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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Joseph Kräuchi, Geflügelhändlers, in Bäriswil, und des Jakob Wenger, Geflügelhändlers, in Steffisburg, gegen das Verbot des Vorkaufs auf den Märkten der Stadtgemeinde Bern.

(Vom 14. Januar 1902.)

D e r s c h w e i z e r i s c h e B u n d e sr a t hat über die Beschwerde des Joseph K r ä u c h i , Geflügelhändlers in Bäriswyl, und des Jakob W e n g e r , Geflügelhändlers in Steffisburg, gegen das Verbot des Vorkaufs auf den Märkten der Stadtgemeinde Bern, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Am 27. Juni 1900 erließ der Gemeinderat der Stadt Bern eine Marktordnung für die Stadtgemeinde Bern. Die Verordnung bestimmt in Art. 12 : Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. I.

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,,Verboten sind ferner: a. Alle Handlungen, welche auf Störung des öffentlichen Marktes, als regelmäßige Veranstaltung zur direkten Lebensmittelversorgung der städtischen Konsumenten, auf Verdrängung dieser Konsumenten durch die Wiederverkäufer und auf künstliche Erhöhung der Lebensmittelpreise gerichtet sind.

Insbesondere ist untersagt: Der Ankauf von Fleisch, Obst, Gemüse und andern Lebensmitteln durch solche Personen, beziehungsweise ihre Angestellten, welche mit den betreffenden Waren selbst Handel treiben, auf den Zugängen der Stadt und zum Markte, sowie auf dem letztern selbst und zwar: Vom 1. April bis 30. September auf dem Fleischmarkt vor 7 Uhr, auf allen andern Märkten vor 9 Uhr.

Vom 1. Oktober bis 31. Mär/ auf dem Fleischmarkt vor 8 Uhr, auf allen andern Märkien vor 10 Uhr.a Art. 30 der gleichen Verordnung bestimmt: ,,Widerhandlungen gegen diese Marktordnung unterliegen, vorbehaltlich der Anwendung anderer einschlagender Gesetze oder Verordnungen, einer Buße von Fr. l--50.tt Endlich Art. 31 : ,,Diese Marktordnung tritt nach erfolgter Genehmigung durch den Regierungsrat in Kraft. Die städtische Polizeidirektion ist mit der Ausführung beauftragt. Die Marktordnung vom 11. August und 19. September 1879 wird andurch aufgehoben."1 Der Regierungsrat des Kantons Bern erteilte seine Genehmigung unterm 12. September 1900.

n.

Infolge von Rapporten der städtischen Polizeiorgane wurde durch das Polizeirichteramt Bern gegen Joseph Kräuchi in Bäriswil und Jakob Wenger in Steffisburg, beide Geflügelhändler, Strafuntersuchung angehoben wegen Widerhandlung gegen Art. 12 der Marktverordnung der Stadt Bern. In seiner Einvernahme gab Kräuchi zu, am 13. November und 18. Dezember 1900, vormittags vor 10 Uhr, auf dem Markt in Bern Geflügel gekauft, nach Hause gebracht, dort getötet und gerupft zu haben, um es in diesem Zustande wieder auf den Markt zu bringen.

Er wurde daraufhin vom Polizeirichter von Bern am 15. Juni 1901 . der Widerhandlung gegen Art. 12 schuldig erklärt, und

219 in Anwendung von Art. 30 der Verordnung für die Widerhandlung vom 13. November zu einer Buße von Fr. 3, für die Widerhandlung vom 18. Dezember 1900 zu einer Buße von Fr. 5 sowie zu den Staatskosten verurteilt; das Urteil wurde ihm gleichen Tages verbauter mitgeteilt. Das Urteil geht von der Erwägung aus, der Angeschuldigte gebe ,,den wesentlichen Teil der Anzeigen zu, daß er nämlich vor der in der Marktordnung festgesetzten Zeit Geflügel aufgekauft habe, um damit Handel zu treiben11.

Wenger gab vor dem bernischen Polizeigerichte zu, vor der in der Marktordnung festgesetzten Zeit auf dem Markte in Bern Geflügel gekauft zu haben, das er dann in Interlaken, Lauterbrunnen und Grindelwald wieder verkauft habe; er treibe auf die Weise Handel, daß er auf den Märkten Geflügel aufkaufe, um solches dann an die Hotelbesitzer der genannten Orte des Berner Oberlandes wieder zu verkaufen. Wenger wurde der sechsfachen Widerhandlung gegen Art. 12 der Marktordnung schuldig erklärt, und in Anwendung von Art. 30 derselben vom Polizeirichter von Bern am 14. März 1901 zu einer Gesamtbuße von Fr. 72 und den Staatskosten verurteilt. Das Urteil wurde dem Gebüßten am -gleichen Tage eröffnet.

Wenger ergriff gegen das verurteilende Erkenntnis die Appellation an die Polizeikammer des Kantons Bern, die ihm jedoch durch Urteil vom 15. Mai 1901 das Forum verschloß in der Erwägung, daß das Urteil des Polizeirichters von Bern in vorliegender Sache auf dem Wege der Appellation nicht angefochten werden könne, ^da die in genannter Marktordnung enthaltene Strafdrohung von im Maximum Fr. 50 Buße die Appellabilitätsgrenze des Art. 449 St. V. nicht übersteigt1'". Das Urteil wurde ihm am 18. Juni 1901 mitgeteilt.

