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Bericht des

Bundesrates über die Beschwerde der Elise Häuselmann an die Bundesversammlung gegen den Beschluß des Bundesrates vom 18. Februar 1902 betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung in der Ey bei Sumiswald, Kanton Bern.

(Vom 12. Juni 1902.)

Tit.

I.

Der schweizerische Bundesrat hat am 18. Februar 1902 über die Beschwerde der Elise H ä u s e l m a n n , von Sumiswald, Kanton Bern, wegen Verweigerung einer "Wirtschaftsbewilligung in der Ey bei Sumiswald durch den Regierungsrat des Kantons Bern; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements,

folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Beschluß vom 17. September 1901 bat der Regierungsrat des Kantons Bern das Gesuch der Elise Häuselmann von Sumiswald um Erteilung einer Bewilligung für den Betrieb einer

810 Schenk- und Speisewirtschaft in der Ey bei Sumiswald in der Krwägung abgewiesen: ,,daß das Bedürfnis einer Wirtschaft in der Ey durchaus nicht vorhanden ist, gegenteils eine solche dem öffentlichen Wohle zuwider wäre, und insbesondere die Errichtung einer Wirtschaft in der Nähe des Armenhauses unstatthaft erscheint; -- daß die Empfehlung einer Anzahl Bewohner der Umgebung mehr als Gefälligkeit angesehen werden muß, und nicht ernstlich ins Gewicht fallen kann.1'' Der Beschluß ist der Gesuchstellerin am 23. September 1901 mitgeteilt worden.

2.

Gegen diesen Beschluß hat Elise Häuselmann durch Eingabe vom 20. November 1901 beim Bundesrat die staatsrechtliche Beschwerde erhoben und das Rechtsbegehren gestellt, es möchte der Regierungsrat zur Erteilung des von ihr nachgesuchten Patentes verhalten werden. Zur Begründung ihrer Beschwerde bringt sie folgendes vor : Der Gemeinderat von Sumiswald hat in seiner Begutachtung des Gesuches der Rekurrentin vom 8. Juli 1901 zu Händen der die Patente erteilenden Behörde erklärt, daß die Gesuchstellerin alle persönlichen Requisite für den Wirtschaftsbetrieb erfülle, und daß Lage und Einrichtung des für den Betrieb in Aussicht genommenen Gebäudes den gesetzlichen Erfordernissen entsprechen.

Während sich aber die Erfüllung dieser beiden Requisite leicht konstatieren läßt, ist dies nicht der Fall mit dem weiteren, von § 6 des bernischen Wirtschaftsgesetzes vom 19. April 1894 aufgestellten Requisit, welcher die Errichtung einer neuen Wirtschaft zu verweigern vorschreibt, ,,wenn das Entstehen einer Wirtschaft am betreffenden Ort dem lokalen Bedürfnis und dem öffentlichen Wohl zuwider ist"1. Diese Bestimmung läßt dem Belieben der Administrativbehörden den weitesten, an keine Schranke gebundenen Spielraum.

Die Rekurrentin glaubt nun aber den Nachweis erbringen zu können, daß der Betrieb ihrer Wirtschaft dem öffentlichen Wohle keinen Schaden bringen würde.

Der Regierungsrat hat sich bei der Verneinung der Bedürfnisfrage auf das Zeugnis des Gemeinderates von Sumiswald gestützt, das jener bei seiner Begutachtung des Wirtschaftsgesuches

811 der Patentbewerberin am 8. Juli 1901 abgab. Dieses Zeugnis darf nun aber nicht als ein objektives hingenommen werden, denn im Gemeinderat sitzen zwei Mitglieder, von denen das eine selbst Wirt, das andere Verwandter eines Wirtes ist ; und es ist ·kaum zu bezweifeln, daß die Interessenkollision, wie sie bei diesen zwei Mitgliedern gegeben ist, auch auf die übrigen Mitglieder des Gemeinderates ihren Einfluß äußert.

Gegenüber dem Zeugnis des Gemeinderates kann Rekurrentin auf ein anderes Zeugnis verweisen, das von 104 ehrenhaften Bürgern von Ey und Umgebung unterschrieben ist; von den Unterzeichnern sind nach amtlicher Bescheinigung vom 9. August 1901 alle ohne Ausnahme stimmberechtigt, und es befinden sich unter ihnen 97 Hausväter, oder solche, die auf eigene Rechnung ein Geschäft betreiben. Dieses Zeugnis erklärt: ,,Die in der Ey bei Sumiswald in Aussicht genommene Wirtschaft hat daselbst ihre volle Berechtigung.

