408

# S T #

Bericht des

schweizerischen Bundesgerichtes an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1887.

(Vom 23. März 1888.)

Hochgeachteter Herr Präsident !

Hochgeachtete Herren !

"Wir beehren uns, gemäß Art. 24 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 Ihnen hiemit über unsere amtliche Thätigkeit im Jahre 1887 Bericht zu erstatten.

I. Allgemeiner Theil.

Schon im letzten Jahresberichte machten wir darauf aufmerksam, daß die beiden Gerichtssääle des n e u e n B u n d e s g e r i c h t s g e b ä u d e s infolge unrichtiger Placirung der Pulte der Gerichtsmitglieder in Bezug auf Beleuchtung zu wünschen übrig lassen.

Dieser Uebelstand ist namentlich beim großen Sitzungssaale in dein Maße vorhanden, daß wir uns veranlaßt fanden, im abgelaufenen Jahre sämmtliche Gerichtssitzungen nicht in demselben, sondern im kleinen Saale abzuhalten, während bei Feststellung des Bauplanes die Ansicht obgewaltet hatte, daß für Abhaltung der Plenarsitzungen des Gerichts nicht der kleine, sondern einzig der große Saal bestimmt sei.

Dem von uns an den Bundesrath gestellten Gesuche, er möchte eine Expertise darüber anordnen, ob und in welcher Weise dem Uebelstande abgehollen werden könnte, entsprach derselbe und be-

409 zeichnete daherige Experten, welche auch einen Augenschein vornahmen. Dagegen haben sie, so viel uns bekannt, dem Bundesrathe ihr Gutachten noch nicht eingereicht.

Vom G e n e r a l r e g i s t e r zu den neun ersten Bänden der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtes ist im Laufe des Berichtsjahres der Druck der zweiten, das alphabetische Register enthaltenden, Abtheilung der französischen und der italienischen Ausgabe beendigt worden, so daß nunmehr beide Abtheilungen des Generalregisters in allen drei Nationalsprachen im Drucke erschienen sind.

Das B u n d e s g e s e t z b e t r e f f e n d g e b r a n n t e Wasser vom 23. Dezember 1886 bestimmt in Art. 18, letztes Alinea: ,,Das von dem Bundesgericht und den Schätzungskommissionen"1 (in Entschädigungsprozessen der Brennereieigenthümer) ,,einzuhaltende Verfahren wird durch eine besondere, von dem Bundesgericht aufzustellende Verordnung geregelt, für welche das Gesetz vom 1. Mai 1850, betreffend die Abtretung von Privatrechten, als Grundlage zu dienen hat. " Bei Entwerfung dieser Verordnung war vorerst die Frage zu entscheiden, wie weit das Verordnungsrecht des Bundesgerichtes reiche. Wir sprachen unsere bezügliche Ansicht in einem Schreiben aus, welches wir am 21. Mai 1887 an den Bundesrath erließen.

,,Nach dem Wortlaute des Gesetzes bezieht sich das Verordnungsrecht des Bundesgerichtes", sagten wir in jenem Schreiben, ,,bloß auf das Verfahren der Schätzungskommissionen und des Bundesgerichtes, also auf das Verfahren, welches Platz zu greifen hat, nachdem Prinzip oder Maß der Entschädigungspflicht zwischen den Parteien streitig geworden sind und die Sache bei der Schätzungskomrnission anhängig gemacht worden ist. Diesem Verfahren, dem eigentlichen Prozeß, muß aber unseres Erachtens nach Sinn und Geist des Gesetzes ein anderes Verfahren zum Zwecke der Ausmittlung der Entschädigungsansprachen und ihrer Forderungen vorhergehen, ein Aufgebotsverfahren mit Präklusivtermin, ähnlich wie es in Expropriationssachen durch die Planauflage eingeleitet wird.

