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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde der Internationalen Transportgesellschaft, Gebrüder Gondrand, Aktiengesellschaft mit Sitz in Brig und Filiale in Basel, gegen die Verfügung des . Staatsrats des Kantons Tessin vom 24. März 1902, betreffend Stempelgebühr.

(Vom 20. Dezember 1902.)

D

er

s c h w e i z e r i s c h e B u n d e srat hat

über die Beschwerde der Internationalen Transportgesellschaft, Gebrüder G o n d r a n d , Aktiengesellschaft mit Sitz in Brig und Filiale in Basel gegen die Verfügung des Staatsrats des Kantons Tessin vom 24. März 1902, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Unterm 12./14. April 1902 reichte die Internationale Transportgesellschaft, Gebrüder Gondrand, A.-G., in Basel eine Beschwerde beim Bundesrat ein, welche sich gegen eine Entscheidung des Staatsrats des Kantons Tessin, als Aufsichtsbehörde des Handelsregisterbureaus Mendrisio, vom 24. März a. c. richtete und mit dem Begehren schloß :

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1. Es sei der Entscheid des Staatsrates des Kantons Tessin vom 24. März 1902 ganz aufzuheben und der Registerführer des Bezirkes Mendrisio anzuweisen, die Anmeldung der Filiale Chiasso ·entgegenzunehmen, ohne daß das als Alimeldebeleg dienende beglaubigte Exemplar der Statuten mit dem Wertstempel im verlangten Betrage von Fr. 11,000 versehen ist.

2. Eventuell sei zu erkennen, daß der Kanton Tessin nur berechtigt ist, den Wertstempel ab Fr. 10,000, Betrag des Betriebskapitals der.Filiale Chiasso, zu beanspruchen, und es sei der Führer des Handelsregisterbureaus zu Mendrisio anzuweisen, demgemäß die angemeldete Eintragung vorzunehmen.

Zur Begründung wird angeführt: Die ,,Société anonyme internationale de Transports Gondrand Frères" mit Sitz in Brig (cf. Schweizerisches Handelsamtsblatt, Nr. 28, vom 24. Januar 1902, S. 111), die Rechtsnachfolgerin der erloschenen Kollektivgesellschal't Girard Frères und Gondrand Frères in Basel, wollte in Ausführung eines Verwaltungsratsbeschlusses in Chiasso eine Filiale errichten. Unter den dem Ha.ndelsregi s t erführer bei der Anmeldung der Filiale zur Eintragung vorgelegten Papieren befanden sieh unter anderm : 1. Ein von dem statutengemäß zur Errichtung der Zweigniederlassung kompetenten Verwaltungsrat unterzeichneter Beschluß über die Errichtung der Filiale in Chiasso. In diesem Beischluß ist das für die Filiale vorgesehene Betriebskapital auf Fr. 10,000 festgesetzt.

2. Ein beglaubigtes Exemplar der bei dem Handelsregisterbureau der Hauptniederlassung in Brig deponierten Statuten der Aktiengesellschaft, in welchem das Aktienkapital auf Fr. 11,0(10,000 voll einbezahlt angegeben ist.

Der Handelsregisterführer von Mendrisio verweigerte die Eintragung der Filiale und verlangte, daß das beglaubigte Exemplar der Statuten zuvor mit dem progressiven Wertstempel von l pro mille des Aktienkapitals von 11 Millionen, also im Betrag von Fr. 11,000, versehen werde.

In ihrem gegen dieses Verlangen gerichteten Rekurs au den Staatsrat des Kantons Tessin stellte die Aktiengesellschaft das Begehren : Es sei der Registerführer zu Mendrisio anzuweisen, die Anmeldung entgegenzunehmen und einzutragen gegen Bezahlung der in den Artikeln 38 und 39 der bundesrätlichen Verordnung über das Handelsregister vom 6. Mai 1890 vorgesehenen Gebühren, und

920 es sei die verlangte Anwendung des Progressivstempels im Betrage von Fr. 11,000 als unbegründet 7M erklären.

Begründet wurde das Begehren folgendermaßen: Die Gesellschaft habe schon in Brig für das ganze Aktienkapital berechnete Stempelgebühren bezahlen müssen. Der tessinische Fiskus könne somit den Progressivstempel nicht mehr oder doch höchstens von den für die Filiale ausgesetzten Fr. 10,000 beanspruchen. Die Filialen der Gesellschaft in Basel und Luzern seien ins Handelsregister eingetragen worden ohne daß eine besondere StempelgebUhr verlangt worden wäre, trotzdem beide Kantone inhaltlich mit dem tessinischen Gesetz übereinstimmende Stempelgesetze besitzen. Würden alle Kantonsregierungen den gleichen Standpunkt einnehmen, wie die Registerbehörde des KantonsTessin, dann würde eine Gesellschaft, die in die Lage käme, in allen Kantonen Filialen zu errichten, in der Schweiz mit einer fiskalischen Abgabe belegt werden, wie sie kein anderer europäischer Staat kennt. Die weit bedeutenderen Filialen der Gesellschaft in Frankreich, England und Belgien wurden ohne irgendwelche Gebühr eingetragen. Bayern, Preußen, Württemberg, Sachsen und Baden erhoben eine bescheidene Einschreibgebühr vom Betriebskapital der Filiale.

