449 # S T #

3499

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurfe eines Bundesgesetzes betreifend die Ermächtigung zur Ausübung des Stimmrechts ausserhalb der Wohnsitzgemeinde.

(Vom 14. Dezember 1936.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen hiermit den Entwurf zu einem Bundesgesetz betreffend die Ermächtigung zur Ausübung des Stimmrechts ausserhalb der Wohnsitzgemeinde nebst folgenden Erwägungen vorzulegen: Das geltende Recht.

«Das Bundesgesetz betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 hat, wie kaum ein anderer Erlass des schweizerischen Gesetzgebers, man kann sagen von dem Momente seiner Entstehung an, den Gegenstand der öffentlichen Kritik und der Diskussion in den Bäten der Eidgenossenschaft gebildet.» Mit diesen Worten beginnt die Botschaft des Bundesrates vom 30. Oktober 1883 zu einer Vorlage betreffend Abänderung des soeben genannten Gesetzes. Da diese vom Parlament abgelehnt wurde, begann die Kritik von neuem, wie dies insbesondere die zahlreichen Postulate beweisen, die sich gegen die Starrheit der geltenden Vorschriften erhoben und Erleichterungen für die Ausübung des Stimmrechts forderten.

Der Gesetzgeber hat diesen Wünschen auf zweifache Weise Eechnung getragen: erstens brachte er am 20. Dezember 1888 bei Art. 4 eine Korrektur an, indem er Erleichterungen, die bisher nur den im Dienste stehenden Militär personen vorbehalten waren, unter gewissen Bedingungen auch auf das Personal der Transport- und Verkehrsunternehmungen, des Zolles usw. ausdehnte ; sodann ermächtigte er am 30. März 1900 die Kantone, die Stimmabgabe schon am Vorabend des Wahl- oder Abstnnniungstages zuzulassen.

450

Doch verstummten die Klagen keineswegs, und Herr Stranii reichte im September 1923 im Nationalrat ein Postulat ein, worin der Bundesrat eingeladen wurde, darüber Bericht zu erstatten, ob und in welcher Weise die Ausübung des Wahl- und Stimmrechtes erleichtert werden könnte (Salis-Burckhardt, Nr. 567). Der Winterthurer Volksvertreter hatte dabei insbesondere diejenigen Stimmberechtigten im Auge, die wegen Krankheit-oder Abwesenheit an eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen nicht teilnehmen können.

Der Bundesrat erklärte sich bereit, das Postulat zur Prüfung entgegenzunehmen, das vom Nationalrat ohne Widerspruch angenommen wurde.

In einem Kreisschreiben vom 16. März 1925 teilte der Bundesrat den Kantonen das Ergebnis der Untersuchung mit, zu der das Postulat Stranii Anlass gegeben hatte. Gestützt auf den französischen und italienischen Wortlaut des Gesetzes betreffend die Stimmabgabe am Samstag ermächtigte er vorerst die Kantone, die Stimmabgabe am Samstag schon vom Mittag an zuzulassen, obwohl der deutsche Text den Ausdruck «Vorabend» (d. h. Abend des Vortages) gebraucht. (Ein Kreisschreiben vorn 3. April 1925 erweiterte noch diese Auslegung, indem es erklärte, dass die Erleichterung der Stimmabgabe auf den ganzen Vortag ausgedehnt werden könne.) Was die in Spitälern untergebrachten oder daheim zurückgehaltenen Kranken anbetrifft, gestattete er die Abholung der Stimmzettel durch eine Abordnung des Stimmbureaus.

Hinsichtlich der am Wahl- oder Abstimmungstage von ihrem Wohnsitz abwesenden Stimmberechtigten hatte Herr Sträuli zwei Modalitäten zur Erleichterung der Ausübung ihres Stimmrechts ins Auge gefasst: die Stimmrechtsausübung sollte ihnen ermöglicht werden, sagte er, «durch verschlossene Zustellung des Stimmzettels an das Wahlbureau des Ortes, wo sie im Stimmregister eingetragen sind, mit der Bescheinigung einer Amtsstelle, dass sie sich am Abstimmungstage an einem andern Orte aufhalten, oder durch persönliche Abgabe des Wahlzettels an das Wahlbureau vor der Abreise unter Leistung des Nachweises, dass sie an der Wahl oder Abstimmung zur festgesetzten Zeit wegen Abwesenheit nicht teilnehmen können». Der Bundesrat erklärte, das Verbot der Stimmabgabe durch Stellvertretung, wie es in Art. 8 des Gesetzes festgelegt ist, erfordere das persönliche Erscheinen des Stimmberechtigten bei den Urnen,
und er halte im übrigen eine Änderung dieser Vorschrift, welche die erforderlichen Sicherheiten gegen den Stimmenfang und andere Missstände schaffe, nicht für wünschbar. Er blieb also in dieser Hinsicht der Auffassung treu, die er bisher, und zwar insbesondere in seiner Botschaft vom 26. Oktober 1888 betreffend das Postulat des Nationalrats über den gleichen Gegenstand (Bundesbl. 1888, IV, 490) vertreten hatte. Hingegen gestattete er, dass in denjenigen Gemeinden, wo die Wahllokale erst am Samstagabend oder sogar erst am Sonntag geöffnet werden, der während der Öffnungszeit abwesende Stimmberechtigte seinen Stimmzettel in einem verschlossenen Umschlage bereits ab Samstagmittag abgeben könne.