Dieselbe kann dem Gemeindearmenhaus nicht Schaden zufügen, indem alle Garantie für die richtige Führung der Wirtschaft geboten ist und die Lokalitäten anständig eingerichtet sind.

Wenn dem Patentgesuche nicht entsprochen würde, so wäre es eine große Ungerechtigkeit gegenüber Griesbach, wo letzten Herbst eine Wirtschaft eröffnet wurde. Trotzdem jene Wirtschaft vom Gemeinderat von Sumiswald nicht empfohlen war, wurde dem Patentgesuche in erster Instanz entsprochen. Nun sind die Verhältnisse in der Ey für Errichtung einer Wirtschaft ebenso günstig wie im Griesbach. Zwischen Sumiswald-Grünen und Wasen ist keine Wirtschaft, während auf der ändern Seite von Sumiswald die Wirtschaften Engelberg, Tannenbad und Restaurant Griesbach sich befinden.

Demzufolge wird die in der E}' projektierte Wirtschaft von den Unterzeichneten empfohlen."· Wenn diese Erklärung seitens des bernischen Regierungsrates mit der Bemerkung abgethan wird, sie sei bloß als Gefälligkeitsäkt zu betrachten, und dagegen das gemeinderätliche Zeugnis ohne weiteres als richtig angenommen wird, so grenzt eine solche Würdigung bestehender Verhältnisse an Willkür.

Die Motive, welche den Gemeinderat laut seinem Zeugnis zu einer Verneinung der Bedilrfnisfrage führten, sind bloß die, daß sich in dem 8 Minuten -- übrigens eine Viertelstunde -- entfernten Sumiswald bereits drei, und in dem 10 Minuten -- that· sächlich mehr als eine Viertelstunde -- entfernten Grünen zvvei

812 Wirtschaften befinden. Wie wenig diese Erklärung beweist, ergiebt sich aus einer vergleichenden Zusammenstellung des Verhältnisses von Wirtschaften und Bevölkerungszahl in den bedeutenderen Gemeinden der Umgebung von Suiniswald. In der Kirchgemeinde Sumiswald kommen, auch wenn die Wirtschaft der Rekurrentin bewilligt wird, immer noch erst eine Wirtschaft auf cirka 320 Einwohner, während das Verhältnis in der Kirchgemeinde Wasen l : 286, in Affoltern l : 285, in Walterswü l : 282, in Huttwil l : 230 ist. Für die projektierte Wirtschaft fällt noch in Betracht, daß sie an der sehr verkehrsreichen Straße Ramsey-Grünen-Wasen, Sumiswald-Wascn und am vielbegangenen Fußweg nach dem Dürrgraben liegt.

Was die Nähe der Armenanstalt von Sumiswald betrifft, so ist die Würdigung dieser Thatsache für die Frage der Patenterteilung an die Beschwerdeführerin eine durchaus willkürliche.

In seinem schon erwähnten Gutachten vom 8. Juli 1901 erklärt der Gemeinderat von Sumiswald, die Wirtschaft befinde sich nicht in der Nähe einer Kirche, eines Schulhauses, eines Spitals oder einer ähnlichen Anstalt, und dies entspricht auch allein dem, was das Wirtschaftsgesetz von den Wirtschaftsgebäulichkeiten verlangt, indem es in § 4, Ziffer l, bestimmt: ,,Die für die Ausübung einer Wirtschaft bestimmten Räumlichkeiten sollen folgende Bedingungen erfüllen: ,,Zweckmäßige, gesunde und von der Polizei leicht zu beaufsichtigende Lage, insbesondere nicht in störender Nähe einer Kirche, eines Schulhauses, eines Spitals oder ähnlicher Anstalten ; die Einrichtungen sind so zu treffen, daß die Nachbarn gegen den Wirtschaftslärm möglichst geschützt sind."

