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Schweizerisches Bundesblatt.

XXY. Jahrgang. III.

Nr. 42.

20. September 1873.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Rekurses von Salomon Bloch in Avenches, betreffend Gerichtsstand für die Injurienklage.

(Vom 24. Juli 1873.)

Der schweizerische Bundesrath hat

in Sachen des J o s e p h D r e i f u ß in Reinach, Kts. Aargau, betreffend Gerichtsstand für die Injurienklage; Nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Im Februar 1873 wurde von Pferdehändler Salomon Blech, wohnhaft in Avenches, Kts. Waadt, bei dem Bezirksgerichte Kulm (Aargau) gegen den Rekurrenten Klage erhoben wegen einer Injurie, welche dieser in einem Wirthshause zu Luzern gegen erstem sich habe zu Schulden kommen lassen. Der Rekurrent bestritt jedoch die Zuständigkeit der aargauischen Gerichte, weil Injurien am Orte ihrer Begehung einzuklagen seien. Diese Einrede wurde vom Bezirksgerichte Kulm, gestüzt auf die §§ l, 27 und 29 des aargauischen Zuchtpolizeigesezes, mit Urtheil vom 11. März 1873 begründet erklärt, allein unterm 20. Mai gleichen Jahres vom Obergerichte des Kantons Aargau verworfen. Das leztere Urtheil stüzt sich darauf, daß es sich hier um eine interkantonale Angelegenheit handle> Bundesblatt. Jahrg. XXY. Bd. III.

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662 somit die kantonalen Geseze nicht zur Anwendung kommen, soweit Bundesvorschriften entgegenstehen. Nun habe die Klage auf Genugthuung wegen Ehrenbeleidigung ihrer Natur nach einen persönlichen Zivilanspruch zum Gegenstande und das Gesuch um Bestrafung accessorischen Charakter. Die Klage müsse daher gemäß Art. 50 der Bundesverfassung beim Wohnorte des Beklagten, somit im Spezialfalle vor dem aargauischen Richter, geltend gemacht werden.

Diese Anschauung sei durch die bundesrechtliche Praxis vielfach bestätigt worden (Ullmer, Bd. I, S 288, Bd. II, S. 194).

II. Gegen dieses Urtheil beschwerte sich Hr. Fürsprecher Strähl inZofingen,, Namens des Jos. Dreifuß, mit Eingabe vom 21. Juni 1873 bei dem Bundesrathe, indem er geltend machte: Das Obergericht des Kantons Aargau gebe zu," daß die Kompetenzeinrede des Rekurrenten nach der aargauischen Gesezgebung begründet sei ; es wolle aber, in seinem Urtheil bundesrechtlichen Vorschriften gerecht werden, seze sich jedoch gerade mit solchen in Widerspruch.

la dem Entscheide über den Rekurs Bise (Beschluß der Bundesversammlung vom 11./29. Juli 1863) sei nämlich als Grundsaz festgestellt worden, daß bei Injurienklagen das forum delicti commissi überall da das kompetente sei, wo nach der Gesezgebung des betreffenden Kantones die Injurien vorherrschend als Straffalle behandelt werden.. An diesen Entscheid haben sich die Bundesbehörden seither stets gehalten. Es sei also im einzelnen Falle zu untersuchen, ob die Injurienklage sich vorwiegend als Strafklage qualifizire, oder nur als eine Klage von zivilrechtlichem Charakter.

Nun seien in § l des aargauischen Zuchtpolizeigesezes die Ehrenverlezungen ausdrüklich unter den polizeilich zu bestrafenden Delikten aufgezählt. Ueber dieselben entscheide laut dein gleichen Geseze der Polizeirichter am Orte der Begehung, und zwar .im gewöhnlichen korrektionellen Verfahren. Es sei dem Kläger nicht einmal möglich, aufdie Strafklage im engern Sinne zu Verzichten und nur seine zivilrechtlichen Ansprüche zu verfolgen. Zudem habe Bloch in seiner Klage in erster Linie auf die Bestrafung des Rekurrenten geschlossen; seine weiteren Begehren um Eintheilung von"Satisfaktion und Ersaz der Kosten dagegen seien huf- sekundäre. Diese Klage sei alsowesentlich eine Strafklage und daher am Orte der Begehung der eingeklagten Handlung, somit
in Luzern zu erheben.

