Anhang

Rüstungsbeschaffung im VBS Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 18. Oktober 2007

2007-2982

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Das Wichtigste in Kürze In jüngster Zeit gaben Rüstungsbeschaffungen in der Öffentlichkeit wie auch in den parlamentarischen Beratungen wiederholt Anlass zu kontroversen Diskussionen.

Vor diesem Hintergrund hat die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates die Parlamentarische Verwaltungskontrolle beauftragt, die Beschaffung von Rüstungsgütern (ohne Immobilien) näher zu untersuchen. Der Fokus der Untersuchung war dabei auf die Phase der Evaluation und Auswahl eines bestimmten Rüstungsgutes durch Armasuisse zu legen. Die vorliegende Untersuchung behandelt zwei Hauptfragen: 1.

Wie ist die Beschaffungspraxis aus rechtlicher Sicht zu beurteilen?

2.

Wie ist die Beschaffungspraxis aus betriebswirtschaftlicher Perspektive zu beurteilen?

Die Untersuchung stützt sich auf eingehende Dokumentenanalysen, Interviews und die Auswertung von Daten aus den internen Informationssystemen von Armasuisse.

Vier Beschaffungsvorhaben (Führungsinformationssystem Heer, Umbau Radpanzer Piranha in Sanitätsfahrzeug, Kurzwellenfunksystem SE-240, Aussenbordmotor) wurden dabei vertieft analysiert.

In einer Gesamtbeurteilung ist festzuhalten, dass sich Armasuisse als hauptsächlicher Träger der Beschaffung in verschiedenen Bereichen auf einem hohen Niveau bewegt. Auffallend ist vor allem die gute Dokumentation der Prozesse. Positiv hervorzuheben ist auch, dass Armasuisse in einem turbulenten Umfeld zahlreiche Schritte eingeleitet hat, die in die richtige Richtung gehen. Man hat die beschaffungsrechtliche Ausbildung verstärkt, ein (zertifiziertes) Managementsystem aufgebaut sowie die Leistungszeiterfassung eingeführt und ist am Aufbau eines modernen Controllingsystems. Trotzdem, so zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, ist Armasuisse noch nicht am Ziel.

Aus rechtlicher Sicht fallen folgende Erkenntnisse ins Gewicht: ­

Der Anteil freihändiger Vergaben, bei denen das Beschaffungsrecht kaum greifen kann, ist sehr hoch. Diese Situation wird mit der hohen Bedeutung von Monopolen, insbesondere im Unterhaltsbereich, begründet.

­

Armasuisse zeigt generell eine starke Präferenz für das Einladungsverfahren. Einerseits setzt sich Armasuisse ganz im Sinne des Beschaffungsrechts auch dann stark für dieses wettbewerbliche Verfahren ein, wenn andere Akteure aus dem Departementsbereich Verteidigung ein freihändiges Verfahren bevorzugen würden. Andererseits äussert sich die Präferenz für das Einladungsverfahren auch in einer fragwürdigen Interpretation des Beschaffungsrechts, was zur Folge hat, dass bestimmte Beschaffungen ohne genügende Begründung im Einladungsverfahren statt in einem grundsätzlich gebotenen, wettbewerbsintensiveren Verfahren abgewickelt werden. In einem der vertieft untersuchten Fälle wurde zudem festgestellt, dass ein zusammenhängender Auftrag rechtswidrig zweigeteilt wurde, um eine offene

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oder selektive Ausschreibung zu umgehen und stattdessen ein Einladungsverfahren durchzuführen.

­

Zwar verwendete Armasuisse in allen vertieft untersuchten Wettbewerbsverfahren sachliche Kriterien und klar strukturierte Bewertungsinstrumente.

Die Transparenz von Verfahren und Evaluationskriterien bei der Vergabe von Rüstungsaufträgen ist aber trotzdem teilweise ungenügend. In einzelnen Verfahren wurden die Evaluationskriterien und/oder der Verfahrensablauf nicht konsequent genug offen gelegt. Zudem wurde in einem Fall aufgrund von anderen bzw. anders gewichteten Kriterien entschieden, als sie in der Ausschreibung ausgewiesen worden waren.

­

Deutlich mehr als 95 % des Beschaffungsvolumens vergibt Armasuisse, ohne dass das Beschaffungsrecht hierfür eine Rekursmöglichkeit vorsieht. Der Bund gibt somit im Bereich der Rüstungsbeschaffung Milliarden aus, ohne dass unterlegene Offertsteller Anspruch auf eine materielle Prüfung der Einhaltung beschaffungsrechtlicher Vorgaben haben.

­

Zu beachten ist, dass die Rüstungsbeschaffung in vielen europäischen Ländern wenig wettbewerbsorientiert ist. Das schweizerische Recht geht mit seiner Forderung nach wettbewerblichen Vergaben im Rüstungsbereich über die Mindestanforderungen des übergeordneten WTO-Übereinkommens hinaus. Zudem sind die gegenwärtigen beschaffungsrechtlichen Vorgaben eher auf Beschaffungen von Standardgütern zugeschnitten und werden der Beschaffung komplexer Rüstungsgüter nur zum Teil gerecht. Eine Verbesserung der Situation ist deshalb weniger in einer verschärften Regulierung, sondern eher in einer Klärung der Vorgaben und in verbesserten Mechanismen zu deren Durchsetzung zu suchen. In diese Richtung gehen auch Bestrebungen der EU-Kommission zur Stärkung des Wettbewerbs in der Rüstungsbeschaffung.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wurde die aktuelle Beschaffungspraxis von Armasuisse am strengen Massstab der Praxis führender, vergleichbarer Technologie- und Industrieunternehmen aus den Branchen Anlagenbau, Elektrotechnik, Maschinenbau und Infrastruktur (Verkehr, Oel & Gas etc.) gemessen. Zwar ist die staatliche Rüstungsbeschaffung an gesetzliche Vorgaben gebunden und deshalb nicht in jeder Hinsicht direkt mit Privatunternehmen vergleichbar. Innerhalb des rechtlichen Rahmens verfügt die Verwaltung aber über Spielräume für Optimierungen, die gerade aus einem Vergleich mit der Beschafffungspraxis privater Unternehmen deutlich werden.

­

Die Beschaffungsprozesse von Armasuisse weisen lange Laufzeiten auf. Vor allem für einfachere und strategisch weniger exponierte Vorhaben werden zu viele Ressourcen eingesetzt. Diese fehlen dann bei der Bearbeitung strategisch wichtiger Vorhaben.

­

Die untersuchten Beschaffungsvorhaben weisen eine umfangreiche und zum Teil komplexe Projektorganisation auf.

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­

Die Pflichtenhefte bleiben zu lange im Entwurfsstadium und neigen zu einer Kosten treibenden Überspezifikation. Es besteht die Tendenz, zusätzliche oder geänderte Spezifikationen noch in einer sehr späten Phase aufzunehmen. Dies führt dazu, dass Projekte zu wenig zielgerichtet bearbeitet werden können. Die Überspezifikation engt das Spektrum der auf dem Markt verfügbaren Lösungen ein, welche den Anforderungen genügen.

­

Qualitätskriterien werden in der Evaluation von Rüstungsgütern sehr stark gewichtet, was sowohl die eigentlichen Beschaffungskosten wie auch die Prozesskosten (aufwändige Evaluationen) erhöht. Immerhin sind einer reinen Qualitätsoptik durch die engeren Finanzvorgaben und die verwendeten, den Preis systematisch einbeziehenden Bewertungsinstrumente gewisse Grenzen gesetzt.

­

Optimierungspotenzial besteht auch im Management: Es fehlen von Seiten der Führung klare und verbindliche, bis auf einzelne Vorhaben heruntergebrochene Vorgaben bezüglich Zeit und Kosten. Ein grundsätzlich gut aufgesetztes Controllingsystem ist erst zum Teil operativ und die Nutzung der bereits vorhandenen Elemente des Controllingsystems als Führungsinstrument ist unbefriedigend. Im Vordergrund stehen die Ausschöpfung der vorhandenen Kredite und die Auslastung der Personalressourcen, was auch durch die übergeordneten Anreizstrukturen (Personalabbau, übergeordnete Finanzsteuerung) begünstigt wird.

Sowohl aus rechtlicher und betriebwirtschaftlicher Perspektive wie auch aus Sicht der politischen Steuerung ist problematisch, dass die Beschaffungspraxis auf strategischer Ebene unterbestimmt ist: ­

Die Rüstungsbeschaffung hat auch verteidigungspolitische und aussenpolitische Vorgaben zu berücksichtigen, die unter Umständen ein Abrücken von beschaffungsrechtlichen Vorgaben erfordern (Sicherstellung der einheimischen Industriebasis, Lieferungen aus kriegsführenden Staaten). Die entsprechenden Voraussetzungen sind auf Stufe formeller Gesetze aus guten Gründen nur schwach normiert. Wie die Beschaffung eines JetpilotenAusbildungssystems (PC 21) exemplarisch zeigt, fehlen auf untergeordneter Stufe klare Vorgaben für die Konkretisierung dieser offenen Normen. Daher besteht die Gefahr, dass vergleichbare Fälle ungleich behandelt werden und staatliches Handeln unberechenbar und intransparent wird. Die im Planungs- und Beschaffungsprozess sehr spät angesetzte Prüfung der aussenpolitischen Implikationen von Rüstungsimporten privilegiert zudem militärische Bedürfnisse gegenüber aussenpolitischen Interessen.

­

Das Parlament kann zu Beschaffungsvorhaben erst zu einem sehr späten Zeitpunkt und nachdem viel Aufwand in die Vorbereitung der Vorhaben geflossen ist, verbindlich Stellung beziehen. Eine politische Steuerung über mehrjährige Rahmenkredite wäre aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu begrüssen und grundsätzlich auch stufengerecht. Der Entscheid für ein bestimmtes Rüstungsgut eines bestimmten Lieferanten ist allerdings nicht rein technischer oder rein kommerzieller Natur. Deshalb setzt eine Verlage-

3590

rung der politischen Steuerung auf mehrjährige Rahmenkredite voraus, dass die Verwaltung ihre Beschaffungsentscheide an eine klare Strategie sowie möglichst transparente und konkrete Kriterien bindet. Entsprechende Grundlagen hat das VBS bis heute nicht entwickelt.

­

Aus der betriebswirtschaftlichen Sicht eines modernen Beschaffungsmanagements fehlt eine klare Beschaffungsstrategie, welche die Entstehung von Monopolen aus Systemzwängen beschränkt und im Umgang mit unvermeidbaren Monopolen frühzeitig Regeln definiert und Transparenz erwirken kann.

Abschliessend ist festzuhalten, dass die meisten der aufgezeigten Schwachstellen nicht von Armasuisse im Alleingang bewältigt werden können. Vielmehr ist dazu die aktive Mitarbeit aller Partner im Departement notwendig. Für Armasuisse selber stellt der anstehende personelle Umbruch zwar eine grosse Herausforderung dar, bietet aber ebenso die Chance, die unverzichtbaren Kompetenzen in der strategischen Beschaffung und in den prioritären Technologiefeldern zu stärken.

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Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze

3588

Abkürzungsverzeichnis

3594

1 Einführung 1.1 Untersuchungsfragen und -gegenstand 1.2 Vorgehen

3596 3596 3597

2 Akteure und Abläufe der Rüstungsbeschaffung

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3 Beurteilung aus rechtlicher Sicht 3.1 Beschaffungsrecht und seine Anwendung im Bereich der Rüstungsbeschaffung 3.1.1 Rechtsgrundlagen und Mechanik des Beschaffungsrechts des Bundes 3.1.2 Beschaffungspraxis von Armasuisse in Zahlen 3.1.3 Aktivitäten zur Gewährleistung der Rechtmässigkeit der Vergabepraxis 3.1.4 Beurteilung der Praxis im Einzelfall 3.1.5 Zwischenfazit 3.2 Beschaffungsrecht vs. Sicherheitspolitik 3.3 Rüstungsbeschaffung und Aussenpolitik 3.4 Parlamentarische Steuerung

3603 3604 3604 3610 3612 3615 3623 3625 3631 3634

4 Beurteilung aus betriebswirtschaftlicher Sicht 4.1 Beschaffungsstrategie 4.1.1 Übergeordnete Beschaffungsstrategie 4.1.2 Beschaffungsstrategie pro Warengruppe und Lieferanten 4.1.3 Geografische Beschaffungsstrategie 4.1.4 Projektspezifische Beschaffungsstrategien 4.1.5 Zwischenfazit 4.2 Beschaffungsprozesse und -organisation 4.2.1 Prozessdauer und Kosten 4.2.2 Prozesse, Projektorganisation und Projektmanagement 4.2.3 Zusammenarbeit mit Partnern im VBS und Schnittstellen zu Lieferanten 4.2.4 Spezifikation und Pflichtenheft 4.2.5 Evaluationskriterien 4.2.6 Zwischenfazit 4.3 Management und Controlling 4.3.1 Management 4.3.2 Controllingsystem 4.3.3 Interne Revision 4.3.4 Zwischenfazit 4.4 Personal

3637 3639 3639 3640 3642 3644 3646 3647 3647 3650

5 Zusammenfassende Schlussfolgerungen

3669

3592

3653 3655 3658 3661 3663 3663 3664 3666 3666 3667

Anhang Kurzporträts der vertieft untersuchten Beschaffungsvorhaben Liste der Gesprächspartner Rüstungskredite Impressum

3675 3682 3685 3689

3593

Abkürzungsverzeichnis AEB AMB BBl BFTA BGRB BoeB BRK BWFM CdA EDA EIB EKF-Systeme FATRAN FIS-Heer FLAG FUB GATT GKG GPA GPK-N IPT KMG KMV LBA MIS MOU MS PEB PST A PVK RP RVOG RVOV SiK-N SR

3594

Ausrüstungs- und Erneuerungsbedarf Ausbildungsmunition und Munitionsbeschaffung Bundesblatt Bundesamt für Führungs-, Telematik- und Ausbildungssysteme Bundesgesetz über die Rüstungsunternehmen des Bundes Bundesgesetz über das öffentlich Beschaffungswesen Eidgenössische Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswesen Bundesamt für Waffensysteme, Fahrzeuge und Material Chef der Armee Eidgenössisches Departement des Äussern Ersatzmaterial und Instandhaltung Elektronische Kriegführungssysteme Fahrausbildungs- und Trainingsanlage für Motorfahrer Führungsinformationssystem Heer Führen mit Leistungsauftrag und Globalbudget Führungsunterstützungsbasis Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen Güterkontrollgesetz General Procurement Agreement Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats Integriertes Projektteam Kriegsmaterialgesetz Kriegsmaterialverordnung Logistikbasis der Armee Managementinformationssystem Memorandum of Understanding Managementsystem Projektierung, Erprobung und Beschaffungsvorbereitung Planungsstab der Armee / ehemals Generalstab Parlamentarische Verwaltungskontrolle Rüstungsprogramm Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats Systematische Sammlung des Bundesrechts

VBS VoeB W+T WTO

Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen Wissenschaft und Technologie Welthandelsorganisation

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Bericht 1

Einführung

In jüngster Zeit gaben die Rüstungsprogramme in der Öffentlichkeit wie auch in den parlamentarischen Beratungen wiederholt Anlass zu kontroversen Diskussionen. Im Rüstungsprogramm 2004 lehnten beide Räte einen Kredit von 129 Millionen Franken für die Beschaffung von Genie- und Minenräumungspanzern ab. Weil sich die beiden Kammern zudem über die Beschaffung von zwei Transportflugzeugen (Kredit von 109 Mio. Fr.) nicht einigen konnten, scheiterte das gesamte Rüstungsprogramm 04. Bei beiden Geschäften wurde in der Debatte vor allem Zweifel daran geäussert, ob die Armee die beantragten Rüstungsgüter zur Erfüllung ihres Auftrages tatsächlich benötige. Im Rüstungsprogramm 2005 sorgte die Beschaffung von 20 leichten Transport- und Schulungshelikoptern (Eurocopter EC-635) im Umfang von 310 Millionen Franken für harte Auseinandersetzungen, wobei vor allem die Typenwahl und die Transparenz der Evaluation in Frage gestellt wurden. Erst aufgrund vertiefter Abklärungen der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates (SiK-N) und den daraus resultierenden Auflagen wurde der Kredit für die Beschaffung eines Schulungs- und Transporthelikopters von den Räten verabschiedet.

Die Kontroversen um die Rüstungsprogramme bilden den Kulminationspunkt, der seit den 1980er-Jahren immer wiederkehrenden Kritik am Beschaffungswesen des Departementes für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (z. B. im Zusammenhang mit Beschaffungen des Panzers Leopard, des F/A-18-Kampfflugzeugs; des Schützenpanzers CV 9030, des Gepäckkonzepts 04 etc.).

Der Bericht der SiK-N zur Helikopterbeschaffung, zahlreiche parlamentarische Vorstösse und Aufsichtseingaben an die Geschäftsprüfungskommissionen geben Anlass zur Vermutung, dass die wiederkehrenden Probleme grundsätzlicher Natur sind.

Vor diesem Hintergrund haben die Geschäftsprüfungskommissionen Ende Mai 2006 entschieden, die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) mit einer Untersuchung der Thematik zu beauftragen.

1.1

Untersuchungsfragen und -gegenstand

Die dem Parlament in den Rüstungsprogrammen unterbreiteten Vorhaben sind das Ergebnis eines langen und komplizierten Vorbereitungsprozesses, der sich grob in zwei Hauptphasen gliedern lässt: ­

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Die Rüstungsplanung dient der Ermittlung des Rüstungsbedarfs. In dieser Phase wird die Frage geklärt, welche materiellen Bedürfnisse (Rüstungsgüter, Immobilien) befriedigt werden müssen, damit die Armee ihren Leistungsauftrag erfüllen kann. Die Rüstungsplanung ist dabei nur Element eines umfassenden Ansatzes, welcher im Rahmen der Masterplanung auch die organisatorischen, personellen sowie ausbildungsseitigen Bedürfnisse definiert und aufeinander abstimmt.

­

Die Phase der Rüstungsbeschaffung umfasst die Auswahl der zur Deckung eines bestimmten (materiellen) militärischen Bedürfnisses am besten geeigneten Rüstungsgutes ­ es geht hier also um die Bestimmung eines konkreten Produkts und dessen Lieferanten.

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK-N) hat sich aufgrund einer Projektskizze der PVK dafür entschieden, die vorliegende Untersuchung auf die Phase der Rüstungsbeschaffung (ohne Immobilien) zu konzentrieren.

Dabei sollten die beiden folgenden Hauptfragen beantwortet werden: 1.

Wie ist die aktuelle Beschaffungspraxis aus rechtlicher Sicht zu beurteilen?

Diese Frage behandeln wir im dritten Kapitel. Schwerpunkt bildet dabei die Beurteilung der Beschaffungspraxis aus Sicht des einschlägigen Spezialrechts, nämlich des Beschaffungsrechts (Kap. 3.1). Die nächsten Kapitel verfolgen eine übergeordnete Perspektive. In Kapitel 3.2 behandeln wir den Umgang mit Konflikten, die sich zwischen den beschaffungsrechtlichen Vorgaben und legitimen sicherheitspolitischen Interessen ergeben können.

Darauf gehen wir auf ausdrücklichen Wunsch der zuständigen Subkommission der GPK-N auf die Frage ein, wie aussenpolitische Gesichtspunkte bei der Lieferantenwahl berücksichtigt werden (Abschnitt 3.3). Schliesslich kommen wir noch kurz auf die Steuerungsmöglichkeiten des Parlaments zu sprechen (Abschnitt 3.4).

2.

Wie ist die Beschaffungspraxis aus betriebswirtschaftlicher Perspektive zu beurteilen?

Im vierten Kapitel beurteilen wir die Zweckmässigkeit der Beschaffungspraxis aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive. Wir gehen dabei auf die Beschaffungsstrategie (Kap. 4.1), die Prozesse und die Organisation in der Abwicklung der Beschaffungsvorhaben (Kap. 4.2) ein, wie auch auf Fragen der Führung und des Controllings (Kap. 4.3). Das gesamte vierte Kapitel wurde in Zusammenarbeit mit der Zellweger Management Consulting AG (Pfäffikon SZ) erarbeitet.

Vorab stellen wir im Folgenden das gewählte Vorgehen dar (Kap. 1.2) und geben im zweiten Kapitel einen Überblick zum Ablauf der Rüstungsbeschaffung.

1.2

Vorgehen

Die empirische Grundlage der vorliegenden Untersuchung wurde im Rahmen der folgenden vier Arbeitsschritte erarbeitet.

A. Dokumentenanalyse Eine wichtige Grundlage ist die Analyse der umfangreichen Dokumente aus dem Managementsystem von Armasuisse (Arbeitsanweisungen, Checklisten, Verfahrensanweisungen, Prozessmodelle etc.). Analysiert wurden auch 35 Revisionsberichte des Finanzinspektorats von Armasuisse sowie vier Berichte der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) aus den Jahren 2001­2006.

3597

B. Auswertung von Daten Mit Unterstützung eines Mitarbeiters von Armasuisse wurden vorhandene Daten aus SAP und dem Managementinformationssystem von Armasuisse ausgewertet (Personalkosten, externe Kosten, Projektlaufzeiten etc.).

C. Interviews In den Anfangs- und Schlussphasen des Projekts haben wir mit Vertretern von Armasuisse und des Planungsstabs sowie aussenstehenden Experten zahlreiche Gespräche geführt (vgl. Liste im Anhang).

D. Vertiefte Untersuchung von vier Beschaffungsvorhaben Die vertiefte Untersuchung von vier Beschaffungsvorhaben bildete den eigentlichen Schwerpunkt der empirischen Arbeiten. Die Auswahl der Vorhaben richtete sich nach den folgenden Kriterien: ­

Die Auswahl sollte ein breites Spektrum von einfachen bis zu komplexen Vorhaben abbilden.

­

Der Beschaffungswert sollte unterschiedliche Dimensionen abdecken.

­

Die Vorhaben sollten zeitlich nicht zu weit zurückliegen (Beantragung der entsprechenden Kredite 2004 oder später).

­

Die beiden Beschaffungsämter (BFTA, BWFM) sollten gleichmässig berücksichtigt werden.

­

Vermeidung von Doppelspurigkeiten mit laufenden Untersuchungen (Beschaffungsprüfungen der Eidg. Finanzkontrolle, Vorabklärung der Wettbewerbskommission).

Aufgrund dieser Kriterien entschieden wir uns für die vertiefte Untersuchung der in Tabelle 1 aufgeführten vier Beschaffungsvorhaben. Gegenstand und zeitlicher Ablauf dieser Vorhaben sind in Anhang 1 zusammenfassend dargestellt.

Tabelle 1 Auswahl der Vorhaben für vertiefte Untersuchung Vorhaben

Auswahlkriterien Komplexität

Kredit (Mio. CHF)

Amt

Aussenbordmotor

gering (Kategorie I*)

AEB 2004

BWFM

Sanitätsfahrzeug

gering-mittel (Kategorie I*)

38

RP 2005

BWFM

Kurzwellenfunksystem

mittel (Kategorie II*)

65

RP 2005

BFTA

424

RP 2006

BFTA

Führungsinformations- hoch system (Kategorie II/III*) *

4

Botschaft

zur Kategorisierung der Projekte vgl. Kapitel 4.1 und 4.2.

3598

Die vertiefte Analyse der vier ausgewählten Beschaffungsvorhaben wiesen die folgenden Elemente auf: ­

Workshops mit den an der operativen Abwicklung der Vorhaben direkt beteiligten Personen (Teilnehmerliste siehe Anhang).

­

Analyse relevanter Dokumente (Evaluationsberichte, Projektaufträge, Ausschreibungsunterlagen etc.) sowie projektspezifischer Informationen aus dem Managementinformationssystem.

­

Befragung von Offertstellern, die in den analysierten Verfahren nicht erfolgreich waren. Insgesamt wurden Vertreter von sechs Firmen befragt. Den Befragten wurde Anonymität zugesichert.

2

Akteure und Abläufe der Rüstungsbeschaffung

Die Grundsätze des Bundesrates für die Rüstungspolitik vom November 2002 legen fest, dass der Planungsstab der Armee die Rüstungsvorhaben der Armee definiert und gegenüber Armasuisse als Auftraggeber für entsprechende Rüstungsbeschaffungen auftritt.

Der Planungsstab der Armee (PST; ehemals Generalstab) ist ein Stabsorgan des Chefs der Armee (CdA) und zählte im Jahr 2006 etwas mehr als 120 Mitarbeiter.

Als Auftraggeber gegenüber Armasuisse (ar) agiert auf operativer Ebene die Armeeund Rüstungsplanung, eine Abteilung des PST mit rund 30 Mitarbeitern.

Armasuisse, die frühere Gruppe Rüstung, ist eine Gruppe von Ämtern und so genannten Kompetenzbereichen, welche vom Rüstungschef geführt wird. Für die Umsetzung der Beschaffungsvorhaben (ohne Immobilien) sind innerhalb Armasuisse primär das Bundesamt für Führungs-, Telematik- und Ausbildungssysteme (BFTA) und das Bundesamt für Waffensysteme, Fahrzeuge und Material (BWFM) zuständig. Im Jahr 2006 zählten diese beiden Beschaffungsämter zusammen rund 250 Mitarbeiter. Der Kompetenzbereich Wissenschaft und Technologie (W+T) ist in der hier behandelten Phase der Rüstungsbeschaffung vor allem für die Qualitätssicherung zuständig.

Abbildung 1 Organigramm des VBS Chef VBS BR Schmid

Direktion für Sicherheitspolitik

Generalsekretariat

Kunz

Seiler

Verteidigung

Armasuisse

Keckeis (Chef d. Armee)

Markwalder (Rüstungschef)

Planungsstab d. Armee Baumann

Heer

Luftwaffe

Logistikbasis der Armee

BA Waffensysteme, Fahrzeuge und Material

BA Führungs-, Telematikund Ausbildungssysteme

BA Wissenschaft und Technologie

Quelle: Darstellung der PVK

3599

Mit der Vereinbarung TUNE wurden im Mai 2003 die Prozesse, Schnittstellen und Rollen festgelegt, in deren Rahmen die Zusammenarbeit des Bereichs Verteidigung und der Armasuisse im Rahmen der Rüstungsbeschaffung umgesetzt werden sollte.1 Abbildung 2 zeigt den TUNE-Prozess im Überblick und macht deutlich, dass die vorliegende Untersuchung nur einen Teil des Rüstungsablaufs betrifft.

Abbildung 2 Modell des Rüstungsablaufs gemäss der Vereinbarung TUNE Fokus der Untersuchung

Vorevaluation

Ausserdienststellung

Beschaffung Kat II / III

Evaluation

Armasuisse

PST

Verkauf

Entsorgung

Botschaft

Typenwahl

Truppentauglichkeit

Shortlist

Longlist

Aktionsplan

Projektauftrag

Einführung

Nutzung

Vorhabenplanung

Beschaffung Kat I

LBA

(Armasuisse)

AEB (Voranschlag, FK) PEB (Voranschlag, FK)

RP (Rüstungsbotschaft, SIK)

EIB (Vor-

AMB (Voranschlag, FK)

anschlag, FK)

AMB

Quelle: PVK in Anlehnung an Vereinbarung TUNE

Basierend auf dieser Abbildung stellen wir im Folgenden dar, wie die Rüstungsbeschaffung aufgrund der Vorgaben von TUNE und den entsprechenden internen Vorgaben von Armasuisse ablaufen sollte (Soll-Prozess).

Die Schnittstelle zwischen der Rüstungsplanung und der im vorliegenden Bericht untersuchten Rüstungsbeschaffung besteht formell im so genannten Projektauftrag.

Einfache Beschaffungsaufträge können auch in Form von Formularen oder Protokollen erteilt werden. Der Projektauftrag basiert auf den militärischen Anforderungen, welche vom Planungsstab erarbeitet werden. Armasuisse wirkt bei der Erarbeitung des Projektauftrages mit, namentlich bei der Beurteilung der technischen und kommerziellen Machbarkeit (Marktlage und Kostenschätzungen). Der Projektauftrag wird sowohl vom Auftraggeber (Planungsstab) wie auch vom Auftragnehmer (Armasuisse) unterzeichnet.2 Im Auftrag werden die wesentlichen Eckwerte der Beschaffung festgehalten (namentlich die Projektkategorie, der Verfahrensablauf, 1

2

Am 2. Mai 2007 wurde mit TUNE + eine überarbeitete Version von TUNE unterzeichnet und in Kraft gesetzt. An der hier dargestellten Grundstruktur des Beschaffungsablaufs hat sich dadurch nichts Wesentliches geändert.

