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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs des Dr. G. Bovet, Journalisten in Bern, gegen eine Verfügung des Bundesrates vom 19. März 1902, wonach dem Dr. Bovet für drei Monate der Zutritt zu den Bundeshäusern untersagt wird.

(Vom 15. April 1902.)

Tit.

Wir beehren uns, Ihnen, Tit., über den Rekurs des Dr. Bovet, Journalisten in Bern, folgenden Bericht zugehen zu lassen.

I.

In der in Lausanne erscheinenden Tageszeitung ,,Revue" erschien am 18. März eine Korrespondenz aus Bern, welche sich mit einem durch eine Note des italienischen Gesandten in Bern veranlaßten diplomatischen Zwischenfalle beschäftigte. Verfasser dieser Korrespondenz ist Dr. Bovet, Journalist in Bern. Es ist trotz einer durch den Bundesanwalt im Auftrage des Bundesrates veranstalteten Untersuchung nicht aufgeklärt worden, auf welchem Wege Dr. Bovet sich die zur Abfassung des Artikels erforderliche Kenntnis von Thatsachen verschafft hat. Auf eine bestimmte an ihn gestellte Frage hat er jede Auskunft darüber verweigert.

Bundesblatt. 64. Jahrg. Bd. II.

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890 Der Natur der Verhältnisse nach kann er diese Kenntnis aber nur durch eine unstatthafte Mitteilung eines Beamten oder Angestellten oder durch Einsicht von für unberufene Dritte nicht bestimmten Aktenstücken erhalten haben. Der Inhalt der von Dr. Bovet verfaßten Korrespondenz entsprach übrigens nicht den Thatsachen, eine Gefahr, die bei der Publikation von solchen auf Schleichwegen erhaschten Mitteilungen stets besteht.

Der Bundesrat beschloß auf diese Vorgänge hin am 19. Mär/, dem Dr. Bovet auf drei Monate den Zutritt zu den Bundeshäusern zu untersagen. Von diesem Beschlüsse wurde dem Dr. Bovet mit Schreiben vom gleichen Tage Kenntnis gegeben.

n.

Der Bundesrat ist damit nur einer bestehenden Praxis gefolgt, indem er schon in einer Reihe von Präcedenzfällen, deren erster in das Jahr 1884 zurückgeht, ähnliche Verfügungen gegen* über Journalisten erließ, welche sich erlaubten, den ihnen gestatteten Zutritt zu den Bundeshäusern in der einen oder ändern Weise mißbräuchlich auszubeuten.

III.

Gegen die Verfügung des Bundesrates vom 19. März richtet sich die Beschwerde des Dr. Bovet, in welcher er das Begehren stellt: Die Bundesversammlung möge die Entscheidung des Bundesrates vom 19. März in ihrem ganzen Umfange kassieren odernichtig erklären, eventuell nur insoweit, als darin ein Verbot enthalten sei, die Beratungssäle des schweizerischen Parlamentes zu betreten.

Letzten Falles will er seine Beschwerde als Petition betrachtet wissen und ersucht er die Bundesversammlung, ihm das Betreten der Beratungssäle des National- und Ständerates zu gewähren.

Die Begründung des Rekurses geht, nachdem im Eingang ohne nähere Ausführung Art. 85, Ziffern 8 und 11, der Bundesverfassung zur Begründung der Kompetenz der Bundesversammlung angerufen werden, kurz zusammengefaßt, dahin : Wenn auch der Bundesrat das Recht haben sollte, einen» Schweizerb Urger den Zutritt zu den Bundeshäusern, welche dein

891 Publikum sonst offen stehen, zu verbieten, so dürfe er zu diesem Behufe keine Maßnahmen treffen, welche offene oder versteckte , Angriffe auf Rechte und Freiheiten enthalten, welche verfassungsmäßig garantiert seien. Er, Bovet, habe nur seine journalistische Pflicht erfüllt, wenn er eine interessante Mitteilung, die er in nicht unerlaubter Weise erhalten habe, seiner Zeitung mitgeteilt habe. Er habe nur eine Nachricht gebracht, welche dem Bundesrate vielleicht eine unangenehme Überraschung bereitet, deren Inhalt aber den Thatsachen entsprochen habe. Eine Indiskretion habe er sich nicht zu schulden kommen lassen ; denn die Sorge, Staatsgeheimnisse zu bewahren, liege nicht den Journalisten ob.

