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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des Hrn. Adolf Guyer-Zeller in Zürich gegen den Beschluß der Regierung des Kantons Zürich betreffend die Zwangsenteignung der ,, Bürgliterrasse " zu Gunsten eines Kirchenbaues in Enge bei Zürich.

(Vom 24. November 1888.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat in Sachen des Rekurses des Herrn Adolf G u y e r - Z e l l e r in Zürich gegen den Beschluß der Regierung des Kantons Zürich vom 7. April 1888, betreffend die Zwangsenteignung der ,,Bürgliterrasse* zu Gunsten eines Kirchenbaues in Enge bei Zürich ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse : I. Am 22. Mai 1887 gab die Kirchgemeindeversammlung von Enge der erweiterten Kirchenpflege den Auftrag, ,,gestützt auf einen noch näher zu studirenden und festzustellenden Grundplan (für einen Kirchenbau) den südlichen Theil der ,,Bürgliterrasse", sowie das für die ihr nöthig erscheinenden Kommunikationen und Abrundungen des Bauplatzes erforderliche Land auf gütlichem Wege oder durch Expropriation zu erwerben, in der Meinung, daß nach Durchführung des Expropriationsverfahrens die Gemeinde darüber zu entscheiden hat, ob an der Expropriation definitiv festgehalten werden soll".

1112 II. Die Kirchenpflege Enge suchte hierauf am 22. September 1837 beim Regierungsrathe von Zürich um Ertheilung des Expropriationsrechts behufs Erwerbung des erforderlichen Areals für die projektirte Erstellung einer Kirche auf der Bärgliterrasse nach.

Der Regierungsrath überwies am 22. Oktober 1887 das Gesuch liebst Plänen dem Statthalteramt Zürich zur Einleitung des Administrativ Verfahrens bei Abtretung von Privatrechten.

III. Auf die einschlägige Publikation erhob Hr. Ad. GuyerZeller in Zürich als Eigenthümer der Bürgliterrasse in Enge mit Eingabe vom 10./11. November 1887 beim Statthalteramt gegen die Expropriation Einsprache.

IV. Infolge dessen hatte sich der Bezirksrath Zürich als erste Instanz mit dem Expropriationsbegehren m befassen.

Durch Beschluß vom 24. Dezember 1887 wies der Bezirksrath die Einsprache des Hrn. Guyer-Zeller als unbegründet ab.

V. Ueber diese Abweisung beschwerte sich irn Namen des Hrn. Guyer-Zeller Hr. Advokat L. Forrer in Winterthur mit Eingaben vom 6. Januar und 13. Februar 1888 beim zürcherischen Regierungsrathe.

Allein durch Beschluß vom 7. April 1888 wies auch der Regierungsrath die Einsprache als unbegründet ab.

VI. Gegen den regierungsräthlicher Beschluß hat Hr. Prof.

Dr. G. Vogt in Fluntern-Zürich am 21. Juni 1888 beim Bundesrathe Beschwerde erhoben.

Der Beschwerdeführer theilt in seinem Memoriale mit, daß Hr. Guyer sich auch beim Bundesgerichte und beim zürcherischen Kantonsrathe gegen den Regierungsbeschluß vom 7. April beschwert habe; er berufe sieh vor diesen Behörden auf Vorschriften der Kantonsverfassung und des zürcherischen. Expropriationsgesetzes, vor dem Bundesrathe dagegen mache er lediglich den Widerspruch geltend, in welchem eine Expropriation zu kirchlichen Zwecken mit dem in Artikel 50 der Bundesverfassung enthaltenen Verbote VOD "Eingriffen k i r c h l i c h e r B e h ö r d e n i n d i e R e c h t e d e r Bü r g e r u n d d e s S t a a t, e s " stehe. Gestützt auf dieseVerfassungsbestimmungg und unter Hinweis auf Art. 59 desOrganisationsgesetzess über dieBundesrechtspflegee ersucht Herr Guyer den Bundesrath um Aufhebung des Regierungsbeschlusses vom 7. April 1888 und um dessen Sistirung bis zubundesräthlicheneu

1113 Entscheide. Das Sistirungsgesuch wird damit begründet, daß mit dem 28. Juni 1888 die Frist zur Anmeldung der Entschädigungsforderung zu Eude gehe, worauf die Schätzer in Thätigkeit treten würden und Hr. Guyer genöthigt wäre, langwierige Prozeßverhandlungen durchzumachen.

