08.078 Botschaft zum Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI über die Vereinfachung des Informationsaustauschs zwischen Strafverfolgungsbehörden (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) vom 19. November 2008

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI über die Vereinfachung des Informationsaustauschs zwischen Strafverfolgungsbehörden (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands).

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. November 2008

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2008-1306

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Übersicht Dieser Bundesbeschluss betrifft die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI über die Vereinfachung des Informationsaustauschs zwischen Strafverfolgungsbehörden. Der Rahmenbeschluss wird durch die Schaffung eines neuen Spezialgesetzes ins Schweizer Recht umgesetzt.

Dieses Spezialgesetz, das Schengen-Informationsaustausch-Gesetz (SIaG), regelt den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden der SchengenStaaten.

Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben am 5. Juni 2005 die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die Assoziierung an Schengen und an Dublin angenommen. Damit hat sich die Schweiz gemäss dem Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen (SDÜ) unter anderem zur Übernahme von Regelungen zum erleichterten polizeilichen Informationsaustausch verpflichtet. Die einschlägigen Artikel 39 und 46 SDÜ haben jedoch mangels hinreichender Konkretisierung in der Praxis nicht den gewünschten Erfolg gezeigt.

Die in der Vergangenheit aufgetretenen Verzögerungen, Behinderungen oder gar Verhinderungen beim polizeilichen Informationsaustausch blieben bestehen.

Angesichts dieser Lücken hat der Rat der Europäischen Union (EU) den Rahmenbeschluss 2006/960/JI über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (nachfolgend Rahmenbeschluss über die Vereinfachung des Informationsaustauschs oder Rahmenbeschluss) verabschiedet.

Für die Schweiz handelt es sich dabei um eine Weiterentwicklung des SchengenBesitzstands im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 des Abkommens über die Assoziierung an Schengen (Schengen-Assoziierungsabkommen, SAA). Die Schweiz unterrichtete den EU-Rat am 28. März 2008 darüber, dass die rechtsverbindliche Übernahme der Weiterentwicklung erst nach Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfolgen kann (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA). Nach Inkraftsetzung des SAA wird der Schweiz eine Frist von maximal zwei Jahren eingeräumt, innerhalb derer sie die Weiterentwicklung übernehmen und umsetzen muss. (Diese Frist schliesst die Zeit für ein eventuelles Referendum ein.)

Bislang besteht auf Bundesebene keine umfassende oder allgemeine
Gesetzesnorm, die den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden regelt. Keiner der zahlreichen geprüften Lösungsvorschläge weist die Vorteile auf, die ein neues Spezialgesetz zur Regelung des Informationsaustauschs mit Schengen-Staaten bietet.

Das neue Gesetz enthält keine materiellen Bestimmungen; es regelt lediglich die Modalitäten des Informationsaustauschs. Zweck des Gesetzes ist es, Informationen zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten vereinfacht auszutauschen. Mit Ausnahme des spontanen Informationsaustauschs im Sinne von Artikel 6 werden durch dieses Gesetz keine neuen Bearbeitungsrechte geschaffen. Informationen werden weiterhin nach Massgabe der nationalen Bestimmungen ausgetauscht. Die Schweiz

9062

stellt nur Informationen zur Verfügung, die in Übereinstimmung mit ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften eingeholt, gespeichert und übermittelt und auf die ohne Anwendung von Zwangsmassnahmen zugegriffen werden kann.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.2 Verlauf der Verhandlungen und Ergebnis 1.3 Überblick über den Inhalt des Rahmenbeschlusses 1.4 Würdigung 1.5 Übernahmeverfahren der Schengen-Weiterentwicklungen 1.6 Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens 1.6.1 Einführung 1.6.2 Ergebnis der Vernehmlassung 1.6.3 Berücksichtigte Vorschläge 1.6.4 Nicht berücksichtigte Vorschläge

9065 9065 9066 9066 9067 9068 9068 9068 9069 9070 9071

2 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln des Rahmenbeschlusses

9073

3 Umsetzung

9077

4 Neues Bundesgesetz über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und denjenigen der anderen Schengen-Staaten 4.1 Die beantragte Neuregelung 4.2 Grundzüge des neuen Bundesgesetzes 4.3 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln des Gesetzes

9078 9078 9079 9080

5 Auswirkungen

9086

6 Verhältnis zur Legislaturplanung

9087

7 Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit 7.2 Genehmigungsbeschluss 7.3 Umsetzungsgesetzgebung 7.4 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

9087 9087 9087 9088 9088

Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI über die Vereinfachung des Informationsaustauschs zwischen Strafverfolgungsbehörden (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) (Entwurf) 9089 Notenaustausch zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme des Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) 9103

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben am 5. Juni 2005 die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die Assoziierung an Schengen und an Dublin angenommen. Hinsichtlich des Schengen-Assoziierungsabkommens (SAA)1 hat sich die Schweiz gemäss dem Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen (SDÜ)2 unter anderem dazu verpflichtet, Regelungen zum erleichterten polizeilichen Informationsaustausch zu übernehmen. Die einschlägigen Artikel 39 und 46 SDÜ haben jedoch mangels hinreichender Konkretisierung in der Praxis nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Die in der Vergangenheit aufgetretenen Verzögerungen, Behinderungen oder gar Verhinderungen beim polizeilichen Informationsaustausch blieben bestehen.

Dieser lückenhafte Informationsaustausch, die aktuelle Gefährdung durch den Terrorismus und der durch das Haager Programm der EU geäusserte Wille zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union3 haben zur Verabschiedung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (nachfolgend Rahmenbeschluss oder Rahmenbeschluss über die Vereinfachung des Informationsaustauschs, RB-VI oder «Schwedische Initiative»)4 geführt. Dieser auf Initiative Schwedens erarbeitete Rahmenbeschluss führt mit der Umsetzung des sogenannten Disponibilitätsprinzips5 ein neues Konzept bezüglich des Informationsaustauschs ein und vereinfacht diesen erheblich.

Für die Schweiz handelt es sich dabei um eine Weiterentwicklung des SchengenBesitzstands6 im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 des Abkommens über die Assoziierung an Schengen (Schengen-Assoziierungsabkommen SAA). Dieser Rahmenbeschluss muss daher genehmigt, übernommen und umgesetzt werden. Die Artikel 39 Absatz 1­3 (polizeiliche Zusammenarbeit) sowie 46 (spontaner Informationsaustausch im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit) des SDÜ werden durch die ins 1

2

3 4 5

6

Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, SR 0.360.268.1.

Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19 ff.

Erwägung Nr. 14 des RB-VI sowie Art. 12 Abs. 1 RB-VI.

ABl. L 386 vom 29.12.2006, S. 89.

Der Begriff des Disponibilitätsprinzips (auch Grundsatz der Verfügbarkeit genannt) steht in der EU für ein neues Konzept für den grenzüberschreitenden Austausch von strafverfolgungsrelevanten Informationen zwischen den Mitgliedstaaten. Danach soll unionsweit ein Strafverfolgungsbeamter in einem Mitgliedstaat, der für die Erfüllung seiner Aufgaben Informationen benötigt, diese aus einem anderen Mitgliedstaat erhalten können, und die Strafverfolgungsbehörde in dem anderen Mitgliedstaat, die über diese Informationen verfügt, sie grundsätzlich für den erklärten Zweck bereitstellen müssen.

Art. 12 Abs. 1 RB-VI sowie Erwägung Nr. 14 des RB-VI.

9065

Schweizer Recht übernommenen Bestimmungen des Rahmenbeschlusses präzisiert und konkretisiert.

1.2

Verlauf der Verhandlungen und Ergebnis

Der Entwurf des Rahmenbeschlusses wurde von den Mitgliedstaaten der EU und den drei assoziierten Staaten Norwegen, Island und Schweiz (Letztere im Rahmen der ihnen zustehenden Mitwirkungsrechte) in den zuständigen Gemischten Ausschüssen des Rates (CRIMORG7, CATS8 und COREPER9) in den Jahren 2005 und 2006 unter der EU-Präsidentschaft Luxemburgs und Grossbritanniens beraten. Dabei handelte es sich um eine der ersten substanziellen Mitwirkungsmöglichkeiten der Schweiz an einer Weiterentwicklung des Schengen-Acquis. Die Schweiz konnte erfolgreich darauf hinwirken, dass von ihr vorgetragene Änderungen in den Rahmenbeschluss aufgenommen wurden, welche die Kohärenz zu der im SAA getroffenen Verhandlungslösung zur internationalen Rechtshilfe in Fiskalsachen sicherzustellen vermochte. Der Rahmenbeschluss wurde schliesslich am 18. Dezember 2006 vom Rat der Justiz- und Innenminister der EU-Mitgliedstaaten (JAI) verabschiedet.

1.3

Überblick über den Inhalt des Rahmenbeschlusses

Der Rahmenbeschluss zielt darauf ab, dass Strafverfolgungsbehörden der SchengenStaaten Informationen und Erkenntnisse über schwerwiegende Straftaten und terroristische Handlungen (Präambel Nr. 5 RB-VI) in einem raschen und unbürokratischen Verfahren austauschen können (Art. 1 RB-VI). Der Rahmenbeschluss definiert vollzugsorientiert diejenigen Behörden, die untereinander vereinfacht Informationen austauschen können.

