813

# S T #

Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Jakob Wenger und der Anna Wenger in Steffisburg, wegen Verbots des Vorkaufes auf den Märkten der Stadtgemeinde Bern.

(Vom 17. Oktober 1902.)

Der schweizerische Bundesrat hat

.über die Beschwerde des Jakob W e n g e r und der Anna W e n g e r in Steffisburg, wegen Verbots des Vorkaufes auf dea Märkten.der Stadtgemeinde Bern, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Durch Urteil vom 19. März 1902 hat der Polizeirichter der Stadt Bern den Jakob Wenger, Geflügelhändler in Steffisburg, Kanton Bern, und dessen Ehefrau Anna Wenger der Zuwiderhandlung gegen Art. 12 der Marktordnung für die Stadtgemeinde Bern vom 6. April/ 8. Mai 1901 schuldig erklärt und dieselben insgesamt zu Bußen von Fr. 220 und Fr. 60 verurteilt.

814

Die in Betracht fallenden Bestimmungen des Art. 12 lauten : ,,Verboten sind ferner: ,,a. Alle Handlungen, welche auf Störung des öffentlichen Marktes, als regelmäßige Veranstaltung zur direkten Lebensmittelversorgung der städtischen Konsumenten, auf Verdrängung dieser Konsumenten durch die Wiederverkäufer und auf künstliche Erhöhung der Lebensmittelpreise gerichtet sind.

,,Insbesondere ist untersagt : Der Ankauf von Fleisch, Obst, Gemüse und ändern Lebensmittel durch solche Personen, bezw.

ihre Angestellten, welche mit den betreffenden Waren selbst Handel treiben, auf den Zugängen zur Stadt und zum Markte, sowie auf dem letztern selbst und zwar: ,,Vom l. April bis 30. September auf dem Fleischmarkt vor 7 Uhr, auf allen ändern Märkten vor 9 Uhr.

,,Vom 1. Oktober bis 31. März auf dem Fleischmarkt vor S Uhr, auf allen ändern Märkten vor 10 Uhr. a II.

Gegen dieses Urteil haben Jakob Wenger und seine Ehefrau mit Eingabe vom 16./20. Mai 1902 den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat ergriffen und das Rechtsbegehren gestellt, ,,es seien die gegen sie ergangeneu Strafurteile vom 19. März 1902, soweit sie sich auf Art. 12 der Marktordnung der Stadtgemeinde Bern stützen, als willkürlich aufzuheben a , eventuell, ,,es sei Art. 12 der Marktordnung als verfassungswidrig aufzuheben und es seien die auf diesen Artikel sich stützenden Bußurteile als nichtig zu erklären.tt Zur Begründung dieses Rechtsbegehrens bringen die Rekurrenten folgendes vor : Die Eheleute Wenger betreiben seit zirka 30 Jahren ihr Geschäft als Geflügelhändler in Steflisburg. Der Vertrieb ihrer Ware findet hauptsächlich in die Fremdenzentren des Berner Oberlandes statt. Das von ihnen jeweilen Dienstags in Bern aufgekaufte Geflügel ist in der Weise bestellt, daß die Lieferanten zum voraus wissen, daß sie ihr Geflügel während der Dauer der Saison dem Wenger verkaufen können. Großenteils kauft Wenger Geflügel auch aus Auftrag von Personen, die ihm schriftlich Bestellung übermittelt haben.

Art. 12, lit. a, der bernischen Marktordnung enthält unbestritten im zweiten Alinea ein sogenanntes Vorkaufsverbot. Nach

815 dem Wortlaut dieses Artikels könnte es nun aber fraglich erscheinen, ob der bloße Ankauf von Lebensrnitteln vor der festgesetzten Zeit durch solche, die selbst mit diesen Lebensmitteln Handel treiben, zum Tatbestand des Vorkaufes genügt. Dies ist ausgeschlossen. Unter Vorkauf wird überall nur verstanden der massenhafte Ankauf von Waren zum Zwecke des Wiederverkaufes auf dem gleichen Markte, nicht aber auch der Ankauf von Waren zum Zwecke, .solche an ganz ändern Orten, nicht auf Märkten, sondern direkt an die Konsumenten zu verkaufen, die mit dem Markte, wo die Lebensmittel angekauft wurden, in keiner Beziehung stehen (vergleiche Salis, Bundesrecht, II, 548).