Die Forderung des Registerbureaus Mendrisio sei um so ungerechter, als die jetzt einzutragende Filiale als Filiale der früheren Kollektivgesellschaft Girard Frères und Gondrand Frères, jetzt Internationale Transportgesellschaft, Gebrüder Gondrand, A.-G., schon seit mehr als 20 Jahren in Chiasso existiere. Der Geschäftsnutzen aus dieser die Formalitäten des Transitverkehres und der Verzollung besorgenden Filiale sei ein sehr bescheidener.

Der Staatsfat des Kantons Tessin wies jedoch die Beschwerde als Aufsichtsbehörde des Handelsregisters mit folgender Begründung ab: Gemäß Art. 22 der Verordnung über das Handelsregister vom 6. Mai 1890 in Verbindung mit Art. 521 O.-R. müsse bei Eintragung einer Aktiengesellschaftsfiliale dem Registerführer eine amtlich beglaubigte Kopie der Gesellschaftsstatuten vorgelegt werden.

Nach Art. l des Gesetzes vom 27. November 1858 sei der Kanton Tessin zur Anwendung des Progressivstempels auf die Statuten der Beschwerdeführerin berechtigt, was durch die bisherige Praxis bestätigt werde (cf. Entscheid vom 2. Mai 1900, abgedruckt im Verwaltungsbericht des tessinischen Justizdepartements pro 1900).

921 Gegen diesen Entscheid macht die Beschwerdeführerin folgendes geltend: 1. Eine gesetzliche Vorschrift, wonach bei der Eintragung einer Aktiengesellschaftsfiliale dem Registerf(ihrer die Statuten der Gesellschaft eingereicht werden müssen, gebe es im eidgenössischen Röcht nicht und sei in Art. 22 der Verordnung vom 6. Mai 1890 und Art. 621 O.-K. nicht enthalten. Art. 22 der Verordnung spreche nur von einem Auszug aus dem Handelsregister der Hauptniederlassung.

Schon deshalb wäre das Begehren des Registerführers von Mendrisio unbegründet.

2. Eventuell wird bemerkt: Der Vorbehalt dei- kantonalen Stempelgesetze in Art. 41 der Verordnung vom 6. Mai 1890 könne sich nur auf den Format-, nicht aber auf den Wertstempel beziehen, da beim Erlaß der Verordnung feststand, daß Aktenstücke mit verurkundetem Wert bei der Firmenanmeldung nicht verwendet würden. Daher komme der Wertstempel in keinem andern Kanton in Anwendung, Die Ansicht des Staatsrats des Kantons Tessin habe übrigens auch im kantonalen Gesetz keinen Halt. Die Art. l und 2 des Stempelgesetzes vom 27. November 1858 lauten: ,,Alle Aktenstücke, die bestimmt sind, im gerichtlichen Verfahren als Beweismittel zu dienen, alle Eingaben und Petitionen, welche an öffentliche Behörden, seien es kantonale oder Bexirksbehörden, gerichtet sind, müssen auf Stempelpapier gemäß den Bestimmungen dieses Gesetzes eingereicht werden.11 fl .,,Die Taxen des Stempelpapiers, welches für diese den Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes unterstehenden Aktenstücke zu benützen ist, sind folgende : etc., etc."

Da nun das dem Registerführer in Mendrisio eingereichte beglaubigte Exemplar der Gesellsehaf'tsstatuten kein ,,Aktenstück, bestimmt in gerichtlichen Verfahren als Beweismittel zu dienen", sei, sondern lediglieh ein Anmeldungsbeleg, welches den Registerführer in den Stand setzen soll, über die Organisation der Gesellschaft nötigenfalls Auskunft erteilen zu könuen, so falle es nicht unter die Bestimmungen des Stempelsteuergesetzes. Der Fall, den die Regierung des Kantons Tessin anführe, beziehe sich auf die Aktienbrauerei in Bellinzona, die im Kanton Tessin ihre Hauptniederlassung und nicht, wie die Rekurrentin nur eine Zweigniederlassung errichtete. Auch der Entscheid in diesem Fall sei Übrigens ein unrichtiger, denn er beruhe auf folgender falscher Erwägung : Unter Aktenstücken, die bestimmt sind, im gericht-

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liehen Verfahren als Beweismittel zu dienen, seien nicht nur solche zu verstehen, die einer richterlichen oder administrativen Behörde direkt eingereicht werden, sondern alle Akten, die eventuell vor eine solche Behörde gebracht werden können. Die bei einer Registerbehörde hinterlegten Akten könnten und müßten im Fall von Streitigkeiten bezüglich der Eintragung etc. dem Gerichte vorgelegt werden. Wäre die Ansicht des Staatsrats richtig, so würden alle möglichen Akten, alle Korrespondenzen, weil sie als Beweismittel vor Gericht gelangen können, unter das Stempelgesetz fallen, während es doch klar sei, daß unter den in Art. l des Gesetzes von 1858 genannten Akten nur solche zu verstehen sind, deren erster Zweck, zu welchem sie eigens angefertigt werden, es ist, als Beweismittel vor Gericht zu dienen.