Mit Ausnahme der spontanen Informationsvermittlung gemäss Artikel 7 des Rahmenbeschlusses stützt sich der Informationsaustausch dabei auf die geltenden bundesgesetzlichen Bestimmungen der Datenbearbeitung und des Informationsaustauschs. Es werden insbesondere keine neuen Zugriffs- und Weitergaberechte begründet. Analog der geplanten Anwendung der Artikel 39 und 46 SDÜ verpflichten sich die Strafverfolgungsbehörden mit dem Rahmenbeschluss lediglich, Informationen nach Massgabe des nationalen Rechts und ihrer jeweiligen Zuständigkeit auszutauschen. Der genaue Umfang der Zusammenarbeit bestimmt sich somit beim Rahmenbeschluss anhand des nationalen Rechts. Die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden werden durch den Rahmenbeschluss nicht erweitert. Die gesetzlich festgelegte Kompetenzverteilung zwischen Justiz- und Polizeibehörden, respektive der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Rechtshilfe wird durch den Rahmenbeschluss nicht angetastet.10 Präzisiert wurden im Rahmenbeschluss hingegen die bei der Umsetzung zu berücksichtigenden Form- und Verfahrensvorschriften. Der Rahmenbeschluss beabsichtigt somit nicht einen eigentlichen materiellrechtlichen Ausbau, sondern die Vereinfa7 8 9 10

Multidisziplinäre Gruppe «Organisierte Kriminalität», Ebene der Sachverständigen.

Ausschuss nach Art. 36 EUV, Ebene der höheren Beamten.

Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel (AStV).

Vgl. dazu BBl 2004 6086 und 6148

9066

chung, sprich die Erleichterung des Informationsaustauschs. Dies geschieht durch zeitliche Vorgaben und die Bestimmung von Anlaufstellen. Auf eine Vereinfachung des Informationsflusses zielt auch die Regelung des Informationsaustauschs ohne Ersuchen. Hier werden die bestehenden Informationsrechte des schweizerischen Rechts jedoch durch eine materielle Neuregelung erweitert. Bereits Artikel 46 SDÜ hält fest, dass die Strafverfolgungsbehörden nach Massgabe ihres nationalen Rechts ohne Ersuchen im Einzelfall Informationen weiterleiten können. Die Möglichkeit eines spontanen Informationsaustauschs wird im Rahmenbeschluss zur Pflicht, wenn angenommen werden muss, dass Informationen zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten dienen könnten.

Mit dem Prinzip der Gleichbehandlung in Bezug auf die Bedingungen des Informationsaustauschs von in- und ausländischen Ersuchen setzt der Rahmenbeschluss den Informationsaustausch mit Schengen-Staaten dem innerstaatlichen Austausch von Informationen gleich. Die Zurverfügungstellung von Informationen an Strafverfolgungsbehörden aus Schengen-Staaten darf somit nicht strengeren Bedingungen unterliegen, als denjenigen, die im innerstaatlichen Informationsaustausch gelten.

Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt nicht, wo ein Informationsaustausch spezialgesetzlich oder staatsvertraglich überhaupt nicht vorgesehen ist.

1.4

Würdigung

Ob die Schwedische Initiative tatsächlich die erhoffte Vereinfachung des Informationsaustauschs zwischen Strafverfolgungsbehörden bringt, wird sich zeigen, nachdem in einem ersten Durchgang Informationen nach Massgabe des Rahmenbeschlusses ausgetauscht worden sind. Mit der Festlegung kurzer Fristen für die Beantwortung von Ersuchen und der Pflicht zur spontanen Weiterleitung setzt die Schwedische Initiative wichtige Eckpunkte in der Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden.

Damit der Rahmenbeschluss möglichst einheitlich umgesetzt werden kann, berief die EG-Kommission zwischen November 2007 und Juni 2008 vier Sitzungen ein.

Unter slowenischem Vorsitz ist beschlossen worden, die Diskussion in Expertengremien fortzusetzen. Die EU-Mitgliedstaaten haben bis 18. Dezember 2008 Zeit, die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses in ihr nationales Gesetz zu übernehmen.

Seit Ende Juni 2008 treten die Expertinnen und Experten der beteiligten Staaten einmal im Monat zu Gesprächen zusammen. Dank dieser Gespräche konnte man sich bereits über eine Reihe von praktischen Aspekten einigen. Die Experten erarbeiten unter anderem ein Handbuch, in dem präzisiert wird, welche Informationen nach Massgabe des Rahmenbeschlusses weitergegeben werden dürfen. Ausserdem wird das Handbuch als Leitfaden zum Ausfüllen der Antrags- und Antwortformulare dienen. Aufgelistet werden auch die zuständigen Behörden in den jeweiligen Ländern und die Arbeitssprachen, die für dringende Ersuchen verwendet werden können. Im Rahmen des ihr zustehenden Mitwirkungsrechts nimmt die Schweiz an der Diskussion um die Lösungsfindung teil.

9067

1.5

Übernahmeverfahren der Schengen-Weiterentwicklungen

Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands werden gemäss dem in Artikel 7 SAA vorgesehen Verfahren übernommen und umgesetzt. Sobald eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands von der EU verabschiedet ist, wird der entsprechende Rechtsakt der Schweiz notifiziert. Die Schweiz hat der EU darauf innert 30 Tagen nach der Verabschiedung des Rechtsakts mitzuteilen, ob sie den neuen Rechtsakt übernehmen will.

Die Übernahme erfolgt durch einen Notenaustausch, der aus schweizerischer Sicht einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt11. Je nach Inhalt des zur Übernahme anstehenden EU-Rechtsaktes sind für die Genehmigung dieses Vertrags der Bundesrat oder das Parlament und das Volk im Rahmen des fakultativen Referendums zuständig.

Ist die Bundesversammlung für den Abschluss des Notenaustausches zuständig oder bedingt die Umsetzung die Vornahme von Gesetzesanpassungen, so muss die Schweiz dem EU-Rat und der EG-Kommission mitteilen, dass die rechtsverbindliche Übernahme der Weiterentwicklung erst nach Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfolgen kann (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA). Dies trifft bei der Umsetzung der Schwedischen Initiative zu. Für die Übernahme und Umsetzung der Weiterentwicklung verfügt die Schweiz in diesem Fall über eine Frist von maximal zwei Jahren. Diese Frist schliesst die Zeit für ein eventuelles Referendum ein.

Falls Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands von der Schweiz nicht übernommen werden sollten, sieht das SAA eine Suspendierung oder gar Beendigung des Abkommens vor (Art. 7 Abs. 4 SAA).

Der EU-Rat hatte den Rahmenbeschluss 2006/960/JAI am 22. März 2007 notifiziert, bevor das SAA in Kraft trat, d.h. vor dem 1. März 2008. Bei Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstandes, welche die EU der Schweiz noch vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des SAA notifiziert hat, beginnt der Fristenlauf für die Notifizierung der Schweiz mit dem Inkrafttreten des SAA (Art. 14 Abs. 3 SAA). Am 28. März 2008 informierte die Schweiz den EU-Rat, dass die rechtsverbindliche Übernahme des Rahmenbeschlusses 2006/960/JAI erst nach Erfüllung der verfassungsrechlichen Voraussetzungen erfolgen kann (Art. 7 Abs. 2 Bst b SAA). Die Schweiz muss diese Weiterentwicklung folglich bis zum 28. Februar 2010 übernehmen und umsetzen.

1.6

Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens

1.6.1

Einführung

Der Bundesrat eröffnete am 20. Mai 2008 das Vernehmlassungsverfahren zum Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI über die Vereinfachung des Informationsaustauschs zwischen Straf11

Botschaft zur Genehmigung der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union, einschliesslich der Erlasse zur Umsetzung der Abkommen («Bilaterale II») vom 1. Oktober 2004, BBl 2004 6130.

9068

verfolgungsbehörden (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands). Das Vernehmlassungsverfahren dauerte bis 20. August 2008.

Die Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien, die Dachorganisationen der Gemeinden, Städte und Berggebiete und gesamtschweizerische Dachverbände der Wirtschaft waren gebeten worden, zum Entwurf des Bundesgesetzes über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und denjenigen der Schengen-Staaten (Schengen-Informationsaustausch-Gesetz, SIaG) Stellung zu nehmen. Insgesamt wurden 51 interessierte Behörden und Organisationen um ihre Stellungnahme gebeten. Bis zum Ablauf des Vernehmlassungsverfahrens, an dem 25 Kantone beteiligt waren, gingen beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) 38 Stellungnahmen ein.

Von den 13 zur Stellungnahme eingeladenen politischen Parteien, antworteten fünf Parteien12.

1.6.2

Ergebnis der Vernehmlassung

Wenngleich einige der befragten Kantone und Interessengruppen eine Reihe von Anmerkungen und Änderungsvorschlägen angebracht haben, so haben die meisten den Gesetzesentwurf befürwortet. Einzig die SVP hat den Entwurf vollumfänglich abgelehnt. Der Schweizerische Gewerkschaftsverband (SGV) und das Centre patronal et la Chambre vaudoise des arts et métiers haben gefordert, dass der Entwurf später behandelt werde.

Die nachstehende Statistik gibt einen Überblick über die Positionen der Teilnehmenden: Befürworter

Befürworter (mit Änderungswünschen)

Keine Stellungnahme

Verschiebung Ablehnung

Kantonsregierungen Politische Parteien Gemeinden, Städte und Berggebiete Wirtschaft

19 2

6 ­

­ 2

­ ­

­ 1

­ ­

­ 3

­ 2

­ 3

­ ­

Total

21

9

4

3

1

12

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens zum Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI über die Vereinfachung des Informationsaustauschs zwischen Strafverfolgungsbehörden, Bundesamt für Polizei, EJPD, 27. August 2008, 6 Seiten.

