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Schweizerisches Bundesblatt.

XXV. Jahrgang. III.

Nr. 44.

4. Oktober 1873.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

E i n r ü k u n g s g e b ü h r per Zeile 15 Ep. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Druk und Expedition der in Bern.

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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Rekurses des Verwaltungsrathes der Burgergemeinde von Neuenburg, betreffend Verfassungsverlezung.

(Vom 15. August 1873.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des V e r w a l t u n g s r a t h e s der B u r g e r g e m e i n d e von N e u e n b u r g , betreffend Verfassungsverlezung ; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements ; auf Grundlage der im Beschlüsse des Bundesrathes vom 14.

März 1873*) in Sachen des genannten Verwaltungsrathes angeführten Thatsachen, und auf Grund folgender faktischer Ergänzungen : I. Am 8. November 1872 faßte der Staatsrath des Kantons Neuenburg, in Vollziehung des Dekretes des Großen Rathes vom 11. September 1872, betreffend die Abänderung von Art. 2 und 3 des Gesezes über die Einwohnergemeinden vom 26. Sept. 1861, folgenden Beschluß : Die Genehmigung von Uebereinkommen, durch welche zwischen Burgergemeinden und Einwohnergemeinden die beidseitigen Funk*) Siehe Bundesblatt v. J. 1873, Bd. II, Seite 699.

Bundesblatt. Jahrg. XXV. Bd. III.

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tionen in der öffentlichen Verwaltung in einer Weise ausgeschieden werden, die mit den Vorschriften des erwähnten Dekretes nicht im Einklänge stehen würde, sei znrükzuziehen und die betreffenden Behörden seien einzuladen, die bezüglichen Aktenstüke unverzüglich zu revidiren.

H. Von diesem Beschlüsse gab der Staatsrath mit Schreiben vom gleichen 8. November 1872 dem Verwaltungsrathe der Burgergemeinde von Neuenburg Kenntniß und eröffnete demselben, daß die Konventionen der Burgergemeinde mit der dortigen Einwohnergemeinde vom 24. Juni 1859 und vom 22/27. März 1861 von nun an für die Beziehungen der beidseiügen Verwaltungsbehörden nicht mehr als Regel dienen dürfen. Zugleich forderte der Staatsrath die Burgergemeinde und die Einwohnergemeinde von Neuenburg auf, ihm ohne Zögerung den Entwurf einer neuen Uebereinkunft vorzulegen, und bemerkte hiebei, daß dieser nur dann die staatliche Genehmigung ertheilt werden könne, wenn die ganze öffentliche Verwaltung der Einwohnergemeinde zugewiesen werde,, mit einziger Ausnahme der bürgerlichen Armenpflege und der Administration des bürgerlichen Vermögens. Im Weitern fügte der Staatsrath in dem gleichen Schreiben bei, daß das Gymnase latin jedenfalls mit dem 1. April 1873, als dem Datum des Ablaufes der (mit dem Staatsrath geschlossenen) Konvention betreffend die Akademie, an die Einwohnergemeinde abzutreten sei, mit Auschluß jedoch der zwei obersten Klassen dieses Institutes, welche gemäß dem Geseze vom 27. Juni 1872 mit dem kantonalen Gymnasium zu verschmelzen seien. Die übrigen öffentlichen Anstalten (services publics), welche die Burgergemeinde noch in der Hand halte, habe sie sofort nach Genehmigung der neuen Uebereinkunffc an die Einwohnergemeinde abzutreten. (Fact. V des Bundesratbsbeschlusses vom 14. März 1873.)

III. Der Verwaltungsrath der Burgergemeinde verlangte hierauf von dem Staatsrathe Auskunft, wie es sich bezüglich einer Reihe von Instituten verhalten soll, welche die Burgergemcindebisher als ihr ausschließliches Eigenthum behandelt habe.

Unterm 23. November 1872 ertheilte sodann der Staatsrath von Neuenburg folgende Antwort: Gemäß dem Geseze über die Einwohnergemeinden vom Jahr 1861 und dem Nachtragsdekrete vom 11. September 1872 gehe überall da, wo eine Einwohnergemeinde bestehe, die ganze öffentliche Ortsverwaltung an diese über. Die Burgergemeinde sei also nicht mehr die Repräsentantin der öffentlichen Ortsinteressen, sondern sie habe sich nur noch mit dem zu beschäftigen, was ausO i

855 schließlich die Ortsburger betreffe. Sie bleibe somit nur noch mit der Verwaltung des bürgerlichen Vermögens und der bürgerlichen Armenpflege belastet und habe alle ihre Einkünfte, welche. sie bisher zu. öffentlichen Zweken (services publics) verwendet, bis auf das, was für die bürgerliche Armenpflege und die gewöhnlichen Kosten für die Administration ihres Vermögens aufgewendet werden müsse, in die Kasse der Einwohnergemeinde abzuliefern.