Art. l leg. cit. beziehe sich ferner nur auf im Kanton Tessin ausgefertigte Originalakten nicht auf Kopien eines außerhalb des Kantons entstandenen und zum auswärtigen Gebrauch bestimmten Originalaktes.

Da der Kanton Tessin in 8 Handelsregisterbezirke eingeteilt ist, so wäre die Konsequenz aus der Ansicht des Staatsrats, daß die Beschwerdeführerin, wenn sie in allen Registerbezirken Filialen errichten wollte, eine Stempelgebühr von zusammen Fr. 88,000 bezahlen müßte. Solche Verhältnisse zu schützen, lag gewiß dem Bundesrat fern, als der Vorbehalt in Art. 41 der Verordnung von 1890 gemacht wurde.

Die Beschwerdeführerin erachte die Kompetenz des Bundesrates, trotzdem sich die obigen Ausführungen ira wesentlichen gegen dia Anwendung und Auslegung eines kantonalen Gesetzes richten, für gegeben, weil Art. 3 der inehrgenannten Verordnung dem Bundesrat die Oberaufsicht über die Führung des Handelsjegisters und die endgültige Entscheidung über Beschwerden gegen Verfügungen der kantonalen Aufsichtsbehörden gibt. Aus diesem Grunde falle auch der Grundsatz, daß die Auslegung kantonaler Gesetze Sache der kantonalen Behörden sei, hier außer Betracht.

Die der Beschwerdeführerin gegenüber zur Anwendung gebrachte Stempelsteuerpraxis enthalte aber auch einen Eingriff in die verfassungsmäßig garantierte Handels- und Gewerbefreiheit.

Für die dem Kanton durch die Errichtung der Filiale entstehenden direkten oder indirekten Aufwendungen werde er durch seinen Anteil an den ordentlichen Registergebiihren, sowie durch die
Vermögens- und Erwerbssteuer der Filiale und ihrer Angestellten gedeckt. Die außerordentliche Stempelgebühr stehe in keinem Verhältnis zu dem für die Filiale ausgesetzten Betriebskapital. Sie würde nicht nur die Rentabilität der Filiale in erheblicher Weise

923 schmälern, sondern durch die Schlechterstellung der Beschvtrerdeführerin gegenüber andern nicht eintragspflichtigen Geschäften geradezu prohibitiv wirken. Hierin liege eine Verletzung des Grrundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit sowohl als der Freizügigkeit.

II.

In Beantwortung der Beschwerde zog der Staatsrat des Kantons Tessin folgenden Schluß: Gestützt darauf, daß das Registerbureau in Mendrisio gemäß Art. 22 der Verordnung über das Handelsregister vollständig berechtigt war, von der Gesellschaft Gebrüder Gondrand, behufs Eintragung der Filiale in Chiasso, die Einreichung einer beglaubigten Abschrift der Statuten der Gesellschaft zu verlangen, stellen wir das Begehren: 0. daß der hohe Bundesrat sich für absolut inkompetent erkläre, zu prüfen, ob die obenerwähnte Abschrift gemäß den tessini8chen Gesetzen dem Stempel, und bejahendenfalls welchem, unterworfen sei ; eventuell b. daß derselbe in concreto den Rekurs der genannten Gesellschaft vom 12. April 1902 für unbegründet erkläre, da der für die Abschrift der Statuten geforderte Stempel in voller Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Gesetze des Ka.ntons Tessin steht.

Zur Begründung dieser Begehren führte der Staatsrat folgende» aus : 1. Da laut Art. 621 O.-R. bei Eintragung einer Aktiengesellschaft ins Handelsregister die Statuten der Gesellschaft in Urschrift oder in beglaubigter Abschrift dem Registerführer eingereicht werden müssen, und da nach Art. 22 der Verordnung vom 6. Mai 1890 für die Eintragung einer Aktiengesellschaftsfiliale dieselben Vorschriften gelten, so sei die Forderung des Registerführers von Mendrisio gegenüber der Rekurrentin eiae nach eidgenössischem Recht wohlbegründete gewesen, soweit sie auf Einreichung der Statuten ging. (Vgl. hierzu Siegmund, Handbuch für die Schweiz. Handelsregisterführer, pag. 369, sowie päg. 490 ff.)

2. Art. 41 der zit. Verordnung behalte ganz einfach die kantonalen Vorschriften über Stempelung vor: er mache keinen

924 Unterschied zwischen Format- und Wertstempel. Die restriktive Interpretation dieses Artikels durch die Rekurrentin sei eine ganz unbegründete, für welche es im Gesetz keinen Anhaltspunkt gäbe.

