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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des A. Brändli-Rodel in Pratteln (Baselland), betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes.

(Vom 22. März 1902.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde des A. B r ä n d l i - R o d e l in Pratteln, Baselland, betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes, auf den Antrag des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Durch Schlußnahme vom 7. Dezember 1901 hat der Regierungsrat des Kantons Baselland die Beschwerde des A. BrändliRodel in Pratteln, gegen die Abweisung seines Wirtschaftspatentgesuches für die Liegenschaft ,,Kuonismatt" bei Pratteln durch die kantonale Polizeidirektion, abweisend beschieden, ,,weil die Liegenschaft abgelegen ist".

Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. II.

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466 II.

Gegen diese Schlußnahme reichte Brandii den !). Januar 1902 beim Bundesrate die staatsrechtliche Beschwerde ein, mil, dem Antrage, es sei der Regierungsbeschluß vom 7. Dezember 1901 aufzuheben und der Regierungsrat anzuweisen, das nachgesuchte Patent zu erteilen. Zur Begründung wird angeführt: ,,Die Liegenschaft des Petenten liegt nördlich der Hlisenbahnlinie Pratteln-Basel an der Landstraße, welche von Liestal nach Muttenz führt, unweit der Straßenkreuzung Liestal-Mutten/.Pratteln-Schweizerhall, zwischen der großen Konstruktionswerkstätte Büß & Cie., der Galvanisierfabrik, der Baslersandsteinfabrik und dem Holzlagerplatz Messerschmitt & Cie., also mitten in dem nördlich der Bisenbahnlinie gelegenen Industrieviertel.

Bm. : Situationsplan, eventuell Augenschein.

Es mag auch darauf hingewiesen werden, daß der Pèlent in der betreffenden Wohnung seit längerer Zeit einen ausgedehnten Flaschenbierhandel betreibt, daß er während einzelnen Monaten bis 2000 Flaschen verkauft.

Der Petent ist nicht abgewiesen worden, weil an dem betreffenden Orte für eine Wirtschaft kein Bedürfnis bestehe. Als einziger Grund für die Abweisung wird vielmehr angeführt: A b g e l e g e n h e i t . Diese Begründung widerspricht den thatsächlichen Verhältnissen. Allerdings ist die Liegenschaft vom Dorfe Pratteln abgelegen. Aber das Dorf Pratteln selbst ist von der großen Verkehrsader, der Eisenbahnlinie, abgelegen. Das Verkehrscentrum jener Gegend ist der Bahnhof. Hier durch geht der Verkehr und über die Landstraße Muttcnz-Liestal, an welcher die Liegenschaft des Petonten gelegen ist. tjber diese Straße bewegt sich vom Hardwald her der große Fußgängerverkehr, namentlich an Sonntagen, und alltäglich ein reger Wagenverkehr: Die Liegenschaft des Petenten ist also sehr günstig placiert und sie hat alle Aussicht, der Mittelpunkt eines größern Industrioquartiers zu werden. Von einer Abgelegenheit ist keine lledc.

Nun sagt § 11 des basellandschaftlichen Gesetzes betreffend das Wirtschaftswesen vom 18. März 1899 folgendes: ,,Aus ,,Gründen des öffentlichen Wohls kann da, wo das Bedürfnis oinor ,,Wirtschaft nicht nachweisbar ist, oder für abgelegene Orte, die ,,der polizeilichen Aufsicht nicht zugänglich sind, die Erteilung ,,einer Wirtschaftsbewilligung verweigert werden u. s. w.a Also abgelegene Orte, die der polizeilichen Aufsicht nicht zugänglich sind. Nun ist der Ort, an welchem die Wirtschaft eröffnet

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werden will, weder abgelegen, wie oben ausgeführt worden' ist, noch auch der polizeilichen Aufsicht unzugänglich. Die polizeiliche Aufsicht ist hier so gut möglich wie anderswo und sie \vird in jenem Viertel thatsächlich auch ausgeübt. Jedenfalls ist sie viel leichter auszuüben als bei der einen Kilometer weiter entfernt liegenden Wirtschaft ,,zur krummen Eich a .

Der Entscheid des Regierungsrates läßt sich demgemäß schon aus dem Wortlaute von § 11 des kantonalen Wirtschaftsgesetzes nicht rechtfertigen. Ein Blick auf den Situationsplan genügt, um die Unhaltbarkeit desselben darzuthun.