Seiner Auffassung nach handle es sich übrigens gar nicht um ein Staatsgeheimnis, sondern er durfte ohne Nachteile auf einen Zwischenfall aufmerksam machen, in dem die Bundesregierung die Interessen und die Würde des Landes zu wahren gewußt habe. Wenn dem Bundesrat die Sorge für Geheimhaltung derjenigen seiner Schritte, welche nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien, obliege, so stehe ihm doch keinerlei Kontrollrecht Über die Presse zu. Er könne gegen dieselbe nur innerhalb der Schranken der Gesetze Maßnahmen treffen. Kein Gesetz treffe aber auf diesen Fall zu. Indem der Korrespondent der ,,Revue" in willkürlicher Weise des Rechtes beraubt werde, die Bundeshäuser zu betreten, und damit auch der Möglichkeit, den beiden Sessionen der Bundesversammlung vom April und Juni beizuwohnen, werde er verhindert, seinen Verpflichtungen gegenüber seiner Zeitung nachzukommen ; dadurch entstehe ihm, ganz abgesehen von der erlittenen Kränkung (tort moral), ein beträchtlicher materieller Schaden, wofür er sich übrigens eine eventuelle Civilklage vorbehalte.

IV.

Bevor wir die rechtliche Seite der Angelegenheit näher beleuchten, stehen wir nicht an, zu erklären, daß wir mit unserer Verfügung nicht in die Rechte der Räte eingreifen wollen, in ihren Sitzungssälen die Polizei, gemäß Art. 11, Absatz 2, des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 1851 betreffend die politischen und polizeilichen Garantien der Eidgenossenschaft, auszuüben. Es steht also nach unserer Auffassung in den Befugnissen der Präsidenten der beiden Räte, dem Dr. Bovet den Zugang zur Journalistentribüne zu gestatten.

Ebensowenig wollten wir mit unserer Verfügung die in Art. 94 der Bundesverfassung garantierte Öffentlichkeit der Be-

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ratungen des National- und Ständerates beschränken. Dem Rekurrenten ist es unbenommen, die jedermann zugänglichen Tribünen des National- und Ständerates zu betreten, solange dio Sitzung der Räte dauert.

Wir nehmen an, daß damit das eventuelle Bogehren der Beschwerde als erledigt gelten kann.

Im übrigen halten wir unsere Verfügung im vollen Umfange aufrecht.

V.

Es ist zunächst die Kompetenzfrage zu erörtern. Dr. Bovet spricht sich nicht näher darüber aus, auf welche Bestimmungen der Verfassung er sein Recht zur Beschwerde stützt. Er citiert nur den Art. 85, Ziffer 8 und 11, der Bundesverfassung. Die dort enthaltenen Bestimmungen enthalten aber keinerlei Rechtfertigung eines Rekursrechtes.

Art. 85, Ziffer 8, bezieht sich auf Maßregeln, welche die Handhabung der Bundesverfassung, die Garantie der Kantonsverfassungen und die Erfüllung bundesmäßiger Verpflichtungen zum Zwecke haben.

Es ist nicht abzusehen, wie die Sperrung der Bundeshäuser gegenüber einer bestimmten Person mit diesen Materien in Zusammenhang gebracht werden soll. Was in Art. 85, Ziffer 8, der Bundesverfassung gemeint ist, sind Maßregeln, welche die Bundesversammlung von sich aus trifft, nicht in Überprüfung von Vorentscheidungen des Bundesrates; denn ihr werden ja direkt Kompetenzen eingeräumt.

Art. 85, Ziffer 11, kann ebensowenig angerufon werden.

