417

# S T #

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zu den Begnadigungsgesuchen der wegen Beschädigung und Gefährdung von Eisenbahnzügen bestraften Johann Jakob Schwab, gewesener Kontrolleur der Städtischen Straßenbahnen in Bern, und Jakob Wuffli, gewesener Lokomotivführer eben dieser Bahnen.

(Vom 29. September 1902.)

Tit.

1. Sonntag den 28. Juli 1901 war von nachmittags l Uhr an auf dem Netz der Städtischen Straßenbahnen in Bern, speziell .auf der Strecke Bern-Großwabern, ausnahmsweise der beschleunigte 10 Minutenbetrieb angeordnet worden, und es wurde zur Bewältigung dieses Fahrdienstes Aushülfspersonal zugezogen. Um 5 Uhr 40 Minuten erlitt ein Zug beim Einfahren in die Station Sulgenbach eine Entgleisung, derart, daß dessen Maschine und Wagen zur Reparatur ins Depot geschafft werden mußten, was verschiedene Änderungen im Fahrdienst mit sich brachte, die vom Dienstchef Louis in sachdienlicher Weise angeordnet wurden.

Gegen 6 Uhr stand unter diesen Verhältnissen der von Lokomotivführer Plüß bediente Zug 136 auf der Station Großwabern zur Abfahrt bereit, während der Gegenzug Nr. 127, mit Lokomotivführer Wuffli, auf der Station Sulgenbach eingetroffen war. Diesem hatte Depotchef Louis mündlich speziell die Instruktion erteilt, er habe bei den folgenden Stationen Beaumont und Greisenasyl die fahrplanmäßigen Kreuzungen abzuwarten, wogegen «die Kreuzung mit Zug 136 in Wabern ausfalle.

Was weiter geschah, wird im Urteil des korrekti on eilen Gerichtes von Bern in folgender Weise geschildert : Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. IV.

31

418 ,,Mit dieser Instruktion fuhr also Wuffli nsit dem Zug 127 von der Station Sulgenbach ab gegen Weißenbühl-Wabern zu.

In der Nähe der Kreuzungsstelle Beaumont stieg Kontrolleur Schwab, der am betreffenden Nachmittage den Kontrolldienst auf der Strecke Wabern-Sulgenbach versah, auf den Zug 127; er fuhr mit diesem Zug bis zum Greisenasyl, wo die fahrplanmäßige Kreuzung mit dem Waberntram hätte abgewartet werden sollen. Es steht fest, daß Wuffli den Zug wirklich anhielt, und die nicht allein fahrplanmäßige, sondern überdies von Depotchef Louis ausdrücklich anbefohlene Kreuzung abwarten wollte. Der Zug von Wabern her war noch nicht angelangt; als dieser auf sich warten ließ und somit bereits Verspätung hatte, stieg Kontrolleur Schwab ab dem Zug (auf der linken Seite gegen das Greisenasyl zu) und ging eine Strecke weit zu Fuß vorwärts gegen Wabern zu, um nach dem bereits fälligen Wabernzug Ausschau zu halten, konnte denselben aber auf der sichtbaren Strecke nicht erblicken. Festgestellt und überdies von Schwab sowohl als von Wuffli zugestanden ist die weitere Tatsache, daß Wuffli von Kontrolleur Schwab den Befehl erhielt, nach Wabern abzufahren und zu ,,pressieren", als der erwartete Zug von Wabern her immer noch ausgeblieben war.

V'HU · Daß sieh Wuffli anfänglich weigerte, den Befehl des Schwab zum Abfahren -- ohne die Kreuzung abzuwarten -- zu voll-ziehen, erscheint im Hinblick auf das Beweisergebnis als festgestellt; dagegen bestreitet Schwab, daß Wuffli ihm von der ausdrücklichen Instruktion, die er von Depotchef Louis betreffs dieser Kreuzungsstelle erhalten, in Kenntnis gesetzt habe, ebenso will Schwab keine Mitteilung von der kurz vorher stattgefundenen Entgleisung des Zuges 125, die dem Depotchef Louis Veranlassung zu besonderen Anordnungen gaben, erhalten haben.

