08.048 Bericht über die anlässlich der 94., 95. und 96. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK) genehmigten Instrumente vom 30. Mai 2008

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Gemäss Artikel 19 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) erstatten wir Ihnen Bericht über die von der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK) anlässlich ihrer 94., 95. und 96. Tagung genehmigten Instrumente.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

30. Mai 2008

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2008-0450

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Übersicht Dieser Bericht befasst sich mit folgenden, anlässlich der 94., 95. und 96. Tagung der IAK genehmigten Rechtsinstrumenten: ­

Seearbeitsübereinkommen, 2006

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Übereinkommen Nr. 187 über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz sowie das Übereinkommen ergänzende Empfehlung Nr. 197

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Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis

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Übereinkommen Nr. 188 über die Arbeit im Fischereisektor sowie das Übereinkommen ergänzende Empfehlung Nr. 199

Das Seearbeitsübereinkommen legt die für menschenwürdige Arbeit im Seeschifffahrtssektor unverzichtbaren Rahmenbedingungen fest. Es definiert Mindestanforderungen für die Arbeit von Seeleuten auf Schiffen und enthält Bestimmungen zu Beschäftigungsbedingungen, Arbeits- und Ruhezeiten, Unterkünften, Freizeiteinrichtungen, Verpflegung, Gesundheitsschutz, medizinischer Betreuung, sozialer Betreuung und Gewährleistung der sozialen Sicherheit. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird durch Klageverfahren, die Seefahrern sowohl auf See als auch an Land zugänglich sind, sowie durch Bestimmungen sichergestellt, die sich auf die Überwachung der Verhältnisse an Bord eines Seefahrtsschiffes durch Reeder und Schiffskapitän, auf Rechtssprechung und Kontrollen durch die Staaten, unter deren Flagge ihre Schiffe laufen, sowie auf Inspektionen ausländischer Schiffe durch den Hafenstaat beziehen. Das Übereinkommen sieht ferner vor, dass ein Seearbeitszeugnis für Seefahrtsschiffe ausgestellt werden kann, wenn der Flaggenstaat überprüft hat, dass die Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord eines Schiffes die in die innerstaatliche Gesetzgebung übernommenen Bestimmungen des Übereinkommens erfüllen.

Neu an diesem Übereinkommen sind unter anderem seine Form und Struktur, wobei es neben rechtlich verbindlichen Normen spezifische Vorschriften enthält, die sich an bestimmten Leitlinien orientieren. Es unterscheidet sich damit deutlich von älteren Übereinkommen der IAO. In mehreren Abschnitten des Übereinkommens sind detaillierte technische Vorschriften festgelegt, die dank einem verkürzten Revisionsverfahren auf den neuesten Stand gebracht werden können. Dieses Übereinkommen ist dazu bestimmt, zum «vierten Pfeiler» des Systems zur Regelung der internationalen Seeschifffahrt zu werden, wobei es die Kernübereinkommen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) ergänzen soll. Das neue Übereinkommen konsolidiert und aktualisiert die seit 1920 verabschiedeten 68 IAOÜbereinkommen und Empfehlungen zur Seeschifffahrt.

Die Ratifikation des Seearbeitsübereinkommens erfordert Anpassungen der entsprechenden Bundesgesetzgebung. Die zuständigen Stellen sind dabei zu prüfen, inwieweit das Bundesgesetz über die Seeschifffahrt unter der Schweizer Flagge geändert werden muss. Diese Abklärungen erfordern etwas Zeit. Ausserdem erachtet
es der Bundesrat als sinnvoll, das Vorgehen der Schweiz mit demjenigen der EU-Staaten zu koordinieren. Der Rat der Europäischen Union hat die Mitgliedstaaten der EU am 7. Juni 2007 aufgefordert, das Seearbeitsübereinkommen zu ratifizieren. Dies

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wird indes nach den zurzeit vorliegenden Informationen kaum vor 2010 erfolgen.

Das EDA und das EVD werden die Entwicklungen in dieser Angelegenheit verfolgen und der Bundesrat wird den eidgenössischen Räten zu gegebener Zeit eine entsprechende Botschaft unterbreiten.

Das Übereinkommen Nr. 187 zielt auf eine laufende Stärkung des Arbeitsschutzes ab, um arbeitsbedingten Unfällen, Erkrankungen und Todesfällen vorzubeugen. Es verlangt von den ratifizierenden Staaten, dass sie in Absprache mit den Sozialpartnern konkrete Massnahmen zur Entwicklung einer Präventionskultur, sowie einer innerstaatlichen Arbeitsschutzpolitik, eines innerstaatlichen Arbeitsschutzsystems und eines innerstaatlichen Arbeitsschutzprogramms ergreifen. Die das Übereinkommen begleitende Empfehlung enthält eine Liste der IAO-Rechtsinstrumente im Arbeitsschutzbereich, die als Grundlage für die genannten Massnahmen dienen sollen. Der Bundesrat unterstützt die mit dem Übereinkommen Nr. 187 angestrebten Ziele, die in der schweizerischen Gesetzgebung zum Arbeitsschutz schon weitgehend verwirklicht sind. Die Schweiz hat jedoch nicht alle im Übereinkommen Nr. 187 und der Empfehlung Nr. 197 erwähnten Rechtsinstrumente ratifiziert; zudem ist in zurzeit nicht geplant, das Koordinationssystem im Arbeitsschutzbereich umfassend zu revidieren bzw. zu zentralisieren, um es mit diesen Instrumenten in Einklang zu bringen. Daher empfiehlt der Bundesrat, das Übereinkommen Nr. 187 nicht zu ratifizieren.

Die Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis zielt darauf ab, in Absprache mit der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite innerstaatliche politische Massnahmen zu entwickeln, um sicherzustellen, dass bestehende Arbeitsverhältnisse als solche festgestellt werden können. Empfehlungen sind Instrumente, die für die IAOMitgliedstaaten nicht bindend sind. Sie können den Regierungen als Orientierung bei der Festlegung ihrer Politik dienen. Die Empfehlungen der IAK erfordern daher keinen Entscheid zur Ratifizierung durch die Schweiz, und gemäss der etablierten Praxis werden diese Instrumente nicht kommentiert, sofern sie keine Ergänzung zu einem Übereinkommen darstellen. Die Empfehlung Nr. 198 wird daher lediglich zur Information vorgelegt.

Das Übereinkommen Nr. 188 und die Empfehlung Nr. 199 bezwecken, die Arbeitsbedingungen von rund 30 Millionen
im Sektor der kommerziellen Hochseefischerei Beschäftigten zu verbessern. Sie widerspiegeln die Anforderungen, die sich durch die Globalisierung in einem expandierenden Sektor ergeben, in dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beträchtlichen Gefahren und Schwierigkeiten ausgesetzt sind. Die neuen Normen umfassen Bestimmungen, die für die Beschäftigten im Fischereisektor einen besseren Arbeitsschutz, medizinische Versorgung auf See und an Land für verletzte oder kranke Seeleute, für ihre Gesundheit und Sicherheit ausreichende Ruhezeiten, den Schutz durch einen Beschäftigungsvertrag und dieselbe soziale Sicherung wie für die in anderen Sektoren Beschäftigten sicherstellen sollen.

Da die Schweiz über keine kommerzielle Hochseefischerei verfügt, ist sie von diesen Rechtsinstrumenten nicht betroffen. Entsprechend empfiehlt der Bundesrat, das Übereinkommen Nr. 188 nicht zu ratifizieren.

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Der vorliegende Bericht ist der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO, einer ausserparlamentarischen konsultativen Kommission, welche sich aus Vertretern und Vertreterinnen der Verwaltung und der schweizerischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände zusammensetzt, vorgelegt worden. Mit Ausnahme der Arbeitnehmervertreter hat die Mehrheit der Kommission vom Bericht Kenntnis genommen und ihn genehmigt. Die beiden Arbeitnehmervertreter haben sich gegen den Vorschlag, die Übereinkommen Nr. 187 und 188 nicht zu ratifizieren, ausgesprochen. Betreffend Seearbeitsübereinkommen wurde dem Antrag der Arbeitnehmervertreter entsprochen, den Willen des Bundesrates, dieses internationale Instrument zu ratifizieren, klarer zum Ausdruck zu bringen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Einführung

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2 Seearbeitsübereinkommen, 2006 (Anhang 1) 2.1 Allgemeiner Teil 2.2 Besonderer Teil 2.3 Schlussfolgerungen

5574 5574 5575 5578

3 Übereinkommen Nr. 187 über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz, 2006, und Empfehlung Nr. 197 betreffend den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz, 2006 (Anhänge 2 und 3) 3.1 Allgemeiner Teil 3.2 Besonderer Teil 3.3 Schlussfolgerungen

5579 5579 5580 5588

4 Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis, 2006 (Anhang 4) 4.1 Allgemeiner Teil 4.2 Besonderer Teil 4.3 Schlussfolgerungen

5588 5588 5589 5590

5 Übereinkommen Nr. 188 über die Arbeit im Fischereisektor, 2007, und Empfehlung Nr. 199 über die Arbeit im Fischereisektor, 2007 (Anhänge 5 und 6) 5.1 Allgemeiner Teil 5.2 Schlussfolgerungen

5590 5590 5592

6 Konsultation der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO

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Anhänge 1 Seearbeitsübereinkommen, 2006

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2 Übereinkommen Nr. 187 über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz, 2006

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3 Empfehlung Nr. 197 betreffend den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz, 2006

5719

4 Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis, 2006

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5 Übereinkommen Nr. 188 über die Arbeit im Fischereisektor, 2007

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6 Empfehlung Nr. 199 betreffend die Arbeit im Fischereisektor, 2007

5767

5573

Bericht 1

Einführung

Gemäss Artikel 19 Absätze 5 und 6 der Verfassung der IAO (SR 0.820.1) sind die IAO-Mitgliedstaaten verpflichtet, ihren Parlamenten die an den Tagungen der IAO genehmigten internationalen Rechtsinstrumente (Übereinkommen und Empfehlungen) vorzulegen, und zwar innerhalb einer Frist von einem Jahr nach Abschluss der Tagung. Diese Frist kann um höchstens sechs Monate verlängert werden.

