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Bundesgesetz betreffend

die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen.

(Vom 24. Juni 1902.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Art. 23, 26, 36, 64 und 64bis der Bundesverfassung ; nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 5. Juni 1899, beschließt:

I. Allgemeine Bestimmungen.

Art. 1. Die Erstellung und der Betrieb der in Art. 4 und 13 bezeichneten elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen wird der Oberaufsicht des Bundes unterstellt, und es sind für dieselben die vom Bundesrate erlassenen Vorschriften maßgebend.

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Art. 2. Als Schwachstromanlagen werden solche angesehen, bei welchen hormalerweise keine Ströme auftreten können, die für Personen oder Sachen gefährlich sind.

Als Starkstromanlagen werden solche angesehen, bei welchen Ströme benützt werden oder auftreten, die unter Umständen für Personen oder Sachen gefährlich sind.

Wenn Zweifel bestehen, ob eine elektrische Anlage als Starkstrom- oder als Schwachstromanlage im Sinne dieses Gesetzes anzusehen sei, so entscheidet darüber der Bundesrat endgültig.

Art. 3. Der Bundesrat wird die erforderlichen Vorschriften aufstellen zu tunlichster Vermeidung derjenigen Gefahren und Schädigungen, welche aus dem Bestände der Starkstromanlagen überhaupt und aus deren Zusammentreffen mit Schwachstromanlagen entstehen.

Diese Vorschriften haben zu regeln: a. die Erstellung und Instandhaltung sowohl der Schwachstrom- als der Starkstromanlagen ; b. die Maßnahmen, die bei der Parallelführung und bei der Kreuzung elektrischer Leitungen unter sich, und bei der Parallelführung und der Kreuzung elektrischer Leitungen mit Eisenbahnen zu treffen sind \ e. die Erstellung und Instandhaltung elektrischer Bahnen.

Der Bundesrat hat bei Aufstellung und Ausführung dieser Vorschriften auf Wahrung des Fabrikgeheimnisses Bedacht zu nehmen.

Diese Vorschriften sind bei der Erstellung neuer elektrischer Anlagen im ganzen Umfange zur Anwendung zu bringen. Für die Durchführung derselben gegenüber bereits bestehenden Anlagen kann der Bundesrat angemessene Fristen bestimmen 'und Modifikationen bewilligen.

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II. Schwachstromanlagen.

Art. 4. Unter die Bestimmungen dieses Gesetzes fallen; alle Schwachstromanlagen, welche öffentlichen Grund und Boden oder Eisenbahngebiet benützen oder zufolge der Nähe von Starkstromanlagen zu Betriebsstörungen oderGefährdungen Veranlassung geben können.

Die Schwachstromanlagen dürfen die Erde als Leitung benutzen, mit Ausnahme der öffentlichen Telephonleitungen,, sofern zufolge Vorhandenseins von Starkstromanlagen Störungen des Telephonbetriebes oder Gefährdungen eintreten, können.

Art. 5. Der Bund ist berechtigt, für die Erstellungvon oberirdischen und unterirdischen Telegraphen- und Telephonlinien öffentliche Plätze, Straßen, Fahr- und Fußwege, sowie auch öffentliche Kanäle, Flüsse, Seen und deren.

Ufer, soweit diese dem öffentlichen Gebrauche dienen, unentgeltlich in Anspruch zu nehmen, immerhin unter Wahrung der Zwecke, für welche das in Anspruch genommene öffent-liche Gut bestimmt ist, und gegen Ersatz des durch denBau und Unterhalt allfällig entstehenden Schadens.

Art. 6. In gleicher Weise ist der Bund berechtigt, auch über Privateigentum den Luftraum durch Ziehen von Telegraphen- und Telephondrähten ohne Entschädigungsleistung in Anspruch zu nehmen, insofern dadurch die zweckentsprechende Benützung der betreffenden Grundstücke oder Gebäude nicht beeinträchtigt wird.

Art. 7. Die eidgenössische Verwaltung ist verpflichtet, sich vor dem Bau derartiger Linien (Art. 5. und 6) mit den betreffenden Behörden oder Privaten über alle für siein Betracht kommenden Verhältnisse ins Einvernehmen zu setzen und ihren Begehren so weit entgegenzukommen, als die zweckentsprechende Ausführung der Linien es er-

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laubt. Auf bestehende unterirdische Kanäle und Leitungen ist möglichst Rücksicht zu nehmen.