III.

Am 10. August 1901 reichten Joseph Kräuchi und Jakob Wenger beim Bundesrate eine Eingabe, datiert vom 22. Juli 1901, ein, in der sie das Rechtsbegehren stellen, es möchte der Bundesrat ,,1. die Bestimmungen des Art. 12 der Marktordnung für die Stadtgemeinde Bern vom 27. Juni 1900, namentlich die Bestimmungen des Alinea 2 der litt, a dieses Art. 12 und die hierauf bezüglichen Bestimmungen des Art. 30 der gleichen Marktordnung als unvereinbar erkläre* mit den

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Bestimmungen des Art. 81 der Staatsverfassung des Kuntons Bern vom 4. Juni 1893 und demgemäß die gegen die Rekurrenten in Gemäßheit der erwähnten Bestimmungen durch das Polizeirichteramt Bern gefällten, hiervor erwähnten Urteile aufheben; 2. die erwähnten Bestimmungen dieser Marktordnung als solche erklären, welche mit den Bestimmungen der Bundesverfassung über die Handelsfreiheit im Widerspruch stehen, Eventuell erklären, daß der von den Rekurrenten erfüllte Thatbestand nicht denjenigen des schädlichen Vorkaufs konsumiere und daß daher das Verbot des von den Rekurrenten betriebenen Handels und dessen Bestrafung mit der durch die Bundesverfassung gewährleisteten Handelsfreiheit unvereinbar sei, und es seien daher gestützt hierauf die gegen die Rekurrenten ergangenen Strafurteile des Polizeirichteramts Bern aufzuheben."

Zur Begründung dieses Rechtsbegehrens führen die Rekurrenten aus: Art. 81 der Staatsverfassung des Kantons Bern vom 4. Juni 1893 bestimmt: ,,Die Freiheit des Landbaues, des Handels und der Gewerbe ist gewährleistet. Beschränkungen kann das Geset/, innert den durch die Bundesverfassung gezogenen Grenzen treffen."

Nun hat der Kanton Bern kein einziges Gesetz erlassen, durch welches die Handelsfreiheit beschränkt wird; es bestehen insbesondere keine gesetzlichen Bestimmungen, durch welche der Ankauf von Lebensmitteln vor einer bestimmten Tageszeit verboten wäre. Es ist klar, daß eine Gemeinde nicht das Rocht hat, derartige Beschränkungen aufzustellen, weder mit noch ohne Sanktion der Regierung. Gesetzgeber im Kanton Bern ist einzig das Volk. Eine verfassungsmäßige Delegation dieser Befugnis hat weder an den Großen Rat des Kantons, noch viel weniger an den Regierungsrat stattgefunden. Ein Gesetz unterläge überdies nach Art. 6 der Kantonsverfassung der Volksabstimmung.

Es ist ferner darauf aufmerksam zu machen, daß nach beruischem Recht ein Gesetz für den Bürger erst dann Geltung hat, wenn dasselbe im bernischen Amtsblatt oder in der amtlichen Gesetzessammlung des Kantons Bern publiziert worden ist; beides aber trifft für die Marktordnung der Stadtgemeinde Bern nicht zu.

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Daß aber nicht nur die Kautons- sondern auch die Bundesverfassung verletzt ist, zeigt die folgende Überlegung: ,,Die schweizerische Bundesverfassung vom 12. Herbstmonat 1848 bestimmte in Art. 29 folgendes: ,,Für Lebensmittel, Vieh und Kaufmannswaren, Landes- und T Erwerbserzeugnisse jeder Art sind freier Kauf und Verkauf, .,freie Ein-, Aus- und Durchfuhr von einem Kanton in den andern ,,gewährleistet.

..Vorbehalten sind: ·n"-

.nc. Verfügungen gegen schädlichen Vorkauf.

..(1. Vorübergehende sanitätspolizeiliche Maßregeln bei Seuchen.

,,Dio in litt, b und c bezeichneten Verfügungen müssen die ,,Kantonsbürger und die Schweizerbürger anderer Kantone gleich ^behandeln. Sie sind dem Bundesrate zur Prüfung vorzulegen ,,und dürfen nicht vollzogen werden, ehe sie die Genehmigung ,,desselben erhalten haben.11 Unter der Herrschaft der Bundesverfassung von 1848 waren Verfügungen der Kaotone gegen schädlichen Vorkauf vorbehalten, jedoch waren dieselben nur dann gültig, wenn der Bundesrat solche genehmigt hatte, was voraussetzt, daß der Bundesrat derartige Verfügungen einer genauen Prüfung unterzog, bevor er sie genehmigte oder nicht genehmigte. Damit war eigentlich der Vorkauf dem Bundesrechte unterstellt.