Im Laufe des gleichen Jahres fand jedoch eine neue Prüfung dieser Frage statt. Da der Eegierungsrat des Kantons Tessin sich darüber beschwert hatte,

451

dass die in den übrigen Gebieten der Schweiz beschäftigten tessinischen Saisonarbeiter von gewissen Kantonen ; zu den eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen nicht zugelassen würden, gewährte der Bundesrat durch Kreisschreiben vom 13. November 1925 allen jenen Stimmberechtigten,. die zur Zeit der Abstimmung von ihrer ordentlichen Wohnsitzgemeinde abwesend sind, weitgehende Erleichterungen. Entgegen Herrn Sträuli, der von der Ansicht ausging, der abwesende Bürger hätte sein Stimmrecht unter allen Umständen an seinem gewöhnlichen Wohnsitzorte auszuüben, gestattete er die Stimmabgabe in derjenigen Gemeinde,: wo sich dieser zufälligerweise befand, indem er dafürhielt, «dass bei Bestimmung des politischen Domizils ein ängstliches Festhalten an den Requisiten des zivilrechtlichen Wohnsitzes sich nicht rechtfertigen lässt». Infolgedessen gab er den kantonalen Regierungen folgende Weisung : · .

«Ein stimmfähiger Schweizerbürger, der sich in einer schweizerischen Gemeinde, unter Hinterlegung richtiger Ausweispapiere, als Aufenthalter polizeilich anmeldet, und gegen welchen ein Stimmausschliessungsgrund nicht vorliegt, besitzt in dieser Gemeinde das Stimmrecht in eidgenössischen Angelegenheiten, vorausgesetzt, dass er im Stimmregister seines früheren Wohnortes gestrichen worden ist. Bestehen über das Vorliegen dieser Voraussetzung im Einzelfalle Zweifel, so muss dem Stimmberechtigten freigestellt bleiben, hierüber eine Bescheinigung der früheren Wohngemeinde einzuholen.» Diese Regelung ermöglichte es sehr vielen am Wahl- oder Abstimmungstage von ihrem Wohnsitzorte abwesenden Bürgern, ihr Stimmrecht auszuüben.

Solange es sich nur um einzelne Personen handelt, spielt die geringfügige Verschiebung der Stimmen, die infolgedessen zwischen den Kantonen vorkommt, für die Festsetzung der Eesultate keine Eolle. Dagegen sieht die Sache ganz anders aus, sobald Hunderte von Leuten, die auf irgendeinem Werkplatze arbeiten, und insbesondere sobald die zahlreichen bei Notstandsarbeiten beschäftigten Arbeitslosen ihr Stimmrecht in einein Kantone ausüben, an den sie durch keinerlei dauernde Bande geknüpft sind. Im Oktober 1935 weigerte sich daher die Regierung des Kantons Schwyz, 250 Zürcher Arbeiter des Etzelwerkes zur Teilnahme an den Nationalratswahlen zuzulassen.

Da: gegen diesen Beschluss nicht rekurriert worden war,
kam das in dieser Materie seit 1912 zuständige Bundesgericht nicht in die Lage, über den Fall zu entscheiden. Im Entscheid vom 23. November 1923 in der Angelegenheit Bachmann und Konsorten gegen Jost und Hummel und Regierungsrat des Kantons Luzern (Knutwiler «Wahlknechte») erklärte es aber, dass auch nach eidgenössischem Eechte das politische Domizil sich nicht auf eine.blosse Niederlassungsbewilligung begründen könne und es nicht genüge, in einer bestimmten Gemeinde zu wohnen, um dort zur Ausübung des Stimmrechtes zugelassen zu werden: «Die Ausübung der politischen Eechte», führte es aus, «ist nichts anderes als die Mitwirkung bei den öffentlichen Angelegenheiten eines Gemeinwesens.

452 Sie setzt grundsätzlich die Mitgliedschaft, die Zugehörigkeit zu diesem Gemeinwesen voraus. Nach eidgenössischem und nach Luzerner Recht wird diese Mitgliedschaft in den öffentlichen Gemeinwesen von Schweizerbürgern durch den "Wohnsitz erworben, von den rein bürgerlichen Angelegenheiten abgesehen.

Wer auf solche Weise einem Gemeinwesen angehört, soll in den Angelegenheiten desselben mitreden können, wenn er überdies die nötigen persönlichen Eigenschaften besitzt. Von einer Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen kann aber nur da die Eede sein, wo neben äussern Beziehungen zu demselben auch der Wille vorhanden ist, demselben anzugehören, was gewöhnlich dahin umschrieben wird, dass die Absicht dauernden Verbleibens mit dem Aufenthalt an einem bestimmten Orte verbunden sein muss. Wer nicht in einer derartigen Verbindung mit einem Gemeinwesen steht, gehört ihm nicht an und hat keinen Anspruch darauf, in seinen Angelegenheiten mitzusprechen.» (Bundesgerichtliche Entscheidungen 49, I, 431.)

Dieser Begriff vom politischen Domizil ist offensichtlich nicht vereinbar mit demjenigen, wie er im Kreisschreiben des Bundesrats vom 13. November 1925 niedergelegt ist. Wir mussten uns daher die Frage vorlegen, ob wir, um unserer Auffassung treu zu bleiben, Ihnen vorschlagen sollten, diese im Gesetze ausdrücklich zu verankern, oder ob es vorzuziehen sei, einen andern Weg zu gehen. So kamen wir dazu, das gesamte Problem der Ausübung des Stimmrechtes durch Abwesende neuerdings aufzurollen.