Es handelt sich also nach dieser Gesetzesbestimmung nicht um die Gefahren, die eine Wirtschaft für die Insaßen einer Anstalt, in casu der Armenanstalt Sumiswald, dadurch mit sich bringt, daß einige Pfleglinge in Versuchung geraten könnten, sich alkoholische Getränke in dieser Wirtschaft zu verschaffen; dies letztere war der einzige Grund, warum die Aufsichtskommission des Armenhauses eine Eingabe an den Regierungsrat zum Zwecke der Hintertreibung einer Patenterteilung an die Rekurrentin gerichtet hat.

Die Aufsichtsbehörde stützt ihre Ansicht einzig darauf, daß in der Wirtschaft, die früher im gleichen Hause bestanden habe, trotz Verzeigungen und Mahnungen wegen Übertretungen der Gesetzesbestimmungen an die Insaßen der Armenanstalt geistige

813 Getränke verabfolgt worden seien. Dem gegenüber ist aber festzustellen, daß die frühern Wirte wegen solcher Übertretungen nie bestraft worden sind, und daß wegen strafbarer Handlungen durch einen Wirt dem gutbeleumdeten Nachfolger das Patent nicht entzogen werden kann (Bundesratsentscheid vom 7. Mai und 6. August 1880).

Es erübrigt noch, auf einen ändern Umstand hinzuweisen, der zum Zuspruch des Rechtsbegehrens an die Rekurrentin führen muß. Im Herbst 1900 ist von der Direktion des Innern, entgegen einem Gutachten des Gemeinderates, einem E. Scheidegger das Patent für eine Wirtschaft in Griesbach, an der Sumiswald-Huttwilstraße, erteilt, und die Wirtschaft ist auch eröffnet worden. Nun sind die Verhältnisse in Ey günstiger als in Griesbach, da in diesem letztern Orte viel weniger Verkehr und Industrie ist als in Ey, und auf jener Seite schon drei Wirtschaften liegen. Infolge der Bewilligung der Wirtschaft in Griesbach konnte die Rekurrentin sicher darauf zählen, daß ihr ein Patent nicht werde verweigert werden. Dadurch, daß der Regierungsrat .das Patent trotzdem verweigert hat, hat er das verfassungsmäßig garantierte Recht der Rechtsgleichheit der Bürger verletzt.

3.

Zur Vernehmlassung auf die Beschwerde eingeladen, beantragt der Regierungsrat des Kantons Bern mit Zuschrift vom 15. Januar 1902 die Abweisung, und führt aus: Es ist unzulässig, das Zeugnis des Gemeinderates von Sunriswald, auf Grund dessen er das Wirtschaftsgesuch der Rekurrentin einstimmig zur Verweigerung empfohlen bat, als eine nicht objektive und unbefangene Meinungsäußerung zu bezeichnen, wie dies von der Rekurrentin geschieht, und sie durch die empfehlenden Unterschriften von 97 Bürgern widerlegen zu wollen.

Der Regierungsrat hatte sich doch offenbar nicht an letztere, sondern an das Gutachten der durchaus ehrenwerten Gemeindebehörde zu halten, und das um so mehr, als der Regierungsstatthalter in nicht minder entschiedener Weise sich in gleichem Sinne ausgesprochen und der durch Mitglieder des Regierungsrates vorgenommene Augenschein die Richtigkeil der vorangegangenen Gutachten bestätigt hatte. Abgesehen von dem zweifelhaften Werte der Empfehlung von so und so viel Bürgern in Angelegenheiten eines Wirtschaftsgesuches überhaupt, wird darauf aufmerksam gemacht, daß die 97 Bürger zu einem sehr

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großen Teil im Dorfe Sumiswald selbst, wo es ihnen an Wirtschaften nicht fehlt, andere in einer weitern Umgebung und nur eine relativ geringe Zahl in der Ey und ihrer nächsten Umgebung wohnen, so daß schon aus diesem Grunde die /ahi der Unterschriften für das wirkliche Vorhandensein eines Bedürfnisses nach einer Wirtschaft in der Ey nichts beweist.

