowohl in Bezug auf die Entschädigung der Abtretungspflichtigen nach Inhalt der Artikel 3 bis und mit 5, als mit Beziehung auf die gemäß den Artikeln 6 und 7 gestellten Forderungen, dem Bauunternehmer aufzulegen sind, geschieht durch eine S c h ä t z u n g s k o m m i s s i o n , wenn nicht vorher eine gütliche Verständigung stattfindet." Und gemäß Artikel 7 liegt dem Unternehmer eines öffentlichen Werkes ob ,,die Erstellung von Vorrichtungen, dio infolge der Errichtung von öffentlichen Werken im Interesse der öffentlichen Sicherheit o d e r d e r j e n i g e n des e i n z e l n e n notwendig werden". Die Schätzungskommission ist auch, besser als das Eisenbahndopartemont oder der Bundesrat, in der Lage zu beurteilen, ob die Kosten der zu erstellenden Vorrichtungen ausschließlich vom Bauunternehmer zu tragen seien, oder ob auch dem Privaten eine angemessene Beteiligung zugemutet werden könne.

Dieser Wog, d. h. die Anrufung der Schätzungskonunission, stand dem Impetranten von Anfang an und steht ihm heute noch offen. Die Bahnverwaltung hat, laut ihrer Erklärung, seiner Zeit unterlassen, die Eingabe des Charles Capt der Kommission zur Beurteilung zu überweisen, weil sich derselbe von vornehereiu an die Administrativbehörde gewandt hatte und sie den Entscheid der letztern abwarten wollte. Fällt dieser definitiv ablehnend aus, so wird der Rckurreut nicht etwa in seinem Rechte verkümmert, sondern es bleibt ihm unbenommen, nachträglich der Einladung zu folgen, welche das Eisonbahndopartement schon am 19. August 1900 an ihn richtete, nämlich, die Angelegenheit von der eidgenössischen Schätzungskommission beurteilen zu lassen.

Indem wir den in unserem Berichte an die Bundesversammlung vom 9. Dezember vorigen Jahres gestellton Antrag, auf die Rokursoingabe wegen Inkompetenz nicht einzutreten, ausdrucklich aufrecht halten, ersuchen wir Sie für den Fall, daß Sie trotzdem

609 Eintreten beschließen sollten, den Rekurs als unbegründet abzuweisen.

Wir benützen gerne auch diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 5. Juni 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. III.

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Bericht des Bundesrates an die Kommission des Ständerates über die Rekursbeschwerde des Charles Capt in Vers-le-Lac gegen den Beschluß des Bundesrates vom 28. September 1900 betreffend Schutz gegen Funkenwurf. (Vom 5. Juni 1902.)

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11.06.1902

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