9069

1.6.3

Berücksichtigte Vorschläge

Im Folgenden werden die im Zuge der Vernehmlassung bemängelten Punkte kommentiert, die präzisiert worden sind: ­

Abgrenzung zwischen dem SlaG und dem Rechtshilfegesetz (IRSG)13

­

Präzisierung der Definition der vom SIaG betroffenen Informationen

­

Genauere Bezeichnung der Strafverfolgungsbehörden

­

Fragen hinsichtlich der Umsetzung des SIaG

Abgrenzung zwischen dem SIaG und dem Rechtshilfegesetz (IRSG) Die Abgrenzung zwischen dem SIaG und dem IRSG ist im Hinblick auf die operationelle Umsetzung des SIaG von grosser Bedeutung; eine Lösung musste gefunden werden. Es ist deshalb beschlossen worden, die Bestimmungen in Artikel 7 und 12 SIaG zu ändern.

Die involvierten Behörden werden ein Handbuch erhalten, das unter anderem als Leitfaden dient, um in der Praxis vor allem zwischen der Anwendung von Artikel 7 SIaG und Artikel 67a IRSG zu unterscheiden.

Präzisierung der Definition der vom SIaG betroffenen Informationen Die Bestimmungen von Artikel 2 über die Informationen, von Artikel 7 SIaG über den spontanen Informationsaustausch und von Artikel 12 SIaG über die Verweigerungsgründe sind geändert worden. Klarer gestaltet ist nun auch der Anhang 1: Nun sind nicht mehr nur die Gesetzesartikel aufgeführt, die denjenigen des Rahmenbeschlusses 2002/584/JAI entsprechen oder gleichwertig sind14. auch die entsprechenden Straftaten werden namentlich aufgelistet.

Genauere Bezeichnung der Strafverfolgungsbehörden Wie auch im Kommentar zu Artikel 3 SIaG ausgeführt, wird das Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union eine Liste mit den Namen der Strafverfolgungsbehörden erhalten. Die Lösung mit der gesonderten Liste ist sehr viel praktischer als wenn die Namen der Behörden im Gesetz aufgeführt würden. Müssten die Strafverfolgungsbehörden in Artikel 3 SIaG alle einzeln aufgelistet werden, bedürfte es bei jeder nötigen Anpassung einer Gesetzesänderung. Dank der Schaffung einer Liste kann die Schweiz der EU jederzeit weitere Namen von Behörden mitteilen, die den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses unterstehen, ohne dass das Gesetz angepasst werden muss.

Unter Beifügung eines zweiten Absatzes zu Artikel 3 hat der Bundesrat gewünscht, sämtliche Behörden, welche Verwaltungsstrafverfahren durchführen, vom Geltungsbereich dieses Gesetzes auszuschliessen. Dies betrifft die Eidgenössische sowie die kantonalen Steuerverwaltungen, die Kontrollstelle für die Bekämpfung der Geldwäscherei sowie die Eidgenössische Bankenkommission (FINMA).

13 14

Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1).

Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 190 vom 18.7.2002, S. 1).

9070

Umsetzung des SIaG Ein noch zu erarbeitendes Handbuch für die involvierten Behörden wird unter anderem Hinweise zur Verwendung der Formulare enthalten, zu den Arbeitssprachen und zur 8-Stunden-Frist, innerhalb derer dringende Ersuchen behandelt werden müssen.

Des Weiteren informiert das Handbuch über den Ablauf des Informationsaustauschs und die Rolle der Einsatzzentrale fedpol, über welche der Informationsaustausch zwischen kantonalen und ausländischen Strafverfolgungsbehörden abgewickelt werden soll.

Mit diesem Handbuch wird auch der Forderung der Kantone Rechnung getragen, dass der Bund sie bei der Umsetzung der Bestimmungen der Artikel 5 und 14 SIaG unterstütze.

Anregung Die Schweizerische Bankiervereinigung hat vorgeschlagen, die von den wichtigsten EU-Mitgliedstaaten verabschiedeten Bestimmungen zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses auf der Website der Bundesverwaltung zu veröffentlichen.

Fedpol wird diesen Vorschlag in Zusammenarbeit mit der Bundeskanzlei und dem Integrationsbüro eingehend prüfen.

1.6.4

Nicht berücksichtigte Vorschläge

Im Zuge der Vernehmlassung ist eine Reihe weiterer Änderungen vorgeschlagen worden. Diese Vorschläge sind indessen aus unterschiedlichen Überlegungen nicht berücksichtigt worden: Verhältnis des SIaG und der Schweizerischen Strafprozessordnung Die Kantone Schwyz, Basel-Land und Obwalden warfen die Frage auf, ob das SIaG in Einklang mit der Schweizerischen Strafprozessordnung stehen werde. Verwunderung besteht auch darüber, dass der Bund ein Gesetz geschrieben habe, das nur für die Strafverfolgungsbehörden des Bundes gelte, nicht aber für alle Schweizer Strafverfolgungsbehörden.

Die Überlegungen des Bundes gründen in der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen. In Ziffer 4.1 dieser Botschaft werden diese Überlegungen erläutert.

Definition von Zwangsmassnahmen und Informationen, die mit Hilfe von Zwangsmassnahmen erhoben worden sind Die Kantone Zürich und Aargau wie auch die Schweizerische Bankiervereinigung haben gefordert, dass die Zwangsmassnahmen und die Art von Information, die nicht weitergegeben werden darf, in einem separaten Anhang im SIaG aufgelistet werden. Des Weiteren wird gefordert, dass Artikel 2 präziser formuliert wird: Informationen, die durch Zwangsmassnahmen erhoben worden sind, noch bevor ein Ersuchen gestellt worden ist, seien vom Anwendungsbereich des SIaG auszunehmen.

Dieser Forderung kann der Bundesrat nicht nachkommen. Die vorgeschlagene Lösung entspricht dem geltenden nationalen Recht und insbesondere den Bestimmungen in Artikel 75a IRSG. Darin wird festhalten, welche Ersuchen auf dem 9071

Rechtshilfeweg zu verweisen sind und welche Ersuchen auf dem Amtshilfeweg entsprochen werden kann15. Mit dieser Lösung wird auch der seit Jahren bewährten Praxis Rechnung getragen. Zudem ist auf die gemäss Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe c SIaG geforderte Zustimmung der Justizbehörden zu verweisen, welche die Gefahr des Missbrauchs beträchtlich verringert. Eine Liste mit denjenigen Informationen, die nicht weitergegeben werden dürfen, müsste laufend nachgeführt werden, um mit der Entwicklung Schritt zu halten. Ausserdem müsste eine solche Liste abschliessend sein, wollte man nicht riskieren, dass in der Praxis ernsthafte Problemen entstehen.

Rechtsmittel Der Kanton Schwyz, der Verband Schweizerischer Kantonalbanken, die St. Galler Kantonalbank und die Chambre vaudoise des arts et métiers verwiesen auf die Gefahr, wonach im Zuge eines Ermittlungsverfahrens ausländischen Behörden Daten verfügbar gemacht werden und diese ohne Erlaubnis weitergegeben werden könnten. Es müsse gewährgeleistet sein, dass ausländische Behörden die von der Schweiz erhaltenen Informationen nur für den vorgesehenen Zweck benutzen. Vor allem sei sicherzustellen, dass zur Verfügung gestellte Informationen ohne explizite Erlaubnis nicht als Beweismittel vor einer Justizbehörde verwendet werden.

Der Bundesrat hält dafür, dass unter geltendem Recht etwaige Fälle von Missbrauch ausreichend geregelt sind. Auf Bundesebene können Geschädigte sich auf das Bundesgesetz vom 19. Juni 199216 über den Datenschutz (DSG) berufen. Ausserdem haftet der Bund nach Massgabe des Verantwortlichkeitsgesetzes für Schaden, der durch zweckwidrige Bearbeitung von Daten verursacht worden ist.

Verschiebung des Zeitpunkts für die Umsetzung des Rahmenbeschlusses in der Schweiz Der Schweizerische Gewerbeverband und das Centre patronal et la Chambre vaudoise des arts et métiers haben gefordert, dass die Schweiz im Gemischten Ausschuss die Frist für das Inkrafttreten des Rahmenbeschlusses 2006/960/JAI neu verhandle, ja sogar eine Ersatzlösung diskutiere. Dieser Forderung kann nicht stattgegeben werden: Dank ihrem Mitwirkungsrecht in den Verhandlungen über den Rahmenbeschluss konnte die Schweiz ihren Standpunkt geltend machen. Es wurden sogar grundlegende Änderungen erzielt, die im Sinne der Schweiz sind (vgl.

Ziff. 1.2). Nicht zuletzt hat sich der Bund mit
der Unterzeichnung des SAA unter Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe b grundsätzlich dazu verpflichtet, die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands innerhalb von höchstens zwei Jahren zu übernehmen.

15

16

Botschaft vom 29. März 1995 betreffend die Änderung des Rechtshilfegesetzes und des Bundesgesetzes zum Staatsvertrag mit den USA über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen sowie den Bundesbeschluss über einen Vorbehalt zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, BBl 1995 III 1.

SR 235.1

9072

2 Art. 1

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln des Rahmenbeschlusses Ziel und Anwendungsbereich

Ziel des Rahmenbeschlusses ist es, unnötige Verzögerungen, Behinderungen oder gar Verhinderungen des Informationsaustauschs, beispielsweise aufgrund fehlerhaft eingeleiteter Verfahren, in Zukunft zu umgehen.

Aus Artikel 1 geht hervor, dass der Rahmenbeschluss bei Rechtshilfeersuchen keine Anwendung findet. Rechtsakte der Europäischen Union über die Rechtshilfe oder die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen bleiben von diesem Rahmenbeschluss unberührt. Rechtshilfeersuchen sind demnach weiterhin den bestehenden Regelungen über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen unterworfen.