Nach diesen Grundsäzen gehen die gesammten Schulanstalten an die Einwohnergemeinde über, welch' leztere dieselben nach Vorschrift des Gesezes zu organisiren habe. Die betreffenden Gebäulichkeiten seien der Einwohnergemeinde zur Verfügung zu stellen, dagegen sei nicht nöthig, daß ihr auch das bloße Eigenthum hieran abgetreten werde. -- Das Burgerspital, sowie das Waisenhaus verbleiben, als rein bürgerliche Anstalten, der Burgergemeinde. -- Die Kirchen und Alles, was sich auf den Kultus beziehe, müssen an die Einwohnergemeinde übergehen ; doch möge die Burgergemeinde auch hier das bloße Eigenthum sich vorbehalten. -- Was die Gemäklegallerie, die ethnographische und archäologische Sammlung, die Bibliothek, sowie das naturgeschichtliche Museum betreffe, so haben diese Institute einen allgemein öffentlichen Charakter, und es wäre daher am natürlichsten, daß sie ohne Weiteres an die Einwohnergemeinde abgetreten würden. Es werde indessen keine Schwierigkeit gemacht werden, wenn das Eigenthum der Burgergemeinde vorbehalten und bezüglich der Verwaltung bestimmt werden wolle, daß diese durch die beidseitigen Behörden in Gemeinschaft stattfinden soll.

IV. In dem oben angeführten Beschlüsse vom 14. März 1873 trat der Bundesrath nur in so weit auf den Rekurs der Burgergemeinde von Neuenburg ein, als derselbe gegen das Dekret des Großen Rathes vom 11. September 1872 gerichtet ist. Mit dieser Beschwerde wurde die Rekurrentin abgewiesen. Dagegen erklärte der Bundesrath in dem gleichen Beschlüsse, daß die Beschwerde, soweit sie auf die Beschlüsse des Staatsra.thes des Kantons Neucnburg vom 8. und 23. November 1872 sich beziehe, in erster Linie bei dem Großen Rathe dieses Kantons anzubringen sei (Erwägung 9}.

Gegen diesen Entscheid ergriff die Burgergemeinde von Neuenburg den Rekurs an die Bundesversammlung, welche am 28. Juli 1873 den Beschluß faßte : 1. Der Rekurs gegen das Dekret vom 11. September 1872 wird abgewiesen.

856 2. Ueber die Beschwerde gegen die Erlasse des Staatsrathes des Kantons Neuenburg vom 8. und 23. November 1872 ist vorerst vom Bundesrathe materiell zu entscheiden.

V. Inzwischen hatte sich der Verwaltungsrath der Burgergemeinde von Neuenburg (gemäß der erhalteneu Anleitung) an den Großen Rath von Neuenburg gewendet und das Gesuch gestellt, derselbe möchte erklären : 1. Que le décret du 11 Septembre 1872 ne prive point les communes du droit de disposer librement, sous la surveillance de l'Etat, du produit de leurs biens, après avoir versé à la municipalité les sommes nécessaires pour pourvoir aux dépenses mises à leur charge par la loi; 2. Que ce décret ne les prive point du droit d'entretenir et de diriger des établissements d'instruction, soit pour leurs ressortissants, soit aussi pour d'autres élèves ; 3. Que ce décret ne les prive point du droit de recevoir des donations et d'en exécuter les charges, pour des objets d'utilité publique ; 4. Que l'autorité judiciaire est seule compétente pour connaître des différends entre communes et municipalités, en ce qui concerne leurs rapports financiers et spécialement en ce qui concerne l'interprétation et l'application des donations et testaments; 5. Qu'en conséquence, le Conseil d'Etat est invité à rapporter ses arrêtés des 8 et 23 Novembre 1872.

Unterm 20. Juni 1873 schritt jedoch der Große Rath des Kantons Neuenburg über diesen Rekurs zur Tagesordnung, weil der Staatsrath bei den fraglichen Beschlüssen vom 8. und 23. November 1872 inner seiner Kompetenz gehandelt habe, und weil diese in strikter Vollziehung des Dekretes vom 11. September 1872 erlassen worden seien. Die Genehmigung der Schlüsse der Rekurrentin müsste eine Verwirrung (bouleversement) der klarsten Begriffe und der durch die Verfassung und die Geseze aufgestellten Grundsäze ·'o1zur Folge haben.

VI. Mit Eingabe an den Bundcsrath vom 28. Juni 1873 ersuchte hierauf der Verwaltungsrath der Burgergemeinde Neuenburg : der Bundesrath, resp. die Bundesversammlung, möchte die Aufhebung der fraglichen Beschlüsse vom 8. und 23. November 1872, sowie des so eben erwähnten Dekretes des Großen Rathes vom

857 20. Juni 1873 beschließen. Zur Unterstüzung berief sich der Verwaltungsrath wesentlich auf die gleichen Gründe, welche er schon in seinen frühern Eingaben an den Bundesrath (vom 4. Januar und 22. Februar 1873) gegen das Dekret und gegen diese Erlasse des Staatsrathes von Neuenburg geltend gemacht hatte.