Kann eine Verständigung über die Art der Ausführung ·der Linie nicht erzielt werden, so entscheidet innert ·der in den Artikeln 5 und 6 gezogenen Schranken der Bundesrat.

Art. 8. Sofern der Eigentümer über das gemäß Art. 5 und 6 in Anspruch genommene Eigentum eine Verfügung treffen will, die eine Änderung oder Beseitigung der errichteten Linie nötig macht, so hat er die Aufforderung hierzu schriftlich an die eidgenössische Verwaltung zu richten, welche die Änderung oder Beseitigung der Linie vorzunehmen hat.

Wird die angekündigte Verfügung des Eigentümers nicht binnen eines Jahres, von der Änderung oder Beseitigung der Linie an gerechnet, ins Werk gesetzt, so bleibt der eidgenössischen Verwaltung das Recht auf Ersatz der veranlaßten Ausgaben vorbehalten.

Art. 9. Der Bund ist berechtigt, auf dem zu Bahnswecken verwendeten Gebiete der Bahngesellschaften unentgeltlich Telegraphen- und Telephonlinien zu erstellen oder an bestehenden staatlichen Telegraphenlinien Telephondrähte .anzubringen, insoweit dies ohne Beeinträchtigung des Bahnbetriebes und der sonstigen Benützung des Bahngebietes geschehen kann.

Der Bund trägt den Schaden, welcher einer Bahn.gesellschaft durch den Bau oder Unterhalt einer öffentlichen Telegraphen- oder Telephonanlage erwächst.

Art. 10. Sobald die öffentlichen Telegraphen- oder Telephonanlagen sich der Erstellung neuer oder der Veränderung bestehender bahndienstlicher Einrichtungen hinder-

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lieh erweisen, so hat die eidgenössische Verwaltung dienötige Verlegung ihrer Anlagen in eigenen Kosten vorzunehmen.

Art. 11. Streitigkeiten, welche bei Anwendung der Art. 5 bis und mit 10 dieses Gesetzes entstehen, sind, soweit diese Artikel die Erledigung nicht einer ändern Behörde übertragen, nach Maßgabe des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, vom 22. März 1893.

(Art. 50, Ziffer 15), durch das Bundesgericht erst- und letztinstanzlich zu entscheiden.

Art. 12. Werden vom Bund für die Erstellung vo» Telegraphen- und Telephonlinien weitere als die in dem vorliegenden Gesetze bezeichneten Rechte in Anspruch genommen, so finden die Bestimmungen der Bundesgesetzgebung über die Expropriation Anwendung.

III. Starkstromanlagen.

Art. 13. Unter die Bestimmungen dieses Gesetzesfallen alle Starkstromanlagen.

Einzelanlagen auf eigenem Grund und Boden, welchedie für Hausinstallationen zulässige Maximalspannung nicht überschreiten und die nicht zufolge der Nähe anderer elektrischer Anlagen Betriebsstörungen oder Gefährdungen veranlassen können, werden den Hausinstallationen (Art. 155 16, 17, 26 und 41) gleichgehalten.

Art. 14. Der Bundesrat wird über die Stärke der für die verschiedenen Arten von Starkstrombetrieben zulässigen Spannungen ein Reglement erlassen.

Art. 15. Für die Ausführung der Stromleitungen elektrischer Eisenbahnen, für die Kreuzungen der Bahnern

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·durch Starkstromleitungen und die Längsführung solcher .neben Eisenbahnen (Art. 21, Ziffer 2) sind durch die betreffenden Bahnverwaltungen dem Post- und Eisenbahndepartement Vorlagen zur Genehmigung einzureichen.

Für die Ausführung anderweitiger neuer Starkstromanlagen (Art. 21, Ziffer 3) sind die Vorlagen dem Starkxstrominspektorate zur Genehmigung einzureichen. Das »Starkstrominspektorat hat einen Bericht der Telegraphendirektion, sowie in wichtigen Fällen die Vernehmlassungen der Regierungen der beteiligten Kantone einzuholen.