Im vorliegenden Bericht werden das Seearbeitsübereinkommen (2006), das Übereinkommen Nr. 187 über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz, die dieses ergänzende Empfehlung Nr. 197, sowie das Übereinkommen Nr. 188 über die Arbeit im Fischereisektor und die dieses ergänzende Empfehlung Nr. 199 erörtert.

Zur Information wird den eidgenössischen Räten zudem die Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis vorgelegt. Diese Rechtsinstrumente, deren Wortlaut im Anhang aufgeführt ist, wurden von der IAK am 7. Februar 2006, 15. Juni 2006 und 14. Juni 2007 verabschiedet.

2

Seearbeitsübereinkommen, 2006 (Anhang 1)

2.1

Allgemeiner Teil

Im Februar 2006 wurde im Rahmen der IAK das Seearbeitsübereinkommen 2006 von 106 Staaten angenommen. Ziel war, ein einziges in sich geschlossenes internationales Instrument zu schaffen, welches alle aktuellen Normen der bestehenden internationalen Übereinkommen und Empfehlungen der IAO im maritimen Bereich umfasst. Als Grundlage dienten somit alle von der IAO seit ihren Anfängen angenommenen Rechtsinstrumente zum Schutz der Arbeits- und Lebensbedingungen von Seeleuten. Die bestehenden Instrumente, welche aufgrund der Entwicklung der Technik zu einem erheblichen Teil obsolete Bestimmungen enthalten, sollen nicht mehr für zukünftige Ratifikationen offen stehen, sondern vom umfassenden Seearbeitsübereinkommen abgelöst werden.

Die Schweiz hat bei der Verabschiedung des Bundesgesetzes vom 23. September 1953 über die Seeschifffahrt unter der Schweizer Flagge (SR 747.30) alle zu jenem Zeitpunkt bestehenden IAO-Instrumente im Bereich des Arbeitsschutzes für Seeleute berücksichtigt. Seither wurden neun weitere Übereinkommen betreffend Seeschifffahrt verabschiedet, welche fast ausschliesslich Erneuerungen von Bestimmungen bestehender Übereinkommen enthielten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der grösste Teil der IAO-Instrumente in diesem Bereich in der schweizerischen Gesetzgebung oder zumindest im Gesamtarbeitsvertrag zwischen den Reedern und der Vertretung der Seeleute ihren Niederschlag gefunden haben.

Das Übereinkommen soll sich als vierte Säule neben die bestehenden drei Hauptkonventionen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (International Maritime Organization, IMO) einreihen. Bei diesen handelt es sich um das internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS), das internationale Übereinkommen über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (STCW) und das 5574

internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL).

Das Kernmandat des Seearbeitsübereinkommens besteht darin, weltweit sowohl einheitliche als auch angemessene Arbeitsbedingungen für die Seeleute zu schaffen.

In Anbetracht der globalen Natur der Schifffahrtsindustrie und auch der Tatsache, dass bei rund 80 Prozent der Unfälle auf See der Faktor Mensch eine wesentliche Rolle spielt, ist dieser besondere Schutz notwendig. Ausserdem kommt es wegen der globalen Natur der Arbeitsverhältnisse zur See immer wieder zu starken Ungleichheiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur See. In Zukunft sollen Reeder, die sich auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unfaire Wettbewerbsvorteile verschaffen, künftig keinen Platz mehr in der Handelsschifffahrt haben. Des Weiteren besteht seit Längerem der Bedarf, ein effektives System zur Durchsetzung der geltenden Normen und zur Eliminierung von so genannten «Substandard»Schiffen zu etablieren.

Die Mitgliedstaaten der IAO sind angehalten, die Ratifikation des Seearbeitsübereinkommens zügig voranzutreiben. Das Übereinkommen tritt nach Ablauf von zwölf Monaten, nachdem es 30 Länder, welche 33 Prozent der Welttonnage ausmachen, ratifiziert haben, in Kraft. Dies dürfte nicht vor 2010 der Fall sein. Besonders wirkungsvoll ist das Übereinkommen dadurch, dass auch Schiffe von Staaten, die es nicht ratifizieren, in den Häfen von ratifizierenden Staaten auf Einhaltung seiner Bestimmungen überprüft werden können. Verstösse gegen die Normen können dazu führen, dass fehlbare Seeschiffe auch von Staaten, die das Übereinkommen nicht ratifiziert haben, erhebliche Verzögerungen in der Abfertigung erleiden oder gar festgehalten werden können, was mit erheblichen Kosten für den Reeder und einem Imageschaden für den jeweiligen Flaggenstaat verbunden ist.

Für die unter Schweizer Flagge fahrenden Schiffe ändert sich durch das Übereinkommen wenig, da die meisten Bestimmungen desselben bereits heute gelten. Die schweizerische Seeschifffahrtsgesetzgebung deckt bereits heute die neuen Normen weitgehend ab und geht teilweise sogar darüber hinaus. Beispielsweise hat die Schweiz alle acht in der Präambel des neuen Übereinkommens erwähnten internationalen Arbeitsübereinkommen ratifiziert.

Durch den Abschluss eines Gesamtarbeits-
bzw. Kollektivvertrages zwischen der Vertretung der Seeleute (UNIA) und sämtlichen Reedern, welche Schiffe unter Schweizer Flagge betreiben, konnten gewisse gesetzliche Bestimmungen ergänzt und teilweise nicht unwesentlich zugunsten der Seeleute erweitert werden. Hier stellt sich die Frage, ob die entsprechenden Bestimmungen des Kollektivvertrages den im Übereinkommen enthaltenen Normen genügen. Die Bestimmungen des Kollektivvertrages zwischen den Sozialpartnern (UNIA einerseits und Schweizerischer Reederverband andererseits) gelten für alle schweizerischen Seeschiffe und ihre Besatzungen. Sie sind deshalb als integraler Bestandteil der spezifischen schweizerischen Rechtsordnung zu betrachten.

2.2

Besonderer Teil

Das Seearbeitsübereinkommen besteht aus drei Elementen: den Grundbestimmungen im Sinne eines Allgemeinen Teils, den Vorschriften als materielle Bestimmungen und dem Kodex mit den Durchführungsbestimmungen. Der Kodex selbst 5575

besteht aus einem Teil A mit verbindlichen Normen sowie einem Teil B, der lediglich unverbindliche Leitlinien einschliesst. Die Vorschriften und der Kodex sind in fünf Titel unterteilt.

Pro Titel werden im vorliegenden Bericht summarisch die Unvereinbarkeiten mit dem geltenden schweizerischen Recht aufgeführt. Diese lassen sich überwiegend durch eine Änderung der Seeschifffahrtsverordnung vom 20. November 1956 (im Folgenden: Verordnung; SR 747.301) und geringfügige Änderungen des Seeschifffahrtsgesetzes (im Folgenden: Gesetz) beseitigen.

Titel 1

Mindestanforderungen für die Arbeit von Seeleuten auf Schiffen

In Titel 1 ist insbesondere das Mindestalter von Seeleuten zu erwähnen, welches in der Verordnung von 15 auf 16 Jahre erhöht werden muss. Das Übereinkommen bestimmt zudem, dass Seeleute vor Aufnahme der Tätigkeit auf einem Schiff einen Schiffssicherheitslehrgang absolvieren müssen. Explizit erwähnt die schweizerische Gesetzgebung nichts derartiges, in Artikel 62 des Gesetzes wird jedoch in allgemeiner Art und Weise eine Befähigung zum vorgesehenen Dienst vorgeschrieben.

Inwieweit eine solche allgemeine Bestimmung dem Sinn des Übereinkommenstextes entspricht, liegt im Ermessen der IAO. Tatsächlich schickt bereits heute ein Teil der Schweizer Reeder ihre zukünftigen Seeleute in zweiwöchige Schiffssicherheitslehrgänge, wohingegen andere Schifffahrtsunternehmer sogenannte «On Board Safety Trainings» durchführen.

Ein zu klärender Punkt betrifft die Vorschrift, wonach Reeder von Mitgliedsstaaten, welche Anwerbungs- und Arbeitsvermittlungsdienste für Seeleute in Ländern in Anspruch nehmen, in denen dieses Übereinkommen nicht angewendet wird, deren Konformität mit den im Kodex enthaltenen Anforderungen sicherstellen müssen. Da viele Seeleute auf Schweizer Schiffen über diesen Weg rekrutiert werden, stellt sich hier die Frage der Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe.

Titel 2

Beschäftigungsbedingungen

Unter Titel 2 wären Mindestkündigungsfristen, Mindestruhezeiten und Heimschaffungskosten anzupassen. Wo das Übereinkommen eine siebentägige Mindestkündigungsfrist vorsieht, begnügt sich das Gesetz mit 24 Stunden. Immerhin bestimmt der Gesamtarbeitsvertrag eine Frist von vier Wochen. Bei der Mindestruhezeit schreibt das Übereinkommen pro 24 Stunden 10 Ruhestunden vor, gemäss der Verordnung hingegen sind bereits 8 Stunden ausreichend. Ebenso gewährt das Übereinkommen den Seeleuten einen weiter gehenden Heimschaffungsanspruch als im Gesetz vorgesehen. Der Reeder muss gemäss Übereinkommen selbst dann für die Kosten der Heimschaffung aufkommen, wenn die Kündigung vom Seefahrer ausgeht; immerhin müssen dann die vom Seemann vorgebrachten Gründe dafür berechtigt sein.