Das Gesetz spricht zwar von einem Aufgebotsverfahren ausdrücklich nicht, und es läßt sich daher die Ansicht vertreten, daß von einem solchen überhaupt Umgang genommen und es den Brennereibesitzern überlassen bleiben müsse, sich entweder mit dem Bunde gütlich zu verständigen oder
ihre Entschädigungsforderungen zu der ihnen beliebigen Zeit binnen der ordentlichen Verjährungsfrist einzuklagen. Mit Sinn und Geist des Gesetzes ist indeß diese Ansieht wohl nicht vereinbar, da dem Gesetzgeber offenbar nicht nur rücksichtlich des Prozesses, sondern auch rücksichtlich des demselben Bundesblatt. 40. Jahrg. Bd. II.

27

4ÌO

vorangehenden Verfahrens die Analogie der Expropriation vorgeschwebt hat. Das Gesetz scheint überhaupt von denn Gedanken auszugehen, es liege hier ein der Expropriation ähnlicher Eingriff der Staatsgewalt in private Vermögenssphären vor und es sei daher Sache des Staates, die Initiative zur Ausmittlung der Entschädigungsberechtigten und Feststellung der Entschädigung zu ergreifen.

Ist das richtig, hat also das Aufsebotsverfahren stattzufinden,l so O * O bedarf dasselbe der Regelung im Verordnuugswege; es muß bestimmt werden, w e r das Aufgebot (die Aufforderung an die Betheiligten, ihre Forderungen anzumelden) zu erlassen hat, in welcher Weise dasselbe zu publiziren ist, welche Frist den Ansprechern zu geben ist, in welcher Form diese ihre Forderungen anzumelden haben, welches die Folgen der Fristversäumniß sind u. s. w. Ist nun hierüber in der vom Bundesgerichte nach Art. 18 cit. zu erlassenden Verordnung das Nöthige zu bestimmen oder ist die Kompetenz hiezu dem Bundesrathe vorbehalten? Nach unserer Ansicht dürfte, trotz des restriktiven Wortlautes des Art. 18 cit., die Kompetenz des Bundesgerichtes begründet sein, da das Verfahren vor Schätzungskommission und Bundesgericht mit dem vorhergehenden Verfahren sachlich enge zusammenhängt (schon mit Rücksicht auf die Frage, wer die Sache bei der Sehätzungskoinmission anhängig zu machen habe). Da nun aber Bundesrath und Bundesgericht offenbar übereinstimmend vorgehen müssen, so richten wir an Sie die Anfrage, ob Sie mit unserer oben dargelegten Ansicht einig gehen, oder ob Sie dem Bundesrathe die Kompetenz zur Normirung der erwähnten Punkte vindiziren oder vielleicht der Ansieht sind, es sei ein Aufgebotsverfahrea überhaupt nicht einzuleiten.w Der Bundesrath erklärte sich mit unserer Ansicht einverstanden, und wir erließen sodann am 30. September 1887 auf Grundlage des Bundesgesetzes betreffend Abtretung von Privatrechten vom 1. Mai 1850, sowie des Reglements zu demselben vom 22. April 1854, nachdem der Entwurf vor dessen definitiver Feststellung dem Bundesrathe noch zur Kenntnißnahme und Meinungsäußerung unterbreitet worden war, die daherige Verordnung. Dieselbe enthält unter vier Abschnitten die erforderlichen Vorschriften über Ausmittlung der Entschädigungsansprecher und Anmeldung ihrer Forderungen, über die Organisation der Schätzungskommissionen
und das Verfahren derselben, über den Rekurs an das Bundesgericht und das Verfahren vor demselben, sowie über die Bezahlung der Entschädigungen. Der Kürze halber verweisen wir im Uebrigen auf den Wortlaut der Verordnung, welche in der amtlichen Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen der schweizerischen Eidgenossenschaft (Bd. X, S. 269 u. ff.) publizirt wurde.