Die austauschenden Behörden sind nicht verpflichtet, die erbetene Information durch Zwangsmassnahmen verfügbar zu machen. Die erhaltenen Informationen dürfen sodann ausschliesslich zu Ermittlungszwecken verwendet werden. Will ein Mitgliedstaat die Informationen nachträglich als Beweismittel vor einer Justizbehörde verwenden, so hat er die Einwilligung des ersuchten Staates nach den geltenden Regeln der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen einzuholen.

Informationen, die ursprünglich durch Zwangsmassnahmen erhoben wurden, sind nur dann nach diesem Rahmenbeschluss zu übermitteln, wenn dies das nationale Recht als zulässig erachtet.

Art. 2

Begriffsbestimmungen

Unter den Anwendungsbereich dieses Rahmenbeschlusses fallen diejenigen Behörden, die als nationale Polizei, Zoll- oder sonstige Behörde nach nationalem Recht befugt sind, Straftaten oder kriminelle Aktivitäten aufzudecken, zu verhüten und aufzuklären und in Verbindung mit diesen Tätigkeiten öffentliche Gewalt auszuüben und Zwangsmassnahmen zu ergreifen. Nachrichtendienstliche Tätigkeiten, die die innere Sicherheit betreffen, sind explizit ausgenommen.

Angesprochen sind sämtliche Behörden, welche kriminelle Tätigkeiten verfolgen; der Rahmen erstreckt sich vom polizeilichen Erkenntnisgewinnungsverfahren bis zum eigentlichen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, einschliesslich der Tätigkeiten der Staatsanwaltschaften. Innerhalb dieser generellen Definition sind die Mitgliedstaaten und assoziierten Staaten verpflichtet, ihre vom Rahmenbeschluss erfassten nationalen Behörden in einer beim Generalsekretariat des EU-Rates zu hinterlegenden Erklärung konkret zu bezeichnen. Diese Erklärung kann jederzeit geändert werden.

Dem vereinfachten Austausch unterstehen alle Arten von Informationen, die bei den genannten Behörden vorhanden sind (Disponibilitätsprinzip) oder die bei anderen Behörden oder privaten Stellen vorliegen, und auf die die genannten Behörden ohne Zwangsmassnahmen ­ und unter Einhaltung der einschlägigen Bearbeitungsvorschriften ­ Zugriff haben.

9073

Der Rahmenbeschluss verweist auf die Straftaten nach Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI vom 13. Juni 200217 über den europäischen Haftbefehl und knüpft daran gewisse Folgen. Mit Blick auf diejenigen assoziierten Staaten, die sich nicht am Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl beteiligen ­ wie die Schweiz ­ wird auf Straftaten nach nationalem Recht verwiesen, die denjenigen von Artikel 2 Absatz 2 des Haftbefehls entsprechen oder gleichwertig sind. Der Umstand, dass die Straftaten nur gleichwertig18 und damit nicht gleich sein müssen, gewährleistet, dass die Schweiz nicht die im Haftbefehl geltenden Begriffsbestimmungen etwa des «Betrugs» oder der «Geldwäscherei» zu übernehmen hat, sondern ihre entsprechenden nationalen Begriffsbestimmungen beibehalten kann. Dies ist insbesondere in Bezug auf den Begriff des Betrugs bzw. des Steuerbetrugs von Bedeutung.

Art. 3

Zurverfügungstellung von Informationen und Erkenntnissen

Der Rahmenbeschluss bezweckt die Vereinfachung des Informationsaustauschs.

Informationen sollen effizienter und, wo notwendig, schneller übermittelt werden.

So dürfen die ersuchten Behörden an die Zurverfügungstellung von Informationen keine strengeren Bedingungen knüpfen als bei einem Informationsaustausch im innerstaatlichen Bereich. Insbesondere soll der Informationsaustausch nicht von der Zustimmung einer Justizbehörde abhängig gemacht werden, wenn dies im innerstaatlichen Verhältnis nicht erforderlich ist. Ist die Zustimmung einer Justizbehörde auch innerstaatlich vorgesehen, soll die ersuchte Behörde stellvertretend diese Zustimmung für die ersuchende Behörde einholen. Dahinter steht der Gedanke, dass die ersuchte Behörde, z.B. eine nationale Polizeibehörde, einen einfacheren Zugang zu ihrer eigenen Justizbehörde hat und dass damit das Ersuchen effizienter erledigt werden kann. Auch in diesem Fall ist die Justizbehörde verpflichtet, ihre Zustimmung keinen strengeren Bedingungen zu unterwerfen, als dies bei einem rein innerstaatlichen Ersuchen erforderlich wäre.

Die Weitergabe erlangter Informationen an einen weiteren Mitgliedstaat untersteht zudem dem Grundsatz der Spezialität.19 Art. 4

Fristen für die Zurverfügungstellung von Informationen und Erkenntnissen

Zentrales Element für die Vereinfachung des Informationsaustauschs stellt sodann die Festlegung klarer Fristen dar, innerhalb derer die erbetenen Informationen überreicht werden müssen. Dabei wird zwischen dringenden Ersuchen (Frist von 8 Stunden) und nicht dringenden Ersuchen (Frist von 7 Tagen) unterschieden, soweit die Informationen in einer Datenbank verfügbar sind und es sich bei den dem Ersuchen zugrunde liegenden Straftaten um schwere Straftaten, d.h. Straftaten nach Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI vom 13. Juni 2002 über den europäischen Haftbefehl handelt. In allen anderen Fällen beträgt die Frist 2 Wochen.

17 18 19

ABl. L 190 vom 18.7.2002, S. 1.

Vgl. die Berichtigungen im ABl. L 75, 26 vom 15.3.2007, S. 26.

Vgl. hierzu den Kommentar zu Art. 8 RB-VI.

9074

Art. 5

Ersuchen um Informationen und Erkenntnisse

Diese Bestimmung regelt die Zweckgebundenheit der übermittelten Informationen.

Art. 6

Kommunikationswege und Sprachen

Ersuchen erfolgen über den Weg aller für die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung verfügbaren Kanäle, wie beispielsweise Europol, Interpol oder das SIRENE-Büro. Dies gilt für alle Ersuchen unabhängig von ihrer Dringlichkeit. Für dringende Ersuchen nach Artikel 4 Absatz 1 RB-VI benennen die Mitgliedstaaten eine oder mehrere zentrale Anlaufstellen, damit das Gesuch ohne Verzug an die zuständige innerstaatliche Behörde weitergeleitet werden kann. Es besteht jedoch keine Pflicht, dringende Ersuchen über die zentralen Anlaufstellen zu tätigen.

Neben den nationalen Behörden wird explizit auch der Informationsaustausch mit Europol und Eurojust statuiert. Die Schweiz hat mit Europol ein Abkommen über die Zusammenarbeit in 25 Deliktsbereichen vereinbart20. Sie wird an Europol daher nur Informationen weiterleiten, die durch das Abkommen mit Europol abgedeckt sind. Mit Eurojust wurden die Vertragsverhandlungen auf technischer Ebene mit der Paraphierung des gemeinsamen Textes am 6. März 2008 abgeschlossen.

Art. 7

Spontaner Austausch von Informationen und Erkenntnissen

Artikel 46 des SDÜ sieht vor, dass Informationen im Einzelfall ohne Ersuchen der jeweils betroffenen Vertragspartei übermittelt werden können, wenn diese für den Empfänger zur Unterstützung bei der Bekämpfung zukünftiger Straftaten, zur Verhütung einer Straftat oder zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von Bedeutung sein können. In Artikel 7 des RB-VI wird dieser spontane Austausch von Informationen nun, soweit es sich um eine Straftat gemäss Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI vom 13. Juni 2002 über den europäischen Haftbefehl handelt, zur Pflicht erhoben. Nach Massgabe von Artikel 7 Absatz 1 letzter Satz richten sich die Modalitäten eines spontanen Austausches von Informationen und Erkenntnissen nach dem nationalen Recht des jeweiligen Mitgliedstaates.

Punkt 5 im Anhang A des RB-VI lässt den Schluss zu, dass das Formblatt zur Beantwortung von Ersuchen zwingend beim spontanen Austausch von Informationen anzuwenden ist.

Art. 8

Datenschutz

Absatz 1 legt den Grundsatz fest, wonach beim Austausch von Informationen die Datenschutzregeln anzuwenden sind, die für den Kommunikationsweg gelten, der für die Übermittlung benutzt wird. Gemäss Absatz 2 unterliegt die Verwendung ausgetauschter Informationen den nationalen Datenschutzbestimmungen des empfangenden Mitgliedstaats. Gleichzeitig gelten die einschlägigen Datenschutzübereinkommen und Empfehlungen des Europarates.

Absatz 3 legt den Grundsatz der Spezialität fest. Diese Norm ist unmittelbar auf die betroffenen Behörden anwendbar und muss deshalb nicht auf den Gesetzesentwurf 20

SR 0.360.268.2, 0.360.268.21

9075

übertragen werden. Eine Weiterleitung der Informationen oder Erkenntnisse an andere Behörden und eine Verwendung, die nicht dem im Ersuchen festgehaltenen Zweck entspricht, ist nur nach vorheriger Genehmigung durch den übermittelnden Staat zulässig (Grundsatz der Spezialität). Eine Abweichung von diesem Grundsatz ist nur zur Abwehr einer unmittelbaren und ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit möglich.

Der übermittelnde Staat kann zudem die Verwendung der Informationen und Erkenntnisse an Bedingungen knüpfen, die von der empfangenden Strafverfolgungsbehörde zu beachten sind, ausser es handle sich um die Abwehr einer unmittelbaren und ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Absatz 4 hält den Grundsatz der Gleichbehandlung fest. Demgemäss müssen für den Informationsaustausch mit Schengen-Staaten die gleichen Bedingungen angewendet werden wie für den Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden. Den zuständigen Strafverfolgungsbehörden eines Schengen-Staates können somit nur dann Bedingungen auferlegt werden, wenn diese nach nationalem Recht vorgesehen sind und auch für die innerstaatlichen Behörden gelten.