Von diesem Standpunkt geht offenbar auch der Entscheid des Bundesrates in Sachen Kräuchi & Wenger vom 14. Januar 1902 aus, wenn er sagt: ,,Nun hat (aber) das Urteil vom 15. Juli 1901 festgestellt, daß Rekurrent vor der in der Marktordnung festgesetzten Zeit Geflügel aufgekauft hat, um damit Handel zu treiben, und, wie der Verdeutlichung wegen noch ausdrücklich beigefügt werden muß, Rekurrent hat den Handel mit diesem Geflügel, auf dem Markt in Bern getrieben. Dieser Aufkauf von Lebensmitteln am Beginn eines öffentlichen Marktes zum Zwecke, mit den gleichen Waren in der gleichen Stadt und auf dem gleichen Markt wieder zu verkaufen, erfüllt alle Merkmale des Vorkaufs."

(Bundesbl. 1902, I, 217 ff.).

Es ist auch zu bemerken, daß die Bestimmungen einer Marktordnung sich doch wohl nur auf den betreffenden Markt selbst und dessen Schutz beziehen können ; es kann sich daher auch der Passus in Art 12, lit. a, ,,welche mit den betreffenden Waren selbst Handel treiben" nur auf Personen beziehen, die mit den angekauften Waren auf dem Marktgebiet der Stadt Bern selbst Handel treiben, nicht aber auch auf solche, welche die dort angekauften Waren an ändern Orten verkaufen, welche mit dem Marktgebiet von Bern in keinem Zusammenhang stehen, an Private, an andere Kundsame.

Wenger und seine Ehefrau haben nun mit dem auf dem Markte in Bern angekauften Geflügel daselbst nicht Handel getrieben ; aus den Akten geht hervor, daß sie die auf dem Markte in Bern angekaufte Ware sofort per Bahn nach Steffisburg spediert haben, wo ihr Geschäft ist; von dort aus haben sie dieselbe nach dem Berner Oberland verkauft. Die den Eheleuten Wenger zur Last gelegten Handlungen erfüllen also den Tat-

816 bestand des Vorkaufes nicht; der Vorwurf des Vorkaufes ist willkürlich erhoben worden und vom Bundesrat nicht zu schützen.

Der Polizeirichter von Bern hat im Widerspruch mit diesen Auseinandersetzungen sich nun auf den Standpunkt gestellt, der Ankauf von Lebensmitteln durch Wiederverkäufer auf dem Markte sei schlechthin verhüten und es sei das weitere Moment des Wiederverkaufens in der gleichen Stadt und auf dem gleichen Markte nicht notwendig. Diese Auslegung geht offenbar fehl.

Art. 12, lit. a, Absatz l, kann kaum anders verstanden werden, als daß mit dem Passus ^welche mit den betreffenden Waren selbst Handel treiben", nur diejenigen getroffen werden sollen, welche auf dem Markte in Bern mit den gleichen gekauften Waren Handel treiben, andernfalls wäre jeder auswärtige Geflügelhändler von Zürich, Basel oder irgend einer ändern Stadt, der in Bern auf dem Markte Geflügel kauft, ohne weiteres strafbar. Ja sogar der Geflügelhändler, welcher für sich selbst Geflügel kauft, ohne solches dann weiter zu verkaufen, könnte nach dieser Auslegung als strafbar erscheinen, würde doch dann die Strafbarkeit von seiner zufälligen Eigenschaft als Geflügelhändler abhängen.