Titel 3

Unterkünfte, Freizeiteinrichtungen, Verpflegung einschliesslich Bedienung

Titel 3 befasst sich in erster Linie mit den Spezifikationen der verschiedenen Unterkunftslokalitäten, welche ausführlich im Anhang der Verordnung enthalten sind. Bei den wenigen Abweichungen zum Seearbeitsübereinkommen handelt es sich vorwiegend um technische Details. Beispielsweise verlangt das Übereinkommen eine lichte Höhe von mindestens 203 Zentimetern in allen Unterkünften, wogegen die Verord5576

nung eine Mindesthöhe von 190 Zentimetern vorsieht. Anforderungen, welche sich auf schiffbauliche Massnahmen und die Ausrüstung beziehen, finden nur bei Schiffen Anwendung, die zum oder nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Übereinkommens gebaut werden. Da die neuen Schiffe ohnehin bereits heute die allermeisten internationalen Normen erfüllen, scheint es sinnvoll, den gesamten Anhang der Verordnung an den Wortlaut des Übereinkommens anzupassen.

Titel 4

Gesundheitsschutz, medizinische Betreuung, soziale Betreuung und Gewährleistung der sozialen Sicherheit

Unter Titel 4 wären Anpassungen vor allem im Bereich des Gesundheitsschutzes sowie der sozialen Sicherheit unerlässlich. Während das Übereinkommen bei Ersterem höhere Anforderungen an den Flaggenstaat bzw. den Reeder stellt, übersteigen bei Letzterem die nationalen Standards die Übereinkommensanforderungen nicht unwesentlich, jedoch nur für einen immer kleineren Anteil der Besatzungsmitglieder auf Schweizer Schiffen.

Beim Gesundheitsschutz sieht das Übereinkommen im Gegensatz zum Landesrecht Zahnbehandlungen und Präventivmassnahmen vor. Der Gesamtarbeitsvertrag beinhaltet immerhin die Zahnbehandlung im Notfall.

Im Bereich der sozialen Sicherheit erschweren die Vielfalt der Nationalitäten an Bord ­ auf Schweizer Schiffen zurzeit immerhin 17 ­ und der geringe Anteil an Schweizer Staatsangehörigen (zurzeit 3,3 %) die Festsetzung von einheitlichen Standards beträchtlich. Beispielsweise besteht nur bei Seeleuten von Staaten mit geltenden bilateralen Sozialversicherungsabkommen das Recht zum Beitritt zur schweizerischen Sozialversicherung. Seeleuten aus anderen Ländern, mithin also dem überwiegenden Anteil der Besatzungsmitglieder, ist es nicht möglich, sich der schweizerischen Sozialversicherungsgesetzgebung zu unterstellen.

Das Übereinkommen erfordert, dass zum Zeitpunkt der Ratifikation die Bestimmungen in mindestens drei der folgenden neun Zweige der sozialen Sicherheit erfüllt sind: ärztliche Betreuung, Krankengeld, Arbeitslosigkeit, Leistungen bei Alter, bei Arbeitsunfällen und bei Berufskrankheiten, Leistungen für Familien, Leistungen bei Mutterschaft, bei Invalidität und Leistungen an Hinterbliebene. Bereits heute werden durch das Landesrecht sowie den Gesamtarbeitsvertrag für Angehörige von Staaten, mit welchen die Schweiz ein bilaterales Abkommen abgeschlossen hat, acht Zweige abgedeckt. Für alle übrigen Seeleute gewährt das Gesetz immerhin noch bei sechs der genannten Zweige Schutz. Nicht erfüllt bleiben weiterhin die Bereiche Arbeitslosenschutz und Altersvorsorge. Die grosse Anzahl betroffener Nationalitäten, die teilweise sehr kurze Arbeitsvertragsdauer und das für schweizerische Verhältnisse tiefe Lohnniveau lassen in diesen beiden Bereichen sinnvolle Lösungen nur auf internationaler Ebene oder durch bilaterale Abkommen in Frage kommen. Doch selbst die Ratifikation des Seearbeitsübereinkommens durch die Schweiz würde keinen unmittelbaren Handlungsbedarf bedingen, da die vom Übereinkommen geforderten Minima erfüllt werden.

Titel 5

Erfüllung und Durchsetzung

Der Titel 5 beinhaltet die Verantwortung für jedes Mitglied, die in dem Übereinkommen vorgesehenen Verpflichtungen in vollem Umfang einzuhalten und durchzusetzen. Sinnvollerweise würde man Artikel 9 der Verordnung (Anwendung 5577

internationaler Übereinkommen) mittels eines zusätzlichen Buchstabens auf das Seearbeitsübereinkommen erweitern.

Eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des Übereinkommens werden zweifelsfrei die Klassifikationsgesellschaften (Schiffsprüfungsgesellschaften) einnehmen. Schon heute arbeiten die Flaggenstaatenbehörden eng mit den jeweiligen Gesellschaften bei der Umsetzung der bereits bestehenden Konventionen zusammen.

2.3

Schlussfolgerungen

Die Seeschifffahrt spielt eine Schlüsselrolle im heutigen Globalisierungsprozess ­ rund 95 Prozent aller Güter werden mindestens einmal über die Meere transportiert, ehe sie zu den Konsumentinnen und Konsumenten gelangen. Circa 1,2 Millionen Seeleute arbeiten auf See, davon knapp 600 aus 17 Nationen auf Schiffen mit Schweizer Flagge.

Die Schweiz als Industrie- und Handelsnation ist in grossem Ausmass vom weltweiten Handel abhängig. Angesichts der internationalen Rolle der Seeschifffahrt ist eine wirkungsvolle Handelsflotte für unser Land von vitaler Bedeutung. Alle nennenswerten nationalen Handelsflotten werden durch die jeweiligen Staaten teilweise massiv gefördert, was deutlich macht, dass nebst rein versorgungspolitischen Gründen die Sicherung des eigenen Wirtschaftsstandortes ein wesentlicher Faktor ist. Die Schweizer Reedereien stärken den internationalen Dienstleistungsstandort, verdienen ihr Geld im Ausland, bezahlen die Steuern hier und sichern Hunderte von Arbeitsplätzen.

Aufgrund der globalen Natur der Seeschifffahrt sowie deren vielfältiger Gefahrenanfälligkeit wurde von der internationalen Staatengemeinschaft schon früh erkannt, dass Sicherheit durch Koordination auf internationaler Ebene viel besser erreicht werden kann als durch selbstständig handelnde Einzelstaaten. Die IMO, eine UNOSonderorganisation mit Sitz in London, hatte ursprünglich die Sicherheit der Handelsseeschifffahrt zur Aufgabe, befasst sich aber auch mit dem Schutz der Seeleute und in jüngster Zeit auch mit Anliegen des Meeresumweltschutzes. Sie hat seit ihrer Gründung rund 40 Konventionen verabschiedet und unzählige Kodizes erlassen. Das Seearbeitsübereinkommen der IAO soll neben den drei Hauptkonventionen der IMO die vierte zentrale Säule im Bereich Schiffssicherheit darstellen.

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zur See wird zudem einen Beitrag dazu leisten, die Seefahrt wieder attraktiver für junge Schweizer Bürgerinnen und Bürger zu gestalten. Schweizer Reeder sind durchwegs interessiert an Nachwuchs aus dem eigenen Land und werden dafür bestmögliche Sicherheitsvoraussetzungen schaffen.

Die Ratifikation des Seearbeitsübereinkommens erfordert Anpassungen der entsprechenden Bundesgesetzgebung. Die zuständigen Stellen sind dabei zu prüfen, inwieweit das Bundesgesetz über die Seeschifffahrt unter der Schweizer
Flagge geändert werden muss. Diese Abklärungen erfordern etwas Zeit, sodass zurzeit noch keine Botschaft zur Ratifikation des Übereinkommens durch die Schweiz unterbreitet werden kann. Ausserdem ist es sinnvoll, das Vorgehen mit demjenigen der EU-Staaten zu koordinieren. Der Rat der Europäischen Union hat die Mitgliedstaaten der EU aufgefordert, das Seearbeitsübereinkommen zu ratifizieren. Dies dürfte kaum vor 2010 erfolgen. Der Bundesrat wird die Entwicklungen in dieser Angele-

5578

genheit verfolgen und dem Parlament zu gegebener Zeit eine entsprechende Botschaft unterbreiten.

3

Übereinkommen Nr. 187 über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz, 2006, und Empfehlung Nr. 197 betreffend den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz, 2006 (Anhänge 2 und 3)

3.1

Allgemeiner Teil

Zum Thema Arbeitsschutz haben im Rahmen der IAK insgesamt drei Aussprachen stattgefunden.