Die Bundesverfassung vom 19. April 1874, d. h. die "gegenwärtig geltende, statuierte in Art. 31 neuerdings die Freiheit des Handels und der Gewerbe im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft »ind sprach deren Gewährleistung aus. Vorbehalten sind außer den sub a, b, c und d des Art. 31 genannten Einschränkungen : y, Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben, ,,über Besteuerung der Gewerbetreibenden und über die Be,,nutzung der Straßen ;"· immerhin mit der ausdrücklichen verfassungsmäßigen Bestimmung, daß ,,diese Verfügungen den Grund.,satz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträch7,tigen.a Die Bundesverfassung von 1874 hat somit den Vorbehalt von Verfügungen gegen schädlichen Vorkauf, wie solcher in der Bundesverfassung von 1848 enthalten war, fallen gelassen. Dies geschah mit vollem Bewußtsein, wie sich aus dem Votum des

222 Berichterstatters Estoppey im Ständerat deutlich ergiebt. Derselbe sagte nämlich: ,,Die Bestimmung betreffend den Vorkauf findet sich in dem ,,neuen Entwurf nicht mehr, und zwar aus guten Gründen. Infolge der bedeutenden Vervollkommnungen des Transportes, ,,deren wir uns gegenwärtig erfreuen, sind die Gefahren und ^Mißbrauche des Vorkaufs von Waren und Produkten, auch die ,,unentbehrlichsten nicht ausgenommen, verschwunden. Dem Ver^kehr, und wenn es nötig ist, der Association, wird es unter ,,allen Umständen leicht gelingen, die Gefahren des Vorkaufs zu ,,beseitigen."

Die Rekurrenten können daher mit gutem Gewissen behaupten, daß die gegenwärtige Bundesverfassung mit vollem Bewußtsein das Verbot des schädlichen Vorkaufs beseitigte, mit andern Worten, daß der Gesetzgeber selbst das Verbot des schädlichen Vorkaufs für die Zukunft eliminieren wollte.

Dementsprechend hat denn auch der Bunderat und mit ihm der Nationalrat in wiederholten Entscheidungen bis Anfang der 80er Jahre daran festgehalten, daß das Verbot des Vorkaufs von Lebensmitteln in der gegenwärtigen Bundesverfassung fallen gelassen worden sei und nicht unter die in Art. 31, litt, e, vorbehaltenen Verfügungen eingereiht werden dürfe.

Allerdings hat der Bundesrat durch Entscheid vom 1. Juli 1890 in Abänderung der erwähnten Praxis die Vorschrift eines städtischen Reglements als zu Recht bestehend erklärt, durch welche hei Strafe den Wiederverkäufern von Früchten, Gemüsen, Eiern, Butter und Geflügel der Ankauf dieser Lebensmittel vor einer bestimmten Zeit verboten wurde.

Diese Entscheidung wurde, wie es scheint, au die Bundesversammlung nicht weitergezogen, so daß zur Stunde eine oberste bundesrechtliche Praxis in dieser Materie nicht besteht.

Es ist nun in erster Linie zu bemerken, daß die in der Marktordnung für die Stadtgemeinde Bern vorgesehenen Märkte keineswegs den Charakter haben, daß an denselben nur im Detail gekauft und verkauft werden kann. Sodann ergiebt es sich aus den Depositibnen der beiden Rekurrenten in der Strafuntersuchung, daß dieselben auf den Berner Märkten Geflügel ankauften, nicht um dasselbe auf dem gleichen Markte und zu teurem Preisen wieder zu verkaufen, sondern daß dieselben auf dem Markte in Bern Geflügel ankauften, um solches in andern Gegenden ihren Abnehmern liefern zu können. Es handelt sich

223 also in casu überhaupt nicht um Vorkauf im eigentlichen Sinne des Wortes, d. h. um den massenhaften Ankauf von Waren auf einem bestimmten Markte, um solche auf demselben zu höhern Preisen wieder zu verkaufen und sich auf diese Weise zu Herren des Marktes zu machen.

Die vielen in Bern existierenden Gästhofbesitzer kaufen jedenfalls in großem Maßstabe in Bern Geflügel ein, ohne daß dies Geflügel bloß zum Gebrauch der Familie der Gastwirte bestimmt wäre 5 dieser Ankauf geschieht vielmehr in der bestimmten Absicht, das gekaufte Geflügel zu höhern Preisen, allerdings in zubereitetem Zustande, dritten Personen, nämlich den Gästen, wieder zu verkaufen. Macht es nun für das bernische Publikum einen Unterschied aus, ob die Rekurrenten als Bevollmächtigte von Berner Oberländer Gastwirten auf dem Markte von Bern für deren Rechnung Geflügel einkaufen, oder ob sie dies behufs Lieferung an diese Gastwirte auf eigenes Risiko hin thun? Offenbar kommt dies für das konsumierende Publikum der Stadt Bern auf das Gleiche heraus.

Es scheint übrigens keiner weitern Erörterung zu bedürfen darüber, daß die zuständige Bundesbehörde in jedem einzelnen Fall das Recht haben muß, zu prüfen, ob ein mit den Bestimmungen der Bundesverfassung über die Handels- und Gewerbefreiheit vereinbares Verbot einer bestimmten Art des Handels vorliege, und daß es nicht angeht, daß irgend eine Gemeinde eine bestimmte Art des Handels einfach als verboten bezeichnet.