Würde man aber diese Auslegung auch als richtig ansehen und dem Polizeirichter von Bern darin beipflichten, so müßte eine solche Bestimmung als mit dem in Art. 31 der Bundesverfassung niedergelegten Grundsatze der Handels- und Gewerbefreiheit im Widerspruch angesehen werden und könnte von daher den Schutz des Bundesrates nicht beanspruchen. Jede Person darf kaufen, wo sie will und so viel sie will. Ein Händler, welcher kauft, ohne dieselbe Ware am gleichen Markte derselben Ortschaft weiterzuverkaufen, steht nicht in anderer Stellung als eine Privatperson, kaufe er viel oder wenig. Einer Privatperson ist aber erlaubt, zu jeder Zeit auf dem Markte in Bern so viel zu kaufen, als ihr beliebt, also darf dies auch einem Händler nicht verwehrt werden, sobald derselbe die gekaufte Ware nicht auf demselben Markte weiterverkauft.

Auch davon kann nicht die Rede sein, daß die den Eheleuten Wenger zur Last gelegten Handlungen den Tatbestand von Art. 12, lit. «, Alinea l, der Marktordnung der Stadt Bern erfüllen. Der Bundesrat hat auch diesen Beschwerdepunkt zu prüfen. Art. 12, lit. a, Alinea l, enthält die allgemeine Definition des nachgehenden Alinea
2 ; da sich aber Alinea 2 einzig gegen den Vorkauf richtet, so geht Alinea l keinenfalls weiter. Alinea 2 enthält also nur die speziellen, von Alinea l ins Auge gefaßten verbotenen Handlungen, welche sich als Vorkauf qualifizieren,

817 sind doch die in Alinea l verbotenen Handlungen die Folgen der.in Alinea 2 spezialisierten. Art. 12, lit. a, handelt also einzig vom Vorkauf. Alinea 2 enthält mit anderen Worten den Tatbestand, welcher erfordert wird, um die in Alinea l aufgestellten Begriffe ,,Störung des öffentlichen Marktes", ,,Verdrängung der Konsumenten durch die Wiederverkäufer"1, ,,künstliche Erhöhung der Lebensmittelpreisea, zu rechtfertigen.

Wenn nun die Rekurrenten allgemein behaupten, der Vorwurf der Ausübung des Vorkaufes sei willkürlicherweise gegen sie erhoben worden, so bezieht sich diese Behauptung auch darauf, daß ihre Handlungen auch nach Art. 12, lit. a, Alinea l, nicht strafbar seien und daß jede andere Auslegung eine willkürliche genannt werden müsse.

Derjenige, welcher auf dem Markte Lebensmittel aufkauft, zu dem Zwecke, solche seiner Kundsame in einer vom Markte verhältnismäßig weit entfernten Gegend zu liefern, welche ihm solche bestellt hat oder doch regelmäßig konsumiert, ist zum ersten kein Wiederverkäufer im erforderlichen Sinne, dann aber sind diese seine Handlungen nicht geeignet, die Lebensmittelpreise auf dem Markt, wo er kauft, künstlich zu erhöhen, die Marktkonsumenten zu verdrängen oder den Markt zu stören. Würde man aber auch annehmen, daß durch diese Handlungen objektiv betrachtet die Herbeiführung eines dieser Resultate möglich wäre, was zu bestreiten und in concreto den Rekurrenten keineswegs nachgewiesen ist, so waren doch diese Handlungen nicht darauf ^gerichtet"1. Sie müssen aber nach dem klaren Wortlaute des Art. 12 auf Herbeiführung eines der genannten Zwecke ger i c h t e t sein, um als strafbar erscheinen zu können.

Die Eheleute Wenger kaufen, wie als festgestellt angenommen werden muß, um die gekaufte Ware im Berner Oberland wieder zu verkaufen. Sie erscheinen nicht als Wiederverkäufer auf demselben Markte, und ihre Handlungen sind zudem nicht darauf gerichtet, dem Marktpublikum von Bern in irgend welcher Weise zu nahe zu treten.