Die Ausübung des Stimmrechts durch Abwesende.

Die erste Frage, die sich stellt, ist jene, ob die von ihrer ordentlichen Wohnsitzgemeinde abwesenden Bürger in irgendeiner Weise zur Ausübung des Stimmrechts zugelassen werden sollen. Wir zögern keinen Augenblick, hierauf in bejahendem Sinne zu antworten. In der Tat bildet in einer Demokratie, d. h. in einem Staate, wo schon begrifflich die Souveränität durch das Volk ausgeübt wird, die Ausübung des Stimmrechts die Grundlage des gesamten politischen Gebäudes. Dieses Eecht stellt eben das Instrument des Volkswillens dar: es gibt dem einfachen Staatsbürger das Mass seiner Funktion im öffentlichen Leben. Deshalb muss es sich grundsätzlich zu jeder Zeit ausüben lassen können. Gerade dieses Prinzip wenden zahlreiche Gesetzgebungen sehr strikte an, indem sie die Teilnahme an den Wahlen und
Abstimmungen obligatorisch erklären.

Wie nun Herr Stranii im Jahre 1923 bemerkte, gab es damals keine einzige eidgenössische Wahl oder Abstimmung, bei der nicht zahlreiche Klagen von Bürgern einliefen, die an der Stimmabgabe verhindert worden waren, weil sie aus irgendeinem Grunde am betreffenden Tage von ihrer Wohnsitzgemeinde abwesend sein mussten. Es handelte sich um Kaufleute oder Industrielle auf Geschäftsreisen, um in einem andern Kanton beschäftigte Arbeiter. Es handelte sich auch um [Mitglieder von Vereinen, die ihre eidgenössischen Verbands-

453 tagungen in einer andern Stadt abhielten, wie z. B. der schweizerische kaufmännische Verein, dessen Generalversammlung in einem bestimmten Jahre auf einen eidgenössischen Abstimmungstag fiel, was 1500 Bürger verhinderte, an der Abstimmung teilzunehmen.

Seither ist infolge der oben erwähnten Beschlüsse des Bundesrates eine Besserung eingetreten. Die von Herrn Stranii angeführten Unzulänglichkeiten sind aber noch lange nicht vollständig verschwunden. Allerdings können die Kranken ihre Stimmzettel einem Abgeordneten des Stimmbureaus abgeben; diese Erleichterung gilt aber nicht für die vielen Bürger, die sich ausserhalb ihrer ordentlichen Wohn^itzgemeinde in einem Krankenhaus befinden. Die Teilnehmer an politischen, beruflichen oder sportlichen Veranstaltungen haben wohl die Möglichkeit, schon vom Samstagvormittag an ihr Stimmrecht auszuüben; allein, abgesehen davon, dass einzelne dieser Veranstaltungen schon sehr früh am Samstag beginnen, kann von der Erleichterung nur in denjenigen Ortschaften Gebrauch gemacht werden, wo die Stimmabgabe bereits am Samstagvormittag zugelassen ist. Was die aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen längere Zeit von ihrer Wohnsitzgemeinde abwesenden Bürger anbetrifft, so ist, wie wir sahen, die ihnen auf Grund des Kreisschreibens vom 18. November 1925 zugute kommende Ordnung ernstlich gefährdet.

Gewiss kann man sich auch gegenüber den Gesetzen einrichten. Die Stimmausschusse lehnten sich von jeher gegen die Starrheit und Strenge der gesetzlichen Vorschriften auf und kamen denjenigen Bürgern, deren ordentlicher Wohnsitz in andern Kantonen lag, dadurch entgegen, dass sie sich mit einer Abwesenheitserklärung der zuständigen Stelle begnügten oder sogar einfach den Behauptungen der Gesuchsteller Glauben schenkten. Schon im Jahre 1894 musste der Bundesrat die Kantonsregierungen in einem Kreisschreiben einladen, ein solches, dem formellen Wortlaut des Gesetzes widersprechendes Vorgehen nicht länger zu dulden (Bundesbl. 1894, III. 508).

Er wiederholte diese Aufforderung in seinem Kreisschreiben vom 6. November 1923. Doch bestehen Gründe zur Annahme, dass die Missbräuche nicht aufgehört haben. Andere zahlreiche, Stimmausschüsse sind überaus pünktlich in der Anwendung des Gesetzes, was Herrn Sträuli zum Ausspruche veranlasste : «Wer von der Strenge der Vorschriften
betroffen wird, wird im allgemeinen den Eindruck haben, dass einmal die Vorschrift unrichtig sei und dass zum andern eine Ungerechtigkeit darin liege, dass die Vorschrift nicht überall gleich gehandhabt werde.» Die Strenge des Gesetzes rührt daher, dass dieses die Befolgung von zwei Hegeln erfordert, nämlich die Stimmabgabe am Wohnsitzorte und das persönliche Erscheinen des Wählers an der Urne. Das Kreisschreiben vom 13. November 1925 hatte versucht, die Starrheit der erstgenannten zu brechen ; Herr Sträuli hatte seine Angriffe gegen die zweite gerichtet. Wir wollen nun untersuchen, welches der beiden Mittel am besten geeignet ist, dem Wähler die erforderlichen Erleichterungen zu gewähren, ohne dass der sichere Boden des Eechtes verlassen wird.