Angenommen auch, daß die Bundesbehörde den Standpunkt des Alinea l der litt, a von Art. 12 der Marktordnung von Bern teilt, so ist damit noch lange nicht gesagt, daß, was im Alinea 2 der litt, a aufgeführt, ohne weiteres als gültig zu betrachten ist, sondern es wird eben in jedem Falle untersucht werden müssen, ob die Voraussetzungen des Alinea i vorliegen. Rekurrenten glauben aber den Nachweis erbracht zu haben, daß auch für den Fall, daß die zuständige Bundesbehörde daran festhalten sollte, Verbote des schädlichen Vorkaufs seien mit der verfassungsmäßig gewährleisteten Handelsfreiheit vereinbar, die Art und Weise des Handels der Reklirrenten nicht mit diesem Prädikat belegt werden kann.

IV.

In der Rekursbeantwortnng vom 13. September 1901 beantragt der Regierungsrat des Kantons Bern die Abweisung der Beschwerdeführer, und führt aus:

224 ,,Die Rekurrenten weisen zunächst hin auf Art. 81 der bernischen Staats Verfassung vom 4. Juni 1893, wonach Beschränkungen der Handels- und Gewcrbefreiheit nur auf dem Wege des Gesetzes zulässig seien, und wollen daraus ableiten, daß es den Gemeinden nicht zustehe, auf dem Wege des Erlasses von bloßen Polizeireglementen solche Beschränkungen aufzustellen.

Diese Ansicht ist durchaus irrig; denn die Gemeinden sind eben durch Verfassung und Gesetz ausdrücklich ermächtigt worden, über die ihrer Verwaltung unterstellten Gegenstände, und also auch über den Marktverkehr, die nötigen Lokalpolizeireglemente zu erlassen, unter Vorbehalt der Genehmigung der Réglemente durch die Staatsbehörde. Es ist zu erinnern in dieser Beziehung : 1. an Art. 71 der bernischen Staats Verfassung, wonach alle Gemeindereglemente der Genehmigung des Staates unterliegen und die Gemeinden befugt sind, zur wirksamen Handhabung der Réglemente in dieselben Straf bestimmungen aufzunehmen ; 2. an §§ 6 und 7 des kantonalen Gemeindegesetzes vom 6. Dezember 1852, wonach zu den Gemeindeangelegenheiten auch die Ortspolizei gehört, und bis zum Erlaß eines Gesetzes über den Umfang und die Organisation derselben jeder Gemeinde überlassen ist, auf Grundlage des wirklich Bestehenden die erforderlichen Lokalreglemente aufzustellen, und endlieh : 3. an § 2 des kantonalen Markt- und Hausiergesetzes vom 24. März 1878, wonach der Marktverkehr unter der Aufsicht der Ortspolizei steht.

Aus dem allein erhellt zur Genüge, daß die Marktordnung von Bern nicht in der Luft steht, sondern gesetzlicherweise erlassen worden ist und daher auch gesetzliche Kraft und Gültigkeit hat. Der Einwand aber, daß dieselbe nicht im kantonalen Amtsblatt publiziert worden sei, ist belanglos, da das Amtsblatt nur zur Publikation der für den ganzen Kanton gültigen gesetzlichen Erlasse dient, während für die Publikation der Erlasse der Gemeindebehörden der amtliche Gemeindeanzeiger da ist.

Was sodann die Frage anbelangt, ob die angefochtene Bestimmung der Marktordnung von Bern mit dem durch Art. 31 der Bundesverfassung proklamierten Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit im Widerspruch stehe, so braucht darauf nicht näher eingetreten zu werden, da diese Frage vom Bundesrat am I.Juli 1890 anläßlich des Rekurses von Charles Blain und Konsorten gegen ein von der Stadt Freiburg erlassenes Verbot des Vorkaufs in verneinendem Sinne gelöst worden ist, und zwar

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mit dem Hauptmotiv, daß das Verbot des Vorkaufs auf dem Lebensmittelmarkt sich keineswegs als eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreihcit darstelle, sondern im Gegenteil als eine polizeiliche Verfügung, welche dem Markte den Charakter eines Detailmarkts für die Konsumenten wahre und g e r a d e d a d u r c h die w ah r e M a r k t F r e i h e i t s i e h e re.

Gemäß diesem Entscheide ist also das Verbot des Vorkaufs auf Lebcnsmittelmärkten nicht einmal als eine Beschränkung, geschweige denn eine Verletzung der Handels- und Gewerbel'reiheit anzusehen, und es muß daher auch aus diesem Grunde die Berufung der Rekurrenten auf Art. 81 der Kantonsverfassung als unzutreffend bezeichnet werden. Das Verbot des Vorkaufs auf Lebensmittelmärkten braucht seine Berechtigung nicht aus einem speciellen Gesetzeserlasse über Ausübung der Handels- und Gewerbefreiheit herzuleiten, sondern es ist eine in s i c h s e l b s t b e g r ü n d e t e Ordnungsvorschrift, welche lediglich den Zweck verfolgt, dem Markte seinen Charakter als regelmäßige Veranstaltung zur d i r e k t e n Versorgung der Konsumenten zu erhalten.