So führte 2003 eine allgemeine Aussprache dazu, mittels eines Aktionsplans mit zwei Pfeilern, der auf einem integrierten, die zahlreichen IAO-Rechtsinstrumente in diesem Bereich berücksichtigenden Ansatz beruhte, die Umrisse einer globalen Arbeitsschutzstrategie festzulegen. Der erste Pfeiler sah eine präventive Arbeitsschutzkultur zur Verankerung des Rechts auf eine gesunde Arbeitsumwelt sowie ein Abkommen zwischen den Sozialpartnern im Rahmen der IAO vor, in dem Rechte, Zuständigkeiten und Pflichten festgelegt und gleichzeitig der Prävention die absolute Priorität eingeräumt werden sollten. Der zweite Pfeiler zielte auf die Entwicklung eines integrierten Instrumentariums für den Arbeitsschutz (Tool Box) ab, um den IAO-Mitgliedern bei der Umsetzung der globalen Strategie in konkrete Massnahmen zu helfen, beispielsweise durch die Ausarbeitung eines Förderinstruments mit dem Ziel, den Arbeitsschutz auf die Prioritätenliste der einzelnen Länder zu setzen, wie auch durch technische Unterstützung und Zusammenarbeit zur Schaffung innerstaatlicher Arbeitsschutzprogramme.

Die Schweiz unterstützt den integrierten Ansatz der IAO im Normensetzungsbereich: er erlaubt es, die technischen Instrumente der Organisation zusammenzufassen und zu konsolidieren, sodass diese ihr Mandat wirksamer wahrnehmen kann.

2003 forderte die Schweiz, dass dieser integrierte Ansatz nur die Aspekte des Arbeitnehmerschutzes betreffen sollte, da die IAO nicht dafür zuständig ist, auf eigene Initiative in bestimmten Bereichen, insbesondere was öffentliche Gesundheit und den Schutz der Bevölkerung beispielsweise gegen toxische Stoffe anbelangt, aktiv zu werden. Die Schweiz hat zudem dafür gesorgt, dass die aus der allgemeinen Aussprache hervorgehenden Vorschläge die Dualität des schweizerischen Systems im Bereich Arbeitnehmerschutz durchgehend berücksichtigen.

Nach dieser allgemeinen Aussprache von 2003 beschloss der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes (IAA), den Arbeitsschutz auf die Tagesordnung der 93. Tagung der IAK (2005) zu setzen.

Für die Diskussion im Rahmen der IAK 2005 arbeitete das IAA Entwürfe für neue normensetzende Instrumente zur Schaffung eines Förderungsrahmens für den Arbeitsschutz aus: ein mit einer Empfehlung
ergänztes Übereinkommen, die in der Folge in einer ersten allgemeinen Aussprache erörtert wurden. Dieser Vorstoss überraschte zahlreiche IAO-Mitglieder, darunter die Schweiz. Während der Vorbereitungsphase wie auch während der IAK gab die Schweiz klar zu verstehen, dass sie diesen normativen Ansatz nicht teilte: so erlaubte es der vorgeschlagene normative Handlungsansatz nicht, die im Arbeitsschutzbereich bestehenden Normen 5579

gemäss dem integrierten Ansatz zu konsolidieren; gleichzeitig entsprach er nicht dem Ergebnis der allgemeinen Aussprache von 2003. Unser Land sprach sich für eine politische Erklärung aus, die eine integrierte Umsetzung der zahlreichen Arbeitsschutznormen der IAO erlauben sollte. Das Bundesamt für Gesundheit wurde zu der Frage konsultiert und unterstützte dieses Vorgehen.

Anlässlich der 95. Tagung der IAK (2006) wurden die Entwürfe in zweiter Lesung diskutiert. Die Schweiz wich dabei von ihrem Standpunkt nicht ab, obwohl diesem keine breite Unterstützung zuteil wurde. Das Bundesamt für Gesundheit wurde zu dieser Frage konsultiert und unterstützte dieses Vorgehen. Die Schweiz hat das Recht, ihre Position in der IAK souverän und unabhängig zu vertreten. So war sie das einzige Land, dessen Regierungsdelegation in der IAK-Schlussabstimmung zu den Entwürfen gegen das Übereinkommen und die Empfehlung stimmte. Dieses Votum entspricht der etablierten Politik unseres Landes, was die Ratifizierung von IAO-Rechtsinstrumenten anbelangt; entsprechend dieser Politik ratifiziert unser Land IAO-Übereinkommen dann, wenn sie weitestgehend dem aktuellen Stand des geltenden Schweizer Rechts entsprechen. Nach Absprache mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten erläuterte die schweizerische Delegation ihr Votum wie folgt: «Die Schweizer Regierung hat sich immer gegen die Ausarbeitung der vorliegenden normativen Instrumente im Bereich des Arbeitsschutzes ausgesprochen. Die Schweiz ist der Auffassung, dass das angestrebte Ziel mit anderen Mitteln erreicht werden kann: so zum Beispiel mittels von Richtliniensammlungen, Kampagnen, allgemeinen politischen Erklärungen. Die zur Verabschiedung vorgelegten Rechtsinstrumente folgen nicht dem integrierten Ansatz zur Konsolidierung der bestehenden Normen, und sie beziehen sich auf Übereinkommen, die die Schweiz nicht ratifiziert hat, insbesondere die Übereinkommen Nr. 129 und Nr. 155. Die genannten Instrumente kommen zur Vielzahl der schon bestehenden Rechtsinstrumente im Bereich des Arbeitsschutzes hinzu, ohne jedoch wirkliche Verbesserungen zu bringen, da eine universelle Ratifizierung des Übereinkommens nicht gesichert ist. Sollte das zukünftige Übereinkommen nicht von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden, wird weder ein echter Förderungsrahmen noch
ein koordiniertes Handeln auf internationaler Ebene daraus hervorgehen. Aus diesem Grund hat sich meine Delegation gegen diese Rechtsinstrumente ausgesprochen.»

3.2

Besonderer Teil

Das Übereinkommen Nr. 187 umfasst zwölf Artikel, die auf sechs Abschnitte verteilt sind. Teil I (Art. 1) enthält allgemeine Definitionen der im Kerntext des Übereinkommens verwendeten Begriffe. Teil II (Art. 2) legt die Ziele des Förderungsrahmens für den Arbeitsschutz fest. Teil III (Art. 3) umreisst die Grundsätze einer innerstaatlichen Arbeitsschutzpolitik. Teil IV (Art. 4) definiert das innerstaatliche Arbeitsschutzsystem, während Teil V (Art. 5) Aufgaben und Ziele des innerstaatlichen Arbeitsschutzprogramms festlegt. Teil VI (Art. 6­14) enthält die üblichen Schlussbestimmungen. Dieser letzte Teil erfordert keinen Kommentar.

Zu den in Teil I (Art. 1) enthaltenen Begriffsdefinitionen ist Folgendes anzumerken: Als «innerstaatliche Politik» gemäss Buchstabe a gilt eine Arbeitsschutzpolitik, die im Einklang mit den Grundsätzen von Artikel 4 des Übereinkommens Nr. 155 über den Arbeitsschutz, 1981, entwickelt wird.

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Wir verweisen auf unseren Kommentar zu Artikel 3.

Als «innerstaatliches Arbeitsschutzsystem» oder «innerstaatliches System» gemäss Buchstabe b gilt die Infrastruktur, die den Hauptrahmen für die Umsetzung der innerstaatlichen Arbeitsschutzpolitik und innerstaatlicher Arbeitsschutzprogramme bietet.

Wir verweisen auf unseren Kommentar zu Artikel 4.

Als «innerstaatliches Arbeitsschutzprogramm» oder «innerstaatliches Programm» gemäss Buchstabe c gilt jedes innerstaatliche Programm, das in einem vorher festgelegten Zeitrahmen zu erreichende Ziele, Prioritäten und Aktionsmittel, die ausgearbeitet worden sind, um den Arbeitsschutz zu verbessern, sowie Mittel zur Beurteilung von Fortschritten umfasst.

Wir verweisen auf unseren Kommentar zu Artikel 5.

Als «innerstaatliche präventive Arbeitsschutzkultur» gemäss Buchstabe d gilt eine Kultur, in der das Recht auf eine sichere und gesunde Arbeitsumwelt auf allen Ebenen geachtet wird, in der Regierung, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite aktiv daran mitwirken, durch ein System festgelegter Rechte, Verantwortlichkeiten und Pflichten eine sichere und gesunde Arbeitsumwelt zu gewährleisten, und in der dem Grundsatz der Prävention höchste Priorität eingeräumt wird.

Dieser Begriff entspricht in grossen Zügen den Grundsätzen, die in unseren verschiedenen gesetzlichen Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verankert sind: Artikel 6 des Arbeitsgesetzes (ArG; SR 822.11), Artikel 82 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG; SR 832.20) und Artikel 1 des Chemikaliengesetzes (ChemG; SR 813.1). Es sei zudem auf den Kommentar zu den Artikeln 3­5 verwiesen.

Teil II (Art. 2) ist den mit dem Übereinkommen angestrebten Zielen gewidmet. Aus Artikel 2 geht klar hervor, dass das Übereinkommen Nr. 187, obwohl es einen Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz anstrebt, im Grunde ein Rechtsinstrument ist, das dem ratifizierenden Mitglied Vorschriften auferlegt. So hat die Schweiz, falls sie beschliesst, dieses Instrument zu ratifizieren: ­

zur Verhütung von arbeitsbedingten Unfällen, Erkrankungen und Todesfällen in Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite die ständige Verbesserung des Arbeitsschutzes zu fördern durch die Entwicklung einer innerstaatlichen Politik, eines innerstaatlichen Systems und eines innerstaatlichen Programms;

­

aktive Massnahmen zu ergreifen, um unter Berücksichtigung der Grundsätze in den Instrumenten der IAO, die für den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz relevant sind, durch das innerstaatliche Arbeitsschutzsystem und durch innerstaatliche Arbeitsschutzprogramme schrittweise eine sichere und gesunde Arbeitsumwelt zu verwirklichen;

­

in Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite in regelmässigen Abständen zu erwägen, welche Massnahmen getroffen werden könnten, um die einschlägigen Arbeitsschutzübereinkommen der IAO zu ratifizieren.