Es muß aber speciell darauf hingewiesen werden, was in v. Salis, Bundesrecht, Bd. II, Nr. 651, sub 4, ausgeführt wird.

Es heißt dort: ,,Es ist zulässig, wenn die Erteilung einer Wirt,,schaftsbewilligung von der Erfüllung folgender Bedingungen ,,abhängig gemacht wird : 4. Daß zum Lokal ein freier Zugang ,,sei und daß derselbe von der Polizei leicht überwacht werden ,,könne. Indessen darf die Bewilligung nicht aus dem Grunde ,,verweigert werden, weil das Gebäude, in welchem die Wirt,,schaft betrieben werden soll, in einer abgelegenen Gegend und ,,entfernt vom nächstgelegenen Polizeiposten sich befindet.tt Abgelegenheit und Entferntliegen von einem Polizeiposten sind also nach diesem bundesrätlichen Entscheide keine Gründe für die Abweisung eines Patentgesuches. Verlangt wird nur die Möglichkeit der polizeilichen Überwachung. Sache der Behörden ist es, die Überwachung zu einer wirksamen zu gestalten, auch wenn die Liegenschaft entfernt vom Polizeiposten gelegen ist. Daß in casu ein freier Zugang besteht und die Liegenschaft leicht überwacht werden kann, ist unbestreitbar. Die Liegenschaft liegt ja an der großen Landstraße. Es ist auffallend, daß der Regierungsrat, trotz dieses unzweideutigen Entscheides, als Abweisungsgrund die Abgelegenheit anführt, die übrigens nicht einmal besteht.

Der regierungsrätliche Entscheid widerspricht dem Sinn und Geist von Art. 31, litt, c, der Bundesverfassung. Hier wird den Kantonen gestattet, die Ausübung des Wirtschaftsgewerbes den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen zu unterwerfen.

Allerdings verlangt das öffentliche Wohl die Möglichkeit der polizeilichen Überwachung, im Interesse der Moral und der Ordnung. Und es sagt auch ganz richtig das basellandschaftliche
Gesetz: Für Orte, die der Aufsicht nicht zugänglich sind, darf die Bewilligung verweigert werden. Wo aber die Zugänglichkeit, die Möglichkeit der Aufsicht besteht -- und in casu ist sie außer Frage -- da

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wird das öffentliche Wohl nicht beeinträchtigt, selbst wenn die Liegenschaft eine abgelegene ist, was zudem bei derjenigen des Petenten nicht zutrifft. Die Abweisung des Petenten läßt sich aus Gründen des öffentlichen Wohls nicht begründen, deshalb widerspricht sie nicht nur den Bestimmungen des basellandschaftlichen Wirtschaftsgesetzes, sondern auch dem Art. 31, litt, c, der Bundesverfassung. Dies ist der eine Rechtsgrund des eingangs gestellten Antrags.

In der bloßen Abweisung wegen Abgolegenheit liegt aber auch eine ungleiche Behandlung der Bürger. Dem einen Bürger, der in der Ortschaft eine Wirtschaft führen will, wird das Patent erteilt. Dem Bürger, der in einiger Entfernung von der Ortschaft eine Wirtschaft betreiben will, wird es verweigert, trotzdem auch hier keine Gründe des öffentlichen Wohles gegen die Bewilligung sprechen. Darin liegt eine Verletzung der Rechtsgleichheit, eine Willkür. a

III.

Der Regierungsrat des Kantons Baselland beantragt in seiner Vernchmlassung vom 25. Januar 1902 Abweisung der Beschwerde, mit der Begründung: ,,In Bezug auf die Bewilligung von neuen Wirtschaftspatenten ist im hierseitigen Kanton pro 1902 insofern eine Änderung eingetreten, als der Regierungsrat prinzipiell beschlossen hat, die Bedürfnisfrage nur da zur Anwendung zu bringen, wo es sich um Wirtschaften handelt, die von Ortschaften entfernt sind, im übrigen aber dann im allgemeinen um so strengere Anforderungen zu stellen in Bezug auf die Persönlichkeit des Patentbewerbers selber, sowie in Bezug auf die eigentlichen Wirtschaftslokalitäten. Zu diesem Vorgehen ist der Regiarungsrnt veranlaßt worden durch die in dem Berichte betreffend die Unübertragbarkeit der neuen Wirtschaftspatente dargelegten Ver unistäridungen (s. Beilage), sowie durch den Beschluß des Landrates vom 31. Oktober abbin, daß die neuen Patente vom Jahre 1902 an alle übertragbar sein sollen. Der Entscheid vom 7. Dezember 1901 betreffend die Abweisung des Gesuches Brandii ist daher dahin zu verstehen, daß für die fragliche Wirtschaft ein Bedürfnis nicht vorliege und daß hier die Bedürfnisfrage zur Anwendung gebracht wird, weil es sich um eine abgelegene Gebäulichkeit handelt. Aus dem gleichen Grunde ist ein zweites Gesuch um Bewilligung einer neuen Wirtschaft, welche kaum