411 Wir haben in frühem Geschäftsberichten, namentlich in demjenigen für das Jahr 1883, einzelne Bestimmungen des B u n d e s g e s e t z e s über die O r g a n i s a t i o n der Bundes r eehtsp f l e g e hervorgehoben, welche nach unserm Dafürhalten der Revision bedürfen. Ein Streitfall, welcher im Berichtsjahre uns zur Beurtheilung vorlag, machte uns noch auf eine weitere Lücke im gegenwärtigen Organisationsgeselze aufmerksam, welche anläßlich der bevorstehenden Revision desselben ausgefüllt werden sollte.

D Der Eegierungsrath des Kantons Zürich klagte gegen den schweizerischen Bundesrath als Vertreter des Fiskus der schweizerischen Eidgenossenschaft beim Bundesgerichte die Summe von Fr. 15,000 ein für Erbschaftssteuer von einem Vermächtnisse von Fr. 100,000, welches ein Fritz Brunner in Zürich der ,,schweizerischen meteorologischen Centralanstalta testamentarisch zugewendet hatte. Der Bundesrath trug auf Abweisung der Klage an, da einerseits es sich hier um ein Legat zu gemeinnützigen Zwecken handle, welches gemäß § 2, litt, d, des zürcherischen Erbschaftssteuergesetzes von der Erbschaftssteuer befreit sei, und andererseits die zürcherische Erbschaftssteuer eine wirkliche, unmittelbar den Erben oder Vermächtnißnehmer treffende, also eine direkte Steuer sei, mit welcher der Bund nach Art. 7 des Bundesgesetzes über die politischen und polizeilichen Garantien zu Gunsten der Eidgenossenschaft vom 23. Dezember 1851 nicht belegt werden dürfe.

Die Kompetenz des Bundesgerichtes war von keiner Partei bestritten worden, allein es mußte dieselbe von Amtswegen geprüft werden. Die Parteien hatten sich nicht darüber ausgesprochen, aus welcher Gesetzesbestimmung sie die Zuständigkeit des Bundesgerichtes ableiteten. Das Bundesgericht nahm indessen an, dieselben seien davon ausgegangen, die Streitsache falle unter Art. 27, Ziffer l, des Organisationsgesetzes, wonach das Bundesgericht civilrechtliche Streitigkeiten zwischen dem Bunde und einem oder mehreren Kantonen beurtheilt. Allein das Bundesgericht fand, die Streitsache sei nicht civil-, sondern öffentlich-rechtlicher Natur. Es wurde nicht eine aus privatrechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien, sondern eine aus der staatlichen Steuerhoheit des Kantons Zürich gemäß der bestehenden Steuergesetzgebung abgeleitete Forderung geltend gemacht, welche nicht
dem Privat-, sondern dem öffentlichen Rechte angehört. Auch insoweit es sich darum handelte, ob nicht der beklagte Bundesfiskus durch Art. 7 des Bundesgesetzes über die politischen und polizeilichen Garantien zu Gunsten der Eidgenossenschaft vom 23. Dezember 1851 von der streitigen Steuer befreit sei, lag nicht ein Privatrechtsstreit vor, da die vom Bunde in Anspruch genommene Steuerbefreiung sich nicht auf eine

412 besondere hoheitliche Verleihung (ein Privileg im engern juristischen Sinne des Wortes), sondern auf ein Gesetz, einen Rechtssatz des singulären Rechts stützt, welcher ein Privatrecht des Bundesfiskus zu begründen nicht geeignet ist. Als Civilgericht war demnach das Bundesgericht zur Beurtheilung des Streites nicht zuständig ; aber auch als Staatsgerichtshof mangelte ihm die Kompetenz. Als Staatsgerichtshof sind denr Bundesgerichte nach Art. 57 des Organisationsgesetzes wohl staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen ganz allgemein zur Entscheidung zugewiesen, nicht aber solche zwischen Kantonen und Bund. Hier ist vielmehr die Kompetenz des Bundesgerichtes gemäß Art. 56, Absatz l, des Organisationsgesetzes auf die Beurtheilung von ,,Kompetenzkonflikten zwischen Bundesbehörden einerseits und Kantonalbehörden andererseits"1 beschränkt. Bin solcher Kompetenzkonflikt lag aber nicht vor, da ein solcher zur Voraussetzung hat, daß gemäß ausdrücklichem Beschlüsse einer Bundesbehörde einer- und einer Kantonalbehörde andererseits zwischen Bund und Kanton die Ausdehnung der beidseitigen Hoheitsrechte bestritten sei, sei es mit Bezug auf die Befugniß, in einem einzelnen Falle zu verfügen oder zu entscheiden, sei es mit Bezug auf das Recht der Gesetzgebung oder Verordnung über eine bestimmte Materie. Diese Voraussetzungen waren hier nicht gegeben. Demnach erkannte das Bundesgericht: Auf die Klage werde wegen Inkompetenz des Gerichtes nicht eingetreten.

