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Bundesrathsbeschluß betreffend

den Rekurs der Herren Paul H a l l e r , von Bern, Verleger und Drucker des ,,Intelligenzblatt für die Stadt Bern", und Joh. Jakob G ubl e r , von Gachnang (Thurgau), Vertreter der Annoncenexpedition Haasenstein und Vogler, beide in Bern, gegen ein Urtheil der Polizeikammer des bernischen Obergerichts vom 10. Dezember 1887, wegen angeblicher Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung.

(Vom 29. Juni 1888.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d es rat h hat in Sachen von : 1) Paul H a 11 e r , von Bern , Verleger und Drucker des ,,Intelligenzblatt für die Stadt Bern ; 2) Joh. Jakob G u b l e r , von Gachnang (Thurgau), Vertreter der Annoncenexpedition Haasenstein & Vogler, beide in Bern,

gegen den Staat Bern, d. h. gegen ein auf dem bernischen Gesetz vom 14. März 1865 über die Ausübung der medizinischen Berufsarten beruhendes Urtheil der Polizeikammer des bernischen Obergerichts vom 10. Dezember 1887, wegen Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse :

713 A. Das bernische Gesetz vom 14. März 1865 über die Ausübung der medizinischen Berufsarten enthält folgende Bestimmungen : § 8. Ankündigungen von angeblichen Arzneimitteln zum Gebrauch ohne spezielle ärztliche Verordnung sind ohne Bewilligung der Direktion des Innern Jedermann, auch den Medizinalpersonen, verboten.

§ 25. Wer einer der in den §§ l, 4, 5, 6, 7, 8, 11, 13, 17, 21 und 23 enthaltenen Vorschriften oder den auf , diesem Gesetze beruhenden Vollziehungsbestimmungen zuwiderhandelt, ist strafbar und soll dem Richter überwiesen werden.

Bei Vergehen gegen § 8 werden auch der Drucker und der Verleger zur Verantwortung gezogen.

B. Durch Urtheil des Polizeirichters von Bern, vom 4. November 1887, wurden die beiden Rekurrenten der Widerhandlung gegen das citirte Gesetz schuldig erklärt und in Anwendung der §§ 8, 25, Abs. 2, u. A. m. verurtheilt: 1. Paul Huiler zu Fr. 81 Buße; 2. J. J. Gubler zu Fr. 60 Buße; 3. Beide solidarisch zu Fr. 42. 80 Kosten an den Staat.

Infolge der Appellation der Verurtheilten gelangte die Sache vor die Polizeikatnmer des Obergerichts, welche das erstinstanzliche Urtheil am 10. Dezember 1887 bestätigte und den Appellanten die Rekurskosten des Richteramtes Bern, sowie die oberinstanzlichen Kosten auferlegte.

Nach der öffentlichen Verkündung des Urtheils erklärte Herr Fürsprecher Alexander Reiehel in Bern, als Anwalt der Herren .Haller und Gubler, daß er gegen dasselbe den Rekurs an den Bundesrath ergreifen werde.

C. Der Thatbestand, auf dessen Grundlage die Rekurrenten verurtheilt worden sind, ist folgender: Im ,,Intelligenzblatt für die Stadt Bern" sind erschienen: 1) in Nr. 118 vom 30. April 1887 ein Inserat, das ,,SandelPilleoa eines Herrn Midy als volkstümliches Mittel gegen Geschlechtskrankheiten anpreist ; 2) in Nr. 259 vom 19. September ein solches, das unter dem Namen ,,Sandelessenz'-'- oder ,,Saudel Midj" das nämliche Mitfei mit andern Worten empfiehlt, und 3) in Nr. 151 endlich eine Annonce, welche ,,Royal Windsor" als ,,Wiederhersteller der Haare a , zu beziehen in Flacons u. A.

bei mit Namen bezeichneten Coiffeurs in Bern, ankündigt.

Ferner enthält Nr. 129 des ,,Anzeigers für die Stadt Berntt ein Inserat, welches ,,Universal-Magenpulver F. F. W. Barella, Berlin, Friedrichsstraße 234," annoncirt.

JBundesblatt. 40. Jahrg. Bd. IV.

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714 Mit Beziehung auf alle diese Ankündigungen liegt die Erklärung der Direktion des Innern des Kantons Bern vor, daß eine Bewilligung für dieselben nicht nachgesucht worden sei.