Bundesblatt.

88. Jahrg.

Bd. III.

31

454 Die Stimmabgabe ausserhalb der ordentlichen Wohnsitzgemeinde.

Die Lösung, die sich vor allem aufdrängt, würde in der gesetzlichen Verankerung der durch das Kreisschreiben vom. 13. November 1925 gestatteten Erleichterungen bestehen. Die Anwendung dieses Kreisschreibens zeitigte in der Tat glückliche Ergebnisse, da bei den letzten Volksabstimmungen Tausende von Bürgern in die Möglichkeit versetzt wurden, ihr Stimmrecht auszuüben, ohne sich an den ordentlichen Wohnort begeben zu müssen. Die gesetzliche Festlegung dieser Erleichterungen würde jegliche Diskussion über ihre Zulässigkeit gegenstandslos machen.

Man muss aber zugeben, dass diese Lösung ernsthaften Bedenken sowohl praktischer als rechtlicher und politischer Natur ruft.

La praktischer Hinsicht ist sie unvollkommen wegen der Formalitäten und Kosten, die sie den Beteiligten verursacht. Wer der Vorteile der im Jahre 1925 eingeführten Ordnung teilhaftig werden will, muss seine Schriften an seinem gewöhnlichen Wohnorte zurückziehen, in der Aufenthaltsgemeinde abgeben und von dort nach der Abstimmung wiederum wegnehmen, um sie dann neuerdings in seiner gewöhnlichen Wohnsitzgemeinde zu hinterlegen. Diese Formalitäten, mit denen gewisse Auslagen verbunden sind, scheinen nicht übertrieben, wenn es sich um Bürger handelt, die in Erholungs- oder Sportferien weilen. Aber die Frage stellt sich bereits anders für die weit weg von ihrer Wohnsitzgemeinde untergebrachten Kranken, insbesondere die in Lungenheilstätten befindlichen Bürger, und vor allem für die auf Werkplätzen tätigen Arbeiter und die bei Notstandsarbeiten beschäftigten Arbeitslosen. Namentlich kann man den jugendlichen Arbeitslosen nicht zumuten, dass sie ihren Heimatschein an ihrem bisherigen Wohnorte abheben. Wie die Schweizerische Zentralstelle für freiwilligen Arbeitsdienst seinerzeit ausführte, sprechen zwei Gründe dagegen. Dies sei nicht angängig : «einmal darum, weil sie dann ihren bisherigen Wohnsitz aufgeben würden, was den Vorschriften des Arbeitsdienstes widerspricht und weil sie dadurch aller Kechte, die sie sich durch einen Wohnsitz erworben haben, verlustig gehen. Dieser zweite Grund ist besonders wichtig für jugendliche Arbeitslose, die aus Städten und Industrieorten kommen, deren soziale Fürsorgeeinrichtungen weitgehend ausgedehnt sind. Nach seiner Bückkehr aus dem
Arbeitsdienst müsste der Jugendliche an vielen Orten wieder eine Karenzfrist von 2 Jahren verbringen, bis er wieder in den Genuss der sozialen Einrichtungen der betreffenden Gemeinde kommen würde.» Die fragliche Lösung ruft insbesondere in rechtlicher Beziehung den schwersten Widersprüchen, weil das Kreisschreiben vom 13. November 1925r welches selbst sagt, «dass bei Bestimmung des politischen Domizils ein ängstliches Festhalten an den Eequisiten des zivilrechtlichen Wohnsitzes sich nicht rechtfertigen lässt», in der Tat ein vom letzteren unabhängiges politisches Domizil schafft.

Welches sind die gemeinrechtlichen Merkmale des Domizils ? In einem Beschlüsse des Jahres 1891 in der Beschwerdesache Barmet und Geisseler

