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Schweizerisches Bundesblatt.

XXV. Jahrgang. III.

Nr. 40.

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6. September 1873.

Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über den Rekurs der Regierung von Graubünden, betreffend das Siegeln von Weinfässern.

(Vom 11 August 1873.)

Tit. !

Die Regierung von Graubünden tritt dein Bundesrathsbeschluss ·vom 31. Mai d. J. mit Einwendungen zweierlei Art entgegen.

Ihrer Meinung nach ist die Vorschrift, die Gefäße, welche dea Gegenstand eines Ursprungszeugnisses bilden, mit dem Siegel der Gemeinde, a.us welcher die Versendung geschieht, versehen zu lassen, gleichzeitig ein sichereres Kontrolmittel für die das Ohmgeld beziehende Verwaltung, als auch ein bequemeres Mittel für die Versender, um die Herkunft der Getränke zu konstatiren. Sicherer, indem es nur selten vorkommen wird, daß unter amtlichem Siegel sich befindliche Getränke unterwegs durch fremde ersezt werden; bequemer für das Publikum, indem der gute Zustand der Siegel es der betreffenden Ohmgeldbehörde ermöglichen wird, von einer für den Empfänger lästigen Verifikation Umgang zu nehmen.

Der Kanton Graubünden befindet sich in einer Ausnahmsstellung. Im Jahre 1849, als die kantonalen Einfuhrzölle auf Getränke festgestellt wurden, mußte derselbe, infolge Unterlassung Bundesblatt.Jahrg.XXV.Bd.il1-

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rechtzeitiger Angaben, auf den Zollbezug auf. Getränke schweizerischen Ursprungs verzichten. Dieser Umstand bietet denjenigen, welche ausländische Getränke einführen, Gelegenheit, die bezüglichen Vorschriften zu umgehen; der Kanton Graubünden kann daher den Kantonen Bern und Luzern, welche auf die amtliche Siegelung der Fässer verzichtet haben, nicht gleichgestellt werden, indem die Getränke schweizerischen Ursprungs in diesen beiden Kantonen ebenfalls besteuert werden, und somit die aus der Verschiedenheit des Ursprungs sich für den Fiskus ergebende Differenz von geringerer Bedeutung für diese ist als für den Kanton Graubünden.

Der Rekurs zitirt zwei Fälle, in welchen Behörden des Kantons Zürich Ursprungszeugnisse für ausländische Getränke ausgestellt haben ; einer dieser Fälle betrifft eine mit dem Gemeindesiegel von Affoltern a. A. versehene Kiste, deren Inhalt sich aus 34 Flaschen Malaga, Muskateller und Champagner bestehend, ergab.

Ein dritter Fall weist nach, daß in gewissen Fällen falsche Siegel augewendet wurden, um das Ohmgeld zu umgehen.

Schließlich protestili der Rekurs gegen die Naehläßigkeit, mit welcher oft Ui'sprungszeugnisse ausgestellt werden; er sezt voraus, die Lokalbehörden seien gehalten, sich über die Natur der Getränke, für welche sie solche ausstellen, genau zu überzeugen.

Die in zweiter Reihe in dem Rekurs erhobenen, sich auf den Standpunkt des Rechtes stellenden Einsprachen sind folgende: Das von der Bundesversammlung am 20. Juli 1872 genehmigte Postulat hatte nur Bezug auf die Form der Ursprungserzeugnisse und keineswegs auf die Formalitäten, welche von den Kantonen 'verlangt wurden.

Der Bundesrathsbeschluß vom 29. November 1872 beschränkte sich darauf, die Form der Ursprungszeugnisse festzustellen in Uebereinstimmung mit den Beschlüssen der am 29. November 1869 in Ölten stattgehabten Delegirtenversammlung der Ohmgeldkantone, welche zum . Zwek hatte, eine einheitliche Form für die Ursprungsv zeugnisse zu bestimmen.

