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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des F. Glarner-Fieger, Photographen in Glarus, wegen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit.

(Vom 11. Juli 1902.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde des F. G l a r n e r - F i e g e r , Photographen in Glarus, wegen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Durch Verfügung der Polizeidirektion des Kantons Uri ist F. Glarner-Fieger, Photograph in Glarus, am 17. März 1902 wegen Übertretung des urnerischen Hausiergesetzes oder wegen Aufnahme von Bestellungen auf Arbeit ohne Patent zu einer Buße von Fr. 50 verfällt worden. Diese Buße hat der Regie-

17 rungsrat des Kantons Uri durch Beschluß vom 29. März 1902 bestätigt, davon ausgehend, daß ,,Glarner im Kanton Uri bei Fabriken und Privaten photographische Aufnahmen gemacht und Bestellungen auf Arbeit nachgesucht hat, ohne im Besitze eines Hausierpatentes zu sein" und daß ,,gemäß Art. 9, Ziffer 4, litt, ö, der urnerischen Verordnung über den Markt- und Hausierverkehr vom 25. November 1897 die Ausübung des Photographenberufes in öffentlichen und privaten Lokalen oder auf Plätzen in seiner Eigenschaft als Wanderberufsbetrieb dem Hausierverkehr unterstellt, und an die Lösung eines bezüglichen Patentes gebunden11 ist.

II.

Durch Eingabe vom 18. April 1902 hat Glarner beim Bundesrat gegen den Regierungsratsbeschluß die staatsrechtliche Beschwerde erhoben und das Rechtsbegehren gestellt, es möge die Regierung von Uri verhalten werden, die erhobene Buße zurückzuerstatten.

Zur Begründung seines Begehrens bringt er folgendes^1 vor : Der Entscheid vom 29. März 1902 verstößt gegen den in Art. 31 der Bundesverfassung niedergelegten Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit. Der Entscheid stützt sich lediglich auf Art. 9, Ziffer 4, litt. &, der urnerisehen Hausierverordnung, welcher lautet: ,,Unter den Begriff des Hausierverkehrs oder des Gewerbebetriebes im Umherziehen fällt: (4.) der Wanderberuf (Feilbieten von Leistungen) : (&.) durch Ausübung einer Kunst in öffentlichen und privaten Lokalen oder auf Plätzen und Schaustellung von Kuostund Naturgegenständen (Schauspieler, Musikanten und Kunstreiter, Taschenspieler, Seiltänzer, Photographen, Phonographen, Carousselhalter, Panorama-, Museum-, Menagerieaussteller u. dgl.).u Aus dieser Zusammenstellung der Photographen mit Taschenspielern , Seiltänzern u. dgl. geht nun ganz klar hervor, um welche Kategorie von ,,Photographen" es sich in der Verordnung handelt, nämlich um die ,,Budenphotographen" der Jahrmärkte, Kirchweihen u. s. w., welche thatsächlich ihren Beruf im Umherziehen betreiben. Art. 27, Schlußsatz, der Urner Verordnung spricht deutlich von ,,umherziehenden Handwerkern" und damit ist doch deutlich genug gesagt, daß nur diejenigen Berufe unter das .Hausiergesetz fallen, welche wirklich Wanderberufe sind, Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. IV.

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wo die Arbeit bald da, bald dort nicht nur b e s t e l l t , sondern auch a u s g e f ü h r t wird.

,,Die Art meines Geschäftsbetriebes ist aber, so führt er des weitern aus, eine ganz andere, ich habe meinen f e s t e n Wohnsitz in Glarus, wo ich Bürger bin, ein eigenes Haus besitze, meinen Beruf ausübe und auch die Steuern bezahle. Während des größten Teiles des Jahres arbeite ich in meinem Atelier in Glarus, wo ich ü b e r h a u p t auch alle Aufträge ausführe, ·die mir übertragen werden. Da mir aber der Kanton Glarus ein ·ungenügendes Arbeitsfeld bietet, sehe ich mich genötigt, Aufträge auch a u ß e r h a l b meines Heimatkantons zu suchen. Es ist dabei ·selbstverständlich, daß ein Photograph nicht im stände ist, Be,Stellungen aufzunehmen, ohne gleichzeitig sich des Photographenapparates zu bedienen. Ein Aufsuchen von Arbeit ohne den Apparat ist einfach u n d e n k b a r . Als ein bloßes Aufsuchen von Bestellungen beziehungsweise von Arbeit wird der Photographenberuf (im eigentlichen Sinn des Wortes) auch vom eidgenössischen -Sekretariat für die Patenttaxen der Handelsreisenden behandelt, indem es erklärt, daß Personen, die nur Arbeit suchen, z. B.