469 100 m. von der Brändlischen Behausung entfernt hätte errichtet werden sollen, abgewiesen worden, und ferner je ein Gesuch für Liestal und Itingen. Der Regierungsrat sagt also, und auch der Gemeinderat von Pratteln, welcher die zwei neuen Gesuche in erster Linie zu begutachten hatte, hat den gleichen Standpunkt eingenommen, daß an fraglichem Orte eine weitere Wirtschaft kein Bedürfnis ist, weil sich sowohl beim Bahnhof als bei der Schweizerhalle, zwischen welchen die Brändlische Behausung ungefähr in der Mitte liegt, genügend Wirtschaften befinden, nämlich beim Bahnhof 3 und in Schweizerhalle 2. Diese 5 Wirtschaften genügen vollkommen für die in der Nähe befindlichen Fabriken; was allfällige Fuhrwerke anbelangt, welche die Straße nach Muttenz benützen, so können dieselben bei der in der Rekurseingabe angeführten Wirtschaft ,,zur krummen Eichu Eiakehr halten. Wohnhäuser sind nur einige wenige in der Nähe und für die verschiedenen Fabrikarbeiter, die sich zum großen Teil aus Familienvätern von Pratteln rekrutieren und mittags und abends jeweilen heimgehen, ist es ein wahres Glück, wenn sie nicht an zu vielen Wirtschaften vorbei müssen und wenn ihnen nicht zu viel Gelegenheit zum Wirtshausbesuch geboten wird.

Aber auch nach anderer Richtung ist es wünschenswert, wenn die von Brandii nachgesuchte Wirtschaft nicht eröffnet wird. Brandii selber arbeitet den Tag über in einer Fleischräucherei in Pratteln und es würde demnach die Wirtschaftsführung der Frau und eventuell Kellnerinnen überlassen bleiben müssen. Mit Sicherheit darf vorausgesagt werden, daß es bei der geringen Qualifikation der Arbeiter, welche die Wirtschaft meistenteils frequentieren würden, ohne vielfache Händel und Schlägereien nicht abgehen würde, zumal da auch zwischen den Bewohnern der beiden nebenan befindlichen Wohnhäuser jetzt schon des öftern Streitigkeiten vorkommen. So ist der eine Logisinhaber letztes Jahr zweimal wegen Sicherheitsgefährdung, Körperverletzung und Hausfriedensbruch vom korrektionellen Gericht bestraft worden. Vor allem muß aber auf den Umstand hingewiesen werden, daß die Wirtschaft voraussichtlich zum Sammelpunkte der Vaganten und Dirnen werden dürfte, welche sich in der bis ganz nahe an das Haus sich erstreckenden, ausgedehnten Hardwaldung herumtreiben.

Mit Rücksicht auf alle diese Verumständungen glaubt
der Regierungsrat sagen zu dürfen, daß Gründe des öffentlichen Wohles vorliegen, aus denen sich die Nichterteilung einer Wirtschaftsbewilligung hinlänglich rechtfertigen läßt, und daß dem

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nach die Vorschrift von § 11 des basellandschaftlichen Wirtschaftsgesetzes zur Anwendung gebracht werden darf.

Es ist bereits erwähnt worden, daß aus ähnlichen Gründen, wie sie vorstehend angeführt sind, noch drei weitere Wirtschaftsgesuche vom Regierungsrat abgewiesen worden sind. Der am Schlusse der Rekurseingabe erhobene Einwand, daß durch den Beschluß in Sachen Brandii die Rechtsgleichheit verletzt worden sei, kann daher nicht als zutreffend anerkannt werden, da andere Gesuche, bei denen gleichartige Verhältnisse vorliegen, in gleicher Weise behandelt worden sind."

