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Schweizerisches Bundesblatt.

54. Jahrgang. III.

Nr. 27.

2. Juli 1902.

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Nachtragsbericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Staatsrates des Kantons Wallis gegen den Bundesratsbeschluß vom 26. November 1901 in Sachen Maurice Pacolat & Julien Duay in Orsières.

(Vom 28. Juni 1902.)

Tit.

Im Nachtrage zu unserem Berichte vom 21. April 1902 in der Beschwerdesache Maurice Pacolat & Julien Duay in Orsières gegen den Staatsrat des Kantons Wallis (Bundesbl. 1901, I, 943 ff.) sind wir. da die Regierung des Kantons Wallis, ,,nachträglich auf zwei Punkte des angefochtenen Bundesratsbeschlusses vom 26. November 1901 aufmerksam geworden", eine neue Eingabe an Ihre Versammlung gerichtet hat, zu folgenden weitern Erklärungen genötigt.

I.

Die Regierung des Kantons Wallis sucht sich in ihrer neuen Eingabe gegen den Vorwurf, welchen der Bundesrat im Beschloß vom 26. November 1901 gegen sie erhoben habe, zu verteidigen, sie habe dem Großen Rate des Kantons Wallis die Einreichung der Beschwerde des Pacolat & Duay durch spätere Mitteilung derselben an den Rat verheimlichen wollen ; in einem Nachsatz hat sie beigefügt, es handle sich hierbei auch um eine Frage, Bundesblatt. 64. Jahrg. Bd. III.

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926 die von Einfluß auf die Entscheidung der Bundesversammlung sein könnte.

Ein solcher Vorwurf gegen die Walliser Regierung ist in unserm Beschluß nicht erhoben worden. Nicht nur, daß ein Unbefangener eine solche Anklage in den Worten des Bundesratsbeschlusses nicht wird lesen können, ist es uns auch gar nicht eingefallen, uns in das Verhältnis der kantonalen Behörden, des Staatsrats und des Großen Rates des Kantons Wallis, einzumischen. Denn es ist kantonales Walliserrecht, welches die Pflichten der Regierung gegen den Großen Rat normiert; über streitige Fragen des kantonalen Rechtes kann aber der Bundesrat nach den Bestimmungen der Bundesverfassung und des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege nur entscheiden, wenn kantonales V e r f a s s u n g s r e c h t bestritten .ist; wir glauben aber nicht, daß eine Norm der Walliser Verfassung existiert, welche die Fristen für Überleitung der Geschäfte durch den Staatsrat an den Großen Rat normiert. Ob also die Regierung des Kantons Wallis ihre Pflicht gegenüber dem Großen Rat erfüllt hat oder nicht, dies zu untersuchen fiel überhaupt nicht in unsern Kompetenzbereich.

In unserem Beschlüsse wird die Frage, wann der Große Rat des Kantons Wallis von der Einreichung der Beschwerde Pacolat & Duay Kenntnis erhalten habe, bei der Erörterung des ,,Eventualbegehrensa der Walliser Regierung berührt, welche die Abweisung der Beschwerdeführer wogen Nichterschöpfung des kantonalen Instanzenzuges begehrt hatte. Es ist nun aber nicht die Thatsache der frühern oder spätem Mitteilung der Beschwerde an den Großen Rat, welche uns zur Abweisung der Einrede geführt hat ; wir haben vielmehr wörtlich folgendes erklärt : ,,Es gehen die Rechtsbegehren der Rekurrenten beim Bundesrat 1. auf Aufhebung des Wahldekretes des Walliser Großen Rates vom 12. Februar 1901; 2. auf Annullierung der auf Grund dieses Wahldekretes vorgenommenen Wahlen der 8 Abgeordneten des Bezirkes Entremont vom 3. März 1901, sowie Vornahme von Neuwahlen. Die Einrede der Nichterschöpfung des kantonalen Instanzenzuges trifft also gegenüber dem ersten Rechtsbegehren von vorneherein nicht zu. Hinsichtlich des zweiten Rechtsbegehrens ist zu bemerken : Die Praxis des Bundesrates geht dahin, daß wo ein Akt der obersten kantonalen Vollziehungsbehörde in Frage steht, oder der Streit um eine auf eine Vielheit von Fällen anwendbare gesetzliche oder dekretale Bestimmung oder Regel sich dreht, die direkte Beschwerdeführung

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beim Bundesrate zulässig ist; eine nochmalige Verweisung an die kantonale Behörde wird als eine überflüssige Weiterung unterlassen. (Salis, Bundesrecht I, Nr. 195.)"