Drucker und Verleger des ,,Intelligenzblattes"', sowie des ,,Anzeigers" für die Stadt, Bern ist Paul Haller (vormals Haller'sche Buchdruckerei) in Bern und als geständiger Einsender sämmtlicher vorgenannten Inserate stellt sich Johann Jakob Gabler, Vertreter der Annoncefirma Haasenstein & Vogler daselbst.

D. In der von Herrn Fürsprecher Alexander Reichel verfaßten Rekursschrift vom 27. März 1888 werden vorerst Sinn und Tragweite von § 8 des bernischen Medizin a Igesetzes untersucht und das polizeigerichtliche Urtheil, das die Rekurrenten getroffen hat, auf dem Boden des kantonalen Rechts geprüft. Der Werth des angefochtenen Urtheils erseheint den Rekurrenten schon vom Gesichtspunkte des kantonalen Rechtes aus als ein höchst zweifelhafter.

lis Hinsicht auf das eidgenössische Recht wollen die Rekurrenten hier davon absehen, daß die von der bernischen Direktion des Innern praktizirte Anwendung des mehrerwähnten § 8 einem Eingriff in die verfassungsmäßig garantirte Preßfreiheit gleichkomme.

Die bundesrechtliche Grundlage des Rekurses und die Kompetenz des Bundesrathes zur Beurtheilung desselben beruhe auf Art. 31 der Bundesverfassung. Der § 8 des bernischen Medizinalgesetzes verstoße gegen diesen Verfassungsartikel, d. h. gegen den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit; jedenfalls komme die Art, wie er von den Behörden angewendet werde, der Aufhebung dieser Freiheit für bestimmte Waarenkategorien vollkommen gleich ; der angefochtene § 8 lasse sich auch nicht durch die in Art. 31 aufgenommenen Vorbehalte aufrechterhalten und rechtfertigen.

Diese Behauptungen werden begründet wie folgt: Erwiesenermaßen gehören die "Sandelpräparate" und in noch erhöhtem Maße das ,,Royal Windsor ein bekanntes Haarmittel, nicht zu den dem freien Verkauf entzogenen, den Apotheken vorbehaltenen Stoffen. Ein Verbot des Vertriebs freiverkäuflicher Waaren könnte gemäß Art. 31 der Bundesverfassung höchstens als sanitätspolizeiliche Maßnahme gegen eine Epidemie oder Viehseuche erlassen werden.

Auch als ,,Verfügung über Ausübung von Handel und Gewerben" ist das Vorgehen der Direktion des Innern nicht mit Art. 31 der Bundesverfassung in Einklang
zu bringen. Denn unter solchen Verfügungen hat man bisher bloß Vorschriften polizeilicher Natur verstanden, die dem Staat eine Kontrole gewisser Gewerbe ermöglichen, aber die Ausübung des Gewerbes nicht verunmöglichen,.

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Wenn die bernische Polizeikammer in ihren Urtheilsmotiven sagt, die fragliche Bewilligung der Direktion des Innern sei nichts Anderes als eine polizeiliche Contrôle und daher mit Art. 31 der Bundesverfassung wohl vereinbar, so kann dies nicht zugegeben werden ; denn die Verweigerung der Bewilligung kommt eben einem Verbote vollständig gleich, u n d d a s V e r b o t d e s A n n o n c i r e n s , der R e k l a m e f ü r eine W a a re, ist g l e i c h b e deutend mit dem Verbote des Verkaufs derselben.

Schließlich weist die Rekursschrift darauf hin, daß durch das Ankündigungsverbot nicht nur die Waarenverkäufer selbst, sondern auch der Zeitungsverleger und der Inhaber einer Annoncen-Expedition geschädigt werden. Dabei irete noch die eigenthümliche Inkongruenz zu Tage, daß die bernischen Zeitungsverleger gegenüber ihren nußer> kautonalen Kollegen in eineG Ausnahmestellung;O gedrängt werden.i g O indem jeue von einem solchen Verbote nicht betroffen sind. Der Art. 31 der Bundesverfassung wollte aber auch disen kantonalen Ungleichheiten ein Ende machen; Handel und Gewerbe sollten nicht nur F r e i h e i t , sondern g l e i c h e Freiheit im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft genießen.