Im weiteren ist dann noch zu beachten, daß eine Störung des öffentlichen Marktes oder eine Verdrängung der Konsumenten durch Wiederverkäufer nicht genügen kann zu einer Verurteilung nach Art. 12, da damit zugleich auch die künstliche Erhöhung der Lebensmittelpreise verbunden sein muß. In Art. 12 ist nicht alternativ vorgeschrieben, daß eine Störung des Marktes, eine Verdrängung der Konsumenten oder die künstliche Erhöhung der

818 Lebensmittelpreise verboten seien, die Vorschrift lautet vielmehr dahin, daß Störung, Verdrängung und Erhöhung der Preise miteinander gehen müssen. Das ist bei den Eheleuten Wenger nicht der Fall.

Wenn der Polizeirichter von Bern daher Art. 12, lit. a, Alinea l, auf die Handlungen der Eheleute Wenger anwendet, so stellt sich diese Anwendung als willkürlich dar und ist durch die Bundesbehörde aufzuheben.

III.

Zur Vernehmlassung auf die Beschwerde eingeladen, beantragt die Regierung des Kantons Bern die Abweisung derselben, indem sie sich im wesentlichen auf die Auseinandersetzungen in ihrer Rekursbeantwortuug auf die frühere Beschwerde des Wenger beruft, welche derselbe mit Kräuchi am 10. August 1901 an den Bundesrat gerichtet hatte.

Für die Urteile des Polizeirichters von Bern, deren Aufhebung wegen Nichtvorhandenseins des Tatbestandes verlangt werde, sei es ganz gleichgültig, ob der Wiederverkauf der gewerbsmäßig angekauften Ware auf dem gleichen Markte stattfinde oder anderswo. Die Eheleute Wenger haben durch massenhaftes Ankaufen von Geflügel zum Zwecke des Wiederverkaufes die städtischen Konsumenten vom Markte verdrängt, und dadurch die Preise der Waren verteuert, womit eben der Tatbestand des Vorkaufes erfüllt sei.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Die Beschwerdeführer haben unter Berufung auf Art. 31 der Bundesverfassung die staatsrechtliche Beschwerde an den Bundesrat ergriffen: 1. gegen die beiden Bußurteile des Polizeirichters von Bern vom 19. März 1902, die auf Grund von Art. 12 der Marktordnung der Gemeinde Bern ausgesprochen worden seien; eventuell 2. gegen den Art. 12 der Marktordnung selbst.

Ihr Hauptbegehren stützen sie auf die Behauptung, es liege in ihrer Bestrafung eine Verletzung von Art. 31 der Bundesver-

819 fassung, weil die von ihnen auf dem Markte von Bern gemachten Einkäufe, für welche sie wegen verbotenen Vorkaufes mit Strafe belegt worden seien, den Tatbestand dessen nicht erfüllen, was allgemein als Vorkauf definiert werde, noch auch dessen, was die Marktordnung von Bern als solchen bezeichne ; das angefochtene Urteil berufe sich fälschlicherweise auf die Vorschriften der Marktordnung. Das Eventualbegehren stellen sie für den Fall, daß die Bundesbehörden dieser letzteren Behauptung nicht zustimmen, vielmehr annehmen sollten, die bernische Marktordnung habe den Richter verpflichtet, beim vorliegenden.Tatbestand eine Buße wegen verbotenen Vorkaufs auszusprechen ; in diesem Falle wäre Art. 12 der Marktordnung selbst mit Art. 31 der Bundesverfassung im Widerspruch.

II.

Bei der Prüfung der von Amtes wegen zu untersuchenden Frage nach der Einhaltung der GOtägigen Rekursfrist (0. G.T Art. 178, Ziffer 3, und Art. 190) ergibt sich, daß die Beschwerde zwar in dieser Hinsicht formrichtig ist bezüglich des Hauptbegehrens um Aufhebung der Bußurteile vom 19. März 1902 ; auch sind die kantonalen Instanzen in der Rechtssache, wie aus den Akten der durch den Bundesrat am 14. Januar 19n2 entschiedenen und bereits vorerwähnten Beschwerdesache Kräuchi und Wenger hervorgeht, erschöpft. Dagegen ist das Eventualbegehren um Aufhebung des Art. 12 der Marktordnung verspätet. Die Marktordnung datiert vom 6. April 1901 und ist vom Regierungsrat des Kantons Bern am 8. Mai 1901 genehmigt worden j die Rekursschrift dagegen ist erst am 16./20. Mai 1902 beim Bundesrat eingelegt worden.

