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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des Hrn. T. S p i e ß , Bierbrauer zum "Löwengarten" in Luzern, Namens einer Anzahl Bierwirthe und Bierbrauer der Stadt und des Kantons Luzern, gegen den Beschluß der Regierung von Luzern vom 30. Mai 1885, betreffend Abschaffung der Bierpressionen, wegen angeblicher Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung (Handels- und Gewerbefreiheit).

(Vom 14. Mai 1886.)

D e r s c h w e i z e r i s c h e Bundesrath hat in Sachen des Hrn. T. S p i e ß , Bierbrauer zum "Löwengarten" in Luzern, Namens einer Anzahl Bierwirthe und Bierbrauer der Stadt und des Kantons Luzern, gegen den Beschluß der Regierung von Luzern vom 30. Mai 1885, betreffend Abschaffung der Bierpressionen, wegen angeblicher Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung (Handels- und Gewerbefreiheit) ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements vom 19./28. August 1885 und 11. Mai 1886, sowie auf den vorn Departement des Innern erstatteten Mitbericht vom 5. Mai 1886, und nach Feststellung folgender aktenmäßiger SachVerhältnisse: A. Unter dem 26. Januar 1885 erließ der Sanitätsrath des Kantons Luzern mit Genehmigung der Regierung ein Verbot, durch welches vom 1. Mai 1885 an die Anwendung und Benutzung der sogenannten Bierpressionen jeder Art und Konstruktion zum Ausschank von Bier untersagt wurde. Der Sanitätsrath stützte sich hiebei hauptsächlich darauf, daß eine absolute Reinhaltung der Bierpressionen selbst bei den kostspieligsten und komplizirtesten Apparaten ein Ding der Unmöglichkeit sei, und daß ebenso eine tag-

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B. Ein gegen diese Verfügung von T. Spieß Namens einer Anzahl Bierwirthe und Bierbrauer beim Regierungsrathe eingereichter Rekurs hatte nicht den gewünschten Erfolg, vielmehr bestätigte die Regierung unterm 30. Mai 1885 das Verbot der Bierpressionen.

C. Gegen diesen regierungsräthlichen Entscheid rekurriren nun Herr T. Spieß und Konsorten mit Eingabe d. d. 15. Juli 1885 an den Bundesrath, indem sie folgendes Gesuch stellen : ,,Der Bundesrath wolle das Verbot der Bierpressionen vom 28. Januar, bezw.

30. Mai 1885 als dem Art. 31 der Bundesverfassung widersprechend aufheben.'1 Zur Begründung dieses Gesuches führt die Rekursschrift an, das Verbot der Bierpressionen verletze das in Art. 31 der Bundesverfassung niedergelegte Prinzip der Handels- und G-ewerbefreiheit. Diese Verfügung gehöre nicht zu den in Art. 31, Litt, c vorbehaltenen Verfügungen, eben weil sie die Handels- und Gewerbefreiheit als solche beeinträchtige. Denn infolge des Verbotes würden viele Wirthe, die mit großen Kosten Pressionen eingeführt und nun noch größere Kosten hätten, um ihre Einrichtungen für den Bierausschank ohne Pression abzuändern (Anschaffung von Eiskästen etc.)) gezwungen, den Bierausschank überhaupt einzustellen, resp. ihr Gewerbe aufzugeben. Auf diese Weise würden durch den Beschluß der Regierung eine Menge wohlerworbener Rechte einfach aufgehoben. Das Verbot der Pressionen sei nicht durch polizeiliche Rücksichten geboten; denn diese verlangten keineswegs die Beseitigung, sondern lediglich die Reinhaltung der Bierpressionen. Eine Reinhaltung der Pressionen sei aber ganz wohl zu erzielen und die Koutrole eine leichte Sache.

Schließlich weist der Rekurrent auf die äußerst traurigen volkswirtschaftlichen Polgen dieses Verbotes hin, indem er behauptet, es werde dasselbe einen starkverminderten Bierkonsum zur Folge haben und infolge dessen der Schnapspest Vorschub leisten.

