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Rede des

Herrn Bundesrath D r o z betreffend die Organisation der politischen Polizei in der Sitzung des Nationalrathes vom 20. März 1888.

Herr Präsident, meine Herren!

In meiner Eigenschaft als Vorsteher des Departements des Auswärtigen ist mir vom Bundesrathe der Auftrag geworden, vor Ihnen die politische Seite der vorliegenden Frage zu beleuchten.

Diese Seite liegt in der uns, wie jedem andern Staate, obliegenden Verpflichtung, die aus unserer Souveränität fließenden Rechte mit den Rücksichten und Verpflichtungen in Einklang zu bringen, welche unsere internationale Stellung uns auferlegt. Wir haben es, bei den Verhältnissen, wie sie jetzt liegen, für nothwendig erachtet, Ihnen gewisse Vorgänge zur Kenntniß zu bringen, Ihnen möglichst klar unsere Auffassung der Dinge bekannt zu geben und Ihnen damit Gelegenheit zur Kundgebung Ihrer Anschauungsweise zu verschaffen. Ich bin glücklich, konstatiren zu können, daß unsere Ansichten mit denjenigen Ihrer Kommission vollständig zusammenfallen; wir haben zwar keinen Augenblick daran gezweifelt, aber es war wünschenswert!), daß diese Uebereinstimmung der Ansichten, dem Auslande wie dem Inlande gegenüber, in unanfechtbarer Weise festgestellt würde, damit man beider Orts wisse, dass der Bundesrath der getreue Vertreter des nationalen Willens ist, und zwar ebensowohl hinsichtlich der Maßnahmen, die er bereits getroffen hat, als hinsichtlich derjenigen, die er noch zu treffen im Falle sein wird.

Unser Land hat sich mit Fug und Recht entrüstet, als es erfuhr, daß die hauptsächlichen Anstifter von Unruhen und anar-

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Meine Herren ! Es ist ein elementarer Grundsatz des
Völkerrechtes, der aber nicht oft genug wiederholt werden kann, dali jeder souveräne Staat seinen innern Haushalt nach freiem Belieben einzurichten befugt ist. Wenn es uns paßt, den Grundsätzen einer fortgeschrittenen Demokratie zu huldigen, wenn es andern Ländern paßt, sich monarchistisch einzurichten, so steht es uns ebensowenig an, uns in ihre Angelegenheiten, als es ihnen ansteht, sich in die

694 unsrigen zu mischen. So oft man sieh von diesem weisen Grundsalze entfernt, ist Störung der guten Beziehungen der Völker unter einander, ist wechselseitige Gereiztheit die unausbleibliche Folge.

Ohne Zweifel steht uns das Recht zu, die politischen Ereignisse in den Nachbarstaaten frei zu beurtheilen, und umgekehrt steht ihnen, uns gegenüber, das gleiche Recht zu; aber wenn diese Beurtheilung sich nicht innert den Schranken des Auslandes und sachlicher, den internationalen Rücksichten entsprechender Würdigung hält, wenn sie in Beleidigungen, in Aufreizungen, in Angriffe, in eine Art bewußter Einmischung in die Angelegenheiten der andern Staaten ausartet, hört sie auf, Duldung beanspruchen zu können. In dieser Beziehung sind, es muß das zugegeben werden, hier wie auch anderwärts ärgerliche Kundgebungen vorgekommen, für die zwar die Völker und ihre Regierungen nicht verantwortlieh zu machen sind, denen aber, im Interesse des guten Einvernehmens, ein Ende gemacht werden muß.

Eines der werthvollsten Souveränitätsrechte ist das Asylrecht.

Von jeher haben wir den politischen Flüchtlingen unser Haus in liberalster Weise geöffnet, meist nicht aus Sympathie für ihre Personen oder ihre Lehren, sondern aus Menschlichkeit. Häufig sind uns auch von daher Ungelegenheiten entstanden; es ist das seit 1815 fast die einzige Frage, deretwegen wir Anstände mit unsero Nachharn gehabt hahen. Aber wir haben immer fest an diesem unserm Souveränitätsrechte festgehalten und gedenken es auch feruer zu t h u n .

