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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des Adolf Mösch von Frick (Aargau).

(Vom 18. Juni 1886.)

Tit.

Am 21. Dezember 1885 Vormittags 10 Uhr 15 Minuten entgleisten von dem von Luzern kommenden Gotthard-Zuge Nr. l bei der Einfahrt in die Station Göschenen die drei letzten Wagen, nämlich ein Packwagen und zwei Personenwagen. Der hieraus entstandene Schaden war ein geringfügiger und betraf nur einige äußere Beschädigungen des Rollmaterials.

Herr Dr. Muheim, Verhörrichter in Altdorf, welcher sich im fraglichen Zuge befand, spricht sich über den Vorgang folgendermaßen aus: ,,Die Entgleisung betraf nur die drei letzten Wagen.

Der Gepäckwagen war mit der vordem Achse auf der richtigen Linie, die hinteren Räder dagegen waren entgleist. Der Wagen erster und zweiter Klasse stund quer mit der Vorderachse auf dem ersten, mit der Hinterachse auf dem zweiten Geleise. Im letzten Wagen, in welchem ich mich befand, verspürte man von Erschütterung oder dergleichen nichts. Der Wagen stand auf dem zweiten Geleise. Am meisten Erschütterung verspürte man im Wagen erster und zweiter Klasse."

Dieser Vorgang muß dadurch verursacht worden sein, daß der Weichenwärter die richtig gestellten Weichen noch während der Einfahrt des Zuges änderte. Es scheint aber, daß sie sofort wieder in Ordnung gebracht worden waren, indem der Sous-Chef Keller, welcher, als der Zug anhielt, die Inspektion vornahm, sie für die Einfahrt richtig gestellt vorfand.

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Am Tage des Unfalles wurden die Weichen von A d o 11' M ö s c h von Frick, Kantons Aargau, bedient, welcher während zehn Tagen vorher seine Lehrzeit gemacht, am 19. Dezember die Prüfung befriedigend bestanden hatte und am 20. Dezember definitiv als Weichenwärter - Stellvertreter in den Dienst der Gotthardbahn getreten war.

Mosch erklärte, daß er über den Vorgang keine Auskunft geben könne. Es seien zu gleicher Zeit zwei Züge in die Station Göschenen eingefahren, der eine von Luzern, der andere von Airolo kommend. Für beide Züge habe er die Weichen richtig gestellt. Er wisse nicht, ob er vielleicht während der Einfahrt des Zuges von Luzern die Weiche wieder zurück in die Buhe gestellt habe.

Nachdem wir mit Beschluß vom 10. Februar d. J. iii Anwendung von Art. 74 des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853 die Untersuchung und Beurtheilung dieses Falles den Gerichten des Kantons Uri überwiesen hatten, erklärte das Bezirksgericht Uri mit Urtheil vom 5. April d. J. den Adolf Mosch der fahrläßigen Eisenbahngefährdung schuldig und verurtheilte ihn in Anwendung der Art. 67 und 8 des Bundesstrafrechtes zu drei Tagen Haft und einer Geldbuße von Fr. 30 nebst Fr. 2 Gerichtsgebühr, eventuell zu 6 Tagen Haft, sowie zur Tragung der Untersuchungskosten im Betrage von Fr. 44. 30.

Das Gericht zog in Erwägung, daß zwar eine erhebliche Gefährdung des Bahnbetriebes vorliege, allein es kommen als mildernde Umstände in Betracht, daß keine Personen verletzt worden, daß der Materialschaden ein geringer gewesen, daß der Angeklagte erst seit zehn Tagen mit der Handhabung dea komplizirten Weichenapparates bekannt geworden und daß er, als er den Fehler begangen, schon 10 Stunden in Arbeit gestanden sei.

Mit Eingabe vom 30. Mai 1886 petitionirt Adolf Mosch um Erlaß der gerichtliehen Strafe, da er von Seite der Gotthardbahn schon bestraft worden. Die vom Gerichte ausgesprochene Buße würde ihm doppelt schwer fallen. Als Vater von vier kleineu Kindern, mit einem Monatsgehalte von 95 Fr., könnte er sie fast unmöglich bezahlen.