Bildhauer, Kunstmaler, Photographen etc. nicht unter das eidgenössische Patenttaxengesetz fallen (Rahm, Sammlung der Vorschriften über die Regelung des Verkehrs der schweizerischen Handelsreisenden, Seite 2). Dieses Aufsuchen von Arbeit, welche am f e s t e n Wohnsitz des Arbeitsuchenden ausgeführt wird, kann unmöglich als ein der kantonalen Hausiergesetzgebung unterliegender W a n d e r b e r u f taxiert werden. Der Begriff des letztern kann unmöglich ein anderer sein als der, daß der Beruf in kurzen Zeitabschnitten an v e r s c h i e d e n e n Orten ausgeübt wird, während ich, wie bereits oben bemerkt, alle Aufträge a u s n a h m s l o s in meinem Atelier in "Glarus ausführe.a IH.

In Beantwortung der Beschwerde beantragte der Regierungsrat des Kantons Uri durch Zuschrift vom 10. Mai 1902 die Abweisung des Rekurrenten, und führte aus : ,,Den 17. März dieses Jahres wurde in Schattdorf durch Polizeikorporal Aschwanden ein Photograph, mit Namen F. GlarnerFieger von Glarus, angehalten, welcher bei verschiedenen Privaten Bestellungen aufsuchte und dann gleich auch die gewünschten photographischen Aufnahmen besorgte.

19 ,,Da derselbe nicht im Besitze eines kantonalen Hausierpatentes war, wurde ihm auf dem Polizeibureau eine Kaution von Fr. 50 ^abverlangt und ihm gleichzeitig auch bekannt gegeben, daß die iPolizeidirektion ihn wegen Übertretung von Art. 9, Ziffer 4, litt, ö, der kantonalen Markt- und Hausierverordnung vom 25. November 1897 und in Anwendung von Art. 35 der gleichen Verordnung in eine Polizeibuße von Fr. 50 verfällt habe.

,,Den gegen 'diese Verfügung bei uns eingereichten Rekurs Jhaben wir den 29. März abhin als unbegründet abgewiesen.

,,In seiner Beschwerde vom 7. April bestreitet nun GlarneriFieger in erster Linie die von uns dem citierten Art. 9, Ziffer 4, ,litt. ö, gegebene Interpretation, indem er unter dem dort ent.haltenen Wort ,,Photographen'1 nur Budenphotographen, die Jahrmärkte, Kirchweihen u. s. w. besuchen, verstanden wissen will.

,,Wir bemerken hierauf, daß die Interpretation eines kanto·jialen Gesetzes :oder einer Verordnung, soweit dieselbe nicht .gegen die Bundesgesetzgebung verstößt, der Überprüfung durch -die Bundesbehörden entzogen und einzig Sache der kantonalen .Behörden ist.

,,Wenn Glarner-ÎFieger daher seinen Rekurs mit einer nach 'kantonalem Recht angeblich unrichtigen Interpretation der Marktund Hausierverordnung vom 25. November 1897 begründen will, .so muß das Eintreten auf diesen Rekurs durch die Bundesbehörden jedenfalls abgelehnt werden, indem ihnen hierfür die .Kompetenz fehlt.

,,Der Rekurrent hätte in diesem Sinne seine Beschwerde .innert 8 Tagen, gemäß Anleit von Art. 35, 7. Alinea, beim »Kreisgericht Uri anbringen sollen.

,,Glarner-Fieger scheint dann aber in zweiter Linie die Anwendbarkeit der erwähnten Verordnung auf die Aufnahme von -Bestellungen durch umherreisende Photographen, die ihre Apparate zu diesem Zwecke auch mit sich führen müssen, überhaupt .zu bestreiten.

,,Wir können diesen Ausführungen nicht beitreten, sondern betrachten die Aufnahme von Bestellungen bei Privaten durch einen mit seinem Apparat umherziehenden, im Kanton nicht niedei'gelassenen Photographen, als H a u s i e r h a n d e l im ausge·sprochendsten Sinne des Wortes. Wir verweisen diesbezüglich ·auf den Bericht der nationalrätlichen Geschäftsprüfungskommis=sion vom 23. Mai 1878 (v. Salis, Bundesrecht II, 226 ff.), worin

20 ausdrücklich die Aufnahme von Bestellungen bei Nichtgewerbetreibenden von Haus zu Haus als Hausierhandel erklärt wird..

Der h. Bundesrat ist den Ausführungen der genannten Kommission im Jahre 1878 bei Anlaß der Entscheidung von zwei Beschwerden aus dem Kanton Luzern beigetreten und hat an dieser Praxis seither festgehalten. Wir citieren diesbezüglich die Bundesratsentscheide in Sachen Staufer vom 17. September 1889, in Sachen Erlanger vom 7. Dezember 1885, und in Sachen Chastanet vom 2. November 1880 (v. Salis, Bundesrecht II, 231 und 235).