Dagegen sollen es sich die Fremden, welche, sei es als'politische Flüchtlinge, sei es Kraft bestehender Niederlassungsverträge unser Gebiet betreten, gesagt sein lassen, daß sie damit anuli Pflichten gegen das Land übernehmen. Sie haben nicht nur unsere Einrichtungen zu respektiren, sondern sich nndern Staaten gegenüber so zu verhalten, wie wir dies selbst zu thun verpflichtet sind.

Die Gefühle der Verbitterung, welche sie gegen die Behörden ihrer Hçiinat nähren mögen, können in unsern Augen irgend welche, von unserm Gebiet ausgehende, Feindseligkeiten ihrerseits nicht rechtfertigen. Wenn wir ihnen von der Preßlreiheit und den freien Versammlungsrechten Gebrauch zu machen gestatten -- von politischen Rechten also, welche das Schweizervolk sich selbst in seiner Verfassung garantirt hat -- so geschieht es unter
der Bedingung, daß sie sich derselben würdig zeigen; wenn nicht, so haben wir das Recht und die Pflicht, auf sie die Gesetze des Landes anzuwenden. Nun sehen aber diese Gesetze nicht nur strafgerichtliche Verfolgung vor ; sie gestatten, und das ist insbesondere der Fall des Art. 70 der Bundesverfassung, d. h. des

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obersten Landesgesetzes, die Ausweisung von Fremden, welche die innere oder äußere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährden.

Meine Herren ! Es ist um so notwendiger, diese Grundsätze in Erinnerung zu bringen, als wir in jüngster Zeit und zwar gerade anläßlich der neuesten Untersuchungen öfter haben konstatiren müssen, daß die Fremden, welche hauptsächlich durch ihre heftige und herausfordernde Sprache sich auszeichnen, bezahlte Agenten der ausländischen Polizei sind. Man weiß übrigens, wenn man Agitatoren gegenübersteht, nie so recht, ob man es mit überzeugungstreuen Persönlichkeiten, oder aber mit agents provocateurs zu thun hat.

Unsere Arbeiterkreise haben daher allen Grund, solch feurigen Verkündigern des revolutionären Sozialismus gegenüber auf der Hut zu sein, und was uns betrifft, die wir für Ruhe im Innern und für gute Beziehungen nach außen zu sorgen haben, so ist unsere Pflicht vorgezeichnet und wir werden sie zu erfüllen wissen.

Leider haben die Untersuchungen seit 1885 mehr als einmal herausgestellt, daß Schweizerbürger altern oder Jüngern Datums, mögen sie bezahlte Agenten gewesen sein oder nicht, an den gegen die innere und äußere Sicherheit des Landes gerichteten Umtrieben theilgenomtnen haben. Wir sind diesem verwerflichen Handeln gegenübergestanden, wie das atheniensische Gesetz gegenüber dem Vatermord, den Solon in seinem Strafgesetzbuch nicht vorgesehen hatte. Aber die Lücke, die sich in dem unserigen vorfindet, kann ergänzt werden. Inzwischen hat sich die öffentliche Meinung bereits gegen Schweizerbürger fiusgesproehen, welche tief genug stehen, um sich geschäftsmäßig Umtrieben hinzugeben, die geeignet sind, diu Sicherheit, ja die Existenz des Vaterlandes zu gefährden.

Der Antrag, den wir Ihnen heute unterbreiten, beschränkt sich darauf, die Mittel zu wirksamerer Ueberwachung von Unruhestiftern zu schaffen, mögen diese schweizerischer oder fremder Nationalitat sein. Die Kantone für sich allein vermögen diese Aufgabe nicht zu erfüllen; da sie die internationalen Beziehungen nicht/AI pflegen haben, ist es leicht begreiflich, daß ihre Aufmerksamkeit nicht nach dieser Seite gerichtet ist. Man kann im Allgemeinen sagen, daß, wenn wir keine fremden Anarchisten hei uns hätten, wir auch der politischen Polizei entbehren könnten. Gerade deßwegen aber muß die Centralgewalt, welcher
die äußern Beziehungen zu pflegen obliegt, es sein, welche die Anstrengungen der Kantone nach einem gemeinsamen Ziele lenkt, damit jeder an seinem Ort dazu beitrage, das Land nach Innen wie nach Außen sicherzustellen.