Je nach Projekt unterschreiben ­ auf Seiten des Auftraggebers der Chef des PST und auf Seiten von Armasuisse der Direktor des zuständigen Beschaffungsamtes ­ bzw. auf Seiten PST der Chef der Armee- und Rüstungsplanung im PST und der Leiter der zuständigen Geschäftseinheit von Armasuisse.

3600

Zeitplan und Meilensteine, die Projektleitung, das Projektteam, die voraussichtlichen Projektkosten).

Der Auftrag bildet die Basis für die Abwicklung des Evaluationsprozesses durch Armasuisse. Die entsprechenden Abläufe, Meilensteine und Zuständigkeiten sind im Armasuisse-Managementsystem (MS) in Form von Ablaufdiagrammen, Arbeitsanweisungen, Checklisten und Formularen detailliert abgebildet.

Im Wesentlichen ist der Beschaffungsablauf in zwei Phasen gegliedert, die Vorevaluation und die Evaluation (Beschaffungen der Kategorien II/III)3. Bei einfachen Beschaffungen (Kategorie I) können diese Phasen zusammenfallen oder bei Routinegeschäften (z. B. reine Nachbeschaffungen, Ersatzteilbeschaffungen) sogar vollständig wegfallen.

Vorevaluation Auf der Grundlage des Projektauftrags ist ein Aktionsplan zu erarbeiten, welcher u. a. einen detaillierter Zeitplan, die Zuständigkeiten und die inhaltliche und zeitliche Definition der zu realisierenden Meilensteine gemäss Managementsystem Armasuisse enthält. Abweichungen von den Normvorgaben des Managementsystems sind zu begründen (z. B. Verzicht auf nicht relevante Meilensteine). Sofern Wettbewerb möglich ist, wird aufgrund einer öffentlichen Ausschreibung bzw. einer durchgeführten Marktanalyse eine Liste von Anbietern erstellt. Diese werden nun mit Hilfe von Eignungskriterien beurteilt. Diejenigen Bewerber, welche die Eignungskriterien erfüllen, werden auf die Longlist aufgenommen. Die Firmen der Longlist erhalten in einer zweiten Phase eine Anfrage zur Offerteingabe. Aufgrund der eingegangenen Offerten wird eine Nutzwertanalyse4 erstellt (in der Regel reine Papierevaluation). Anschliessend wird normalerweise auf drei Anbieter reduziert.

Diese Firmen werden nun auf die Shortlist genommen. Die Phase der Vorevaluation wird in einem Bericht dokumentiert und mit einem Antrag für die folgende Phase der Evaluation abgeschlossen.

Evaluation In der Evaluationsphase werden die verbliebenen Angebote getestet. Neben technischen Verifikationen durch Armasuisse und Tests durch die Betreiber (Logistikbasis der Armee, Führungsunterstützungsbasis) fallen in dieser Phase insbesondere die Truppenversuche ins Gewicht. Basierend auf den entsprechenden Berichten der Truppe erteilt (oder verweigert) der Planungsstab die Truppentauglichkeit. Im Evaluationsbericht werden die
Ergebnisse der Versuche und Tests dargestellt und daraus den Antrag für die Wahl eines bestimmten Produktes abgeleitet (Typenwahl). Auf dieser Basis können Optionsverträge mit dem Lieferanten abgeschlossen und die so genannte Beschaffungsreife erklärt werden. Weiter kann das Vorhaben in die Rüstungsbotschaft aufgenommen oder allenfalls über einen anderen Rüstungskredit (vgl.

unten) beantragt werden.

Bei grösseren Vorhaben erstreckt sich der (Vor-) Evaluationsprozess über mehrere Jahre und kann neben umfangreichen Erprobungen auch Entwicklungsarbeiten (in der Regel Entwicklungsverträge mit Rüstungsfirmen) umfassen. Im Jahr 2006 beliefen sich die internen Kosten in den beiden Beschaffungsämtern (ohne Aufwendungen des Bereichs Verteidigung) allein in der Phase der Beschaffungsvorberei3 4

Zur Kategorisierung der Beschaffungsvorhaben vgl. Kap. 4.1.2.

Vgl. dazu Kap. 4.2.5.

3601

tung auf etwa 25 Millionen Franken. Dies entspricht knapp einem Drittel der gesamten internen Kosten der Beschaffungsämter, welche im Jahr 2006 insgesamt knapp 70 Millionen Franken betrugen.

Die externen Aufwendungen, die im Rahmen der Beschaffungsvorbereitungen für Prototypen, Teststellungen, Entwicklungsaufträge usw. anfallen, werden aus dem Kredit für Projektierung, Erprobung und Beschaffungsvorbereitung (PEB) finanziert.

Die Beschaffung selber wird je nach Art der zu beschaffenden Güter und dem finanziellen Umfang aus unterschiedlichen Krediten finanziert (vgl. dazu auch die ausführlichere Darstellung im Anhang): ­

Grössere und politisch heikle Geschäfte müssen dem Parlament im Rahmen der Rüstungsbotschaft separat vorgelegt werden (RP-Kredit).

­

Finanziell weniger bedeutende und/oder politisch wenig heikle Beschaffungen werden aus ­ dem Kredit für Ausbildungsmunition und Munitionsbeschaffung (AMB), ­ dem Kredit für Ausrüstungs- und Erneuerungsbedarf (AEB) ­ und dem Kredit für Ersatzmaterial und Instandhaltung (EIB) finanziert.

Die finanziellen Bedeutung der Aufwendungen für Beschaffung und Beschaffungsvorbereitung wird aus Abbildung 3 ersichtlich.

Abbildung 3 Zahlungen aus Beschaffungskrediten in den Jahren 2001­2006 (Mio. CHF) 1000 900 800

Millionen CHF

700 600 500 400 300 200

RP*

EIB

AEB

PEB

Quelle: Darstellung der PVK aufgrund von Angaben Armasuisse

3602

2004 2005 2006

2001 2002 2003

2004 2005 2006

2001 2002 2003

2001 2002 2003 2004 2005 2006

2004 2005 2006

2001 2002 2003

2004 2005 2006

0

2001 2002 2003

100

AMB

Nicht berücksichtigt sind die Ausgaben für klassifizierte Projekte, weshalb sich Abweichungen von den Zahlen der Staatsrechnung ergeben können.

3

Beurteilung aus rechtlicher Sicht

Auf Gesetzes- und Verordnungsstufe bestehen im sicherheits- und militärpolitischen Spezialrecht für die hier im Fokus stehende Rüstungsbeschaffung kaum spezifische Vorgaben. Im umfangreichen Militärgesetz (MG)5 finden sich nur sehr allgemeine, im Wesentlichen die Kompetenzregelung zwischen Bund und Kantonen betreffende Vorgaben für die Beschaffung von persönlicher Ausrüstung, Korpsmaterial und übrigem Armeematerial (Art. 105­116 MG).6 Dies erklärt sich damit, dass die Rüstungsbeschaffung an sich keine Staatsaufgabe, sondern nur Mittel zur Erfüllung einer Staatsaufgabe ist. Sie liefert die materielle Basis zur Erfüllung des Armeeauftrags im Rahmen der Sicherheitspolitik und des verfassungsmässigen Auftrags.7 In diesem Sinne bildet die Rüstungsbeschaffung einen Teil der so genannten Bedarfsverwaltung, die nach den Regeln den allgemeinen Vorgaben des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes und der entsprechenden Verordnung abzuwickeln ist.8 Seit Mitte der 1990-er Jahre ist die staatliche Beschaffung allerdings den im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbarten Regeln des öffentlichen Beschaffungswesens unterworfen. Die Umsetzung dieser Verpflichtungen in ein eigenes Bundesgesetz und die entsprechende Verordnung bilden die konkreteste rechtliche Vorgabe der Rüstungsbeschaffung.

Der insgesamt offenen Regulierung der Rüstungsbeschaffung auf gesetzlicher Ebene versucht der Bundesrat mit dem Erlass seiner «Grundsätze des Bundesrats für die Rüstungspolitik des VBS» vom 29. November 2002 (im Folgenden auch kurz: «Rüstungspolitik») Rechnung zu tragen.9 Dieser Bundesratsbeschluss kann als Instrument verstanden werden, in der Verwaltungspraxis «eine an wirtschaftlichen Prinzipien orientierte und zeitgerechte Versorgung der Armee mit einer ausreichenden Ausrüstung sicherzustellen» und die sich dabei aus unterschiedlichen sektoralpolitischen Interessenlagen ergebenden Zielkonflikte auszutarieren. Es geht dabei 5 6

7

8 9

SR 510.10 Im Kriegsmaterialgesetz (KMG, SR 514.51) und in der Kriegsmaterialverordnung (KMV, SR 514.511) sind für den hier diskutierten Bereich des Einkaufs von Rüstungsgütern für die Schweizer Armee nur die Legaldefinitionen des Kriegsmaterials von Bedeutung. Gar nur theoretische Bedeutung hat das Güterkontrollgesetz (GKG; Ein- und Ausfuhr von Dual-Use Gütern).

Wichtiger sind KMG, KMV und das GKG für den Export von Rüstungsgütern. Davon ist einerseits die hier nicht untersuchte Liquidation von Rüstungmaterial der Schweizer Armee betroffen. Andererseits fallen Exporte von Rüstungsgütern unter diese Vorgaben, welche als Kompensationsgeschäfte zugunsten der Schweizer Industrie vereinbart werden. Kompensationsgeschäfte werden im Rahmen einer parallel zu dieser Untersuchung laufenden Prüfung durch die Eidg. Finanzkontrolle untersucht.

Grundlegend definiert wird der Auftrag der Armee einerseits in der Bundesverfassung (Art. 58 Abs. 2) und andererseits im Sicherheitspolitischen Bericht 2000 des Bundesrates an die Bundesversammlung. Die bisher deutlichste Konkretisierung des Armeeauftrags erfolgte im so genannten Entwicklungsschritt 2008/11. Dieser Entwicklungsschritt wurde mit der vom Parlament im Sommer 2007 genehmigten Revision der Verordnung der Bundesversammlung über die Organisation der Armee (SR 513.1) rechtlich verankert.

RVOG, SR 172.010; RVOV, SR 172.010.1 BBl 2003 414

3603

um die Konkurrenz zwischen dem sicherheits- und wirtschaftspolitisch motivierten Erhalt einer inländischen Industriebasis einerseits und einer an Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit orientierten Beschaffung andererseits. Die Rüstungspolitik behandelt auch das Thema der internationalen Rüstungskooperation und deren Verhältnis zur Aussen- und Neutralitätspolitik.

Im Folgenden gehen wir zuerst ausführlich auf das Beschaffungsrecht und dessen Umsetzung im Rahmen der Rüstungsbeschaffung ein (Abschnitt 3.1). Danach behandeln wir das Verhältnis zwischen wettbewerbsorientiertem Beschaffungsrecht und verteidigungspolitisch motivierten Interessen an der Erhaltung einer inländischen Industriebasis (Abschnitt 3.2). Im Abschnitt 3.3 nehmen wir einen Wunsch aus der zuständigen Subkommission der GPK-N auf und kommen auf die Behandlung von Lieferanten aus aussenpolitisch sensiblen Ländern zu sprechen. Schliesslich gehen wir noch kurz auf die Steuerungsmöglichkeiten des Parlaments ein (Abschnitt 3.4).

3.1

Beschaffungsrecht und seine Anwendung im Bereich der Rüstungsbeschaffung

Aufgrund ihres finanziellen Volumens wurde die staatliche Beschaffungstätigkeit zum Gegenstand der im Rahmen der WTO vorangetriebenen Anstrengungen zur Marktliberalisierung. Im General Procurement Agreement (GPA)10, das 1996 in Kraft trat, wurde eine Öffnung der staatlichen Beschaffungsmärkte vereinbart. Zwar lässt das Vertragswerk den Unterzeichnerstaaten für Ausnahmen im Bereich der Rüstungsbeschaffung grosse Spielräume offen. Bei der Umsetzung des GPA in das Schweizer Beschaffungsrecht ist die Rüstungsbeschaffung aber nicht unberührt geblieben. Vielmehr wurde das Wettbewerbsprinzip auch für diesen Bereich auf Gesetzes- und Verordnungsstufe verankert. Das Beschaffungsrecht ist denn auch die wichtigste und am konkretesten ausformulierte rechtliche Vorgabe für die Schweizer Rüstungsbeschaffung.

Wir werden im Folgenden einen kurzen Überblick über die grundsätzliche Mechanik des Beschaffungsrechts geben und dessen Bedeutung für die Rüstungsbeschaffung darlegen.

3.1.1

Rechtsgrundlagen und Mechanik des Beschaffungsrechts des Bundes

Das für Beschaffungen von Bundesbehörden relevante Recht ist im Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen vom 16. Dezember 1994 (BoeB)11 und der entsprechenden Verordnung (VoeB)12 vom 11. Dezember 1995 verankert. Das BoeB setzt die Verpflichtungen in schweizerisches Recht um, welche die Schweiz mit der Unterzeichnung des GPA im GATT/WTO-Rahmen eingegangen ist. Die VoeB konkretisiert diese Vorgaben und regelt zusätzlich öffentliche Beschaffungen, welche vom GPA bzw. vom BoeB nicht erfasst werden.

10 11 12

SR 0.632.231.422 SR 172.056.1 SR 172.056.11

3604

Der Zweckartikel (Art. 1) des BoeB formuliert vier Grundsätze:13 ­

Transparenz: Die Vergabeverfahren sollen transparent gestaltet sein.

­

Wettbewerb: Der Wettbewerb unter den Anbietern soll gestärkt werden.

­

Wirtschaftlichkeit: Der wirtschaftliche Einsatz öffentlicher Mittel soll gefördert werden.

­

Gleichbehandlung: Alle Anbieter und Anbieterinnen sind gleich zu behandeln (z. B. gleiche Fristen, gleiche Informationen, Bewertung verschiedener Anbieter und Angebote nach gleichen, objektiven Kriterien).

Hauptsächlicher Ansatzpunkt zur Verwirklichung dieser Grundsätze ist die Regulierung des Vergabeverfahrens. Die Mechanik des Beschaffungsrechts besteht darin, über möglichst transparente Vergabeverfahren, die alle (potentiellen) Anbieter gleich behandeln, einen fairen Wettbewerb zu schaffen, der wiederum eine wirtschaftlich günstige Leistungserstellung ermöglicht. Gefragt ist dabei nicht die billigste Lösung, sondern ein optimales Verhältnis zwischen den Kosten und dem Nutzen der erworbenen Güter und Dienstleistungen (dazu explizit Art. 21 Abs.1 BoeB).

Konkret sind im BoeB und in der VoeB folgende Vergabeverfahren vorgesehen: ­

Im offenen Verfahren schreibt die Auftraggeberin den geplanten Auftrag öffentlich aus. Alle potenziellen Anbieter und Anbieterinnen können ein Angebot einreichen.

­

Im selektiven Verfahren schreibt die Auftraggeberin den geplanten Auftrag öffentlich aus. Alle Anbieter und Anbieterinnen können einen Antrag auf Teilnahme einreichen. Die Auftraggeberin bezeichnet aufgrund der Eignung die Anbieter und Anbieterinnen, die ein Angebot einreichen dürfen. Sie kann die Zahl der zur Angebotsabgabe Einzuladenden auf nicht weniger als drei beschränken, wenn sonst die Auftragsvergabe nicht effizient abgewickelt werden kann.

­

Im Einladungsverfahren bestimmt die Auftraggeberin, welche Anbieter und Anbieterinnen sie ohne Ausschreibung direkt zur Angebotsabgabe einladen will. Es müssen wenn möglich mindestens drei Angebote eingeholt werden.

­

Im freihändigen Verfahren vergibt die Auftraggeberin einen Auftrag direkt und ohne Ausschreibung einem Anbieter oder einer Anbieterin.

Die Anforderungen an die Verfahren und damit auch die Verwirklichung des angesprochenen Wirkmechanismus nehmen vom offenen Verfahren bis zum freihändigen Verfahren stark ab. Im Einladungsverfahren und erst recht im freihändigen Verfahren sind der Wettbewerb, aber auch Transparenz und Gleichbehandlung stark reduziert, vor allem weil die Vergabestelle den Kreis der Anbieter einschränken kann.

13

Vgl. dazu auch Kuonen, Dominik: Das Einladungsverfahren im öffentlichen Beschaffungsrecht. Bern 2005.

3605

Im Sinne einer möglichst weitgehenden Verwirklichung der beschaffungsrechtlichen Grundsätze sind deshalb grundsätzlich Güter und Dienstleistungen mit einem Gesamtbetrag von über 248 950 Franken (exkl. MwSt.)14 in den wettbewerbsintensiven offenen oder selektiven Verfahren zu vergeben. Im hier interessierenden Bereich der Rüstungsbeschaffung wird dieser Grundsatz aber durch Ausnahmestimmungen mehrfach durchbrochen. Abbildung 4 zeigt die rechtliche Logik dieser Ausnahmebestimmungen auf, deren Ergebnis wir im Folgenden kurz darstellen.

Das offene oder selektive Verfahren ist nur für die Beschaffung von Gütern anzuwenden, deren Auftragswert über 248 950 Franken liegt und die nicht durch eine Ausnahmebestimmung in Artikel 3 BoeB vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen werden. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden:

14

15

­

Wenn diese Güter auf den Positivlisten des GPA bzw. den entsprechenden Listen im Anhang der VoeB aufgeführt sind, ist das offene bzw. selektive Verfahren gemäss GPA durchzuführen (z. B. Personenwagen). Gegen Entscheide, die in diesem Verfahren ergehen, kann beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben werden.15

­

Wenn diese Güter nicht auf den Positivlisten des GPA bzw. der VoeB aufgeführt sind (z. B. Bekleidung, Schuhe), sind die Bestimmungen der VoeB für «Übrige Beschaffungen» anwendbar. Diese sehen für die in Frage stehenden Güter grundsätzlich ebenfalls ein offenes oder selektives Verfahren vor VoeB (Art. 34 Abs. 1), allerdings besteht hierfür kein Rechtsschutz.

Die Schwellenwerte sind technisch aufgrund von Sonderziehungsrechten definiert. Die Umrechnung in die Schweizer Währung wird auf Verordnungsstufe festgelegt, zuletzt in der Verordnung des Eidg. Volkswirtschaftsdepartements über die Anpassung der Schwellenwerte im öffentlichen Beschaffungswesen für das Jahr 2007 vom 30. November 2006 (SR 172.056.12).

Bis zum 31.12.2006 war die in das Bundesverwaltungsgericht integrierte Eidgenössische Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswesen zuständig.

3606

Abbildung 4 Vergabeverfahren für Beschaffungen von Armasuisse mit einem Auftragswert von über 248 950 Franken Ausnahme Unterstellung?

(Art. 3 BoeB)

ja

nein

Welcher Ausnahmegrund?

Positivliste?

(Art. 3 BoeB)

Kriegsmaterial

Andere Ausnahme

(Art. 3 Abs.1 Bst. e BoeB; Art. 5 KMG, Anhang KMV)

Art. 3 Abs. 2 BoeB

Freihändig zulässig?

(Art. 36 VoeB (insb. Abs. 2 Bst. f) /Art. 13 VoeB)

ja

freihändig

(Anhang I Annex 1 GPA)

nein

Einladung

nein

ja

Freihändig zulässig?

Freihändig zulässig?

(Art. 36 VoeB /Art. 13 VoeB)

(Art. 13 BoeB/Art. 13 VoeB)

ja

freihändig

kein Rechtsschutz

nein

ja

offen/selektiv

freihändig

nein

offen/selektiv

Rechtsschutz

Quelle: Darstellung der PVK

Dem Einladungsverfahren kommt im vorliegenden Kontext grosse Bedeutung zu, weil aufgrund einer Ausnahmeregelung Waffen, Munition und Kriegsmaterial (im Folgenden kurz: Kriegsmaterial) unabhängig vom Auftragswert im Einladungsverfahren beschafft werden können.16 Für Beschaffungen unter dem Schwellenwert von 248 950 Franken ist das Einladungsverfahren immer zulässig. Gegen Entscheide im Einladungsverfahren bestehen keine Rekursmöglichkeiten.17

16

17

Beschaffungen von Waffen, Munition und Kriegsmaterial sind dem BoeB explizit nicht unterstellt (Art. 3 Abs.1 Bst. e BoeB). Die entsprechende Ausführungsbestimmung sieht für die Beschaffung von Kriegsmaterial grundsätzlich das Einladungsverfahren vor (Art. 35 Abs. 3 Bst. a VoeB).

Die zuständige Rekurskommission hat den Begriff des Kriegsmaterials gemäss Art. 3 Abs. 1 Bst. e BoeB nach Massgabe des Kriegsmaterialbegriffs im Sinne des Bundes gesetzes über das Kriegsmaterial ausgelegt (BRK 2003-005, E. 3d). Was als Kriegsmaterial gilt, unter die Ausnahmebestimmung gemäss Art. 3 Abs. 1 Bst. e Boeb fällt und somit im Einladungsverfahren beschafft werden kann, ist also abstrakt im Kriegsmaterialgesetz (SR 514.51) definiert und in einer Positivliste im Anhang der Kriegsmaterialverordnung (SR 514.511) konkretisiert.

Es kann einzig gegen die Verfahrenswahl Beschwerde erhoben werden, wenn die entsprechende Beschaffung dem WTO-Abkommen (Positivliste) unterstellt ist.

3607

Freihändige Verfahren sind dann zulässig, wenn der Auftragswert unter 50 000 Franken liegt oder wenn ein besonderer Ausnahmetatbestand vorliegt.18 Zu erwähnen sind hier etwa technische oder künstlerische Besonderheiten eines Auftrags oder die zeitliche Dringlichkeit eines Vorhabens. Allerdings ist die Praxis der Rechtssprechung streng und legt Wert darauf, dass diese Ausnahmebestimmungen nur im Ausnahmefall zur Anwendung kommen.19 Im Frühling 2006 hat der Bundesrat die Liste der Ausnahmetatbestände um eine Bestimmung erweitert, welche speziell für Kriegsmaterial gilt. Danach darf Kriegsmaterial im freihändigen Verfahren (statt dem Einladungsverfahren) beschafft werden, wenn dies zum Erhalt von inländischen Unternehmen, die für die Landesverteidigung wichtig sind, unerlässlich ist (Art. 36 Abs. 2 Bst. f VoeB).

Spezifische Anforderungen für die Abwicklung der verschiedenen Verfahren Für die Abwicklung von Beschaffungen im offenen oder selektiven Verfahren bestehen detaillierte, formelle Verfahrensvorschriften (z. B. über die Öffnung der Offerten, über die Voraussetzungen und die Protokollierung von Verhandlungen, über die Offenlegung der Eignungs- und Zuschlagskriterien etc.). Diese Verfahrensvorschriften gelten auch für Beschaffungen in offenen oder selektiven Verfahren, welche nicht dem BoeB unterstellt sind, z. B. für die oben genannte Beschaffung von Bekleidung oder Schuhen (Art. 34 Abs. 2 VoeB).

Für das Einladungsverfahren fehlen spezifische Bestimmungen zur Abwicklung des Verfahrens weitgehend. Die VoeB verlangt in Artikel 35 einzig, dass nach Möglichkeit mindestens drei Angebote einzuholen sind. Angesichts der gerade im Bereich der Rüstungsbeschaffung weit reichenden Zulässigkeit des Einladungsverfahrens, stellt sich die Frage, welche Anforderungen aus rechtlicher Sicht an dieses Verfahren zu stellen sind.

In Praxis und Lehre hat sich die Auffassung etabliert, dass die eingangs aufgeführten Grundsätze gemäss Artikel 1 BoeB auch im Einladungsverfahren zu beachten sind, obwohl dies weder im BoeB noch in der VoeB explizit verlangt wird.20 Zudem hat der Bundesrat in seinen Grundsätzen für die Rüstungspolitik ausdrücklich und verbindlich festgehalten, dass die Beschaffung von Armeematerial den beschaffungsrechtlichen Grundsätzen untersteht.21 Angesichts des Fehlens spezifischer Verfahrensvorschriften erlangen diese Grundsätze für die Ausgestaltung von Einladungsverfahren und freihändigen Verfahren eine besondere Bedeutung.

18

19

20

21

Art. 13 VoeB (Voraussetzungen freihändiger Vergaben) und Art. 36 VoeB (weitere Tatbestände, welche freihändige Vergabe von nicht dem BoeB unterstellten Beschaffungen zulassen).

So darf z. B. die zeitliche Dringlichkeit nur dann als Begründung für eine Ausnahme herangezogen werden, wenn die Verwaltung den zeitlichen Engpass nicht selbst verschuldet hat.

Dies gilt grundsätzlich auch für die Verfahrensgrundsätze von Art. 8. BoeB (Arbeitsschutzbestimmungen, Gleichbehandlung von Mann und Frau etc.). Vgl. dazu auch Kuonen, Dominik: Das Einladungsverfahren im öffentlichen Beschaffungsrecht.

Bern 2005.

Auf jeden Fall einzuhalten sind im Vergabeverfahren die Grundsätze des verwaltungsmässigen Handelns. Angesprochen sind hier Gesetzmässigkeit, Öffentliches Interesse und Verhältnismässigkeit, Rechtsgleichheit, Willkürverbot, Treu und Glauben.

3608

Rechtsschutz Abbildung 4 macht deutlich, dass für einen grossen Teil der Vergabeverfahren, die im Rahmen von Rüstungsbeschaffungen zur Anwendung kommen, kein Rechtsschutz besteht. Dies gilt namentlich für Beschaffungen von Kriegsmaterial und andere nicht dem BoeB unterstellte Beschaffungen. Diese Beschaffungen sind lediglich den Bestimmungen der VoeB unterstellt, welche eine Rekursmöglichkeit für solche Beschaffungen ausschliesst.22 Bei fehlenden Rekursmöglichkeiten im Beschaffungsrecht besteht die Möglichkeit einer Aufsichtsbeschwerde beim VBS oder dem Bundesrat oder einer Aufsichtseingabe bei einer parlamentarischen Oberaufsichtsbehörde (Geschäftsprüfungskommissionen, Finanzkommissionen der Eidg. Räte). Aufsichtsbeschwerden bzw. -eingaben stellen aber bloss Rechtsbehelfe (keine Rechtsmittel) dar, mit denen kein Anspruch auf Behandlung verbunden ist. Sie dienen lediglich dazu, die jeweilige Behörde auf allfällige Missstände aufmerksam zu machen ­ der Entscheid über die Einleitung entsprechender Schritte (z. B. Einleitung einer Untersuchung) liegt aber allein bei der entsprechenden Behörde. Im Falle einer Aufsichtseingabe an die parlamentarischen Behörden ist zudem zu beachten, dass letztere keinerlei Weisungsbefugnis zur Behebung allfälliger Missstände besitzen.

Seit dem 1. Januar 2007 gibt Artikel 25a des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVG)23 Anspruch auf Erlass einer anfechtbaren Verfügung über Realakte und macht deshalb grundsätzlich auch Handlungen und Entscheide aus nicht dem BoeB unterstellten Vergaben dem Rechtsschutz zugänglich. Ob allerdings dieser Anspruch aus dem allgemeinen Verfahrensrecht gegenüber dem Ausschluss der Rekursmöglichkeiten im Spezialrecht (BoeB) durchzusetzen ist, scheint sehr fraglich. Auch praktische Gründe sprechen dagegen, dass aufgrund dieser Bestimmung ein wirksamer Rechtsschutz bei nicht BoeB-unterstellten Beschaffungen realisiert werden kann.24 Angesichts des stark beschränkten beschaffungsrechtlichen Rechtsschutzes hat eine Anbieterin, die sich gegen den Entscheid zur Beschaffung von Schulungs- und Transporthelikoptern zur Wehr setzen wollte, im Dezember 2005 gestützt auf das Kartellrecht eine Anzeige bei der Wettbewerbskommission eingereicht. Das Sekretariat der Wettbewerbskommission hat hierauf eine Vorabklärung eröffnet, welche am 7. August 2007 eingestellt
wurde. Das Sekretariat konnte keine Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Verhalten der Armasuisse im Sinne des Kartellgesetzes feststellen. Die Wettbewerbsbehörde könne sich aber nicht über die vom Gesetzgeber 22 23 24

Art. 39 VoeB gestützt auf Art. 2 Abs. 3 BoeB.