,,Es ist Thatsache, daß Glarner-Fieger in den Gemeinden Schattdorf, Bürglen und Altdorf von Haus zu Haus Bestellungen aufgesucht und die gewünschten photographischen Aufnahmen sofort vollzogen hat. Ob nun die Ausführung der Bilder nach den im Wanderberuf angefertigten Platten in Glarus oder anderswo erfolgt ist, vermag an dem von uns konsequent angewendeten Rechtsgrundsatze nichts zu ändern. Es ist eine wesentliche Eigentümlichkeit des Hausierhandels, daß derselbe ambulant die Bevölkerung beliebiger Gebiete der Schweiz aufsucht und daß der an einem Orte fest niedergelassene Händler sich in allen ändern Gebieten, welche er, seinen Handel ausübend, besucht, nur vorübergehend auf hält.a

·

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Der Rekurrent hat die rechtzeitig eingereichte staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesrate erhoben, weil die Handlungen r für die er von den urnerischen Behörden wegen Übertretung der urnerischen Verordnung über den Hausier- und Marktverkehr vom 25. November 1897 mit einer Geldbuße belegt worden ist,.

weder unter die urnerische Hausierverordnung fallen, noch unter den Begriff des Hausiergewerbes gefaßt werden könne ; das Vorgehen der urnerischen Behörden bedeute daher eine Verletzung der von Art. 31 der Bundesverfassung gewährleisteten Handelsund Gewerbefreiheit.

Die Behauptung einer Verletzung von Art. 31 der Bundesverfassung löst nach Art. 189, Ziffer 3, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 die Kompetenz des Bundesrates zur Beurteilung der Beschwerde aus.

21 Die Beschwerde kann aber nicht als begründet betrachtet werden. Allerdings gewährleistet die Bundesverfassung in Artikel 31 ,,die Freiheit des Handels und der Gewerbe im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft" ; sie hat aber zu gunsten der Kantone ausdrücklieh vorbehalten (litt, e) ,,Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben, über Besteuerung des Gewerbebetriebes . . . . .", soweit diese den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen.

Die Thatsache allein also, daß ein Kanton einen bestimmten ·Gewerbebetrieb besteuert, oder ihn einer Taxe unterwirft, bedeutet noch keinen Eingriff in den Verfassungsgrundsatz ; verfassungswidrig wird die Besteuerung oder Taxierung erst dann, wenn damit der betreffende Handel oder das Gewerbe beeinträchtigt werden. Es kann somit den Kantonen grundsätzlich das Recht nicht bestritten werden, nicht nur den Hausierhandel, sondern die Ausübung allen Handels und jeden Gewerbes steueroder taxpflichtig zu erklären (vgl. v. Salis, Bundesrecht, II, Nr. 615, p. 225, und Nr. 578, p. 179). Demnach vermag auch "die Behauptung des Beschwerdeführers, sein im Kanton Uri betriebenes Gewerbe könne überhaupt nicht unter den Begriff des Hausierhandels gebracht werden, den gegen die Behörden von Uri erhobenen Vorwurf der Verfassungsverletzung nicht zu begründen.

Auf die zweite Behauptung des Rekurrenten, die unter Strafe gestellten Handlungen erfüllten den Thatbestand der in ·der u r n e r i s c h e n Hausierverordnung gegebenen Begriff des Hausierhandels nicht, kann der Bundesrat nicht eintreten, denn er ist nicht kompetent, die Auslegung eines kantonalen Gesetzes ·oder einer kantonalen Verordnung zu prüfen (Vgl- Bundesratsbeschluß i. S. Leonz Schlumpf vom 5. Mai 1899 ; Bundesbl.

1899, III, 82). Der Beschwerdeführer hätte sich zur Anbringung ·einer solchen Klage, wie der urnerische Regierungsrat ausführt, .an die gerichtlichen Instanzen des Kantons Uri wenden sollen, als welche, nach den genannten Ausführungen, in erster Linie das Kreisgericht Uri zu betrachten ist.

Der Beschwerdeführer behauptet, und es ist ihm darin beiautreten, daß sein Gewerbebetrieb n i c h t unter das Bundesgesetz betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden vom 24. Juni 1892 falle. Damit ist aber nicht gesagt, daß die Kantone seinen Gewerbebetrieb nicht besteuern oder mit einer Taxe belegen dürfen. Denn gerade nur für die unter dieses Gesetz fallenden Handelsreisenden bestimmt Art. 6 desselben Befreiung von einer

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Kantons- oder Gemeindetaxe. Also ist die vom Kanton Uri angewendete Hausiertaxe auch nicht im Widerspruch mit diesem Bundesgesetze.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Bern, den 11. Juli 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft Ringier..

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des F. Glarner-Fieger, Photographen in Glarus, wegen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit. (Vom 11. Juli 1902.)

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16.07.1902

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