455 gegen die Luzerner Eegierimg (Salis, 2. Auflage, Nr. 1221) hat sie der Bundesrat wie folgt umschrieben: 1. Ein äusseres und objektives Element: der Ort muss den Mittelpunkt der Lebensführung des Betreffenden bilden; 2. ein inneres und subjektives, ein Willenselement : der Betreffende muss diesen Ort auch in der Tat als sein gegenwärtiges Heim betrachten, er muss den Willen haben, an demselben dauernd zu verweilen. Eben diese doppelte Voraussetzung hat das Zivilgesetzbuch wie folgt in seinem Art. 23 formuliert, indem es sich des Wortlautes des Bundesgesetzes von 1891 über die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter bediente: «Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält.» Und Art. 26 fügt bei: «Der Aufenthalt an einem Orte zum Zwecke des Besuches einer Lehranstalt und die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs-, Versorgungs- und Heilanstalt begründen keinen Wohnsitz.» Diese Begriffsbestimmung ist zweifelsohne nicht in allen Fällen auf das politische Domizil anwendbar. So liess sich die Verwaltungspraxis, die sich zu Beginn ziemlich peinlich daran gehalten hatte, manchmal durch das Bestreben nach Erleichterung der Stimmrechtsausübung beeinflussen. Nachdem sie erklärt hatte, dass die Studenten ihre politischen Bechte in der Wohnsitzgemeinde ihrer Eltern ausüben, gestand sie zu, dass sie unter gewissen Bedingungen am Orte stimmen könnten, wo sie ihren Studien obliegen (Salis, 2. Auflage, Nrn. 1158 und 1166). Es unterliegt übrigens keinem Zweifel, dass gewisse zivilrechtliche Bestimmungen auf das politische Domizil nicht anwendbar sind, so diejenigen von Art. 24 des schweizerischen Zivilgesetzbuches, wonach der einmal begründete Wohnsitz'einer Person bis zum Erwerbe eines neuen Wohnsitzes bestehen bleibt (Burckhardt, Kommentar Seite 370). Man muss aber mit Professor Meiner (Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Seiten 302/303) anerkennen, dass «der allgemeine zivilrechtliche Wohnsitz einer Person in der Mehrzahl der Fälle auch ihr politisches Domizil bildet, weil die allgemeinen Voraussetzungen für beide ähnlich sind». Der Bundesrat hatte in seinem Berichte vom 6. Dezember 1909 an die Bundesversammlung in der Eekursangelegenheit Pagnamenta das Prinzip förmlich aufgestellt: «Die Rechtssicherheit und
die richtige Durchführung der bundesrechtlichen Grundsätze über das Stimmrecht fordern, dass der Wohnsitz im zivilrechtlichen Sinne auch für die Ausübung der politischen Bechte massgebend erklärt werde.» (Salis-Burckhardt, Nr. 394, II.) In dem bereits zitierten Entscheide betreffend die Knutwiler «Wahlknechte» äussert sich das Bundesgericht im gleichen Sinne. Es heisst dort: «Das Domizil im Sinne dieser Bestimmung (d.h. von Art. 43 der Bundesverfassung) ist aber nach der herrschenden Auffassung in der Regel der zivilrechtliche Wohnsitz einer Person.» Dadurch, dass das Kreisschreiben von 1925 auf die blosse Hinterlegung der Ausweispapiere abstellte, d. h. auf den Aufenthalt, der ein Polizeibegriff ist, hat es sich von der Doktrin und der Rechtsprechung offenkundig entfernt.

Diese Tatsache verdient eine ernsthafte Berücksichtigung. Vorerst ist zu beachten, dass es im Interesse einer guten Rechtsprechung liegt, sich soviel

456

·wie möglich an gültig aufgestellte Begriffe, wie das zivilrechtliche Domizil, zu halten, statt neue Eechtsbegriffe zu schaffen, deren Umschreibung einer ganzen Jurisprudenz rufen wird -- selbst wenn man in der Anwendung gezwungen wäre, gewisse Konzessionen an Erwägungen praktischer Natur zu machen. Die grosse Anzahl von «Domizilen» (nach Zivilrecht, in polizeilicher Hinsicht, in fiskalischer Beziehung, mit Bezug auf die Unterstützung usw.), die bereits sowohl auf eigen össischem als auf kantonalem und kommunalem Gebiete bestehen, sollte uns gegenüber solchen Neugestaltungen besonders zurückhaltend und vorsichtig machen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass sowohl gemäss der Doktrin (Burckhardt, Kommentar Seite 370) als auch nach der Eechtsprechung des Bundesgerichts (Bundesgerichtliche Entscheidungen 49, I, 429) der aus Art. 43 der Bundesverfassung sich ergebende Begriff des Domizils ebenfalls für das kantonale Bechi bestimmend ist, so dass die Schaffung eines vom. zivilrechtlichen Domizil abweichenden «politischen Domizils» im Bundesrechte, in der ganzen Materie des politischen Domizils im kantonalen Eechte Unsicherheit und Störungen verursachen würde. Wollte man im übrigen gewisse Entscheide des Bundesrates anrufen (Salis, 2. Auflage, Nr. 1156), um den Kantonen die Kompetenz zuzuerkennen, den Begriff des Domizils für ihr Gebiet selbst zu bestimmen, so wäre die Lage nicht minder bedauerlich, weil man so zwei Begriffen des politischen Domizils gegenüberstünde, je nachdem es sich um. das eidgenössische oder um das kantonale Eecht handeln würde.

In politischer Hinsicht endlich hält die ins Auge gefasste Lösung ebenfalls berechtigten Kritiken nicht Stand. In der Tat gestattet sie, dass einem Kanton die Stimmen von Bürgern angerechnet werden, die mit ihm bloss rein äusserliche Beziehungen haben, die in keiner Weise diese «Zugehörigkeit zum Gemeinwesen» schaffen, welche nach Ansicht des Bundesgerichts für die Gewährung des Stimmrechts in einer Ortschaft massgebend sein soll. Wenn es sich um Sportbeflissene oder um Kranke handelt, die der Zufall in beschränkter Zahl in einem Bergorte zusammengeführt hat, so kommt diesem Einwände lediglich eine theoretische Bedeutung zu. Anders aber bei den oft grossen und wichtigen Ansammlungen von Arbeitern auf den Werkplatzen, weil die Stimme dieser Bürger, die dem
Kanton in jeder Hinsicht fremd sind, sehr leicht das Abstimmungsergebnis beeinflussen kann. Dies gilt namentlich bei Wahlen. Gewiss hätte die Stimmabgabe der 250 Zürcher Arbeiter des Etzelwerkes das Ergebnis der Nationalratswahlen für den Kanton Schwyz anlässlich der Gesamterneuerung von 1935 nicht geändert. Waren sie aber ihrer tausend gewesen, so hätte eine Liste, die das Quorum nicht erreichte, möglicherweise einen Sitz erlangt zum Nachteil einer anderen Liste. Diese Seite des Problems ist ebenfalls nicht ohne Wichtigkeit für die Abstimmungsresultate bei Volksbegehren.