Es liege itn Interesse der sämmtlichen in dieser Sache betheiligten Gewerbetreibenden, daß eine eidgenössische Instanz hierüber Recht schaffe.

Gestützt auf das Angebrachte stellen die Herren Haller und Gubler das Gesuch, es sei das Urtheil der Polizeikammer des bernischen Obergerichts vom 10. Dezember 1887 unter Kostenfolge aufzuhellen.

E. lu ihrer Vernehmlassung vom 21. April 1888 stellt die Regierung- des Kantons Bern zuerst fest, daß die Ankündigung aller und jeder angeblichen Heilmittel einer Bewilligung der Direktion des Innern bedürfe, da es sonst nicht möglich wäre, eine sanitarische Kontrole auszuüben.

Sodann betont sie, daß gerade die sogenannten Heilmittel zur Bekämpfung der Krankheiten des Haarbodens einer strengen Ueberwachung bedürfen, da erfahrungsgemäß großartiger Schwindel mit solchen Mitteln getrieben werde. Mit dein bernischen Gerichtshöfe müsse, daran festgehalten werden, daß § 8 des Medizinalgesetzes einen bloß polizeilichen Charakter habe und es sieh offenbar um eine Verfügung über Ausübung von Handel und Gewerbe i in Sinne von lit. e (nunmehr lit. e) des Art. 31 der Bundesverfassung handle.
Es sei auch nicht richtig, daß in allen außerbernischen Leitungen diese Inserate erseheinen dürfen, indem z. B. Zürich und Luzern in ganz ähnlicher Weise wie Bern verfahren.

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Die Regierung schließt mit dem Antrage, es sei der Rekurs -- unter Kostenfolge -- als unbegründet abzuweisen; in Erwägung: I. Der Bundesrath hat nicht zu untersuchen, ob § 8 des bernischen Gesetzes über die Ausübung der medizinischen Berufsarten von der Kantonsbehörde richtig ausgelegt und angewendet werde; Gegenstand der Prüfung kann für ihn nur die Frage sein, ob die Auslegung, welche der besagte Paragraph durch die bernische Direktion des Innern gefunden hut und die dem Strafurtheile der Polizeikammer des bernischen Obergerichts gegen die Rekurrenten vom 10. Dezember 1887 zu Grunde liegt, mit dem Bundesrechte, insbesondere mit Art. 31 der Bundesverfassung, vereinbar sei.

II. Die Rekurrenten sind durch das Urtheil vom 10. Dezember 1887 deßwegen mit Strafe belegt worden, weil sie unter ihrer Verantwortlichkeit in öffentliche!) Blättern die unter lit. c hievor erwähnten Ankündigungen erscheinen ließen, ohne heifür die Bewilligung der bernischen Direktion des Innern eingeholt zu haben.

III. Eine Bestimmung, wie sie der § 8 des bernischen Medizinalgesetzes enthält, zufolge welcher keinerlei Arzneimittel, zum Gebrauch [ici mangelnder ärztlicher Verordnung, ohne vorherige Bewilligung einer bestimmten amtlichen Stelle öffentlich angekündigt werden dürfen, ist augenscheinlich im wohlverstandenen sanitarischen Interesse des Publikums erlassen und qualifiziert sieh demnachals!s eine polizeilich« Verfügung, die keineswegs gegen den Grundsatz des Art. 31 der Bundesverfassung verstößt.

IV. Das angefochtene Urtheil der bernischen Polizeikammer beruht auf der Annahme, daß es sich bei den Ankündigungen, wegen deren gegen die Rekurrenten Strafanzeige erfolgte, wirklich um Heilmittel gegen Krankheiten, <1. h. um angebliche Arzneimittel, handle.

In Bezug auf die Ankündigung der ,,Sandel-Pillen" des Herrn Midy und des ,,Universalmagenpulvers"' von F. F. W. Barella trifft die Annahme unzweifelhaft zu. Hinsichtlich dür Ankündigung des ,,Royal Windsor" als " Wiederhersteller der Haare" mag dies zweifelhaft sein; allein es liegt auch dann, wenn angenommen werden wollte, es gehe dem zuletzt genannten Mittel wirklich der Charakter eines Arzneimittels ab und es habe dasselbe auch nicht als solches angekündigt werden wollen, bundesrechtlich kein Grund vor, das Strafurtheil vom 10. Dezember 1887 aufzuheben, wie sich aus der unter V und VI folgenden Erörterung ergibt.