Ein Entwurf des Rahmenbeschlusses über den Datenschutz bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen dürfte 2008 verabschiedet werden.

Dieser Rahmenbeschluss legt eine Reihe von Grundsätzen des Datenschutzes fest, die die Schengen-Staaten in ihr nationales Recht übernehmen müssen. Die Grundsätze gelten indessen einzig für den Datenaustausch, nicht aber für die interne Datenbearbeitung. Dieser Rahmenbeschluss stellt eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes dar und muss somit ebenfalls ins Schweizer Recht umgesetzt werden.

Art. 9

Vertraulichkeit

Diese Bestimmung enthält verpflichtende Regelungen über die Wahrung von Amtsgeheimnissen.

Art. 10

Gründe für die Zurückhaltung von Informationen oder Erkenntnissen

Einem Ersuchen um die Herausgabe von Informationen muss unter anderem nicht nachgekommen werden, wenn sich das Ersuchen auf eine strafbare Handlung bezieht, die nach dem Recht des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder weniger bedroht ist. Diese Bestimmung reflektiert die Zielsetzung des Rahmenbeschlusses, vorwiegend Informationen im Bereich schwerwiegender Straftaten und terroristischer Handlungen auszutauschen.

Im Übrigen kann die Zurverfügungstellung von Informationen und Erkenntnissen verweigert werden, wenn wesentliche nationale Sicherheitsinteressen, der Erfolg laufender Ermittlungen, die Sicherheit von Personen oder der Grundsatz der Verhältnismässigkeit beeinträchtigt sind. Es werden ebenfalls keine Informationen oder Erkenntnisse weitergeleitet, wenn die zuständige Justizbehörde den Zugriff auf die erbetenen Informationen nach Massgabe von Artikel 3 Absatz 4 des Rahmenbeschlusses nicht genehmigt hat.

9076

Art. 11

Umsetzung

Die Schengen-Staaten sind verpflichtet, den Wortlaut der Bestimmungen, mit denen sie die aus dem RB-VI ergebenden Verpflichtungen in das innerstaatliche Recht umsetzen, dem Generalsekretariat des EU-Rates und der EG-Kommission mitzuteilen.

Art. 12

Verhältnis zu anderen Rechtsakten

Bestehende und künftige Vereinbarungen zwischen Schengen-Staaten, die über die in diesem Rahmenbeschluss festgelegten Ziele hinausgehen und dazu beitragen, den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden zu vereinfachen und zu erleichtern, gehen diesen Bestimmungen vor. Der EU-Rat und die EG-Kommission werden über sämtliche neuen Übereinkünfte und Vereinbarungen unterrichtet.

Anhang Im Anhang befinden sich die für die Ersuchen von Informationen und deren Beantwortung zu verwendenden Formulare. Die zu verwendende Sprache richtet sich nach dem im konkreten Fall benutzten Kommunikationsweg.

3

Umsetzung

Die Durchführungsvorschriften zur direkten Anwendbarkeit lassen sich definieren als «Bestimmungen, die von staatlichen Stellen einschliesslich Organen der Rechtspflege angewendet werden können, ohne dass es im nationalen Recht ergänzender Gesetzes- oder Anwendungserlasse bedarf.»21 Der Rahmenbeschluss richtet sich in erster Linie an die staatlichen Organe, denen es obliegt, die Modalitäten des Informationsaustauschs im Einzelnen zu regeln. Der Rahmenbeschluss ist folglich nicht direkt anwendbar. Zudem wird den Vertragsstaaten ein beträchtlicher Ermessensoder Entscheidungsspielraum bei der Umsetzung offen gelassen.22 So sah sich die EG-Kommission veranlasst, ab November 2007 Expertentreffen zur Umsetzung der Schwedischen Initiative zu organisieren, an denen Verständnis- und Interpretationsfragen gemeinsam erörtert wurden. Das Generalsekretariat des EU-Rates hat die Leitung dieser Treffen übernommen. Seit Ende Juni 2008 treten die Experten der beteiligten Staaten einmal im Monat zu Gesprächen zusammen, um sicherzustellen, dass der Rahmenbeschluss umgesetzt werden kann.

Auch wenn ein Staatsvertrag als Ganzes nicht direkt anwendbar ist, können einzelne Normen daraus direkt angewendet werden. So sind insbesondere die Artikel 8 Ab21

22

Marco G. Marcoff, zitiert in Olivier Jacot-Guillarmod, L'applicabilité directe des traités internationaux en Suisse: Histoire d'un détour inutile, Annuaire suisse de droit international, volume anniversaire 1989, S. 133. Siehe auch Christophe Wilhelm, Introduction et force obligatoire des traités internationaux dans l'ordre juridique suisse, thèse Lausanne 1992, S. 131 ff. und Daniel Wüger, Anwendbarkeit und Justiziabilität völkerrechtlicher Normen im schweizerischen Recht: Grundlagen, Methoden und Kriterien, Dissertation, Bern, 2005.

Die Mitgliedstaaten werden in Art. 11 Ziff. 1 RB-VI zur Umsetzung und Konkretisierung der im Rahmenbeschluss festgehaltenen Ziele verpflichtet. Im Unterschied zum RB-VI ist beispielsweise das Betrugsabkommen im Rahmen der Bilateralen II grösstenteils direkt anwendbar (BBl 2004 6503).

9077

satz 3 und 10 Absatz 3 des Rahmenbeschlusses direkt anwendbar. Auch Artikel 7 erster Satz bedarf keiner besonderer Bestimmungen: Darin wird der spontane Austausch bestimmter Informationen bezüglich festgelegter Straftaten zur Pflicht erhoben. Er ist also an die Strafverfolgungsbehörden gerichtet und gilt somit als direkt anwendbar.

Die Mehrheit der Bestimmungen sind jedoch nicht direkt anwendbar. Deshalb wurde das Ziel verfolgt, sämtliche relevanten Bestimmungen in einem neuen Gesetz zu verankern und abschliessend zu regeln. Der künftige Anwender soll sich auf einen umfassenden, übersichtlichen Gesetzestext abstützen können und den ursprünglichen Rahmenbeschluss nur in Ausnahmefällen beiziehen müssen.

Die Bestimmungen des RB-VI wurden nach Massgabe der bestehenden innerstaatlichen Kompetenzverteilung, die im Bereich der Amtshilfe und des Informationsaustauschs parallele Zuständigkeiten von Bund und Kantonen vorsieht, innerstaatlich umgesetzt.

4

Neues Bundesgesetz über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und denjenigen der anderen Schengen-Staaten

4.1

Die beantragte Neuregelung

Ziel des vorliegenden Bundesbeschlusses ist es, den im Rahmen des SAA eingegangenen Verpflichtungen zur Übernahme und Umsetzung von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands nachzukommen und soweit möglich klare und verständliche Modalitäten für den Informationsaustausch mit Schengen-Staaten zu schaffen.

Hingegen ist es nicht Ziel dieser Vorlage, den Bereich der Amtshilfe einheitlich zu kodifizieren und bestehende Gesetzeslücken zu schliessen. Dieses Unterfangen hätte den Rahmen dieses unter Zeitdruck stehenden Umsetzungsprojektes bei Weitem gesprengt. Die beantragte Neuregelung, ein neues Bundesgesetz zur Umsetzung der Schwedischen Initiative, fokussiert sich somit auf das Wesentliche und das Machbare.

Ein Spezialgesetz zum Informationsaustausch mit Schengen-Staaten bietet unter anderem den Vorteil, dass Ergänzungen, Präzisierungen oder gänzlich neue Bestimmungen zum Informationsaustausch zwischen Schengen-Staaten in einen bestehenden, übersichtlichen Rahmen eingeflochten werden könnten.23 Geprüft und verworfen wurde die Einbindung der Bestimmungen des RB-VI in die neue schweizerische Strafprozessordnung (StPO) und die Erweiterung sämtlicher Spe-

23

Die EU wird innerhalb von 12 Monaten ab dem Inkrafttreten des Rahmenbeschlusses prüfen, ob weitere Schritte erforderlich sind, um noch bestehende Hindernisse beim Informationsaustausch zu beseitigen. Dies in erster Linie in Bezug auf das im Haager Programm vorgesehene Disponibilitätsprinzip.

9078

zialgesetze24 durch spezifische Bestimmungen zur Amtshilfe mit Schengen-Staaten.

Des Weiteren ist die Ausarbeitung eines Gesetzes für die Organe mit polizeilichen Aufgaben des Bundes geplant (Polizeigesetz). Auch die Frage, ob das SIaG dereinst in dieses Gesetz überführt werden kann, ist geprüft worden. Da die Ausarbeitung eines solchen Polizeigesetzes voraussichtlich mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird, der Schweiz aber maximal zwei Jahre bleiben, um den RB-VI umzusetzen, ist auch diese Variante, zumindest vorläufig, nicht berücksichtigt worden.

Auf eine Erweiterung des Vierten Titels im Dritten Buch des Strafgesetzbuches wurde ebenfalls verzichtet, da formell-rechtliche Regeln zur polizeilichen Zusammenarbeit grundsätzlich nicht in das StGB gehören.

4.2

Grundzüge des neuen Bundesgesetzes

Zweck des vorliegenden Gesetzes ist es, die Verfolgung und Verhütung von Straftaten mittels eines vereinfachten internationalen polizeilichen Informationsaustauschs zu verbessern (Art. 1). Dieses Gesetz soll sicherstellen, dass die Bedingungen, unter denen mit Strafverfolgungsbehörden anderer Schengen-Staaten Informationen ausgetauscht werden, nicht strenger sind als diejenigen, die im innerstaatlichen Informationsaustausch gelten. Dazu legt das Gesetz die Modalitäten wie die Fristen und einige Formvorschriften fest und erhebt den spontanen Austausch zur Pflicht.