Der Bundesrat wird Vorschriften über die erforder·lichen Planvorlagen erlassen.

Die Verpflichtung zur Einreichung von Vorlagen besteht nicht bezüglich der Hausinstallationen.

Art. 16. Hausinstallationen im Sinne dieses Gesetzes ·sind solche elektrische Einrichtungen in Häusern, Nebengebäuden und ändern zugehörigen Räumen, bei denen die vom Bundesrate gemäß Art. 14 hierfür als zulässig erklärten ·elektrischen Spannungen zur Verwendung kommen.

Art. 17. Die in Art. 3 vorgesehenen Vorschriften werden insbesondere die beim Zusammentreffen von Starkstromleitungen und Schwachstromleitungen oder von Starkstromleitungen unter sich erforderlichen technischen Sicherungsmaßnahmen bezeichnen.

Die Durchführung der letztern soll im einzelnen Falle in der für die Gesamtheit der zusammentreffenden Anlagen -zweckmäßigsten Weise erfolgen. Wird keine Verständigung über die zu treffenden Maßnahmen erzielt, so entscheidet der Bundesrat nach Einholung des Gutachtens der in Art. 19 vorgesehenen Kommission.

Die zur Ausführung dieser Sicherungsmaßnahmen aufzuwendenden Kosten, mit Inbegriff derjenigen für notwendig

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werdende Verlegung von öffentlichen oberirdischen Telephonleitungen sind von den zusammentreffenden Unternehmungen gemeinsam zu tragen.

Für die Verteilung der bezüglichen Kosten ist es unerheblich, welche Leitung zuerst bestanden hat und an welcher Leitung die Schutzvorrichtungen oder Änderungen anzubringen sind. Die Kostenverteilung ist vielmehr nach folgenden Grundsätzen vorzunehmen : 1. Wenn öffentliche und bahndienstliche Schwachstromleitungen einzeln oder zusammen mit einer ändern elektrischen Leitung zusammentreffen, fallen 2/s der Kosten zu Lasten der letztern und '/a zu Lasten der erstem.

2. Wenn zwei oder mehrere Starkstromleitungen unter sich oder mit privaten Schwachstromleitungen zusammentreffen, werden die Kosten im Verhältnis der wirtschaftlichen Bedeutung dieser Anlagen verteilt.

Die Anbringung von Doppeldrähten und überhaupt von Rückleitungen, die von Erde isoliert sind, an öffentlichen Telephonleitungen fällt ausschließlich zu Lasten des Bundes.

Wenn unter den Umfang der deren Verteilung gericht erst- und

den Beteiligten eine Verständigung über gemeinsam zu tragenden Kosten und über nicht erzielt wird, entscheidet das Bundesletztinstanzlich.

Die Bestimmungen dieses Artikels beziehen sich nicht auf Hausinstallationen.

Art. 18. Die Erteilung von Konzessionen gemäß Art. 20--22 des Bundesgesetzes betreffend das Telephonwesen, vom 27. Juni 1889, für Telephonleitungen, welche für den Betrieb von Starkstromanlagen notwendig sind, erfolgt kostenfrei.

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IV. Kontrolle.

Art. 19. Der Bundesrat wählt auf die ordentliche Amtsdauer eine Kommission für elektrische Anlagen von sieben Mitgliedern. In derselben soll die elektrische Wissenschaft, sowie die Schwach- und Starkstromtechnik angemessen vertreten sein.

Die Kommission begutachtet die vom Bundesrat zu erlassenden Vorschriften für die Erstellung und die Instandhaltung der elektrischen Anlagen, sowie die Angelegenheiten, über welche der Bundesrat gemäß den Art. 2, 3, 7, 14, 15, AI. 3, 17, AI. 2, 23, 24, 47, 52 und 60 dieses Gesetzes zu entscheiden hat.

Art. 20. Die Beaufsichtigung der elektrischen Anlagen und die Überwachung ihres guten Zustandes ist Sache der Betriebsinhaber (Eigentümer, Pächter u. s. w.).

Auch die Beaufsichtigung und der Unterhalt der elektrischen Leitungen, welche sich auf Bahngebiet befinden, sind vom Betriebsinhaber zu besorgen, und es ist daher ihm und seinen Beauftragten zu diesem Zwecke das Betreten des Bahngebietes unter Voranzeige an die Bahnorgane gestattet.