SR 172.021 Weil die Entscheide nicht direkt, sondern erst aufgrund einer gestützt auf Art. 25a VwVg einzuverlangenden Verfügung angefochten werden können, dürfte nur schon aus zeitlichen Gründen eine Korrektur des fraglichen Entscheids, z. B. eines Zuschlags kaum zu erreichen sein (vgl. hierzu auch: Riva, Enrico: Neue bundesrechtliche Regelung des Rechtsschutzes gegen Realakte. In: SJZ 103 (2007) S. 337­34). Immerhin kann Art. 25a VwVG als Ausgangspunkt dienen, um die Einhaltung verfassungsmässiger Rechte im Rahmen von nicht BoeB-unterstellten, «übrigen» Beschaffungen einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich zu machen. Diese Rechte bestehen unabhängig vom Beschaffungsrecht und sind deshalb auch nicht von dessen spezialrechtlichen Beschränkungen betroffen. Im vorliegenden Zusammenhang kommt wohl am ehesten der Anspruch auf Gleichbehandlung gemäss Art. 8 BV als Grundlage eines entsprechenden Begehrens in Betracht. Auf diesem Wege lassen sich aber keine Mängel rügen, die sich aus der Verletzung beschaffungsrechtlicher Vorgaben ergeben.

3609

erlassenen Beschränkungen des Rechtsschutzes im Beschaffungsrecht hinwegsetzen und sich zur Ersatz-Rekursinstanz erklären. Sie könne deshalb die Einhaltung beschaffungsrechtlicher Vorgaben nicht überprüfen.25 Festzuhalten ist, dass mit einer Anzeige bei der Wettbewerbskommission kein Anspruch auf Eröffnung eines Verfahrens und einen entsprechenden materiellen Entscheid besteht. Im erwähnten Helikopter-Fall kann sich die unterlegene Anbieterin also mit rechtlichen Mitteln nicht gegen die Einstellung der Vorabklärung zur Wehr setzen.

3.1.2

Beschaffungspraxis von Armasuisse in Zahlen

Abbildung 5 zeigt die finanzielle Bedeutung verschiedener Vergabeverfahren in der Beschaffungspraxis von Armasuisse.

Freihändige Vergabe (Monopol) Fast die Hälfte der Mittel oder rund 750 Millionen Franken gab Armasuisse im Jahr 2006 für Aufträge aus, die freihändig vergeben wurden. Das häufige Auftreten von Monopolsituationen hat verschiedene Gründe. Von echten technologischen Monopolen zu unterscheiden sind dabei «Quasi-Monopole», die vor allem durch eine enge Bindung eines Vorhabens an frühere Beschaffungen entstehen (welche unter Umständen im Wettbewerb vergeben wurden). Konkret sind dabei die folgenden Situationen zu unterscheiden:

25

­

Folgeaufträge für Instandhaltungsarbeiten, welche gemäss Armasuisse angesichts der hohen Investionen für entsprechende Betriebsmittel in aller Regel freihändig vergeben werden. Im Jahr 2006 entfielen gemäss Armasuisse gegen die Hälfte des freihändigen Vergabevolumens auf diesen Bereich.

­

Monopole entstehen im Rahmen direkter Folge- oder Ersatzbeschaffungen (z. B. Ausrüstung zusätzlicher Truppenteile mit SE-240 im Rahmen des beantragten RP 07).

­

Monopole entstehen aber auch bei den finanziell sehr bedeutenden Werterhaltungen und Kampfwertsteigerungen. Auch der in der vorliegenden Untersuchung vertieft analysierte Umbau Radpanzer Piranha in ein Sanitätsfahrzeug fällt in diese Kategorie.

­

Monopolsituationen oder zumindest monopolähnliche Konstellationen können zudem durch den Zwang zur Systemintegration entstehen (namentlich im Softwarebereich, aber auch bei Fahrzeugeinbauten).

­

Schliesslich können Monopole auch (sicherheits-)politisch bedingt sein, wenn Aufträge zur Sicherung der Industriebasis direkt an inländische Anbieter vergeben werden (vgl. dazu Kap. 3.2).

Das Kartellrecht soll den Missbrauch von Marktmacht verhindern. Soweit Verwaltungsstellen auf dem Markt als Nachfragerin (oder Anbieterin) von Gütern und Dienstleistungen auftreten, sind auch diese dem Kartellrecht unterstellt. Zum Verhältnis von Beschaffungs- und Kartellrecht vgl. auch Bericht des Sekretariates der Wettbewerbskommission zur Revision des Beschaffungsrechts, Recht und Politik des Wettbewerbs 2006/2, S. 392 ff.

3610

Abbildung 5 Verteilung der 2006 getätigten Zahlungen nach Art der zugrunde liegenden Vergabeverfahren 800

754

704

700

Mio. CHF

600 500 400 300 200 100

52

20

0 freihändige Vergabe (Monopol)

wettbewerbliche Vergabe (ohne Rechtsschutz)

W TO-Ausschreibung

freihändig nach W TO-Ausschreibung

Bemerkung: In der Darstellung nicht berücksichtigt sind klassifizierte Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von rund 63 Millionen Franken.

Quelle: PVK aufgrund MIS Armasuisse

Auch unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Rüstungsbereichs scheint der Anteil der freihändigen Beschaffungen eher hoch zu liegen.26 Gemäss Aussagen von Armasuisse-Vertretern dürfte sich das Gewicht von Monopolbeschaffungen in Zukunft sogar eher noch vergrössern. Vor diesem Hintergrund erhält eine langfristige und umfassende Beschaffungsstrategie und der zweckmässige Umgang mit unvermeidbaren bzw. bewusst eingegangenen Monopolsituationen grosse Bedeutung (vgl. dazu auch Kap. 4).

Wettbewerbliche Verfahren ohne Rechtsschutz Rund 700 Millionen Franken fliessen jährlich in Aufträge, die in einem wettbewerblichen Verfahren ohne Rekursmöglichkeiten vergeben wurden. Aufgrund der verfügbaren Daten lässt sich nicht eruieren, welches Gewicht dabei den unterschied26

Dies zeigt auch ein Vergleich mit Grossbritannien (National Audit Office: Non-Competitive Procurement in the Ministry of Defence. London, 2001). In Grossbritannien lag der Anteil der Mittel, die freihändig vergeben wurden, in den Rechnungsjahren 1996/97­2000/2001 jeweils zwischen rund 25 und 30 % der Gesamtaufwendungen.

Bemerkenswert ist dabei, dass in Grossbritannien noch in den 1980-er Jahren rund 60 % der Ausgaben freihändig getätigt wurden. In diesen Zahlenverhältnissen spiegelt sich die britische Strategie, wo immer möglich eine «second source» aufzubauen. Dieser Ansatz wird in der Schweiz nicht verfolgt, weil gemäss Armasuisse die Schweiz im Vergleich zu Grossbritannien ein kleines Beschaffungsvolumen und keine vergleichbare inländische Industriebasis aufweise. Zudem liessen sich die Industrieunternehmen (ohne staatliche Beteiligungen) bei Wettbewerbsituationen auch kaum in längerfristige Instandhaltungsverträge einbinden.

3611

lichen Wettbewerbsverfahren zukommt. Es ist aber aufgrund der Rechtslage und der Einschätzung von Armasuisse-Mitarbeitern davon auszugehen, dass der gemessen am finanziellen Volumen grössere Teil der Beschaffungen in Einladungsverfahren vergeben wird (Beschaffungen von Waffen, Munition und Kriegsmaterial). Selektive bzw. offene Verfahren (ohne Rekursmöglichkeit) dürften vor allem für Beschaffung ziviler Güter zur Anwendung kommen.

WTO-Verfahren mit Rechtsschutz Nur etwa 3 % des Finanzvolumens (52 Mio. Fr.) flossen im Jahr 2006 in Aufträge, die in Verfahren nach den WTO-Regeln abgewickelt wurden. Selbst wenn man berücksichtigt, dass es sich bei einem nicht näher quantifizierbaren Teil der Monopolbeschaffungen um Folgeaufträge aus WTO-Vergaben handelt, bleibt die finanzielle Bedeutung von WTO-Vergaben in der Beschaffungspraxis von Armasuisse gering. Das zeigt sich auch daran, dass nur zwei der sieben Abteilungen der beiden Beschaffungsämter überhaupt in bedeutendem Masse WTO-Beschaffungen durchführen (vgl. dazu Abbildung 25 im Anhang).

Insgesamt spiegelt Abbildung 5 sehr deutlich die geschilderte Rechtslage, wonach nur ein Teil der von Armasuisse beschafften Güter und Dienstleistungen den WTORegeln unterstellt sind (Beschaffungen ziviler Güter gemäss WTO-Liste mit einem Auftragswert von über 248 950 CHF). Die Auswertung macht deutlich, dass im Jahr 2006 rund 97 % der Ausgaben in Beschaffungen fliessen, die ausserhalb des WTORegelwerks und ohne entsprechende Rekursmöglichkeiten vergeben wurden. Vor diesem Hintergrund kommt den Anstrengungen von VBS und Armasuisse zur Durchsetzung der beschaffungsrechtlichen Grundsätze im nicht WTO-Regeln unterstellten Bereich sehr grosse Bedeutung zu.

3.1.3

Aktivitäten zur Gewährleistung der Rechtmässigkeit der Vergabepraxis

Für die Umsetzung des Beschaffungsrechts waren bis zum Inkraftreten einer spezifisch beschaffungsrechtlichen Verordnung27 am 1. Januar 2007 hauptsächlich die Departemente und Ämter gemäss den Regeln der allgemeinen Vorgaben des RVOG und der entsprechenden Verordnung zuständig.28 Das VBS bzw. dessen Vorgängerorganisation (Eidg. Militärdepartement) hat bereits vor dem Erlass von BoeB und VoeB Vorgaben über die im Rahmen der Rüstungsbeschaffung zu beachtenden Verfahren und Zuständigkeiten in der Verordnung vom 25. April 198629 über die Beschaffung von Armeematerial festgehalten. Allerdings ist die Verordnung überholt und entspricht, etwa was die Bezeichnung der zuständigen Stellen und deren Entscheidungskompetenzen betrifft, schon seit längerem nicht mehr dem aktuellen Stand. Die mit der Reform des VBS und der Armeereform verbundenen Änderungen sind in dieser Verordnung nicht abgebildet. Eine revidierte Verordnung, die diese Entwicklungen aufnimmt, soll auf den 1. Januar 2008 in Kraft treten. Das Beispiel der seit langem überholten, aber noch immer geltenden Verordnung illustriert die

27 28 29

Verordnung über die Organisation des öffentlichen Beschaffungswesens des Bundes vom 22. November 2006 (Org-VoeB) SR 172.056.15.

RVOG, SR 172.010; RVOV, SR 172.010.1 SR 510.211.1

3612

Unübersichtlichkeit und teilweise Inkohärenz des Regelwerks, in welcher sich die Rüstungsbeschaffung des VBS bewegt.

Die Beschaffungspraxis der letzten Jahre wird nach übereinstimmender Auskunft aller Befragten durch die im Rahmen der VBS-Reorganisation in den Departementsbereichen entwickelten Prozesse gesteuert. Als Beschaffungszentrum des VBS kommt Armasuisse die Hauptverantwortung für die Umsetzung des Beschaffungsrechts im Rahmen der Rüstungsbeschaffung zu. Der Bundesrat fordert in seinen Grundsätzen für die Rüstungspolitik, dass entsprechende Vorgaben in die internen Vorschriften zu integrieren und gegebenenfalls entsprechende Ausführungsvorschriften zu erlassen sind.

Im Folgenden schildern wir die Bemühungen von Armasuisse zur Umsetzung der beschaffungsrechtlichen Vorgaben im Rahmen der Rüstungsbeschaffung.

Vorgaben und Hilfsmittel im Managementsystem Die rechtlichen Vorgaben sind im Managementsystem von Armasuisse namentlich in den vorgegebenen Normprozessen und den zugehörigen Checklisten, Arbeits- und Verfahrensanweisungen abgebildet. Das Managementsystem gilt dabei als verbindliche Grundlage für die Arbeiten von Armasuisse (Weisungscharakter).

Die Geltung der beschaffungsrechtlichen Grundsätze wird an verschiedener Stelle betont. Auffallend ist die starke, aber nicht ausschliessliche Fokussierung zur Transformation der Vorgaben für WTO-Verfahren ­ das Managementsystem erweist sich in dieser Gewichtung als gutes Abbild der Rechtsgrundlagen, aber nicht unbedingt der Bedeutung der entsprechenden Verfahren in der Vergabepraxis.

Der aus rechtlicher Sicht wichtige Entscheid über die Art des Vergabeverfahrens erfolgt aufgrund von Marktabklärungen und liegt grundsätzlich in der Kompetenz von Armasuisse. Bei grösseren Vorhaben, namentlich solchen die in ein Rüstungsprogramm aufgenommen werden sollen, wird ein separater, formeller Entscheid über das Vergabeverfahren verlangt, der vom Rüstungschef zu genehmigen ist. In verschiedenen Verfahrens- und Arbeitsanweisungen wird verlangt, wenn immer möglich den Wettbewerb zu suchen. Es sind auch gute Hinweise zur kritischen Hinterfragung vermeintlicher Monopolsituation aufgeführt.

Allerdings ist die Interpretation der rechtlichen Bestimmungen zur Wahl des Vergabeverfahrens in einem wichtigen Punkt kritisch zu bewerten. In der entsprechenden
Arbeitsanweisung wie auch in der Beratungstätigkeit des Rechtsdiensts von Armasuisse wird die Regel verwendet, wonach Güter, die nicht auf der Positivliste des WTO-Abkommens verzeichnet sind, im Einladungsverfahren zu beschaffen sind.30 Diese Regel impliziert, dass alle vom VBS für die Armee beschafften Güter, welche nicht auf der WTO-Positivliste aufgeführt sind, Kriegsmaterial, Waffen oder Munition darstellen ­ denn nur letztere fallen unter die BoeB-Ausnahmeklausel (Art. 3 Abs. 1 Bst. e BoeB) und können gemäss Art. 35 Abs. 3 Bst. a VoeB ohne weiteres im Einladungsverfahren beschafft werden. Diese Auslegung der Ausnahmebestimmung durch Armasuisse ist sehr fragwürdig. Angemessener wäre, den Kriegsmateri30

So heisst es in der «Arbeitsanweisung Vertragsrecht» (Stand August 2006): «Anhang I zum WTO-Übereinkommen definiert abschliessend das zivile Material für Verteidigung und Zivilschutz, welches den Bestimmungen des WTO-Abkommens bzw. dem BoeB untersteht (...). Textilien (Uniformen), Leder- und Schuhwaren sind in der Liste nicht aufgeführt, fallen somit nicht unter das Abkommen und sind demnach gemäss dem Einladungsverfahren zu beschaffen.»

3613

albegriff in der Ausnahmebestimmung des BoeB nach Praxis der zuständigen Rekurskommission gemäss KMG auszulegen31 und Güter, die nicht unter diesen Begriff fallen, grundsätzlich im offenen oder selektiven Verfahren zu beschaffen (Art. 34 Abs. 1 VoeB). Entsprechende Aufträge generell und ohne weitere Begründung im Einladungsverfahren zu vergeben, steht aus dieser Sicht klar im Widerspruch mit dem Beschaffungsrecht.

Für die Abwicklung der Verfahren sind vor allem die Vorgaben für das offene und selektive Verfahren sehr umfangreich und aus der Sicht der PVK vollständig aufgenommen. Es wird zudem ein auch für Einladungsverfahren anzuwendendes, mehrstufiges Vorgehen definiert (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2). Aus Sicht der PVK entsprechen diese Vorgaben den Grundsätzen des Beschaffungsrechts und stellen gerade im Hinblick auf die Abwicklung von Einladungsverfahren eine angemessene Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben dar.

Auch im Hinblick auf die Definition der Bewertungskriterien und deren Offenlegung gegenüber den Offertstellern sind die gesetzlichen Vorgaben im Managementsystem klar und verständlich abgebildet. Das gilt auch für das Vorgehen bei Verhandlungen (inkl. Abgebotsverhandlungen). Allerdings sind die entsprechenden Vorgaben im Managementsystem nur in Zusammenhang mit dem offenen und selektiven Verfahren gefordert ­ wie diesbezüglich in Einladungsverfahren oder bei direkten Vergaben vorzugehen ist, bleibt offen. Aus dem MS geht aber klar hervor, dass in jedem Fall die beschaffungsrechtlichen Grundsätze einzuhalten sind (Transparenz, Gleichbehandlung, Förderung des Wettbewerbs, wirtschaftlicher Einsatz öffentlicher Mittel).

Schulungen Eine wichtige Massnahme zur Umsetzung der beschaffungsrechtlichen Vorgaben sind gemäss Aussagen verschiedener Befragter die Schulungen, welche der Rechtsdienst von Armasuisse aktuell zweimal jährlich durchführt. Diese Schulungen fanden lange Zeit auf freiwilliger Basis statt. Nachdem die Eidg. Rekurskommissionen im Jahr 2002 zwei Rekurse gegen Beschaffungsentscheide von Armasuisse gutgeheissen hatte, wurde das Angebot ausgebaut. Der Rüstungschef erklärte zudem den Besuch dieser Kurse für sämtliche Projektleiter und Teilprojektleiter als obligatorisch.

Kontrolle Die Kontrolle der Rechtmässigkeit der Vergabe erfolgt im Rahmen der normalen Aufsicht. Zudem
wird der Armasuisse-Rechtsdienst nach seinen eigenen Angaben systematisch zur Beurteilung von Verfahrensentscheiden bei politisch wichtigen und/oder sehr grossen Beschaffungen beigezogen. Hingegen werden die Verfahrensentscheide anderer Geschäfte, allein schon aufgrund ihrer grossen Zahl, vom Rechtsdienste nicht systematisch kontrolliert.

31

Vgl. Fussnote 16.

3614

3.1.4

Beurteilung der Praxis im Einzelfall

Im folgenden Abschnitt prüfen wir die Einhaltung der beschaffungsrechtlichen Vorgaben im Rahmen der vertieft untersuchten Beschaffungsvorhaben. Soweit relevant ziehen wir auch Hinweise aus Gesprächen und der Dokumentenanalyse bei, welche andere Beschaffungsvorhaben betreffen.

Die Prüfung beschränkt sich dabei auf Aspekte, welche aus Sicht der Literatur besonders heikel erscheinen bzw. bei denen die Interpretation und Umsetzung des Beschaffungsrechts Schwierigkeiten verursachen kann.32 Zudem mussten wir uns auf Sachverhalte beschränken, welche in der Retrospektive mit verhältnismässigem Aufwand hinreichend zu klären waren. Konkret haben wir bei allen Fällen die Qualität der Dokumentation, die Verfahrenswahl und die Transparenz des Vorgehens, den Umgang mit Zuschlagskriterien sowie die Handhabung von Verhandlungen und Informationsaustausch geprüft.

In der Beurteilung berücksichtigen wir neben den Vorgaben der BoeB und der VoeB auch die Rechtssprechung der Eidgenössischen Rekurskommission für das Beschaffungswesen (seit 1.1.2007: Bundesverwaltungsgericht). Zwar bezieht sich die Rechtssprechung zwangsläufig nur auf offene und selektive Verfahren nach WTO (fehlender Rechtsschutz in anderen Verfahren). Sie ist also streng genommen nur für die Beschaffungen in Verfahren nach dem WTO-Übereinkommen anwendbar (z. B.

Beschaffung Aussenbordmotor). Wir halten es aber für angemessen, die von der Rechtssprechung entwickelte Linie sinngemäss auch als (strengen) Massstab für die Bewertung von Beschaffungen zu verwenden, die in anderen, namentlich im Einladungsverfahren ergingen.33 Daraus lässt sich nicht ohne weiteres auf ein allenfalls unrechtmässiges Handeln von Armasuisse im Einladungsverfahren schliessen. Es ist vielmehr Gradmesser dafür, wie weit die beschaffungsrechtlichen Grundsätze auch in vergleichsweise schwach regulierten Verfahren verwirklicht werden.

Vorgehen und Darstellungsform der folgenden Abschnitte sind problemorientiert, was die kritischen Seiten der Beschaffungspraxis stark hervorhebt.

Dokumentation Die vollständige, nachvollziehbare Dokumentation der Beschaffungsverfahren ist eine unverzichtbare Voraussetzung zur Verwirklichung des Transparenzgrundsatzes, gegen innen ebenso wie gegen aussen. Im Rahmen der vorliegend untersuchten Beschaffungen konnte Armasuisse auf Verlangen sämtliche
Dokumente (Evaluationsberichte, Ausschreibungsunterlagen, Verhandlungsprotokolle etc.) vorweisen.

Die Dokumente ermöglichen es recht gut, die Evaluationsverfahren auch Jahre später zu rekonstruieren. In allen drei vertieft untersuchten, wettbewerblich vergebenen Fällen ist auch die vergleichende Bewertung der Angebote dokumentiert, namentlich in den dafür vorgesehenen Vorevaluations- und Evaluationsberichten.

Viele der folgenden Feststellungen wären ohne diese Grundlagen gar nicht möglich 32

33

Vgl. etwa: Galli, Peter; Moser, André; Lang, Elisabeth: Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts Zürich/Basel/Genf 2003; Moser, André: Entschiedenes und Unentschiedenes.

In: Baurecht (Sonderheft Vergaberecht) 2004; Kuonen, Dominik: Das Einladungsverfahren im öffentlichen Beschaffungsrecht, Bern 2005; Meyer, Christoph: Aktuelles zum öffentlichen Beschaffungsrecht. In: Der Schweizer Treuhänder, 8/2003.

Dies scheint uns auch deshalb zweckmässig, weil sich die Rechtssprechung nicht nur an verfahrensspezifischen formellen Vorgaben, sondern ebenso an einer möglichst weitgehenden Verwirklichung der beschaffungsrechtlichen Grundsätze orientiert.

3615

gewesen. Im Hinblick auf die transparente Dokumentation der Beschaffungsverfahren darf Armasuisse also insgesamt ein gutes Zeugnis ausgestellt werden.

Verfahrenswahl Da das Beschaffungsrecht wie bereits ausgeführt vor allem bei der Regulierung des Vergabeverfahrens ansetzt, kommt der Verfahrenswahl entscheidende Bedeutung für dessen Verwirklichung zu.

Im Rahmen der Beschaffung des Aussenbordmotors wurden in einem separaten Verfahren Transportgestelle und -wagen in einem Einladungsverfahren beschafft. Es ging hier um den Ausführungsauftrag auf der Grundlage detaillierter Konstruktionspläne. Der geschätzte Auftragswert belief sich auf knapp 0,5 Millionen Franken, wovon je rund die Hälfte auf das Transportgestell bzw. den Transportwagen entfiel.

Für sich betrachtet erreichten somit weder Gestell noch Wagen den Schwellenwert für ein offenes/selektives Verfahren, weshalb man sich für zwei separate Einladungsverfahren entschied. Es wurden vier Anbieter zur Einreichung von separaten Angeboten für Gestell und Wagen eingeladen. Den Zuschlag erhielt nicht das jeweils günstigste Einzelangebot für Wagen und Gestell, sondern das günstigste Gesamtangebot. Begründung für die gesamthafte Vergabe war, dass es keinen Sinn mache, zwei so eng miteinander verbundene Aufträge an zwei Anbieter zu vergeben.

Aus rein rechtlicher Sicht ist das Vorgehen von Armasuisse im vorliegenden Fall in zweierlei Hinsicht problematisch. Wenn Aufträge getrennt ausgeschrieben werden, sind diese auch einzeln zu vergeben. Das zentrale Problem aus rechtlicher Sicht ist aber ein anderes: Die Aufteilung eines Auftrags ist unzulässig, wenn diese einzig in der Absicht erfolgt, mit tieferen Beschaffungswerten die vorgeschriebene Verfahrensart zu umgehen.34 Alles spricht dafür, dass genau dies im vorliegenden Fall zutrifft. Ausser in der Ausschreibung hat Armasuisse die Beschaffung von Transportwagen und Tragegestell immer als Bestandteile eines einzigen, zusammenhängenden Auftrags behandelt, gerade auch in der Begründung des Vergabeentscheids.35 Der Fall der Beschaffung von Zubehör für den Aussenbordmotor illustriert eine starke Präferenz für Einladungsverfahren, welche im Rahmen der vorliegenden 34 35

Vgl. BRK 2002-004.

Auch zwei weitere im Rahmen des Workshops vorgebrachte Argumente, welche Wirtschaftlichkeitssüberlegungen aufgreifen, machen die eigentliche Absicht deutlich, eine offene Ausschreibung zu umgehen: 1. Man habe in WTO-Verfahren auch schon nach Osteuropa vergeben (müssen).

Aufgrund gravierender Qualitätsmängel hätte die Lieferung in der Schweiz nachbearbeitet werden müssen ­ mit deutlich höheren Gesamtkosten als bei einer Vergabe des ursprünglichen Auftrags an einen Schweizer Lieferanten. Solche Probleme sind aus Sicht des Rechts mit geeigneten Eignungs- und Zuschlagskriterien anzugehen und nicht mit einer präventiven Beschränkung des Anbieterkreises.

2. Die Wahl des Einladungsverfahrens anstelle eines WTO-Verfahrens wurde auch mit dem Argument des unverhältnismässigen Aufwandes für das Verfahren in Relation zu den möglichen (zusätzlichen) Verbesserungen im Preis-Leistungsverhältnis (Wirtschaftlichkeitsgrundsatz) begründet. Dieses Argument ist rechtlich nicht haltbar. Die Schwellenwerte sind formell zwingend. Ihr Hauptzweck ist es ja gerade, nur Beschaffungen dem offenen bzw. selektiven Verfahren zu unterstellen, bei deren olumen die Vorteile des gesteigerten Wettbewerbs die Nachteile eines aufwändigeren Verfahrens aufwiegen. Die vergebende Stelle kann hier nicht eine eigene Wertung über jene des Gesetzes stellen. Gegebenenfalls müsste man eine Änderung der rechtlichen Vorgaben, konkret die Anhebung der Schwellenwerte anstreben.

3616

Untersuchung bei zahlreichen Befragten festzustellen war. Insbesondere bei Nebenbeschaffungen schätzt man die Möglichkeit, bekannte, vorwiegend schweizerische Lieferanten zur Offertstellung einladen zu können. Man kann sich so an einen Kreis bewährter Lieferanten halten und will sich vor unangenehmen Erfahrungen (ungenügende Qualität) schützen. Zum Teil wurden auch wirtschaftspolitische Gründe für ein solches Vorgehen geltend gemacht: namentlich die Möglichkeit, politisch sensible Grössen wie den Inlandanteil und die regionale Verteilung von Aufträgen zu steuern (vgl. dazu auch Abbildung 26 im Anhang).

Die Präferenz für das Einladungsverfahren wird durch die bereits dargestellte, fragwürdige Interpretation des Rechtsdienstes von Armasuisse gestützt, wonach Güter, die nicht auf der WTO-Positivliste verzeichnet sind, generell im Einladungsverfahren beschafft werden können. Diese Regel wird auch in der Begründung der Wahl des Einladungsverfahrens im Aktionsplan zur Beschaffung eines Kurzwellenfunksystems SE-240 angeführt. Weil es sich aber beim SE-240 in der Beurteilung der PVK36 nicht um Kriegsmaterial (gemäss KMG) handelt, wäre das offene oder selektive Verfahren zu wählen gewesen. Nach Angaben von Armasuisse wurden aber alle relevanten Anbieter auf dem Weltmarkt zur Offertstellung eingeladen. Somit wäre faktisch die gleiche Wettbewerbslage wie in einer offenen Ausschreibung geschaffen worden.

Die aus rechtlicher Sicht fragwürdige Verfahrenswahl beim SE-240 scheint kein Einzelfall zu sein. Als Beispiele für Güter, die im Einladungsverfahren beschafft wurden, obwohl es sich dabei nicht um Kriegsmaterial handeln dürfte, sind etwa zu nennen: Fahrausbildungs- und Trainingsanlage für Motorfahrer (FATRAN), Fahrzeugdiagnostik für Motormechaniker, Überwachungssystem für den Objektschutz, elektronische Schiessausbildungsanlage für den Schützenpanzer 2000 und den Leopard II, Transport- und Schulungshelikopter und Flugfunkgerät SE-239 (vgl.

hierzu auch Ausführungen zur Beschaffung PC-21, Kap. 3.2).37 Angesichts des sehr hohen Anteils von Monopolbeschaffungen, welche im freihändigen Verfahren ergehen, stellt sich auch die Frage, ob nicht zu leichtfertig eine Monopolsituation vorgeschoben wird, um ein höherstufiges Verfahren zu umgehen.