(Entscheidungen des Bundesgerichtes, Bd. XIII, S. 538 u. ff.)

Es will uns nun scheinen, daß, wie das Bundesgericht nach Art. 57 des Organisationsgesetzes über Streitigkeiten staatsrechtlicher Natur zwischen Kantonen zu entscheiden befugt ist, bei der Revision des Gesetzes darauf Bedacht genommen werden sollte, dem Bundesgerichte auch die Kompetenz einzuräumen, über Forderungen öffentlich - rechtlicher Natur, welche ein Kanton gegen den Bund geltend macht, auf dem Wege staatsrechtlicher Entscheidungen zu urtheilen.

In Betreff der R e c h t s s p r e c h u n g verweisen wir im Allgemeinen auf die gedruckte Sammlung der Entscheidungen, sowie auf die im aweiten Theile dieses Berichtes folgenden statistischen Angaben.

413

II. Besonderer Theil.

Statistische Angaben.

Gattung und Gang der Geschäfte.

Aus dem Vorjahre Übergetragen.

Staatsrechtliche Fälle . . . 2 7 Civilstreitigkeiten* 29 Strafrechtliche Fälle . . . -- Freiwillige Gerichtsbarkeit . --

Neu Im Ganzen Davon erledigt in 94 eingein Sitzungen Unerledigt gangen. Behanddurch , geblieben.

Urtheil. Beschluss., Total.

lung.

186 151

213 180

163 100

15 29

178 129

35 51

-- --

-- --

-- --

-- --

-- --

-- --

56

337

393

263

44

307

86

*A. Mit Instruktion 13 B. Weiterziehungen 16

60 91

73 107

16 84

14 15

30 99

43 8

Total

Bemerkungen. Die 43 nicht erledigten Civilfälle ,,mit Instruktion" falleu unter die Rubriken : Expropriationen 24; Streitigkeiten zwischen Kantonen und Privaten oder Korporationen 15 ; forum prorogatum 3; contra Bund 1.

Im Bericht des Vorjahres waren als übergetragen angegeben: 30 Civilfälle und 26 staatsrechtliche, weil ein staatsrechtlicher Fall aus Versehen unter die Civilprozesse eingereiht war; die Angabe ist nach Obigem zu berichtigen.

Herkunft ·a- , ·· .Kanton.

Aargau Apppenzell A. Rh.

Appenzell 1. Rh.

Basel-Stadt Basel-Landschaft Bern Freiburg Genf Glarus Graubünden Luzern

der Geschäfte.

Staatsrechtliche Streitigkeiten.

10 2 8 5 3 26 12 4 3 13 13

Civilrechtliche Weiterziehungen.

4 5 2 8 1 9 7 11 -- 2 16

T«+OI l o t al.

14 7 10 13 4 35 19 15 3 15 29

414 P. , Kanton.

Neuenburg Nidwaiden Obwalden Schaffhausen Schwyz Solothurn S t . Gallen Tessin Thurgau

U

r

i

Waadt Wallis

Staatsrechtliche Civilrechtliche Streitigkeiten.

Weiteraehungen.

3 3 3 -- l -- 7 2 10 3 2 2 6 1 12 l 1 6

m .t ,, i 1 o tal.