Wir wollen hier nur daran erinnern, dass der Beitritt der Schweiz zum Völkerbund durch 11% gegen 10% Kantone beschlossen wurde und dass eine Verschiebung von 100 Stimmen im Kanton Appenzell A.-Eh. zur Verwerfung der Vorlage genügt hätte. Die Tragweite einer Volksabstimmung erlaubt es daher nicht, die Gefahr zu übersehen, ,die unter Umständen ein Abstimmungs- oder

457

Wahlergebnis herbeiführen könnte, welches infolge einer Abweichung von den Grundsätzen unseres öffentlichen Rechts zustande gekommen wäre.

Aus diesem Grunde ziehen wir es vor, uns nach einer andern Richtung als derjenigen des Kreisschreibens vom 13. November 1925 zu orientieren.

Wir werden die Lösung auch nicht auf dem Wege suchen, den die Regierung des Kantons Waadt im Jahre 192S und die Motion Bosset im Jahre 1929 empfohlen hatten und wonach die Bürger ermächtigt werden sollten, ihre Stimme in einer andern Gemeinde ihres Wohnsitzkantons als der Wohnsitzgemeinde abzugeben. Wenn auch ein solches System nicht dem oben geltend gemachten politischen Einwände rufen würde, so wäre doch zu dessen Einführung eine Verfassungsänderung erforderlich. Dies erscheint aber uni so weniger angezeigt, als es sich nur um eine Teillösung handeln würde.

Die Stimmabgabe auf dem Korrespondenzwege.

Wir haben gesehen, wie gefährlich es wäre, den Begriff des politischen Domizils, wie er durch eine Rechtsprechung von mehr als 60 Jahren umschrieben worden ist, zu verlassen. Prüfen wir also, ob es zur Erleichterung der Ausübung des Stimmrechtes möglich wäre, auf das andere unserer Gesetzgebung zugrunde liegende Prinzip, nämlich auf die persönliche Anwesenheit des Bürgers im Wahllokal, zu verzichten.

Diesem Prinzip liegt die Bestimmung zugrunde, wonach die Stimmabgabe durch Stellvertretung untersagt ist (Art. 8, Abs. 2, des Bundesgesetzes von 1872). Insofern es sich um die von mehreren kantonalen Gesetzgebungen für die kantonalen Abstimmungen vorgesehene Ermächtigung an den Bürger handelt, seinen Stimmzettel durch einen Dritten abgeben zu lassen, ist gegen einen solchen Schluss nichts einzuwenden. Der Bundesrat ist aber weitergegangen. Gemäss seiner ständigen Rechtsprechung (Salis, 2. Auflage, Nr. 1197 ; Bundesbl. 1925, I, 810) gilt dieses Verbot ebenfalls für die Stimmabgabe auf dem Korrespondenzwege, für die Einsendung der Stimmzettel durch die Post. Dieser Auslegung stimmt Professor Heiner (Bundesstaatsrecht, Seite 304, Fussnote Nr. 23) bei. Der bernische Regierungsrat Rudolf hat sie hingegen in einem Aufsatz im Schweizerischen Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung (Jahrgang 1923, Seite 20) beanstandet: «Die Zusendung des Stimmzettels durch die Post ist keine Stellvertretung. Denn der Dritte (die Post) tritt
nicht mit seinem Willen für den Willen des Stimmenden auf; die Post dient nur als Bote für den Willen des Stimmenden.» Mag man sich zu dieser Kontroverse stellen wie man will, so steht jedenfalls fest, dass die Einsendung der Stimmzettel durch die Post allgemein verboten ist, und zwar sogar für die Beamten und Angestellten, zu deren Gunsten das Gesetz im Jahre 1898 abgeändert wurde. Eine Ausnahme gibt es nur für diejenigen Stimmberechtigten, die sich im Militärdienst befinden (Art. 4 des Gesetzes).

In Wirklichkeit wurde aber die Strenge dieser Vorschrift nach zwei Richtungen hin durch das Kreisschreiben vom 16. März 1925 gemildert: l.in denjenigen Gemeinden, wo die Stimmabgabe erst vom Samstagabend an oder nur

458 am Sonntag zugelassen ist, kann derjenige Bürger, der aus einem triftigen Grunde verhindert ist, sich während den Öffnungszeiten an die Urne zu begeben, seinen Stimmzettel am Vorabend des Abstimmungstages von Mittag an (nunmehr gemäss Kreisschreiben vom 3. April 1925 vom Morgen an) in verschlossenem Umschlage einem Gemeindebeamten abgeben; 2. der in seiner Wohnsitzgemeinde gepflegte Invalide oder Kranke kann verlangen, dass sein Stimmzettel durch eine Delegation des Wahlbureaus bei ihm abgeholt werde.

