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Ich habe hiemit die wichtigsten Artikel, welche hauptsächlich den Handel hiesiger Stadt und Provinz begründen, der Reihe nach ziemlich weitläufig behandelt und bezwecke, noch zum Schluß einige Worte über das gesellige Leben der hiesigen Schweizer-Colonie beizufügen. Es existirt in Ancona ein Verein ,,Concordia", deren Mitglieder Schweizer und Deutsche sind. Die Zahl dieser Mitglieder belauft sich auf circa 30, und besitzt die Gesellschaft ein eigenes Local mit Billard, sowie auch in der Nähe der Stadt eine Kegelbahn. Als Pendant zu dieser Gesellschaft hat sich ein Unterstützungsverein für bedürftige Landsleute gegründet und ist es erfreulich, zu sehen, wie diese beiden Gesellschaften gedeihen und besonders Letztere ihren Wirkungskreis immer mehr ausdehnt. Die hier ansäßigen Schweizer und Deutsche haben sich bemüht, und ,es ist ihnen auch mit schweren Opfern gelungen, einen Pfarrer (Schweizer), welcher gleichzeitig Unterricht der hier anwachsenden Jugend ertheilt, anzustellen.

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Bericht des

Schweiz. Konsuls in Chicago (Hrn. Heinrich Enderis von Schaffhausen) über das Jahr 1872.

(Vom Juli 1873.)

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

Innerhalb verflossener 12 Monate haben in Chicago, wie be.

kannt, große Veränderungen stattgefunden.

Wie ein Phoenix hat sich die Stadt aus der Asche erhoben und wird, wenn vollends aufgebaut, den schönsten, größten Städten

990 der Welt zur Seite gestellt werden können. War der Unternehmungsgeist der Chieagoer schon vor dem Brande unübertroffen, so gab ihm die Feuerprobe einen Impuls, der alle früheren Leistungen auf dem Gebiete des Handels und der Industrie weit hinter sich zurück läßt.

Der Verdienst während des ersten Jahres nach dem Brande war unter allen Classen der Bevölkerung ein höherer, als je zuvor, die erlittenen Verluste wurden dabei mehr oder weniger ausgemerzt und gemildert.

Man muß sich oft staunend fragen, woher all' das Geld kommen mag, um in so kurzer Zeit diese colossalen Geschäftspaläste und riesigen Hôtels aufzuführen, diese großen Magazine anzufüllen, deren einzelne ihren Vorrath nach Millionen zählen.

Wenn man erwägt, daß der effective Verlust durch das Feuer an § 190 Millionen betrug, so läßt sich leicht errathen, daß diese großartigen Schöpfungen wesentlich fremdem Capital und Crédit ihren Ursprung verdanken.

Daß die bezüglichen Schulden verzinst und successive heimbezahlt werden müssen, liegt auf der Hand, und dabei kann man sich der Befürchtung nicht ganz erwehren, daß der Zeit der Glorie, Hülle und Fülle früher oder später eine Reaktion folgen möchte, welche gewiß zur größten Vorsicht mahnt. Schon jetzt fließen die Quellen der Einnahmen nicht mehr so reichlich wie im Jahre 1872.

Verdienstlosigkeit, Stagnation im Handel und eine große Geldklemme beginnen sich empfindlich fühlbar zu machen.

Neue Ankömmlinge leiden darunter am meisten. Tausend von ö Arbeitern umlagern täglich die verschiedenen Placirungsbüreaux, ohne Anweisung auf Beschäftigung finden zu können. Die Einwanderer scheinen überhaupt von dem Wahn befangen zu sein, in Chicago ihr Eldorado zu finden.

Dieser Glaube seheint ihnen schon in Europa, und dann in Newyork, wo man sich ihrer gern so schnell als möglich entledigt, eingeimpft zu werden.

Es ist unerklärlich, wie diese Leute oft ihren letzten Dollar daran wenden, um schnurstracks nur nach Chicago zu gelangen, anstatt sich schon auf ihrem Wege nach hier nach einem Unterkommen umzusehen.

Daß hier keine Versorgungs-Anstalten irgend welcher Art für sie bestehen, und es auch in Chicago so gut wie anderwärts heißt: ,,Hilf dir selbst," daran scheinen diese guten Leute gar nicht zu denken.

991 Auch unsere Bauern im Westen hatten in letzter Zeit einen harten Stand in Folge niederer Produktenpreise, die oft faktisch nicht die Produktionskosten, in manchen Fällen nicht einmal die Fracht nach östlichen Märkten deckten. Unsere Farmer seufzen unter dem Alp der Eisenbahn monopole. Ein Druck an der Sehraube des Frachttarifs, und der Gewinn, welchen der Bauer im Schweiße seines Angesichts erworben zu haben glaubte, ist vernichtet.