Wuffli glaubte, dem Befehl des Kontrolleurs Schwab, abzufahren, nachkommen zu müssen, und setzte den Zug in Bewegung mit der Bemerkung: ,,Nun, so fahre ich wie ein Schelm." Der Streifen auf dem Geschwindigkeitsmesser zeigte ab Kreuzung Greisenasyl bis zur Unfallstelle eine Geschwindigkeit von 30 km.

per Stunde, während laut Reglement auf dieser Strecke die Maximalgeschwindigkeit, die unter keinen Umständen überschritten werden soll, bloß 25 km. per Stunde beträgt. Ergänzend muß hier noch beigefügt werden, daß Schwab dem Wuffli
mit dem Befehl zum ,,Abfahren01 gleichzeitig auch die Weisung gab, auf der Fahrt gegen Wabern zu Hornsignale abzugeben, um den Zug in Wabern von der Abfahrt abzuhalten ; auch dieser Befehl

419 wurde, wie festgestellt ist, abwechselnd durch Wuffli und Heizer Flühmann ausgeführt, indem, -- jeweilen mit einer kurzen Unterbrechung -- beständig Hornsignale abgegeben wurden.

Der in Wabern fällige Zug 136 fuhr mit einer Verspätung von 5 à 6 Minuten von Wabern ab. Am Ausgange des Dorfes Wabern in unmittelbarer Nähe der Villa Sprenger kamen sich die auf dem gleichen Geleise gegeneinanderfahrenden Züge 127 und 136 in Sicht, und zwar, was ganz genau nicht festgestellt ist, auf eine Distanz von mindestens 15 und höchstens 25 Meter. Die beidseitigen Lokomotivführer Plüß{Zug 136) und Wuffli (Zug 127) erkannten sofort die drohende Gefahr, beide taten, was nicht streitig ist, ihr möglichstes, um ihre Maschinen zum Stehen zu bringen, aber leider nicht mit dem gewünschten Erfolg, denn bei km. 4,ouo erfolgte der Zusammenstoß. Mit welcher Geschwindigkeit der Zug 136 von Wabern herkam, ist aus später zu besprechenden Gründen nicht -mit Bestimmtheit festgestellt.

Der Zusammenstoß der beiden Züge war trotz des ßremsehs immerhin noch ein ziemlich heftiger, doch blieben sowohl die Maschinen als 0 die Wagen der beiden Züge auf dem Geleise v stehen.

^ Vom Zugspersonal wurden, jedoch nicht erheblich, verletzt : Kontrolleur Schwab, Lokomotivführer Plüß, Heizer Brönnimann und Heizer Flühmann.

Ferner wurden etwa 20 Personen, die sich als Reisende auf einem der beiden Züge befanden, mehr oder weniger erheblich verletzt. Im weitern verursachte der Zusammenstoß einen Materialschaden von über Fr. 3500."

2. Die zuständige Anklagebehörde verwies den Kontrolleur Schwab und den Lokomotivführer Wuffli mit mehreren ändern Angestellten der bernischen Straßenbahnen wegen Schädigung und Gefährdung von Eisenbahnzügen vor Gericht. Mit Ausnahme dieser beiden, und aus hier nicht näher zu erörternden Gründen wurden die Angeklagten freigesprochen. Dagegen erklärte das korrektioneile Gericht von Bern, den Schwab und den Wuffli des eingeklagten Vergehens schuldig unter Verhängung folgender Strafen : a. gegen Schwab : 3 Tage Gefängnis und Fr. SO Geldbuße, im Fall der Nichtbezahlung umgewandelt in weitere 10 Tage Gefängnis.

b. gegen Wuffli : 3 Tage Gefängnis und Fr. 30 Geldbuße, eventuell weitere sechs Tage Gefängnis.