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Der Rekurs . behauptet ferner,. es könne einem Artikel der Bundesverfassung durch einen Bundesrathsbeschluß nicht eine bindende Interpretation gegeben werden, dieses Recht stehe nur der Bundesversammlung zu, deren Ausspruch in Angelegenheiten fiskalischer Natur überdies einem gerichtlichen Urtheil unterzuordnen sei. Das Postulat der Bundesversammlung,
welches den Bundesfath 'beauftragte, darauf h i n z u w i r k e n , daß die von Ohmgeld bezie henden Kantonen geforderten Ursprungszeugnisse für Getränke schwei-

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zeiischer Herkunft in eine Form gebracht werden, welche die Verkehrsfreiheit so wenig als möglich hemmt, scheine demselben nicht die nothwendigen Vollmachten zu geben, um in dieser Sache einen obligatorischen Beschluß zu fassen.

Gestüzt auf diese Gründe, stellt der Rekurs das Gesuch an die Bundesversammlung, den Beschluß vom 31. März zu annulliren und zu erklären, es sei der Stand Graubünden ermächtigt fortzufahren, für Getränke schweizerischen Ursprungs die amtliche Siegelung von Seite der Behörde des Absendeortes zu verlangen.

Diese Einwendungen nach ihrer Reihenfolge beleuchtend, legt der Bundesrath der Bundesversammlung Folgendes dar: Die Verpflichtung, die Gefäße, Kisten oder Fässer mit Siegel zu versehen, bietet seiner Meinung nach kein so sicheres Mittel, die Echtheit der Sendungen festzustellen, als dies die Regierung von Graubünden glaubt. Die von ihr angeführten Thatsachen beweisen nur, daß sie, um sich mit Erfolg gegen vorkommende Fälschungen schüzen zu können, nothwendigerweise zu energischen Mitteln greifen muß, deren Anwendung ihr die eigenen Geseze und die derjenigen Kantone, durch deren Ursprungszeugnisse sie benachtheiligt wurde, erlauben, indem die Anwendung falscher Siegel ein Vergehen ist, welches überall geahndet werden kann, sobald die nöthigen Beweise hieflir geleistet werden. Seitdem die Transportmittel so bedeutend verbessert worden, hat nicht nur der Waarcnverkehr sehr zugenommen, sondern es haben sich auch die kleineren Waarensendungen bedeutend vermehrt, und daher die Schwierigkeit, wenn nicht Unmöglichkeit für die lokalen Behörden, eine thatsächliche Oberaufsicht über Sendungen zu fuhren, deren Inhalt und Beschaffenheit sie zu bescheinigen hat.

Die Kantone Bern und Luzern haben, erstem- durch Regierutjgsbeschluß vom 21. Dezember 1869, lezterer durch ein Gesez vom 11. März 1871 beschlossen, es seien mit Zeugnissen versehene, Getränke enthaltende Fässer und Kisten in Zukunft nicht mehr zu versiegeln oder zu plombiren, indem diese Kantone aus Erfahrung und in Uebereinstimmung mit den .Beschlüssen der Oltener Konferenz vom 29. November 1869, bei welcher 10 kantonale Behörden vertreten waren, eingesehen hatten, daß die durch diese Formalität gebotene Garantie die durch sie verursachten Unannehmlichkeiten nicht aufwiege.

Die Garantie für den Kanton, in welchem Getränke
eingeführt werden, liegt in der Deklaration des Waarenführers, welcher das Ohmgeld zu entrichten hat; je nach dem Grad von Vertrauen, welches dieser der Verwaltung einflößt, wird sich dieselbe ent-

492 schließen, eine Verifikation vorzunehmen oder nicht; in der Strenge der Strafen, mit welchen sie falsche Deklarationen ahndet, muß sie ihre Garantien finden. . Diese beiden Elemente sind in ihrer Hand, und es fallt ihr anheim, davon Gebrauch zu machen.

Eine weitere Garantie liegt in den Ursprungszeugnissen und beruht auf der gleichen Grundlage, nemlich dem Vertrauen, welches die das Ursprungszeugniß ausfertigende Behörde in die Deklaration des Versenders legt. In Wirklichkeit ist diese Behörde eine rein administrative, sie ist nicht wie diejenige, welcher der Ohmgeldbezug an der Grenze obliegt, dazu auserlesen, um Verifikationen vorzunehmen, sie kann nur- ihre moralische Ueberzeugung beglaubigen, daß die abgegebene Deklaration eine der Wahrheit getreue sei, jedoch eine Untersuchung und die Bestrafung einer allfälligen falschen Deklaration liegt nicht in ihrer Hand.