3. Somit sei nur noch die Frage zu entscheiden, ob und welchem Stempel nach tessinischem Gesetz die dem Registerführer einzureichende Abschrift der Gesellschaftsstatuten der Beschwerdeführerin unterliege. Die Entscheidung dieser rein im Gebiet des kantonalen Rechts liegenden Frage stehe allein den kantonalen Behörden zu, welche sie schon zu wiederholten Malen entschieden haben.

4. Übrigens sei der Nachweis dafür, daß. die Abschrift eines Vertrags dem Stempel unterworfen ist, leicht zu erbringen.

a. Unter Akten, welche dazu bestimmt sind, vor Gericht vollen Beweis zu erbringen, seien insbesondere auch alle diejenigen zu verstehen, welche von Privatpersonen errichtet werden in der Absicht, dieselben eventuell vor Gericht zur Erbringung eines vollen Beweises zu verwenden. Daher seien alle Verträge, alle Vereinbarungen irgendwelcher Art dem Stempel unterworfen und deshalb nenne denn auch das regierungsrätliche Dekret vom 20. September 1869 bei Festsetzung des Preises des Stempelpapiers im Verhältnis zürn Wert der Akten beinahe alle privaten Verträge und expressis verbis die Gesellschaftsverträge (Sammlung der tessinischen Gesetze, Bd. III, pag. 481).

Die Statuten einer Aktiengesellschaft seien eia solcher Vertrag, ein solches Aktenstück ; würden sie doch der Registerbehörde gerade deshalb eingereicht, um die Existenz der Gesellschaft nachzuweisen und im Fall von Anständen als Beweis zu dienen.

b. Aber selbst wenn man annehmen wollte, die Statuten der Beschwerdeführerin würden durch Art. 1 des Stempelsteuergesetzes nieht getroffen, so fielen sie doch unter Art. 55 des Gesetzes betreffend die Ordnung der Finanzen vom 10. Mai 1873, welcher lautet : ,,Diejenigen Akten, welche ihrer Natur nach nicht dazu bestimmt sind, vor Gericht vollen Beweis zu bilden, und die daher nicht auf Stempelpapier ausgestellt zu werden brauchen, die indessen als Bestandteil eines Beweises dienen könnten, dürfen eingereicht werden, wenn sie zuvor mit dem Visum über Stempel und Zahlung der Gebühr versehen werden (Gesetzessammlung, Bd. III, pag. 312).a Daß die Statuten dem Registerbureau als Bestandteil eines Beweises eingereicht werden, könne wohl nicht bestritten werden.

925 c. Der Einwand, im Fall der Aktienbrauerei in Bellinzona liege die Sache anders, weil es sich dort um die Eintragung der Hauptniederlassung, hier aber um die einer Filiale handle, sei nicht stichhaltig, da in beiden Fällen die Statuten vorgelegt werden müssen.

d. Daß nicht ,,alle möglichen Akten, auch die Korrespondenzen11 der Stempelsteuer unterstellt werden können, zeigen die «n den Art. 9 des Gesetzes vom 27. November 1858 und Art. 23 der Verordnung vom 26. November 1873 genannten Ausnahmen.

e. Die Behauptung, der Stempelpflicbt unterlägen nun- im Kanton angefertigte Originalakten, sei unrichtig. Art. 18 des Ge»etzes vom 27. November 1858 bestimme: ,,Die im Ausland angefertigten Akten und Dokumente, welche dazu bestimmt sind, im Kanton vollen Beweis zu bilden, , müssen vor dem Gebrauch zum Visum für den Stempel vorgewiesen werden,.... unter Bezahlung der bezüglichen Gebühr gemäß den vorstehenden Bestimmungen. tt Art. 19 des gleichen Gesetzes bedrohe denjenigen mit Buße, welcher Akten oder Dokumente vorweist,.... die im Ausland ausgestellt und nicht mit dem Visum für den Stempel versehen sind.

Endlich bestimme Art. 12 der Verordnung vom 26. November 1873, daß alle Privaturkunden, sowohl im Original als in Abschrift und ferner die beglaubigten Abschriften der'notariellen Urkunden auf Papier mit Wertstempel auszustellen seien.

f. Bei der Klarheit der gesetzlichen Bestimmungen, die, wenn sie auch vielleicht hart sind, doch immer gesetzlich bleiben, könne es sich also im angefochtenen Entscheid gar nicht um eine unrichtige Interpretation handeln.

g. Da die Interpretation kantonaler Gesetze übrigens Sache der kantonalen Behörden sei, so möge sich die Rekurrentin, wenn sie glaubt, diese Interpretation stehe dem Staatsrat nicht zu, mit ihrer Beschwerde an den Großen Rat des Kantons Tessin, aber nicht an diei.Bundesbehörde wenden.

' 5. Die Grundsätze der Handels- und Gewerbefreiheit und der Freizügigkeit schlössen das Recht der Kantone, eine indirekte Steuer in Form einer Stempelgebühr aufzustellen, keineswegs aus, was auch durch Art. 41 der oftzitierten Verordnung vom 6. Mai 1890 anerkannt werde.

