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Krei8schreifoen des

Bundesrates an die Kantonsregierungen betreffend Handhabung der Wirtschaftsgesetzgebung.

(Vom 1. Mai 1936.)

Getreue, liebo Eidgenossen!

Der Schweizerische Wirteverein hat dem Bundesrat am 16. September 1985 eine Eingabe unterbreitet, worin er, unter Berufung auf die besorgniserregende Lage im Wirtschaftsgewerbe, die sofortige Einführung eines für das ganze Gebiet der Eidgenossenschaft geltenden Verbotes der Neueröffnung, Vergrösserung, Verlegung und Umwandlung von Gaststätton jeder Ait, mit Einschluss der alkoholfreien Betriebe, verlangte.

Der Bundosrat hat nach reiflicher Prüfung der Angelegenheit beschlossen, diesem Begehren nicht stattzugeben. Massgebend für diese Stellungnahme waren in erster Linie vorfassungsmässige Bedenken, forner der Umstand, dass das Wirtschaftsgewerbe bereits weitgehend durch die kantonale Gesetzgebung geschützt ist und dass sich die Kantone, auf eine vom eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement veranstaltete Umfrage hin, fast einstimmig gegen einen Eingriff des Bundes in das bisher der kantonalen Kompetenz vorbehalteno Wirtschaftswesen ausgesprochen haben.

Trotz dieser ablehnenden Stellungnahme hat der Bundesrat den Eindruck erhalten, dass die wirtschaftliche Lage des Wirtestandes bedenklich sei und sich zusehends verschlimmere. Es scheint daher angezeigt, im Eahmen der bestehenden verfassungsrechtlichen Möglichkeiten alles zu tun, was.

eine weitere Verschlechterung der Verhältnisse im Wirtschaftsgewerbe zu verhindern geeignet :st.

Die Kantone besitzen zur Gesetzgebung auf dem Gebiete des Wirtschaf tswesens weitgehende Befugnisse, die noch nicht von allen Kantonen vollständig ausgeschöpft sind. Einzelne Kantone haben in jüngster Zeit neue Wirtschaftsgesetze erlassen, und andere sind im Begriff dies zu tun.

Die kantonalen BedürfnisMauseln sind sehr verschieden ausgestaltet.

Ebenso verschieden ist die Anwendung der geltenden Wirtschaftsgesetze durch die Verwaltungsorgane. Es scheint, dass die Bedürfnisklausel an einzelnen

826 Orten immer noch zu weitherzig gehandhabt wird und dass bisweilen auch fiskalische Rücksichten eine Eolle spielen. Angesichts der gegenwärtigen Lage im Wirtschaftsgewerbe ist eine weitere Vermehrung der Zahl der Wirtschaften nicht angebracht. Wir laden Sie deshalb ein, dio Bedürfnisklausel mit aller Strenge anzuwenden und Patentgesuche, für die kein Bedürfnis nachgewiesen werden kann, ohne Nachsicht abzuweisen.

Da die schlechte Geschäftslage vieler Wirtschafts betriebe dazu führen kann, dass gewisse Wirte mit allen, selbst mit verwerflichen Mitteln, die Gäste zum Besuch ihrer Lokale und zum Konsum anzuregen versuchen, sind die Kantone befugt, die Zahl der Wirtschaften im Interesso des öffentlichen Wohls dem Konsum anzupassen und insbesondere solchen Betrieben das Patent nicht zu erneuern, bei denen durch häufigen, unter Verlusten vollzogenen Besitzerwechsel dargetan wurde, dass sie keinem Bedürfnis entsprechen.

Einige wenige Kantone haben den FäHgkeitsnachweis für die Ausübung des Wirteberufes bereits eingeführt; in anderen Kantonen soll er durch die neuen Wirtschaftsgesetze eingeführt werden. Der Fähigkeitsausweis ist ohne Zweifel geeignet, den Wirtestand im allgemeinen zu heben und unliebsame Elemente fernzuhalten. Wir möchten Ihnen deshalb nahelegen, die Einführung dieser Massnahme ins Auge zu fassen. Ebenso erscheint es uns angezeigt, die kantonalen Wirteorganisationen vor der Erteilung neuer Wirtscbaftspatente anzuhören, wie dies heute schon in zahlreichen Kantonen geschieht.

Wir glauben, dass diese Massnahmen, deren Durchführung in die Kompetenz der Kantone fällt, dazu beitragen werden, einer weiteren Verschlechterung der Lage im Wirtschaftsgewerbe in gewissem Umfang Einhalt zu tun, und empfehlen Ihnen deren Durchführung, soweit dies nicht bereits geschehen ist.

Wir benützen diesen Anlass, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutss zu empfehlen.

Bern, den 1. Mai 1986.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Meyer.

Der Bundeskanzler: G. Bovet.

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Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen betreffend Handhabung der Wirtschaftsgesetzgebung. (Vom 1. Mai 1936.)

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1936

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06.05.1936

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