Zu diesen Erwägungen gesellt sich noch eine weitere, welche den Bundesrath zu seinem Vorgehen bestimmte: Nach dem Ohmgeldreglement von Graubünden müssen nicht nur die Collis mit Siegeln versehen sein, sondern diese müssen auch unversehrt vorgewiesen werden. -- Zur Zeit nun, als die Getränke per Achse transportirt wurden und diese, nachdem sie vor der Thür des Versenders aufgeladen, nicht mehr abgeladen wurden als vor der Thür des Empfängers, war es möglich, die angebrachten Siegel unversehrt zu erhalten ; jezt aber, wo der Transport per Achse nur noch ausnahmsweise vorkommt, sind die Umstände, durch welche die Erhaltung der Siegel ermöglicht wurden, vollständig geändert; es ist daher nicht mehr möglich, einer Bestimmung, welche die Steuerfreiheit von der guten Beschaffenheit eines so zerbrechlichen Dinges, wie ein Siegel abhängig macht, noch fernerhin die Genehmigung zu ertheilen. -- Vom praktischen Standpunkte aus ist daher die Entziehung der Genehmigung des Art. 2 des bündnerischen Ohmgeldreglements eine durchaus begründete, und rechtfertigt die Maßnahme des Bundesrathes vor der Voraussezung, als werde dadurch bezwekt, die von der bündnerischen Verwaltung verlangten Garantien zu schmälern ; sie hat einzig die Aufhebung einer in den meisten Fällen unnüzen Maßregel im Auge,- durch welche ^die Vollziehung der im Art. 32, Alinea c der Bundesverfassung enthaltenen Vorschrift: ,,die E r z e u g n i s s e s c h w e i z e r i s c h e n
U r s p r u n g s sind mit n i e d r i g e r e n G e b ü h r e n zu b e l e g e n als diej e n i g e n des A u s l a n d e s , " 1 von einer kaum zu verwirklichenden Bestimmung abhängig gemacht wird.

Was die aus dem Standpunkte des Rechtes geschöpften Einwürfe betrifft, so ist hervorzuheben, daß das Postulat der Bundesversammlung vom «Juli 1872 in der dasselbe begründenden Bot-

493 Schaft auf die gemachte Beobachtung hinweist, daß Art. 32, Alinea a der Bundesverfassung durch die kantonalen Réglemente nicht genügend seine Vollziehung erhielt. Die Botschaft legte dar, daß jeder Kanton seine eigenen Vorschriften über die Form der Ursprungszeugnisse hatte, die einen freisinnig, andere theilweise sogar mit lastigen Maßregeln verbunden. Indem die Bundesversammlung dieses Postulat beschloß, bezwekte sie augenscheinlich die Abschaffung der zu zahlreichen gegründeten Klagen Anlaß gebenden Mißbräuche.

Es wird schwierig sein, eine Vorschrift zu finden, welche bei den jezigen Transportverhältnissen mit besserem Recht verurtheilt werden könnte als diejenige, welcher der Bundesrath seine Genehmigung entzogen hat und welche den Gegenstand des Rekurses ausmacht. Wenn die Regierung von Graubünden anführt, die Anfrage der Gemeinde Richterschwyl, Kts. Zürich, ob die Formalität der amtlichen Siegelung für nach dem Kanton Graubünden gesandte Getränke aufgehoben sei, berechtige zu dem Glauben, sie halte diese Formalität mit dem Bundesrathsbeschluß vom 29. November 1872 vereinbar, so kann man dagegen einwenden, Graubünden sei der einzige Kanton, welcher es für nüzlich erachte, dieselbe beizubehalten, und daß die durch obigen Beschluß festgestellte Form der Ursprungserzeugnisse, in welcher die förmliche Erklärung von Seite der Behörden ausgesprochen ist, sie seien moralisch von dem schweizerischen Ursprung des Getränkes, für welches das Zeugniß ausgestellt wird, überzeugt, den Forderungen der kantonalen Behörden vollkommen Genüge geleistet habe. In einem einzigen, im Kanton Glarus vorgekommenen Falle sah sich der Bundesrath in der Lage, die Aufhebung hindernder Vorschriften zu verlangen, welchem Begehren die Regierung dieses Kantons sofort nachgekommen ist.