D. Der Regierungsrath behauptet in seiner Vernehmlassung vom 10. August 1885, daß er gerade mit Rücksicht auf Art. 31, Litt, c, der Bundesverfassung sich kompetent erachtet habe, ein solches Verbot zu erlassen, um so mehr, als in Bezug auf diesen Punkt schon eine ganze Reihe bundesräthlicher Präjudizien bestehen. Würde das Verbot der Bierpressionen eine Verletzung der Bundesverfassung involviren, so wäre auf den volkswirtschaftlichen

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und gewerblichen Gebieten einfach Alles erlaubt, was nicht strikte durch die Bundesverfassung verboten sei, und man könnte mit demselben Recht und aus denselben Gründen jede hygienische oder sanitätspolizeiliche Maßregel bekämpfen, wie z. B. das Vorbot des Verkaufes von arsenikhaltigen Tapeten oder Kinderspielzeugen.

Ueberall, wo solche Bierpressiouen im Gebrauch seien, höre man Klagen über gesundheitsschädliche Einwirkung des Bieres, während der Genuß desselben Bieres ohne Pression keine Beschwerden verursache. Nur wenn die Pressionen absolut rein gehalten würden, wären sie unschädlich; dieß sei aber geradezu unmöglich, indem sich höchstens vermittelst Dampfmaschinen eine annähernd absolute Reinhaltung erzielen lasse. Der finanzielle Punkt müsse vor dem wichtigern und allgemeinem Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege in den Hintergrund treten. Die Tendenz des Beschlusses vom 30. Mai 1885 sei gerade die, die Wirthe KU zwingen, dem gemeinen Manne ein gesundes frisches Bier vom Faß zu verabfolgen und daher den Bierkonsum der untern Klassen zu heben, dem Schnapsgenusse entgegenzuwirken.

E, Mittelst einer das Datum Thun, den 24. August 1885 tragenden Eingabe an den Bundesrath unterstützt der Schweizerische Bierbrauerverein, in dessen Namen der Präsident G. Feller und der Sekretär ad. int. R. Schüpbach-Gerber unterzeichnen, den Rekurs von T. Spieß und Genossen. Es wird in dieser Eingabe namentlich darauf hingewiesen, daß durch das Verbot der Bierpressionen die Wirthe und Bierbrauer einen großen direkten und indirekten, für die Luzeruer Bierbrauer und Wirthe auf wenigstens Fr. 90--100,000, für die sämmtlichen schweizerischen Bierbrauer und die Bierwirthe in der gesammten Schweiz auf mindestens l Va Millionen zu berechnenden Schaden erleiden werden ; daß überdies infolge des Verbots der Pressionen der Bierkonsum verringert, der Branntweinkonsum dagegen werde gefördert werden; daß endlich in dieser Beziehung in den Kantonen eine ungleiche Elle geschaffen werde, während erfahrungsgemäß die Reinhaltung der Pressionen leicht möglich und die Inspektionskosten unerheblich seien.

F. Durch das vom Bundesrathe zum Mitberichte aufgeforderte Departement des Innern wurde das Aktenmaterial vervollständigt, insbesondere mittelst Einholung eines Fachgutachtens von Herrn Dr. G. Lunge, Professor der technischen
Chemie am eidgenössischen Polytechnikum, über den gegenwärtigen Stand der Technik in der Frage der Bierpressionen.

Das Lunge'sehe Gutachten wurde vom eidgenössischen Departement des Innern dem tit. Polizeidepartemeut des Kautons Luzeru

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zu Händen des luzernischen Sanitätsrathes zur Kenntnißnahme raitgetheilt.