Art. 21. Die Kontrolle über Ausführung der in Art. 3 erwähnten Vorschriften wird übertragen : 1. für die Schwachstromanlagen, mit Ausnahme der den Starkstromanlagen dienenden privaten Schwachstromleitungen, und für die Kreuzung der Schwachstromanlagen mit Starkstromleitungen, welche nicht zu einer elektrischen Eisenbahn gehören, dem Post- und Eisenbahndepartement (Telegraphenabteilung) ; 2. für die elektrischen Eisenbahnen mit Inbegriff der Bahnkreuzungen durch elektrische Starkstromleitungen und der Längsführung solcher neben Eisenbahnen^

33 sowie für Kreuzung elektrischer Bahnen durch Schwachstromleitungen, dem Post- und Eisenbahndepartement (Eisenbahnabteilung) ; 3. für die übrigen Starkstromanlagen mit Inbegriff der elektrischen Maschinen einem vom Bundesrate zu bezeichnenden Inspektorate für Starkstrornanlagen. .

Art. 22. Die Bundesversammlung kann auf Antrag des Bundesrates am Platze der drei Kontrollstellen (Art. 21) die Schaffung eines einheitlichen Inspektorates beschließen.

Art. 23. Gegen die Verfügungen und Weisungen der in Art. 21 genannten Kontrollstellen kann innerhalb 30 Tagen Rekurs ergriffen werden, und zwar bei Ziffer l und 2 an den Bundesrat, bei Ziffer 3 an das Post- und Eisenbahndepartement und gegen dessen Entscheid binnen weiteren 30 Tagen an den Bundesrat.

Sollte nach Art. 22 ein einheitliches Inspektorat eingesetzt werden, so kann gegen dessen Entscheidungen innerhalb 30 Tagen beim Bundesrat Rekurs ergriffen werden.

Art. 24. Allfällige Differenzen zwischen den in Art. 21 genannten Kontrollstellen werden vom Bundesrat entschieden.

Art. 25. Die Starkstromanlagen haben dem Starkstrominspektorat das statistische Material technischer Natur zu liefern, welches für die Erstellung einer einheitlichen Statistik erforderlich ist.

Art. 26. Die in Abschnitt IV vorgesehene Kontrolle erstreckt sich nicht auf die Hausinstallationen. Dagegen wird derjenige, welcher elektrische Kraft an Hausinstallationen abgibt, verpflichtet, sich über die Ausübung einer solchen Kontrolle beim Starkstrominspektorat auszuweisen, und es kann diese Kontrolle einer Nachprüfung unterzogen werden.

Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. IV.

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Y. Haftpflichtbestimmungen.

Art. 27. Wenn durch den Betrieb einer privaten oder öffentlichen Schwach- oder Starkstromanlage eine Person getötet oder körperlich verletzt wird, so haftet der Betriebsinhaber für den entstandenen Schaden, wenn er nicht beweist, daß der Unfall durch höhere Gewalt oder durch Verschulden oder Versehen Dritter oder durch grobes Verschulden des Getöteten oder Verletzten verursacht wurde.

In gleicher Weise besteht die Haftpflicht für Schädigung an Sachen, jedoch nicht für Störungen im Geschäftsbetrieb.

Art. 28. Besteht die elektrische Anlage aus mehreren Teilen mit verschiedenen Betriebsinhabern, so haftet dem Beschädigten : a. wenn der Schaden in dem gleichen Teil der Anlage zugefügt und verursacht wird, der Inhaber dieses Teiles der Anlage; b. wenn der Schaden in dem einen Teile zugefügt, in einem ändern verursacht wird, die Inhaber des einen und des ändern Teiles solidarisch.

Wird der Inhaber des Teiles, welcher den Schaden zugefügt hat, für denselben belangt, so hat er das Rückgriffsrecht auf den Inhaber des Teiles der Anlage, welcher den Schaden verursacht hat.

Art. 29. In Fällen von Sachbeschädigung infolge eines durch den Betrieb «iner elektrischen Anlage verursachten Brandes gelten die Bestimmungen des Obligationenrechtes.