Im vorliegend untersuchten Vorhaben zur Beschaffung eines Sanitätsfahrzeugs
wurde die Monopolsituation plausibel begründet (Verlust der Gewährleistung bei Einbauten durch andere Firmen, z. T. geschütztes Wissen). Nicht restlos geklärt werden konnte hingegen die Frage, ob die Alternative einer Neubeschaffung, bei der eine Wettbewerbslage geherrscht hätte, seriös abgeklärt wurde.

Plausibel begründet erscheinen auch die Monopolvergaben für gewisse Fahrzeugeinbauten (z. B. Panzer Leopard). Nach Aussagen von Armasuisse werden auch

36

37

Die Grobbeurteilung, wonach es sich beim SE-240 und bei den weiter unten genannten Rüstungsgütern nicht um Kriegsmaterial gemäss KMG handelt, erfolgte nach Rücksprache mit der für die Umsetzung von KMG und GKG im Staatsekretariat für Wirtschaft zuständigen Stellen.

Die Verfahrenswahl konnte in den aufgeführten Fällen nicht im Detail überprüft werden.

Bei einem Teil der aufgeführten Beispiele könnte es sich um Kriegsmaterial (gemäss KMG) handeln, wenn diese Güter über aktive Waffensysteme verfügen oder solche direkt steuern würden. Eine Vergabe im Einladungsverfahren wäre in den genannten Fällen auch zulässig, wenn jeweils ein Ausnahmetatbestand vorliegen würde. In der Liste, welche Armasuisse im August 2006 zu Handen der Finanzkommission erstellt hat und aus der die Beispiele stammen, macht Armasuisse für die genannten Beschaffungsvorhaben keine Ausnahmetatbestände geltend.

3617

diese Einbauten soweit wie möglich im Wettbewerb vergeben (z. B. für Einbauten in Standardfahrzeuge), genauso wie die Beschaffung von Standard-Hardware.

Verschiedentlich verwiesen Vertreter von Armasuisse in den Gesprächen darauf hin, dass Monopolsituationen auch aus Anforderungen von Seiten des Bereichs Verteidigung resultierten. Diese seien zum Teil so eng formuliert, dass sie nur von einem bestimmten Produkt erfüllt werden könnten. Konkret zu beobachten war dies etwa bei der Beschaffung des Kurzwellenfunksystems SE-240. Die Vertreter des Verteidigungsbereichs äusserten eine starke Präferenz für eine rasche Beschaffung eines familienverträglichen Produkts, was für eine direkte Vergabe an einen bestehenden Lieferanten sprach. Armasuisse hat aber aus rechtlichen und wirtschaftlichen Gründen auf der Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens (Einladung) bestanden, dafür aber Leistungsanforderungen definiert (bzw. definieren müssen), welche den Lieferanten eines in der Armee bereits eingeführten Produktes stark favorisierten.

Sehr deutlich wurde das Engagement von Armasuisse für ein wettbewerbliches Einladungsverfahren auch bei der Beschaffung eines Jetpiloten Ausbildungssystems, auch wenn sich Armasuisse letztlich nicht durchsetzen konnte und der entsprechende Auftrag freihändig vergeben wurde (vgl. Abschnitt 3.2).

Fasst man die Erkenntnisse zur Verfahrenswahl pointiert und kritisch zusammen, kommt man zu folgendem Schluss: Armasuisse setzt sich in der Regel für Wettbewerb ein, bevorzugt aber, zum Teil auch in rechtlich problematischer Weise, das im Vergleich zum offenen oder selektiven Verfahren weniger wettbewerbsintensive Einladungsverfahren. Der Departementsbereich Verteidigung, in der Regel vertreten durch den Planungsstab, wertet die Schaffung von Wettbewerb deutlich weniger hoch. Priorität geniesst eine möglichst rasche und in hohem Masse systemkompatible Beschaffung mit möglichst geringen Risiken, selbst wenn diese Anforderungen eine Monopolsituation erzeugen.

Transparenz der Vorgehensschritte Vor dem Hintergrund des Transparenzgrundsatzes ist zu fordern, dass die Vorgehensschritte von Anfang an offen auf dem Tisch liegen. Falls mehrstufige Wettbewerbsverfahren (wie das Longlist-Shortlist-Verfahren von Armasuisse) vorgesehen sind, sollte auch geklärt sein, unter welchen Bedingungen
der Wettbewerb allenfalls vorzeitig abgebrochen und nur noch mit einem Anbieter weitergearbeitet wird.

Zu Bemerkungen Anlass gibt hier in erster Linie die Beschaffung FIS-Heer. Gegenüber den Offertstellern kommunizierte Armasuisse, dass auf Grundlage der Papierevaluation maximal zwei Angebote für die erste Testphase (Testbed 1) eingeladen werden sollten. Aufgrund der Ergebnisse sollte dann ein System für weitere Testphasen und die Realisierung des FIS-Heer ausgewählt werden.

Das Projektteam, welches die Evaluation der eingegangenen Offerten durchführte, beantragte drei Anbieter für die erste Testphase einzuladen. Auf Antrag des (designierten) neuen Amtsdirektors entschied dann allerdings die Projektaufsicht, die Evaluation der ersten Testphase nur mit einem Offertsteller weiterzuarbeiten. Ge-

3618

mäss Sitzungsprotokoll wurde dieser Entscheid mit folgenden Argumenten begründet:38 ­

Grosse Unsicherheiten bezüglich der Anforderungen an das System,39

­

im Verhältnis zu den Beschaffungskosten unverhältnismässig hoher Evaluationsaufwand.40

Diese Begründung vermag nicht zu überzeugen, weil die entsprechende Sachlage bereits zum Zeitpunkt der Ausschreibung bekannt war bzw. hätte bekannt sein können. Es war auch nicht so, dass die offerierten Kosten weit über den Erwartungen lagen.

Der Transparenzgrundsatz verlangt, die Spielregeln von Anfang an eindeutig bekannt zu geben, damit die Anbieter den Teilnahmeentscheid unter klaren Voraussetzungen treffen können. Das in Aussicht gestellte (aber nicht zugesicherte) zweistufige Verfahren war zumindest für einen der befragten Offertsteller der ausschlaggebende Grund, sich an der Ausschreibung zu beteiligen. Die befragten Offertsteller gaben an, angesichts der strategischen und finanziellen Bedeutung des Projekts sehr hohe Aufwendungen für die Offerten getätigt zu haben (es wurden Beträge bis knapp eine Million Franken genannt).

Ähnlich wie beim FIS-Heer, aber nicht genau gleich, liegen die Dinge im Falle der Vergabe des Kurzwellenfunksystems SE 240. Armasuisse verfolgte gemäss internen Papieren die Absicht, je nach Ergebnissen nach der Vorevaluation im nächsten Schritt eine Evaluation mit zwei Anbietern durchzuführen oder mit nur einem Anbieter in die Evaluation zu steigen. Die Offerteinladung spricht explizit von einer Vorevaluation. Aufgrund der üblichen Praxis von Armasuisse impliziert dies, dass in einer zweiten Runde eine Evaluation unter Konkurrenzbedienungen (mindestens zwei Angebote) durchgeführt wird. Armasuisse-Vertreter haben gegenüber der PVK eingeräumt, dass dieser Schluss nahe liege. Zumindest einer der befragten Offertsteller ging denn auch davon aus, dass es eine zweite Runde mit echten Feldtests geben würde.

Der Entscheid, mit nur einem Anbieter in die eigentliche Evaluation zu gehen, fiel aufgrund der sehr klaren Ergebnisse der Vorevaluation, welche die Aufrechterhaltung einer Wettbewerbssituation obsolet erscheinen liessen.

Festzuhalten ist, dass Armasuisse in keinem der dargestellten Fälle eine schriftliche Zusage gemacht hat, dass ein zweistufiges Wettbewerbsverfahren durchgeführt würde. Die Ausschreibungsunterlagen sprechen zwar diese Option an, ohne aber ein anderes Vorgehen auszuschliessen. Offen gelassen hat Armasuisse zudem, aufgrund welcher Kriterien man sich allenfalls für ein anderes (weniger wettbewerbsorientiertes) Vorgehen entscheiden würde. Allein die Tatsache, dass man sich nicht von 38

39

40

Im knappen Sitzungsprotokoll und den Beilagen wird nicht klar getrennt zwischen dem Entscheid nur mit einem System weiter zu fahren und der Wahl des entsprechenden Systems.

Es geht hier vor allem um das Risiko einer Anspruchsinflation, d. h. die Gefahr, dass man bei parallelen Tests von zwei Systemen plötzlich die besten Elemente aus beiden Systemen in einem System verwirklichen wolle (vgl. dazu auch Kap. 4.2.4).

Neben den externen Kosten für die Durchführung der Tests (pro teilnehmende Firma rund 2-4 Millionen Franken) ist hier auch an die Aufwände von Armasuisse und des Heeres zu denken. Nach Einschätzung der Amtsdirektion wären die für eine seriöse und faire Durchführung von zwei Angeboten die notwendigen Ressourcen weder bei Armasuisse noch bei der Truppe (Erprobungen) mobilisierbar gewesen.

3619

Anfang an auf so entscheidende Verfahrensschritte festlegt, ist aus Transparenzgesichtspunkten negativ zu bewerten. Im Fall von FIS-Heer ist dieser Mangel umso kritischer zu bewerten, als der Entscheid über das weitere Vorgehen aufgrund von Sachverhalten gefällt wurden, welche bereits zu Beginn des Verfahrens klar waren und sich nicht verändert hatten.

Die Vergabe des Aussenbordmotors lief nach dem Drehbuch ab, dass für WTOVergaben vorgesehen ist und in der Ausschreibung auch entsprechend angekündigt wurde.41 Evaluationskriterien Den Eignungs- und Zuschlagskriterien42 kommt für die Verwirklichung des Transparenz- und des Gleichbehandlungsgrundsatzes grosse Bedeutung zu. Aus rechtlicher Sicht ist hier zu verlangen, dass diese Kriterien und deren Gewichtung vor der Ausschreibung definiert und den Anbietern bekannt gemacht werden müssen.43 Auch eine Änderung der Kriterien oder von deren Gewichtung im Laufe des Verfahrens ist nur unter relativ strengen Voraussetzungen möglich (Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz). Insbesondere sind in diesem Fall sämtliche Offertsteller zu informieren. Wesentliche Änderungen verlangen einen Abbruch und Neustart des Verfahrens.44 In der Ausschreibung für das Führungsinformationssystem (FIS-Heer) wurden die Kriterien transparent definiert, deren Gewichtung sehr detailliert ausgewiesen und insbesondere auch die No-Go-Kriterien klar benannt.45 In einer ersten Prüfung wurden jene Angebote ausgeschieden, welche No-Go-Kriterien nicht erfüllten. Für die verbleibenden drei Angebote wurden nach deren Eingang auf Verlangen des designierten neuen Amtsdirektors zusätzliche Informationen und Kostenangaben im Hinblick auf die künftige Seriebeschaffung für Unterstützung und Training, Hardware sowie für Software, Lizenzen und Tools verlangt (inkl. Zugänglichkeit des Source-Code). Die ursprüngliche Ausschreibung hatte nur Angaben zu Kosten der ersten Testphase verlangt und damit die wesentlichen, erst im Rahmen der Seriebeschaffung anfallenden Kosten ausser Betracht gelassen. Armasuisse legte nicht offen, welche Bedeutung die nachgeforderten Angaben für den Entscheid haben würden.

An der bereits erwähnten Sitzung der Projektaufsicht vom 22. Dezember 2003 wurde auch das System für die erste Testphase (Testbed 1) gewählt. Dabei entschied man sich nicht für die Lösung, die in der Nutzwertanalyse, welche gemäss Kriterien und Gewichtung der Ausschreibung durchgeführt wurde, am besten abgeschnitten 41 42 43

44 45

Wir beziehen uns hier auf die zweite Ausschreibung, das abgebrochene erste Verfahren wurde nicht näher untersucht (vgl. dazu auch Kurzbeschreibung im Anhang).

Eignungskriterien beziehen sich auf den Anbieter, Zuschlagskriterien auf dessen Angebot.

Vgl. dazu etwa : Moser, André: Entschiedenes und Unentschiedenes. In: Baurecht (Sonderheft Vergaberecht) 2004; Galli, Peter; Moser, André; Lang, Elisabeth: Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, Zürich/Basel/Genf 2003, insbesondere Rz 399.

BRK 2002-004; BRK 2001-003; BRK 2000-13; BRK 2000-009 Dieses aus Sicht des Transparenzgrundsatzes positiv zu beurteilende Vorgehen wird im im Kapitel des Evaluationsberichts, welcher die technischen Kriterien bewertet, sehr kritisch betrachtet. «Die vorgängige Offenlegung der No-Go- und Bewertungskriterien an die Hersteller hat die Evaluationsprozedur massiv erschwert: Beinahe ausnahmslos erfüllt nämlich jede Firma auf dem Papier die notwendigen Kriterien und es ist nun Aufgabe des Teilbereichs geworden, auf dem Papier unlogische Zusammenhänge oder gar Widersprüche aufzudecken.»

3620

hatte. Es spricht fast alles dafür, dass geringere Risiken in Bezug auf die Integration eines bereits bestehenden Führungssystems unterer (taktischer) Ebene sowie die Zugänglichkeit des Source-Code für die Wahl entscheidend waren.46 Fest steht, dass andere, bzw. anders gewichtete Kriterien für die Wahl entscheidend waren, als die in den Ausschreibungsunterlagen aufgeführten. Gemäss Protokoll der entscheidenden Sitzung der Projektaufsicht wurde dieser Mangel von einem Teilnehmer gerügt («Änderung der Spielregeln während des Spiels»). Dies stellt nach Ansicht der PVK eine klare Verletzung des Transparenzgrundsatzes dar.

Genau wie bei der Ausschreibung von FIS-Heer wurden auch im Falle des SE-240 die Evaluationskriterien und deren Gewichtung bereits vor der Ausschreibung festgelegt. Die Zuschlagskriterien wurden in stark zusammengefasster Form aufgelistet, wobei angemerkt wurde, dass eventuell auch zusätzliche wichtige Kriterien zur Anwendung kommen würden. Nicht offen gelegt wurden die No-Go Kriterien.

Der Verzicht auf die Offenlegung der No-Go-Kriterien wird damit begründet, dass nur auf diese Weise mit Sicherheit eine Wettbewerbsituation geschaffen werden konnte. Die Armee hatte nämlich bereits Geräte eines Wettbewerbers im Einsatz.

Aufgrund des Familiengedankens und Kenntnissen der bestehenden Kryptologie hatte dieser Hersteller deshalb einen klaren Startvorteil. Mit dem gewählten Vorgehen wollte Armasuisse einerseits diesen «Kronfavoriten» unter Druck setzen, andererseits aber auch das Feld für neue, innovative Lösungen öffnen, an die man vielleicht nicht gedacht hatte.

Die Bewertung der Offerten erfolgte entsprechend den Kriterien und ergab einen klaren Sieger beim Nutzwert. Das im Nutzwert beste Gerät war auch preislich attraktiv.

Bemerkenswert ist, dass gemäss Evaluationsbericht nur ein Gerät nicht bereits an den No-Go Kriterien scheiterte ­ bereits hier war die Hürde für ein familienfremdes Gerät offensichtlich sehr hoch. In der Spitzengruppe der evaluierten Geräte ist fast die ganze Differenz auf die Bewertung des Punktes «Ausbildung» zurückzuführen.

Es liegt auf der Hand, dass ein Gerät aus einer bereits eingeführten Familie hier grosse Vorteile hatte. Böswillig könnte man unterstellen, dass im vorliegenden Fall die Zuschlagskriterien auf ein bestimmtes Produkt zugeschnitten waren
und ein echter Wettbewerb gar nicht stattfinden konnte. Dieser Argumentation ist entgegenzuhalten, dass den befragten Offertstellern nach eigenem Bekunden bewusst war, dass ein bestimmter Anbieter klare Vorteile hatte, deswegen ein Erfolg des eigenen Angebots aber nicht zum Voraus ausgeschlossen war. Offen bleiben muss die Frage, ob die Offertsteller die Lage in Kenntnis der detaillierten, gewichteten Kriterien gleich eingeschätzt hätten. Armasuisse gesteht selber ein, dass bei einer detaillierten Offenlegung der Kriterien (inkl. No-Go) eventuell nur ein Angebot eingegangen wäre.

Fest steht, dass zwischen der Wahl des wettbewerblichen Verfahrens und der sehr einengenden, ein Produkt favorisierenden Ausgestaltung der Kriterien ein Spannungsverhältnis besteht. Dies ist aber weniger die Folge einer gewollten Bevorzu46

Auf ein Testphase mit dem siegreichen System wurde gemäss Armasuisse verzichtet, weil hier (der erst nachträglich ins Spiel gebrachte) Source Code nicht zugänglich gemacht wurde. Zudem hätten die im Rahmen der ersten Testphase möglichen Erkenntisse und Erfahrungen bei diesem System aufgrund früherer Tests bereits zum grössten Teil vorgelegen. Dieses System habe deshalb als Rückfallposition für den Fall gedient, dass sich das andere System in der ersten Testphase (Testbed 1) nicht bewähren würde.

3621

gung eines bestimmten Lieferanten als solchen, sondern vielmehr die Folge früherer Beschaffungsentscheide. Es scheint, dass Armasuisse vor diesem Hintergrund den gegen die Präferenz des Verteidigungsbereichs gefällten Entscheid für ein wettbewerbliches Einladungsverfahren mit einer (zu) starken Gewichtung des Familiengedankens in der Evaluation erkaufen musste. Somit entstand eine widersprüchliche Ausgangslage (Wettbewerbsverfahren vs. einschränkende Anforderungen), welcher man mit Einschränkungen bei der Transparenz der Auswahlkriterien begegnete.

Ein positives Beispiel im Hinblick auf die transparente und konsequente Verwendung von Zuschlagskriterien stellt die Beschaffung des Aussenbordmotors dar. Man orientierte sich strikt an den vorher festgesetzten Nutzwertkriterien. Obwohl das Ergebnis knapp und gegen die Präferenzen der Nutzer ausfiel, wurden die Bewertungsgrundlagen nicht geändert und das Resultat nicht aufgrund nachträglich ins Spiel gebrachter Überlegungen wieder auf den Kopf gestellt.

In den geführten Gesprächen ergaben sich verschiedene Hinweise darauf, dass mindestens bei engen Vergabeentscheiden auch vergabefremde Kriterien zum Zuge kommen. Sind die Unterschiede zwischen zwei Angeboten sehr gering, «dann kommen die kleinen Zusatzkriterien zum Zug, die spielen dann das Zünglein an der Waage. Es gibt Fälle, wo die Beschäftigungspolitik der Schweiz wichtig ist und man einen teureren Preis in Kauf nimmt.» Eine rechtliche Betrachtung lässt für solche Erwägungen keinen Raum.

Verhandlungen und Informationsaustausch während des Vergabeverfahrens Der Informationsaustausch und die Verhandlungen47 sind in WTO-Verfahren sehr restriktiv geregelt, weil hier das Potential für Ungleichbehandlungen gross ist ­ leitendes Prinzip ist dabei die Schriftlichkeit (z. B. Protokollierungspflicht) und die Information aller verbliebenen Anbieter über Verhandlungsgegenstände bzw. Antworten auf eingegangene Fragen. Die Rechtsprechung (für WTO-Verfahren) verlangt zudem, dass im Sinne des Gleichbehandlungsgebots Verhandlungen und Abgebotsverhandlungen immer mit allen Anbietern zu führen sind, welche die Zuschlagskriterien, also die Minimalanforderungen erfüllen.48 Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die gesetzliche Verpflichtung, den Anbietern keinerlei Informationen aus Konkurrenzangeboten offen zu legen
(Art. 8 Abs. 1 Bst. d BoeB; Art. 26 Abs. 5 VoeB).

Die untersuchten Beschaffungsvorhaben wie auch die Aussagen aus mehreren Gesprächen zeigen, dass Armasuisse von der Möglichkeit zu Verhandlungen mit den Anbietern Gebrauch macht.

Sämtliche befragten Offertsteller hatten immer das Gefühl, von den technisch und kommerziell Verantwortlichen der Armasuisse im Evaluationsverfahren gleich wie andere informiert worden zu sein. Armasuisse gab sich zum Teil auch strikter, als die Offertsteller von früheren Verfahren oder aus Erfahrungen bei anderen Anbietern erwarteten. Positiv gewürdigt wurde mehrfach, dass Armasuisse es sehr geschickt vermeide, Informationen aus anderen Angeboten weiterzugeben.

47

48

Für Beschaffungen des Bundes sind Verhandlungen auch in WTO-Verfahren erlaubt, sofern diese in der Ausschreibung vorbehalten werden (beim Aussenbordmotor der Fall) oder nur auf diese Weise das wirtschafltich günstigste Angebot ermittelt werden kann.

Vgl. z. B BRK 1998-012, BRK 1999-013, BRK 2003-016.

3622

Mehrere befragte Offertsteller geben aber auch an, dass Konkurrenten über andere als die offiziellen Kanäle Zugang zu wichtigen Informationen im Evaluationsprozess hatten. Ein Offertsteller schilderte gegenüber der PVK auch, wie er selber solche Kontakte zu den Bedarfsträgern pflege, um Informationen zum Evaluationsverfahren zu erhalten. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung konnten diese Vermutungen nicht überprüft werden, die übereinstimmenden Aussagen verschiedener Gesprächspartner legen aber nahe, dass es nicht immer gelingt, die externe Kommunikation im Beschaffungsverfahren auf die offiziell zuständigen Kanäle zu beschränken.

Zu einer kritischen Bemerkung Anlass gibt einzig die Verhandlungsführung bei der Beschaffung des Aussenbordmotors (WTO-Verfahren). Hier führte Armasuisse mit dem siegreichen Anbieter Vertragsverhandlungen, wobei auch noch einmal über den Preis verhandelt wurde.49 Heikel ist, dass Preisverhandlungen mit nur einem der Anbieter vor dem formellen Zuschlag geführt wurden. Angesichts des Missbrauchpotentials ist die Rechtssprechung diesbezüglich sehr strikt und verlangt, dass Verhandlungen immer mit allen Anbietern geführt werden (vgl. Fussnote 48).

Aus Sicht von Armasuisse ist anzumerken, dass der Zuschlagsentscheid wenn nicht formell, so doch de facto mit der Typenwahl bereits getroffen war. Man konnte diesen Entscheid nicht noch einmal in Frage stellen, weshalb man den unterlegenen Anbieter nicht für sowieso zwecklose Verhandlungen in Anspruch nehmen wollte.

Vor diesem Hintergrund wurde der ausstehende Zuschlagsentscheid lediglich als Druckmittel zur Erzielung eines besseren Preises genutzt. Der gewählte Anbieter wäre auch ohne preisliche oder andere Zugeständnisse zum Zuge gekommen. Es ging also nie darum, einen bevorzugten Lieferanten einseitig die Möglichkeit zur Aufbesserung seines Angebots zu bewegen, damit er sich gegen das Angebot eines anderen Lieferanten durchsetzen konnte. Deshalb liegt unseres Erachtens keine im Sinne der ratio legis problematische Ungleichbehandlung vor. Formell korrekt wäre es gewesen, die Abgebotsverhandlungen mit beiden Anbietern vor der Typenwahl zu treffen und erst dann den Zuschlag zu erteilen.

3.1.5

Zwischenfazit

Der beschaffungsrechtliche Grundgedanke, wo immer möglich Wettbewerb in transparenten Vergabeverfahren zu schaffen, ist in den internen Vorgaben und auch bei den Mitarbeitern von Armasuisse gut verankert. Die in den letzten Jahren verstärkten Ausbildungsbemühungen dürften hierzu ihren Beitrag geleistet haben.

Allerdings zeigt die Analyse der effektiven Situation, dass rund die Hälfte der Mittel nicht im Wettbewerb vergeben und nur ein verschwindend kleiner Teil des Auftragsvolumens in WTO-Verfahren ausgeschrieben wird. Der hohe Anteil freihändiger Vergaben wird mit der hohen Bedeutung von Monopolen, insbesondere im Unterhaltsbereich, begründet.

Bei wettbewerblichen Vergaben zeigt Armasuisse generell eine ausgeprägte Präferenz für das Einladungsverfahren. Im Einladungsverfahren kann der Wettbewerb beschränkt und den formellen Verfahrensvorschriften des Gesetzes und den entsprechend aufwändigeren Verfahren ausgewichen werden. Die erwähnte Präferenz zeigt 49

Armasuisse hatte, wie durch das Recht gefordert, in der Ausschreibung Verhandlungen ausdrücklich vorbehalten.

3623

sich auch in einer sehr fragwürdigen Interpretation des Beschaffungsrechts. Dies hat zur Folge, dass bestimmte Beschaffungen ohne genügende Begründung für den Verzicht auf die gebotenen, wettbewerbsintensiveren Verfahren im Einladungsverfahren abgewickelt werden (SE-240).

Umgekehrt setzt sich Armasuisse auch dort für den (beschränkten) Wettbewerb im Einladungsverfahren ein, wo Akteure aus dem Departementsbereich Verteidigung eine direkte Vergabe bevorzugen würden, bzw. die Anforderungen so definieren, dass sich eine freihändige Vergabe aufdrängt. Zum Teil führt dies dazu, dass zwar ein Wettbewerbsverfahren durchgeführt wird, die sich aus den Anforderungen ergebenden Evaluationskriterien den Wettbewerb aber so stark beschränken, dass diese nicht vollständig offengelegt werden (können).

In einem der vertieft untersuchten Fälle wurde zudem festgestellt, dass ein zusammenhängender Auftrag in der Absicht zweigeteilt wurde, eine offene oder selektive Ausschreibung zu umgehen und stattdessen ein Einladungsverfahren durchzuführen.

Dieses Vorgehen widerspricht klar den rechtlichen Vorgaben.

Zwar verwendete Armasuisse in allen vertieft untersuchten Wettbewerbsverfahren sachliche Kriterien und klar strukturierte Bewertungsinstrumente. Im Hinblick auf die Transparenz der Verfahren und der Evaluationskriterien ergibt sich aber ein gemischtes Bild. Mustergültige Abläufe stehen neben Abläufen, welche im Hinblick auf die Transparenz des Verfahrens kritisch zu beurteilen sind. Als problematisch erwiesen sich vor allem zwei Aspekte: ­

Mangelnde Offenlegung: Armasuisse stellt zu Beginn der Verfahren nicht genügend Transparenz über den Ablauf dar (Offenlegung des Verfahrensablaufs, Offenlegung von Evaluationskriterien);

­

Änderung der Evaluationskriterien im Laufe des Verfahrens: Zumindest in einem Fall waren für den Zuschlag Kriterien entscheidend, welche in der Ausschreibung nicht bzw. nicht in der gleichen Gewichtung enthalten waren.

Aus den Gesprächen gibt es auch Hinweise darauf, dass bei knappen Entscheidungen vergabefremde (wirtschafts- und regionalpolitische) Kriterien zur Entscheidungsfindung herangezogen werden.

Eine umfassende, über die rein rechtliche Wertung hinausgehende Würdigung der aktuellen Beschaffungspraxis hat zu berücksichtigen, dass in anderen Ländern die Vergabe im freihändigen Verfahren und die Bevorzugung der eigenen Industrie eher die Regel als die Ausnahme ist und das schweizerische Recht mit der Forderung des Einladungsverfahrens für Rüstungsbeschaffungen über die Mindestanforderung des GPA hinausgeht. So erlaubt Artikel 296 des EU-Vertrages die gemeinschaftliche Vergaberichtlinie bei Beschaffungen von Kriegsmaterial ausser Acht zu lassen, wenn wesentliche Sicherheitsinteressen berührt werden. Dazu heisst es in einem Green Paper der EU: «In der Praxis machen die Mitgliedstaaten bei nahezu jeder Beschaffung von Verteidigungsgütern mehr oder weniger automatisch von der Ausnahmeregelung des Artikels 296 Gebrauch, häufig ohne die im Vertrag und vom Gerichtshof hierfür festgelegten Voraussetzungen zu beachten.»50 Um dieser extensiven Auslegung der Ausnahmeregelung entgegenzutreten, welche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes widerspricht, hat die EU-Kommission Leit50

Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament über die Ergebnisse der Konsultation zum Grünbuch über die Beschaffung von Verteidigungsgütern und über künftige Initiativen der Kommission, Brüssel, 6. Dezember 2005.