6. Dem letzten Begehren der Rekurrentin gegenüber, wonach die Stempelgebühr nur von den für die Filiale ausgesetzten Be-

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triebskapital von Fr. 10,000 zu berechnen wäre, werde zunächst ebenfalls daran festgehalten, daß der Bundesrat zur Entscheidung über diese, die Anwendung eines kantonalen Fiakalgesetzes betreffende Frage nicht zuständig sei.

Sodann aber sei zu sagen, daß eine Filiale einen integrierenden Teil der Hauptniederlassung bilde, was daraus hervorgehe, daß der an der Spitze der Filiale stehende Prokurist ermächtigt ist, die Stamrnfirma zu vertreten. Die von ihm abgeschlossenen Geschäfte verpflichten die Hauptniederlassung so gut wie die Filiale.

III.

Die Beschwerdeführerin verzichtete auf die Einreichung einer Replik.

IV.

Es erschien dem Bundesrat vor der Entscheidung über die Beschwerde notwendig, sich über den Umfang der durch die Filiale Chiasso der Beschwerdeführerin abzuwickelnden Geschäfte eingehend zu informieren, weshalb die Rekurrentin aufgefordert wurde, einige beglaubigte Jahresbilanzen der Filiale einzusenden. Die Regierung des Kantons Tessin, welcher diese Bilanzen zur Vernehmlassung übermittelt wurden, beschränkte sich darauf zu bemerken, daß dieselben auf die juristische Seite der Streitfragen keinen Einfluß haben könnten. Immerhin sei es befremdlich, daß bei einem Umsatz.

von zirka Fr. 160,000 im Jahr 1901 und einem Bruttoertrag von Fr. 47,343. 90 die Bilanz nur mit einem Reingewinn von Fr. 2741.93.

abschließen könne.

Endlich sei noch darauf hinzuweisen, daß die Beschwerdeführerin trotz der Statuten das für die Filiale in Chiassa ausgeschiedene Betriebskapital von Fr. 10,000 jederzeit erhöhen könne^

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I.

Die Beschwerde ist rechtzeitig eingelegt worden. Es fragt sich, .ob der Bundesrat zur Entscheidung über dieselbe kompetent ist. Die Beschwerdeführerin hat verschiedene Gründe angeführt,, aus denen die Kompetenz des Bunderates sich ergeben soll. In dieser Hinsicht beruft sie sich

927 1. auf Art. 3 der bundesrätlichen Verordnung über Handelsregister und Haudelsamtsblatt vom 6. Mai 1890, welcher in seinem ersten Alinea lautet : ,,Der Bundesrat übt die Oberaufsicht über die Führung des Handelsregisters aus und entscheidet endgültig über Beschwerden gegen Verfügungen der kantonalen Aufsichtsbehörden."· Der Rekurs richtet sich nun gegen einen Entscheid der kantonalen tessinischen Aufsichtsbehörden und somit scheint die Kompetenz des Bundesrats in der Tat gegeben zu sein. Und in Wirklichkeit ist die Zuständigkeit des Bundesrates auch begründet, aber allerdings nicht in dem Umfang, wie die Beschwerdeführerin glaubt. Denn unrichtig ist die von ihr aus dem Text des zitierten Art. 3 der Verordnung gezogene Konsequenz, angesichts dieses Art. 3 komme der sonst stets beobachtete Grundsatz in Wegfall, wonach der Bundesrat darüber zu entscheiden hat, ob ein kantonales Gesetz von der kantonalen Behörde richtig angewendet und ausgelegt werde oder nicht. Die dem Bundesrat a. a. 0. zugeteilte Oberaufsicht beschränkt sich natürlich darauf, darüber zu wachen, daß bei den Handelsregisterbureaux die in eidgenössischen Gesetzen und Verordnungen über die Führung dieser Register enthaltenen Bestimmungen richtig zur Anwendung kommen, und die aus dieser Oberaufsicht resultierende Kompetenz zur Entscheidung über Beschwerden gegen die kantonalen Aufsichtsbehörden ist natürlich auch nur insoweit begründet, als die streitigen Fragen sich auf dem Gebiet des eidgenössischen Rechts bewegen. Eine weitergehende Kompetenz hätte sich der Bundesrat auf dem Weg einer eigenen Verordnung unmöglich einräumen können ; dazu hätte es eines Aktes der tessinißchen Gesetzgebung bedurft.

Übrigens ergibt sieh die Einschränkung der Kompetenz des Bundesrates, wenigstens bezüglich der kantonalen Stempelsteuergesetze, auf das Deutlichste aus Art. 41, AI. 3, der mehrgenannten Verordnung, lautend : ,,Die kantonalen Vorschriften über Stempelung sind vorbehalten.a Die Beschwerdeführerin leitet die Kompetenz des Bundearates 2. daraus ab, daß die ihr auferlegte Stempelgebühr, wie sie behauptet, im Widerspruch mit Art. 31 der B.-V. stehe, eine Verletzung des Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit darstelle. Gemäß Art. 189, Ziff. 3, des O.-G. und feststehender Praxis des Bundesrates kann nun ein Zweifel darüber nicht bestehen,
daß der Bundesrat befugt ist zu prüfen, ob die kantonale Verfügung, gegen welche der Rekurs ergriffen wird, eine solche Verletzung enthalte, oder ob durch den einzelnen Anwendungsfall einer

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Gesetzesbestimmung, die im übrigen zu Recht besteht, das in Art. 31 B.-V. garantierte ladividualrecht in der Person des Rekurrenten verletzt wird.