Art. 30. Wenn Schädigungen zufolge des Zusammentreffens von verschiedenen elektrischen Leitungen entstehen, so haben die beteiligten Unternehmungen den Schaden gegenüber dem Geschädigten unter Solidarhaft zu tragen; unter sich, soweit nicht das Verschulden der einen Anlage nachgewiesen werden kann oder anderweitige Verständigungen

35 getroffen werden, zu gleichen Teilen. Solche Verständigungen können auch im voraus getroffen werden.

Art. 31. Wenn elektrische Anlagen sich gegenseitig schädigen, so ist der Schaden, sofern nicht das Verschulden der einen Anlage nachgewiesen werden kann, unter Würdigung der sämtlichen Verhältnisse in angemessener und billiger Weise unter denselben zu verteilen.

Art. 32. Der Betriebsinhaber der Stark- oder Schwachstromanlage ist verpflichtet, von jeder vorgefallenen erheblichen Personenbeschädigung, sowie von jeder erheblichen Sachenbeschädigung gegenüber Dritten, sofort der nach Art. 4 des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 23. März 1877 zuständig erklärten Lokalbehörde Anzeige zu machen.

Diese leitet über die Ursache und die Folgen der ihr bekannt gewordenen erheblichen Unfälle ungesäumt und in wichtigeren Fällen unter Zuzug von Sachverständigen eine amtliche Untersuchung ein und gibt der kantonalen Regierung zu Händen des Post- und Eisenbahndepartements vom Vorfalle Kenntnis.

Art. 33. Die Einrede der höhern Gewalt im Sinne dieses Gesetzes kann nicht geltend gemacht werden bei Schädigungen, die durch Einrichtungen, welche den gemäß Art. 3 zu erlassenden Vorschriften entsprechen, hätten abgewendet werden können.

Art. 34. Die Betriebsinhaber der elektrischen Anlagen haften für alle Personen, deren sie sich zum Betrieb der elektrischen Anlagen bedienen.

Das Rückgriffsrecht auf diese Personen bleibt im Falle deren Verschuldens den haftpflichtigen Betriebsinhabern elektrischer Anlagen vorbehalten.

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Art; 35. Wenn nachgewiesen werden kann, daß der Getötete oder Verletzte oder der an seinem Eigentum Geschädigte sich durch eine widerrechtliche Handlung oder mit, wissentlicher Übertretung von bekannt gegebenen Schutzvorschriften, Warnungen u. dgl. mit der elektrischen Anlage in Berührung gebracht hat, so kann kein Schadenersatz im Sinne der Art. 27 und 28 dieses Gesetzes gefordert werden, selbst wenn der Unfall auch ohne Verschulden des Geschädigten eingetreten ist.

Art. 36. Für die Bemessung der Entschädigungen sind die Bestimmungen des Obligationenrechtes maßgebend.

Bei Personenbeschädigimgen ist als Ersatz für den zukünftigen Unterhalt oder Erwerb nach dem Ermessen des Gerichtes entweder eine Kapitalsumme oder eine jährliche, Rente zuzusprechen.

Wenn im Momente der Urteilsfällung die Folgen einer Körperverletzung noch nicht genügend klar vorliegen, so kann der Richter ausnahmsweise sowohl für den Fall des nachfolgenden Todes oder einer Verschlimmerung als auch im Falle einer Verbesserung des Gesundheitszustandes des Verletzten eine spätere Berichtigung des Urteils vorbehalten.

Ein bezügliches Begehren muß längstens innert Jahresfrist nach Ausfällung des Urteils gestellt werden.

Art. 37. Die in diesem Gesetze erwähnten Schadenersatzansprüche für Personen und Sachen verjähren in zwei Jahren von dem Tage an, an welchem die Schädigung stattgefunden hat. Für die Unterbrechung der Verjährung gelten die Bestimmungen des O.-R.

Art. 38. Bei Streitigkeiten über solche Schadenersatzansprüche haben die Gerichte über die Wahrheit der thatsächlichen Behauptungen und über die Höhe des Schadenersatzes nach freier Würdigung des gesamten Inhaltes der Vorhand-

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lungen zu entscheiden, ohne an die Beweisgrundsätze der einschlagenden Prozeßgesetze gebunden zu sein.