Dor von der Rekurrentin durch weitere Ausführungen versuchte Nachweis für das wirkliche Vorhanden sei u eines Bedürfnisses muß gleichfalls als unzutreffend bezeichnet werden. Eine vergleichende Darstellung des Verhältnisses der Wirtschaften zur Bevölkerungsziffer ergiebt allerdings für die Gemeinde Sumiswald eine etwas geringere relative Zahl von Wirtschaften als für einige andere Gemeinden der Umgebung, welche Rekurrentin speciell zum Vergleich ausgewählt hat; diese schablonenmäßige Art, das Bedürfnis nach Errichtung neuer Wirtschaften zu beurteilen, ist jedoch eine ganz verkehrte; sonst müßte ja aus der Thatsache, daß es leider Gemeinden giebt, welche schon auf ca. 100 Seelen eine Wirtschaft besitzen, indem es eben schwer hält, gegenüber längst bestehenden den Becliirfnisartikel anzuwenden, der Schluß gezogen werden, daß nun auch jede andere Gemeinde mit einer ebenso großen Zahl von Wirtschaften beglückt werden müsse. Es muß vielmehr die Aufgabe der Behörden darin erblickt werden, daß ein ungesundes Anwachsen der Zahl solcher Etablissemente möglichst verhütet und von der Kantonsregierung das hierauf zielende Bestreben einsichtiger Gemeinde- und Bezirksbehörden unterstützt wird. Deshalb ist auch jeder einzelne Fall nach seinen besondern Verhältnissen zu beurteilen. Nun wird im vorliegenden Rekurse die Bedeutung der Häusergruppe Ey hinsichtlich des Verkehrs und der industriellen Verhältnisse bedeutend übertrieben. Das einzige dort befindliche gewerbliche Etablissement ist die Gerberei; die Uhrenfabrik mit ihrer bescheidenen Arbeiterzahl liegt dem Dorfe Sumiswald ebenso nahe wie der Ey, der Verkehr von Wasen nach Sumiswald führt seit Erstellung einer neuen Straße nicht mehr über Ey, sondern direkt dem Dorl'e zu. Es bleibt der Verkehr nach Grünen und den weiter hinausliegenden Ortschaften; von der Rekurrentin wird aber nicht bestritten, daß in dem nur eine Viertelstunde von der Ey entfernt liegenden Grünen sich zwei Wirtschaften befinden. Es ist daher
unbegreiflich, wie angesichts dieser Thatsachen ein Bedürfnis für Ey behauptet werden kann.

Das vorgebrachte Motiv der Nähe der Armenanstalt hätte man, da zur Verweigerung des Patentes sonst schon genügend«

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Gründe vorlagen, füglich entbehren können ; weil jedoch die Aufsichtskommission der Anstalt, angesichts früherer Erfahrungen, ausdrücklich Einsprache gegen die Wiedererrichtung einer Wirtschaft in der Nähe der Anstalt erhob, hielt man es für durchaus richtig, auch dieses Motiv, gestützt auf Art. 4, Ziffer l, dos bernischen Wirtschaftsgesetzes vom 19. April 1894 in den Abweisungsbeschluß vom 17. September 1901 aufzunehmen. Wohl liegt die Handhabung der Disciplin in einer derartigen Anstalt in erster Linie dem leitenden Organ ob ; die Erfahrung lehrt aber auch, wie sehr Insaßen von Armenanstalteu geneigt sind, direkt oder durch Dritte sich geistige Getränke aus naheliegenden Wirtschaften heimlich zu verschaffen, so daß es gewiß gerechtfertigt erscheint, dieser Gefahr möglichst vorzubeugen und sie nicht noch zu vergrößern.

Die von der Rekurrentin beigebrachte Erklärung der Armenbehörde von Sumiswald kann in dieser Hinsicht kein Gewicht beanspruchen. Diese Armenbehörde hat zwar das Armenwesen im allgemeinen zu besorgen, für die Anstalt besteht jedoch eine besondere Aufsichtskommission, und wenn diese im Gefühle ihrer Verantwortlichkeit gegen die Errichtung der Wirtschaft Einsprache erhebt, so verdient diese Kundgebung mehr Beachtung als jene Erklärung.