II.

In Anwendung der eben auseinandergesetzten Grundsätze auf den der vorliegenden Beschwerde zu Grunde liegenden Tatbestand ergibt sich folgendes : Streitig ist unter den Parteien : 1. ob bei der Anmeldung einer Filiale eioer Aktiengesellschaft zur Eintragung ins Handelsregister die Statuten der Gesellschaft bei der Registerbehörde deponiert oder überhaupt vorgelegt werden müssen, oder nicht ?

Beide Parteien berufen sich in ihren, diese Frage betreffenden Ausführungen auf das Obligationenrecht und die Verordnung zum Handelsregister, also auf eidgenössisches Recht. Es huldigen beide der Ansicht, daß die Lösung der Frage, die anläßlich der Eintragung der Filiale ins Handelsregister, also bei der Erfüllung eines durch das Obligationenrecht aufgestellten und geregelten Erfordernisses, auftauchte, auch aus den Bestimmungen des eidgenössischen Rechts geschöpft werden müsse. Dies mit Recht.

Daraus aber folgt gemäß Art. 3 der mehrgenannten Verordnung (cf. oben B. I, 1), daß der Bundesrat zur Entscheidung über diesen Streitpunkt zweifellos kompetent ist.

Streitig ist unter den Parteien: 2. ob für den Fall der Bejahung des ersten Punktes die der Registerbehörde einzureichenden Statuten dem kantonalen Stempelgesetz unterstehen, oder nicht?

Das letztere ist, wie die Beschwerdeführerin selber zugeben muß, eine Frage kantonalen Rechts, eine Frage der Interpretation der kantonalen tessinischen Stempelsteuergesetze. Daß diese Frage .gerade bei der Eintragung ins Handelsregister aufgetaucht ist, bildet ein ganz zufälliges Moment des Tatbestandes und ist als solches ohne irgendwelchen Einfluß auf die Entscheidung der Kompetenzfrage. Es ergibt sich dies aus der einfachen Erwägung, daß die ganz gleiche Frage sich auch anläßlich eines Streites hätte erheben können, in welchem nur tessinisches Recht in Frage stand, aber die Statuten der Gesellschaft z. B. als Beweismittel flir irgend eine Tatsache hätten ins Recht gelegt werden müssen.

In einem solchen Fall hätte die Beschwerdeführerin den Bundesrat wohl kaum als kompetente Behörde angerufen.

929 Nachdem nun oben unter B. I, l, die Irrigkeit der von der Kekurrentin aus Art. 3 der mehrgenannten Verordnung gezogenen, die Kompetenz des Bundegrates auch für die Entscheidung dieses Streitpunktes statuierenden Konsequenz nachgewiesen worden ist, muß denn auch nach dem vorstehenden die Kompetenzfrage bezuglich »dieses zweiten Punktes verneint werden.

Streitig ist unter den Parteien : 3. ob die der Rekurrentin abverlangte Gebühr von Fr. 11,000 ihres Betrages wegen sieh als eine mit dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit vereinbare erweise oder nicht?

Zur Entscheidung über diesen Streitpunkt ist der Bundesrat genieß Art. 189, Ziffer 3, des Organisationsgesetzes und nach feststehender Praxis zuständig (cf. oben B. I, 2).

III.

Was nun die materielle Entscheidung der Frage unter B. II, l oben betrifft, so hat sich der Bundesrat darüber, ob bei der Eintragung der Filiale einer Aktiengesellschaft im Handelsregister die Statuten dem ßegisterführer vorgelegt und bei ihm deponiert werden müssen, in einem vom 17. April 1896 datierten Entscheid folgendermaßen ausgesprochen : ,,Die Zweigniederlassung hat eine selbständige Geschäftsführung; sie kann sich selbständig Dritten gegenüber verpflichten und hat ihren besonderen Gerichtsstand. Das Publikum am Orte der Zweigniederlassung hat daher ein großes Interesse daran, die Grundlagen und die Kreditfähigkeit der Aktiengesellschaft zu kennen. Da es mit der Filiale in direkte geschäftliche Verbindung treten kann, ohne auf die Hauptniederlassung angewiesen zu sein, so muß ihm auch die Möglichkeit geboten werden, sich über deren Verhältnisse beim Handelsregister der Zweigniederlassung tt vollständig zu orientieren ,,Nur die Eintragung im Handelsregister selbst bietet ihm die Möglichkeit, sich jederzeit vollständige Auskunft über die eingetragenen Tatsachen zu erholen. Darauf hat aber, wie bereits bemerkt wurde, die Geschäftswelt am Orte der ZweigniederlaüsuDg ebenso gut Anspruch wie diejenige am Orte der Hauptniederu lassung ,,Es besteht also kein Grund, den Art. 22, Absatz l, der Verordnung nicht wörtlich auszulegen. Derselbe befiadet sich vollständig im Einklänge mit dem Gesetz, das nirsieuds einen Unterschied macht zwischen der Eintragung einer Hauptniederlassung Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. V.