Art. 39. Réglemente, Publikationen oder spezielle Vereinbarungen, durch welche die Haftpflicht nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zum voraus wegbedungen oder beschränkt wird, haben keine rechtliche Wirkung.

Art. 40. Für die Beziehungen zwischen den Betriebsinhabern der elektrischen Anlagen und ihren Angestellten und Arbeitern bleiben die Bestimmungen der Haftpflichtgesetze (Bundesgesetz betreffend die Haftpflicht der Eisenbahn- und DampfschiffunternehmuDgen vom 1. Juli 1875 und Bundesgesetze betreffend die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb vom 25. Juni 1881 und 26. April 1887) unverändert in Kraft.

Art. 41. Die Haftpflichtbestimmungen des Abschnitts V finden keine Anwendung auf elektrische Hausinstallationen.

VI. Expropriation.

Art. 42. Für das Expropriationsrecht der eidgenössischen Telegraphen- und Telephonverwaltung gelten die Bestimmungen des Art. 12 dieses Gesetzes. Ändern Schwachstromanlagen, welche öffentlichen Zwecken dienen, wird das durch Art. 43 den Starkstromanlagen gewährte Expropriationsrecht eingeräumt.

Art. 43. Den Eigentümern von elektrischen Starkstromanlagen und den Bezügern von elektrischer Energie kann der Bundesrat das Recht der Expropriation für die Einrichtungen zur Fortleitung und Verteilung der elektrischen Energie, sowie für die Erstellung der zu deren Betrieb notwendigen Schwachstromanlagen gemäß den Bestimmungen

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der Bundesgesetzgebung über die Expropriation und den besondern Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes gewähren.

Art. 44. Baumäste, durch welche eine bestehende Schwach- oder Starkstromleitung gefährdet oder gestört wird, sind vom Eigentümer auf Verlangen der betreffenden Anlage gegen Entschädigung zu beseitigen.

Wenn der Eigentümer die Berechtigung des Verlangens bestreitet oder wenn die beiden Parteien sich über die Höhe der Entschädigung nicht einigen können, so entscheidet endgültig eine durch die Kantonsregierung zu bezeichnende Lokalbehörde innert längstens 8 Tagen ; diese wird nötigenfalls auch für Ausführung ihres Urteils besorgt sein. Die Kosten sind durch die Unternehmung zu tragen.

Art. 45. Als Einrichtungen zur Fortleitung und Verteilung der elektrischen Energie werden angesehen: 1. Die Erstellung von elektrischen Leitungen (oberirdischen und unterirdischen) mit ihren Zubehörden ; 2. Die Anlagen von Transformationsstationen mit ihren Zubehörden.

Art. 46. Das Expropriationsrecht kann geltend gemacht werden gegenüber dem Privateigentum und dem Areal der Eisenbahnen, gegenüber letzterem aber nur, insofern der Bahnbetrieb durch den Bestand einer Starkstromleitung nicht gestört oder gefährdet und die Anbringung der für den Bahnbetrieb notwendigen Leitungen, sowie der Leitungen der Telegraphen- und Telephonverwaltung nicht gehindert wird.

Für die Einrichtungen zur Fortleitung1, zur Verteilung und zur Abgabe der elektrischen Energie wird auch gegenüber dem öffentlichen Eigentum eines Kantons oder einer Gemeinde das Recht der Mitbenützung auf dem Expropriationswege eingeräumt.

39 Dagegen können, soweit es sich nicht um den elektrischen Betrieb von Eisenbahnen handelt, Gemeinden zum Schütze ihrer berechtigten Interessen das Recht zur Mitbenützung ihres öffentlichen Eigentums für Einrichtungen zur Abgabe elektrischer Energie innerhalb der Gemeinde verweigern oder an beschränkende Bestimmungen knüpfen.

Gegen solche Schlußnahmen kann binnen zwanzig Tagen an die kantonale Regierung rekurriert werden. Gegen deren Entscheid ist binnen weitern zwanzig Tagen der Rekurs an den Bundesrat statthaft, welcher endgültig entscheidet.

Die Inanspruchnahme öffentlichen Areals für die Mitbenutzung durch die elektrischen Anlagen darf nur stattfinden \mter Wahrung der ändern Zwecke, für welche das in Anspruch genommene Gebiet bestimmt ist.