Diese Verpflichtungen werden im Zusammenhang mit den Artikeln 3­5 des Übereinkommens einer näheren Erörterung unterzogen.

5581

Teil III (Art. 3) legt Massnahmen fest, die zur Umsetzung der innerstaatlichen Arbeitsschutzpolitik zu treffen sind, wobei die in den Artikeln 1 und 2 dieses Übereinkommens enthaltenen Definitionen und Ziele zu berücksichtigen sind.

Der Begriff «innerstaatliche Arbeitsschutzpolitik» schlägt eine Brücke zum Übereinkommen Nr. 155 der IAO über den Arbeitsschutz, das unser Land nicht ratifiziert hat. In unserem Bericht zur 67. Tagung der IAK (BBl 1983 I 25), hatte der Bundesrat dieses Übereinkommen zur Information vorgelegt und damals auf seine Ratifizierung verzichtet, wobei er einerseits auf die künftige Umsetzung des ArG und andererseits auf die Pluralität der im Bereich Arbeitsschutz zuständigen durchführenden Organe in der Schweiz hinwies.

Artikel 4 des Übereinkommens Nr. 155 lautet wie folgt: 1.

Jedes Mitglied hat unter Berücksichtigung der innerstaatlichen Verhältnisse und Gepflogenheiten und in Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer eine in sich geschlossene innerstaatliche Politik auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes und der Arbeitsumwelt festzulegen, durchzuführen und regelmässig zu überprüfen.

2.

Ziel dieser Politik muss es sein, Unfälle und Gesundheitsschäden, die infolge, im Zusammenhang mit oder bei der Arbeit entstehen, zu verhüten, indem die mit der Arbeitsumwelt verbundenen Gefahrenursachen, soweit praktisch durchführbar, auf ein Mindestmass herabgesetzt werden.

In der Schweiz ist der Arbeitsschutz im ArG geregelt, während das UVG Bestimmungen zur Prävention von Berufsunfällen und -krankheiten enthält. Der Geltungsbereich des ArG, aus dem zahlreiche Vorschriften für Gesundheit und Hygiene am Arbeitsplatz hervorgegangen sind, erstreckt sich nicht auf alle Wirtschaftszweige, und bestimmte Gruppen von Beschäftigten sind von ihm ausgenommen (so z.B.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine hohe leitende Funktion innehaben, Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Landwirtschaft). Das UVG ist auf alle Beschäftigten bzw. Personen, die unselbstständig erwerbstätig sind, anwendbar, es deckt jedoch nicht die selbstständig Erwerbstätigen. Das ArG und das UVG divergieren voneinander nicht nur hinsichtlich ihres sachlichen, sondern auch hinsichtlich ihres personellen Geltungsbereichs.

So kann es sein, dass eines dieser beiden Gesetze zwar eine Norm enthält, die einer Bestimmung eines von der Schweiz nicht ratifizierten IAO-Übereinkommens im Arbeitsschutzbereich entspricht, unsere Gesetzgebung jedoch trotzdem nicht lückenlos den internationalen Vorschriften genügt, weil die beiden genannten Gesetze Ausnahmen von ihrem Geltungsbereich vorsehen. So ist beispielsweise zu bemerken, dass die Arbeitsschutzbestimmungen des UVG für die Landwirtschaft gelten, nicht aber jene des ArG.

Mit dem Vollzug der beiden Bundesgesetze sind unterschiedliche durchführende Organe betraut (ArG: Arbeitsinspektorate; UVG: SUVA). Die Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (EKAS) ist die Zentralstelle für den Bereich Arbeitssicherheit in der Schweiz. Die EKAS hat über eine unterschiedslose Anwendung der Sicherheitsvorschriften durch die Unternehmen zu wachen und die Tätigkeitsbereiche der Kontrollorgane zu definieren. Sie befasst sich in erster Linie mit Informationsvermittlung und Transparenz bei der Umsetzung der Arbeitssicherheitsvorschriften, um eine gute Zusammenarbeit der durchführenden Organe mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu fördern. Ihre Hauptkompetenzen sind:

5582

­

Erlass von Weisungen für die Versicherer

­

Erlass von Weisungen für die Vollzugsorgane

­

Zuständigkeit für die Entwicklung von technischen Vorschriften (sogenannten Richtlinien) zur Prävention von Berufsunfällen und -krankheiten

­

Kompetenz zur Organisierung von Sicherheitsprogrammen mit besonderer Gewichtung der Prävention bestimmter Typen von Berufsunfällen und -krankheiten

­

Mandat zur Förderung von Informationen und Weisungen im Bereich der Arbeitssicherheit auf sämtlichen Ebenen

­

Pflicht zur Sicherstellung der Finanzierung der Tätigkeit der durchführenden Organe im Bereich Arbeitssicherheit

An ihrer Sitzung vom 14. Dezember 2006 nahm die EKAS die revidierte ASARichtlinie an; diese ist am 1. Februar 2007 in Kraft. Die Richtlinie befasst sich mit der Frage des Arbeitsschutzes und nimmt im Wesentlichen die Bestimmungen der Verordnung über die Unfallverhütung (VUV; SR 832.30) wieder auf. Diese enthält unter anderem Erläuterungen zu verwandten Themen, wie dem Arbeitsgesetz, dem Elektrizitätsgesetz (SR 734.0) oder dem Sprengstoffgesetz (SR 941.41). Sie ist ein wichtiges Hilfsmittel zur Umsetzung der ASA-Richtlinie (Richtlinie über die Beiziehung von Arbeitsmedizinern und anderen Spezialisten auf dem Gebiet der Arbeitssicherheit), und sie wurde durch die Lancierung des Sicherheitsprogramms «ASA ­ das Rezept für sichere und gesunde Arbeitsplätze» sowie in jüngerer Zeit durch eine spezifische Kampagne für Klein- und Mittelbetriebe ergänzt.

Das UVG und die Vollzugsverordnung regeln im Prinzip die Zuständigkeiten der durchführenden Organe. Es ist Aufgabe der EKAS, sicherzustellen, dass diese Aufgabenverteilung respektiert wird, und die Tätigkeit der verschiedenen Stellen zu koordinieren.

Im Bereich Arbeitssicherheit sind folgende vier durchführenden Organe zuständig: ­

Die SUVA (Schweizerische Unfallversicherungsanstalt);

­

die 26 kantonalen Arbeitsinspektorate;

­

die 2 eidgenössischen Arbeitsinspektorate;

­

die spezialisierten Organisationen (heute insgesamt sechs; sie befassen sich mit spezifischen Bereichen, beispielsweise Landwirtschaft oder Druckbehälter).

Die Empfehlung Nr. 197 enthält zudem Zusatzinformationen zum Anwendungsbereich des Begriffs «innerstaatliche Arbeitsschutzpolitik». So verweist sie in Abschnitt 1 (Teil I) auf den gesamten Teil II des Übereinkommens Nr. 155 (Art. 4­7). Im Bericht zur 67. Tagung der IAK hatte der Bundesrat erklärt, dass die in diesen Artikeln verankerten Prinzipien für die Schweiz grundsätzlich annehmbar seien; er hatte jedoch auch auf zukünftige UVG-Vollzugsvorschriften verwiesen und namentlich daran erinnert, dass sich das Bundesgesetz über die Sicherheit von technischen Einrichtungen und Geräten (STEG; SR 819.1) an deren Hersteller richtet. Aus der Liste internationaler Rechtsinstrumente im Anhang der Empfehlung zeigt sich, dass auch andere Bundesgesetze betroffen sind, die sich auf die öffentliche Gesundheit oder toxische Stoffe bzw. Chemikalien beziehen, wobei wieder andere Akteure der öffentlichen Hand ins Spiel kommen.

5583

In oben genannten Bericht des Bundesrates hatte dieser an erster Stelle dargelegt, dass die mit den Schweizer Gesetzen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angestrebten Ziele allgemein den Zielen von Artikel 4 des Übereinkommens Nr. 155 entsprechen. Er hatte jedoch auch festgestellt, dass die vom Übereinkommen geforderte kohärente Politik insofern einen Problempunkt darstellte, als Bereiche wie insbesondere Arbeitsschutz, Hygiene am Arbeitsplatz, Sicherheit technischer Installationen, Sicherheit von Chemikalien in der Schweiz je nach anwendbarem Bundesgesetz unterschiedlichen durchführenden Organen unterstellt sind. Die Schaffung der EKAS in Anwendung des UVG hat jedoch zweifellos seit ihrer Gründung 1981 eine Verbesserung der Situation bewirkt.