Er handelt von der Oberaufsicht der Bundesversammlung über die eidgenössische Verwaltung und Rechtspflege. Diese Oberaufsicht macht sich hauptsächlich geltend bei Prüfung des Geschäftsberichtes des Bundesrates oder des Bundesgerichtes. Sie geht aber nicht so weit, daß dadurch die Bundesversammlung befugt würde, jeden einzelnen Verwaltungsakt des Bundesrates als obere Instanz nachzuprüfen und abzuändern. Mit dem gleichen Rechte müßte sich sonst aus der Oberaufsicht über die vom Bundesgerichte geübte Rechtspflege eine Nachprüfung und Abänderung der einzelnen Urteile des Bundesgerichtes herleiten lassen.

Eine weitere verfassungsmäßige Bestimmung wird seitens des Rekurrenten nicht angerufen, und es ist uns auch keine

893 solche bekannt, aus der sich ein Beschwerderecht begründen ließe. Denn daß die Beschwerde des Dr. Bovet nicht als ein staatsrechtlicher Rekurs aufgefaßt werden kann, darüber kann ein Zweifel im Ernste nicht bestehen, da unsere Verfügung kein Entscheid in einer Administrativstreitigkeit (Art. 113 Bundesverfassung) ist, für deren Weiterziehung an die Bundesversammlung das Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 (Art. 189 und 192) nähere Vorschriften giebt.

Wir halten somit dafür, daß die Bundesversammlung auf die Beschwerde des Dr. Bovet wegen mangelnder Kompetenz nicht eintreten kann.

VI.

Wir wollen indessen nicht unterlassen, in materieller Beziehung folgendes zu bemerken : 1. Die Berechtigung des Bundesrates, das Betreten der Bundeshäuser zu verbieten, ergiebt sich vom öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkt zweifellos aus Art. 11, Absatz l, des vorher angeführten Garantiegesetzes vom 23. Dezember 1851 (A. S. a. F.

III, 33). Dort ist bestimmt: ,,Die zum Gebrauche der Bundesbehörden bestimmten Gebäude stehen unter der unmittelbaren Polizei derselben.tt Es ist von jeher und mit Recht angenommen worden, daß in den Bundeshäusern der Bundesrat, als die oberste Verwaltungsbehörde, auch die Befugnis hat, diese Polizei auszuüben.

Aus dieser Polizeibefugnis leitete sich z. B. die bestehende reglementarische Ordnung über die Öffnungs- und Schließungsstunde, die Bestimmung der Tageszeiten, in welchen den Beamten und dem Publikum das Betreten der Bundeshäuser gestattet ist, die Besuchsordnung etc. her.

Aus dem Charakter dieser Befugnis, als einer polizeilichen, ist aber auch zu entnehmen, daß der Bundesrat eine diskretionäre Gewalt haben muß, diese Verhältnisse so zu ordnen, wie sie den Bedürfnissen einer geordneten Verwaltung entsprechend gestaltet sein wollen.

Abzulehnen ist des bestimmtesten, daß für einen Journalisten oder sonst irgend jemanden aus dem Publikum ein R e c h t bestehe, die Bundeshäuser zu betreten. Und wenn der Beschwerde-

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führer ein solches gesetzliches oder gar verfassungsmäßiges Recht behauptet, so hatte er zunächst den Beweis zu leisten, daß ein solches Recht bestehe, bevor er es unternehmen durfte, von der Verletzung des Rechtes in seiner Person zu reden. Er liât aber keinen Versuch gemacht, einen solchen Beweis /.u führen.

Allerdings ist bis jetzt in liberalster Weise der Zutritt zu den Bundeshäusern sowohl dem Publikum als den Vertretern der Presse gegenüber gestattet worden. Aber aus freiwilliger Gewährung läßt sich kein Recht ableiten. Im Gegenteil müssen wir daran festhalten, daß dem Bundesrate im Interesse der Ordnung und des gesicherten Ganges der Verwaltungsarbeit die Befugnis zustehen muß, das Betreten der Bundeshäuser zu verbieten, sobald ihm eine solche Maßnahme geboten erscheint.