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930 und derjenigen einer Zweigniederlassung. Art. 865, Abs. 4, O.-R.

bestimmt ganz einfach: ,,Hat er (der Geschäftsinhaber) an einem anderen Orte eine Zweigniederlassung, so ist auch an diesem die E i n t r a g u n g vorzunehmen.11 Die Statuten müssen daher in ihrem ganzen Umfang im Handelsregister jeder Filiale eingetragen, beziehungsweise im Sinne der Art. 621 O.-R. und 17. der Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt deponiert werden."

Die Behauptung der Beschwerdeführerin, es bestehe im eidgenössischen Recht keine Bestimmung, wonach die Aktiengesellschaft zur Deponierung ihrer Statuten beim Registerführer der Zweigniederlassung verpflichtet sei, erscheint somit als eine irrige und soweit der Rekurs auf dieses Argument gegründet ist, kann er nicht gutgeheißen werden.

IV.

Nachdem dies festgestellt ist, bleibt für den Bundesrat nur noch ein Punkt zu entscheiden übrig. Die dem angefochtenen Beschluß zu gründe liegende Interpretation der tessmischen Stempelsteuergesetze, fiie auf ihre Rishtigkeit zu prüfen nicht Sache des Bundesrates sein kann, unterwirft die bei der Eintragung der Filiale' Chiasso zu deponierenden Statuten der Beschwerdeführerin dem Wertstempel. Die verlangte Stempelgebühr beträgt Fr. 11,000. Die noch zu lösende Frage ist die, ob dadurch, daß die Beschwerdetührerin schuldig erklärt wurde, diese Summe zu bezahlen, die Handels- und Gewerbefreiheit in der Person der Beschwerdeführerin verletzt sei.

Dem in Art. 31, Alinea l, der Bundesverfassung festgelegten Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gegenüber werden in lit. e des genannten Artikels vorbehalten : Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerbe, über B e s t e u e r u n g des G e w e r b s b e t r i e b e s etc., immer unter Wahrung des eingangs des Artikels aufgestellten Grundsatzes.

Auf den ersten Blick möchte es scheinen, als ob eine Stempelgebühr überhaupt nicht unter eine der vorbehaltenen kantonalen Maßnahmen falle. Allein nicht der Name, sondern der eigentliche Charakter einer kantonalen Verfügung, muß für ihre Beurteilung vom Standpunkt der Handels- und Gewerbefreiheit aus maßgebend sein. Das wesentliche ist darin zu suchen, daß die Bundesverfassung alle solchen kantonalen Erlasse, in denen eine Verletzung jenes Prinzips liegt, ausschließt. Das Beschwerderecht aus Art. 31 der Bundesverfassung ist in jedem Fall gegeben, wo die Anwendung eines wie immer genannten, wie immer gearteten kantonalen

931 öffentlich-rechtlichen Erlasses eine Verletzung der Handels- 'Und Gewerbefreiheit darstellt, den Betrieb eines Handels oder eines Gewerbes unmöglich macht oder doch wesentlich erschwert. '· Demnach ist die Beschwerdeführerin zweifellos berechtigt, auch gegen ein Stempelsteuergesetz oder dessen Anwendung auf sie Art. 31 der Bundesverfassung gegebenenfalls anzurufen.

Wenn nun die Regierung des Kantons Tessin sub 5 ihrer Rekursbeantwortung ausführt: ,,Die Handelsfreiheit, die Wohnungs- und Niederlasisungsfreiheit haben in den Kantonen niemals das souveräne Recht der Fiskalgesetzgebung ausgeschlossen, das Recht, diejenigen Abgaben und Steuern festzusetzen, welche sie für richtig und zweckmäßig halten. Und die Stempelgebühr ist ja nichts anderes als eine indirekte Steuer, welche jeder Kanton ohne irgendwelche Einschränkung festzusetzen befugt ist. Art. 41 der oben zitierten eidgenössischen Verordnung anerkennt und respektiert dies, gerade im Hinblick auf die Kantonalsouveränetät, auch hinsichtlich der auf die Eintragungen ins Handelsregister bezüglichen Akte. Jede Einmischung seitens der eidgenössischen Behörde, welche darauf ausginge, dieses Recht abzuschwächen oder einzuschränken, würde eine Verletzuog und Verkennung der kantonalen Autonomie bedeuten," so ist vor allem hervorzuheben, daß sie die Stempelgebühr offenbar auch ihrerseits als indirekte Besteuerung des Gewerbebetriebs auffaßt. Bei dieser Auffassung und angesichts des Art. 31 der Bundesverfassung ist dann nur die weitere Behauptung unerklärlich, es bestehe für die kantonale Fiskalgesetzgebung keine bundesrechtliche Schranke, während es doch ganz klar ist, daß sie sowohl auf dem Gebiet der direkten als der indirekten Besteuerung durch den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit beschränkt ist. Wohl hat der Bund die Besteuerung von Handel und Gewerbe in jeder Form durch den Vorbehalt in lit. e des Art, 31 der Bundesverfassung den Kantonen frei und anheim gegeben, aber nur unter ausdrücklicher Wahrung des im ersten Alinea des genannten Artikels aufgestellten allgemeinen, über den Ausnahmen stehenden Grundprinzips.