Entsprechend ist festzustellen, dass sich die EKAS in erster Linie mit Aspekten des Arbeitsschutzes befasst, dass sie jedoch nicht alle von den internationalen Rechtsinstrumenten anvisierten und von der spezifischen schweizerischen Gesetzgebung betroffenen Bereiche abdeckt: die bestehende Koordination erfasst somit nicht zugleich Hygiene am Arbeitsplatz, technische und elektrische Installationen, Chemikalien und explosionsgefährliche Stoffe. Was die Umsetzung der jeweiligen Gesetzgebungen betrifft, kann auch hier nicht von einer kohärenten oder in sich geschlossenen Politik im Sinne von Artikel 1 des Übereinkommens gesprochen werden. Die Tätigkeit der EKAS richtet sich in erster Linie darauf, das erste in Artikel 2 des Übereinkommens verankerte Ziel, die laufende Verbesserung des Arbeitsschutzes, zu verwirklichen, nicht aber in allen genannten Bereichen. Die EKAS wirkt auch im Sinne des zweiten in Artikel 2 genannten Ziels, der schrittweisen Verwirklichung einer sicheren und gesunden Arbeitsumwelt, jedoch auch hier nicht systematisch in allen genannten Bereichen. Schliesslich ist die EKAS nicht die für die periodische Überprüfung möglicher Massnahmen zur Ratifizierung der IAOÜbereinkommen im Bereich des Arbeitsschutzes zuständige Stelle. Mit dieser Aufgabe ist die Dreigliedrige Eidgenössische Kommission für Angelegenheiten der IAO betraut. Sie wurde in der Folge der Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 144 durch unser Land (BBl 2000 I 330) geschaffen. Ihre Weiterführung wurde, wie dies für sämtliche ausserparlamentarischen Kommissionen der
Fall war, im Rahmen des Sparprogramms überprüft. Am 21. November 2006 empfahl die Kommission dem Bundesrat ihre Weiterführung angesichts der Bedeutung und der Zweckmässigkeit ihrer aktuellen und zukünftigen Tätigkeiten.

Ratifiziert die Schweiz das Übereinkommen Nr. 187, so akzeptiert sie de facto auch die Empfehlung Nr. 197, da nur so eine Umsetzung des Übereinkommens möglich ist. Die Empfehlung Nr. 197 enthält in ihrem Anhang insbesondere eine Liste von 18 IAO-Übereinkommen im Bereich Arbeitsschutz, die, wie die Empfehlung impliziert, bei der Ausarbeitung innerstaatlicher Arbeitsschutzprogramme berücksichtigt werden müssen. Im Klartext bedeutet dies, dass die Ratifizierung dieser 18 Übereinkommen verlangt wird, wobei davon auszugehen ist, dass die aus diesen Rechtsinstrumenten hervorgehenden Verpflichtungen nur für jene Staaten bindend sind, die sie ratifiziert haben. Die Schweiz hat fünf dieser Übereinkommen ratifiziert: das Übereinkommen (Nr. 81) über die Arbeitsaufsicht, 1947 (BBl 1949 I 1 und 1970 II 161); das Übereinkommen (Nr. 115) über den Schutz der Arbeitnehmer vor ionisierenden Strahlen, 1960 (BBl 1961 I 1196); das Übereinkommen (Nr. 120) über den Gesundheitsschutz (Handel und Büros), 1964 (BBl 1965 I 678); das Übereinkommen (Nr. 139) über Berufskrebs, 1974 (BBl 1975 II 359); das Übereinkommen (Nr. 162) über Asbest (BBl 1991 III 869).

5584

Eine Erörterung der 13 weiteren Übereinkommen erübrigt sich angesichts der Bedeutung der Hindernisse, die einer Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 187 im Wege stehen. Zudem erlauben die beschränkten Ressourcen der Bundesverwaltung es weder, diese 13 Rechtsinstrumente eingehend zu analysieren, noch, ihre allfällige Umsetzung sicherzustellen oder die erforderliche Berichterstattung an die Kontrollorgane der IAO zu garantieren (siehe Antwort auf das Postulat 06.3568).

Angesichts des Obenstehenden ist die Schweiz nicht in der Lage, Teil III (Art. 3) des Übereinkommens anzunehmen.

Teil IV (Art. 4) legt die Anforderungen an das innerstaatliche Arbeitsschutzsystem fest. Der erste Abschnitt dieser Bestimmung verlangt, dass jedes Mitglied in Beratung mit den massgeblichen Verbänden der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite ein innerstaatliches Arbeitsschutzsystem einzurichten, zu unterhalten, fortlaufend weiterzuentwickeln und regelmässig zu überprüfen hat. Die verschiedenen Bundesgesetze im Bereich des Arbeitnehmerschutzes zielen insgesamt auf die Verwirklichung eines Arbeitsschutzes ab. Unsere spezifische Gesetzgebung zu technischen oder elektrischen Installationen, Druckbehältern oder Chemikalien richtet sich weniger an die Beschäftigten als vielmehr an die Hersteller oder an die Personen, die entsprechende Produkte in Verkehr bringen, wobei in erster Linie die öffentliche Gesundheit geschützt werden soll. Aufgrund der Vielfältigkeit der Gesetzgebung und der mit ihrer Anwendung beauftragten Kontrollorgane verfügt die Schweiz aber nicht über ein eigentliches innerstaatliches System zur Verwirklichung übergeordneter Arbeitsschutzziele, wie es das Übereinkommen fordert.

Gemäss Abschnitt 2 hat das innerstaatliche Arbeitsschutzsystem unter anderem zu umfassen: a)

Rechtsvorschriften, gegebenenfalls Gesamtarbeitsverträge und alle sonstigen relevanten Instrumente über den Arbeitsschutz;

b)

eine oder mehrere für den Arbeitsschutz verantwortliche und im Einklang mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis bezeichnete Stellen oder Gremien;

c)

Mechanismen zur Sicherstellung der Einhaltung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, einschliesslich Inspektionssystemen;

d)

Vorkehrungen zur Förderung der Zusammenarbeit auf Unternehmensebene zwischen Geschäftsleitung, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihren Vertretungen als wesentliches Element von Präventionsmassnahmen am Arbeitsplatz.

Es sei hier auf den Kommentar zu Artikel 3 sowie auf den vorhergehenden Abschnitt verwiesen. Darüber hinaus gewährt das Mitwirkungsgesetz (SR 822.14) Beschäftigten weit gehende Konsultations- und Repräsentationsrechte im Arbeitsschutzbereich.

Laut Abschnitt 3 hat das innerstaatliche Arbeitsschutzsystem, soweit angemessen, zu umfassen: a)

einen innerstaatlichen dreigliedrigen Beirat oder innerstaatliche dreigliedrige Beiräte, die sich mit Arbeitsschutzfragen befassen;

b)

Informations- und Beratungsdienste zum Arbeitsschutz;

c)

die Bereitstellung einer Arbeitsschutzausbildung; 5585

d)

arbeitsmedizinische Dienste im Einklang mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis;

e)

Arbeitsschutzforschung;

f)

einen Mechanismus zur Erhebung und Analyse von Daten über Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten unter Berücksichtigung der einschlägigen Instrumente der IAO;

g)

Vorkehrungen für eine Zusammenarbeit mit einschlägigen Versicherungsoder Sozialversicherungssystemen, die Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten decken;

h)

Unterstützungsmechanismen für eine fortschreitende Verbesserung der Arbeitsschutzbedingungen in Kleinst-, Klein- und Mittelbetrieben und in der informellen Wirtschaft.

Weiter oben wurde die in der Schweiz bestehende Struktur mit verschiedenen durchführenden Organen sowie die zentrale Rolle der EKAS in zahlreichen Bereichen erläutert. Schulung und Dienstleistungen im Bereich Arbeitsschutz werden von der EKAS sowie von den im ArG und anderen massgebenden Bundesgesetzen genannten durchführenden Organen sichergestellt. Der Mechanismus für die Erhebung und Verarbeitung von Daten zu Berufsunfällen und -krankheiten ist im UVG festgelegt. Im UVG-Bereich, nicht aber in den anderen Gebieten des Sozialsystems, sichert die EKAS die Zusammenarbeit mit den Versicherern und der sozialen Sicherheit. Schliesslich trifft die EKAS Massnahmen zur schrittweisen Verbesserung der Sicherheit am Arbeitsplatz, insbesondere in Klein- und Mittelbetrieben, und sie führt zu spezifischen Themen punktuelle Förderungskampagnen durch.

Die geforderten Massnahmen würden zudem eine beträchtliche finanzielle Belastung mit sich bringen.

Angesichts des Obenstehenden ist die Schweiz nicht in der Lage, Teil IV (Art. 4) des Übereinkommens anzunehmen.

Teil V (Art. 5) legt Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Durchführung eines innerstaatlichen Arbeitsschutzprogramms fest. Das Grundprinzip lautet, dass jedes Land, das das Übereinkommen ratifiziert, in Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite ein innerstaatliches Arbeitsschutzprogramm auszuarbeiten, umzusetzen, zu überwachen, zu evaluieren und regelmässig zu überprüfen hat. Das innerstaatliche Programm: a)

hat die Entwicklung einer innerstaatlichen präventiven Arbeitsschutzkultur zu fördern;

b)

hat, soweit praktisch durchführbar, durch die Beseitigung arbeitsbedingter Gefahren und Risiken oder ihre Herabsetzung auf ein Mindestmass im Einklang mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis einen Beitrag zum Schutz der Arbeitnehmer zu leisten, um arbeitsbedingte Unfälle, Erkrankungen und Todesfälle zu verhüten und den Arbeitsschutz in der Arbeitsstätte zu fördern;

c)

ist auf der Grundlage einer Analyse der innerstaatlichen Arbeitsschutzsituation, einschliesslich einer Analyse des innerstaatlichen Arbeitsschutzsystems, auszuarbeiten und zu überprüfen;

d)

hat Ziele, Zielvorgaben und Fortschrittsindikatoren zu enthalten;

5586

e)

ist nach Möglichkeit durch andere ergänzende innerstaatliche Programme und Pläne zu unterstützen, die dazu beitragen, schrittweise eine sichere und gesunde Arbeitsumwelt zu verwirklichen.

Schliesslich ist das innerstaatliche Programm weithin bekannt zu machen und, soweit es möglich ist, von den höchsten staatlichen Stellen zu unterstützen und in Gang zu setzen.