Art. 47. Die Expropriation kann vom Eigentümer der elektrischen Starkstromanlage, bezw. vom Bezüger elektrischer Energie sowohl für die Übertragung des Eigentums, wie auch für die Bestellung einer Servitut, und zwar für letztere dauernd oder bloß zeitweise beansprucht werden.

Art. 48. Die zu entrichtende Entschädigung soll je nach Umständen in einer Kapitalabfindung .oder in einer jährlichen Leistung bestehen.

In die Entschädigung kann mit Zustimmung beider Teile die Abfindung für Kulturschaden und anderen Schaden, welcher bei Vornahme von Änderungen und Reparaturen an den erstellten elektrischen Leitungen entsteht, einbezogen werden. Wenn diese Zustimmung nicht vorliegt, so werden die Entschädigungsansprüche, welche sich im Verlauf des Betriebes ergeben sollten, im Falle der Bestreitung nach dem ordentlichen Prozeßverfahren erledigt.

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Art. 49. Das Expropriationsrecht findet gemäß den Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten vom 1. Mai 1850 statt, unter Vorbehalt der in den Art. 50 bis und mit 54 des gegenwärtigen Gesetzes festgesetzten Ausnahmen.

Art. 50. Wenn das Expropriationsrecht für eine elektrische Anlage beansprucht wird, so ist das Tracé der projektierten Leitung, soweit das Expropriationsrecht nachgesucht wird, in einer Eingabe und Planvorlage an das Starkstrominspektorat bestimmt zu bezeichnen.

Das Expropriationsrecht ist vom Bundesrat zu bewilligen, insoweit innert der Frist von dreißig Tagen nach Kenntnisgabe der Pläne (Art. 51) keine Einsprache erfolgt ist. Sind Einsprachen eingereicht worden, so ist das Expropriationsrecht gegen die Einsprecher nur zu bewilligen, wenn eine Änderung des Tracés ohne erhebliche technische Inkonvenienzen oder unverhältnismäßige Mehrkosten oder eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht möglich ist.

Falls nach Erstellung von elektrischen Anlagen die Änderung einer Anlage durch die Umstände geboten erscheint, so kann auf Verlangen des Exproprianten oder des Expropriaten ein neues Expropriationsverfahren bewilligt und durchgeführt werden.

Art. 51. Gleichzeitig mit der Planvorlage an das Starkstrominspektorat zu Händen des Bundesrates hat die Planauflage in den Gemeinden zur Einsichtnahme durch die Interessenten zu erfolgen. Die Planauflage und das Expropriationsbegehren sind sowohl zu publizieren als auch den Interessenten persönlich bekannt zu geben.

Wenn das Expropriationsrecht nur gegenüber einzelnen Grundbesitzern beansprucht wird, findet das außerordentliche 'Expropriationsverfahren (Art. 18 und folgende des Expropriationsgesetzes von 1850) statt.

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Art. 52. Nach Erledigung allfälliger Einsprachen gegen die Planvorlage durch den Bundesrat und nach deren Genehmigung ist auf Verlangen 'einer Partei die Schätzungskommission (Art. 54) zur Behandlung der Entschädigungsansprüche einzuberufen.

Art. 53. Nach erfolgter Plangenehmigung kann mit der Erstellung der elektrischen Leitung begonnen werden, auch wenn das Schätzungsverfahren noch nicht beendigt ist und die Entschädigungen noch nicht ausbezahlt sind.

Immerhin ist für richtige Auszahlung der letzteren Sicherheit zu bestellen; die Höhe dieser Sicherheit wird im Streitfalle von der Schätzungskommission festgesetzt.

Art. 54. Für jeden Kanton wird eine Schätzungskommission von drei Mitgliedern ernannt, von welchen je eines durch das Bundesgericht, den Bundesrat und die betreffende Kantonsregierung zu wählen ist. Für jedes Mitglied werden von den zur Wahl Berechtigten zwei Ersatzmänner bezeichnet.

Gegen den Entscheid der Schätzungskomrnission ist der Rekurs an das Bundesgericht zulässig, nach Maßgabe des Bundesgesetzes betreffend die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten vom 1. Mai 1850.