420 Ferner wurde den Verurteilten von den Fr. 400 betragenden Kosten des Verfahrens je die Hälfte aufgelegt mit solidarischer Haft für das ganze, ebenso im gleichen Verhältnis die Bezahlung der Zivil-Interventionskosten der Einwohnergemeinde Bern im Betrage von Fr. 250 und endlich der nämlichen Zivilpartei gegenüber beiden Angeschuldigten das gestellte Entschädigungsbegehren grundsätzlich zugesprochen unter Verweisung an den Zivilrichter zur Ermittlung der Höhe des Schadenersatzbetrages.

Das Gericht erblickte eine strafbare Fahrlässigkeit, auf Seiten des Kontrolleurs Schwab darin, daß er durch seine wiederholten Befehle den Lokomotivführer Wuffli veranlaßte, von Station Greisenasyl abzufahren, bevor dort die Kreuzung mit dem Gegenzug erfolgt war. Es stellt fest, dem Schwab sei bekannt gewesen, daß -- auch beim 10 Minutenbetrieb -- beim Greisenasyl eine fahrplanmäßige Kreuzung stattfinde, die abzuwarten er laut Reglement verpflichtet war, er habe ferner gewußt, daß auf Station Wabern ein Zug fällig und zur Abfahrt bereit sei, und er sei nicht berechtigt gewesen, die Kreuzung nach Wabern zu verlegen. Er habe somit die Gefahr eines Zusammenstoßes mit dem Waberntram bei gehöriger Aufmerksamkeit voraussehen können, respektiv nach den Umständen voraussehen müssen. Daß er sich dieser Gefahr vollständig bewußt gewesen, ergebe sich aus der Tatsache, daß er gleichzeitig mit dem Befehl zum Weiterfahren dem Lokomotivführer Wuffli Weisung erteilt habe, während der Fahrt fortwährend Hornsignale abzugeben, um den Wabernzug von der Abfahrt abzuhalten.

Was den Wuffli anbetrifft, so betrachtete zwar das Gericht ihn nicht verantwortlich für das fahrplanwidrige und vom Depotchef Louis ausdrücklich verbotene Überfahren der Kreuzungsstation in der Annahme, daß er diesfalls entlastet sei durch den Befehl seines unmittelbaren Vorgesetzten Schwab.

Dagegen erblickte es eine strafbare Fahrlässigkeit dieses Angeklagten darin, daß er die zulässige Geschwindigkeit von 25 km. bei der unglücklichen Fahrt überschritten habe, und zwar absichtlich wie aus seiner Äußerung hervorgehe: .,So fahre ich davon wie ein Schelm."

Gegen das verurteilende Erkenntnis legte Wuffli Appellation ein. Er zog dieselbe aber vor Ansetzung einer zweitinstanzlichen Verhandlung wieder zurück. , Nunmehr stellen beide Verurteilte das Gesuch um Begnadigung, Schwab in der Meinung, daß ihm die ganze Strafe erlassen werden möchte, Wuffli hinsichtlich der drei Tage Ge-

421 fängnis. Sie begründen ihr Gesuch damit, daß sie, soweit ihnen überhaupt ein Verschulden zugemessen werden könne, genügend bestraft seien durch den Verlust ihrer dienstlichen Stellung und die pekuniären Folgen des ganzen Verfahrens.

Schwab macht im weiteren geltend, die Ursache des Zusammenstoßes liege darin, daß die betriebstechnischen Einrichtungen der Straßenbahn, wie das Gericht ausdrücklich festgestellt habe, in mehrfacher Hinsicht mangelhaft gewesen seien, -- daß er in bestem Treuen gehandelt, und wenn auch irrtümlich, geglaubt habe, seine Pflicht zu erfüllen, und daß er vorher zehn Jahre lang zuerst als Billeteur, dann als Kontrolleur seine Pflicht als Bahnangestellter untadelhaft erfüllt habe.

Wuffli seinerseits bringt vor : die über ihn verhängte Strafe sei zu hoch im Vergleich mit derjenigen von Schwab, an dessen · Befehl er gebunden gewesen, wie das Gericht selbst mit aller Bestimmtheit festgestellt habe. Unter diesen Umständen glaubt der Vertreter Wufflis hoffen zu können, die Begnadigungsinstanz werde sich überzeugen, daß es unbillig und unmenschlich wäre, ihm zu den übrigen schweren Folgen noch den Mackel der für ein Vergehen verbüßten Freiheitsstrafe aufzubürden.