Mit Schreiben vom 9. März 1886 zeigte das Polizeidepartement von Luzern dem eidgenössischen Departement des Innern, unter Beilegung einer gutachtlichen Rückäußerung des luzernischen Sanitätsrathes vom 12. Februar 1886, an, daß die Mitglieder des Rcgierungsrathes sieh auch den neuerlichen Ausführungen des Sanitätsrathes vollständig anschließen. Der Sanitätsrath spricht sich unter Festhaltung Alles dessen, was er in seiner frühern Vernehmlassung gegen die Anwendung von Luftpressionen jeder Art und Konstruktion vorgebracht hatte, in Bezug auf die von Professor Dr. Lunge empfohlenen Kohlensäurepressionen u. A. aus wie folgt: ,,Seit Abgabe unseres mehrervvähnten ersten Gutachtens über die Frage der Bierpressionen haben sieh in dieser Beziehung die Verhältnisse wesentlich geändert, indem: a. Systeme zur Selbstbereitung der chemisch reinen Kohlensäure für Wirthe mit kleinerm Bierkonsum erfunden worden sind (unter Anderm ein System mit niedrigem Druck von Hrn. Dr. Stierlin), welche bezüglich Sicherheit der Handhabung , Reinlichkeit und Billigkeit allen Anforderungen Genüge leisten; b. flüssige, chemisch reine Kohlensäure von einer Schweizerfinna (Bürgin in Basel) so billig bezogen werden kann, daß dadurch der Liter Bier (vorausgesetzt, daß das Wirthspersonal mit dem Apparate umzugehen weiß) nicht einmal um einen ganzen Rappen vertheuert wird, abgesehen davon, daß die Anlagekosten bei Wegfall der eigentlichen Pressionsanlage auf ein Minimum reduzirt werden."1 Der Sanitätsrath schließt dahin, daß auch in Zukunft an dem Verbote jeder Art von Pressionen mit atmosphärischer Luft festgehalten werden solle, dagegen rationell konstruirte Kohlensäurepressionen, mit Ausschank direkt vom Faß, zu gestatten seien ; in Erwägung: 1) Nach bisheriger bundesrechtlicher Praxis gehören unter ,,die Verfügungen üher Ausübung von Handel und Gewerben"', zu denen nach Art. 31 der Bundesverfassung die Kantone berechtigt sind, auch diejenigen, durch welche eine den öffentlichen Gesundheitsverhältnissen nachtheilige Gewerbeausübung verhindert werden soll (Bundesblatt 1882, Bd. II, S. 755, und Bundesrathsbeschluß vom 26. Mai 1885).

2) Die Bierpressionen mit Verwendung der atmosphärischen Luft werden von der zuständigen Sanitätsbehörde des Kantons Luzern als eine gesundheitsgefàhrliche Einrichtung erklärt.

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3) Durch das Verbot der Anwendung solcher Bierpressionen wird eine Verunmöglichung oder Beeinträchtigung des Bierausschankes nicht herbeigeführt und demzufolge das in Art. 31 der Bundesverfassung niedergelegte Prinzip der Handels- und Gewerbefreiheit nicht verletzt; beschlossen: 1. Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen 2 und 3 als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Luzern, sowie dem Hrn. T. Spieß, für ihn und Genossen, schriftlich mitzutheilen.

3. Dem Hrn. G. Feller in Thun ist zu Händen des Schweizer.

Bierbrauervereins durch die Bundeskanzlei die Anzeige zu machen, daß der Bundesrath die Eingabe des Vereins vom 24. August 1885 als eine Unterstützung des Rekurses von F. Spieß und Konsorten in Luzern in Betreff der Bierpressionsfrage betrachtet habe, indem dieser Eingabe nicht der Charakter eines selbstständigen Rekurses zugeschrieben werden könne. Der Bundesrath habe durch Beschluß vom 14. Mai 1886 den Rekurs Spieß gegen das Verbot der Bierpressionen mit atmosphärischer Luft als unbegründet abgewiesen und den Rekurrenten seinen Entscheid in schriftlicher Ausfertigung mitgetheilt.

B e r n , den 14. Mai 1886.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Stellvertreter des eidg. Kanzlers : Schatzmann.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs des Hrn. T. Spieß, Bierbrauer zum "Löwengarten" in Luzern, Namens einer Anzahl Bierwirthe und Bierbrauer der Stadt und des Kantons Luzern, gegen den Beschluß der Regierung von Luzern vom 30. Mai 1885, betreffend Ab...

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22.05.1886

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