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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das von Frau Witwe Katharina Müller, in Zell, erhobene Entschädigungsbegehren.

(Vom 29. April 1902.)

Tit.

Im Verlaufe der Jetztjährigen Herbstmanöver der Kavallerie hat sich während einer Nachtübung ein bedauerlicher Unfall ereignet. Am 1.Oktober 1901 stand der Melker Martin Müller, geb. 1837, von und in Zell, daselbst am Geleiseübergang der Langenthal-Wohlhusenbahn, als ein herangaloppierender Dragoner, der über die geschlossene Barriere zu setzen versuchte, samt dem Pferde über dieselbe stürzte. Dabei brach die Barriere, und Müller wurde durch ein Bruchstück am Kopfe derart verletzt, daß er noch am gleichen Abend starb.

Namens der Witwe und der drei noch minderjährigen Kinder des Verunglückten erhob daraufhin der Gemeinderat von Zell gegenüber der Eidgenossenschaft Anspruch auf eine Entschädigung von Fr. 6000. Wir sahen uns denn auch veranlaßt, mit Schlußnahme vom 17. Januar dieses Jahres den Hinterlassenen des Müller aus Billigkeitsrücksichten, aber unter ausdrücklicher Ablehnung irgend einer rechtlichen Verpflichtung des Bundes, eine Vergütung von Fr. 3000 zuzusprechen. Dieser Botrag ist den Betreffenden bereits ausgerichtet worden.

Mit an die eidgenössischen Räte gerichteter Eingabe vom 31. März abbin erklärt sich nun Witwe Müller mit der von unsBundesblatt. 54. Jahrg. Bd. II.

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gewährten Entschädigung nicht zufrieden und stellt das Gesuch, es möchte ihr, sowie ihren Kindern die ursprünglich verlangte Summe von Fr. 6000 voll und ganz bewilligt werden.

Gemäß dem von unserem Justizdepartement in vorliegender Angelegenheit abgegebenen Gutachten ist bei der Beurteilung der Frage, ob dieses Entschädigungsgesuch rechtlich begründet sei oder nicht, nachstehendes in Betracht zu ziehen : Nach der gegebenen Sachlage können einzig die Art. 50 und 65 des Obligationenrechts in Frage kommen, ersterer, falls die Eidgenossenschaft für das Verschulden ihres Dragoners einzustehen hat, letzterer unter der Voraussetzung, daß die Eidgenossenschaft als ,,Halterina des Dienstpferdes desselben angesehen werden kann. Artikel 50 des Obligationenrechts bestimmt : ,,Wer einem ändern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird demselben zum Ersatz verpflichtet. a Nun behauptet die Gesuchstellerin, daß die Barriere der Eisenbahn- und Straßenkreuzung bei Zeli damals vom Militär geschlossen worden sei, und scheint darin die von besagtem Artikel verlangte Widerrechtlichkeit zu erblicken. Demgegenüber muß erstens bemerkt worden, daß aus den Akten mit Sicherheit nicht zu entnehmen ist, ob die fragliche Barriere von Dragonern oder von bürgerlichen Personen geschlossen worden war. Gesetzt aber auch den Fall, daß die Erstercn dies gethan haben, so geschah es einzig aus Gründen des Militärdienstes, d. h. zur Verbai-rikadierung des Weges gegen den Manöverfeind. Und daß auf Seiten des Dragoners, dessen Sturz den Tod Müllers herbeiführte, weder böse Absicht noch Fahrlässigkeit vorlag, ist außer Zweifel. Aber selbst wenn man das Gegenteil annehmen odor wenigstens im Schließen der Barriere durch die Dragoner, dasselbe als bewiesen vorausgesetzt, eine Wiederrechtlichkeit erblicken wollte, so fehlt der Rechtsgrund, aus welchem der Bund für die Handlungen der im Militärdienste befindlichen Dragoner haftbar gemacht werden könnte. Es besteht nämlich keine gesetzliche Vorschrift, wonach die Eidgenossenschaft für alle mit dem Militärdienste im Zusammenhange stehenden widerrechtlichen Handlungen Ersatz leisten müßte. Ferner wäre der Causalzusammenhang zwischen dem Schließen der Barriere und dem Eintreten des Unfalles abzulehnen. Denn die Ursache des Qnglücksfalles bildet doch der
Sturz des Reiters, oder, wenn man will, der von demselben versuchte Sprung, wobei allerdings durch das Schließen der Barriere eine der Bedingungen des Erfolges gesetzt worden war.

999 Nach Artikel 65 des Obligationenrechts haftet für Schaden, den ein Tier anrichtet, wer dasselbe hält, wenn er nicht beweist, daß er alle erforderliche Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung angewendet hat.

Wenn nun auch angenommen würde, daß die .Eidgenossenschaft Halterin des Tieres war, das der stürzende Dragoner ritt, so könnte trotzdem von einer Entschädigungspflicht derselben nicht die Rede sein. Nur von einer Schadensstiftung durch das Tier selbst handelt nämlich Art. 65 ; es kann aber nicht gesagt werden, daß der fragliche Unfall durch das Pferd herbeigeführt worden sei (wenn auch das Pferd das Mittel dazu war), weil dasselbe nicht seinem eigenen Trieb, sondern dem Willen des Reiters folgte, als es über die Barriere zu springen suchte.

Demnach besteht für die Hinterbliebenen des Martin Müller gegenüber dem Bunde kein Rechtsanspruch auf Schadenersatz.

Unter diesen Umständen konnte es sich nur noch um die Frage handeln, ob eine Vergütung aus Rücksichten der Billigkeit zu gewähren sei. Wir haben dies angenommen. Nach den Angaben des Gremeinderates von Zeli verdiente der Verunglückte als Melker jährlich Fr. 450, zuzüglich Kost und Logis bei seinem Dienstherrn, und pflegte, seinen ganzen Verdienst jeweilen seiner Familie, welche vermögenslos ist, zuzuwenden. Frau Witwe Müller und zwei ihrer Kinder sind überdies nur in beschränktem Maße erwerbsfähig, während das dritte Kind, weil erst 14 Jahre alt, noch nicht zu wichtigeren Arbeiten verwendet werden kann.

Dieselben sind durch den Tod Müllers in eine Notlage geraten.

In Anbetracht dessen haben wir den Hinterlassenen desselben gestützt auf unsere in früheren, .ähnlichen Fällen beobachtete Praxis Fr. 3000 zugesprochen.

Ein Mehreres zu thun und die bereits gewährte Entschädigung noch zu erhöhen, halten wir dagegen nach wie vor nicht für angezeigt. = Wir betonen dabei, daß es sich nicht rechtfertigen lassen würde, der Petentin, die keinen gesetzlichen Anspruch geltend machen kann, Fr. 6000 zu bewilligen, währenddem die Witwe eines im verflossenen Jahre anläßlich des Dienstes verunglückten Wehrmannes gemäß den für 1901 geltenden militärischen Unfallvorschriften bloß Fr. 3000 Vergütung hätte erhalten können.

Wir beehren uns daher, Ihnen zu beantragen, Sie wollen das Entschädigungsbegehren der Frau Witwe Müller als unbegründet abweisen.

1000

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 29. April 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Das präsidierende Mitglied: Häuser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das von Frau Witwe Katharina Müller, in Zell, erhobene Entschädigungsbegehren. (Vom 29. April 1902.)

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