IV.

Auf das Ansuchen, den in seiner Antwort angeführten prinzipiellen Beschluß im Wortlaute mitzuteilen, erwiderte der .Regierungsrat mit Zuschrift vom 19. Februar: ,,Wir beehren uns, zu erwidern, daß wir nicht im Fallo sind, Ihrem Gesuche zu entsprechen, indem fraglicher Beschluß als solcher nicht protokolliert worden ist. Die Bewilligung beziehungsweise die Taxation der Wirtschaften für das Jahr 1902 ist von uns am G. November 1901 vorgenommen worden und zwar lag hierfür, wie dies in den §§ 13 und 14 des Wirtschaftsgesetzes vorgeschrieben ist, bereits ein Entwurf der Finanzdirektion vor. Diese letztere hatte nun bei der in Verbindung mit den Statthaltern und Bezirksschreibern erfolgten Festsetzung ihrer Vorschläge bereits die auf Seite 17 des Berichtes vom 24. Juli 1901 angedeuteten neuen Grundsätze zur Anwendung gebracht und es war für den Regierungsrat nur die Frage zu entscheiden, ob er sich auf den gleichen Standpunkt, den die Bezirkskommission eingenommen, stellen wolle oder nicht. Diese Frage wurde, bevor zur Behandlung der einzelnen Wirtschaften übergegangen wurde, in der mündlichen Diskussion bejaht, wobei man sich auch damit einverstanden erklärte, daß für die neuen Wirtschaften, welche abgelegen seien, der bisherige Modus der Beurteilung zur Anwendung zu kommen habe. In der Vorlage der Fiuanzdirektion war nun in Bezug auf dio 4 in unserer Vernehmlassung erwähnten neuen Gesuche schon Abweisung beantragt, unter Hinweisung darauf, daß die betreffenden Lokalitäten abgelegen seien. Zu Protokoll genommen wurden aber nur die Beschlüsse, welche von den Vorschlägen der Finanzdirektion Abweichungen enthielten, während in Bezug auf die übrigen von der Zustimmung einfach im allgemeinen Vormerkung genommen

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wurde. So ist es zu erklären, daß der grundsätzliche Beschluß, durch welchen die bisherige Praxis betreffend Anwendung der Bedürfnisfrage, soweit es sich um die nicht abseits gelegenen Wirtschaften handelt, pro 1902 abgeändert worden, im Protokolle nicht besonders aufgeführt ist."1 V.

Das Wirtschaftsgesetz, des Kantons Baselland vom 26. Mai "1889 bestimmt in § 11: ,,Aus Gründen des öffentlichen Wohles kann da, wo das Bedürfnis einer Wirtschaft nicht nachweisbar ist, oder für abgelegene Orte, die der polizeilichen Aufsicht nicht zugänglich sind, die Erteilung einer Wirtschaftsbewilligung verweigert werden ; ferner ist die Führung einer Wirtschaft in der Nähe von staatlichen Anstalten, Kirchen, Schulen u. dgl. zu untersagen, wenn der Wirtschaftsbetrieb für diese Anstalten eine störende Beeinträchtigung mit sich bringen würde.a Gemäß §§12 bis 16 des Gesetzes erstatten die Gemeinderäte über die Zulässigkeit von Patentgesuchen dem Statthalteramt Bericht und werden dieselben sodann von der kantonalen Finanzdirektion unter Zuziehung des Statthalters und des Bezirksschreibers eines jeden Bezirks nochmals geprüft; gegen die bezügliche Verfügung ist Rekurs an den Regierungsrat ,,zum endgültigen Entscheid'1 zulässig.

B.

!n rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. Der Regierungsratsbeschluß vom 7. Dezember 1901 be-.

gründet die Abweisung des Patentgesuches Brändli-Rodel kurzer Hand damit, ,,weil die Liegenschaft abgelegen ista. Es braucht, unter Hinweis auf die in Salis, Bundesrecht, II, Nr. 651, reproduzierten wegleitenden Grundsätze des Bundesrates bei Beurteilung von Wirtschaftsrekursen, ' keiner weitern Feststellung, daß eine derartige Begründung eines abweisenden Entscheides über die Bewilligung eines Wirtschaftspatentes bundesrechtlich nicht ohne weiteres geschützt werden kann.

