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Kreisschreiben des

ßundesrates an die Kantonsregierungen betreffend Freizügigkeit und Autarkiebestrebungen.

(Vom 31. Juli 1936.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

I. Mit Kreisschreiben vom 17. Dezember 1935 hat der Bundesrat die Kantonsregierungen ersucht, durch Weisungen an die kantonalen und Gemeindebehörden und in jeder andern Ihnen möglichen Weise für die Aufrechterhaltung der Freizügigkeit besorgt zu sein. Wir stellen gerne fest, dass im allgemeinen diesem Kreisschreiben Eechnung getragen wurde; ausnahmsweise kommt es aber doch noch vor, dass Kantone und Gemeinden im Bestreben, die lokale Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, den Zuzug auswärtiger Arbeitskräfte mit Mitteln einschränken oder verhindern, die als verfassungsrechtlich unzulässig und wirtschaftlich verfehlt ' bezeichnet werden müssen. Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass jede Missachtung des in der Verfassung gewährleisteten Grundsatzes der Freizügigkeit dem Volksganzen auf die Dauer Schaden und Gefahr bringt. Er sieht sich daher veranlasst, den Kantonsregierungen das Kreisschreiben vom 17. Dezember 1935 in Erinnerung zu rufen.

Es wird vom Bundesrate nicht verkannt, dass einige grössere Städte und Gemeinden unter einem starken Zuzug vom Lande her leiden. Auf die zur Zurückdämrnung dieses Zustroms geeigneten Massnahmen ist in dem frühem Kreisschreiben verwiesen worden. Es würde aber zweifellos das Empfinden weiter Volkskreise verletzen und konnte namentlich von unsern Arbeitslosen nicht verstanden werden, wenn darüber hinaus ihnen die Möglichkeit genommen würde, eine durch eigene Initiative aufgefundene Arbeitsgelegenheit auszunützen. Gerade die Arbeitslosen, die den festen Willen zur Arbeit haben, sähen ihre angestrengten Bemühungen, der Arbeitslosigkeit zu entrinnen, zunichte gemacht, was unheilvoll auf ihre seelische Verfassung wirken müsste ; sie würden damit jeder Hoffnung beraubt, sich ohne Inanspruchnahme öffentlicher Hilfe durchschlagen zu können. Diese Hoffnung aber, durch unablässiges Bemühen doch noch eine Arbeitsgelegenheit zu finden, ist für viele Arbeitslose die letzte Zuversicht. Sie darf ihnen durch behördliche Massnahmen nicht genommen werden, will man nicht bei unsern Arbeitslosen einer Geistesverfassung Vorschub leisten, die sich sowohl in politischer, moralischer und

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beruflicher Hinsicht als auch in bezug auf die Aufwendungen für Arbeitslosenfürsorge verhängnisvoll auswirken könnte.

II. Es wird auch verschiedentlich Klage darüber geführt, dass einzelne Kantone und Gemeinden unter dem Druck der Krise begonnen haben, Autarkiepolitik zu treiben, indem sie Arbeiten und Bestellungen vorzugsweise oder ausschliesslich an Firmen vergeben, die im Kanton oder in der Gemeinde ansässig sind. Dabei handelt es sich nicht allein um die regionale Beschränkung bei Vergebung kantonaler und kommunaler Bestellungen, sondern gelegentlich wird sogar von Privaten verlangt, dass sie ihre Aufträge nur an Firmen der engeren und engsten Heimat vergeben. Es ist unschwer zu erkennen, dass derartige Autarkiebestrebungen sich zum Nachteil der gesamtschweizerischen Wirtschaftsinteressen auswirken müssen. Eine Abschliessung ruft der andern, und die Weiterentwicklung dieser Tendenzen schliesst die Gefahr in sich, jede Art wechselseitiger Wirtschaftsbeziehungen in Frage zu stellen. Die Schweiz ist ohnehin ein kleines Wirtschaftsgebiet. Es sollte daher im Interesse unserer Volkswirtschaft vermieden werden, neue künstliche Scheidewände zwischen den Kantonen aufzurichten, nachdem diese Scheidewände bei der Gründung des Bundesstaates niedergelegt worden sind. Der Bundesrat erachtet es als seine Pflicht, darauf aufmerksam zu machen, dass die in letzter Zeit sich zeigenden Autarkiebestrebungen den wirtschaftlichen wie den allgemeinen Interessen unserer Volksgemeinschaft zuwiderlaufen. Er nimmt Veranlassung, die Kantonsregierungen einzuladen, insbesondere auch bei ihrer Vergebungspraxis nicht engherzig zu sein und ausserkantonale Firmen ebenfalls zu berücksichtigen.

Wir benützen den Anlass, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

Bern, den 81. Juli 1936.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates.

Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Meyer.

Der Bundeskanzler: f. Bovet.

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Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen betreffend Freizügigkeit und Autarkiebestrebungen. (Vom 31. Juli 1936.)

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1936

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05.08.1936

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377-378

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