Im Abschnitt 1 wird festgehalten, dass das Gesetz für die Strafverfolgungsbehörden des Bundes gilt, die gemäss Bundesrecht befugt sind, zur Verfolgung und Verhütung von Straftaten öffentliche Gewalt auszuüben und Zwangsmassnahmen zu ergreifen.

Grundsätzlich sollen alle Informationen, auf die ohne Zwangsmassnahmen zugegriffen werden kann, unter diesem Gesetz vereinfacht ausgetauscht werden können.

Artikel 6 führt das Grundprinzip der Gleichbehandlung ein. Es besagt, dass Informationsersuchen immer gleich zu behandeln sind, und zwar unabhängig davon, ob das Ersuchen von einer in- oder einer ausländischen Behörden stammt.

24

Dazu gehören u.a. folgende Erlasse: StGB SR 311.0 (Art. 349 ff), Bundesgesetz vom 7.

Oktober 1994 über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes SR 360 (ZentG), (Embargogesetz, EmbG) SR 946.231, Verordnung vom 4. Juli 1984 über die Ursprungsbeglaubigung (VUB) SR 946.31, Zollgesetz vom 18. März 2005 (ZG) SR 631.0, Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) SR 241, Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (Mehrwertsteuergesetz, MWSTG) SR 641.20, Bundesgesetz vom 21. März 1969 über die Tabakbesteuerung (Tabaksteuergesetz, TStG) SR 641.31, Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 über die Biersteuer (Biersteuergesetz, BStG) SR 641.411, Automobilsteuergesetz vom 21. Juni 1996 (AStG) SR 641.51, Mineralölsteuergesetz vom 21. Juni 1996 (MinöStG) SR 641.61, Bundesgesetz vom 19. Dezember 1997 über eine leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (Schwerverkehrsabgabegesetz, SVAG) SR 641.81, Bundesgesetz vom 13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer (VStG) SR 642.21, Bundesgesetz vom 27. Juni 1973 über die Stempelabgaben (StG) SR 641.10, Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG) SR 642.11, Bundesgesetz vom 8. November 1934 über die Banken und Sparkassen (Bankengesetz, BankG) SR 952.0, Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die kollektiven Kapitalanlagen (Kollektivanlagengesetz, KAG) SR 951.31, Bundesgesetz vom 24. März 1995 über die Börsen und den Effektenhandel (Börsengesetz, BEHG) SR 954.1, Bundesgesetz vom 10. Oktober 1997 zur Bekämpfung der Geldwäscherei im Finanzsektor (Geldwäschereigesetz, GwG) SR 955.0, Bundesgesetz vom 3. Oktober 2003 über die Schweizerische Nationalbank (Nationalbankgesetz, NBG) SR 951.11. Hinzu kommen die Bestimmungen in den bilateralen Polizeikooperationsabkommen, dem Abkommen mit Europol und im Zusatzprotokoll zwischen der EG und der Schweiz über die gegenseitige Amtshilfe im Zollbereich.

9079

Artikel 8 des Rahmenbeschlusses bedarf keiner besonderen Umsetzung ins Schweizer Recht, da Absatz 1 auf die Datenschutzregeln für die Kommunikationskanäle und Absatz 2 auf das Landesrecht jedes Mitgliedstaates verweist. Die nach Massgabe dieses Gesetzesentwurfes ausgetauschten Daten unterliegen somit den allgemeinen Grundsätzen des DSG25 (Art. 2 Abs. 3 SIaG).

Die Bekanntgabe persönlicher Daten an die zuständige Behörde eines SchengenStaates wird mit dem Datenaustausch unter Bundesorganen gleichgestellt. Gemäss DSG dürfen Daten nur unter Einhaltung des Rechtmässigkeitsprinzips bekanntgegeben werden.26 Entsprechend muss jeglicher Austausch von Informationen, der nach den in diesem Gesetzesentwurf festgelegten Massgaben erfolgt, auf einer Rechtsgrundlage beruhen. Wenn keine Persönlichkeitsprofile oder als besonders schützenswert geltenden Personendaten ausgetauscht werden, kann ein materielles Gesetz die Rechtsgrundlage bilden. Für den Austausch besonders schützenswerter Daten muss hingegen ein formelles Gesetz die Grundlage bilden. Diese Rechtsgrundlage wird in der entsprechenden Gesetzgebung über den betroffenen Bereich enthalten sein. Dieser Gesetzesentwurf stellt indessen keine Rechtsgrundlage dar, aufgrund derer Personendaten auf Ersuchen der anderen Schengen-Staaten übermittelt werden dürfen.

Kraft Artikel 4 und 5 DSG muss beim Datenaustausch auch das Prinzip der Zweckbindung, der Verhältnismässigkeit und der Genauigkeit beachtet werden. Betroffene haben ein Recht auf Auskunft (Art. 8 DSG); dieses kann indessen eingeschränkt werden (Art. 9 DSG), und für den Datenschutz ist das Bundesorgan verantwortlich, das Daten austauscht (Art. 16 DSG).

Im Abschnitt 2 werden die Einzelheiten in Bezug auf das Informationsersuchen und dessen Beantwortung festgelegt. Artikel 7 führt ein weiteres Grundprinzip ein: die Informationspflicht. Sie besteht in der spontanen Weiterleitung von für die Bekämpfung der Kriminalität relevanten Informationen an die zuständigen ausländischen Strafverfolgungsbehörden, insbesondere in Bezug auf Straftaten, die unmittelbar oder mittelbar in Zusammenhang mit organisierter Kriminalität und Terrorismus stehen.

In Abschnitt 3 finden sich die Schlussbestimmungen, die unter anderem eine Bestimmung zum Einbezug der Kantone enthalten.

4.3

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln des Gesetzes

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen Art. 1

Gegenstand

Der Zweck des Gesetzes liegt darin, Informationen zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten vereinfacht auszutauschen. Mit Ausnahme der spontanen Informationsvermittlung im Sinne von Artikel 7 werden durch dieses Gesetz grundsätzlich keine neuen Bearbeitungsrechte geschaffen. Der Informationsaustausch erfolgt 25 26

SR 235.1 Art. 17 und 19 DSG, SR 235.1

9080

weiterhin nach Massgabe der nationalen Bestimmungen. Die Schweiz stellt nur Informationen zur Verfügung, die in Übereinstimmung mit ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften eingeholt, gespeichert und übermittelt werden können. Der Gesetzesentwurf weist den Vollzugsbehörden keine neuen Kompetenzen zu. Eine Kommunikation von Daten gestützt auf dieses Gesetz ist nur dort möglich, wo ein Spezialgesetz oder ein Abkommen die Kommunikation von Daten ins Ausland zum Zwecke der Verfolgung und Verhütung erlaubt.

Das Gesetz enthält keine Bestimmungen zum Informationsaustausch zwischen Bundesbehörden untereinander, zwischen Bundesbehörden und kantonalen Organen sowie zwischen kantonalen Strafverfolgungsbehörden und den Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten. Letztere müssen von den Kantonen eigenständig nach Massgabe des umzusetzenden Rahmenbeschlusses geregelt werden.27 Die im Rahmenbeschluss benutzten Begriffe der strafrechtlichen Ermittlungen und polizeilichen Erkenntnisgewinnungsverfahren entsprechen nur bedingt der schweizerischen Terminologie und lassen sich nicht genügend eindeutig definieren. Der Zweck des Gesetzes wurde daher neu mit der Verhütung und Verfolgung von strafbaren Handlungen umschrieben.28 Von einer Aufzählung von undefinierten Begriffen wie Frühaufklärung, Früherkennung, Vorermittlung, Vorabklärung wurde abgesehen.

Absatz 3 macht einen Vorbehalt hinsichtlich des Rechtshilfegesetzes29 und internationaler Abkommen über Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen.

Absatz 4 macht Vorbehalte zugunsten vorteilhafterer Bestimmungen bilateraler oder multilateraler Abkommen, die die Schweiz mit einigen Schengen-Staaten bereits geschlossen hat. Abkommen über den Austausch von Informationen, deren Bestimmungen über jene des Rahmenbeschlusses hinausgehen, werden in einer Erklärung aufgelistet und dem Sekretariat des EU-Rates zugestellt, sobald die Schweiz das Inkrafttreten des SIaG notifiziert.

Art. 2

Informationen und Datenschutz

In den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallen lediglich Informationen, die bei den entsprechenden Behörden bereits vorhanden sind und auf die ohne Zwangsmassnahmen zugegriffen werden kann. Ersuchen, die die Anwendung von Zwangsmassnahmen erfordern, sind vom Anwendungsbereich ausgeschlossen und dürfen nicht auf dem Weg des vereinfachten Informationsaustausches übermittelt werden.

Dies gilt auch für Informationen, welche freiwillig oder aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung an die Behörden weitergeleitet werden und die im Normalfall nur durch Zwangsmassnahmen generiert werden könnten.

Die Behörden unterstehen nationalem Recht, das bestimmt, welche Informationen unter welchen Voraussetzungen zwischen welchen Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten ausgetauscht werden können. Informationen werden weiterhin nach Massgabe der heute bestehenden nationalen Bestimmungen ausgetauscht. Die Schweiz stellt nur Informationen zur Verfügung, die in Übereinstimmung mit ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften eingeholt, gespeichert und übermittelt werden 27 28 29

Die Polizeigesetze der Kantone enthalten vielfach Normen zur polizeilichen Zusammenarbeit mit den anderen Kantonen, dem Bund und den ausländischen Partnern.