Eventuell versuchen die Rekurrenten darzuthun, daß die von ihnen geübte Einkaufspraxis eigentlich gar nicht den Charakter des Vorkaufs an sich trage und die Interessen des marktbesuchenden Publikums nicht schädige. Die Wochenmärkte von Bern seien überhaupt nicht so geartet, daß an denselben nur im Detail gekauft und verkauft werden könne, und dazu komme für den einen der Rekurrenten der Umstand, daß er das von ihm gekaufte Geflügel nicht wieder in der Stadt Bern, sondern hauptsächlich an Gasthofbesitzer des Oberlandes verkaufe, und für den andern Rekurrenten der Umstand, daß er das von ihm gekaufte Geflügel nicht gleichen Tags wieder verkaufe, sondern zu Hause töte und erst später wieder auf den Markt bringe.

Diese Einwände haben die Rekurrenten schon vor dem Richter geltend gemacht, sind aber damit nicht gehört worden, und zwar.

mit Recht. Daß die Märkte von Bern auch Großhandelsinärkte seien, mag für andere Handelszweige gelten, nicht aber für den Lebensmittelverkauf. In dieser Beziehung ist der Zweck des Marktes die direkte Bedienung des konsumierenden Publikums ohne Inanspruchnahme von Zwischenhändlern, während das Geschäftsgebaren der Rekurrenten den schnurstracks entgegengesetzten Zweck verfolgt,
nämlich die Verdrängung des Publikums vom direkten Verkehr mit den verkaufenden Produzenten und die daraus folgende Preissteigerung der Waren zu gunsten der Händler und zu ungunsten des Publikums. Daß der eine Rekurrent nicht

226 wieder an das marktbesuchende Publikum, sondern an Gasthöfe verkauft, und der andere nicht sogleich, sondern erst später das von ihm getötete Geflügel wieder auf den Markt bringt, thut nichts zur Sache, indem die Verdrängung des Publikums vom Markte und die Schädigung desselben durch künstliche Preissteigerung dieselbe bleibt. Ja, es geht laut Bericht der städtischen Polizeidirektion die Wirkung des Geschäftsgebarens der Geflügelhändler so weit, daß sie es, namentlich bei schwacher Auffuhr, mit Leichtigkeit dahinbringen, den Geflügelmarkt völlig zu beherrschen und die Preise nach Belieben hinaufzuschrauben.

So läßt z. B. der eine Rekurrent (Wenger) schon am Morgen früh jeweilen eine Menge Käfige auf den Markt bringen und sucht mit seinen Familienangehörigen den Markt und seine Zugänge systematisch ab, um alles ihm konvenierende Geflügel an sich zu bringen und dann zu den ihm beliebigen Preisen wieder abzusetzen.

Endlich machen die Rekurrenten noch geltend, die Marktpolizei habe nicht bloß für die Interessen der Konsumenten, sondern auch für die der Produzenten zu sorgen. Die angefochtene Bestimmung der Marktordnung von Bern aber, welche eine bestimmte Klasse von Käufern vom Markte ausschließe, qualifiziere sich als direkte und grobe Schädigung der Interessen der Produzenten, welche dadurch verhindert werden, den höchst möglichen Preis für ihre Ware zu lösen. Allein bei der Eoutine, mit welcher die Geflügelhändler verfahren, ist es ihnen ein leichtes, die Landleute zum Verkauf ihres Geflügels auch für geringern Preis zu bewegen, wozu noch kommt, daß die letztern froh sind, ihre Ware möglichst früh und in möglichst kurzer 'Zeit loszuwerden. Wenn dagegen die Landleute auf die Konsumenten warten müssen, ist der Absatz zwar vielleicht weniger schnell, dafür aber der Erlös meist höher oder doch allermindestens gleich hoch, und im schlimmeren Falle sind nach 9 oder 10 Uhr die Händler immer noch da, um den Produzenten das übrige Geflügel abzunehmen. Die Zwischenhändler werden also nicht vom Markte ausgeschlossen, sondern nur in zweite Linie gestellt, wie es der Zweck des Marktes verlangt.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Die Beschwerdeführer haben durch Einreichung ihrer Re kursschrift am 10. August 1901 an den Bundesrat rekurriert:

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1. gegen Art. 12 der Marktordnung der Stadtgemeinde Bern selbst; 2. gegen die gegen sie wegen Widerhandlung gegen diese Marktordnung vom Polizeirichter von Bern erlassenen Strafurteile.

I.

Es ist von Amtes wegen zu prüfen, ob die Beschwerde rechtzeitig eingereicht ist.