Daß die Verordnung über das Handelsregister und das Handelsamtsblatt vom 6. Mai 1890 mit dem Vorbehalt der kantonalen Stempelgesetzgebung in Art. 41 nicht weiter gehen konnte und wollte als die Bundesverfassung bedarf keiner näheren Erörterung.

Von dem somit gewonnenen Standpunkt aus ist es auch sofort klar, daß die vom Bundesrat durch Einforderung der Bi-

932 lanzen der Filiale Chiasso vorgenommene Aktenergänzung von entscheidendem Einfluß auch auf die juristische Seite der Rekursentscheidung ist und sein muß. Denn nur der Umfang der im Kanton Tessin sich abwickelnden Geschäfte der Rekurrentin kann einen Anhaltspunkt dafür geben, ob die Gebühr welche die tessinische Regierung von der Filiale Chiasso erheben will, den Geschäftsbetrieb dieser -Filiale unmöglich macht oder wesentlich beeinträchtigt. Die Regierung des Kantons Tessin hat die Richtigkeit der "von einem tessinischen Notar beglaubigten Bilanzen nicht bestritten.

Sie umfassen die Jahre 1899 bis 1901 und zeigen eine fortschreitende Abnahme des Reingewinns. Immerhin dürfte auf die sehr niedrige Ziffer des Reinertrags pro 1901 keiin allzu großes Gewicht zu legen sein, da sich dieselbe aus der allgemein schlechten wirtschaftlichen Lage dieses Jahres in Europa, unter welcher natürlich das Transportgeschäft wesentlich leiden mußte, erklären läßt.

Aber wie dem auch sei, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß zwischen der von der Tessiner Regierung geforderten Taxe und dem aus dem Betrieb der Filiale Chiasso resultierenden Geschäftsgewinn ein schreiendes Mißverhältnis vorhanden ist; denn diese Taxe geht weit hinaus über den Gewinn eines guten Geschäftsjahres und müßte somit den Betrieb der Filiale für längere Zeit völlig gewinnlos machen oder doch ganz wesentlich beeinträchtigen. Berücksichtigt man zudem noch, daß neben dieser Gebühr die jährlich wiederkehrenden Staats- und Gemeindesteuern und darunter auch eine besondere Gewerbesteuer bezahlt werden müssen, so springt es in die Augen, daß jene Taxe mit dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit absolut unvereinbar ist, daß sie, um sich nicht mehr als schwere Verletzung dieses Prinzips darzustellen, eine ganz wesentliche Reduktion erfahren muß.

V.

Die im vorstehenden gewonnenen Resultate können nun zweifellos nicht zum Zuspruch des zweiten eventuellen Begehrens der Rekurrentin führen, denn eine diesem Begehren entsprechende Entscheidung könnte nur gefällt werden auf Grund einer neuen Interpretation der tessinischen Steuergesetze, und zu einer, solchen ist der Bundesrat, wie oben gezeigt wurde, nicht zuständig.

Aber auch das erste Begehren der Beschwerdeführerin kann nicht im vollen Umfang zugesprochen werden. Denn nicht die Berechtigung der tessinischen Regierung, eine Stempelgebühr zu verlangen, als solche, sondern nur die tatsächlich geforderte und ihrer exorbitauten Höhe wegen mit dem Grundsatz der Handelsund Gewerbefreiheit im Widerspruch stehende Gebühr muß bundesrechtlich beanstandet werden.

osa Demnach wird erkannt: 1. Der Rekurs wird im Sinne der.Erwägungen gutgeheißen und demgemäß die Regierung des,,.Kantons Tessin unter Aufhebung ihres Beschlusses vom 24. März 1902, soweit derselbe die vom Registerführer des Bezirkes Mendrisio verlangte Gebühr im Betrage von Fr. 11,000 gutheißt, eingeladen, den genannten Handelsregisterführer anzuweisen, die Eintragung der Filiale Chiasso der Rekurrentin, vorzunehmen.

2. Der Regierung des Kantons Tessin bleibt vorbehalten, für die Eintragung ins Handelsregister eine den Grundsätzen der Handels- und Gewerbefreiheit angemessene Taxe zu beziehen.

3. im übrigen wird die Besehwerde abgewiesen.

B e r n , den 20. Dezember 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde der Internationalen Transportgesellschaft, Gebrüder Gondrand, Aktiengesellschaft mit Sitz in Brig und Filiale in Basel, gegen die Verfügung des Staatsrats des Kantons Tessin vom 24. März 1902, betreffend Stempel...

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1902

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24.12.1902

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918-933

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