Schließlich ist noch die von der Rekurreutin, unter Herbeiziehung des Falles Scheidegger in Griesbach, wo irn Jahre 1900 ein Wirtschaftspatent bewilligt wurde, behauptete Rechtsungleichheit zu bestreiten. Griesbach liegt nicht allein an der Straße von Sumiswald nach Huttwil, sondern es münden daselbst mehrere Seitenwege in die Straße, so namentlich ein solcher direkt von der Station Ramsey her, ohne Berührung von Sumiswald. Zudem waren damals gleichzeitig vier Patentgesuche eingelangt, und der Regierungsstatthalter hatte sich dahin ausgesprochen, daß ihm eine gesetzliche und der öffentlichen Aufsicht unterstellte Wirtschaft lieber sei, als das Bestehen von Winkclwirtschaften, über welche zu jener Zeit in Griesbach mit Recht geklagt wurde.

Der Bundesrat hat übrigens erst kürzlich am 3. Januar 1902, im Rekursfalle Leiser und Joß in Langnau anerkannt, daß die Erteilung eines Wirtschaftspatentes in einem Teile einer Gemeinde an sich noch keinen Anspruch auf die Erteilung eines solchen in einem ändern Teile und unter ändern Verhältnissen begründe.

816 B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Der Beschluß des Regierungsrates des Kantons Bern vom 17. September 1901 wird von der Beschwerdeführerin als bundesverfassungswidrig angefochten, weil er gegenüber ihrem Gesuche um Erteilung eines Wirtschaftspatentes in der Ejr in willkürlicher und die Rechtsgleichheit der Bürger mißachtender Weise die Bedürfnisfrage für die Ey verneint und wegen mangelnden Bedürfnisses das Patent verweigert habe.

Die Beschwerde ist rechtzeitig eingereicht worden. Der Bundesrat ist zur Entscheidung kompetent, weil die Beschwerdeführerin eine willkürliche und rechtsungleiche Anwendung des von der Bundesverfassung gewährleisteten Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit behauptet, und diesbezügliche Beschwerden gemäß Art. 189, Ziffer 3, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege der Beurteilung des .Bundesrates unterstellt sind.

Die Beantwortung der Bedürfnisfrage durch den Regïerungsratsbcschluß wird in erster Linie als willkürlich bezeichnet, weil zur Prüfung und Beantwortung derselben die Regierung sich auf das von einer befangenen Behörde abgegebene Gutachten gestützt habe. Dem gegenüber ist festzustellen, daß die Regierung sich nicht nur auf das Gutachten des Gemeinderates von Sumiswald vorn 8. Juli 1901, das mit dem erhobenen Vorwurf getroffen werden soll, stützt, sondern ebensosehr auf dasjenige des Regierungsstatthalters, sowie auf die persönliche Wahrnehmung von delegierten Mitgliedern ihrer eigenen Behörde. Der Vorwurf der Befangenheit selbst aber entbehrt der Begründung, da nach den Feststellungen des kantonalen Regierungsrates der Beschluß des Gemeinderales von Sumiswald einstimmig erfolgte und keine thatsächlicheii Anhaltspunkte dafür vorliegen, anzunehmeo, daß die Eigenschaften zweier Mitglieder als Wirte oder Verwandte von Wirten auf die, Beschlußfassung der Gemeindebehörde irgend welchen Einfluß gehabt haben.

Des weitern bezeichnet die Rekurrentin die Beantwortung der Bedürfnisfrage als willkürlich, weil der Regieruugsrat der Erklärung von 104 stimmberechtigten Bürgern, die in Sumiswald und Umgebung wohnen, nicht ausschlaggebende Bedeutung zugemessen hat. Das an ihn gestellte Ansinnen auf eine solche Berücksichtigung der Meinungsäußerung von Privatpersonen hat

817 aber der Regierungsrat mit Recht von der Hand gelehnt, und der Bundesrat hat in gleichen Fällen die Kantonsregierungen zu wiederholten Malen geschützt, sobald nicht nachgewiesen werden konnte, daß die von den amtlichen Organen ausgehenden Begutachtungen der Bedürfnisfrage willkürlich waren (vgl. Bundesratsbeschluß vom 3. Juni 1901 in Sachen Alois Zurkirch in Hergiswil, Kanton Luzern).

Die behauptete Verletzung der Rechtsgleichheit endlich soll darin bestehen, daß für die Gemeinde Sumiswald, wo im Falle der Erteilung des von der Rekurrentin nachgesuchten Patentes das Verhältnis der Wirtschaften zur Bevölkerungszahl l : 320 wäre, keine Wirtschaft bewilligt worden sei, während in den Ortschaften der Umgebung das Verhältnis bis auf l Wirtschaft auf 220 Einwohner heruntergehe, und daß noch im Jahre 1900 eine neue Wirtschaft in Griesbach bei Sumiswald bewilligt worden sei.