In dieser Hinsicht ergiebt sich vorerst, daß der Rekurs gegen die Marktordnung selbst resp. Art. 12 derselben und die Genehmigung durch den Regierungsrat des Kantons Bern verspätet ist. Der in Verbindung mit Art. 190 für das Verfahren in staatsrechtlichen Beschwerden vor dem Bundesrate maßgebende Artikel 178 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. Marx 1893 schreibt unter litt, c vor: ,,Die Beschwerde ist binnen sechzig Tagen, von der Eröffnung oder Mitteilung der Verfügung oder des Erlasses an gerechnet, schriftlich einzureichen.u Die von den Rekurrenten erhobene Beschwerde ist aber erst am 10. August 1901 eingereicht worden, während die Marktordnung vom 27. Juni 1900 datiert, und der Regierungsrat des Kantons Bern ihr seine Genehmigung am 12. September 1900 erteilt hat. Der Bundesrat kann also auf das Begehren der Rekurrenten auf Aufhebung der als verfassungswidrig bezeichneten Verordnungsbestimmung selbst nicht mehr eintreten.

Es fragt sich, ob die Beschwerde rechtzeitig ergriffen worden ist gegenüber den namhaft gemachten Fällen der thatsächlichen Anwendung oder Vollziehung der angefochtenen Verordnung.

(Bundesratsbeschluß in Sachen des Rekurses des liberalen Komitees der Stadt Romont vom 7. März 1896, Bundesbl. 1896, II, 116.) Dies ist nur der Fall hinsichtlich eines der beiden Urteile, gegen die Besehwerde geführt wird. Das Urteil, durch welches Jakob Wenger in eine Buße von Fr. 72 und zu den Staatskosten verfällt worden ist, ist am 14. März 1901 ausgesprochen und mitgeteilt worden. Nun ist zwar gegen dieses Urteil seitens des Gebüßten die Appellation an die Polizeikammer des Kantons Bern ergriffen worden ; diese Behörde hat dem Appellanten aber wegen Inkompetenz das Forum verschlossen. Die 60tägige Rekursfrist kann somit nicht von diesem letztern Urteil an gerechnet werden, sondern lief vom 14. März 1901 an, an welchem Tag die Verurteilung Wengers erfolgte. Die an die inkompetente Behörde erklärte Weiterziehung des Urteils hat keinen Suspensiv-

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effekt. (Vgl. BundesralsbeschlUsse vom 28. April und 10. November 1899 in Sachen S. Boggia, Bundesbl. 1900, I, 807.)

Dagegen ist die Beschwerde rechtzeitig eingereicht worden gegen das polizeirichterliche Urteil vom 15. Juni 1901, durch das dem Rekurrenten Joseph Kräuchi eine Buße auferlegt worden ist.

Da die Beschwerde gegen das Urteil vom 14. März 1901 verspätet ist, so fällt auch die Legitimation des Jakob Wenger als Rekurspartei dahin. Das Urteil vom 15. Juni 1901 lautet einzig gegen Joseph Kräuchi, und Wenger hat weder ein eigenes Interesse an der Aufhebung dieses Strafurteils behauptet, noch kann ihm ein solches zuerkannt werden.

II.

Die vorn Bundesrat zu löse'nde materielle Rechtsfrage ist die, eh die vom Beschwerdeführer angerufenen Normen von Verfassungsrecht dadurch verletzt worden sind, daß dem Rekurrenten wegen Zuwiderhandlung gegen ein Vorkaufsverbot eine'jBuße auferlegt worden ist.

Der Rekurrent hat die Buße als verfassungswidrig bezeichnet, weil sie sich auf eine Verbotsnorm stütze, die Art. 81 der Berner Verfassung und Art. 31 der Bundesverfassung verletze; die Bundcsverfassung sei verletzt, weil das Verbot des Vorkaufs, das in Art. 12 der bernischen Marktordnung aufgestellt ist, der Handels- und Gewerbefreiheit widerstreite; die bernische Kantonsverfassung, weil, auch wenn die Zulässigkeit eines Verbots des Vorkaufs zugegeben würde, ein solches Verbot, da es immer eine Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit bedeute, im Kanton Bern auf dem Wege des Erlasses e i n e s G e s e t z e s getroffen werden müßte ; einem Gemeinderat oder dem bernischeri Regierungsrat habe daher die Zuständigkeit zum Erlaß des Artikels 12 der Marktordnung gefehlt.

Der Bundesrat ist gemäß seiner bisherigen Praxis auf Grund von Art. 189, Ziffer 3, des Organisationsgesetzes für beide Beschwerdepunkte zuständig.

Nur bezüglich der Kompetenz zur Entscheidung des ersten Punktes ist gegenüber den Ausführungen des Beschwerdeführers daran zu erinnern, daß der Bundesrat nicht entscheiden kann, oh der Gemeinderat von Bern durch den Erlaß der Marktordnung und ob der Regierungsrat des Kantons Bern durch die Genehmigung dieser Verordnung das verfassungsmäßig garantierte

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Verhältnis der öffentlichen Gewalten verletzt haben. Er kann auf die Behauptung der Verletzung einer Kantonsverfassung nur insoweit eintreten, als Bestimmungen der Kantonsverfassung als verletzt behauptet werden, die sich auf die von der Bundesverfassung gewährleisteten Rechte des Bürgers beziehen, also im vorliegenden Falle auf die Handels- und Gewerbefreiheit. Nun hat die bernische Kantonsverfassung eine specielle Garantie des Individualrechtes der Handels- und Gewerbefreiheit dadurch geschaffen, daß sie für die Einschränkung derselben den Erlaß eines G e s e t z e s vorschreibt. Um zu untersuchen, ob diese specielle Garantie durch den angefochtenen Erlaß mißachtet worden sei, muß der Bundesrat prüfen, ob die Handels- und Gewerbefreiheit durch eine bloße Verordnung mit nachfolgender Genehmigung durch den Regierungsrat anstatt durch den Erlaß eines besonderen Gesetzes in unzulässiger Weise beschränkt worden ist.