Dies sei hier um so unzweifelhafter, als die Injurienklage auch nach dem luzernischen Gèseze, sowie nach dem waadtländischen den Charakter einer Strafklage habe. Uebrigens müßte,, wenn der aargauische Richter über diesen Fall zu urtheilen hätte, auch

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aargauisches Recht zur Anwendung kommen ; dies wäre aber widersinnig, da es sich nicht um eine Ehrenverlezung handle, die in diesem Kanton stattgefunden habe.

Hr. Fürspr. Strähl schloß daher mit dem Gesuche, es möchte das rekurrirte Urtheil aufgehoben und erklärt werden, daß die aargauischen Gerichte zur Beurtheilung der fraglichen Klage nicht kompetent seien.

III. Mit Schreiben vom 18. Juli 1873 machte die Regierung von Aargau die Mittheilung, daß das Obergericht dieses Kantons auf eine besondere Antwort verzichte und sich lediglich auf die Begründung seines Urtheiles beziehe.

Dagegen gab Hr. Fürsprecher Dr. Blattner in Aarau, im Namen des Salomon Bloch, eine vom 12. Juli 1873 datirte Antwort ein, in welcher er auf die Abweisung der Rekursbeschwerde antrug und zur Unterstüzung geltend machte: Durch das rekurrirte Urtheil sei kein durch die Bundesverfassung garantirtes Recht verlezt worden. Der Rekurrent verlange nicht den Schuz bei seinem natürlichen Richter (Art. 50 der Bundesverfassung); er verlange im Gegentheil, daß er nicht von diesem, sondern von einem auswärtigen Richter beurtheilt werde. Es gebe aber keine Bundesvorschrift, auf welche er dieses Begehren stüzen könne, gegentheils stehen der Art. 55 der Bundesverfassung und das Bundesgesez über die Auslieferung seinem Begehren entgegen.

Er sei also zur Beschwerde nicht legitimirt. Der von ihm angerufene Entscheid im Rekurse Bise (Ulhner, Nr. 883) treffe hier nicht zu, und ebensowenig alle andern in Ullmer's Sammlung und in Blumer's Werken angeführten Fälle, betreffend Gerichtsstand in Injuriensachen, da in allen diesen Fällen die Beschwerde umgekehrt dahin gehe, daß die Beklagten dem Richter des Wohnortes entzogen worden seien.

Die Injurienklage könne in Folge ihrer gemischten Natur nach der Wahl des Klägers an dem Wohnorte des Beklagten, oder bei dem forum delicti angehoben werden. Wenn man aber auch annehmen wollte, daß nach den Gesezen der drei hier in Betracht fallenden Kantone der im Spezialfalle angesprochene aargauische Richter inkompetent sei, so würde das rekurrirte Urtheil doch n u r eine Verlezung der kantonalen Geseze enthalten. Da aber die Bundesbehörden keine Appellations- oder Kassationsinstanz über kantonale Urtheile seien, so würde sich der Fall ihrer Kognition entziehen. Auch könnten diese kantonalen Geseze nicht
maßgebend sein, wo der Richter am Wohnorte, im Einklänge mit Art. 50 der Bundesverfassung, angerufen werde. Uebrigens sei es von Seite des Rekurrenten nur darauf abgesehen, den Prozeß zu verschleppen.

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In E r w ä g u n g : 1) Die eidgenössischen Räthe haben im Jahr 1863 bei Behandlung des Rekurses von Alexandre Bise den Grundsaz aufgestellt, daß das Forum für Injurien klagen sich nach der Gesezgebung des betreffenden Kantones richte, d. h. daß es darauf ankomme, ob die Ehrverlezungen vorherrschend als Straffälle behandelt werden. Für diesen Fall wurde das forum delicti commissi als zuständiges Forum erklärt. Es ist also nicht darauf einzutreten, ob diese Behandlung der Injurienfälle richtig oder zwekmäßig sei.