2. In seiner Vernehmlassung vom 25. Januar 1902 ergänzt nun aber der kantonale Regierungsrat diese seine Verfügungsmotivierung noch dahin : für die fragliche Wirtschaft liege ein Bedürfnis nicht vor und die Bedürfnisfrage werde hier -- im Gegensatze allerdings zur sonstigen mildern neuen Praxis bei

472 Beantwortung der Bedürfnisfrage -- gemäß einem grundsätzlichen Regicrungsratsbeschlusse zur Anwendung gebracht, weil es sich um eine abgelegene Gebäulichkeit handle. Sowohl der begutachtende Gemeinderat von Pratteln als auch der Regierungsrat haben die Bedürfnisfrage verneint, weil sich sowohl beim Bahnhof Pratteln als bei der Saline Schweizerhalle, zwischen welchen die Brändlische Behausung ungefähr in der Mitte liegt, genügend Wirtschaften belinden, nämlich beim Bahnhof 3 und in Schweizerhalle 2 ; allfälligem Fuhrwerkverkehr steht die weitere Wirtschaft ,,zur krummen Eich" an der Landstraße.zur Verfügupg.

Wohnhäuser sind nur wenige in der Nähe und für die heimkehrenden Fabrikarbeiter ist es ein Glück, wenn sie nicht an zu vielen Wirtschaften vorbei müssen.

3. Diesen Ausführungen der Regierung wäre an sich beizupHichten, und soweit dieselben auf die Bedürfnisfrage Bezug nehmen, wäre damit die Sache als erledigt anzusehen, da das basellandschaftliche Gesetz die Ablehnung eines AVirtschaftspatentgesuches auf Grundlage der Verneinung der Bedürfnisfrage gestattet. Es besteht aber infolge des sogenannten prinzipiellen Beschlusses des Regierungsrates eine Rechtslage, welche in nähere Untersuchung gezogen werden muß.

Der Beschluß liegt nicht im Wortlaut vor (vide dio Zuschrift des Regierungsrates sub IV) ; nach den Angaben dos Regierungsrates, in dessen Antwort auf die Beschwerde, geht sein Inhalt dahin, ,,die Bedürfnisfrage nur da zur Anwendung zu bringen, wo es sich um Wirtschaften handelt, die von Ortschaften entfernt sind, im übrigen aber dann im allgemeinen um so strengere Anforderungen zu stellen in Bezug auf die Persönlichkeit des Patentbewerbers selber, sowie in Bezug auf die eigentlichen Wirtschaftslokalitäten.'1 4. Der Grund zu diesem Vorgehen liegt darin, daß die kantonale Regierung versucht hatte, der Spekulation im Liegenschaftshandel mit Häusern, deren Eigentümern ein Wirtschaftspatent erteilt war, dadurch entgegen zu wirken, daß sie auf dem Verwaltungswege die Unübertragbarkeit der Wirtschaftspatente durchzuführen suchte. Da dieses Vorgehen aber vom Landrate nicht gutgeheißen wurde, sucht sie denselben Zweck dadurch zu erreichen, daß sie, allerdings unter den im angeführten Beschlüsse aufgenommenen Beschränkungen, die Freiheit des Wirtschaftsgewerbes eintreten läßt.

5. Das kantonale Wirtschaftsgesetz, welches die Stellung der Bedürfnisfrage bei jedem Wirtschaftspatontgesuche vorschreibt,

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wird also dahin augewendet, daß in volkreichen Gegenden jedes Gesuch, wenn die sonstigen polizeilichen Bedingungen zutreffen, bewilligt wird, in entfernteren oder abgelegenen Gegenden aber die Bedürfnisfrage geprüft und deren Bejahung als weiteres Erfordernis der Bewilligung hinzutritt.

6. Diese Gesetzesanwendung ist jedenfalls stark der Kritik zugänglich. Es ist nicht zu verstehen, wie die vollziehende Behörde, wenn sie auch die oberste dieser Art ist, ein bestehendes Gesetz in der Weise zur Anwendung bringen kann, daß, obgleich die Stellung der Bedürfnisfrage, wie ein Blick auf den Wortlaut des §§ 11 des kantonalen Wirtschaftsgesetzes ohne weiteres darthut, allgemein und für alle Patentgesuche vorgeschrieben ist, die Prüfung der Bedürfnisfrage nur auf eine bestimmte Kategorie von Wirtschaften beschränkt wird. Dies von sich aus zu vorfügen, dazu besitzt die Regierung, ohne Änderung der bestehenden Normen durch die gesetzgebende Gewalt, kaum die Befugnis, mögen auch die von ihr dafür angeführten volkswirtschaftlichen Motive noch so gerechtfertigt sein.