(Vgl. Bundesratsbeschluß in Sachen Honoré Roche vom 19. Juni 1900, Bundesbl. 1900, III, 479 ff.).

III.

Die angefochtene Marktordnung bezeichnet das Verbot des Vorkaufs als eine Verfügung zur Verhütung von Handlungen, die auf Störung des öffentlichen Marktes als einer regelmäßigen Veranstaltung zur direkten Lebensmittelversorgung der städtischen Konsumenten gerichtet sind ; das Verbot wird erlassen kraft der Marktpolizeihoheit, welche die erlassende Behörde, der Gemeinderat der Stadt Bern, sich zuschreibt. Daß es nun zur Aufstellung solcher Marktpolizeivorschriften keines Gesetzes bedarf, sondern daß, unter Einholung der Genehmigung des Regierungsrates, jede Gemeinde dazu berechtigt ist, hat der Regierungsrat durch seine Ausführungen in der Rekursbeantwortung klar nachgewiesen.

Danach ist mit ihm anzunehmen, daß § 2 des bernischen G e s e t z e s über den Marktverkehr und den Gewerbebetrieb im Umherziehen vom 27. Wintermonat 1877, welcher bestimmt: .,,Der Marktverkehr steht unter der Aufsicht der Ortspolizeia, den Gemeinden des Kantons das Recht zu den Verfügungen delegiert hat, welche die Aufrechterhaltung der Ortspolizei auf den Märkten erheischt. Die §§ 6 und 7 des bernischen Gesetzes über das Gemeindewesen sprechen den Gemeinden -- bis zum Erlaß eines diese Materie normierenden kantonalen Gesetzes -- ausdrücklich noch die Befugnis zu, die Ortspolizei nicht nur durch Einzelverfügungen zu handhaben, sondern dieselbe zu organisieren and die nötigen Normen durch ,,Lokalreglemente1'' zu fixieren.

230 Der Regierungsrat hat noch beigefügt, daß die Gemeinden nach Art. 71 der heroischen Kantonsverfassung -MV wirksamen Hand.habung ihrer Réglemente überhaupt befugt sind, Strafbestimrnungen in dieselben aufzunehmen. Neben den vom Regierungsrate des Kantons Bern angeführten Gesetzesbestimmungen kann noch verwiesen werden auf die auf Grund der Bestimmungen der Kantonsverfassung von 1831 durch den Regierungsrat verfügte Organisation der Ortspolizei der Hauptstadt (Bern) vom 31. Dezember 1832, welche in ihren materiellen Bestimmungen heute noch in Kraft ist. Daselbst heißt es in § 72, daß der Ortsbehörde übertragen ist: ,,die besondere Aufsicht auf den Verkauf von Lebensmitteln, hinsichtlich der für das Publikum erforderlichen Konsurnation ; V e r h i n d e r u n g des V o r k a u f s nach bestehenden Verordnungen, sowie des Wuchers und vorläufige Bestimmung der Brot- und Fleischtaxen''·.

Das Verbot des Vorkaufs ist also von den Behörden nicht in einer dem Art. 81 der bernischen Verfassung widersprechenden Weise aufgestellt worden.

Damit fällt auch der weitere gegen die Gültigkeit der Verordnung erhobene Einwand des Rekurrenten dahin, es sei dieser Erlaß nicht im bernischen Amtsblatt publiziert worden. Es genügt selbstverständlich, daß das Gesetz oder diejenigen der oben genannten Gesetze im Amtsblatt publiziert wurden, welche die Delegation der Befugnis an die Gemeinden zum Erlaß von Verordnungen enthalten; daß aber diese Gesetze publiziert ·worden seien, ist unbestritten.

IV.

Bezüglich des zweiten Beschwerdepunktes, das Vorkaufsverbot widerstreite Art. ' 31 der Bundesverfassung, ist hervorzuheben, daß die Zulässigkeit eines Vorkaufsverbots vom Bundesrat bereits entschieden worden ist, indem derselbe in der Rekurssache Charles Blain und Konsorten, welche die Aufhebung des im Marktreglement der Stadt Freiburg autgestellten Vorkaufsverbots beantragten, am 1. Juli 1890 sich folgendermaßen ausgesprochen hat: ,,Je nach dem Charakter des Marktes und der Waren, die auf demselben zum Kaufe angeboten werden, ist der Vorkauf, d. h. der massenhafte Ankauf von Waren zum Zwecke des Wiederverkaufs derselben, nichts anderes als die Ausbeutung der Handelsfreiheit durch Weniare zum Schaden der Mehrheit

23l Wenige machen sich durch solche Ankäufe zu Herren des Marktes und bestimmen sodann nach ihrem Belieben den Preis der Ware.