Da dieses Joch geradezu unerträglich wurde, so entbrannte denn auch im ganzen Lande ein förmlicher, wohl organisirter Bauernkrieg gegen die Eisenbahn-Raubritter.

Illinois, mit E'ritz Hecker als Pionier, ist in diesem Kampfe der Schauplatz des Vorspiels. Der erste active Schritt bestand in der Erwählung von Districtrichtern, die dem Eisenbahndespotismus entgegenstehen. Dieser glückliche Erfolg berechtigt zur Hoffnung auf Durchsetzung weiterer Maßregeln.

Haben sich die Verhältnisse in dieser Beziehung gebessert, s& werden auch die entlegenen Ländereien in Nebraska, Kansas, Dakotah u. s. w. für Ansiedler werthvoller werden. Da vom Westen die Rede ist, so sei uns auch ein Blick jenseits des Felsengebirges, nach der Küste des stillen Ozeans vergönnt, die seit der Eröffnung der Pacificbahnen uns nähergerückt worden ist. Auch dort haben sich leider die Arbeiterverhältnisse seit dem Import von Chinesen düsterer gestaltet. Auf der niedrigsten Stufe stehend, ohne die geringsten Bedürfnisse, liefert dieses Volk die Arbeit zu einem Preise, mit welchem der weiße Mann nicht concurriren kann. Dieser abscheuliche Cooliehandel hat übrigens eine so schamlose, haarsträubende Gestalt angenommen und beginnt, ein so gefährliches Proletariat zu erzeugen, daß Excesse und Reaktion nicht mehr lange auf sich warten lassen dürfen.

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Daß unter den großen Schwierigkeiten, mit welchen der Einwanderer zu kämpfen hat, und bei dem vielen Elend, dem er oft anheim fällt, in Chicago, als der Metropole des Westens und dem Knotenpunkte seiner sämmtlichen Eisenbahnnetze, irgend eine Institution zur Unterstützung schweizerischer Einwanderer von Nöthen ist, kann unmöglich in Abrede gestellt werden.

Eine Anzahl in Chicago wohnender Schweizer haben sich, Dank der Ermunterung des hohen Bundesrathes, im Jahre 1872 zu einer schweizerischen Wohlthätigkeits-Gesellschaft organisirt mit dem Zweck,
hauptsächlich hilfsbedürftigen Einwanderern mit Rath und That an die Hand zu gehen und so in die Bresche zu treten, bis effektivere Maßregeln für dieses Bedürfniß getroffen sein werden.

Durch den Chicagoer Grütliverein und den Sohweizer-Mä-nnerehor wird diese Gesellschaft unterstützt.

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992 , Bezüglich Importes von Europa erlaubt sich der Unterzeichnete an den wichtigen Umstand zu erinnern, daß Chicago jetzt ein direkter Importhafen und damit des unangenehmen Druckes, die Waaren in Newyork verzollen lassen zu müssen, enthoben ist.

Unsere Kaufleute, respective Importeure, ersparen dadurch auf jede Kiste ca. 3--4 $ Spesen und können überhaupt das ganze Geschäft ohne Vermittlung irgend welcher Mäkler an hiesigem Platze selbst besorgen.

Da in hiesigem Zollhause alle Takturen der Reihe des Einganges nach, ohne irgend welche Classifizirung, registrirt werden, so konnte nicht ermittelt werden, wie viele Waaren direkt aus der Schweiz anher gelangten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß schweizerische Exporteure bei direktem Verkehr mit hiesigen En-gros-Häusern ihren Absatz nach Amerika vermehren könnten. Durch Vermittlung des Unterzeichneten wurden bereits einige derartige Verbindungen eingeleitet.

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Bericht des

Schweiz. Konsuls für Ungarn-Pest (Hrn. U. Keller von Oberegg, Thurgau) über das Jahr 1872.

(Vom 19. Juli 1873.)

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

Erfreulich ist der Aufschwung, den im Verflossenen Jahre der Eisenbahnbau in Ungarn genommen hat. Am Schlüsse des Jahres 1871 besaß Ungarn Eisenbahnen in dar Länge von 579.91 Meilen

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Bericht des Schweiz. Konsuls in Chicago (Hrn. Heinrich Enderis von Schaffhausen) über das Jahr 1872. (Vom Juli 1873.)

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1873

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18.10.1873

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989-992

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