Jene Regel wurde auch seither vom Bundesrath konsequent zur Anwendung gebracht (vide z. B. B. Blatt 1864, Bd. I, S. 181 -- 1867, Bd. III, S. 8; die Bundesversammlung hat diese Grundsäze bestätigt, vergi. B. Blatt).

2) Es ergibt, sich nun, daß die Gesezgebungen der in Frage kommenden Kantone Aargau, Luzern und Waadt die Ehrverlezungen als Vergehen auffassen und in die Strafgesezbücher aufgenommen haben.

3) Demgemäß hat der Kläger vor dem aargauischen Gericht die Klage gestellt, es sei der Beklagte zu einer angemessenen zuchtpolizeilichen Strafe zu verurtheilen, und nur in zweiter Linie Ehrenverwahrung im Protokoll verlangt. Dieser Klagschluß ist ganz den Vorschriften des aargauischen Gesezes konform. Da nun die Substanz der Klage wesentlich eine strafrechtliche ist, so kann deren rechtliche Natur nicht verändert werden, wenn auch noch Genugthuung als bloße Folge der Strafe eintritt.

4) Der aargauische Richter könnte nach seiner eigenen Gesezgebung die Klage erst dann an die Hand nehmen, wenn der Beklagte sich weigern würde, vor dem Richter am Orte der That, Rede und Antwort zu geben. Wenn auch das luzernische Gesez für die formelle Behandlung solcher Klagen das Verfahren des Zivilprozesses vorschreibt, so ändert dieses an dem im Polizeigesez aufgestellten Begriff des Vergehens nichts, ebenso nicht der Umstand, daß das ordentliche Bezirksgericht in seiner Eigenschaft als korrektionelles Gericht den Prozeß beurtheilt.

Es hat daher der Kläger aus allen diesen Gründen seine Klage in erster Linie bei dem Gerichte in Luzern anzubringen;

beschlossen: 1. Es sei der Rekurs im Sinne der Erwägungen begründet und das -Urtheil des Obergerichtes des Kantons Aargau vom 20. Mai 1873 aufgehoben.

665 2. Sei dieser Beschluß der Regierung von Aargau zuhanden des Obergerichtes dieses Kantons und des Hrn. Fürsprecher Dr. Blattner in Aarau, als Anwalt des Rekursbeklagten Salomon Bloch in Avenches, sowie dem Hrn. Fürsprecher Strähl in Zofingen, als Anwalt und zuhanden des Rekurrenten Joseph Dreifuß in Reinach, unter Rükschluß der Akten mitzutheilen.

B e r n , den 24. Juli 1873.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Ceresole.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Errichtung einer deutschen Zollabfertigungsstelle auf dem Centralbahnhofe in Basel.

(Vom 27. August 1873.)

Tit. !

Mit Note vom 4. Juli 1. J. brachte die deutsche Gesandtschaft in Bern im Auftrage ihrer Regierung beim Bundesrathe die Errichtung einer deutschen Zollabfertigungsstelle auf dem Bahnhofe der Zentralbahn in Basel in Anregung.

Dieser Schritt war zunächst veranlaßt durch einen Wunsch, welchen das Direktorium der schweizerischen Zentralbahn bei den Verhandlungen mit der General-Direktion der Elsässerbahnen über die Regelung der Betriebsverhältnisse auf der Bahnstreke von Basel bis zur deutschen Grenze und auf dem Bahnhofe der Zentralbahn in Basel ausgesprochen hatte.

Nachdem der Bundesrath seine Einwilligung zu Unterhandlungen ertheilt hatte, trat unter'm 7. August abhin in Basel eine Konferenz zusammen, zu welcher deutscherseits abgeordnet waren die Herren: M e b e s , Generaldirektor der Eisenbahnen, und F a b r i c i u s , Direktor der Zölle, beide in Straß bürg;

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Bundesrathsbeschluss in Sachen des Rekurses von Salomon Bloch in Avenches, betreffend Gerichtsstand für die Injurienklage. (Vom 24. Juli 1873.)

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20.09.1873

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