VII.

Der Bundesrath verfügte am 25. Juni 1888, es habe die Vollziehung desRegierunsgsbeschlussess bis zur Erledigung der Beschwerde zu unterbleiben, und übermittelte die letztere der Regierung von Zürich zur Vernehmlassung.

TI II. Die Rechtserörterung des Rekursmemorials geht irn Wesentlichen dahin : Indem die kantonale Staatsgewalt dem Expropriationsgesuche der Kirchenpflege, beziehungsweise Kirchgemeinde Enge entspreche, setze sie, statt einem Uebergriffe der Kirche zu wehren, sich selbst an deren Stelle und vollbringe, was der Kirche durch den zweiten Absalz des Artikels 50 der Bundesverfassung versagt sei. Der Regierungsrath habe die eigene Entschließung dem Willen der kirchlichen Organe untergeordnet, das Recht des Staates, über Expropriationsbewilligungen zu entscheiden, preisgegeben. Denn in ihren Erwägungen erkläre die Regierung geradezu, daß sie nach dem Beschlüsse der Kirchgemeinde Enge, die als eine öffentlich-rechtliche Korporation anzusehen sei, die Bedürfnißfrage nicht mehr zu prüfen habe, das Erforderniß des öffentlichen Wohles sei für die beabsichtigte Expropriation durch den Gemeindebeschluß hergestellt, also müsse dio Expropriation ohne Weiteres verfügt werden. Offensichtlich habe sich die Regierung in einem Rechtsirrthum befunden, als sie diese höchst bedenkliche Erwägung aufstellte. Statt frei nach eigener Ueberzeugung, lediglich im Hinblick auf Verfassung und Gesetz, zu prüfen und zu entscheiden, habe die kantonale Behörde einfach das von der einen Partei Verlangte kontrasignirt, nur den Vollziehungsbefehl beigefügt.

Infolge dessen liege nicht bloß ein Eingriff einer kirchlichen Behörde in Rechte -- das Privateigentum --- der Bürger vor, sondern die Staatsbehörde weiche auf dem ihr zukommenden Gebiete zurück vor der kirchlichen Behörde und lassùdieso letztere in die staatliche Gerichtsbarkeit übergreifen.

Dom gegenüber bemerkt der zürcherische Regierungsrath in seiner Rekursantwort vom 18. August, es handle sich allerdings um einen Eingriff in ein bürgerliches Recht, das Eigenthum, aber nicht seitens
einer Behörde, sondern kraft des bürgerlichen Gesetzes.

Die Regierung habe als Oberinstanz in Expropriationssachen nach Gesetz und Recht die zur zürcherischen Landeskirche gehörende

1114 Expropriantin als öffentlichrechtliche Korporation und die von unbeabsichtigte Unternehmung als einen öffentlichen Zweck verfolgend anerkannt. In dieser Richtung stehe dem Bundesrathe kein Recht der Nachprüfung zu. Nicht um eine kirchliche Behörde als solche handle es sich im Rekursfalle, sondern um eine öffentlichrechtliche Korporation, und die beabsichtigte Maßnahme trage durchaus keinen religiösen Charakter, sondern sei ein rein bürgerlicher Akt auf Grund eines bürgerlichen Gesetzes; in Erwägung: 1) Das dem Bunde durch Art. 50, Abs. 2, der Bundesverfassung vorbehaltene Recht, ,,gegen Eingriffe kirchlicher Behörden in die Rechte der Bürger und des Staates geeignete Maßnahmen zu treffen", kann im Rekursfalle nicht zur Anwendung kommen.