III.

Die Kompetenz des Bundesrates für die Beurteilung des rechtzeitig eingereichten Rechtsbegehrens beschränkt sich auf Grund von Art. 189, Ziffer 3, des Organisationsgesetzes darauf, daß die Behörde festzustellen hat. ob das Verbot der Handlungen, um derentwillen die Rekurrenten vom Polizeirichter von Bern bestraft worden sind, tatsächlich, wie rekurrentischerseits behauptet wird, eine Verletzung der in Art. 31 der Bundesverfassung gewährleisteten Handels- und Gewerbefreiheit bedeuten.

Der Bundesrat hat nicht zu untersuchen, ob die unter Strafe gestellten Einkäufe der Rekurrenten auf dem Markte von Bern

820 den Tatbestand des in der bernischen Marktordnung aufgestellten Begrifis des Verkaufs erfüllen, denn er ist nicht kompetent, die Auslegung eines kantonalen Erlasses zu überprüfen (Entscheid .des Bundesrates vom 11. Juli 1902 in Sachen F. Glarner-Fieger, und dortige Verweisungen; Bundesbl. 1902, IV, 16). Damit fällt auch die aus dem Verhältnis des Alinea l zu Alinea 2 des Art. 12, lit. a, abgeleitete Einrede der Rekurrenten dahin; so wenig wie die Gesetzesstelle selbst, hat der Bundesrat das Recht, das Verhältnis ihrer Teile zu einander zu erörtern. Er hat vielmehr zu untersuchen, ob der vom bernischen Richter in nicht willkürlicher Weise angenommene Tatbestand des Vorkaufes der stadtbernischen Marktordnung im Widerspruch mit den Bestimmungen des Art. 31 der Bundesverfassung steht. In dieser Hinsicht hat der Bundesrat auch zu untersuchen, ob eine städtische Marktordnung ein Verbot des Vorkaufes auch für diejenigen Fälle aufstellen kann, in welchen der Verkäufer die gekaufte Ware nicht auf demselben, sondern auf einem ändern Markte verkauft, als auf dem er sie gekauft hat. Dieser erweiterte Tatbestand des Vorkaufes lag dem Entscheide des Bundesrates vom 14. Januar 1902 in Sachen Kräuchi und Wenger nicht zu Grunde und er hat diese Frage damals weder geprüft, noch entschieden, sondern nur soviel festgestellt, daß ein Verbot des Vorkaufes für den Weiterverkauf auf demselben Markte jedenfalls den Vorschriften des Art. 31 der Bundesverfassung nicht zuwiderlaufe.

IV.

Hinsichtlich des der Rechtsfrage zu Grunde liegenden Tat bestandes ist vorgängig der Entscheidung noch die Behauptung zu berichtigen, Rekurrent Wenger habe ,,großenteils auch aus Auftrag von Personen Geflügel aufgekauft, die ihm schriftlich hierzu Auftrag gegeben hätten.a --- Es mag dahingestellt bleiben, ob und in welchem Umfange er als bloßer Beauftragter von Privaten oder Hoteliers des Berner Oberlandes Einkäufe besorgt hat; keinesfalls kann angenommen werden, daß er durch das angefochtene Bußurteil wegen solcher Einkäufe im Auftrage Anderer bestraft worden ist. Hierfür hat Rekurrent keinen Beweis .erbracht, und nach dem beigelegten Urteil muß das Gegenteil angenommen werden.

Die Rekurrenten sind, wie aus der Bezugnahme des angefochtenen Urteils auf Art. 12 der Marktordnung hervorgeht und ·durch die Kantonsregierung bestätigt wird, deshalb bestraft worden,

821 weil sie auf dem Markte von Bern Geflügel zum Z w e c k e d e s W i e d e r v e r k a u f s aufgekauft haben. Die einzige Rechtsfrage also, welche der- Bundesrat zu entscheiden hat, ist die, ob auch eine Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit vorliegt, wenn der Wieder verkauf er von Geflügel, der seine Ware auf einem Markte kauft, ohne sie auf dem gleichen Markte wieder zu verkaufen, bestraft wird.