Wir haben nun des weitern ausgeführt, daß wir auf Grund des oben genannten Rechtsgrundsatzes die formelle Einrede der Regierung schon deshalb zurückweisen müßten, weil der Staatsrat als oberste .Vollziehungsbehörde des Kantons über die Beschwerde erkannt hatte (vgl. Bundesratsbeschluß vom 6. Januar '1898 in Sachen Kennet und Konsorten, Bundesbl. 1898, I, 45 ff., G51 ff.).

Wir konnten die Einrede des Staatsrates aber um so weniger berücksichtigen, als der Große Rat des Kantons Wallis, an welchen die Rekurrenten nach dem Willen des Staatsrats hätten zurückgewiesen werden sollen, im Augenblick, als dieses Rückweisungsbegehren gestellt wurde, bereits die Validation der angefochtenen Wahlen ausgesprochen hatte. Die beiden Daten, die hierbei in Frage kommen, sind das Datum des 20. Mai 1901, an welchem die Großratswahlen vom Rate validiert worden sind, und das Datum vom 4./23. September 1901, an welchem der Staatsrat das Begehren auf Zurückweisung der Beschwerde an den Großen Rat stellte. Die beiden Daten werden vom Staatsrat nicht bestritten.

Ob aber die Beschwerde des Pacolat & Duay dem Staatsrat des Kantons Wallis am 4. Mai zugestellt worden ist, wie der Bundesratsbeschluß sagt, oder erst am 20. Mai, wie der Staatsrat nachträglich erklärt, ist vollständig irrelevant.

·

II.

Auch die zweite Bemerkung, welche die Walliser Regierung bei Gelegenheit ihres Schreibens an die Bundesversammlung anbringt, daß der eine der Beschwerdeführer, Maurice Pacolat, seine Beschwerde zurückgezogen habe, der andere ausgewandert sei, und daß es unwahrscheinlich sei, daß derselbe wieder in seine Heimat zurückkehre, betrachten wir als belanglos.

Pacolat hat in der That durch Erklärung vom 7. April 1902 den Rücktritt von der Beschwerde erklärt ; Duay hingegen hat bei seiner Abreise einen Vertreter in der Schweiz zur Durchführung seiner Beschwerde vor allen Instanzen zurückgelassen.

Selbst wenn man also dem Rücktritt des Pacolat eine Rechtsfolge zuerkennen wollte, müßte doch anerkannt werden, daß die Beschwerde wenigstens durch den zweiten Beschwerdeführer aufrecht erhalten wird. Wir sind aber der Ansicht, daß auch der Rückzug der b e i d e n Unterschriften der Beschwerdeführer heute

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irrelevant wäre, weil es sich im heutigen Prozeßstadium nicht mehr um einen Rechtsstreit der Bürger mit der Kantonsregierung, sondern um einen solchen zwischen dieser letztern und der Bundesbehörde handelt; auf diesen aber kann der Rücktritt der ursprünglichen Beschwerdeführer nicht den Einfluß haben, welchen die Walliser Regierung voraussetzt.

Aus den auseinandergesetzten Gründen können wir den neuen Vorbringen des Walliser Staatsrates keine Bedeutung beimessen und erneuern daher unsere Anträge vom 21. April 1902.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 28. Juni 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Nachtragsbericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Staatsrates des Kantons Wallis gegen den Bundesratsbeschluß vom 26. November 1901 in Sachen Maurice Pacolat & Julien Duay in Orsières. (Vom 28. Juni 1902.)

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02.07.1902

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