Nun hat der Regierungsrat gegenüber der erstem Feststellung darauf hingewiesen, daß an den Orten, wo die Verhältniswahl so niedrig ist, die Wirtschaftsbewilligungen aus früherer Zeit herrühren. Ganz abgesehen davon aber hat der Bundesrat stets daran festgehalten, daß auf die Verhältniszahl allein bei der Beantwortung der Bedürfnisfrage nicht abgestellt werden kann, vielmehr in jedem einzelnen Fall nachzuweisen ist, daß nicht nur die Bevölkerungszahl, sondern auch die übrigen Verhältnisse die gleichen sind. Für den speciell von der Rekurrentin hervorgehobenen Fall der Erteilung einer Wirtschaftsbewilligung in Griesbach ergiebt sich aus den Erklärungen des Regierungsrates, daß die Verhältnisse in dieser Ortschaft in verschiedenen Richtungen von denen in Ey differieren. Eine ungleiche Behandlung der beiden Ortschaften hinsichtlich der Erteilung von Wirtschaftspatenten erscheint damit gerechtfertigt, also auch eine Verletzung der Rechtsgleichheit bei Bewilligung eines Patentes für die eine Ortschaft, trotz der Verweigerung eines solchen für die andere, ausgeschlossen.

Es ergiebt sich somit, daß der von der Regierung vorgebrachte Abweisungsgrund des mangelnden Bedürfnisses aus den beiden von der Rekurrentin vorgebrachten Beschwerdegründen nicht angefochten werden kann, die behauptete Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit also nicht vorliegt. Da der genannte Abweisungsgrund die Verweigerung eines Wirtschaftspatentes rechtfertigte, so ist nicht mehr zu untersuchen, ob auch die Thatsache der Nähe der Gemeindearmenanstalt vom Standpunkte Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. III.

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818 des Bundesrechtes aus für sich allein genügt hätte, um das Gesuch der Rekurrentin zurückzuweisen.

D e m n a c h wird e r k a n n t : Die Boschwerde wird als unbegründet abgewiesen. Mitteilung dieses Beschlusses an den Regierungsrat des Kantons Bern und an die Rekurrentin, unter Rückschluß der Belege an lefr/jtere.

B e r n , den 18. Februar 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Biiigier.

II.

Durch rechtzeitig eingereichte Eingabe vom 15. April 1902 hat Elise Häuselmann gegen unsern oben abgedruckten Beschluß vom 18. Februar 1902 bei Ihrer Instanz Rekurs eingelegt und die Aufhebung unseres Beschlusses verlaugt. Nachdem sich der Regierungsrat des Kantons Bern auf die Beschwerde geäußert, beehren wir uns, indem wir im übrigen, um Wiederholungen so viel als möglich zu vermeiden, auf die Ausführungen unseres Beschlusses verweisen, gegenüber den Bemerkungen der Rekursschrift folgende Punkte zu berühren.

Wir haben in den Erwägungen zu unserm Beschlüsse bereits ausdrücklich erklärt, daß der Vorwurf der Befangenheit, welchen die Beschwerdeführerin gegen den Gemeinderat von Sumiswald erhebt, jeglicher Begründung entbehrt. Wenn die Beschwerdeführerin heute die gleichen Anschuldigungen erhebt, so müssen dieselben um so mehr als überwiesen und unerheblich zurückgewiesen werden, als sie auch heute nicht m e h r behaupten kann, denn daß zwei Mitglieder des Genieinderates von Sumiswald oder deren Verwandte Wirte seien, als sie nicht sagt, welches die Gesamtzahl der Gemeinderäte war, die am Gemeindebeschlusse der Wirtschaftsverweigerung teilgenommen haben, geschweige denn, welches die Mehrheit für die Verweigerung war

819 (nach den Angaben des Regierungsrates ist der Gemeinderatsbeschluß einstimmig gefaßt worden) ; es fehlt auch die geringste thatsächliche Angabe, wie weit die Stimmen der beiden beanstandeten Gemeinderatsmitglieder von Einfluß hätten sein können.