6 3 l 9 13 4 7 13 7

6

1

7

23 15

6 l

29 16

Zug

9

4

13

Zürich

5

12

17

Anmerkung. Eine Vergleichung mit den zwei frühern Tabellen dieser Art zeigt, daß die Schwankungen in der Zahl namentlich dev staatsrechtlichen Fälle in den einzelnen Kantonen ziemlich stark sind, währenot die Gesammtsumme der Fälle aller Kantone viel stabiler ist. Ein einziges streitbares Individuum kann mitunter die Zahl der Fälle eines Kantons bedeutend heben.

A. Civilrechtliche Streitigkeiten.

Die 180 in Behandlung gewesenen civilrechtlichen Streitigkeiten vertheilen sich wie folgt: 3 Prozesse gegen den Bund, von denen einer durch Urtheil, einer durch Beschluß erledigt ist und einer sich nooh in Instruktion befindet. Davon bezieht sieh einer auf das Departement des Innern (Bauwesen), einer auf das Finanzdepartement (Steuerfrage) und einer auf das Militäi-departement ^Entschäcligung).

3 Prozesse zwischen Kantonen : einer zwischen Neuenburg und Freiburg, einer zwischen Genf und Waadt und der dritte zwischen Zürich und Tessin -- alle drei durch Urtheil erledigt.

25 Prozesse zwischen Kantonen und Korporationen oder Privaten, wovon 7 durch Urtheil, 3 durch Beschluß erledigt sind und 15 sich noch in Instruktion befinden. Es fallen davon je 5 auf die Kantone Bern und Solothurn, je 3 auf die Kantone 31 Uebertrag.

415 31 Uebertrag.

Freiburg und Waadt, je 2 auf die Kantone Aargau, Genf und Tessin und je l auf die Kantone Luzeru, Sehaffhausen und Zürich.

1 Heimatlosenfall, durch Urtheil erledigt. Es handelte sich um Zutheilung einer zahlreichen Familie entweder an Uri oder an Tessin.

37 aus dem Expropriationsgesetze sich herleitende Prozesse, von denen 3 durch Urtheil, 10 durch Beschluß erledigt sind, 24 sich noch in Instruktion befinden. Sie beziehen sich zum größten Theile auf das Telephonwesen in Zürich und die Zürichbergbahn.

7 Weiterziehungen betreffend das Gesetz über Haftpflicht der Eisenbahnen; 6 sind durch Urtheil erledigt und l noch anhängig.

2 Weiterziehungen betreffend Haftpflicht aus Fabrikbetrieb, durch Urtheil erledigt.

2 Weiterziehuogen aus dem Gesetz über Markenrecht, ebenfalls durch Urtheil erledigt.

22 Weiterziehungen aus dem Gesetz über Civilstand und Ehe, l Civilstand und 21 Ehescheidung betreffend; 16 sind durch Urtheil, 3 durch Beschluß erledigt, 3 wurden aufs folgende Jahr übergetragen.

2 Weiterziehungen mit Berufung auf das Gesetz über Handlungsfähigkeit, beide durch Urtheil erledigt.

71 Weiterziehungen aus dem Obligationenrecht, von denen 55 durch Urtheil, 12 durch Beschluß erledigt sind und 4 auf das folgende Jahr übergehen.

3 Prozesse, in denen das Bundesgericht als forum prorogatum angerufen wird -- alle noch unerledigt; endlich 2 Fälle, bei denen eine Berufung auf irgend ein Bundesgesetz nicht ersichtlich ist; sie sind beide durch Inkompetenxentscheid erledigt.

180

B. Staatsrechtliche Beschwerden.

Die 213 im Berichtsjahre in Behandlung gewesenen staatsrechtlichen Fälle vertheilen sich wie folgt:

416

123 beziehen sich auf die Bundesverfassung, und zwar: 63 auf Art. 4, oder ungleiche Behandlung und Rechtsverweigerung; l fl ,, 45, Ausweisung; 16 ,, ,, 46, Doppelbesteuerung; 7 ,, ,, 49, Kultussteuern ; l ,, ,, 54, Recht zur Ehe; 1 ,, y, 55, Preßfreiheit; 23 ,, ,, 58/59, Forumsfragen; 2 ,, ,, 59, letztes Alinea, Schuldverhaft; l ,, ,, 60, gleiche Rechte Kantonsfremder ; 7 ,, ,, 61, Vollzug rechtskräftiger Urtheile aus andern Kantonen ; l ,, ,, 64, Eingriffe kantonaler Gesetze in die Rechtssphäre des Bundes.