3624

linien in Form einer Auslegungsmitteilung vorgelegt.51 Zusätzlich prüft die Kommission eine neue Richtlinie mit, flexibleren Regelungen, die den Besonderheiten der Beschaffung von Rüstungsgütern Rechung tragen.52 Dieser Befund macht auch deutlich, dass es in der Schweiz wie auch anderswo weniger um eine verstärkte Regulierung als vielmehr um die Klärung und Durchsetzung der bestehenden Regeln geht. Es wäre allenfalls auch zu prüfen, ob nicht gewisse formelle Vorschriften des offenen oder selektiven Verfahrens etwas weniger einschränkend zu formulieren wären, um eine etwas flexiblere Handhabung zu ermöglichen, ohne die beschaffungsrechtlichen Grundsätze zu gefährden. Entsprechende Ansätze werden in der Revision des Beschaffungsrechts diskutiert (z. B.

wettbewerblicher Dialog).

Deutlich mehr als 95 % des Beschaffungsvolumens vergibt Armasuisse, ohne dass eine Rekursmöglichkeit besteht. Der Bund gibt somit im Bereich der Rüstungsbeschaffung Milliarden aus, ohne dass unterlegene Offertsteller Anspruch auf eine materielle Prüfung der Einhaltung beschaffungsrechtlicher Vorgaben haben. Angesichts des finanziellen Volumens und im Interesse einer sachgerechten Auseinandersetzung drängt sich eine Überprüfung des Rechtsschutzes im Rahmen der laufenden Revision des Beschaffungsrechts auf.

3.2

Beschaffungsrecht vs. Sicherheitspolitik

Um die ausreichende Versorgung der Armee mit Rüstungsgütern auch in Krisenlagen sicherzustellen, ist aus sicherheitspolitischer Sicht die Existenz einer inländischen Industriebasis mit den entsprechenden Produktions- und Unterhaltskapazitäten für strategisch wichtige Rüstungsgüter unentbehrlich. Hier öffnet sich ein Zielkonflikt zu den beschaffungsrechtlichen Grundsätzen von Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit. Wenn diesen Grundsätzen konsequent nachgelebt wird, ist die Erhaltung einer schweizerischen Industriebasis nur solange gewährleistet, als diese wirtschaftlich günstigere Angebote als ausländische Lieferanten machen kann. Ist dies nicht der Fall, geraten sicherheitspolitische Ziele und beschaffungsrechtliche Grundsätze in Konflikt. Dieses Spannungsfeld gibt immer wieder Anlass zu Diskussionen, wie auch an zahlreichen parlamentarischen Vorstössen unterschiedlicher Stossrichtung deutlich wird. Einerseits wird die zu starke Gewichtung des Wettbewerbs (qualitativ ungenügende Billigimporte zu Lasten von Inlandaufträgen; zu grosse Auslandabhängigkeit) kritisiert, andererseits die mangelnde Umsetzung des Wettbewerbs («Heimatschutz» unter dem Deckmantel der Sicherheitspolitik).

Der Bundesrat nimmt den Konflikt in seinen Grundsätzen für die Rüstungspolitik des VBS auf und macht darin deutlich:

51

52

­

dass die Rüstungsbeschaffung den Grundsätzen des öffentlichen Beschaffungswesens untersteht,

­

dass Schweizer Industrie und Gewerbe gefordert sind, die für die Armee wesentliche Leistungen zu wettbewerbsfähigen Bedingungen zu gewährleisten, Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung zu Auslegungsfragen bezüglich der Anwendung des Artikels 296 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) auf die Beschaffung von Verteidigungsgütern, KOM(2006) 779 vom 7. Dezember 2006.

Pressemitteilung IP/06/1703, Brüssel, den 7. Dezember 2006

3625

­

dass Strukturpolitik nur in Betracht kommt, soweit sie aus sicherheitspolitischen Gründen notwendig ist,

­

dass Armasuisse entscheidet, in welchen Bereichen und in welcher Form die Schweizer Industrie beizuziehen ist. Basis für diese Entscheidungen seien die Kriterien gemäss den Grundsätzen der Rüstungspolitik (also z. B. Wettbewerbsfähigkeit, Strukturerhaltung nur bei sicherheitspolitischer Notwendigkeit) und die vom Auftraggeber Verteidigung geforderten strategischen Kernfähigkeiten.

Wann eine sicherheitspolitische Notwendigkeit gegeben ist, welche Strukturpolitik und damit die Abkehr vom Wettbewerbsprinzip zulässt, bleibt in der Rüstungspolitik offen. Es lassen sich drei Ansatzpunkte zur Konkretisierung identifizieren: ­

Potenzialanalyse «Schweizerische Rüstungsindustrie und Forschung im Rüstungsbereich»53,

­

die Eignerstrategie RUAG,

­

die erst vor kurzem erlassene Ausnahmebestimmung in Artikel 36 Absatz 2 Buchstabe f VoeB.

Potenzialanalyse Die vom Planungsstab extern in Auftrag gegebene Potenzialanalyse will den Technologiebedarf der Armee herleiten und Zielsetzungen für die Versorgung aus der Perspektive der Armee ableiten. Die Technologiedefinition auf der Makroebene soll als Leitfunktion für die Anforderung an die Industriebasis dienen. Der der PVK vorliegende Bericht umschreibt knapp den zukünftigen Fähigkeits- und Kompetenzbedarf und die entsprechenden zentralen Technologiefelder. Deren sicherheitspolitische Herleitung ist aber aus dem Bericht nicht ersichtlich. Vor allem liegt aber bis heute kein verbindlicher Entscheid vor, der basierend auf einer sicherheitspolitischen Würdigung der Studienergebnisse diejenigen Bereiche definiert, welche durch die inländische Industriebasis abzudecken sind.

Eignerstrategie RUAG Gemäss dem Bundesgesetz über die Rüstungsunternehmen des Bundes (BGRB)54, welches auf die verselbständigte RUAG gemünzt ist, kann der Bund zur Sicherstellung der Ausrüstung der Armee Rüstungsunternehmen betreiben (Art. 1 BGRB).

Weiter steht im Gesetz, dass diese Unternehmen unter Beachtung marktwirtschaftlicher Grundsätze Aufträge des VBS wahrnehmen können (Art. 2 BGRB). Da die RUAG, wie vom BGRB vorgesehen, als Beteiligungsgesellschaft im Besitz des Bundes konstituiert ist, kann der Bund die Ausrichtung der RUAG auf die Rüstungsbedürfnisse der Armee über die Wahrnehmung seiner Aktionärsrechte steuern.

Als Instrument hierzu formuliert der Bundesrat eine Eignerstrategie. In der aktuellen Eignerstrategie (2007) sind in Kapitel 3 denn auch entsprechende Schwerpunkte festgelegt (z. B. Instandhaltung, Munitionsproduktion oder Unterstützung im Bereich von Führungsinformationssystemen).55 Viele unserer Gesprächpartner sehen diese Festlegungen als implizite Definition von Leistungen, die aus sicherheits53 54 55

Vertraulicher Bericht (Foliensatz) vom Januar 2006, erstellt von Booz, Allen, Hamilton.

SR 934.21 Die Eignerstrategie, die auf eine Dauer von vier Jahren angelegt ist, bildet keine Rechtsquelle, sondern bindet nur die mit der Umsetzung der Eignerstrategie betrauten Stellen.

3626

politischen Überlegungen zwingend durch die inländische Industriebasis zu erbringen sind.

Wie die Diskussion des Geschäftsberichts der RUAG in den zuständigen parlamentarischen Gremien ergeben hat, wurden diese Grundsätze bis anhin nach dem «bottom-up»-Prinzip von der RUAG selber entwickelt. Für die Periode 2007­2010 wurde die Eignerstrategie erstmals top-down, vom Besitzer Bund her definiert. Erst nach über einjährigen Diskussionen konnte sich der Besitzer Bund mit der Unternehmensleitung über die strategischen Ziele einigen. Wie weit im Ergebnis sicherheits- oder finanzpolitische Interessen des Bundes einerseits sowie geschäftspolitische Interessen der RUAG andererseits zum Ausdruck kommen, bedürfte vertiefter Abklärungen. Zu grossen Teilen scheinen aber die strategischen Schwerpunkte noch immer durch bestehende Kompetenzen der RUAG und den vom Bund im Rahmen einzelner Rüstungsvorhaben eingegangen Verpflichtungen und weniger von einer verteidigungspolitischen Strategie geprägt zu sein.

Festzuhalten ist, dass die Auflistung von Schwerpunkten in der Eignerstrategie der RUAG nicht als (teilweise) Umschreibung der zwingend im Inland sicherzustellenden Kompetenzbereichen dienen kann. Die Eignerstrategie müsste vielmehr Ausfluss als Ersatz einer übergeordneten sicherheitspolitischen Strategie sein. Andernfalls würde das Pferd am Schwanz aufgezäumt.

Nur am Rande sei vermerkt, dass auch im Bereich der Schwerpunkte der Eignerstrategie das Primat von Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit gilt: Zu beschaffen ist beim Anbieter, der das wirtschaftlichste Angebot erbringt. Zumindest ist von der RUAG zu verlangen, dass sie ihre Leistungen zu wettbewerbsfähigen Preisen erbringt.56 Dass dies nicht immer der Fall ist, zeigt sich auch daran, dass der Bund in der neusten Strategie eine substantielle Senkung der Preise für Instandhaltungsarbeiten verlangt. Ein Abrücken von der Wirtschaftlichkeit ist gemäss den rüstungspolitischen Grundsätzen des Bundesrates nur möglich, wenn dies aus sicherheitspolitischen Gründen notwendig ist. Diese Ausnahme vom Regelfall hat der Bundesrat mit der Revision der VoeB vom April 2007 rechtlich verankert.

Ausnahmebestimmung in Art. 36 Abs. 2 Bst. f VoeB Die Ausnahmebestimmung erlaubt freihändige Vergaben als Instrument einer sicherheitspolitisch motivierten Strukturpolitik, wenn dies zum Erhalt von inländischen Unternehmen, die für die Landesverteidigung wichtig sind, unerlässlich ist.

56

Dies ergibt sich aus dem Beschaffungsrecht, den rüstungspolitischen Grundsätzen des Bundesrates und Artikel 2 des BGRB. Zudem hat auch der Bundesrat klar festgehalten, dass weder die Rüstungspolitik noch die Eignerstrategie Subventionierungen der RUAG vorsehen (vgl. dazu 02.3782 Ip. Subventionsverträge zur Stützung der eigenen Rüstungsindustrie [N 13.12.2002, Baumann]).

3627

Der Bundesrat hat in Antworten auf parlamentarische Vorstösse57 seine Auffassung betont, wonach die Ausnahmeregelung eng formuliert ist. Der Chef des VBS hat zudem in einem Schreiben vom 6. Juli 2006 an den Rüstungschef festgehalten, dass Entscheide über die Anwendung des Ausnahmeartikels auf Antrag des Rüstungschefs durch den Chef VBS zu fällen sind. Im Schreiben wird Armasuisse zudem beauftragt, Ausführungsbestimmungen zur Anwendung des Ausnahmeartikels zu erarbeiten und im Managementsystem zu hinterlegen. Im Mai 2007 war dieser Auftrag noch pendent, er soll aber gemäss Aussagen des Rechtsdienstes von Armasuisse bis Sommer 2007 umgesetzt werden. Bisher ist die Anwendung des Ausnahmeartikels gemäss Aussage von Armasuisse erst in einem Fall (Beschaffung PC 21) erfolgt und in einem weiteren Fall (Beschaffung Duro) erwogen worden. Jeder Antrag zur Anwendung des Ausnahmeartikels wird vom Rechtsdienst Armasuisse gemäss den Vorgaben in einer Notiz an den Chef VBS beurteilt. Darin wird die Formulierung «zum Erhalt von inländischen Unternehmen unerlässlich» wie folgt ausgelegt: «Diese Anwendungsbedingung bedeutet, dass der betreffende Rüstungsauftrag für den Bund rüstungs- und sicherheitspolitisch relevant ist und dass durch diesen Auftrag die Weiterführung der Rüstungsproduktion des betreffenden Unternehmens mittel- bis langfristig gesichert wird. Diese Voraussetzung kann beispielsweise dann erfüllt sein, wenn der Bund als Erstkäufer entscheidend zum Erfolg des betreffenden Waffensystems und damit u. a.

zur Amortisation der Entwicklungskosten beiträgt. Nicht gefordert ist dagegen, dass ohne den betreffenden Auftrag ein Konkurs zu befürchten wäre. Es wäre auch nicht sinnvoll, Unternehmen, die ohnehin wirtschaftlich vor dem Abgrund stehen, durch Aufträge des Bundes künstlich am Leben zu erhalten.» Im ganzen Text nicht erläutert wird die (einschränkende) Forderung, dass ein Unternehmen für die Landesverteidigung wichtig sein muss. Dass der entsprechende Auftrag rüstungs- und sicherheitspolitisch relevant ist, ist nicht dieselbe, und vor allem die offenere und weniger strenge Anforderung. Zudem bleibt weiterhin unklar, wie die Bedingungen «rüstungs- und sicherheitspolitisch relevant» bzw. «für die Landesverteidigung wichtig» auszulegen sind. Insgesamt gelangen wir also zur Ansicht, dass die Ausnahmebestimmung,
anders als vom Bundesrat angeführt, einen grossen Interpretationsspielraum lässt.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie mit dem vorhandenen Interpretationsspielraum in der konkreten Auslegung der Bestimmung umgegangen wird. Wir diskutieren diese Frage anhand der Beschaffung eines Jetpiloten-Ausbildungssystems im Rahmen des Rüstungsprogramms 2006. Dabei stützen wir uns auf die Ergebnisse einer Revision, welche vom Finanzinspektorat von Armasuisse durchgeführt wurde.58 Der Bericht macht nicht nur die Anwendung der Ausnahmebestimmung, sondern auch deren Entstehung deutlich.

57

58

06.3384 Mo. Direktvergaben für Rüstungsaufträge. Wettbewerb wiederherstellen (N 23.06.2006, Kiener-Nellen).

06.3390 Ip. Teilrevision von Artikel 36 der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (N 23.06.2006, Baumann).

Prüfbericht der Internen Revision Nr. 2006/12 vom 5.7.2006 (vertraulich).

3628

Die Planung sah vor, im Rahmen des Rüstungsprogramms 2006 ein JetpilotenAusbildungssystem zu beschaffen.59 Aufgrund der Abklärungen im Rahmen der Vorhabensplanung kamen dafür grundsätzlich drei Flugzeuge von konkurrierenden Anbietern in Frage. Seitens des Auftraggebers bestand aber der Wunsch, direkt einen PC-21 zu beschaffen. Das zuständige Aufsichtsgremium stellte am 23. August 2005 in Übereinstimmung mit der Projektkommission fest, dass keine ausreichenden Argumente für die Eingrenzung auf den PC-21 vorliegen, und somit das Einladungsverfahren zwingend anzuwenden ist. Der Abschluss eines entsprechenden Verfahrens würde aber die Verschiebung des Vorhabens auf das Rüstungsprogramm 2007 zur Folge haben. Am 4. November 2005 entschied der Vorsteher VBS jedoch, die Beschaffung des PC-21 als mögliches Vorhaben im Rüstungsprogramm 2006 weiterbearbeiten zu lassen. Er hat dazu zwei Gutachten in Auftrag gegeben: ­

Prüfung der rechtlichen Aspekte einer Auftragsvergabe: Das Gutachten kam zum Schluss, dass unter den geltenden rechtlichen Bedingungen eine Wettbewerbssituation zu schaffen sei.

­

Leistungsvergleich des PC-21 im Vergleich zu Konkurrenten: Der Bericht vom 13. 1. 2006 beurteilte alle drei untersuchten Konkurrenten als potenzielle Kandidaten, wobei kein Produkt die militärischen Anforderungen vollständig zu erfüllen vermochte. Der Bericht hat sich auf keinen Typ festgelegt.

Aufgrund der beiden Berichte hat der Chef des Planungsstabs entschieden, das Vorhaben PC-21 für die Ämterkonsultation aus dem Botschaftsentwurf für das Rüstungsprogramm 2006 zu streichen. Am 26. April 2006 erliess der Bundesrat auf Antrag des VBS die oben angeführte Ausnahmebestimmung. Auf dieser Grundlage wurde der Auftrag freihändig an die Pilatus vergeben und die PC-21-Beschaffung in die Rüstungsbotschaft zuhanden des Parlaments aufgenommen. Kurz: die Rechtsgrundlage wurde vom Bundesrat geändert, um den PC-21 ohne Ausschreibung beschaffen zu können.

Es stellt sich nun die Frage, ob die neu geschaffene Ausnahmebestimmung im vorliegenden Fall korrekt angewendet wurde.

Die Ausnahmebestimmung für freihändige Vergaben ist explizit nur für Beschaffungen von Kriegsmaterial anwendbar. In der Praxis der für die Exportkontrollen im SECO zuständigen Stellen handelt es sich beim PC-21 klarerweise nicht um Kriegsmaterial gemäss Artikel 5 KMG (und Anhang KMV).60 Teilt man diese gut begründete Auffassung, ist der Ausnahmeartikel gar nicht anwendbar und damit auch die freihändige Beschaffung nicht rechtskonform.

Lässt man das Problem der Anwendbarkeit aussen vor, bleibt die Frage nach der Auslegung der Ausnahmebestimmung. Zu klären ist, ob die freihändige Vergabe zum Erhalt von inländischen Unternehmen, die für die Landesverteidigung wichtig sind, im vorliegenden Fall tatsächlich unerlässlich war. Das Finanzinspektorat von Armasuisse hält dazu fest:

59 60

Mit negativem Resultat geprüft wurde auch eine Mietlösung.

Vgl. dazu Ausführungen in den Kapiteln 3.1.1, 3.1.3 und 3.1.4 (Verfahrenswahl) sowie das Protokoll der Debatte des Nationalrats zur Revision KMG vom 6. März 1996 (fehlender Kriegsmaterialcharakter von Pilatus-Flugzeugen).

3629

«Ob die Pilatuswerke ein für die Landesverteidigung wichtiges Unternehmen sind und somit in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, ist u. E. eine Ermessensfrage, da die Kriterien nicht definiert sind.» Neben der Wichtigkeit für die Landesverteidigung ist auch zu klären, ob die Beschaffung des PC-21 tatsächlich notwendig war, um die entsprechende Firma, bzw.

deren Kernkompetenz in der Schweiz zu erhalten. Tatsache ist, dass Pilatus mit dem PC-21 auf dem Weltmarkt mittlerweile erfolgreich agiert.61 Wie existentiell dieser Durchbruch für das Unternehmen war und welchen Beitrag die Erstbeschaffung durch die Schweizer Armee hierzu geliefert hat, muss an dieser Stelle offen bleiben.

Vor dem geschilderten Hintergrund ist die Vermutung nicht ganz von der Hand zu weisen, dass letztlich eher wirtschafts- oder industriepolitische als sicherheitspolitische Überlegungen im Vordergrund standen und dazu führten, dass der Bund die Rolle eines im internationalen Geschäft wichtigen «Launch Customers» für den PC-21 übernommen hat. Für diese Interpretation spricht auch die Argumentation des Bundesrates in der Rüstungsbotschaft 2006: «Für ein freihändiges Verfahren sprechen auch rüstungs- und beschäftigungspolitische Gründe. Die Unterstützung eines High-Tech-Unternehmens in der Zentralschweiz ist von regionalpolitischem, wenn nicht nationalem wirtschaftlichen Interesse.»62 Zwar sind positive wirtschaftspolitische Nebeneffekte einer Beschaffung hochwillkommen, als Begründung für die Inanspruchnahme der Ausnahmebestimmungen für eine freihändige Vergabe sind sie rechtlich aber nicht relevant.

Störender als die Ausnahmebestimmung an sich ist die Tatsache, dass bei deren Anwendung, anders als vom Bundesrat dargestellt (vgl. oben), ein grosser Ermessensspielraum besteht. Aus unserer Sicht zeigt der Fall PC-21 exemplarisch, dass sich die Ausnahmebestimmung für die freihändige Vergabe fast beliebiger Rüstungsaufträge heranziehen lässt, sofern diese an einen Schweizer Anbieter gehen.

Die bisher vorliegenden Formulierungen und Grundlagen bringen nicht in allen Punkten die nötige Klärung und Konkretisierung der Ausnahmebestimmung.

Zwischenfazit Insgesamt ist die aktuelle Situation aus rechtsstaatlicher Perspektive unbefriedigend.

Über die Notwendigkeit einer sicherheitspolitisch motivierten Begünstigung der inländischen
Industrie wird von Fall zu Fall entschieden. Es existiert keine angemessen konkretisierte Strategie, an der sich diese Einzelfallentscheide orientieren könnten. Damit wird das rechtsstaatliche Prinzip eines berechenbaren, auf Regeln basierenden Handelns der Verwaltung gefährdet. Vergleichbare Fälle sollen aufgrund sachlicher Kriterien immer gleich behandelt werden. Offen formulierte Normen auf Gesetzesstufe entbinden die Vollzugsträger keinesfalls von dieser Verpflichtung.

61

62

Gemäss der Neuen Luzerner Zeitung vom 13. April 2007 akquirierte Pilatus neben dem Auftrag für 6 Trainer PC 21 für die Schweizer Armee auch einen Grossauftrag aus Singapur für 19 Trainer PC 21 (inkl. logistische Unterstützung für 20 Jahre).

BBl 2006 5392 Die Beschaffung im Rahmen des Rüstungsprogramms 2006 ermöglichte auch, noch vorhandene Zahlungskredite auszuschöpfen. Bei Durchführung eines Einladungsverfahrens wäre dies aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen.

3630

Im Fall der Eignerstrategie RUAG ist eine über den Einzelfall hinausreichende Grundlage für Teilbereiche vorhanden. Allerdings fehlt eine sicherheitspolitische Begründung bzw. die Einbettung im Rahmen einer entsprechenden Gesamtstrategie.

Auf eine solche Strategie liessen sich in Anwendung des Ausnahmeartikels der VoeB unter Umständen auch Direktvergaben an die RUAG abstützen ­ allein aufgrund einer entsprechenden Schwerpunktsetzung in der Eignerstrategie lassen sich Direktvergaben an die RUAG rechtlich kaum begründen.

Das Fehlen klarer Vorgaben führt dazu, dass die Ausnahmebestimmung für verteidigungspolitisch motivierte freihändige Vergaben (Art. 36 Abs. 2 Bst. f VoeB) einen grossen Ermessensspielraum beinhaltet. Angesichts des fehlenden Rechtsschutzes werden auch die Gerichte keine entsprechende Linie entwickeln und die notwendige Klärung nicht erbringen. Selbst die Tatsache, dass für die Inanspruchnahme der Ausnahmebestimmung ein Entscheid auf Stufe des Departementchefs notwendig ist, löst das rechtsstaatliche Problem nicht auf angemessene Weise: Transparenz über die Entscheidungskriterien ist in einem Rechtsstaat auch auf höchster Stufe einzufordern.

3.3

Rüstungsbeschaffung und Aussenpolitik

Die zunehmende Technologisierung der Rüstungsgüter, die Internationalisierung und Spezialisierung des Rüstungsmarktes und steigende Entwicklungskosten (bei gleichzeitig stagnierenden oder sinkenden Verteidigungsetats) verstärken die Bedeutung von Rüstungsimporten und von internationaler Kooperation in diesem Bereich.

Die internationale Rüstungskooperation und deren Interdependenzen mit der Aussenpolitik können im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht erschöpfend behandelt werden.63 Wir beschränken und deshalb entsprechend dem ausdrücklichen Wunsch aus der zuständigen Subkommission der GPK-N auf die Frage, wie die Schweizer Rüstungsbeschaffung Lieferanten aus aussenpolitisch sensiblen Ländern 63

Internationale Rüstungskooperationen suchen die Zusammenarbeit im Rahmen der Forschung und Entwicklung, des Erfahrungsaustauschs, gemeinsamer Beschaffungen oder der Instandhaltung. Rüstungskooperationen der Schweiz basieren auf dem Abschluss von Memorandums of Understanding (MOU) mit verschiedenenen Staaten. Solche MOU bestehen mit allen Nachbarländern, sowie mit Norwegen, Schweden, Finnland, USA, UK und Spanien. Der Bundesrat muss den vom Rüstungschef beantragten MOU zustimmen.

Armasuisse bzw. der Rüstungschef beschliesst dann im Rahmen dieser MOU über konkret umzusetzende Einzelprojekte. Auch bezüglich multilateraler Kooperationen geht man diesen Weg. Diese Praxis ist nach Meinung des Rechtsdienstes von Armasuisse im geltenden RVOG/RVOV genügend abgestützt, weil die MOU als Verträge von beschränkter Tragweite zu qualifizieren seien (vgl. dazu auch die Antwort des Bundesrates auf die Motion 03.3585 Internationale Verträge - Ordentliches Verfahren (N 11.11.2003, Aussenpolitische Kommission Minderheit Banga). Diese Sicht ist allerdings in der Verwaltung umstritten: Andere Departemente monieren die (angeblich) fehlende Rechtsgrundlage. Aus diesem Grund soll die aktuelle Praxis im Rahmen der Revision des Militärgesetztes auch spezialgesetzlich verankert werden. Festzuhalten ist, dass die bilaterale und die multilaterale Rüstungskooperation bis heute keine spezialgesetzliche Grundlage hat.

Aus Sicht des Bundesrates (vgl. Antwort Mo. 03.3585) ist die parlamentarische Kontrolle mit der Berichterstattung über die abgeschlossenen MOU und der Genehmigung der konkreten Rüstungsvorhaben durch das Parlament gegeben. Tatsächlich sind in den jeweiligen Rüstungsbotschaften die Lieferanten und deren Herkunftsländer genannt. Nicht gegeben ist diese Transparenz aber bei Kreditanträgen für Rüstungsvorhaben, die aus anderen Krediten finanziert werden (etwa bei PEB-Krediten für Entwicklungsvorhaben).

3631

im Rahmen konkreter Beschaffungsvorhaben behandelt. Angesprochen sind hier vor allem allfällige Importe aus Ländern, die Krieg führen oder die Menschenrechte systematisch verletzen.

Besondere Vorschriften für die Einfuhr von Rüstungsgütern bestehen im Kriegsmaterialgesetz sowie im Güterkontrollgesetz (GKG)64. Als Instrumente sind in beiden Gesetzen vor allem Kontrollmassnahmen, Melde- und Bewilligungspflichten vorgesehen. Allerdings sind die entsprechenden Vorschriften für die ausländische Beschaffung von Armasuisse gar nicht oder kaum relevant: ­

Die Einfuhr von Kriegsmaterial für die Schweizer Armee ist explizit vom Geltungsbereich des KMG ausgenommen.

­

Das GKG hingegen betrifft Rüstungsgüter, die nicht Kriegsmaterial sind, aber technisch als Dual-Use und als besondere militärische Güter bezeichnet werden.65 Allerdings setzt die Anwendung der entsprechenden Bewilligungspflichten und Kontrollmassnahmen für Einfuhren eine spezifische Grundlage in anderen Rechtsakten voraus.66 Gemäss Auskunft von Armasuisse ist es bei der Einfuhr von Armeematerial in den letzten 10 Jahren noch nie zur Anwendung einer Bewilligungspflicht gemäss GKG gekommen.

Die rechtlichen Grundlagen lassen der Exekutive also grossen Spielraum in der Frage, wie die hier in Frage stehende Einfuhr von Rüstungsgütern auf aussenpolitische Interessen abzustimmen ist. Auch die Grundsätze des Bundesrates für die Rüstungspolitik verlangen lediglich, dass die Grenzen der internationalen Kooperation durch die Aussen- und Sicherheitspolitik bestimmt werden und die neutralitätspolitischen Rahmenbedingungen einzuhalten sind.