7. Dieses Verhalten der kantonalen Regierung unterliegt aber der Anfechtung nicht, soweit es sich nur um die Beurteilung einer Beschwerde über Abweisung eines Patentgesuches durch den Bundesrat handelt. Denn es steht fest, daß das kantouale Gesetz die Stellung der Bedürfnisfrage gestattet, daß die Regierung dem Patentgesuche des Beschwerdeführers gegenüber die Bedürfnisfrage gestellt hat und ohne willkürliche Anwendung des Gesetzes zu einem negativen Resultat gelangt ist. Darüber, daß die Regierung ihm gegenüber die gesetzliche Bestimmung richtig und sachgemäß zur Anwendung gebracht habe, ändern Patentbewerbern aber nicht, kann sich der Beschwerdeführer nicht beklagen. Denn Tür die richtige Handhabung des Gesetzes im allgemeinen ist die Regierung weder dem Beschwerdeführer noch dem Bundesrate, sondern nur ihrer Aufsichtsbehörde, dem Landrate, verantwortlich.

Der Bundesrat hat auch in Sachen Äbischer (Bundesbl. 1899, IV, 161) daran festgehalten, daß ihm ein Entscheid darüber nicht zustehe, ,,ob der sogenannte Bedürfnisartikel des Wirtschaftsgesetzes von einer kantonalen Regierung in konsequenter Weise gehandhabt wird ; er (der Bundesrat) ist allein dazu berufen, zu prüfen, ob in einem einzelnen angefochtenen Entscheid, durch den die Bedürfnisfrage verneint wird, ein Akt der Willkür' oder eine Verletzung der Rechtsgleichheit aller Bürger vor dem Gesetze erblickt werden muß."

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8. Eine rechtsungleiche Behandlung gegenüber dein Beschwerdeführer entsteht aber durch die eigentümliche Anwendung des kantonalen Wirtschaftsgesetzes deshalb nicht, weil es sich thatsächlich um verschiedene Verhältnisse der Ortslage handelt. Die Bedürfnisl'rage wird naturgemäß eine andere Erledigung finden, je nachdem es sich um volksreiche Centren oder von solchen entferntere Häusergruppen wie diejenige, in welcher sich die Liegenschaft des Beschwerdeführers befindet, handelt.

Löst also eine kantonale Regierung die Bodürfnisfrage in anderer Weise für Patentgesuche aus entfernter gelegenen, nicht so vom Verkehr berührten Orten, so macht sie sich dadurch rechtsungl ei eher Behandlung nicht schuldig. (Vgl. dio im Geschäftsbericht pro 1899 beim Abschnitt Wirtschaftswesen unter litt, f angeführten Entscheidungen, Bundesbl. 1900, t, 805.)

Der Beschwerdeführer hat aber keinen Fall namhaft gemacht, in welchem der kantonale Regierungsrat bei gleichen Verhältnissen, d. h. bei einer vom Centrum einer Ortschaft abseits gelegenen Liegenschaft in Prattcln die Bedürfnisfrage bejaht hätte, so daß die spätere Abweisung des Patentgesuches des A. Brändli-Rodel dessen Anspruch auf gleiche Behandlung verletzen würde.

9. Gelangt man von diesem Gesichtspunkte dazu, daß der Regierungsrat das Patentgesuch der Verneinung der Bedürfnisfrage wegen mit Recht abweisen durfte, so braucht nicht mehr untersucht zu werden, ob die Wirtschaft polizeilicher Überwachung schwer zugänglich wäre oder ob sonstige polizeiliche Gründe, wie die Nähe des notorisch zum Schlupfwinkel von Dirnen und Vaganten dienenden Hardwaldes, vorhanden waren, welche zu einer Verweieeruna; des Patentes hinreichend Oseo O wesen wären.

D e m n a c h w i r d er k a n nt : Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 22. März 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Rillgier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des A. Brändli-Rodel in Pratteln (Baselland), betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes. (Vom 22. März 1902.)

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1902

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26.03.1902

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