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Schweizerisches Bundesblatt.

XXV. Jahrgang. IV.

Nr. 51.

22. November 1873.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz); 4 Franken.

E i n r ü k u n g s g e b ü hr per Zeile 15 Bp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

' Druk und Expedition der Stämpflischen Buchdruckerei in Bern.

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Bundesrathsbeschluss betreffend

die Rekurse der katholischen Kirchgemeinderäthe und Pfarrgeistlichen des bernischen Jura.

(Vom 15. November 1873.)

Der schweizerische Bundesrath, nach Einsicht der unterm 30. und 31. Oktober 1873 von den Kirchgemeinderäthen der katholischen Pfarreien des bernischen Jura eingereichten Rekurse und Verwahrungen gegen die vom Regierungsrathe des Kantons Bern am 6. Oktober 1873 beschlossene Verordnung betreffend die Organisation des öffentlichen Kultus in besagten Gemeinden, welche Rekurse dahin schließen: es wolle der* Bundesrath ,,1) in den Amtsbezirken des bernischen Jura die freie Aus,,übung des öffentlichen Gottesdienstes der römisch-katholischen Re,,ligion schüzen und die Behörden des Kantons Bern anweisen, ,,sich aller Vollziehungsmaßregeln auf Grund des Abberufungs,,urtheils des Appellationshofes von Bern gegen 69 Pfarrer vom ,,15. September 1873 zu enthalten; ,,2) demgemäß auch die vom Regierungsrathe des Kantons Bern ,,zufolge Dekrets des Großen Rathes vom 26. März 1873 unterm Bundesblatt. Jahrg. XXV. Bd. IV.

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,,6. Oktober 1873 erlassene Verordnung betreffend die Organisation ,,des öffentlichen Kultus in den katholischen Gemeinden des neuen ,,Kantonstheiles aufheben."

nach Einsicht der Rekurse beziehungsweise Verwahrungen, welche unterm 30. Oktober und 3. November 1873 von den durch Urtheil des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern vom 1-5. September lezthin abberufenen katholischen Pfarrer aus dem bernischen Jura sowohl, gegen das erwähnte Urtheil des Appellationsünd Kassationshofes, als gegen die angeführte Verordnung der Regierung vom 6. Oktober 1873 an ihn gerichtet worden sind; nach Einsicht einer von einigen Bürgern des bernischen Jura als Abgeordneten mehrerer Volksversammlungen katholischer Jurassier unterm 30. Oktober 1873 eingereichten Vorstellung, welche dahin schließt: es möge der Bundesrath ,,1) sofort und unvorgreiflich jedem Entscheide über die gegen,,wärtig bei den Bundesbehörden in Sachen des Konfliktes im Bisthum ,,Basel hängigen Rekurse die nöthigen Maßregeln treffen, um der ,,katholischen Bevölkerung des bernischen Jura die freie Ausübung ,,des Gottesdienstes der römisch-katholischen Religion zu sichern, ,,2) als die Religionsfreiheit verlezend und die freie Ausübung ,,der römisch-katholischen Religion beeinträchtigend, alle vom Re,,gierungsrathe des Kantons Bern behufs Vollziehung des Abbe,,rufungsurtheils gegen die 69 jurassischen Geistlichen erlassenen ,,Verfügungen und namentlich die vom Regierungsrathe zufolge ,,Dekrets des bernischen Großen Rathes vom 26. März 1873 unterm ,,6. Oktober beschlossene Verordnung aufheben."

nach Einsicht einer Zuschrift vom 10. November 1873, womit vier Mitglieder des Kirchgemeinderathes von Pruntrut verlangen, daß der Bundesrath ,,die Regierung von Bern anweise, den Katho,,liken von Pruntrut zum Gebrauche und für die täglichen Bedürf,,nisse ihres Gottesdienstes wenigstens eine gegenwärtig nicht be,,nuzte Kirche in besagtem Pruntrut zu überlassen ;" in Betracht, daß der Regierungsrath des Kantons Bern, eingeladen, sich beförderlichst über das vorläufige Aufschubsbegehren auszusprechen, in seiner Vernehmlassung vom 8. November 1873 dahin schließt, der Bundesrath möge über dieses Begehren zur "Tagesordnung schreiten ; in E r w ä g u n g : zunächst b e z ü g l i c h d e s v o r l ä u f i g e n S u s p e n s i o n s begehrens,