Kann man nicht noch weiter gehen? Wir halten es nicht für angezeigt, die Abwesenden, wie dies mehrere kantonale Gesetzgebungen tun, zu ermächtigen, sich durch eine Drittperson vertreten zu lassen, weil das Eingreifen dieses Dritten die Stimmabgabe fälschen kann. So mussten z. B. in Zürich die Gerichte wiederholt gegen Leute einschreiten, die sich auf betrügerische Weise Abstimmungsausweise angeeignet hatten. Die Stimmabgabe durch Stellvertretung im eigentlichen Sinne muss also verboten bleiben. Hingegen scheint uns die Stimmabgabe auf dem Korrespondenzwege, wo der Wille eines Dritten in keiner Weise dazwischen tritt, durchaus mit den Grundsätzen unseres Abstimmungsrechtes vereinbar, sofern folgende Vorschriften befolgt werden: 1. Die Abstimmung auf dem Korrespondenzwege muss auf Sonderfälle beschränkt bleiben, die gebührend begründet werden. Man muss verhindern, dass einzelne Bürger sich dieser Erleichterung bedienen, um ohne Grund sich der Pflicht, persönlich zur Urne zu gehen, zu entziehen. So wird der Kranke eine ärztliche Bescheinigung beibringen und der vom Wohnsitzort Abwesende diese Abwesenheit rechtfertigen müssen.

2. Der Bürger wird nur an einem einzigen Orte die Stimme abgeben können (Salis/Burckhardt, Nr. 563). Die Behörden dürfen die Nachsicht nicht länger dulden, die von allzuviel Wahlausschüssen gegenüber Bürgern geübt wird, die sich vorübergehend an irgendeinem andern Orte befinden, wo sie keinen Wohnsitz haben.

3. Das Abstimmungsgeheimnis muss gesichert sein. Das einfachste Mittel zur Erfüllung dieser Bedingung ist die Vorschrift, dass der Stimmzettel in einem doppelten Umschlage eingeschickt werden muss : der äussere Umschlag dient der Übermittlung durch die Post, der innere enthält den Stimmzettel und ist dem Präsidenten des Stimmbureaus zu übergeben.

Werden diese Bedingungen
erfüllt, so bietet die Stimmabgabe auf dem Korrespondenzwege keinerlei Gefahr mehr und bildet ein wichtiges Mittel zur Erleichterung der Ausübung des Stimrnrechtes.

Die Stimmabgabe auf dem Korrespondenzwege ist keine Neuerung in unserem schweizerischen Eechte. Die Kantone Glarus und Basel-Stadt gestatten sie bereits den Kranken für die kantonalen und kommunalen Abstimteungen, ebenso Xeuenburg den ausserhalb ihrer Wohnsitzgemeinde beschäftigmn Arbeitslosen, Solothurn endlich den Ortsabwesenden. Alle diese Kantone erklären, dass sie damit gute Erfahrungen machten, und die nähere Prüfung der Gesetzestexte zeigt, dass die oben angeführten Bedingungen dort strenge befolgt werden.

459 Da die meisten Kantone diese Einrichtung nicht kennen, beantragen wir Ihnen, ihr indessen keinen obligatorischen Charakter zu verleihen. Es dürfte genügen, die Kantone zu ermächtigen, sie je nach ihren Bedürfnissen und nach Massgabe ihrer Konvenienz einzuführen. Wenn einmal die zahlreichen, unser Abstimmungsrecht regelnden Gesetze zu einem Ganzen vereinigt werden, wird man die Schlüsse aus den gemachten Erfahrungen ziehen und das Problem dann einheitlich regeln können. Allerdings wird man einwenden, dass diese Lösung ein Element der Yerschiedenartigkeit in das Abstimmungsrecht der Eidgenossenschaft hineinbringe. Doch sei daran erinnert, dass, soweit nicht besondere Vorschriften vorliegen, die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen ja nach kanfconalrechtlichen Bestimmungen stattfinden (Art. 1.

Bundesgesetz von 1872). Es hätte also genügt, dass der Bundesrat den Begriff der «Stimmabgabe durch Stellvertretung» ähnlich wie Herr Rudolf auffasste, um den Kantonen die Möglichkeit zu geben, die Stimmabgabe auf dem Korrespondenzwege auch für die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen einzuführen. Übrigens erfolgte die Zulassung zur Stimmabgabe am Samstag ebenfalls in der Form einer Bewilligung an die Kantone zur Gewährung dieser Erleichterung. Das Recht der Kantone,'grundsätzlich die ganze Materie selbst zu regeln, erlaubte endlich mehreren von ihnen, den Stinimzwang anzuordnen (Salis, 2. Auflage, Nr. 1153 ; Salis/Burckhardt, Kr. 565) und auf diese Weise die Beteiligung an den Abstimmungen um 10, 20 oder 30% zu erhöhen, was eine weit grössere Verschiedenheit schafft als die Möglichkeit der Zulassung der Stimmabgabe auf dem Korrespondenzwege.

