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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend einen Zusazartikel zum Auslieferungsvertrage zwischen der Schweiz und Italien.

(Vom 2. Juli 1873.)

Tit. !

Es ist in neuerer Zeit einige Mal vorgekommen, daß von Italien die Auslieferung gewisser Individuen verlangt wurde, welche des Amtsmißbrauches oder der Bestechung angeklagt ' waren. Wir konnten jedoch diesen Begehren nicht entsprechen, weil der Vertrag mit Italien, betreffend die Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigten vom 22. Juli 1868 (Off. Samml. Bd. IX, S. 732) diese Verbrechen nicht vorsieht.

Die italienische Regierung glaubte zwar, es könne der Vertrag im Wege der Interpretration oder durch einfachen modus vivendi auf die erwähnten zwei Verbrechensarten ausgedehnt werden. Wir konnten uns hiezu nicht als kompetent erachten, weil der Vertrag im Art. -3 eine Klausel enthält, die uns ein solches Vorgehen verbietet. Es ist nemlich im Schlußsaze jenes Artikels ausdrüklich gesagt, daß das ausgelieferte Individuum wegen irgend einer vor der Auslieferung- begangenen, im Vertrage aber nicht vorgesehenen Gesezesübertretung weder : verfolgt, hoch beurtheilt werden dürfe.

Dagegen glaubten wir im Interesse guter Justizpflege das Anerbiten macheu zu sollen, daß wir geneigt seien, eine Erweiterung des "AuslieferungsVertrages im ei-wähnten Sinne auf dem Vertragswege anzubahnen Und in dem uns vorgeschriebenen konstitutionellen Wege bei der Bundesversammlung zu befürworten, sofern die königlich italienische Regierung Werth darauf legen sollte.

1055 Wirklich ließ uns diese Regierung mit Note ihrer Gesandtschaft vom 15. März dieses Jahres eröffnen, daß sie wünsche, es möchte die Zahl der Verbrechen und Vergehen, wegen welcher die Auslieferung der Angeschuldigten oder Verurtheilten im Vertrage obligatorisch vorgeschrieben ist, mit der Aufnahme des Amtsmißbrauches und der Bestechung von Beamten vermehrt werden, damit nicht der Richter in der unangenehmen Lage -sich befinde, ein Individuum, das wegen einer andern Anklage ausgeliefert worden ist, und gleichzeitig auch unter einer Anklage der leztern Art stehe, wegen dieser leztern nicht bestrafen zu d,ürfen, weil die Auslieferung dafür nicht bewilligt werden durfte, obschon vielleicht beide Anklagen im Zusammenhang stehen.

Um diesem Uebelstande, der übrigens auch fi.tr die Schweiz besteht, abzuhelfen, traten wir auf den Abschluß eines Supplementarvertrages zu dem Auslieferungsvertrage mit Italien ein und bezeichneten als unseru Bevollmächtigten den Chef unseres Justizund Polizeidepartementes, Herrn Bundesrath Knüsel, welcher dann mit dem italienischen Gesandten, Ritter Melegari, das nachfolgende Projekt vereinbart hat.

Indem wir die Genehmigung der gesezgebenden Behörden dafür nachsuchen, glauben wir von einer weitern Begründung absehen und nur darauf hinweisen zu dürfen, daß in neuerer Zeit Anklagen der erwähnten Art nicht selten sind und daher die Gerichte nothvvendig die Möglichkeit zur Bestrafung der Thäter erhalten müssen.

Uebrigens sind die beiden Verbrechen, um die es sich handelt, auch in den zwei neuesten Auslieferungsverträgen, welche die Schweiz abgeschlossen hat, enthalten, nämlich in dem Vertrag mit Belgien Art. l, Ziff. 24, und in demjenigen mit Frankreich Art. l, Ziff. 21.

Es ist daher ganz am Plaze, daß auch der Vertrag mit Italien damit in Uebereinstimmung gebracht wird.

Wir empfehlen Ihnen daher die Annahme des nachfolgenden Zusazvertrages.

'" Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 2. Juli 1873.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : ·

Ceresole.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

1056 Zusazartikel zum

Auslieferungsvertrag mit Italien.

Die schweizerische Eidgenossenschaft und

Seine Majestät der König von Italien, in der Absicht, dem Auslieferungsvertrag vom 22. Juli 1868 einen Zusazartikel bezüglich der Ausdehnung der Auslieferungspflicht auf zwei weitere Verbrechen hinzuzufügen, haben zu diesem Behufe mit Vollmachten versehen, Der schweizerische Bundesrath, den Vorsteher des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartementes, Herrn Bundesrath Joseph Martin K n ü s e l ; Seine Majestät der König von Italien, Herrn Ritter Louis Amedee M e l e g a r i , Seinen außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei der schweizerischen Eidgenossenschaft, welche über folgende Fassung der Ziff. 10 vom Art. II des Auslieferungsvertrages vom 22. Juli 1808 übereingekommen sind: Unterschlagung, verübt durch öffentliche Beamte oder Depositäre, Amtsmißbrauch zu betrügerischen Zweken, und Bestechung von öffentlichen Beamten.

Der gegenwärtige Zusazartikel soll als integrircuder Theil des Auslieferungsvertrages vom 22. Juli 1868 betrachtet und, sobald von schweizerischer Seite die Ratifikation der schweizerischen Bundesversammlung ertheilt ist, in Wirksamkeit treten.

Zur Urkunde dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten, unter Vorbehalt der erwähnten Ratifikationen, die vorstehende Uehereinkunf't unterzeichnet und ihre Siegel beigedrükt.

B e r n , den 1. Juli 1873.

Der eidgenössische BevollDer königlich italienische mächtigte: Bevollmächtigte:

J. M. Knüsel.

Melegari.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend einen Zusazartikel zum Auslieferungsvertrage zwischen der Schweiz und Italien. (Vom 2. Juli 1873.)

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12.07.1873

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