331 daß für eine entsprechende Anordnung die Bundeskompetenz bestimmt festgestellt sein, Dringlichkeit bestehen und im Rekurse Thatsachen angerufen sein müßten, welche die Annahme gestatten, daß das eidgenössische Recht oder eine Kantonsverfassung verlezt worden sei; daß diese Voraussezungen gegenwärtig nicht zutreffen; in s a c h l i c h e r B e z i e h u n g sodann und in Betreff des Urtheils des Appellations- uud Kassationshofes vom 15. September 1873, daß dieses Urtheil von einer kompetenten Gerichtsbehörde ausgefällt ist, daß eine abgeurtheilte Sache vorliegt und daß der Bundesrath weder befugt noch berufen ist, ein solches Urtheil zu revidiren ; daß infolge dieges Urtheils und kraft der ihm durch den Großen Rath unterm 26. und 29. März 1873 übertragenen Gewalten der Regierungsrath des Kantons Bern 69 vom Appellationsgerichte abberufenen Pfarrern untersagt hat, kirchliche Verrichtungen in den dem katholischen Gottesdienste gewidmeten Kirchen auszuüben, daß er ferner als dringlich verschiedene Anordnungen, betreffend die provisorische Umschreibung der Pfarreien, die Bestellung neuer Pfarrer, die Führung der Civilstandsregister und die bürgerliche Eheschließung, getroffen hat; daß diese Maßnahmen unter Anderem Gegenstand der Verordnung des Regierungsrathes vom 6. Oktober 1873 sind, gegen welche ganz besonders Beschwerde erhoben wird; daß diese Verordnung von einer Kantonsregierung kraft besonderer, vom Großen Rathe ihr verliehener Vollmacht erlassen worden ist; daß nach der Bundesverfassung vom 12. September 1848 alles, was auf die Einrichtung des Kirchenwesens sich bezieht, unbedingt Sache der Kantone ist; daß die Eidgenossenschaft jedoch gegen Anordnungen der kantonalen Behörden einschreiten kann, welche den durch die Bundesverfassung gewährleisteten Rechten zuwider sind; daß der Art. 44 der Bundesverfassung die freie Ausübung des Gottesdienstes der anerkannten christlichen Konfessionen im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet; daß durch diese Bestimmung der Verfassung bezwekt wurde, jedem zu einer der christlichen Konfessionen sich bekennenden Ein-

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beschließt : Art. 1. Das vorläufige Suspensionsbegehren und die Rekurse eind abgewiesen.

Art. 2. Der gegenwärtige Beschluß ist Herrn Casimir Folletête, Advokat und Grossrath in Pruntrut, zuhanden derRekurrenten,, und dem Regierungsrathe des Kantons Bernmitzutheilen..

Also beschlossen, Bern, den 15. November 1873.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d en t:

Ceresole.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Bericht der

ständeräthlichen Kommission, betreffend Bestellung und Geltendmachung von Pfandrechten.

(Vom 29. Oktober 1873.)

Es kann vor Allem die Frage aufgeworfen werden, ob und gestützt auf welchen § der Bundesverfassung, der Bund sich eine · Competenz über das Gesetzgebungsrecht der Kantone erlauben darf.

Die Gesetzgebung über das Hypothekenwesen ist Sache der kantonalen Gesetzgebung, und es ist allerdings ein Eingreifen des Bundes in eine ihm bis jetzt nicht zugestandene Sphäre, wenn er betreffs der Pfandrechte an den Eisenbahnen ein Gesetz erläßt.

Dagegen ist eine einheitliche Gesetzgebung in dieser Beziehung so unbedingt vorgezeichnet und liegt so sehr in der Natur der Verhältnisse, daß gegen eine Regulirung dieser Frage durch die Bundesbehörden von keiner Saite Opposition gemacht wurde.

Die Macht der Verhältnisse und die zwingende Nothwendigkeit, die Verkehrsverhältnisse rationell zu ordnen, war stärker als alle Bedenken und sonst bindenden Schranken der Verfassung.

Es hat denn auch die Gesetzgebung der Eidgenossenschaft diese Frage bereits gelöst, ohne daß von irgend welcher Seite ernstlich Einwendung erhoben worden wäre.

§ 11 des Eisenbahngesetzes stellt fest: Ein Bundesgesetz wird über die Bestellung und Geltendmachung von Pfandrechten, sowie

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Bundesrathsbeschluss betreffend die Rekurse der katholischen Kirchgemeinderäthe und Pfarrgeistlichen des bernischen Jura. (Vom 15. November 1873.)

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22.11.1873

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329-334

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