Hier stellt sich die Frage, wie die «aussenpolitische Verträglichkeit» eines bestimmten Lieferanten bzw. dessen Herkunft bei der Beschaffungsvorbereitung geprüft wird. Gemäss Aussagen des Rüstungschefs findet ein monatliches Treffen mit dem zuständigen Staatssekretär im EDA statt, an dem entsprechende Fragen erörtert werden. Aus Sicht des Rüstungschefs ist es wichtig, hier gewisse Spielräume zu haben, um sicherheitspolitische und aussenpolitische Interessen optimal verwirklichen zu können.

64 65

66

SR 946.202 Definitionen gemäss Artikel 3 Güterkontrollgesetz: ­ doppelt verwendbare Güter (Dual-Use-Güter): Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können; ­ besondere militärische Güter: Güter, die für militärische Zwecke konzipiert oder abgeändert worden sind, die aber weder Waffen, Munition, Sprengmittel noch sonstige Kampf- oder Gefechtsführungsmittel sind, sowie militärische Trainingsflugzeuge mit Aufhängepunkten.

Gemäss GKG kann der Bundesrat Bewilligungspflichten und Kontrollmassnahmen u. a.

für die Einfuhr von Dual-Use- und anderen militärischen Gütern verlangen, wenn dies der Durchführung internationaler Abkommen, der Unterstützung völkerrechtlich nicht verbindlicher internationaler Kontrollmassnahmen und der Durchführung von Massnahmen nach dem Embargogesetz dient.

3632

Es bestehen aber keine konkreten Richtlinien für die Prüfung allfälliger Interessenkonflikte und schon gar nicht irgendwelche Listen von Ländern, welche bereits bei der Erstellung von Longlists im Rahmen des Beschaffungsverfahrens zur Anwendung kommen würden.67 Einzig im Fall von Israel fordert eine interne Arbeitsanweisung, dass vor Aufnahme der ersten Geschäftskontakte mit israelischen Firmen bzw. Regierungsstellen im Rahmen eines neuen Vorhabens, die Genehmigung des Rüstungsausschusses einzuholen sei.68 Am Fall von Rüstungsbeschaffungen aus Israel, auf die wir im Folgenden etwas näher eingehen, wird auch der stark am Einzelfall orientierte, situative Ansatz deutlich.

Der Bundesrat schreibt im Jahr 2002 in seiner Antwort auf ein Postulat,69 dass er bereits angelaufene Rüstungsvorhaben mit Lieferanten aus Israel aus übergeordneten Interessen nicht abbrechen könne, er aber angesichts der Lage im Nahen Osten grosse Zurückhaltung in den militärischen Beziehungen zu Israel üben wolle. Weiter schreibt der Bundesrat: «Der Bundesrat hat indessen am 10. April 2002 beschlossen, in Bezug auf die Planung künftiger Rüstungsbeschaffungen die Möglichkeit von Einschränkungen zu prüfen. Diese Überprüfung ist permanenter Natur: Sie ist nicht Gegenstand eines spezifischen Berichtes, sondern integraler Teil der allgemeinen Rüstungsplanung, und insbesondere der Erarbeitung der jährlichen Rüstungsprogramme, und schliesst als wichtigste Kriterien die Bedürfnisse der Armee, die internationale Angebotslage und politische Rahmenbedingungen ein.» Im Ergebnis hat die Prüfung nicht dazu geführt, dass Israel als Lieferant ausgeschlossen wurde. Bei zwei Beschaffungsvorhaben, die im Rahmen dieser Untersuchung vertieft analysiert wurden (FIS-Heer und Kurzwellenfunksystem SE-240), wurden im Februar 2003 bzw. Juli 2003 israelische Hersteller zur Offertstellung eingeladen. Es hat sich dabei gemäss Interviewaussagen aber die Praxis etabliert, israelische Firmen dazu anzuhalten, nicht als Generalunternehmer oder Hauptauftragnehmer zu offerieren, sondern im Rahmen eines Konsortiums mit Herstellern aus anderen Ländern.

Dass die Überprüfung der «politischen Verträglichkeit» von Rüstungslieferanten erst zu einem späten Zeitpunkt erfolgt, nämlich bei der Behandlung eines entsprechenden Antrags im Rahmen von Rüstungsprogrammen, lässt
sich auch aus einer Antwort des Bundespräsidenten auf eine Anfrage zu Rüstungskäufen in Israel herauslesen: «Im VBS wird am Entwurf für das Rüstungsprogramm 2005 gearbeitet, wie es in jedem Jahr der Fall ist für das Rüstungsprogramm des laufenden Jahres. Eine Option für das Rüstungsprogramm besteht in der Tat darin, Komponenten für ein integriertes Funkaufklärungs- und Sendesystem aus Israel zu beziehen. Wenn der Bundesrat sich mit einem konkreten Antrag des VBS für das Rüstungsprogramm 2005 befassen wird, wird er alle relevanten As67

68 69

Dies etwa im Gegensatz zum Bereich der Rüstungexporte, wofür das Staatssekretariat für Wirtschaft Länderlisten mit differenzierten Anforderungen an die jeweiligen Exportkontrollen führt.

Nur am Rande sei vermerkt, dass dieses Gremium nicht mehr existiert.

02.3179 Po. Die Schweiz und der Nahostkonflikt vom (N 15.04.2002, Sozialdemokratische Fraktion).

3633

pekte ­ Bedürfnisse der Armee, internationale Angebotslage und politische Rahmenbedingungen ­ in seine Beurteilungen einbeziehen.»70 Wie genau diese Prüfung gemacht wurde, konnte im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht ermittelt werden. Die Frage ist, ob zu einem so späten Zeitpunkt eine Umkehr überhaupt noch realistisch ist. Mit Sicherheit müssten für einen solchen Entscheid sehr gewichtige aussenpolitische Argumente in die Waagschale geworfen werden. Der PVK ist kein entsprechender Entscheid bekannt.

Als der Entscheid über die Aufnahme des genannten israelischen Aufklärungssystems beantragt wurde, korrigierte der Bundesrat nicht den Beschaffungsentscheid, sondern nuancierte im Juni 2005 seine Haltung gegenüber Lieferungen aus Israel: «Aufgrund der positiven Entwicklung der letzten Monate in der Region und vor allem des am Gipfel von Sharm-el-Sheikh von den Konfliktparteien beschlossenen Waffenstillstandsabkommens beschloss der Bundesrat am 11. März 2005, seine Haltung hinsichtlich von Käufen aus Israel im Lichte der militärischen Bedürfnisse der Schweiz zu überprüfen. Im Rahmen des Rüstungsprogramms 2005 hat der Bundesrat am 25. Mai 2005 über die Beschaffung eines integrierten Funkaufklärungs- und Sendesystems entschieden, dessen Bestandteile zum Teil von einer israelischen Firma stammen.

Der Kauf ist das Resultat einer Interessensabwägung im Lichte der genannten Entwicklungen.»71 Zwischenfazit Die Prüfung der «aussenpolitischen Verträglichkeit» des Imports von Rüstungsgütern aus bestimmten Ländern ist sehr stark situativ und am Einzelfall orientiert und erfolgt sehr spät im Prozess. Es bestehen anders als im Falle der Exportkontrollen von Rüstungsgütern keine klaren Richtlinien für entsprechende Prüfungen. Ob die fallorientierte Praxis in vergleichbaren Fällen auch vergleichbare Entscheide zu garantieren vermag, lassen wir hier ebenso offen, wie die Frage, ob die Antworten des Bundesrates auf entsprechende parlamentarische Vorstösse auf eine kohärente Interessenabwägung schliessen lassen.

Festzuhalten ist aber, dass die im Planungs- und Beschaffungsprozess sehr spät angesetzte Prüfung de facto zu einer Privilegierung der militärischen Bedürfnisse gegenüber aussenpolitischen Erwägungen führen dürfte.

3.4

Parlamentarische Steuerung

In diesem Kapitel stellen wir die Frage, ob das Parlament über angemessene Möglichkeiten zur Steuerung der Rüstungsbeschaffung verfügt.

Das Parlament hat auf die Rüstungsplanung, also bei der Definition der Fähigkeitslücken und der Ableitung der entsprechenden materiellen Bedürfnisse der Armee im Rahmen der Masterplanung keinen direkten Einfluss. In jüngster Zeit werden die Sicherheitspolitischen Kommissionen (SiK) zwar im Rahmen eines Seminars über die mittel- und langfristigen Planungen orientiert. Diese Information erfolgt aber

70 71

05.5059 Fra. Rüstungskäufe in Israel (N 14.03.2005, Hollenstein).

05.1024 A Neue Rüstungskäufe in Israel (17.03.05, Vermot-Mangold).

3634

informell und ist mit keinerlei formellen Entscheiden oder Stellungnahmen des Parlaments verbunden.

Der parlamentarische Einfluss konzentriert sich auf die Phase der Rüstungsbeschaffung. Konkret nimmt das Parlament über die Beschaffungskredite direkten Einfluss auf die Rüstungsbeschaffung. Hierbei ergeben sich je nach Art der Beschaffung wichtige Unterschiede.

Aufwendungen, die im Rahmen der Beschaffungsvorbereitungen anfallen, werden aus dem Kredit für Projektierung, Erprobung und Beschaffungsvorbereitung (PEB) finanziert (rund 120 Mio. Fr. pro Jahr). Grössere Vorhaben werden im Dokument «Materielle Sicherstellung der Armee» kurz beschrieben und der entsprechende Aufwand in eigenen PEB-Positionen ausgewiesen. Hier hat das Parlament also die Möglichkeit, konkrete Beschaffungsvorhaben relativ früh zu beeinflussen und zu verhindern, dass grosse Aufwände für die Erprobung von Rüstungsgütern getätigt werden, welche politisch nicht erwünscht sind. Diese Steuerungsmöglichkeit ist aber in verschiedener Hinsicht zu relativieren: ­

Die Informationen, die den Parlamentarieren abgegeben werden, sind eher knapp gehalten und sind geprägt von Abkürzungen und militärplanerischem Jargon. Für Nichteingeweihte sind die Informationen trotz gewissen Verbesserungen in der Eingabe für das Budget 2007 kaum verständlich. Problematisch ist vor allem, dass die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Begehren und ihr übergeordneter Zweck zu wenig zum Ausdruck kommen.

­

Die entsprechenden Kredite werden im Rahmen des ordentlichen Voranschlags durch die Finanzkommissionen (bzw. deren Subkommissionen) beraten. Die sicherheitspolitischen Kommissionen behandeln diese Kreditanträge nicht.

­

Die Vorbereitung vieler Beschaffungen wird aus allgemeinen PEB Krediten finanziert. Diese Vorhaben sind für das Parlament also nicht frühzeitig erkennbar.

Die Mittel für die Beschaffung finanziell und/oder politisch weniger bedeutender Rüstungsgüter werden aus den Krediten AEB, EIB, AMB finanziert. Insgesamt stammen fast die Hälfte der jährlichen Rüstungsausgaben aus solchen Krediten (vgl.

dazu Abbildung 3, Seite 34). Auch diese Kredite werden nur von den Finanzkommissionen, nicht aber den SiK vorberaten und vom Parlament im Rahmen des ordentlichen Voranschlags genehmigt. Im Rahmen der gesprochenen Kredite entscheidet der Rüstungschef in Absprache mit dem Chef der Armee über die Vergabe der entsprechenden Aufträge.

Als Entscheidungsgrundlage für die Kreditgenehmigung durch das Parlament dient wiederum das Dokument «Materielle Sicherstellung der Armee.» Für einen Aussenstehenden ist es, wie bei den PEB-Vorhaben, sehr schwierig, sich ein klares Bild über die beabsichtigten Beschaffungen, deren militärischen Zweck und bestehende Interdependenzen zu machen.

Grössere und politisch heikle Beschaffungsvorhaben müssen dem Parlament im Rahmen der Rüstungsbotschaft (Rüstungsprogramm) separat vorgelegt werden. Als grobe Richtlinie gilt, dass Geschäfte mit einem Umfang von mehr als 20 Millionen Franken und/oder Projekte, die Teil einer Neuausrichtung sind, in ein Rüstungsprogramm aufgenommen werden. Rund die Hälfte der Rüstungsausgaben werden auf diesem Weg ausgelöst (vgl. dazu Abbildung 3, Seite 34).

3635

Basis der Rüstungsbotschaft bildet im Regelfall ein unterschriftsbereiter Kaufvertrag. Die Wahl des konkret zu beschaffenden Rüstungsguts (Typenwahl) und die Firmenwahl muss also bereits getroffen werden, bevor das Parlament die entsprechenden Kredite spricht. Erst nach der Zustimmung des Parlaments zum entsprechenden Verpflichtungskredit im Rahmen der Behandlung der Rüstungsbotschaft (Rüstungsprogramm) kann Armasuisse den Kaufvertrag unterschreiben und das Geschäft abwickeln. Die Rüstungsbotschaft wird von den SiK beider Räte behandelt, wobei die Finanzkommissionen einen Mitbericht schreiben.72 Im Vergleich zu den Anträgen in der «Materiellen Sicherstellung der Armee» sind die Vorhaben in den Rüstungsbotschaften im Allgemeinen gut und verständlich dargestellt. Positiv hervorzuheben ist, dass in der Botschaft zum Rüstungsprogramm 2006 die Zusammenhänge zu anderen Vorhaben und die im Rahmen der Beschaffungsvorbereitung getätigten Ausgaben ausgewiesen werden. Zum Teil sind aber auch die Ausführungen in der Rüstungsbotschaft «unvollständig und wenig empfängerorientiert», wie das Finanzinspektorat von Armasuisse in einer Revision zum Rüstungsprogramm 2006 feststellt. In der Ausführung zum FIS-Heer fehlen die Angaben zu kommenden Ausbauschritten. Zudem bestehen Fragezeichen bezüglich der Offenlegung von Projektrisiken. Einerseits sind aus externer Sicht auch nach der Genehmigung der Botschaft noch erhebliche Risiken vorhanden (Funkübermittlung von Daten), andererseits ist die Risikobewertung in der Botschaft optimistischer als in internen Dokumenten, die nur unwesentlich älter sind als die Rüstungsbotschaft.

Zwischenfazit Der parlamentarische Einfluss ist fast nur in der Phase der Rüstungsbeschaffung von Bedeutung und bleibt in der Rüstungsplanung nur marginal. Dabei fällt auf, dass die Sicherheitspolitischen Kommissionen erst spät in den formellen Entscheidungsprozess über politisch wichtige Beschaffungen eingreifen und das Parlament noch zu einem sehr späten Zeitpunkt Beschaffungsvorhaben abbrechen kann, in die schon sehr viel Vorbereitungsaufwand geflossen ist. Vor diesem Hintergrund erheben auch viele unserer Gesprächspartner die Forderung, dass die Rüstungsbeschaffung wie andere Politikbereiche (Entwicklungszusammenarbeit) über Rahmenkredite zu steuern sei ­ eine Idee die auch von der Politik
aufgenommen wurde.73 Es liegt auf der Hand, dass ein solches Vorgehen mehr Flexibilität und Planungssicherheit geben und die politische Einflussnahme auf einen früheren Zeitpunkt legen würde. Zudem würde verhindert, dass das Parlament über technische Detailfragen diskutiert, welche nicht seiner Kernkompetenz entsprechen. Allerdings ist der Entscheid für ein bestimmtes Rüstungsgut eines bestimmten Lieferanten nicht rein technischer oder kommerzieller Natur. Vielmehr kann diese Entscheidung heikle politische Interessenabwägungen implizieren (z. B. Beschaffungen aus aussenpolitisch sensiblen Ländern). Mit der Steuerung über Rahmenkredite werden entsprechende Entscheide weitgehend an Regierung und Verwaltung delegiert. Wie in den beiden vorangehenden Kapiteln gezeigt wurde, hat das VBS bisher keine ausreichend klaren und verbindlichen Kriterien oder Richtlinien entwickelt, an denen sich diese Entscheide im Einzelfall auszurichten haben.

72

73

Mit den Rüstungsprogrammen wird ein Verpflichtungskredit beantragt, dessen Auszahlung sich über mehrere Jahre erstreckt. Die entsprechenden Zahlungskredite müssen über das normale Budgetverfahren beantragt werden. Diese Zahlungskredite werden als Teil des Voranschlags von den Finanzkommissionen behandelt.

Vgl. etwa 04.3636 Ip. Investitionen für die Armee. Mehrjährige Rahmenkredite (N 01.12.2004, Burkhalter).

3636

Für Aussenstehende und Nicht-Spezialisten erscheinen auch die Grundlagen, welche das VBS dem Parlament als Grundlage für die Entscheide über Rüstungsausgaben zur Verfügung stellen, zu wenig transparent. Trotz gewisser Verbesserungen in den letzten Jahren besteht diesbezüglich noch Optimierungsbedarf.

4

Beurteilung aus betriebswirtschaftlicher Sicht

Im folgenden Kapitel bewerten wir die Zweckmässigkeit und Effizienz der Beschaffungspraxis von Armasuisse und dessen Partnern im VBS.74 Die Analyse orientiert sich an einem Top-down strukturierten Modell, das in ähnlicher Form auch in der Lehre verwendet wird und sich in der Praxis in vielen Unternehmen bewährt hat.

Abbildung 6 Analysemodell

Strategie

Prozesse und Organisation

Management und Controlling

Ressourcen

Systeme

Quelle: Zellweger Management Consulting AG

Das Modell basiert auf einer definierten Strategie, hier die Beschaffungsstrategie, welche aus den übergeordneten Zielen und Vorgaben abgeleitet wird. Von dieser Strategie, welche in der Regel mehrstufig definiert wird (Gesamtstrategie, Warengruppen-/Lieferantenstrategie, geografische Strategie), werden die Prozesse sowie die Organisation abgeleitet. Diese bilden die Grundlage für das Gestalten von Management und Controlling sowie die Anforderungen an die Ressourcen (Personal, Finanzen etc.) und die Informationssysteme.

74

Das gesamte vierte Kapitel wurde in Zusammenarbeit mit der Zellweger Management Consulting AG (Pfäffikon SZ) erarbeitet.

3637

Als Massstab zur Bewertung der aktuellen Praxis von Armasuisse dienen die Fachexpertise und Linienerfahrung der beauftragten Experten sowie der Vergleich mit führenden, vergleichbaren Technologie- und Industrieunternehmen aus den Branchen Anlagenbau, Elektrotechnik, Maschinenbau und Infrastruktur (Verkehr, Oel & Gas etc.). Diese Unternehmen bewegen sich aus Sicht der Beschaffung in einem sehr komplexen Projektumfeld.

Es ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass der Vergleich mit den «best practices» führender Industrieunternehmen ein strenger Massstab ist, dem wohl keine Organisation vollständig genügen kann. Es bestehen aber aus unserer Sicht keine grundsätzlichen Einwände gegen den Vergleich von Armasuisse mit privatwirtschaftlichen Unternehmen. Zwar ist die staatliche Rüstungsbeschaffung an gesetzliche Vorgaben gebunden und deshalb nicht in jeder Hinsicht direkt mit Privatunternehmen vergleichbar (Personalrecht, Haushaltsrecht, Beschaffungsrecht). Innerhalb des rechtlichen Rahmens verfügt die Verwaltung aber über Spielräume für Optimierungen, die gerade aus einem Vergleich mit der Beschaffungspraxis privater Unternehmen deutlich werden.

Das Beschaffungswesen scheint zudem für einen solchen Vergleich deshalb prädestiniert, weil sich öffentliche Beschaffungsstellen wie Armasuisse in ihrer Tätigkeit zwangsläufig in einem privatwirtschaftlichen Umfeld bewegen ­ und zwar als (gleichberechtigte) Marktteilnehmer und nicht als Regulatoren oder hoheitliche Vollzugsträger. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass etwa in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren die Rüstungsbeschaffung stärker an privatwirtschaftlichen Prinzipien ausgerichtet wird. Auch die im Rahmen der laufenden Verwaltungsreform betriebene Konzentration der Beschaffung des Bundes von über vierzig auf noch zwei Beschaffungsstellen orientiert sich klar an Vorbildern aus der Privatwirtschaft.

Nichtsdestotrotz ist vorab darauf hinzuweisen, dass sich Armasuisse und seine VBSPartner in einem schwierigen Umfeld bewegen. Die gesamte Sicherheits- und Verteidigungspolitik befinden sich in einem grossen Umbruch. Dieser manifestiert sich in einer raschen Abfolge organisatorischer Reformen verbunden mit einem fortgesetzten Personalabbau. Mit weniger Personal soll die gleiche oder sogar eine noch grössere Leistung als bisher erbracht
werden. Das mit der verkleinerten Armee sinkende Beschaffungsvolumen (geringere Stückzahlen) ist nämlich nicht mit einem proportional sinkenden Beschaffungsaufwand verbunden. Vielmehr führt die technologische Aufwertung der Armee zu tendenziell eher anspruchsvolleren Beschaffungsvorhaben.

Die Rüstungsbeschaffung bewegt sich auch in einem zunehmend unberechenbar gewordenen politischen Umfeld. Zwar kamen Rüstungsbeschaffungen auch schon in früheren Jahren unter politischen Beschuss, dass aber ganze Rüstungsprogramme abgelehnt würden, war bis vor kurzem undenkbar. Die Unsicherheiten im politischen Umfeld führen dazu, dass kaum noch mittelfristige Planungssicherheit besteht und vom Auftragnehmer Armasuisse mehr Tempo und Flexibilität in der Beschaffungsvorbereitung verlangt werden. Das Beschaffungsportfolio soll auch kurzfristig den politischen Notwendigkeiten angepasst werden können. Zudem hat auch der direkte politische Druck auf die Arbeit von Armasuisse zugenommen. Die Mitarbeiter sehen sich mit einem Klima konfrontiert, in dem der kleinste Fehler sofort ausgenutzt würde, um Rüstungsvorhaben auf der politischen Ebene anzugreifen. Die Angst, Fehler zu machen und im politischen und medialen Schaufenster zu stehen, ist deshalb gross. Vor diesem Hintergrund ist auch der Ausspruch eines 3638

Armasuisse-Mitarbeiters zu sehen: «Wir arbeiten nach dem Prinzip 80/20, liefern aber 100 %».

Insgesamt befindet sich die Rüstungsbeschaffung also in einem schwierigen Anpassungs- und Transformationsprozess. Gerade in dieser Hinsicht unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen vieler ehemals erfolgreicher Schweizer Industrieunternehmen, welche im Zuge der Globalisierung zu Beginn der 1990-er Jahre stark unter Druck kamen und auch im Beschaffungsbereich enorme Anpassungen vornehmen mussten. Wo Armasuisse in diesem Transformationsprozess steht, beleuchten wir in den folgenden Kapiteln.

4.1

Beschaffungsstrategie

Führende Unternehmen definieren ihre Beschaffungsstrategien, welche die Grundlage für das Ableiten der Beschaffungsprozesse sowie der Beschaffungsorganisation bilden. Die Strategien werden jeweils mit detaillierten Massnahmenplänen für die Umsetzung sowie einem Umsetzungscontrolling untermauert. Im Folgenden vergleichen wir die Praxis führender Unternehmen mit derjenigen von Armasuisse.

Soweit entsprechende Kennzahlen mit verhältnismässigem Aufwand zu ermitteln waren, versuchen wir auch die Position von Armasuisse aus den verschiedenen strategischen Blickrichtungen darzustellen.

4.1.1

Übergeordnete Beschaffungsstrategie

Die übergeordnete Beschaffungsstrategie hält in schriftlicher Form die mittelfristigen Ziele und Ausrichtung der Beschaffung sowie die Anforderungen und Bausteine für deren Umsetzung fest (vgl. dazu Abbildung 27 im Anhang).

Armasuisse verfügt zwar über eine Unternehmensstrategie, es fehlt aber eine daraus abgeleitete, übergeordnete Beschaffungsstrategie. Bisher existiert (Stand Ende 2006) einzig ein Inhaltsverzeichnis für ein solches Dokument. Gewisse Ansätze einer übergeordneten Beschaffungsstrategie finden sich in den Grundsätzen des Bundesrates für die Rüstungsbeschaffung. Deutlich wird darin etwa, dass ein grosses Gewicht auf eine wirtschaftliche günstige Beschaffung zu legen ist und soweit wie möglich ein Kauf ab Stange realisiert werden soll. Gleichzeitig werden die Sicherstellung der einheimischen Industriebasis und eine Wertschöpfungspartnerschaft mit der inländischen Rüstungsindustrie gefordert (vgl. dazu Kap. 3.2). Basierend auf den vorhandenen Vorgaben des Bundesrates sowie den Anforderungen der Kunden (Bereich Verteidigung) wäre die übergeordnete Beschaffungsstrategie abzuleiten.

Führende Unternehmen detaillieren die Gesamtstrategie dabei aus folgenden Blickrichtungen: ­

Beschaffungsstrategie pro Warengruppe bzw. Lieferant,

­

geografische Beschaffungsstrategie,

­

projektspezifische Beschaffungsstrategien.

Im Folgenden stellen wir dar, auf welchem Stand sich die Strategiedefinition der Armasuisse-Beschaffung aus diesen Blickrichtungen befindet.

3639

4.1.2

Beschaffungsstrategie pro Warengruppe und Lieferanten

Abhängig von der Hebelwirkung auf den Unternehmenserfolg (Kosten, Leistung) einerseits sowie der Beschaffungsmarktkomplexität andererseits (Verfügbarkeit, Abhängigkeiten, Risiken) definieren führende Unternehmen differenzierte Beschaffungsstrategien und Beschaffungsprozesse auf der Stufe Warengruppe bzw. Lieferant (z. B. Personenwagen).75 Je nach Position im Beschaffungsportfolio werden unterschiedliche normative Grundstrategien verfolgt, die unter Umständen adaptiert und verfeinert werden müssen (z. B. wie weit soll die Volumenkonsolidierung gehen). Abbildung 7 illustriert diesen Ansatz mit einigen Beispielen aus dem Beschaffungssortiment von Armasuisse.

Abbildung 7

Erfolgsbeitrag

Schlüsselprodukte

Strategische Produkte

Volumenkonsolidierung Marktmacht

Partnerschaft

z.B. Überwachsungs- und Führungssysteme

z.B. Fahrzeuge

gering

Das BeschaffungsSortiment ist in Warengruppen zu gliedern und im Portfolio zu positionieren !

hoch

Beschaffungsportfolio

Normprodukte

Engpass-Produkte

Volumenkonsolidierung Vereinfachen Beschaffung

Repositionieren Substitution

z.B. Personen-Ausrüstung/Kleider

z.B. kleinere Umbauten

gering

Differenzierte
Warengruppen-Strategien
Komplexitätsgerechte
Beschaffungs-Prozesse
Fokussiertes LieferantenManagement

hoch

Beschaffungsmarkt-Komplexität

Quelle: Zellweger Management Consulting AG

Armasuisse gliedert die Beschaffungsvorhaben nach anderen Kriterien, nämlich der Neuartigkeit des Bedürfnisses und der Neuartigkeit der Technologie (vgl. Abbildung 8). Abhängig von diesen Projektkategorien werden Projektorganisation, Beschaffungsabwicklung und das Projektcontrolling festgelegt.

75

Es gibt in Literatur und Praxis auch andere, zum Teil weiter differenzierte Ansätze zur Definition von Warengruppen.

3640

Abbildung 8 Kategorisierung von Beschaffungsvorhaben durch Armasuisse76 Neuartigkeit des mil. Bedürfnisses

Kat III

Hoch

Kat I

Vorhaben, welche im Rahmen der Linienorganisation geführt werden.

Kat II

Kat II

Vorhaben, welche im Rahmen einer Projektorganisation geführt werden.

Kat III

Kat I

Vorhaben, welche im Rahmen einer Projektorganisation geführt, und mit einem Programmmanagement koordiniert werden.

Tief

Tief

Hoch

Neuartigkeit der Technologie

Quelle: Armasuisse

Diese Kategorisierung berücksichtigt aber die strategischen Beschaffungsaspekte (z. B. Warengruppen-/Lieferantenstrategie) zu wenig und differenziert zu wenig stark.

Vereinzelt finden sich im Managementsystem von Armasuisse Hinweise auf eine differenziertere und vor allem stärker beschaffungsorientierte Definition von Warengruppen (am deutlichsten in der Arbeitsanweisung Lieferanteneignungsbeurteilung).

Allerdings sind Hinweise nicht systematisch im Ablauf integriert, deren Verbindlichkeit nicht gegeben und der Konkretisierungsgrad gering. Ausgearbeitete Warengruppenstrategien bestehen keine.