Wenn man schließlich prüft, ob die im Art. 32 der Bundesverfassung enthaltenen Vorschriften zur Entziehung der Genehmigung einer durch ein Ohmgeldreglement vorgeschriebenen Formalität berechtigen, kann man nicht verkennen, daß dieser Artikel einen Thatbestand feststellt, welcher durch die von den Kantonen zu ergreifenden, vom Bundesrath zu genehmigenden Maßregeln seine Verwirklichung finden soll. In gleichem Maße, wie es den Kantonen freisteht, ihre Réglemente zu modifiziren, um die Vollziehung ihrer Vorschriften zu sichern, kann man der
Bundesbehörde das Recht, eine gegebene Genehmigung zu entziehen, nicht verweigern, wenn man sieht, welche bedenklichen Schwierigkeiten eine genehmigte Maßregel nach sich zieht.

494 In diesem speziellen Falle wurden diese Schwierigkeiten durch die Veränderungen in den Transporteinrichtungen hervorgerufen, und es wurde dadurch die Verkehrsfreiheit, deren Schuz durch den Art. 32 der Bundesverfassung hauptsächlich bezwekt wird, sehr in Frage gestellt.

Als einen ähnlichen Vorgang kann der Bundesrath anführen, daß er unterm 15. Juni 1870 die Regierung des Kantons Luzern aufforderte, gewisse Bestimmungen ihres Ohmgeldreglements vom Jahre 185Ì zu verändern, obschon er diesen durch Beschluß vom 28. Januar 1852 seine Genehmigung ertheilt hatte, worauf, der Große Rath dieses Kantons die gewünschten Modifikationen beschloß.

Es kann ferner bemerkt werden, daß die vom Bundesrath genehmigten kantonalen Tarife, welche Wein in Doppelfässern höher besteuerten, als solchen in einfachen Fässern, ebenfalls modifizirt wurden durch die von der Bundesversammlung beschlossene Annahme der im Vertrag mit Frankreich vom Jahre 1864 enthaltenen Bestimmungen, nach welchen nur ein Tarif für Wein in einfachen Fässern zuläßig ist.

Der Bundesrath stellt daher den Antrag, den Rekurs der Regierung von Graubünden abzuweisen.

B e r n , .11. August 1873.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Ceresole.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Schiess.



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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Fristverlängerung für die Splügenbahn.

(Vom 15. August 1873.)

Tit.!

Am 22. Juni 1869 ertheilte der Kanton Graubüuden der Gesellschaft der Vereinigten Schweizerbahnen die Konzession für eine Eisenbahn von Chur bis zur italienischen Grenze auf dem Splügen, resp. im Tunnel durch den Splügen.

Durch Bundesbeschluß vom 21. Oktober 1869 wurde die Konzession genehmigt und für den Beginn der Erdarbeiten und die Leistung des Finanzausweises eine Frist von 30 Monaten angesezt.

(Eisenbahnaktensammlung VI., 183 und 193.)

Durch Bundesrathsbeschluss vom 30. Oktober 1871 wurde die genannte Frist um zwei Jahre verlängert. (Ebendort VII., 237.)

Nun sucht mit Eingabe vom 5. d. Mts: die Generaldirektion der Vereinigten Schweizerbahnen um eine neue Fristefstrekung von.

zwei Jahren nach.

Mit Rüksicht auf die den Bundesbehörden durch Art. 3 des neuen Eisenbahngesezes ausdrüklich überbundene Pflicht, die Be-strebungen nach Verbesserung der Verkehrsbedingungen mit Italien im Osten, Centrum und Westen der schweizerischen Alpen möglichst

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über den Rekurs der Regierung von Graubünden, betreffend das Siegeln von Weinfässern. (Vom 11 August 1873.)

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06.09.1873

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