Herr Präsident, meine Herren ! Wir haben das fe*lo Vertrauen, daß Sie uns die hiefür nöthigeü Mittel gewähren werden. Wir

696 werden sie in Ihrem Sinne verwenden. Unser Land wird deswegen kein Polizeistaat werden, in welchem sich die Bürger weder versammeln, noch sprechen, noch ihre Gedanken veröffentlichen können, ohne sich vorgängiger Censur zu unterwerfen. Unsere Jahrhunderte alten Freiheiten sind viel zu sehr mit unserem eigensten Wesen verwachsen, als daß dem je so werden könnte. Aber diese kostbaren Freiheiten, die zu erringen uns so viel Anstrengung gekostet hat, wir haben sie hoch zu halten gelernt und wir werden sie nie durch eine Hand voll Anarchisten und Agents provocateurs schänden lassen. Wir sind das demokratischste Volk der Welt; ee ist uns gelungen, den Beweis zu erbringen, daß eine Republik, welche auf der Souveränität des Volkes im weitestgehenden Sinne beruht, gleichzeitig ein ruhiges, weises und wohlgeordnetes Staatswesen sein kann. Die anderen Staaten haben mehr wie einmal der Weisheit und Dauerhaftigkeit unserer Einrichtungen Anerkennung gezollt und große internationale Schöpfungen, die der Ruhm unseres Zeitalters sind, unter den Schutz unseres Volkes und seiner Behörden, unter die Aegide der schweizerischen Neutralität gestellt.

Aber obgleich man, nach dem Gesagten, in der ganzen Welt wissen kann und muß, daß wir mit der Anarchie nicht paktiren, liegt es auf der anderen Seite in unserem Interesse, denjenigen jeden Vorwand zu rauben, welche, einige bedauernswerthe Vorkommnisse herausgreifend, die Schweiz als einen Revolutionsherd darzustellen suchen. Um derartige Vorkommnisse zu verunmöglichen, ist es nicht nöthig, irgend eines der Prinzipien aufzugeben, die uns so theuer geworden sind, sondern es ist dazu nur nöthig, daß Bund und Kantone, in einträchtigem Zusammenwirken, einen wirksameren · Gebrauch von ihren Kompetenzen machen. Auf diese Weise, meine Herren, wird es möglich sein, zu beweisen, daß unsere Einrichtungen sich mit der, gewissenhaftesten Beobachtung unserer inteniatioiiiilua Pflichten vollkommen vertragen, und daß die schweizerische Demokratie fest entschlossen ist, keinerlei Unordnung auf ihrem Gebiete zu dulden.

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Bericht der

ständeräthlichen Kommission betreffend die Botschaft des , Bundesrathes vom 12. März 1888 über bessere Organisation der politischen Polizei.

(Vom 23. März 1888.)

Tit.

Mit Botschaft vom 12. März 1. J. hegleitet der Bundesrath Ihnen den Antrag ein, ihm ,,zum Zwecke einer bessern Einrichtung der politischen Polizei" einen Nachtragskredit zu dem Budget des Justiz- und Polizeidepartements lit. C. 3 ,,Fremdenpolizei" im Betrage von Fr. 20,000 zu bewilligen.

Indem der Bundesrath die Unzulänglichkeit der bisherigen Ein- · richtung betont, knüpft er damit an eine schon im Jahre 1885, anläßlich der damals geführten Anarchisten-Untersuchung, ihm Seitens seines Kommissariates gewordene Anregung an, zufolge welcher vorab die Errichtung einer C e n t r a l s t e l le als wünschenswerth und nützlich sich herausstelle. -- Von dieser aus hätte nicht nur die einheitliche Leitung der polizeilichen Thätigkeit auszugehen und sich auf die ihm geeignet erseheinenden kantonalen Organe zu übertragen: diese selbst sollten durch dieses gemeinsame Bindeglied gleichzeitig unter sich in Contakt gesetzt und von allen bezüglichen Vorgängen unterrichtet erhalten werden.

Seither gemachte Erfahrungen scheinen die Notwendigkeit einer solchen verbesserten Einrichtung unserer ,,politischen Polizei" nahe gelegt zu haben.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Rede des Herrn Bundesrath Droz betreffend die Organisation der politischen Polizei in der Sitzung des Nationalrathes vom 20. März 1888.

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1888

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12

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24.03.1888

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692-697

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10 013 887

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