123 18 Beschwerden beziehen sieh auf Verletzung der Kantonsverfassungen ; 15 ,, behaupten Verletzung der Bundes- und Kantonsverfassung ; 3 ,, entsprangen aus Konflikten zwischen Kantonen, davon einer zwischen St. Gallen und Thurgau (Schulrechte betreffend), einer zwischen Thurgau und Zürich (Vormundschaft) und einer zwischen Solothurn und Bern (Kompetenz in Polizeisachen) ; 3 ,, beziehen sich auf das Gesetz über Civilstand und Ehe; 10 ,, beziehen sich auf das Gesetz über Handlungsfähigkeit ; 3 ,, beziehen sich auf Bürgerrechtsverzicht; 2 ^ beziehen sich auf das Auslieferungsgesetz; l Beschwerde bezieht sich auf das Markenrecht; 1 ,, bezieht sich auf das Gesetz über Bau und Betrieb der Eisenbahnen; 2 Beschwerden beziehen sich auf das Rechnungswesen der Eisenbahnen; 4 ,, beziehen sich auf das Obligationenrecht; l Beschwerde bezieht sich auf das Bundesgesetz vom 30. Juli 1859, Werbverbot; 186 Uebertrag.

417 186 Uebertrag.

10 Beschwerden berufen sich in keiner Weise auf Verfassung oder Bundesgesetz, sondern betrachten das Bundesgericht ganz allgemein als Helfer in allen Nöthen und ßächer aller Ungerechtigkeit ; l Beschwerde bezieht sich auf die Konkurskonkordate; 16 Beschwerden auf Verträge mit dem Ausland und zwar: 6 auf den Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich, 1 ,, ,, Handelsvertrag mit Frankreich, 2 ,, ,, Niederlassungsvertrag mit Deutschland, wobei bei dem einen auch das Bundesgesetz über Handlungsfähigkeit in Frage stand, l ,, ,, Vertrag mit Nordamerika, l ,, ,, Vertrag mit Baden vom September 1867, l ,, v Vertrag mit Baden vom 7. Juli 1808, wobei es sich bei dem e i n e n Rekurrenten zugleich um Art. 59 der Bundesverfassung handelte; 4 sind Auslieferungsbegehren, 2 von Rußland und je l von Deutschland und Frankreich ausgehend. Sie wurden alle bewilligt, und zwar : 213 1) den 18. März die Auslieferung des Samuel Radziejewsky aus Brzezno an Rußland, verlangt auf Grund von Art. 3, Ziffer 7, 10, 13 und 15, des Vertrages und bewilligt für die Ziffern 7, 10 und 15, mit dem in Art. 6, Alinea 2 , des Vertrages stipulirten Vorbehalt (s. das Nähere unter Nr. 3).

2) den 16. Juli die Auslieferung des Ed. Waldenburg aus Berlin und der Dora Sieke aus Hannover an Deutschland, auf Grund von Art. l, Ziffer 4 und 17 begehrt wegen Veränderung des Personenstandes eines Andern und intellektueller Urkundenfälschurg, jedoch bewilligt nur in Bezug auf den zweiten Klagepunkt; 3) den 9. September die Auslieferung des Moschek Selik Laßmann von Plotzk (Russisch Polen) an Rußland, verlangt auf Grund von Art. 3, Ziffer 10 und 15, des Vertrages wegen Fälschung, beziehungsweise Betrug, und bewilligt mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß der Ausgelieferte weder wegen eines vor der Auslieferung begangenen politischen Delikts, noch einer mit einem solchen

418 Vergehen in Verbindung stehenden Thatsache, noch überhaupt wegen solcher vor der Auslieferung begangener Verbrechen oder Vergehen, die in Art. 3 des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Rußland vom 17./5. November 1873 nicht vorgesehen sind, verfolgt oder bestraft werden darf; 4j den 22. Oktober die Auslieferung des Francis Pake aus Ruislip (England) an Frankreich als Mitschuldigen an Diebstahl durch Hehlerei.