Man kann sich fragen, ob es nicht angezeigt wäre vorzusehen, dass die die Stimmabgabe auf dem Korrespondenzwege einführenden kantonalen Gesetze der Genehmigimg bedürfen, um so eine Kontrolle darüber zu ermöglichen, ob die oben genannten Bedingungen erfüllt sind. Indessen erschiene es uns ungewöhnlich, eine derartige Formalität für einen einzelnen Bestandteil der Wahlprozedur vorzuschreiben, während sonst alle kantonalrechtlichen Vorschriften über eidgenössische Wahlen und Abstimmungen der Bestätigung durch den Bundesrat entzogen sind. Deshalb riet der Bundesrat auch schon im Jahre 1888 davon ab. für die dem Personal der Transport- und Verkehrsanstalten, der
Zollverwaltimg usw. gewährten Erleichterungen die Zustimmung der Bundesinstanzen vorzusehen. Er sagte: «Denn wenn dieselben (d. h. die Kantone) nach dem gegenwärtig geltenden Gesetze das gesamte reguläre Wahl- und Abstinrmungsverfahren nach eigenem Ermessen zu ordnen haben, so rnuss dieser Grundsatz um so mehr gelten für untergeordnete Massnahmen, durch welche speziellen Verhältnissen Rechnung getragen werden soll.» (Bundesbl. 1888. IV. 497.) Überdies ist zu berücksichtigen, dass gemäss ständiger Rechtspraxis die Genehmigung von Gesetzen durch den Bundesrat das Rekursrecht in keiner Weise beschränkt (Bundesgerichtliche Entscheidungen 42, I, '348; 50, I, 542; 51, II, 337; 53, II, 461). Es wird also unter allen Umständen Sache des Bundesgerichts sein zu entscheiden, ob eine bestimmte kantonalrechtliche Vorschrift dem Bundesrechte entspricht.

460 Wortlaut des Gesetzesentwurfes.

Der zweite Absatz des neuen Artikels 4 ermöglicht die Stimmabgabe auf dem Korrespondenzwege. Diejenigen Kantone, die diese Erleichterung gestatten werden, müssen jeweilen die Binreichung eines begründeten Gesuches verlangen, wobei die zuständige Behörde im Eahmen der kantonalen Vorschriften über den Wert der vorgebrachten Gründe entscheiden wird. Die Ermächtigung kann sowohl den von ihrem Wohnsitzort abwesenden Bürgern erteilt werden als den dort bleibenden Kranken, die aber verhindert sind, sich persönlich in das Wahllokal zu begeben; der Umfang der Ermächtigung wird für jeden Kanton durch die kantonale Gesetzgebung bestimmt.

Der dritte Absatz enthält die Vorschriften von Absatz 2 des jetzigen Gesetzes. Der französische Text wurde durch die Worte «für die oben genannten Beamten und Angestellten» ergänzt; diese Worte haben Bezug auf den 1. Absatz 1) und wurden bai der Eevision von 1888 irrtümlicherweise weggelassen.

Wir haben noch die «verhinderten Stimmberechtigten» beigefügt, so dass der in'diesem Absatz aufgestellte Vorbehalt sowohl auf die im neuen Absatz 2 ins Auge gefassten Bürger als auf die Beamten und Angestellten der Post-, Telegraphen- und Zollverwaltung, der Eisenbahnen und Dampfschiffe und der kommunalen Anstalten und Polizeikorps anwendbar sein wird. Der unter den Vorbehalt fallende Art. 3 bestimmt, dass der Bürger sein Stimmrecht da ausübt, «wo er wohnt» («dans le lieu où il réside»), m. a. W. an seinem zivilrechtlichen Domizil. Was Art. 8 anbelangt, der ebenfalls vorbehalten ist, so schreibt dieser das schriftliche Verfahren (ausser für die Wahl der Geschworenen) sowie die geheime Stimmabgabe vor und. verbietet die Stellvertretung. Da die Stimmabgabe auf dem Korrespondenzwege ausdrücklich gestattet wird, so kann sich dieses Verbot nur noch auf die Stellvertretung durch einen Dritten («vote par procuration») beziehen.

Gestützt auf die vorstehenden Darlegungen haben wir die Ehre, Ihnen den nachstehenden Entwurf eines Bundesgesetzes zur Annahme zu empfehlen.

Wir benützen den Anlass, Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den 14. Dezember 1936.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Meyer.

Der Bundeskanzler: G. Bovet.

1 ) Art. 4, Abs. l : Stimmberechtigten, welche sich bei eidgenössischen
Wahlen und Abstimmungen im Militärdienst befinden, sowie Beamten und Angestellten der Post-, Telegraphen- und Zollverwaltung, der Eisenbahnen und Dampfschiffe, kommunaler Anstalten und Polizeikorps, soll Gelegenheit gegeben werden, sich an diesen Wahlen und Abstimmungen zu beteiligen.

461 (Entwurf.)

Bundesgesetz über

die Ermächtigung zur Ausübung des Stimmrechts ausserhalb der Wohnsitzgemeinde.

Die Bundesversammlung der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 14. Dezember 1936, beschliesst :

Art. 1.

Art. 4, Abs. 2, des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen wird aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Ausserdem können die Kantone anordnen, dass die am persönlichen Erscheinen an der Urne verhinderten Stimmberechtigten auf begründetes Gesuch hin ermächtigt werden, ihren Stimmzettel durch die Post einzusenden.

Die zu diesem Zwecke für die genannten Beamten und Angestellten oder die verhinderten Stimmberechtigten von den Kantonsbehörden zu treffenden Einrichtungen dürfen indessen mit den Vorschriften der Art. 8 und 8 dieses Gesetzes nicht im Widerspruch stehen und sind wenigstens vierzehn Tage vor einer eidgenössischen Wahl und Abstimmung zu veröffentlichen.

Art. 2.

Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Gesetzes beauftragt, 24

-·£*<>*-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurfe eines Bundesgesetzes betreffend die Ermächtigung zur Ausübung des Stimmrechts ausserhalb der Wohnsitzgemeinde. (Vom 14. Dezember 1936.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1936

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

51

Cahier Numero Geschäftsnummer

3499

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

16.12.1936

Date Data Seite

449-461

Page Pagina Ref. No

10 033 137

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.