.,,Daß der Vorkauf' um so unheilvoller wirken muß, je kleiner das Marktgebiet und je unentbehrlicher die vorweg gekaufte Ware für das Publikum ist, leuchtet sofort ein. Es darf gesagt werden, daß derselbe solche Märkte geradezu ihres wahren Charakters beraubt, auf denen im Kleinen um Waren gehandelt wird, die wie Eier, Gemüse, Früchte zum täglichen Verzehr bestimmt sind, daß er ihrer Bestimmung entgegenwirkt und eine völlige Unfreiheit der Käufer herbeiführt.

,,Das hat die Bundesverfassung durch Art. 31 nicht sanktionieren wollen. Vielmehr hat sie durch den Vorbehalt von Verfügungen über die Ausübung des Handels und der Gevverbe ausdrücklich anerkannt, daß es möglich und zulässig sei, die Freiheit im Handel zu ordnen, einzuschränken.

yjWenri die angefochtene Vorschrift des Marktreglements der Stadt Freiburg im Sinne der vorstehenden Erörterungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft wird, so ergiebt sich, daß dieselbe keineswegs gegen das Bundesrecht verstößt, sondern gegenteils als eine polizeiliche Verfügung sich darstellt, welche dem Lebensrnittelmarkte im Stadtgebiete den Charakter eines Marktes für die Konsumenten wahren will, gerade dadurch die wahre Marktfreiheit sichert und weder den Interessen der Verkäufer noch denjenigen der Käufer zu nahe tritt.tt (Bundesbl. 1890, III, 1097.)

Dieser Beschluß des Bundesrates ist .von grundsätzlicher Bedeutung ; die Bundesbehörde hat denselben gefaßt in offenem Abweichen von ihrer bisherigen Praxis, und es besteht kein (Irund, von demselben heute abzugehen. Gegenüber den auf die Entwicklungsgeschichte des Art. 31 in den Bundesverfassungen von 1848 und 1874 zurückgehenden historischen Erörterungen der Rekursschrift ist zu bemerken, daß die Erwartungen, die man auf die Entwicklung der Verkehrsmittel und des Verkehrswesens überhaupt als eines Korrektivs für die aus dem Vorkauf fliessenden Mißstände gesetzt hatte, eben durch die Thatsachen getäuscht worden sind, wie dies der Bundesrat in der angeführten Entscheidung ausgeführt hat. Diesen Wandel in den Anschauungen kennzeichnet und anerkennt auch der Bericht der Ständerätlichen Kommission zur Prüfung der Geschäftsführung des Bundesrates im Jahr 1890 vom 23. Mai 1891, indem er bemerkt: ,,Es ist entschieden zu begrüßen, daß der Bundesrat auf seine frühere Anschauungsweise zurückgekommen ist und den V o r k a u f not-

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wendiger Lebensmittel nicht mehr unter dem Titel der Handelsfreiheit schützt. Vorkauf ist ja die wucherliche Ausbeutung des Mittelstandes und der armem Klassen und die thatsächliche Vernichtung der Verkehrsfreiheit". (Bundesbl. 1891, II, 1073.)

V.

Nun hat Rekurrent noch bestritten, daß die ihm zur Last gelegten Handlungen den Thatbestand des Vorkaufs ausmachen.

Dieser Beschwerdepunkt ist von der Bundesbehörde auf seine Richtigkeit zu prüfen, insofern Rekurrent damit behauptet, es sei willkürlicherweise der Vorwurf der Ausübung des Vorkaufs gegen ihn erhoben worden.

Nun hat aber das Urteil vom 15. Juli 1901 festgestellt, daß ,,Rekurrent vor der in der Marktordnung festgesetzten Zeit Geflügel aufgekauft hat, um damit Handel zu treiben", und, wie der Verdeutlichung wegen noch ausdrücklich beigefügt werden muß, Rekurrent hat den Handel mit diesem Geflügel a u f d e m M a r k t in B e r n getrieben. Dieser Aufkauf von Lebensmitteln am Beginn eines öffentlichen Marktes zum Zweck, mit den gleichen Waren in der gleichen Stadt und auf dem gleichen Markt wieder zu verkaufen, erfüllt alle Merkmale des Vorkaufs.

Auch die letzte Einrede des Rekurrenten stellt sich also als unbegründet dar.

Demnach wird erkannt:

1. Auf die Beschwerde des Jakob Wenger wird wegen Verspätung nicht eingetreten.

2. Die Beschwerde des Joseph Kräuchi wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 14. Januar 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Joseph Kräuchi, Geflügelhändlers, in Bäriswil, und des Jakob Wenger, Geflügelhändlers, in Steffisburg, gegen das Verbot des Vorkaufs auf den Märkten der Stadtgemeinde Bern. (Vom 14. Januar 1902.)

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Bundesblatt

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Jahr

1902

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03

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15.01.1902

Date Data Seite

217-232

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10 019 922

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