Vgl. die Ziffern 2, 3 und 7 des Ingresses zum RB-VI.

SR 351.1

9081

können. Müssen Zwangsmassnahmen angeordnet werden, um Informationen einzuholen, ist das SIaG nicht anwendbar. In diesem Fall gelten für die ersuchenden und die ersuchten Behörden die Bestimmungen der Rechtshilfe.

Das SIaG selbst stellt nicht die gesetzliche Grundlage für den Informationsaustausch auf Ersuchen mit den Schengen-Staaten dar (Art. 1 Abs. 1 Bst. a SIaG). Die Übermittlung von Informationen für den im Ersuchen bezeichneten Zweck muss in einem Spezialgesetz oder einem internationalen vorgesehen sein. Die einschlägigen Rechtsbestimmungen und die Abkommen, die die Übermittlung von Informationen auf Ersuchen regeln (einschliesslich der Restriktionen), gelten weiterhin. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass das SIaG einzig die Modalitäten des Informationsaustausches regelt.

Informationen aus dem vom Gesetz30 oder von Spezialgesetzen31 geschützten Geheimbereich dürfen nicht auf dem Weg des vereinfachten Informationsaustausches übermittelt werden.

Im Unterschied zum Rechtshilfeverfahren, das den Rechtsschutz der betroffenen Person spezifisch regelt, unterliegt die grenzüberschreitende polizeiliche Amtshilfe generell und so auch im Rahmen des vorliegenden Gesetzes dem Datenschutzrecht (siehe Art. 2 Abs. 1 Bst. b i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Bst. c DSG). Mit einem Absatz 3 von rein deklaratorischer Bedeutung soll dies im Sinne der Transparenz klargestellt sein.

Art. 3

Strafverfolgungsbehörden des Bundes

Gemäss Rahmenbeschluss sollen die Strafverfolgungsbehörden der SchengenStaaten untereinander Informationen vereinfacht austauschen können. Nach grammatikalischer Auslegung des Artikels 2 Buchstabe a des RB-VI wären in der Schweiz unter dem Begriff «Strafverfolgungsbehörden des Bundes» das Bundesamt für Polizei (fedpol), die Bundesanwaltschaft und die Eidgenössische Zollverwaltung32 zu verstehen.

Der rechtshilfeweise Austausch von Informationen bleibt gemäss Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe a dieses Gesetzes jedoch vorbehalten. Unter diesen Voraussetzungen wurde auf eine abschliessende Aufzählung der unter den RB-VI fallenden Strafverfolgungsbehörden im Gesetz verzichtet und stattdessen eine dem Artikel 5 Buchstabe c des Vorentwurfs des Strafbehördenorganisationsgesetzes (StBOG) nachempfundene, offene Formulierung gewählt. Dadurch erhält die Schweiz die Möglichkeit, die Mitteilung an die EU über die unter den Rahmenbeschluss fallenden schweizerischen Behörden, jederzeit einseitig und ohne Gesetzesänderung anzupassen.

Behörden, die sich speziell mit Fragen der nationalen Sicherheit befassen, fallen nicht unter dieses Gesetz.

30

31 32

Vgl. dazu Art. 21 Abs. 4 Bst. b IRSG und Zweites Buch, Dritter Titel StGB: Strafbare Handlungen gegen die Ehre und den Geheim- oder Privatbereich sowie Art. 162 StGB (Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses).

Schweizerisches Strafgesetzbuch; SR 311.0. Bankengesetz; SR 952.0. Börsengesetz; SR 954.1. Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb; SR 241.

Die Mehrheit der Schengen-Staaten haben diese drei Strafverfolgungsbehörden angegeben.

9082

Art. 4

Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten

Gemäss Rahmenbeschluss sollen die Strafverfolgungsbehörden der SchengenStaaten untereinander Informationen vereinfacht austauschen können. Wie in Artikel 2 Buchstabe a des Rahmenbeschlusses festgelegt, hat jeder Staat in einer Erklärung zuhanden des Generalsekretariats des EU-Rates den Begriff «Strafverfolgungsbehörde» präzisiert. Diese Erklärung wird Teil des in Arbeit stehenden Handbuchs sein (siehe Ziff. 1.4).

Art. 5

Kommunikationswege und Anlaufstellen

Damit sind insbesondere die nationale Europolstelle, die Verbindungsbeamten von Europol, die nationale Interpolstelle, das Sirene-Büro oder weitere Verbindungsbeamte als Kanäle angesprochen. Beim Informationsaustausch ist die Sprache des jeweils benutzten Kommunikationsweges zu benutzen. Für den Datenschutz gelten die Regeln, die für den verwendeten Kommunikationsweg zur Anwendung kommen.33 Dringende Ersuchen müssen innerhalb von acht Stunden beantwortet werden, respektive dem Antragsteller muss während dieser Frist eine Verzögerung bei der Beantwortung eröffnet werden. Diese Frist ist nur mit Hilfe eines permanent besetzten Kommunikationszentrums einzuhalten. Das Bundesamt für Polizei (fedpol) besitzt mit der Einsatzzentrale bereits eine solche Anlaufstelle, die rund um die Uhr besetzt ist. Bereits in der Botschaft zur Genehmigung der Bilateralen II war vorgesehen, dass der Informationsaustausch nach den Artikeln 39 und 46 SDÜ in der Regel unter Einbezug einer Zentralstelle erfolgt.34 Ersuchen, die nicht den Zuständigkeitsbereich des Bundes betreffen, würden unverzüglich an die zuständigen kantonalen Polizeibehörden weitergeleitet.

Fedpol erhält mit dieser Bestimmung keine neuen Kompetenzen, sondern stellt sich bei Bedarf für andere Bundesstellen, gegebenenfalls auch für die kantonalen Strafverfolgungsbehörden, als permanent besetzter «Briefkasten» zur Verfügung. Die Bestimmung gemäss Absatz 2 ist im Rahmenbeschluss nicht explizit vorgesehen.

Dem Generalsekretariat des EU-Rates müssen hingegen zusammen mit der Liste der betroffenen Strafverfolgungsbehörden Angaben zu den Anlaufstellen für dringende Ersuchen gemacht werden. Diese Aufstellung kann jederzeit geändert werden.

Der direkte grenznachbarschaftliche Austausch im Rahmen bilateraler Verträge wird durch diese Bestimmungen nicht eingeschränkt.

Art. 6

Gleichbehandlung

Artikel 6 des Gesetzes legt den im Rahmenbeschluss (Art. 7) vorgesehenen Grundsatz fest, wonach die Bedingungen, unter denen mit Strafverfolgungsbehörden anderer Schengen-Staaten Informationen ausgetauscht werden, nicht strenger sein dürfen als diejenigen, die im innerstaatlichen Informationsaustausch gelten. Auf diese Weise wird der Grundsatz der Gleichbehandlung hinsichtlich der Bedingungen des Informationsaustauschs gewährleistet.

33 34

Art. 8 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses.

BBl 2004 6149

9083

Der Grundsatz der Gleichbehandlung bezüglich der Bedingungen für den Informationsaustausch wird zur Folge haben, dass der Informationsaustausch mit einer zuständigen Behörde eines Schengen-Staates dem innerstaatlichen Austausch zwischen schweizerischen Strafverfolgungsbehörden gleichgesetzt und denselben datenschutzrechtlichen Bestimmungen unterliegen wird. Die allgemeinen, vom DSG35 vorgesehenen Grundsätze des Datenschutzes im öffentlichen Sektor sind folglich anwendbar.36

2. Abschnitt: Informationsaustausch Art. 7

Spontaner Informationsaustausch

Ein spontaner Informationsaustausch nach Artikel 7 RB-VI findet nur statt bei Straftaten nach nationalem Recht, die denjenigen des Europäischen Haftbefehls entsprechen oder gleichwertig sind37 (analog eines dringenden Ersuchens nach Art. 11 Abs. 1 dieses Gesetzes). Bereits die durch den RB-VI ersetzten Artikel 39 und 46 SDÜ wurden dahingehend interpretiert, dass im Einzelfall Informationen auch ohne Ersuchen übermittelt werden können, soweit diese für den Empfänger bei der Bekämpfung zukünftiger Straftaten, zur Verhütung einer Straftat oder zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von Bedeutung sein können.38 Neu wird diese Möglichkeit zu einer Pflicht ausgebaut.39 Das geltende Recht befugt etwa die BKP bereits heute zum spontanen Informationsaustausch (vgl. Art. 5 und 6 der Verordnung vom 30. November 2001 über die Wahrnehmung kriminalpolizeilicher Aufgaben im Bundesamt für Polizei, SR 360.1).

Spontane Amtshilfe im innerstaatlichen wie im internationalen Rahmen darf aber nur gewährt werden, wenn mindestens ein Anfangsverdacht zur betroffenen Person vorliegt.

Informationen gemäss Artikel 7 werden mittels Formblatt zur Beantwortung von Ersuchen weitergeleitet.

Art. 8

Inhalt und Form der Ersuchen

Ersuchen um Informationen müssen schriftlich gestellt und beantwortet werden. Die zu benutzenden Formblätter gemäss den Artikeln 8 Absatz 2 und 9 dieses Gesetzes werden in einer Departementsverordnung präzisiert.40 Faktisch werden die bereits im Anhang des RB-VI vorhandenen Formblätter leicht angepasst.

Art. 9

Beantwortung

Dieser Artikel hält die Bestimmungen für die Beantwortung von Ersuchen fest.

Absatz 4 verweist auf eine allfällige Zustimmung einer Justizbehörden zum Infor35 36 37 38 39

40

SR 235.1 Art. 4­11a und Art. 16bis­25bis DSG, SR 235.1 Siehe Anhang 1 dieses Gesetzes.