Die angegriffene Behörde lehnt überdies in ihrer neusten Erklärung vom 12. Mai 1902, welche der Regierungsrat in seiner Vernehmlassung auf die Beschwerde an die Bundesversammlung beigebracht hat, den Vorwurf der Parteilichkeit dos Entschiedensten ab und beharrt auf dem ursprünglich eingenommenen Standpunkte.

Wen» somit von einer Willkür des Regierungsrates, die darin läge, daß er bei der Entscheidung der Bedürfnisfrage für Sumiswald auf das Zeugnis dieses Gemeinderates abgestellt, nicht die Rede sein kann, so kann über die weitern Vorbringen der Rekursschrift, daß das Gutachten des Regierungsstatthalters ,,von keiner wesentlichen Bedeutung" sei, weil derselbe ,,prinzipiell" gegen die Errichtung neuer Wirtschaften sei, und daß die Delegation des Regierungsrates, die sich zur Konstatierung der thatsächlichen Verhältnisse an Ort und Stelle begab, ,,nichts habe wahrnehmen können", ohne weiteres hinweggegangen werden.

Was die Wertschätzung der von 104 Bürgern der Ey und Umgebung unterschriebenen Erklärung vom 9. August 1901 betrifft, so konnte der Regierungsrat dieselbe sowohl in Bezug darauf, was die Erklärung über die Bedürfnisfrage, als auch darüber, was sie über die Gleichheit der Verhältnisse für Sumiswald und benachbarter Ortschaften behauptet (Seite 2 und 5 der Rekursschrift), von vornherein nicht auf die gleiche Linie mit dem Gutachten einer Behörde stellen. Im gegebenen Falle konnte aber der Regierungsrat diese Erklärung um so weniger zur Grundlage seiner Entscheidung nehmen, als seine eigene Delegation die dieser Erklärung widersprechenden Gutachten der Behörden bestätigt hatte.

Auch wir sind in unsern Entscheidungen stets von dem Grundsatze ausgegangen, daß für verwaltungsrechtliche Entscheidungen die Feststellungen der verfassungsmäßig hierfür bestimmten Organe , und nicht die gänzlich unkontrollierbaren Unterschriften von Privatpersonen maßgebend sein müssen (vgl. Entscheid des Bundesrates vom 3. Juni 1901 in Sachen Alois Zurkirch, Kanton Luzern). Die Entscheidung eines kantonalen Regierungsrates, die sich neben den eigenen Feststellungen auf diejenigen der gesetzlich bestehenden untern Verwaltungsbehörden stützt, kann deshalb von vornherein nicht als eine willkürliche angesehen werden.

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Gegenüber dem immer und immer wiederholten Hinweise aller Wirtschaftsrekurse auf die Verschiedenheit der Zahl der Wirtschaftsbewilligungen bei ungefähr gleicher Seelenzahl, haben wir stets aufs neue zu erklären, daß die Bedürfnisfrage sich nicht einzig oder nicht in allererster Linie nach der Seelenzahl einer Ortschaft richtet (vgl. Geschäftsbericht des Bundesrates für 1899, Bundesblatt 1900 I, 805 ff.). Inwiefern nun die Verhältnisse von Ey-Sumiswald gegenüber den ändern zum Vergleich herangezogeneu Ortschaften verschieden seien, oder verschieden beurteilt werden können, hat die bernische Regierung in ihrer Vernehmlassung auf die Eingabe der Beschwerdeführerin an den Bundesrat auseinandergesetzt, und wir können jetzt noch auf diese Erklärung abstellen. Daß das Verhältnis von einer Wirtschaft auf 320 Einwohner, wie es in der Ey besteht, jedenfalls nicht für eine Vermehrung der Wirtschaften spricht, liegt auf der Hand, denn dieses Verhältnis ist durchaus kein außergewöhnliches; daß aber die bernische Regierung bei der Abschätzung der übrigen thatsächlichen Umstände nicht willkürlich vorgegangen sei -- und diese Frage allein untersteht der Kongnition des Bundesrates -- hat die Beschwerdefüherin jetzt so wenig wie bei der Vorinstanz nachzuweisen vermocht.

Wir beantragen, Tit., die Abweisung der Beschwerde deiElise Häuselmann und die Bestätigung unseres Beschlusses vom 18. Februar 1902.

B e r n , den 12. Juni 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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