In der Schweiz gibt es kein nationales Programm, das sämtliche Arbeitsschutzziele horizontal integriert, wie es das Übereinkommen verlangt. Dieses fordert zudem, dass ein solches Programm von den obersten staatlichen Behörden gestützt und lanciert werden soll. Dies würde erfordern, dass zur Anwendung der verschiedenen massgebenden Bundesgesetze auf eidgenössischer, kantonaler und gar auf Gemeindeebene gemeinsame Ziele und Programme festgelegt werden müssten. Derartige Programme und politische Ziele sind jedoch weder Teil der aktuellen nationalen Prioritäten, noch sind sie im Legislaturprogramm enthalten. Die allgemeinen Ziele unserer verschiedenen Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der öffentlichen Gesundheit oder für den Umgang mit Installationen, technischen Geräten oder Chemikalien beruhen auf dem Grundsatz der Vorbeugung von allgemeinen Risiken. Sie zielen auch auf die Beseitigung bzw. Verringerung von Risiken und Gefahren für Arbeitnehmer und die allgemeine Öffentlichkeit ab, während sie zusätzlich Auflagen für Unternehmen und Hersteller enthalten. Das Präventions- und Schutzsystem wird keiner regelmässigen systematischen Überprüfung unterzogen, und es umfasst weder Ziele, noch Stossrichtungen, noch Indikatoren für übergreifende Fortschritte.

Aus diesen Gründen ist die Schweiz nicht in der Lage, Teil V (Art. 5) des Übereinkommens anzunehmen.

Die Empfehlung Nr. 197 kann als Leitlinie für die Regierungen der IAOMitgliedstaaten dienen, sie braucht jedoch nicht ratifiziert werden. Nach Ausführungen zu innerstaatlicher Politik, innerstaatlichem System und innerstaatlichen Programmen zum Arbeitsschutz (Abschnitte 1­12) enthält die Empfehlung in den Abschnitten 13 und 14 die Forderung, ein innerstaatliches Profil zu erstellen und regelmässig zu aktualisieren, das die jeweilige Situation im Bereich des Arbeitsschutzes und die bei der Verwirklichung einer sicheren und gesunden Arbeitsumwelt erzielten Fortschritte zusammenfasst. Dieses Profil sollte bei der Ausarbeitung und Überprüfung des innerstaatlichen Programms als Grundlage dienen. Da in der Schweiz der politische Wille fehlt, ein nationales
Programm zu entwickeln, rechtfertigt sich die Überprüfung eines entsprechenden Profils nicht. Abschnitt 15 der Empfehlung beauftragt die IAO mit spezifischen Tätigkeiten zur internationalen Kooperation. Diese Forderung betrifft die Schweiz daher nicht. Abschnitt 16 verlangt, dass der Anhang zur Empfehlung vom Verwaltungsrat des IAA regelmässig überprüft und aktualisiert werden muss. Es handelt sich damit um eine Forderung, die an die IAO selbst gerichtet ist, womit auch hier die Schweiz nicht tangiert ist. Der Inhalt dieses Anhangs wurde im Zusammenhang mit Teil III (Art. 3) des Übereinkommens erörtert.

5587

3.3

Schlussfolgerungen

Aus der Erörterung des Übereinkommens Nr. 187 geht hervor, dass die Schweiz angesichts unserer etablierten Ratifikationspraxis nicht in der Lage ist, die aus diesem internationalen Rechtsinstrument hervorgehenden Verpflichtungen anzunehmen. Der Bundesrat empfiehlt daher, das Übereinkommen Nr. 187 nicht zu ratifizieren. Dieses würde eine umfassende Reform des schweizerischen Systems zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der allgemeinen öffentlichen Gesundheit, die Ratifizierung von dreizehn bestehenden IAO-Übereinkommen zum Arbeitsschutz sowie eine bedeutende Belastung durch Tätigkeiten zur Durchführung und Berichterstattung nach sich ziehen. Die Schweiz verfügt nicht über die Mittel, um sich einer Herausforderung dieser Grössenordnung zu stellen. Ihr Arbeitsschutzsystem bietet ein hohes Niveau an Schutz, und es funktioniert zur Zufriedenheit der betroffenen Sozialpartner, wenn auch die Ziele und der sachliche und personelle Geltungsbereich unserer verschiedenen Gesetze nicht mit sämtlichen aus dem Übereinkommen Nr. 187 und der Empfehlung Nr. 197 hervorgehenden Verpflichtungen kompatibel sind.

4

Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis, 2006 (Anhang 4)

4.1

Allgemeiner Teil

Die Diskussion über das Arbeitsverhältnis geht schon auf vorhergehende Tagungen der IAK zurück. Anlässlich ihrer 85. und 86. Tagung (1997 und 1998) hatte die IAK Entwürfe von Rechtsinstrumenten zur Zulieferarbeit diskutiert. Diese Texte wurden von der IAK 1998 nicht angenommen. Sie beauftragte die IAO jedoch in einer Entschliessung, einen Punkt zum Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Entwicklung angemessener Normen auf die Tagesordnung einer der nächsten Tagungen der Konferenz zu setzen. Nach intensiven informellen Konsultationen, die die IAO zwischen 1999 und 2002 durchführte, wurde beschlossen, dass man sich auf spezifischere Aspekte des Arbeitsverhältnisses konzentrieren würde. Entsprechend erlaubte es eine allgemeine Aussprache an der 91. Tagung der IAK 2003, sich auf allgemeinen Umrisse einer zukünftigen Empfehlung zu einigen. Das Ergebnis der Aussprache war, dass die Konferenz die IAO aufforderte, eine Empfehlung betreffend das Arbeitsverhältnis zu entwerfen. Die vorgeschlagenen Schlussfolgerungen forderten eine gewisse Flexibilität, um der Unterschiedlichkeit der Traditionen und Systeme der wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und beruflichen Beziehungen gerecht zu werden. Sie betonten den dynamischen Charakter eines Arbeitsverhältnisses, das sich ständig wandelt und an die neuen Herausforderungen des Arbeitsmarktes anpassen muss. Gemäss dieser allgemeinen Aussprache sollte die Empfehlung auch «verschleierte» Arbeitsverhältnisse (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vorsätzlich nicht als solche behandelt werden) berücksichtigen und Mechanismen vorschlagen, um den in einem Arbeitsverhältnis stehenden Personen den Schutz zu gewähren, der ihnen auf innerstaatlicher Ebene rechtmässig zukommen müsste. Der so erzielte Konsens unterstrich, dass die zukünftige Empfehlung keine Einmischung in wirklich unabhängige und kommerzielle Vertragsverhältnisse nach sich ziehen dürfe. Auf dieser Grundlage entschied der Verwaltungsrat des IAA, diese Frage auf die Tagesordnung der 95. Tagung der IAK zu setzen.

5588

In diesem Kontext, in dem eine überwiegende Mehrheit der IAO-Mitglieder eine Empfehlung wünschte, die die nötige Flexibilität bieten sollte, um der Vielfalt der Traditionen und Systeme gerecht zu werden, fand die Aussprache zum Empfehlungsentwurf 2006 statt. Die Schweiz gab dabei einer Sammlung oder einem Leitfaden für vorbildliche Praktiken den Vorzug, an dem sich Länder, die mit spezifischen Schwierigkeiten im betreffenden Bereich konfrontiert sind, orientieren könnten. Sie forderte zudem, dass sich eine Empfehlung, falls eine solche verabschiedet würde, auf verschleierte Arbeitsverhältnisse konzentrieren sollte. Das schliesslich verabschiedete Rechtsinstrument entspricht nicht den Erwartungen der Schweiz im betreffenden Bereich, weshalb sich die Schweizer Regierungsdelegation denn auch bei der Verabschiedung der Empfehlung in der Vollversammlung der IAK 2006 der Stimme enthielt.

Empfehlungen sind Instrumente, die für die IAO-Mitgliedstaaten nicht bindend sind.

Sie können den Regierungen als Orientierung bei der Festlegung ihrer Politik dienen (Art. 19 der Verfassung der IAO). Die Empfehlungen der IAO erfordern daher keinen Entscheid zur Ratifizierung durch die Schweiz; gemäss der etablierten Praxis werden diese Instrumente nicht kommentiert, sofern sie keine Ergänzung zu einem Übereinkommen darstellen.

4.2

Besonderer Teil

Die IAK hat die Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis mit 329 gegen 94 Stimmen ­ praktisch die ganze Arbeitgebergruppe ­ bei 40 Enthaltungen, unter anderem von Seiten der Schweiz, verabschiedet. Dieses neue Instrument soll dazu dienen, «verschleierte» Arbeitsverhältnisse zu erfassen und Mechanismen vorzuschlagen, die dazu geeignet sind, den in einem Arbeitsverhältnis Beschäftigten den Schutz zu gewähren, der ihnen in ihrem Land zusteht.

Die Empfehlung Nr. 198 schlägt den Mitgliedern vor, in Absprache mit der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite innerstaatliche Politiken zu entwickeln und anzuwenden, die es erlauben, das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses effizient festzustellen, zwischen unselbstständig und selbstständig Erwerbstätigen zu unterscheiden, verschleierte Arbeitsverhältnisse zu bekämpfen und Normen zu garantieren, die auf alle Formen von vertraglichen Einigungen anwendbar sind.

In der Schweiz ist das Arbeitsverhältnis durch privatrechtliche Bestimmungen, das Obligationenrecht (SR 220), das auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit beruht, geregelt. Es ist daher aufgrund unseres Rechtssystems nicht möglich, eine nationale Politik festzulegen. Eine derartige Politik könnte zudem nicht auf unser System der Gesamtarbeitsverträge abgestützt werden, da dieses einerseits ebenfalls auf dem Prinzip der Vertragsfreiheit beruht, und die Gesamtarbeitsverträge andererseits bei Weitem nicht alle im Hinblick darauf, ihnen einen allgemeinverbindlichen Charakter zu verleihen, erweitert werden. Besondere Bestimmungen für das Arbeitsverhältnis für Wanderarbeitnehmerinnen und Wanderarbeitnehmer finden sich jedoch im Bundesgesetz über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (SR 823.20) und in den Bestimmungen zu den flankierenden Massnahmen zum freien Personenverkehr (Botschaft vom 23. Juni 1999 zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EG; BBl 1999 6128).