2. Dieser Polizeigewalt des Bundesrates über die Bundeshäuser entspringen auch die verschiedenen Ordnungen, welche für die Vertreter der Presse und deren Verkehr im Bundesrathause gelten. Wir heben daraus hervor, daß als Vertreter der Presse gilt, wer sich als solcher bei der Bundeskanzlei unter Angabe der von ihm bedienten Blätter einschreibt. Ausgeschlossen sind eidgenössische Beamte und Angestellte. (Verfügung des Bundesrates vom I.Mai 1880); Ferner : ,,Es sei den bei der Bundeskanzlei eingeschriebenen Zeitungskorrespondenten mitzuteilen, daß jeder Journalist, der in Zukunft andere als dem amtlichen Bulletin entnommene Mitteilungen über angebliche Beratungen des Bundesrates oder daherige Beratungsorgebnisse oder über Departeinentalverhandluugen mache, ohne sich im ersteren Falle auf eine vom Bundespräsidenten oder einem Mitgliede des Bundesrates, im letztern Falle auf eine vom Departementschef ausdrücklich erteilte Ermächtigung berufen zu können, sachgemäßer Ahndung durch den Bundesrat unterliege und daß in analoger Weise gegen die bei der Bundeskanzlei aecreditierten Journale vorgegangen werden müßte, welche derartige Mitteilungen in anderer Form als derjenigen einer Korrespondenz aus der Bundesstadt bringen.tt (Beschluß des Bundesrates vom 18. April 1888.)

3. Auch ohne die im angeführten Bundesgesetze enthaltene ausdrückliche Vorschrift ergibt sich die Berechtigung des Bundesrats über den Zutritt zu den Bundeshäusern zu verfügen aus dem Eigentumsrecht des Bundes. Der Bund ist Eigentümer der Bundeshäuser und es steht dem Bundcsrate als dem Vertreter der Eidgenossenschaft das Verwaltungs- und somit auch

895 Verfügungsrecht über das Eigentum des Bundes zu. Er wahrt das Hausrecht und weist diejenigen Personen zurück, welche gewährtes Gastrecht mißbrauchen.

4. Die Verfügung des Bundesrates, jemand den Zutritt zu den Bundeshäusern zu untersagen, ist einerseits Verfügung über das Eigentum des Bundes, andrerseits eine Verwaltungshandlung im Interesse des Schutzes dieser Verwaltung selbst vor den Zudringlichkeiten unberufener Dritter.

5. Von diesem Recht hat der Bundesrat gegenüber Dr. Bovet Gebrauch gemacht, weil derselbe Vorgänge der Verwaltung vorzeitig und voreilig veröffentlicht hat, welche nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren, wobei die begründete Vermutung besteht, daß diese Vorgänge ihm nur zur Kenntnis gelangt sind, weil er von der ihm eingeräumten Erlaubnis, die Bundeshäuser zu betreten, in mißbräuchlicher Weise Gebrauch gemacht hat.

6. Soweit Dr. Bovet seine Beschwerde als Petition behandelt zu sehen wünscht, erachten wir dieselbe für uns durch die oben abgegebene Erklärung als erledigt, da das Petitionsbegehren nur auf Zulassung zu den Journalistentribünen des National- und Ständerates gerichtet ist.

In Zusammenfassung des Angebrachten beehren wir uns, bei Ihnen, Tit., zu beantragen: 1. Es sei auf die Beschwerde des Dr. Bovet nicht einzutreten ; eventueH 2. Dieselbe sei abzuweisen, B e r n , den 15. April 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Zeni]).

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs des Dr. G. Bovet, Journalisten in Bern, gegen eine Verfügung des Bundesrates vom 19. März 1902, wonach dem Dr. Bovet für drei Monate der Zutritt zu den Bundeshäusern untersagt wird. (Vo...

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