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V. Es gibt öffentliche Ankündigungen und Anpreisungen von Stoffen und Präparaten, die zum Schutze des Publikums vor Uebervortheilung und Ausbeutung oder aus Gründen der Sittlichkeit einer amtliehen Kontrole zu unterstellen sich ebenso wohl rechtfertigt, als die Ausübung einer polizeilichen Kontrole über Kauf und Verkauf der Sachen selbst.

Zu dieser Gattung von Publikationen gehören offenbar auch die durch das Strafurtheil vom 10. Dezember 1887 betroffenen Ankündungen.

Die Regierung des Kantons Bern hebt in ihrer Antwort auf den Rekurs der Herren Haller und Gubler mit Recht hervor, daß erfahrungsgemäß gerade der Vertrieb von Präparaten zur Behandlung des Hearbodens (Beförderung des Haarwuchses, Beseitigung der Schuppen u. s. f.) ganz besonders einer Ueberwachung bedarf, indem das Publikum sehr häufig durch unwahre Angaben zum Ankauf schädlicher oder doch absolut werthloser Produkte verleitet wird.

Auf Grund dieser Erfahrung wird von der bernischen Direktion des Innern auch für Haarwasser wie ,,Royal Windsor" der Nachweis einer Bewilligung der öffentlichen Ankündung gefordert.

Derartige Vorschriften erscheinen als ,,Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben"-, wie sie Art. 31 der Bundesverfassung ausdrücklich den -- eidgenössischen und kantonalen -- Behörden vorbehält, und es wird durch dieselben so lange der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht, beeinträchtigt, als nicht die Kontrole in bloße Plackerei oder in ein ungerechtfertigtes Verbot des Gewerbebetriebs ausartet.

VI. Im Rekursfalle kann von einer Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit nicht gesproehen werden. Es handelt sich ja, zur Zeit wenigstens, nicht um Untersagung der fraglichen Publikationen, sondern nur um Bestrafung der Rekurrenten wegen Nichteinholung dei- amtlichen Bewilligung für die Auskündung. Ob die Untersagung gerechtfertigt wäre, hat daher der Bundesrath im Rekursfalle nicht zu untersuchen. Wenn aber die Rekurrenten angehalten werden, für Publikationen der in Frage stehenden Gattung eine amtliche Bewilligung einzuholen, so wird dadurch die bundesrechtlich garantirte Freiheit ihres Gewerbes nicht verletzt.

Ob das Medizinalgesetz von 1865 und speziell dessen § 8 der bernischen Behörde eine hinreichend feste Grundlage zur Ausübung einer Kontrole im besprochenen Sinne biete, ist, wie schon bemerkt, eine Frage des kantonalen Rechts. Der administrativen Bundesrekursinstanz liegt bloß die Frage der bundesrecht-

718 liehen Zuläßigkeit des kantonsbehördlichen Vergehens zur Prüfung ob, und diese Frage ist aus den entwickelten Gründen bejahend zu beantworten.

Daß die Behörden anderer Kantone nicht in gleicher Weise wie Bern vorgehen, kann an der Kompetenz dieses Kantons, innerhalb der Schranken des Bundesrechts die i h m gutscheinenden Verfügungen zu treffen, nichts ändern ; eine Gleichheit des Vorgehens auf diesem Gebiete läßt sich nicht als Postulat aus Art. 31 der Bundesverfassung ableiten.

VII. Gemäß feststehender Praxis tritt die administrative Bundesrekursinstanz auf die von den Parteien erhobenen Kustenfragen nicht ein, beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der h. Regierung des Kantons Bern, sowie zu Händen der Rekurrenten dem Herrn Fürsprecher Alex.

Reichel in Bern schriftlich mitzutheilen, unter Rückschluß einer Beilage an den letztem.

B e r n , den 29. Juni

1888.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hertenstein.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluß betreffend den Rekurs der Herren Paul Haller, von Bern, Verleger und Drucker des ,,Intelligenzblatt für die Stadt Bern", und Joh. Jakob Gubler, von Gachnang (Thurgau), Vertreter der Annoncenexpedition Haasenstein und Vogler, beide ...

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24.11.1888

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