5589

Namentlich in Abschnitt 4, Buchstabe g, Abschnitt 7, Buchstaben a und b, sowie in Abschnitt 15 enthält die Empfehlung Bestimmungen, die sowohl rechtliche wie auch verfahrenstechnische Aspekte betreffen und damit mit den Kompetenzen der Judikativen kollidieren; die Empfehlung sieht Kriterien für die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses vor, die von den Kriterien des geltenden schweizerischen Rechts und der Rechtsprechung der Schweizer Gerichte abweichen.

Ein Entwurf einer Entschliessung wurde auch von verschiedenen Regierungen eingebracht, darunter die EU-Gruppe; in diesem wurde der Generaldirektor des IAA darum ersucht, den Mandanten Unterstützung zu gewähren, damit sie die Schwierigkeiten, mit denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in bestimmten Arbeitsverhältnissen konfrontiert sind, besser verstehen und beheben können. Während der Debatten zu diesem Entwurf zog sich die Arbeitgebergruppe aus der Diskussion zurück, indem sie ihren Beschluss verkündete, den Sozialpartnern die Weiterführung der Debatte über diesen Entschliessungsentwurf im zweigliedrigen Rahmen zu überlassen.

4.3

Schlussfolgerungen

Die Empfehlung Nr. 198 wurde bei ihrer Verabschiedung in der Vollversammlung der IAK nicht einstimmig angenommen: so enthielten sich rund zwanzig Länder, darunter auch die USA und das Vereinigte Königreich, der Stimme. Die Arbeitgebergruppe hat nahezu geschlossen gegen die Annahme dieser Empfehlung gestimmt.

Daher entspricht das Resultat keinem breit abgestützten dreigliedrigen Konsens, und die Empfehlung läuft Gefahr, in der Geschichte der IAO toter Buchstabe zu bleiben.

Der Bundesrat bittet angesichts des Obenstehenden um Kenntnisnahme der Empfehlung Nr. 198 und unterbreitet im Anhang den Wortlaut dieses Instruments zur Information.

5

Übereinkommen Nr. 188 über die Arbeit im Fischereisektor, 2007, und Empfehlung Nr. 199 über die Arbeit im Fischereisektor, 2007 (Anhänge 5 und 6)

5.1

Allgemeiner Teil

Die Diskussion mit dem Ziel, neue Rechtsinstrumente zum Fischereisektor auszuarbeiten hat die IAK während mehreren Tagungen beschäftigt.

2004 schuf die IAK die ersten Grundlagen für eine Verbesserung der Sicherheit und der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Fischereisektor. Diese Anfangsphase der Arbeiten war dazu bestimmt, auf der Basis eines integrierten Ansatzes neue internationale Rechtsinstrumente zu schaffen, die die fünf einschlägigen zwischen 1920 und 1966 verabschiedeten Übereinkommen aktualisieren sollten. Die neuen Normenentwürfe sollten den Geltungsbereich der bestehenden IAO-Normen auf über 90 Prozent der weltweit im Fischereisektor Beschäftigten ausweiten, während die bestehenden Übereinkommen heute kaum 10 Prozent der Menschen decken, die in einem Sektor tätig sind, der sich im Laufe der Zeit radikal gewandelt hat. Obwohl die Schweiz im Prinzip von diesem Übereinkommen aufgrund von 5590

dessen Anwendungsbereich (Fischerei auf See) nicht betroffen ist, hat sie im Rahmen der IAK 2005 an der Debatte teilgenommen, um eine Abänderung einer das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung in dieser Branche betreffenden Bestimmung des Übereinkommens zu erwirken. Diese Bestimmung legte die Mindestaltersgrenze auf 16 Jahre fest, was Kohärenzprobleme mit den zwei wichtigsten Rechtsinstrumenten im Bereich des Mindestalters zur Folge hatte, dem Übereinkommen Nr. 138 (Mindestalter) und dem Übereinkommen Nr. 182 (Schlimmste Formen der Kinderarbeit), während gleichzeitig allgemein anerkannt ist, dass die Arbeit im Fischereisektor zu den gefährlichsten Beschäftigungsformen gehört. Nach Auffassung der Schweiz sollte das Mindestalter daher auf 18 Jahre festgesetzt werden. Trotz dieses Widerspruchs wurde das Mindestalter 16 beibehalten.

Da das Quorum für die Verabschiedung des Übereinkommens über die Arbeit im Fischereisektor nicht erreicht wurde, ersuchte die IAK 2005 den Verwaltungsrat, die Frage auf die Tagesordnung der IAK 2007 zu setzen.

2007 nahm die IAK mit grossem Mehr das Übereinkommen und die Empfehlung über die Arbeit im Fischereisektor an. Die Schweiz stimmte ebenfalls für diese Rechtsinstrumente, da die Grundprinzipien des integrierten Ansatzes Beachtung gefunden hatten.

Die neuen Normen bezwecken eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von rund 30 Millionen im Fischereisektor Beschäftigten. Sie widerspiegeln zudem die Anforderungen, die sich durch die Globalisierung in einem expandierenden Sektor ergeben, in dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beachtlichen Gefahren und Schwierigkeiten ausgesetzt sind. Die beiden Instrumente umfassen Bestimmungen, die den Beschäftigten im Fischereisektor Folgendes garantieren sollen: ­

bessere Hygiene- und Sicherheitsbedingungen an der Arbeit, medizinische Versorgung auf See und an Land für verletzte oder kranke Seeleute

­

für ihre Gesundheit und Sicherheit ausreichende Ruhezeiten

­

Schutz durch einen Beschäftigungsvertrag

­

denselben Schutz durch soziale Sicherheit wie für die anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Zudem müssen Fischereischiffe in Zukunft so gebaut und unterhalten werden, dass die Lebensbedingungen der in diesem Sektor Beschäftigten der langen Dauer ihres Aufenthalts an Bord und auf See gerecht werden.

Das Übereinkommen schafft einen Mechanismus, der die Einhaltung und Umsetzung seiner Vorschriften durch die Mitglieder gewährleistet; ferner sieht es vor, dass grosse Hochseefischereischiffe in ausländischen Häfen Inspektionen unterzogen werden können, um sicherzustellen, dass die Seeleute an Bord nicht unter Bedingungen arbeiten müssen, die ihre Sicherheit und Gesundheit gefährden. Diese Bestimmung zielt darauf ab, dass Schiffe, die keine annehmbaren Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord bieten, und durch deren Betrieb sich für verantwortlich handelnde Reeder Nachteile ergeben, aus dem Verkehr gezogen werden.

Es ist wahrscheinlich, dass viele Länder nicht über die erforderlichen Infrastrukturen verfügen, um sämtliche entsprechenden Bestimmungen umgehend umzusetzen. Das Übereinkommen sieht einen Rechtsmechanismus vor, der es den Ländern erlauben wird, einige der Bestimmungen schrittweise umzusetzen. Das eigentliche Ziel besteht darin, die Mitgliedstaaten der IAO dazu zu ermutigen, den Text möglichst 5591

rasch zu ratifizieren und danach einen Plan zur konkreten Ausweitung des Schutzes auf alle Seeleute in der Fischerei einzusetzen. Dieser gleichzeitig flexible und gezielte Ansatz soll Konsultationen auf innerstaatlicher Ebene fördern, mit dem Ziel, innerstaatliche Gesetze und Regelungen sowie andere Massnahmen im Zusammenhang mit den Lebensbedingungen für Beschäftigte im Fischereisektor zu revidieren oder neu zu schaffen.

Das Übereinkommen (Nr. 188) über die Arbeit im Fischereisektor (2007) und die begleitende Empfehlung (Nr. 199) treten in Kraft, sobald 10 der 180 Mitgliedstaaten der IAO (davon 8 Küstenanrainerstaaten) sie ratifiziert haben.

5.2

Schlussfolgerungen

Das Übereinkommen Nr. 188 und die Empfehlung Nr. 199 beziehen sich auf den Sektor der industriellen Hochseefischerei mit Fischereischiffen. Die Schweiz verfügt über keinen entsprechenden Fischereisektor. Daher empfiehlt der Bundesrat, das Übereinkommen Nr. 188 nicht zu ratifizieren. Die Empfehlung Nr. 199 hat keinen bindenden Charakter; sie wird jedoch zur Information angefügt.

6

Konsultation der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO

Der vorliegende Bericht ist der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO, einer ausserparlamentarischen konsultativen Kommission, welche sich aus Vertretern und Vertreterinnen der Verwaltung und der schweizerischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände zusammensetzt, vorgelegt worden. Mit Ausnahme der Arbeitnehmervertreter hat die Mehrheit der Kommission vom Bericht Kenntnis genommen und ihn genehmigt. Die beiden Arbeitnehmervertreter der Kommission haben sich gegen den Vorschlag, die Übereinkommen Nr. 187 und 188 nicht zu ratifizieren, ausgesprochen. Betreffend Seearbeitsübereinkommen wurde dem Antrag der Arbeitnehmervertreter entsprochen, den Willen des Bundesrates, dieses internationale Instrument zu ratifizieren, klarer zum Ausdruck zu bringen.

5592