Von den nach Abzug der Auslieferungsbegehren noch verbleibenden 174 erledigten staatsrechtlichen Beschwerden wurden 26 (ungefähr 15 °/o) ganz oder theihveise begründet erklärt. Sie betrafen : 13 die Bundesverfassung: 3 den Art. 4, Rechtsverweigerung; l ,, ,, 46, Doppelbesteuerung; 6 ,, ,, 59, Forumsfrage; 1 ,, ,, 59, letztes Alina, Schuldverhaft, verbunden mit einem Auslieferungs'oegehren von Kanton zu Kanton ; 2 ,, n 61, Urtheilsvollzug; 2 Kantonsverfassungen, Garantie des Eigenthums; 2 Bundes- und Kantonsverfassung, von denen die eine sich zugleich auf das Militärgesetz vom 27. August 1851 bezog 5 l das Bundesgesetz über Civilstand und Ehe (Forumsfrage); 1 das Bundesgesetz über Markenrecht; 2 das Obligatiouenreeht, Nichtanwendung desselben gegenüber dem kantonalen Recht; 3 das Bundesgesetz über Handlungsfähigkeit; 2 den französisch-schweizerischen Gerichtsstandsvertrag.

26 C. Strafrechtspflege.

Es lagen keine Fälle vor.

Das Verzeichnis der 1887 gewählten eidgenössischen Geschwornen wurde geordnet und dem Bundesrathe behufs Anordnung des Druckes desselben eingereicht.

D. Freiwillige Gerichtsbarkeit.

Im Berichtsjahre war kein in dieses Gebiet Fall beim Bundesgerichte anhängig.

einschlagender

419

a.

b.

1) 2)

E. Mittlere Dauer der Streitfälle.

I. C i v i l r e c h t l i c h e S t r e i t i g k e i t e n .

Burctsctoittliclie Monate.

Fälle, welche direkt oder nach vorheriger Entscheidung von Schätzungskommissionen beim Bundesgerichte anhängig gemacht wurden (30 gegen 83 im Vorjahre): 1) Von Abgabe der Klage auf der Post bis z u m Urtheil .

.

.

.

7 2) Von Erlaß des Urtheils (beziehungsweise Beschlusses) bis zur Zustellung desselben -- Fälle, welche nach Art. 29 des Bundesgesetzes über Organisation der Bundesrechtspflege an das Bundesgericht weitergezogen wurden (99 gegen 91 im Vorjahre): 1) Von Absendung der Akten durch das kantonale Gerieht bis zum Urtheil .

l 2) Von Erlaß des Urtheils bis zur Zustellung desselben .

.

.

.

-- II. S t a a t s r e c h t l i c h e S t r e i t i g k e i t e n .

(178 gegen 180 im Vorjahre.)

Von Abgabe der Beschwerde auf die Post b i s z u m Urtheil .

.

.

.

.

2 Von Erlaß des Urtheils bis zur Zustellung desselben --

Dauer.

Tage.

3 12,7

19 16,3

8 15,4

Genehmigen Sie, hochgeachteter Herr Präsident, hochgeachtete Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung!

L a u s a n n e , den 23. März 1888.

Im Namen des Schweiz. Bundesgerichtes, Der Präsident:

A. Kopp.

Der G e r i c h t s s c h r e i b e r : Rott.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des schweizerischen Bundesgerichtes an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1887. (Vom 23. März 1888.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1888

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

16

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

21.04.1888

Date Data Seite

408-419

Page Pagina Ref. No

10 013 923

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.