Dies zeigt sich auch daran, dass keine entsprechenden Kennzahlen vorhanden sind.

Nach Grobschätzungen, die im Rahmen der Gespräche abgegeben wurden, dürfte der wertmässige Anteil der Normprodukte am Beschaffungsvolumen rund 15 % entsprechen, was rund 200­300 Millionen Franken pro Jahr entspricht.77 Die Analyse zeigt zudem eine stark konzentrierte Lieferantenstruktur: Mit den grössten zehn Lieferanten werden knapp 40 % des Beschaffungsvolumens generiert.

Besonders stark konzentriert ist die Lieferantenstruktur im Instandhaltungsbereich, in welchem die RUAG eine dominante Stellung einnimmt.

76

77

Darstellung gemäss der bis 1. Mai 2007 gültigen Vorgaben (TUNE). In der revidierten Vereinbarung TUNE+ vom 2. Mai 2007 werden Vorhaben der Kategorie III neu wie folgt definiert: Mehrere komplexe und vernetzte Vorhaben, die mit einer Programmaufsicht und einem Programmmanagement koordiniert werden.

Eine auf die von Armasuisse verwendete Kategorisierung abstellende Auswertung zeigt folgendes Bild: Rund 90 % der Beschaffungsvorhaben mit einem Anteil von rund 60 % am Mitteleinsatz fielen im Jahr 2006 in die Kategorie I, der Rest waren Vorhaben der Kategorie II.

3641

4.1.3

Geografische Beschaffungsstrategie

Führende Unternehmen definieren die Beschaffungsstrategie auch aus Sicht der geografischen Dimension (i. d. R. abgestimmt auf die Warengruppe). Es geht um die Definition der relevanten Märkte, in denen eine aktive Beschaffungsmarktforschung betrieben wird. Dabei spielen namentlich auch Risikoüberlegungen eine wesentliche Rolle (Konflikte, Kriege). Armasuisse besitzt keine eigentliche geografische Beschaffungsstrategie. Es bestehen aber Vorgaben, die als Grundlagen einer derartigen Strategie interpretiert werden können.

Am deutlichsten ist dies im Hinblick auf die Unterscheidung von inländischer und ausländischer Beschaffung der Fall. Die bundesrätlichen Grundsätze für die Rüstungspolitik fordern die Erhaltung einer inländischen Industriebasis verbunden mit einer internationalen Rüstungskooperation. Die Grundsätze sprechen etwas diffus von einer «Wertschöpfungspartnerschaft Armee/Wirtschaft» und einem «interessenund kostenoptimierten Einbezug der Schweizer Industriebasis». Es fehlen aber, abgesehen von den Vorgaben in der Eignerstrategie RUAG, jegliche Konkretisierungen dieser Festlegung. Klare Richtlinien für die Entscheidungsfindung fehlen, was auch immer wieder zu internen und externen Diskussionen Anlass gibt und die Unsicherheiten bei Lieferantenentscheidungen erhöht (vgl. dazu auch Kap. 3.2).

In den letzten Jahren wurden mit verschiedenen Ländern sog. Memorandums of Understanding zur Rüstungskooperation abgeschlossen (vgl. Kap. 3.3). Diese können als Bestandteile oder Ausfluss einer Länderstrategie angesehen werden. Sie sind aber nicht in eine übergeordnete Beschaffungsstrategie eingeordnet und decken nicht den gesamten relevanten Markt ab. Als Quintessenz von Kapitel 3.3 lässt sich zudem festhalten, dass keine strategischen Richtlinien für die Entscheidfindung zu Rüstungsbeschaffungen aus bestimmten, aussenpolitisch heiklen Ländern bestehen.78 Die Analyse der effektiven Situation zeigt, dass die Beschaffung nicht sehr global ausgerichtet ist (vgl. Abbildung 9). Die wichtigsten Beschaffungsmärkte sind die Schweiz, die USA, Deutschland sowie Schweden. Der Schweizer Anteil war in den letzten Jahren leicht steigend. Der Inlandanteil ist auf einem etwas geringeren, aber noch immer hohen Niveau, wenn man den Instandhaltungsbereich von der Betrachtung ausschliesst.

78

Am Rande ist darauf hinzuweisen, dass in den Bereichen, die dem WTO-Übereinkommen unterstellt sind, die Definition geografischer Schwerpunkte an rechtliche Grenzen stösst.

Wie bereits dargestellt ist die finanzielle Bedeutung von WTO-unterstellten Beschaffungen aber gering.

3642

Abbildung 9 Geografische Struktur der Beschaffung Ausgaben nach Ländern 2003-2006 (Mio. CHF)

1'200

2003

2004

2005

2006

1'000

800

600 400

200

ig e br

ur st e

Ü

op

a

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da Sü

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SA

ts ch

U D

eu

Sc

hw

ei z

0

Quelle: Darstellung der PVK aufgrund von Angaben Armasuisse

In den Zahlen nicht berücksichtigt ist der Anteil, den Schweizer Lieferanten bei Unterlieferanten auf den globalen Beschaffungsmärkten beschaffen.

Besonders ausgeprägt ist die Konzentration der Mittel auf dem Schweizer Markt in den beiden Geschäftseinheiten «Ausrüstung und ABC-Material» sowie «Transportfahrzeuge, Genie- und Rettungsmaterial» (vgl. Abbildung 26 im Anhang).

Die Aussagen verschiedener Gesprächspartner lassen darauf schliessen, dass bei vielen Beschaffungen im Einladungsverfahren nur Schweizer Anbieter angefragt werden (als typisches Beispiel sei hier etwa die Beschaffung von Transportgestell und -wagen zum Aussenbordmotor erwähnt). Die Wahl der Eingeladenen orientiert sich an den Vorstellungen einer bewährten Praxis und nicht an einer ausformulierten Strategie. Bewährt hat sich diese Praxis in den Augen zahlreicher Befragter hinsichtlich des erreichten Qualitätsniveaus aber auch im Hinblick auf den politisch erwünschten hohen Inlandanteil. Man könnte hier von einer impliziten «Inlandstrategie» sprechen, die durchaus handlungsleitend ist (zur rechtlichen Würdigung vgl. die Ausführungen in Kap. 3.1.5).

3643

4.1.4

Projektspezifische Beschaffungsstrategien

Auf unterster Strategieebene wird in führenden Industrieunternehmen für grosse Beschaffungsvorhaben eine projektspezifische Beschaffungsstrategie definiert, welche auf die übergeordnete Beschaffungsstrategie abgestimmt ist.

Bei Armasuisse werden die Beschaffungsstrategien derzeit vor allem auf dieser Ebene erarbeitet und umgesetzt (meistens im Rahmen der Formulierung von Projektauftrag und Aktionsplan). Die Beschaffungsstrategien werden also von Fall zu Fall definiert. Durch das Fehlen von übergeordneten Strategien (v. a. Warengruppenstrategien) entstehen häufig Monopolsituationen, auf die man schlecht vorbereitet ist (vgl. dazu Abbildung 5, Kap. 3.1.2). Dies wurde auch an zwei der untersuchten Beschaffungsvorhaben deutlich: ­

Beim Umbau überzähliger Radpanzer in Sanitätsfahrzeuge kam gemäss Armasuisse aus Gründen der Gewährleistung und der Rechte am geistigen Eigentum nur die MOWAG als Auftragnehmerin in Frage. Im Rahmen der Erstbeschaffung der Radpanzer war die Eventualität eines solchen Umbaus oder späterer Werterhaltungs- oder Kampfsteuerungsmassnahmen nicht in die Vertragsgestaltung eingeflossen.

­

Bei der Beschaffung des Führungsinformationssystems (FIS-Heer) und des Kurzwellenfunksystems SE-240 trug die angestrebte Kompatibilität mit bereits vorhandenen Systemen entscheidend dazu bei, dass die Firmenwahl frühzeitig getroffen wurde und im Rahmen der eigentlichen Evaluation keine Wettbewerbssituation mehr geschaffen werden konnte.

Angesichts der zunehmenden Abhängigkeiten und Vernetzung zwischen verschiedenen Systemen dürfte diese Problematik in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen (Fahrzeugeinbauten, Anbindung von Softwarelösungen etc.).

Um die schwache Verhandlungsposition in Monopolsituationen zumindest teilweise zu kompensieren, nutzt Armasuisse das Instrument der Preisprüfungen, das bei Beschaffungen von Gütern im Wert von über 1 Million Franken auch gemäss VoeB anzuwenden ist. Das Instrument der Preisprüfung bei Monopol-Lieferanten wird gut eingesetzt, wie externe Ansprechpartner bestätigen. Dafür sprechen auch verschiedene, erfolgreich geltend gemachte Rückforderungen, die im Verhältnis zum Beschaffungswert aber eher gering ausfallen.

Prinzipiell sind Preisprüfungen jedoch ein reaktiver Ansatz, da nur eine scheinbare Transparenz geschaffen wird. Eine umfassende Preisprüfung erfordert nebst kommerzieller Erfahrung auch viel technisches Know-how (Produkt, Produktion, Beschaffung). Dieses ist beim Finanzinspektorat von Armasuisse, welches die Preisprüfungen durchführt, zu wenig ausgeprägt. In den Gesprächen machten Personen mit Industrieerfahrung die plausible Aussage, dass diese Situation von Lieferanten ausgenutzt werde.

Um dieses Problem zu vermeiden, versuchen führende Industrieunternehmen bereits in einer frühen Phase des Beschaffungsprozesses, wenn immer möglich schon im Angebotsstadium, grösstmögliche Transparenz zu gewinnen, namentlich über detaillierte, offene Kalkulationen. Die Analyse dieser Detailkalkulationen erlaubt die Überprüfung des Angebotes bezüglich Kostensätzen, Stundensätzen, Bearbeitungszeiten, Materialkosten, Zuschläge, Margen usw. Die Tiefe der Detaillierung ist abhängig vom Beschaffungsvorhaben. Dieses Vorgehen ermöglicht, ein Angebot

3644

auch ohne Wettbewerb gut zu beurteilen, vorausgesetzt man verfügt intern über das entsprechende Know-how.

Armasuisse wendet diesen Ansatz bis anhin nicht an. Begründet wird dies damit, dass Monopollieferanten gar nicht zur geforderten Offenlegung bereit wären. Dieses Argument mag allenfalls bei sehr starken Monopollieferanten plausibel sein, vermag insgesamt aber nicht zu überzeugen: ­

In der Industrie sind solche Ansätze üblich, also sollte auch im Rüstungsbereich ein analoges Vorgehen möglich sein.

­

Viele Monopole entstehen bei Armasuisse aus Folgebeschaffungen, aufgrund der Systemintegration, Familienverträglichkeiten etc. Solche Monopole sind also nicht absolut. Sofern bereits bei der Erstbeschaffung im Hinblick auf die gesamte Familie evaluiert wird und die Ausschreibungen und Verträge entsprechend gestaltet werden, dürften sich die Lieferanten zu mehr Transparenz verpflichten lassen. Voraussetzung hierfür wäre aber eine Beschaffungsstrategie, welche nicht erst beim einzelnen Beschaffungsvorhaben definiert wird.

Dieser Ansatz wird von führenden Industrieunternehmen auch im Falle einer Wettbewerbssituation konsequent angewendet. Vor allem im Anlagenbau werden über konsequente Wertanalyse die Kosten nach erfolgter Ausschreibung oder sogar nach der Vergabe gesenkt. Teilweise werden mit Lieferanten auch anreizorientierte Modelle vereinbart, welche die Lieferanten ebenfalls an den Kostensenkungen profitieren lassen. Das Beschaffungsrecht setzt hier zwar gewisse Grenzen (Gleichbehandlung der Anbieter und Transparenz bei Verhandlungen), verunmöglicht aber eine entsprechende Strategie nicht, vor allem wenn diese nach einem gültigen Zuschlag erfolgt. Um den Lieferanten nach einem gewonnenen Wettbewerbsverfahren für ein solches Unterfangen gewinnen zu können, dürften anreizorientierte Modelle notwendig sein.

Ein weiterer Ansatz zur Beschränkung von Monopolsituationen ist eine forcierte Modularisierung von Systemen, vor allem im zunehmend wichtigen IT-Bereich.

Durch die klare Definition von Standard-Schnittstellen bzw. die Vorgabe, entsprechende Schnittstellen vorzusehen, kann bei der Weiterentwicklung und Integration von Systemen der Wettbewerb offen gehalten werden. Es bestehen in einzelnen Abteilungen von Armasuisse Bemühungen, die klar in diese Richtung weisen ­ allerdings stellen sie eher die Ausnahme von der Regel dar. Verschiedene befragte Offertsteller bemängeln, dass Armasuisse den Modularisierungsansatz zu wenig konsequent und vor allem nicht flächendeckend verfolge und sich damit unnötig in Quasi-Monopolsituationen begebe.

Im Vergleich mit führenden Industriefirmen fallen in der Praxis von Armasuisse weiter die folgenden Punkte auf: ­

Die geringe Ausrichtung auf Komplettbeschaffungen: Es werden oft Zusatzoder Ausstattungsmaterialien durch Armasuisse beschafft und bereitgestellt.

Begründet wird dieses Vorgehen damit, dass der Lieferant höhere Kosten verrechnet als Armasuisse bei einem Direkteinkauf erzielt. Das Wegfallen von internen Prozesskosten wird nicht berücksichtigt. Solange es um grössere Stückzahlen und Standardprodukte geht, dürfte das von Armasuisse gewählte Vorgehen wirtschaftlich sein (z. B. über mehrere Beschaffungsvorhaben gebündelter Einkauf von Standard-Hardware). Bei der Beschaf3645

fung von Inneneinrichtungen für die Sanitätsfahrzeuge und bei der Zusatzbeschaffung von Transportwagen und Traggestellen für den Aussenbordmotor wäre wahrscheinlich eine Komplettbeschaffung aus Prozesskostensicht optimaler gewesen.

­

Geringe Kostenorientierung: Die Beschaffungsstrategien sind mit erster Priorität auf hohe Qualität, Verfügbarkeit und Versorgungssicherheit ausgerichtet. Kostenaspekte folgen erst in zweiter Priorität. In führenden Industrieunternehmen gilt dagegen die Regel, dass konsequent diejenige Lösung zu wählen ist, welche die funktionalen Mindestanforderungen (Fit for Purpose) zu den tiefsten Kosten (im Idealfall Total Cost of Ownership) liefert (vgl. dazu Kap. 4.2.4, 4.2.5).

­

Die in einem Teil der Projektaufträge formulierte Vorgabe, dass ein Kauf ab Stange angestrebt wird (Kurzwellenfunksystem SE-240, Aussenbordmotor), entspricht dagegen im Sinne der Standardisierung dem Industrietrend (zur tatsächlichen Umsetzung dieser Anforderung vgl. Kap. 4.2.4).

4.1.5

Zwischenfazit

Die Beschaffung von Armasuisse ist von freihändigen Vergaben, stark konzentrierten Lieferantenbeziehungen und einem hohen Inlandanteil geprägt. Aus Sicht des strategischen Beschaffungsmanagements erfordert eine solche Situation ein straffes Lieferantencontrolling (Leistung, Zuverlässigkeit, Kosten etc.), ein institutionalisiertes Risk-Management, welches vor allem Abhängigkeits- und Versorgungsrisiken periodisch analysiert, sowie maximale Transparenz bei der Angebotsstellung durch die Lieferanten in Monopolsituationen. Diese Elemente sind bei Armasuisse im Vergleich zu führenden Industrieunternehmen noch zu wenig etabliert.

Konzentrierte Lieferantenbeziehungen können durchaus Sinn machen, wenn sie das Ergebnis einer klaren Strategie und nicht das Resultat von isolierten Einzelentscheidungen sind. Armasuisse mangelt es aber noch an wesentlichen strategischen Grundlagen für eine wirtschaftliche Beschaffung. Explizite Beschaffungsstrategien auf den Ebenen Armasuisse, Warengruppen/Lieferanten sowie Geografie fehlen ganz bzw.

sind zu wenig konkret. Die vorhandenen Ansatzpunkte ergeben noch keine kohärente Strategie. Die verwendete Projektkategorisierung ist zu wenig beschaffungsorientiert.

Diese Defizite sind wohl auch darauf zurückzuführen, dass eine übergeordnete Beschaffungsstrategie nicht durch Armasuisse in Eigenregie definiert und beschlossen werden kann. Es ist offensichtlich, dass die Beschaffungsstrategien nicht ohne Berücksichtigung rüstungsplanerischer und übergeordneter sicherheitspolitischer Leitlinien formuliert werden kann. Dass eine übergeordnete Beschaffungsstrategie und Warengruppenstrategien noch nicht ausgearbeitet sind, weist auf die ungenügende Integration beschaffungsstrategischer Überlegungen in die Rüstungsplanung hin. Als Beschaffungszentrum ist Armasuisse gefordert, die entsprechenden Beiträge bei den Partnern im VBS einzufordern bzw. die Formulierung der Beschaffungsstrategien auf den Weg zu bringen.

3646

4.2

Beschaffungsprozesse und -organisation

4.2.1

Prozessdauer und Kosten

Erfahrungen aus Industrien mit starkem Projektcharakter (Anlagenbau, Infrastrukturbau etc.) zeigen ganz klar, dass sowohl die Planungs- als auch die Ausführungskosten eine Funktion der Zeit sind. Die Erfahrung zeigt, dass bei einer Halbierung der Durchlaufzeiten eine Steigerung der Produktivität um bis zu 25 % erreicht wird.

Aus einer externen Sicht und im Vergleich mit der Privatwirtschaft erscheinen die Durchlaufzeiten bei Armasuisse sehr lange. Dies gilt auch unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass die parlamentarische Behandlung der entsprechenden Kredite und Beschaffungen bei Rüstungsprogrammvorhaben rund ein Jahr in Anspruch nimmt. Abbildung 10 zeigt, dass allein die Zeit von der Erteilung des Projektauftrags (bzw. des Starts eines entsprechenden PEB-Kredits) bis zum Beschluss des entsprechenden Kredits bei vielen Beschaffungsvorhaben mehr als fünf Jahre dauert ­ in der Regel verbunden mit entsprechend hohen externen Kosten (Zahlungen aus PEB-Krediten). Insbesondere weisen auch kleine Vorhaben lange Durchlaufzeiten und hohe PEB-Ausgaben auf. Ein in der Darstellung nicht aufgeführtes Extrembeispiel ist die Beschaffungsvorbereitung für das FIS-Heer, bei welchem dieser Vorlauf je nach Betrachtungsweise zwischen mindestens sechs Jahren (ab Start des letzten PEB-Vorhabens für ein FIS im Jahr 2000) und rund 15 Jahren (ab ersten Entwicklungsarbeiten für ein Führungsinformationssystem Anfang der 1990-er Jahre) dauerte. Die internen Kosten sind dabei noch nicht berücksichtigt. Bei langen Projektlaufzeiten ist davon auszugehen, dass diese beträchtlich sind.

3647

Abbildung 10 Laufzeiten ausgewählter Beschaffungsvorhaben 1'000

Beschaffungskredit (Mio. CHF)

900

15.8

800 700 600 500 8.3

400

49.3

300 200

0.1

100 0 -100 0

3.4

1

2

0.6

1.0 1.1 16.5 12.8

7.4 2.0 2.2 1.0 4.9 2.9

3

4

5

3.6

28.5 38.9

28.9

6

7

8

Dauer in Jahren (Projektauftrag bis Botschaft)

Quelle: PVK aufgrund von Angaben Armasuisse X-Achse: Laufzeit des PEB-Kredits bis zur Verabschiedung im Rüstungsprogramm (gerundet auf ganze Jahre).

Blasengrösse: Zahlungen aus dem PEB-Kredit bis Verabschiedung Rüstungsprogramm in Millionen Franken.

Die rasche Abwicklung der Beschaffungsvorbereitung für das Kurzwellenfunksystem SE-240 oder den Aussenbordmotor zeigt, dass es auch schneller gehen könnte.

Die Beteiligten bezeichnen die schnelle Abwicklung in diesen Projekten als Stärke.

Aus externer Sicht wäre aber selbst bei diesen Vorhaben eine etwas schnellere Abwicklung möglich gewesen (vgl. dazu Kap. 4.2.4).

Abbildung 11 zeigt die internen und externen Kosten der Beschaffungsvorbereitung im Verhältnis zum Wert der beschafften Güter. Die dargestellten Kostenverhältnisse sind nicht zu eng zu interpretieren und lediglich als Indikatoren zu verstehen, welche Grössenordnungen wiedergeben.

Die Prozesskosten fallen im Vergleich mit der Industrie selbst unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Komplexität der Beschaffungsvorhaben hoch aus. Diese Einschätzung gewinnt noch an Gewicht, wenn man weiss, dass die Auswertungen nur die internen Kosten von Armasuisse, nicht aber der beteiligten Partner aus dem Verteidigungsbereich berücksichtigt.

3648

Abbildung 11 Verhältnis von Prozesskosten und Stückkosten bei ausgewählten Beschaffungsvorhaben 35

Verhältnis Prozesskosten/Stückkosten

30

25

Verhältnis PEBKosten/Stückkosten

20

Verhältnis interne Kosten/Stückkosten

15

10

5

0 SE-240

Aus s enbordm otor

Sanitäts fahrzeug

Quelle: PVK aufgrund von MIS Armasuisse In den Stückkosten sind auch allfällige Aufwände für die Peripherie, Fahrzeugeinbauten etc.

eingeschlossen. Um erzielte Kosteneinsparungen nicht zu bestrafen, wurden der entsprechende Beschaffungskredit und nicht die effektiven Beschaffungskosten als Basis für die Berechnung der Stückkosten verwendet.

Sehr hoch sind namentlich die internen Kosten für die Beschaffung des Standardprodukts Aussenbordmotor, die mehr als das 25-fache des Kaufpreises eines einzelnen Motors betragen.79 Die internen Kosten für die Beschaffungsvorbereitung des SE-240 betragen fast das 30-fache einer Einheit (inkl. Einbau). Dieser Wert ist als hoch zu betrachten, handelt es sich hierbei doch um ein militärisches Standardprodukt, das in mehr als 20 Armeen zum Einsatz kommt.

Im Rahmen liegen die Kosten einzig beim Umbau des Sanitätspanzers. Allerdings ist zu beachten, dass in der Vorbereitungsphase nur deshalb keine externen Kosten anfielen, weil der Lieferant die Entwicklungskosten trug. Da kein entsprechender PEB-Kredit verfügbar war, wurde mit dem Lieferanten vereinbart, diese Kosten über einen entsprechenden Aufschlag im Rahmen der Seriebeschaffung zu finanzieren.

Hinter den hohen Kosten stehen sowohl beim Aussenbordmotor wie auch beim SE240 aufwändige Verifikationsversuche im Rahmen der Evaluation. Diese werden mit den besonderen Einsatzformen der Schweizer Armee begründet (z. B. andere Verwendung und höhere Belastung der Aussenbordmotoren als im zivilen Einsatz, 79

Die internen Kosten von Armasuisse zur Beschaffung des Aussenbordmotors entsprechen in etwa dem Gesamtpreis der 90 Motoren, die für den militärischen Bedarf beschafft wurden (die restlichen 135 Motoren sind für vor- und ausserdienstliche Zwecke vorgesehen).

3649

topografische Verhältnisse oder komplexe Bedingungen bezüglich elektromagnetischer Verträglichkeit beim Fahrzeugeinbau). Als weiterer Grund wird die zum Teil sehr aufwändige Beschaffung armeespezifischer Peripherie (z. B. Transportwagen für Aussenbordmotor) genannt.

In den Augen der Beteiligten ist der betriebene Aufwand gut begründet und notwendig. Aus einer externen Sicht lässt sich in Einzelfällen ein hoher Beschaffungsaufwand rechtfertigen. Er müsste mit der Beschaffungsstrategie begründet sein.

Problematisch ist aber aus Sicht eines modernen Beschaffungsmanagements, wenn unbesehen von der strategischen Bedeutung und mit viel Aufwand evaluiert wird.

4.2.2

Prozesse, Projektorganisation und Projektmanagement

Zentrale Grundlage für die Abwicklung der Beschaffungsvorhaben durch Armasuisse bildet das Managementsystem. Sämtliche Prozesse, Anweisungen, Richtlinien (inkl. rechtliche Grundlagen) und Hilfsmittel sind im Managementsystem von Armasuisse dokumentiert und online zugänglich. Es gibt fast nichts, was nicht dokumentiert ist.

Das Grundmodell ist professionell aufgebaut und in sich weitgehend stimmig und bildet auch die Basis für die bereits mehrfach erfolgreich durchgeführte Zertifizierung. Die Anwender bemängeln jedoch die ungenügende Übersichtlichkeit und Komplexität des Systems: Es ist für verschiedene Befragte schwierig, sich darin zu Recht zu finden. Das System erleichtert das Auffinden bekannter Dokumente, schwieriger wird es, wenn man sich darüber orientieren will, welche Arbeitsanweisung im konkreten Fall anzuwenden ist. Bei genauerem Hinschauen wird ersichtlich, dass nicht alle Dokumente auf dem aktuellen Stand und die verschiedenen Arbeitsanweisungen auch nicht immer kohärent sind. So finden sich beispielsweise zur Projektorganisation unterschiedliche Vorgaben und es werden Zuständigkeiten an Gremien delegiert, die gar nicht mehr existieren (z. B. Rüstungsausschuss).

In den verschiedenen Gesprächen wie auch an den Workshops zeigte sich, dass die im Prozessmodell vorgesehene Klassifizierung nicht immer konsequent durchgeführt wird und die definierten Prozesse oft nicht eingehalten werden (können). Es wird von den definierten Prozessen abgewichen und Meilensteine werden nicht immer sauber eingehalten. Das Finanzinspektorat von Armasuisse, das im Rahmen von internen Revisionen die Einhaltung der Vorgaben überprüft, stellte in fast jeder der mehr als dreissig durchgeführten Revisionen Abweichungen fest, die nicht oder ungenügend begründet erscheinen. Auch in den im Rahmen der vorliegenden Untersuchung analysierten Vorhaben zum FIS-Heer und zum Sanitätsfahrzeug wurden die Prozesse nur sehr selektiv angewendet. Störend ist vor allem, dass bei verschiedenen Projekten zentrale Dokumente und Meilensteine (z. B. der Aktionsplan, Instandhaltungskonzepte, z. T. Pflichtenhefte) nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht erarbeitet wurden.80

80

Hingegen sind, zumindest in den untersuchten Fällen, die zur Rekonstruktion des eigentlichen Vergabeverfahrens zentralen Dokumente (Evaluationsberichte, Ausschreibungsunterlagen) vorhanden.

3650

Insgesamt weicht die Praxis stark von den Prozess-Vorgaben im Managementsystem ab. Sie ist zugleich einfacher (nicht alle Prozessschritte abgewickelt) wie auch differenzierter (jedes Projekt verfolgt einen etwas anderen Ansatz) als dies in der Projektkategorisierung und den darauf aufbauenden Prozessen vorgesehen ist. Da die Prozesse oft nicht eingehalten werden (können), stellt sich die Frage nach der Zweckmässigkeit des Managementsystems. Armasuisse hat nur wenige Prozesse, die einer Vielzahl beschaffungsstrategisch ganz unterschiedlicher Vorhaben gerecht werden müssen. In führenden Industrieunternehmen gibt es mehr unterschiedliche, dafür einfachere und stärker auf die möglichen beschaffungsstrategischen Situationen ausgerichtete Prozesse. Die Industrieerfahrung zeigt, dass differenzierte und entschlackte Prozesse insgesamt zu einer Vereinfachung und besseren Umsetzung führen.

Bei Armasuisse fehlen insbesondere schlanke Prozesse für die Beschaffung von Standardgütern (Normprodukte). In führenden Unternehmen sind diese Prozesse strikt auf das absolut Notwendige beschränkt, standardisiert, zum Teil automatisiert und werden unter Umständen an externe Beschaffungsdienstleister ausgelagert.

Die Vorgaben sehen je nach Klassifizierung des Projekts eine unterschiedliche Projektorganisation vor:81 ­

Die Vorhaben der Kategorie I werden nach Erteilung des entsprechenden Beschaffungsauftrags in der Linienorganisation innerhalb Armasuisse geführt. Damit liegt die Gesamtverantwortung für das Projekt (Aufsicht) in der Regel bei den zuständigen Fachbereichsleitern und nicht bei den Personen, welche die Beschaffung technisch und kommerziell durchführen.