Der leztere antwortete unterm 5. Juli 1873 und bemerkte namentlich, daß bei diesem zweiten Rekurse im Grunde wieder die gleichen Fragen aufgeworfen werden, über welche bereits in dem Bundesrathsbeschlusse vom 14. März 1873 entschieden worden sei.

Die fraglichen Erlasse haben keinen andern Zwek, als das Dekret vom 11. September 1872 gegenüber der Burgergemeinde von Neuenburg zur Vollziehung zu bringen; sie seien durchaus im Einklänge mit diesem Dekrete, sowie mit dem Municipalgesez vom Jahr 1861 und mit den einschlägigen Bestimmungen der kantonalen Verfassung.

In Erwägung: 1) Die Vollziehung der kantonalen Geseze ist ausschließlich Sache der Kantonsbehörrden, und die Bundesbehörden können in dieser Beziehung nur dann ihre Intervention eintreten lassen, wenn nachgewiesen wird, daß bei einer solchen Gesezesvollziehung Rechte beeinträchtigt worden sind, welche durch die Bundesverfassung oder durch die betreffende Kantonsverfassung gewährleistet sind.

2) Diese Voraussezung trifft im vorliegenden Falle nicht zu, denn die rekurrirten Beschlüsse sind, wie der Große Rath des Kantons Neuenburg selbst ausgesprochen hat, um eine strikte und wörtliche Vollziehung des Dekretes vom 11. September 1872, welch' lezteres den Grundsaz aufstellt, daß die ganze öffentliche Verwaltung den Einwohnergemeinden obliege und von Rechteswegen an diese übergehen, indem den Burgergemeinden nur noch die Unterstüzung der ortsburgerlichen Armen und die Administration des bürgerlichen Vermögens überbunden bleiben, und welches Dekret dem Staatsrath ausdrüklich die Sorge dafür zuweist, daß die zwischen Burgergemeinden und den Einwohnergemeinden bestehenden Vereinbarungen, die mit diesem Grundsaze nicht im Einklänge stehen sollten, unverzüglich im Sinne der Vorschriften des Dekretes revidirt werden.

3) Es ist hier nicht weiter zu prüfen, ob durch das Dekret selbst, gegen dessen Vollziehung rekurrirt wird, verfassungsmäßige Grundsaze verlezt worden seien, indem in dieser Richtung die Bundesbehörden sich bereits in ihren frühern Beschlüssen (der Bundes-

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rath im Beschlüsse vom 14. März 1873 und die Bundesversammlung im Beschlüsse vom 28. Juli 1873) ausgesprochen haben, beschlossen: 1. Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Sei dieser Beschluß dem Staatsrathe des Kantons Neuenburg, sowie dem Verwaltungsrathe der Burgergemeinde von Neuenburg, unter Rükschluß der Akten mitzutheilen.

B e r n , den 15. August 1873.

Im Namen des schweizerischen Bundesrathes, Der Bundespräsident: ·

Ceresole.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den zwischen der schweizerischen Centralbahngesellschaft und der kais. deutschen Generaldirektion der Eisenbahnen in Elsass-Lothringen am 15. Juli 1873 abgeschlossenen Vertrag über Verwaltung und Betrieb der Eisenbahnstreke Basel-St. Louis.

("Vom 23. September 1873.)

Tit. !

Mit Zustimmung des Bundes hatte die Gesellschaft der Schweiz.

Centralbahn, nachdem sie die Verbindungslinie zwischen ihrem Bahnhof in St. Elisabeth und der französischen Ostbahn gebaut, den Betrieb derselben der leztern übertragen. Die Gesellschaft der französischen Ostbahn wurde in Folge der Kriegsverhältnisse von 1870--71 und der daran sich knüpfenden Annexion von Elsaß und Lothringen außer Stand gesezt, ihren daherigen Verpflichtungen länger nachzukommen, weßhalb der Betrieb des Stükes vom 1. Mai 1872 an von der Centralbahn auf eigene Rechnung übernommen wurde. Sie that dies in der Meinung, daß die Verwaltung dieses nur 12,523 Fuß langen Verbindungsgliedes nicht «dauernd in ihren Händen verbleibe, vielmehr naturgemäß wieder au

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Bundesrathsbeschluss in Sachen des Rekurses des Verwaltungsrathes der Burgergemeinde von Neuenburg, betreffend Verfassungsverlezung. (Vom 15. August 1873.)

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1873

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44

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

04.10.1873

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853-859

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