Zunächst ist hierbei auf den allgemeinen Charakter der Vorkaufsverbote hinzuweisen, welcher nicht einem ausschließlichen Verbote des Handels mit gewissen Gegenständen gleichkommt, sondern nur eine Einschränkung in Beziehung auf die Zeit, in welcher gehandelt werden darf. Es wird untersagt der Ankauf von Waren einer bestimmten Art zu einer bestimmten Zeit; so auch in der bernischen Marktordnung der Ankauf von Fleisch vor 7 Uhr, vom 1. April bis 30. September, vor 8 Uhr, vom 1. Oktober bis 31. März, von anderen Lebensmitteln vor 9, beziehungsweise 10 Uhr. Nach diesen Tagesstunden ist jeder Handel, auch der Ankauf im Großen, auch derjenige durch Wiederverkäufer, gestattet.

Abstrakt genommen, wird man vom Standpunkte des Art. 31 der Bundesverfassung in einer solchen Ordnung des Marktverkehrs nichts Unzulässiges finden. Jede städtische Marktordnung bestimmt, und darf bestimmen, über die Tage und die Tageszeiten, welche für den Marktverkehr bestimmt sind; ohne dieses wäre eine geordnete Durchführung des Marktbetriebes überhaupt nicht möglich. Was nun speziell die Bestimmung von Tageszeiten, in denen der Vorkauf untersagt ist, betrifft, so sind darin nur Verfügungen über Ausübung eines bestimmten Handelszweiges enthalten, welche die Handelsfreiheit an sich weder autheben, noch in erheblichem Maße beeinträchtigen, sich aber als nicht willkürlich rechtfertigen durch die im Bundesratsbeschlusse vom 1. Juli 1890 (Bundesbl. 1890, III, 1097) aufgenommenen Erwägungen.

Wenn als berechtigter und zulässiger Zweck solcher Ordnung anerkannt wird : ,,dem Lebensmittelmarkte im Stadtgebiete den Charakter eines Marktes für die Konsumenten zu wahren,11 so liegt eine Verletzung dieses Marktschutzes eben nicht nur darin, daß der Vorkäufer kauft, um auf demselben Markte teurer wieder zu verkaufen, sondern sie ist auch dann gegeben, wenn der Vorkäufer die Ware auf einen anderen Markt führt oder sonst in Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. IV.

58

822 seinem Geschäftsbetriebe verwendet. Denn die Ware wird eben dadurch dem Konsumenten, für den sie bestimmt ist, d. h. der städtischen, im Detail kaufenden Bevölkerung^ welche für die Deckung ihrer Bedürfnisse gerade auf diesen Markt angewiesen ist, entzogen. Man kann sogar sagen, daß ein derartiger Vorkauf, wie ihn die Eheleute Wenger betreiben, für einen städtischen Markt noch gefährlicher ist, als der des Wiederverkäufers auf demselben Markt, weil die Lebensmittel dadurch nicht nur verteuert, sondern gänzlich entzogen werden. Daraus ergibt sich, daß auch die Ausdehnung des Vorkaufsverbots auf Fälle, in denen die gekauften Waren nicht auf demselben Markte weiter verkauft werden, nicht als bundesrechtswidrig bezeichnet werden kann.

Demnach wird erkannt: 1. Soweit der Rekurs Aufhebung der Marktordnung der Stadt Bern verlangt, wird auf denselben wegen Verspätung nicht eingetreten.

2. Im übrigen wird der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 17. Oktober 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Riugier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Jakob Wenger und der Anna Wenger in Steffisburg, wegen Verbots des Vorkaufes auf den Märkten der Stadtgemeinde Bern. (Vom 17. Oktober 1902.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1902

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

44

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

29.10.1902

Date Data Seite

813-822

Page Pagina Ref. No

10 020 284

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.