VII. Strafbestimmungen.

Art. 55. Wer durch eine Handlung oder Unterlassung vorsätzlich eine elektrische Anlage beschädigt oder gefährdet, wird bestraft: a. wenn dadurch Personen oder Sachen einer erheblichen Gefahr ausgesetzt waren, mit Gefängnis : b. wenn beträchtlicher Schaden an Sachen entstanden ist, mit Gefängnis oder Zuchthaus bis auf 10 Jahre ; c. wenn eine Person bedeutend verletzt oder getötet worden ist, mit Gefängnis oder Zuchthaus.

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Art. 56. Wer in fahrlässiger Weise durch eine Handlung oder Unterlassung eine solche Schädigung oder Gefahr herbeiführt, wird bestraft: im Falle der litt, a des Art. 55 mit Geldbuße bis auf Fr. 500 oder mit Gefängnis bis auf sechs Monate; im Falle der litt, b des Art. 55 mit Geldbuße bis auf Fr. 1000 oder mit Gefängnis bis auf ein Jahr; im Falle der litt, c des Art. 55 mit Geldbuße bis auf Fr. 3000 oder mit Gefängnis bis auf drei Jahre.

In allen drei Fällen kann mit der Gefängnisstrafe Geldbuße verbunden werden.

Art. 57. Wer durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Handlungen die Benutzung der Telegraphen- oder Telephonanlagen oder der Starkstromanlagen zu ihren Zwecken hindert oder stört, wird mit Geldbuße bis auf Fr. 1000 oder mit Gefängnis bis auf ein Jahr bestraft.

Wenn infolge der betreffenden Handlung eine Person bedeutend verletzt oder getötet oder sonst ein erheblicher Schaden gestiftet worden ist, ist auf Geldbuße bis auf Fr. 3000 oder Gefängnis oder Zuchthaus zu erkennen.

Mit der Freiheitsstrafe kann auch Geldbuße verbunden werden.

Art. 58. Wer in der Absicht, sich oder ändern einen rechtswidrigen Vorteil zu verschaffen, einer elektrischen Anlage Kraft entzieht, wird mit Geldbuße bis auf Fr. 3000 oder mit Gefängnis bis auf ein Jahr bestraft. Mit der Freiheitsstrafe kann auch Geldbuße verbunden werden.

Art. 59. Die strafrechtliche Verfolgung der in den Art. 55, 56, 57 und 58 bezeichneten Verbrechen und Vergehen findet gemäß den Vorschriften des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht vom 4. Februar 1853 statt. Dessen Vorschriften sind auch mit Bezug auf die Verjährung maßgebend.

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Art. 60. Wer Weisungen des Starkstromiuspektorates, die auf Grund der vom Bundesrate gemäß Art. 3 dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften · erteilt werden, nicht be-.

folgt, kann vom Bundesrate mit einer Buße bis auf Fr. 1000 bestraft werden.

Vorbehalten bleiben außerdem die Strafbestimmungen der Art. 55, 56 und 57.

TIII. Schlussbestimniungen.

Art. 61. Das Bundesgesetz betreffend die Erstellung von Telegraphen- und Telephonlinien vom 26. Juni 1889 und der Art. 66 des Bundesstrafrechtes vom 4. Hornung 1853 werden mit dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes aufgehoben.

Art. 62. Der Bundesrat wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetsse und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Gesetzes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen.

Also beschlossen vom ' Ständerate, B e r n , den 23. Juni 1902.

Der Präsident: Casimir von Arx.

Der Protokollführer: Schatzmann.

Also beschlossen vom Nationalrate, B e r n , den 24. Juni 1902.

Der Präsident: Dr. Iten.

Der Protokollführer: Ringier.

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Der schweizerische Bundesrat beschließt: Veröffentlichung des vorstehenden Bundesgesetzes.

B e r n , den 14. Juli 1902.

Im Namen des Schweiz, ßundesrates, Der Bundespräsident:

Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Note. Datum der Veröffentlichung: 16. Juli 1902.

Ablauf der Referendumsfrist: 14. Oktober 1902.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesgesetz betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen. (Vom 24. Juni 1902.)

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16.07.1902

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