Der Polizeidirektor der Stadt Bern und das Regierungsstatthalteramt empfehlen den Wuffli zum Erlaß der ihm auferlegten Gefängnisstrafe..

Bei Würdigung des Begnadigungsgesuches ist vor allem hervorzuheben, daß es sich um einen Tramunfall handelt, dessen Folgen für die in den kollidierenden Fahrzeugen befindlichen Menschen, Passagiere und Fahrpersonal äußerst schwere waren, sowohl was die Gefährdung als was die faktisch eingetretenen Verletzungen anbetrifft. Des fernem fällt in Betracht, daß den beiden Potenten wohl bekannt sein mußte, welch großer Verkehr an fraglichem Sonntag auf der von ihnen befahrenen Linie zu bewältigen war und welche große Anzahl von Menschenleben ihrem Schütze anvertraut waren. Endlich war selbstverständlich und mußte auch den Leitern des Zuges bekannt sein, daß, was sie riskierten, nämlich den Zusammenprall zweier gegeneinanderfahrender Dampftrams mit besonders schwerer Gefahr verbunden war, ungleich schwerer als z. B. die Gefahr der Entgleisung einzelner Wagen.

Soweit daher ihre Fahrlässigkeit sich als ein grelles Zuwiderhandeln gegen bewußte Dienstpflichten darstellt, erscheint Bestrafung nicht bloß mit Geldbuße, sondern mit der empfindlicheren Freiheitsstrafe wohl am Platze.

422 .

Darüber, daß Kontrolleur Schwab sich eine grobe Dienstpflichtverletzung zu Schulden kommen ließ, kann nach Lage der Akten und den zutreffenden Erwägungen des bernischen Urteils kein Zweifel sein. Die Begleitumstände, welche im konkreten Falle wie beinahe in allen ähnlichen zu Entstehung oder Verschlimmerung der Katastrophe mitwirkten, sind vom Richter bei Ausmessung der Strafe bereits genügend berücksichtigt worden, so daß überall kein Grund vorliegt, mittelst Begnadigung noch weitere Milderung eintreten zu lassen. Bei Wuffli mag dahingestellt bleiben, ob das urteilende Gericht ihn mit Grund hinsichtlich des verbotenen Weiterfahrens als durch den Befehl seines »inmittelbaren Vorgesetzten gänzlich entlastet betrachtet hat. Es blieb jedenfalls auch für ihn ein gewisses Maß eigener Verantwortlichkeit, was schon daraus hervorgeht, daß ein absoluter Zwang, der ihn in Notstand versetzt hätte, nicht vorlag, daß er vielmehr im Falle des Ungehorsams höchstens eine Disziplinarstrafe verwirkte. Er hätte daher offenbar durch weitere Verweigerung des Gehorsams eher diese als die Herbeiführung einer Kollision seines Zuges riskieren sollen.

Immerhin erscheint das ihm zur Last fallende Vergehen als ein weit geringeres gegenüber demjenigen von Schwab, weshalb es sich rechtfertigt, ihm die Strafe zu erlassen, soweit dieselbe in Gefängnis besteht.

Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den A nt r ag:

Es sei das Begnadigungsgesuch des Johann Jakob S c h w a b abzuweisen, dagegen demjenigen des W u f f l i , Jakob, zu entsprechen durch Aufhebung der über ihn verhängten Gefängnisstrafe von 3 Tagen.

B e r n , den 29. September 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

.Ss-O-sS-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zu den Begnadigungsgesuchen der wegen Beschädigung und Gefährdung von Eisenbahnzügen bestraften Johann Jakob Schwab, gewesener Kontrolleur der Städtischen Straßenbahnen in Bern, und Jakob Wuffli, gewes...

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1902

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

40

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

01.10.1902

Date Data Seite

417-422

Page Pagina Ref. No

10 020 245

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.