BBl 2004 5965, 6086 Vgl. dazu Ziffer 10 im Ingress des RB-VI: «... ein möglichst umfassender Informationsaustausch soll insbesondere in Bezug auf Straftaten, die unmittelbar oder mittelbar mit der organisierten Kriminalität und dem Terrorismus zusammenhängen, gefördert werden.» Vgl. SR 120.31, Verordnung des EJPD vom 16. Januar 2007 über die Datenfelder und Zugriffsberechtigungen ISIS.

9084

mationsaustausch. In der Praxis wird eine solche regelmässig nachgefragt. Oftmals bestehen jedoch keine klaren Vorgaben, wann dies notwendig ist und unter welchen Gesichtspunkten die Justizbehörde zu entscheiden hat.

Art. 10

Formulare

Das EJPD erhält die Kompetenz, nach Massgabe des RB-VI je ein Formular für Informationsersuchen und für die Beantwortung von Ersuchen festzulegen.

Art. 11

Fristen

Das Gesetz enthält im Anhang 1 einen Straftatenkatalog, bei dem Dringlichkeit geltend gemacht werden kann. Es handelt sich dabei um Straftaten nach nationalem Recht, die denjenigen entsprechen oder gleichwertig sind, die im Europäischen Haftbefehl aufgelistet sind. Auf die Straftaten gemäss Anhang 1 wird auch beim spontanen Informationsaustausch nach Artikel 7 dieses Gesetzes Bezug genommen.

Art. 12

Verweigerungsgründe

Ein Ersuchen um Information kann unter drei Bedingungen abgelehnt werden: wenn wesentliche nationale Sicherheitsinteressen beschnitten würden, der Erfolg laufender Ermittlungen gefährdet würde oder wenn die verlangten Informationen weder sachdienlich noch erforderlich zu sein scheinen.

Der Austausch von Informationen muss verweigert werden, wenn die Informationen dazu bestimmt sind, als Beweismittel zu dienen, oder wenn das Ersuchen in Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung steht, die mit einer Freiheitsstrafe von höchstens einem Jahr bedroht ist, oder wenn sofern die Zustimmung der zuständigen Justizbehörde gesetzlich vorgeschrieben ist , die Justizbehörde weder den Zugriff auf die erbetenen Informationen noch deren Weitergabe genehmigt. Die Übermittlung einer erbetenen Information muss auch dann abgelehnt werden, wenn zur Beantwortung eines Ersuchens auf Zwangsmassnahmen zurückgegriffen werden müsste, um die gewünschten Informationen zu erheben (siehe Art. 2).

Wie unter Ziffer 6.2 ausgeführt, muss die ersuchte Behörde die Übermittlung der erbetenen Informationen ablehnen, wenn keine Rechtsgrundlage für den Austausch der Informationen existiert.

3. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 13

Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstandes

Absatz 1 ermächtigt den Bundesrat, selbstständig Staatsverträge über die Übernahme von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands abzuschliessen, die eine Änderung der in Anhang 1 genannten Straftatbestände bewirken. Der Bundesrat erhält die Ermächtigung, geringfügige Abweichungen des Anhangs 1 in einer Verordnung anzupassen. Beim Anhang 1 handelt es sich um keine zentrale Bestimmung des Gesetzes. Sie präzisiert einzig, bei welchen Straftatbeständen Dringlichkeit beim Informationsaustausch geltend gemacht werden kann, und bei welchen Straftatbeständen Informationen spontan ausgetauscht werden sollten.

9085

Art. 14

Vollzug durch die Kantone

Es obliegt den Kantonen, den Rahmenbeschluss in ihrem Zuständigkeitsbereich umzusetzen. Der Bund legt die Modalitäten des Informationsaustauschs mit den ausländischen Strafverfolgungsorganen lediglich in seinem Zuständigkeitsbereich fest. Der Artikel 14 berührt die verfassungsmässige Kompetenzverteilung beim Vollzug völkerrechtlicher Verträge nicht. Mit dem Artikel soll einzig der Fall geregelt werden, in dem die Strafverfolgung an die Kantone delegiert wird und diese beispielsweise in der Ausländergesetzgebung kein entsprechendes Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses verabschiedet hätten. In einem solchen Fall würden die in diesem Gesetz vorgesehenen Formulare und Fristen im Sinne subsidiären kantonalen Rechts zur Anwendung gelangen.

Anhang 1 Der Rahmenbeschluss 2002/584/JAI41 ist für die Schweiz nicht anwendbar. Im Anhang finden sich eine Liste der unter Schweizer Recht strafbaren Handlungen, die den strafbaren Handlungen entsprechen oder als gleichwertig gelten, die in diesem Rahmenbeschluss vorgesehen sind.

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Auswirkungen

Das vorliegende Gesetz schafft weder neue Datenbanken noch zusätzliche Kanäle für den Informationsaustausch. Ein finanzieller Mehraufwand ist bei der Umsetzung demnach nicht zu erwarten. Hingegen dürfte eine allfällige Zunahme des Datenaustauschs, insbesondere aufgrund des zur Pflicht erhobenen spontanen Informationsaustauschs, einen personellen Mehraufwand nach sich ziehen. Wie gross dieser sein wird, hängt davon ab, wie die Pflicht zum spontanen Informationsaustausch in der Praxis ausgelegt werden wird. Information können und werden heute bereits ohne Ersuchen zwischen Strafverfolgungsbehörden ausgetauscht, doch bestand bisher kein Zwang dazu.

Die Bestimmung wonach das Bundesamt für Polizei in dringenden Fällen für weitere Strafverfolgungsbehörden des Bundes als zentrale Anlaufstelle auftreten kann, ist ein weiterer Unsicherheitsfaktor in Bezug auf mögliche zusätzliche personelle Ressourcen. Sollte sich in der Praxis herausstellen, dass die Ersuchen mehrheitlich über die Einsatzzentrale des Bundesamtes für Polizei gestellt und beantwortet werden, würde dies wahrscheinlich zu einer Verstärkung der personellen Ressourcen führen.

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft sind keine zu erwarten.

Die Kantone sind angehalten, diese Weiterentwicklung eigenständig umzusetzen.

Der Rahmenbeschluss ist noch nicht in die Praxis umgesetzt worden. Ein allfälliger Mehraufwand auf Stufe Kanton kann deshalb noch nicht abgeschätzt werden, würde aber von den Kantonen zu tragen sein.

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Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. L 190 vom 18.7.2002, S. 1.

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Verhältnis zur Legislaturplanung

Die «Botschaft zum Bundesbeschluss über die Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI über die Vereinfachung des Informationsaustauschs zwischen Strafverfolgungsbehörden» ist in Ziffer 4.2.2 unter «Ziel 6: Internationale Zusammenarbeit im Justiz- und Polizeibereich verstärken» der Botschaft über die Legislaturplanung 2007­2011 vom 23. Januar 200842 als Richtliniengeschäft aufgeführt.

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Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Die Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands erfolgt im Rahmen eines Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU. Für die Schweiz stellt der Notenaustausch einen völkerrechtlichen Vertrag dar. Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)43, der dem Bund die Ermächtigung zum Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen gibt.

Die Umsetzung des Rahmenbeschluss benötigt die Annahme des vorliegenden Bundesgesetzes. Das Bundesgesetz stützt sich dabei auf die Artikel 54 Absatz 1 und Artikel 123 Absatz 1 BV, die die allgemeine Bundeskompetenz in auswärtigen Angelegenheiten sowie die verfassungsrechtliche Bestimmung festhalten, wonach die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafprozessrechts Sache des Bundes ist.

Diese Bundeskompetenz umfasst im Bereich der Strafverfolgung auch die polizeilichen Angelegenheiten.

7.2

Genehmigungsbeschluss

Der Rahmenbeschluss enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen im Sinne von Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes44. Es sind Bestimmungen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen.

So führt der Rahmenbeschluss das Disponibilitätsprinzip ein, verpflichtet die Mitgliedstaaten zum spontanen Informationsaustausch und setzt für die Beantwortung von Informationsersuchen klare Fristen fest. Weiter schreibt er vor, dass der Austausch von Information mit Schengen-Staaten nicht strengeren Voraussetzungen unterliegen darf als der Informationsaustausch zwischen schweizerischen Strafverfolgungsbehörden.

Der für die Übernahme notwendige Notenaustausch ist in Anwendung des ordentlichen Vertragsschlussverfahrens nach Artikel 166 Absatz 2 BV somit der Bundesversammlung zur Genehmigung zu unterbreiten.

42 43 44

BBl 2008 794 und 822 SR 101 SR 171.10

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Die Umsetzung des Notenaustausches verlangt den Erlass eines Bundesgesetzes.

Folglich unterliegt der Bundesbeschluss dem fakultativen Referendum gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV.

7.3

Umsetzungsgesetzgebung

Die Schweiz ist grundsätzlich frei in der Entscheidung, auf welcher gesetzlichen Stufe der RB-VI umgesetzt wird. Aufgrund der Wichtigkeit der rechtsetzenden Bestimmungen gemäss Artikel 164 Absatz 1 BV und der bisherigen Praxis der Regelung des polizeilichen Informationsaustauschs in zahlreichen Spezialgesetzen wird eine Neuregelung auf Gesetzesstufe angestrebt.

7.4

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Das vorliegende Gesetz überträgt dem Bundesrat die Kompetenz, Verträge zu schliessen, die eine Änderung der Beilage 1 des Gesetzesentwurfes mit sich bringt.

Es ermächtigt den Bundesrat dazu, die Beilage 1 auf dem Verordnungsweg vorübergehend anzupassen, sofern er gleichzeitig den eidgenössischen Räten eine entsprechende Botschaft unterbreitet.

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