Die Direktion der Gotthardbahn hat den Petenten mit 5 Fr.

gebüßt und ihn außerdem von der Besorgung des Centralweichenapparates ausgeschlossen. Derselbe versieht nunmehr die Stelle eines Tunnelwärters in Göschenen.

Nach dem Zeugniß des Bahnmeisters V. in Airolo, (l. d. 7. Mai 1886, steht Mosch seit dem 16. September 1885 im Dienste der Gotthardbahn und hat sich während dieser Zeit als sehr fleißig und

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zuverläßig gezeigt, auch war sein sonstiges Betragen vollkommen tadellos. Auch der Gemeinderath von Göschenen bezeugt unterm 8. Mai d. J., daß sich Mosch seit seinem Aufenthalte in dieser Gemeinde (15- September 1885) rechtschaffen und biav betragen und zu keiner Klage Anlaß gegeben habe.

Indem wir die Petition des Adolf Mosch mit diesem Berichte den h. eidg. Käthen vorlegen, begleiten wir sie mit dem Antrage, daß derselben nicht zu entsprechen sei.

Wir glauben nur wenige Worte zur Begründung dieses Antrages beifügen zu sollen. Zunächst müssen wir im Allgemeinen auf die große Gefahr hinweisen, welche jede Nachläßigkeit im Eisenbahnbetriebe für Personen und Waaren zur Folge haben kann.

Sodann ist eine der wichtigsten Funktionen im Eisenbahnverkehre dem Weichenwärter zugewiesen. Mosch hat deshalb auch eine besondere Instruktion durchmachen und eine Prüfung bestehen müssen. Es mußte ihm somit die Pflicht besonderer Sorgfalt bewußt gewesen sein. Er kann aber seiner Pflicht kaum mit der nöthigen Umsicht genügt haben, da er sonst die Weichen nicht anders gestellt haben würde, bevor der Zug vollständig eingefahren war. Sein Dienst dauerte von Mitternacht bis Mittag, aber in Mitten des Vormittags kann er kaum so sehr ermüdet gewesen sein, daß er durch Schlaf und Ermüdung nicht mehr hätte wissen können, was er zu thun oder zu unterlassen habe, zumal der Dienst bei der Centralweichenleitung, wie sie in Göschenen besteht, nicht anstrengend ist, wohl aber Aufmerksamkeit und klaren Kopf erfordert. Die Entschuldigung des Mosch, daß er nicht wisse, was er gethan, kann nicht in Betracht kommen, zumal keine Gründe vorliegen, welche diese Annahme zu rechtfertigen vermögen. Der in Frage liegende Vorgang war zudem mit großen Gefahren begleitet, worüber Jedermann klar sein wird, der sich den Zustand des Zuges vergegenwärtigt, in welchem sich dieser befand, als er zum Stehen gebracht worden war. Hätte der Zug nicht, vorschriftsgemäß halten müssen, wofür, wie gewöhnlich, die Zugkraft geschwächt wurde, so hätte nothwendig großes Unglück entstehen müssen.

Wir gehen von der Ansicht aus, daß solche Nachläßigkeiten strenge geahndet werden sollen und daß insbesondere auf einer Station von der Wichtigkeit, wie sie der Kreuzungsstation Göschenen zukommt, die größte Pünktlichkeit des Dienstes gefordert werden soll.

Der Umstand,
daß Mosch von der Gotthardbahndirektion als Weichenwärter entlassen und mit einer Buße von 5 Fr. belegt wurde, kommt nach konstanter Praxis bei der gerichtlichen Würdigung seiner Handlung nicht in Betracht, da die Eisenbahngesellschaften nicht kompetent sind, an die Stelle der öffentlichen Be-

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Es wäre vielmehr Pflicht der Bahnverwaltung, so schnell als möglich diejenige Vorsorge zu treffen, welche die Technik bietet, um solche Vorgänge unmöglich zu machen, indem eine Sperrvorrichtung angebracht werden kann, welche eine Aenderung der Weichen unmöglich macht, so lange noch ein Rad des Zuges auf den Schienen sich befindet.

Indem wir den Antrag auf Abweisung erneuern, benutzen wir den Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 18. Juni 1886.

Namens des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Ringier.

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26.06.1886

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