Mag die Kirchgemeinde im Kanton Zürich öffentlichrechtlichen oder bloß privatrechtlichen Charakter tragen, die Frage, um die es sich in casu handelt, bleibt sich gleich ; sie lautet im einen, wie im andern Falle : Ist ein vom Staate anerkanntes Recht eines Bürgers durch eine kirchliche Behörde gefährdet?

Diese Frage muß verneint werden.

2) Wenn die Kirchgemeinde Enge mit Bezug auf das Eigenthum des Hrn. Guyer-Zeller auf gesetzlichem Wege ein Zwangsabtretungsbegehren stellt, so macht sie von einem Rechte Gebrauch, das nach Verfassung und Gesetz des Kantons Zürich von jedem Rechtssubjekte ausgeübt werden kann, und wenn der zürcherische Regierungsrath den Einspruch des Eigunthümers gegen, das Abtretungsbegehren. nicht schützt, sondern die Zwangsenteignung gestattet, ,,weil das öffentliche Wohl sie erheische" (Art. 4 der Verfassung des Kantons Zürich), so wird das bürgerliche Recht des Hrn. Guyer-Zeller dadurch in einer vom Staate als zuläßig erklärten Weise betroffen. Der Eingriff in das Eigenthum des Rekurrenten ist vom bürgerlichen Rechte selbst vorgesehen und gebilligt und wird nicht von einem kirchlichen Organe gegen die Vorschrift des bürgerliehen Rechts unternommen.

3) Ob das Expropriationsbegehren der Kirchgemeinde Enge als solches begründet sei und ob die dasselbe schützenden Beschlüsse der Zürcher Behörden, insbesondere der Beschluß des Regierungsrathes vom 7. April 1888, nach Maßgabe des kantonalen Rechts materiell gerechtfertigt seien, ist eine Frage, welche nicht in die Beurtheilung des Bundesrathes fällt. Dieselbe kann bejaht oder verneint werden, ohne daß Artikel 50, Absatz 2, der Bundesverfassung zur Erörterung und Anwendung käme. Ihre Ent-

1115 Scheidung hängt prinzipiell von der im Staate anerkannten Fülle und Ausdehnung des Eigentumsrechts und in jedem konkreten Falle von der Würdigung der Sachverhältnisse ab.

4) Damit soll nicht in Abrede gestellt sein, daß auch gegenüber einer von den kantonalen Staatsbehörden bei formell ganz richtigem Verfahren ertheilten Expropriationsbewilligung bundesrecbllicher Schutz nachgesucht werden kann, wenn dieselbe materiell anfechtbar erscheint, indem sie kantonales oder eidgenössisches Verfassungsrecht verletzt. Nur wird selbstverständlich ganz außer Betracht fallen, ob der zur Zwangsabtretung angehaltene Bürger den Zweck der Unternehmung, für welche die Abtretung verlangt wird, persönlich billige oder nicht, und die Anrufung des bundesrechtlichen Schutzes wird nicht, wie es im Rekursfalle versucht worden ist, auf Artikel 50, Absatz 2, der Bundesverfassung gegründet werden können.

Sofern eine solche Beschwerde geradezu den Schutz des durch die kantonale Verfassung gewährleisteten Eigenthumsrechtes bezweckt, ist gemäß Art. 59, litt, a, des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege das Bundesgericht die zum Entscheide kompetente Behörde; beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Die Suspensionsverfügung vom 25. Juni 1888 betreffend die Vollziehung des Regierungsbeschlusses, vom 7. April 1888 ist aufgehoben.

3. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Zürich, sowie -- zu Händen des Rekurrenten -- dem Herrn Prof. Dr.

G. Vogt in Fluntern schriftlich mitzutheilen.

B e r n , den 24. November 1888.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Vizepräsident:

Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs des Hrn. Adolf Guyer-Zeller in Zürich gegen den Beschluß der Regierung des Kantons Zürich betreffend die Zwangsenteignung der ,, Bürgliterrasse " zu Gunsten eines Kirchenbaues in Enge bei Zürich. (Vom 24. November 1...

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15.12.1888

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