­

Die Vorhaben der Kategorie II werden im Rahmen einer Projektorganisation durch die sog. Projektkommission (bzw. dem integrierten Projekt-Team, IPT) entwickelt und realisiert. Die IPT werden in der Phase der Vorhabensplanung durch den PST A gebildet. Die Projektleitung liegt in der Vorhabensplanung in der Regel bei einem Vertreter des Planungsstabs, in den Phasen der Vorevaluation und Evaluation (und der eigentlichen Beschaffungsabwicklung bis zur Einführung) beim Vertreter von Armasuisse.82 Die Ergebnisverantwortung liegt aber bei der Projektaufsicht: Auftraggeber, Auftragnehmer und die Bedarfsträger sind darin vertreten, der Vorsitz wird von Fall zu Fall geregelt.

Vergleicht man die aktuellen Vorgaben und die reale Praxis der Projektorganisation im Vergleich zu führenden Industrieunternehmen fallen folgende Punkte auf: ­

81

82

Die umfangreiche und zum Teil komplexe Projektorganisation: Grössere Projekte weisen eine sehr grosse Führungsspanne auf und auch bei kleineren Beschaffungen ist die Zahl der involvierten Personen eher hoch. Projekte Da Vorhaben der Kategorie III nichts anderes als auf höherer Stufe koordinierte Vorhaben der Kategorie II sind, gilt auf der operativen Stufe die gleiche Projektorganisation wie für Kategorie II-Vorhaben.

In der Grundkonfiguration stellt Armasuisse je einen Ressortprojektleiter Technik, Kommerz und Qualitätssicherung. Der Planungsstab stellt den Ressortprojektleiter Auftraggeber.Von der Bedarfstägerseite werden die Ressortprojektleiter Einsatz, Betrieb, Ausbildung und ggf. Sicherheit gestellt. Die Logistikbasis stellt den Ressortprojektleiter Lebenswegmanagement. Gemäss der neuen Vereinbarung TUNE+ word bei Führungsunterstützungs- und IKT-Projekten auch ein Ressortprojektleiter von der zentralen Leistungseinheit IKT VBS eingebunden.

3651

wie das FIS-Heer weisen eine sehr komplexe Organisation auf und sind nur mit grossem Aufwand zu führen. Von Gesprächspartnern wurde erwähnt, dass bei den Koordinationssitzungen jeweils viele Leute am Tisch sitzen würden, von denen nicht alle substantielle Beiträge liefern könnten. Dafür sind zwei Gründe verantwortlich: ­ Nicht alle involvierten Partner (v. a. LBA, FUB) scheinen die erforderlichen Ressourcen bereitstellen zu können. Zum Teil fehlt es an der Qualifikation, zum Teil an der zeitlichen Verfügbarkeit. Verschiedentlich beklagen sich auch die Beteiligten selbst, dass sie zuviel Projekte gleichzeitig bearbeiten müssten und auch für sehr anspruchsvolle Projekte kaum Zeit für die Sitzungsvorbereitung hätten.

­ Es ist aber auch fraglich, ob die Zahl der einzuladenden Personen auf das notwendige Minimum reduziert wird.

­

Starke Hierarchisierung der Entscheidkompetenzen: Die Gesamtverantwortung (Produkt/Kosten/Qualität/Termine) liegt bei Armasuisse im Gegensatz zu führenden Industrieunternehmen nicht beim Projektleiter (Kategorie II) bzw. nicht bei den technischen oder kommerziellen Fachleuten (Kategorie I), welche die Projekte auf operativer Ebene führen. Bei Armasuisse werden zu viele kleinere Projekte und «Daily Business Projekte» von der Linie geführt. Neben Effizienznachteilen (längere Entscheidungswege, tendenzielle Überforderung der zeitlichen und fachlichen Kapazitäten der oberen Stufen) scheint dies bei Armasuisse auch dazu beizutragen, dass die Verantwortung nach oben weitergereicht wird, die vorgesetzten Stellen bei Fehlern aber umgekehrt den Schuldigen unten in der Hierarchie suchen. Dies führt auf den unteren Stufen zu einer Nullfehlerkultur und starkem Sicherheitsdenken.

­

Personelle Trennung von Kommerz und Technik: Die Trennung dieser Rollen vermag vor allem bei kleineren Projekten nicht zu überzeugen, weil intensive Abhängigkeiten zwischen beiden Funktionen bestehen und durch die Trennung hohe Transaktionskosten entstehen.

­

Ansiedlung der Qualitätssicherung: Die Qualitätssicherung ist nicht bei den Beschaffungsämtern, sondern beim Kompetenzbereich Wissenschaft und Technologie (entspricht in etwa der F+E-Abteilung eines Unternehmens) angesiedelt und so auch räumlich von den Beschaffungsaktivitäten getrennt.

Von Aussenstehenden wird das Projektmanagement von Armasuisse in Bezug auf Dokumentation, Verlässlichkeit und technische Kompetenz als vergleichbar oder besser als in der Industrie bezeichnet. Auch die Workshops im Rahmen dieser Untersuchung, sowie die im Vor- und Nachgang dazu gelieferten Informationen vermitteln diesen Eindruck.

Aus einer externen, an privatwirtschaftlichen Massstäben orientierten Perspektive fehlt jedoch eine ausgeprägte betriebswirtschaftliche Sichtweise. Das Projektmanagement ist in erster Linie auf Sicherstellung einer technisch guten Lösung ausgerichtet: Das Ziel ist, im Rahmen des vorhandenen Kredits eine möglichst gute Lösung zu verwirklichen und nicht etwa die gestellten Anforderungen zu den geringsten Kosten zu erfüllen (vgl. dazu auch Kap. 4.3.1). Auch die Prozesskosten (interner Aufwand) spielen im Projektmanagement kaum eine Rolle, was auch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass entsprechende Vorgaben fehlen und die Kostenverantwortung nicht beim Projektleiter angesiedelt ist.

3652

Ein entsprechendes Projektcontrolling mit Hilfe des Managementinformationssystems wird zu wenig konsequent, bisweilen überhaupt nicht angewendet. Es fehlen im Projektmanagement klare Abbruchkriterien und ein objektives Risk-Management (technisch, kommerziell, terminlich etc.). Beim analysierten Fall FIS-Heer entstand der Eindruck, dass die Risiken bei einzelnen Meilensteinentscheidungen geringer eingestuft wurden, als diese in Wirklichkeit waren (z. B. Funkübermittlung technisch nicht geklärt).

4.2.3

Zusammenarbeit mit Partnern im VBS und Schnittstellen zu Lieferanten

Die Zusammenarbeit von Armasuisse mit den andern Partnern im VBS ist in der Vereinbarung TUNE geregelt, welche seit 2003 in Kraft ist.83 TUNE soll im Vergleich zum früheren Rüstungsablauf eine schnellere Realisierung der Vorhabensplanung gewähren und erlauben, flexibler als früher auf die spezifischen Bedürfnisse einzugehen.

Nach der Inkraftsetzung von TUNE wurde sehr rasch festgestellt, dass die Vereinbarung in der Umsetzung Schwierigkeiten macht, weil gewisse Rollen unklar abgegrenzt waren und insbesondere die Rollen der Logistikbasis und der Führungsunterstützungsbasis nicht angemessen berücksichtigt waren. Diese Mängel sollten mit einer überarbeiteten Version von TUNE (sog. TUNE+) angegangen werden. Die überarbeitete Vereinbarung konnte nach langen Verhandlungen am 2. Mai 2007 abgeschlossen werden.84 In sämtlichen vertieft untersuchten Beschaffungsvorhaben wird die generelle Zusammenarbeit von den direkt Beteiligten als gut bis ausgezeichnet bezeichnet. Nach gewissen Anfangsschwierigkeiten bei Einführung des neuen Regimes (TUNE) hat sich gemäss übereinstimmenden Äusserungen aller Befragten die Zusammenarbeit vor allem auch zwischen Armasuisse und dem Planungsstab deutlich verbessert.

Zudem ist die Zusammenarbeit zwischen PST und Armasuisse auf der operativen Stufe besser als auf der Führungsebene. Trotzdem ist auch die Arbeit noch stark von der traditionellen Segmentierung geprägt: Jeder vertritt seinen Bereich und versucht dabei ein Optimum zu erreichen. Im Folgenden betrachten wir einige kritische Aspekte der Zusammenarbeit in der Vorhabensplanung über die Vorevaluation und die Evaluation.

Gemäss TUNE liegt der Lead in der Vorhabensplanung beim Planungsstab, wobei der Beschaffer Armasuisse bereits in einer frühen Phase einbezogen wird, um die technische Machbarkeit und die Kosten bestimmter materieller Bedürfnisse abzu-

83

84

TUNE übernimmt damit die Rolle des Bindeglieds zwischen den internen Prozessvorgaben der beiden Departementsbereiche. Für die Arbeiten des Bereichs Verteidigung ist insbesondere das in einer Übergangsversion vorliegende «Planungshandbuch Verteidigung» wegleitend, während Armasuisse seine Arbeiten über die Vorgaben eines zertifizierten Managementsystems steuert.

Schwierigkeiten bereitete bis zuletzt die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Armasuisse und der LBA für die Beschaffung im Rahmen der Instandhaltung (Ersatzbeschaffungen).

Neu soll Armasuisse auch hier die Rahmenverträge abschliessen und die LBA auf dieser Basis die einzelnen Bestellungen auslösen.

3653

klären. Diesbezüglich wurden nach übereinstimmender Aussage der Befragten klare Verbesserungen erzielt.85 Eine wesentliche Herausforderung der Zusammenarbeit ist aus Beschaffungsoptik die enge Kommunikation mit den möglichen Lieferanten bereits in einer sehr frühen Phase (Markt- und Machbarkeitsabklärungen). Um diese Zusammenarbeit zu verbessern und zu beschleunigen, wurden im Rahmen von TUNE zwei bisher sequentiell und separat durch den Planungsstab und dann durch Armasuisse abgewickelte Prozesse zusammengefasst. Gemäss der Vereinbarung TUNE sind die Lieferantenkontakte dabei ganz klar Sache von Armasuisse. Dieser Vorgabe steht die Tatsache entgegen, dass die Lieferanten beim Nutzer, der gegenüber dem Planungsstab seine Bedürfnisse artikuliert, für ihre Lösungen «Werbung» machen.

Gemäss mehreren Interviews geht die Industrie auch aktiv auf den technisch weniger versierten PST zu und versucht dessen Planung mit neuen technischen Möglichkeiten zu beeinflussen. Diese Strategie drängt sich aus Sicht der Lieferanten verstärkt auf, seit die Rüstungsbudgets beim Bereich Verteidigung (und nicht mehr bei Armasuisse) angesiedelt sind. Die Industriekontakte führen nach Aussagen von Armasuisse-Mitarbeitern immer wieder dazu, dass die militärischen Anforderungen stark auf ein bestimmtes Produkt zugeschnitten sind ­ es liegt dann an Armasuisse im Rahmen der Aushandlung des Projektauftrags hier Gegensteuer zu geben und im Extremfall die Unterschrift zu verweigern. Allerdings ist der Rüstungschef hier nicht völlig frei, hat er als Auftragnehmer doch auch ein Interesse an der Akquisition von Beschaffungsaufträgen (zu den möglichen Folgen vgl. Kap. 3.1.4).

Im Rahmen der eigentlichen Beschaffungsvorbereitung (Evaluation und ggf. Vorevaluation) liegt der Lead bei Armasuisse, wobei die Bedarfsträger stark einbezogen werden und sowohl die Auswahl wie auch die Definition der Bewertungskriterien mitbestimmen. Bemerkenswert ist, dass der Bedarfsträger mit der Erklärung der Truppentauglichkeit noch zu einem sehr späten Zeitpunkt des Evaluationsprozesses entscheidenden Einfluss nehmen und Zusatzwünsche anbringen kann (vgl. dazu 4.2.4).

Andere Armeen (z. B. Deutschland, Schweden) verfolgen hier eine klarere Trennung, was zwar den Vorteil einfacherer und schnellerer Prozesse hat und der Aufblähung der Pflichtenhefte
entgegenwirkt. Umgekehrt besteht das Risiko, an den Nutzerbedürfnissen vorbei zu beschaffen und Mängel zu übersehen, die ohne Mehrkosten zu beseitigen wären. Deshalb ist der Nutzer angemessen in den Prozess einzubeziehen. Auch führende Industrieunternehmen tun dies, sie regeln jedoch die Rolle des Nutzers, seine Einflussmöglichkeiten in jeder Beschaffungsphase und abhängig von der strategischen Positionierung des Beschaffungsgegenstandes. Das kann namentlich dazu führen, dass der Einfluss der Nutzer in einzelnen Sachbereichen stark eingeschränkt und vor allem auf eine frühere Phase konzentriert wird.

85

Vor allem Vertreter von Armasuisse wünschten sich aber einen noch früheren und stärkeren Einbezug, namentlich auch im Rahmen der vorgelagerten Masterplanung. Dieses Anliegen betrifft den Planungsprozess und wurde entsprechend dem Gegenstand der vorliegenden Untersuchung nicht näher abgeklärt.

3654

Es gibt auch Aussagen von Lieferanten (Offertstellern), dass während der Offertund Evaluationsphase Kontakte zwischen (ausgewählten) Offertstellern und dem Planungsstab bzw. den Bedarfsträgern bestehen (vgl. dazu Kap. 3.1.3). Dies ist nicht nur aus rechtlicher, sondern auch aus kommerzieller Sicht unerwünscht. Wenn beispielsweise ein Lieferant erfährt, dass sein Produkt in der Pole-Position ist, wird sich das in jeder Phase des Vergabeverfahrens auf seine Preisgestaltung auswirken.

Führende Industrieunternehmen definieren die Informationsflüsse zwischen Lieferanten und internen Stellen klar und setzen diese auch durch. Zusätzlich stellt der sehr frühe Einbezug der Beschaffungsverantwortlichen sicher, dass Informationen besser kanalisiert werden können.

4.2.4

Spezifikation und Pflichtenheft

Die Spezifikationen und das Pflichtenheft beeinflussen die Beschaffungskosten sehr stark. Erfahrungen aus der Industrie zeigen, dass bis zu 80 % der Kosten nach Abschluss der Produkt- bzw. Systemspezifikation festgelegt sind.

Die Spezifikationen in den Pflichtenheften liegen generell auf einem hohen Niveau.86 Auch in Fällen, wo ein Kauf ab Stange ins Auge gefasst wird, werden wenig Kompromisse im Hinblick auf die funktionalen Anforderungen gemacht. Es wird in diesem Zusammenhang immer mit den speziellen Anforderungen der Schweizer Armee argumentiert: Milizsystem, Mehrsprachigkeit, spezielle Einsatzdoktrin, Integration ins Gesamtsystem. In bestimmten Einzelfällen sind diese Argumente sicher stichhaltig. Generell entsteht jedoch der Eindruck, dass diese zur Legitimation anspruchsvoller Spezifikationen herhalten und so einen übertriebenen Perfektionismus decken.

Viele Gesprächspartner räumen ein, dass der Qualitätsanspruch der Schweizer Armee eher etwas höher ist als derjenige anderer Armeen. Bei gewissen Anforderungen lässt ein Teil der Gesprächspartner auch Zweifel an deren Notwendigkeit erkennen (z. B. Blitzschutz beim Kurzwellenfunk).

Die Erfahrung aus der Industrie zeigt, dass das Spezifikations-Niveau auch eine Funktion der Zeit und der Anzahl der beteiligten Akteure ist. Jeder zusätzliche Mitarbeitende, der spezifiziert, will seinen Beitrag leisten und seine Aufgabe sehr gut erfüllen. Dies führt zum «Wedding-Cake-Syndrom»: Das Anspruchsniveau steigt mit der Zeit, die Spezifikation vertieft sich und die Auswahl an tauglichen Produkten verengt sich entsprechend.

86

Die Pflichtenhefte werden in der Regel durch die integrierten Projektteams (IPT) erstellt und vom Chef PST A genehmigt (bei Projekten, die ohne IPT abgewickelt werden, entscheidet der Chef PST A über das Pflichtenheft). Die Armasuisse erstellt aufgrund der militärischen Anforderungen bzw. des militärischen Pflichtenheftes die technischen Spezifikationen.

3655

Abbildung 12 Das Wedding Cake Syndrom

The TheWedding WeddingCake CakeSyndrom Syndrom

Quelle: Zellweger Management Consulting AG

In führenden Industrieunternehmen werden bereits bei der Definition des Pflichtenhefts Optimierungsansätze wie die Wertanalyse konsequent angewendet, um die Spezifikation auf das Notwendige zu reduzieren (vgl. dazu auch Kap. 4.2.5). Im besten Fall werden diese Wertanalysen von Personen geführt, die nicht direkt im Projekt involviert sind. In der Beschaffungspraxis von Armasuisse werden solche Optimierungsansätze in den entscheidenden frühen Phasen kaum angewendet.

Die in der vorliegenden Untersuchung analysierten Beschaffungsvorgänge zeigen, dass die Spezifikationen bzw. die entsprechenden Pflichtenhefte sehr lange im Entwurfsstadium bleiben. Das definitive Pflichtenheft wird sehr spät im Prozess erstellt. Das führt dazu, dass immer wieder neue und geänderte Anforderungen (Funktionalität, Mengen etc.) ins Pflichtenheft einfliessen können. Erfahrungsgemäss treibt dies Abwicklungs- und Ausführungskosten in die Höhe.

Instruktiv ist in diesem Zusammenhang auch der gescheiterte erste Anlauf in der Beschaffung des Aussenbordmotors. Obwohl die offerierten Modelle die Leistungsanforderungen gemäss Pflichtenheft erfüllten, erhielt keines der Modelle die Truppentauglichkeit, weil die Leistungsreserven aus Sicht der Truppe nicht genügten. In der Konsequenz wurde das Pflichtenheft angepasst und die Beschaffung neu lanciert (somit fielen auch die Evaluationsaufwände ein zweites Mal an).

Beim Kurzwellenfunksystem SE-240 wurden aufgrund der Truppenversuche Änderungen mit geschätzten Kosten von rund 6,7 Millionen Franken beantragt. Nach eingehender Prüfung und Verhandlungen zwischen Armasuisse und den Vertretern der Nutzerseite wurden schliesslich Anträge mit einer Kostenfolge von 4,6 Millionen Franken umgesetzt. Damit machen die Anpassungskosten rund 7 % der gesamten Beschaffungskosten aus, beim Aussenbordmotor liegen die Kosten der nachträglichen Änderungen in der gleichen Grössenordnung. Das erscheint in Prozenten nicht viel zu sein, ist in absoluten Zahlen und unter betriebswirtschaftlicher Betrachtungsweise aber eine beachtliche Abweichung.

3656

Einen Spezialfall stellt das Vorhaben FIS-Heer dar, wo im Rahmen von verschiedener Testphasen (Testbeds) ein bestehendes System für den Einsatz in der Schweizer Armee stark angepasst, um nicht zu sagen neu entwickelt wird. Die Kosten für die Anpassungsentwicklung sind dabei mit mindestens 50 Millionen Franken für ein bestehendes System sehr hoch, auch im Vergleich mit den eigentlichen Lizenzkosten.

Bei langen Projektdurchlaufzeiten besteht die Gefahr, dass sich die militärischen Anforderungen und ebenso die Technologie bei den Lieferanten während des Projektes ändern. Dies war etwa im Fall des Sanitätsfahrzeugs der Fall, bei welchen in einer späten Phase die Integration von FIS-Heer-Komponenten in die Pflichtenhefte aufgenommen werden musste (mit entsprechenden Zusatzaufwänden). Angesichts der im Allgemeinen langen Projektlaufzeiten dürfte dieses Phänomen in der Beschaffungspraxis von Armasuisse häufig auftreten (vgl. Abbildung 10).

Führende Unternehmen in der Privatwirtschaft (z. B. Anlagenbau, Infrastrukturbau) definieren bei Projektstart einen Meilenstein «Design-Freeze» mit sehr engen terminlichen Vorgaben. Die Hürden für nachträgliche Änderungen nach Erreichen des «Design-Freeze» sind dabei sehr hoch gelegt (Genehmigung von höchster Stelle erforderlich). Es gilt, anders als in der gegenwärtigen Beschaffungspraxis des VBS der Grundsatz: «definieren statt probieren». Zwar wird nach Aussagen externer Gesprächspartner auch von Armasuisse gegenüber früher, als dem Nutzer in der Evaluationsphase nahezu jeder erdenkliche Zusatzwunsch erfüllt wurde, eine wesentlich restriktivere Gangart angeschlagen. Die engeren Budgetvorgaben dürften hierbei eine wichtige Rolle spielen. Im Vergleich mit der Industrie sind aber die Spielräume für nachträgliche Änderungen noch immer gross.

Neben den technischen Änderungen ist auch die zum Teil sehr späte Festlegung der Mengengerüste (durch den Auftraggeber Planungsstab) problematisch und tendenziell kostentreibend. Im Fall des SE-240 wurde das Mengengerüst erst nach der Typen- und Firmenwahl festgelegt. Man musste die Preise für eine verringerte Stückzahl mit dem Lieferanten neu aushandeln. Obwohl Armasuisse hierfür mit dem nachträglichen Einholen von Offerten für verschiedene Stückzahlen und anschliessenden Offertvergleichen einen guten Ansatz anwandte, war die
Verhandlungsposition deutlich schwächer als wenn im Wettbewerb für die definitiv fixierte Stückzahl offeriert worden wäre.

Die aktuelle Praxis stellt auch die in der Rüstungspolitik angestrebte Ausrichtung auf den Kauf ab Stange in Frage. Zwar ist deutlich erkennbar, dass dieser häufig angestrebt wird (SE-240, Aussenbordmotor, viele weitere Fälle). Die Wettbewerbsund Kostenvorteile eines solchen Ansatzes werden aber zumindest teilweise zunichte gemacht, wenn im Rahmen der Spezifikation (und Nach-Spezifikation) die Anforderungen erhöht, Anpassungen erzwungen und frühe Monopolsituation erzeugt werden.

3657

4.2.5

Evaluationskriterien

Der Definition und Dokumentation der Evaluationskriterien wird in den Verfahrensund Arbeitsanweisungen grosses Gewicht beigemessen. Die vorgesehenen Bewertungsinstrumente sind nicht zu komplex und ermöglichen eine transparente und systematische Bewertung der Angebote. In der Praxis verwendet Armasuisse folgende zwei Ansätze: ­

Auswahl des Angebots mit dem besten Kosten-Nutzen-Verhältnis: Grundlage dieses Verfahrens ist eine detaillierte Analyse des Nutzens aufgrund verschiedenster Kriterien (Technik, Betrieb, Kommerz etc.). Die einzelnen Nutzendimensionen werden separat bewertet (Punktesystem) und aufgrund einer vorab definierten Gewichtung zu einem Nutzwert aggregiert. Anschliessend werden die Nutzwertpunkte ins Verhältnis zu den Kosten gestellt. Es gewinnt das Angebot mit den meisten Nutzwertpunkten pro ausgegebenen Franken.

­

Auswahl mit spezifischer Gewichtung von Qualität und Preis: Bei diesem Verfahren wird zuerst die Gewichtung von Qualität und Preis festgelegt. Zur Ermittlung der Qualität wird auch hier der Nutzwert ermittelt und in einer Punktzahl ausgedrückt. Für den Preis wird ebenfalls eine Punktzahl ermittelt. Das Angebot mit dem günstigsten Preis erhält die maximale Punktzahl.

Bei den übrigen Angeboten werden Punkte abgezogen, die prozentual dem Mehrpreis gegenüber dem günstigsten Angebot entsprechen. Folgende Darstellung illustriert dies bei einer Gewichtung der Qualität mit 60 % und des Preises mit 40 % (Zuschlag geht an Angebot 1): Nutzwert (max. 60 Punkte)

Angebot 1 Angebot 2

55 45

Preis (max. 40 Punkte)

Total

absolut

Punkte

120 Mio. CHF 100 Mio. CHF

32 40

87 85

Als Anhaltspunkt für die Bedeutung der genannten Verfahren und der Gewichtung von Qualität und Preis als Vergabekriterien dient eine «Beschaffungsstatistik»87, welche Armasuisse im August 2006 zuhanden der Finanzkommission des Nationalrates erstellt hat (vgl. dazu Abbildung 13).

87

Anders als der Titel der Liste suggeriert, zeichnet die Liste weder ein vollständiges Bild noch stellt sie eine zufällige Auswahl der Beschaffungsvorhaben von Armasuisse dar.

Angesichts des Umfangs der Liste (und des finanziellen Umfangs der darin aufgeführten Beschaffungen) liefert sie aber doch aussagekräftige Anhaltspunkte für die Grössenverhältnisse in der effektiven Beschaffungspraxis.

3658

Abbildung 13 Gewichtung der Kosten als Evaluationskriterium 2000 1800 1600 1400

Mio. CHF

1200 1000 800 600

90-100% Preis

400 50% Preis

200 0-40% Preis

0 Kosten-Nutzen-Analyse

Gewichtung Preis/Qualität

Quelle: Darstellung der PVK aufgrund einer «Beschaffungsstatistik», welche Armasuisse zuhanden der Finanzkommission des Nationalrats im August 2006 erstellt hat. Dargestellt sind nur die Beschaffungen (ohne Liquidationen), die in einem Wettbewerbsverfahren vergeben wurden.

Die mit Abstand grösste Bedeutung haben Vergabeentscheide auf der Basis von Kosten-Nutzen-Analysen. Deshalb muss man sich die tendenziell kostentreibenden Konsequenzen des Ansatzes vor Augen halten: Jeder über den Mindestanforderungen liegende Nutzen wird eingekauft, solange dieser nicht überproportional teuer ist (nicht teurer als der Nutzwertpunkt des billigsten Angebots, das die Mindestanforderungen erfüllt). Abbildung 14 illustriert diesen Sachverhalt: Während bei einem Entscheid aufgrund erfüllter Mindestanforderungen (Funktionalität, technische Anforderungen, Lieferantenqualifikation) und Kosten Anbieter A zum Zuge kommt, fällt die Wahl bei einem Entscheid aufgrund der Kosten-Nutzen-Analyse auf Anbieter D. Diese Methode begünstigt tendenziell also beste Qualität und möglichst grosse Funktionalität. Wunschkriterien werden so berücksichtigt und wirken sich auf die Beschaffungskosten negativ aus.

3659

Abbildung 14 Grafische Darstellung der Kosten-Nutzenanalyse Anbieter D (Gewinner)

Anbieter B

Mindestanforderungen

Anbieter E

Anbieter C

Kostendach

Nutzen

Anbieter A

Lebenswegkosten (Fr.)

Quelle: Interne Arbeitsanweisung Armasuisse, ergänzt durch PVK

Eine spezifische Gewichtung von Qualität und Preis wird nur für einen kleineren Teil des Vergabevolumens angewendet, wobei es sich hierbei fast ausschliesslich um die Beschaffung von Gebrauchsgütern handelt (z. B. Bekleidung). Hier fällt auf, dass die Qualität angesichts der beschafften Güter relativ stark gewichtet wird, Entscheide mit sehr starker Gewichtung des Preises sind eher selten. Beispiele, bei denen die eher geringe Gewichtung des Preises zu Fragen Anlass gibt, sind in der nachfolgenden Tabelle 2 aufgeführt.

Tabelle 2 Beispiele für die Gewichtung des Preises Beschaffungsgegenstand

Gewichtung Preis

Beschaffungskosten CHF

65 000 Paar Kampfstiefel.

220 000 Stk. Tricot-Hemd (Gnägi) 270 000 Stk. T-Shirt 36 000 Stk. Gepäckset 04 4576 Teile Witterungsschutz 60 Mobile Küchen 83 Stk. Gasflaschenwagen

25 % 40 % 40 % 40 % 40 % 50 % 50 %

5 552 000 1 273 000 1 009 000 14 472 000 967 000 18 740 390 510 000

Die vorgebrachten Argumente für eine stärkere Gewichtung der Qualität beziehen sich oft auf die spezielle Situation der Schweizer Armee, wobei vor allem der im Vergleich anspruchsvollere Milizsoldat aufgeführt wird. Zudem wird angeführt, dass 3660

die entsprechenden Güter bei der Armee länger in Gebrauch seien als im zivilen Bereich und bei Gebrauchsgütern (z. B. Schuhen) der Milizsoldat zum Teil selber für Reparaturen aufkommen müsse.

In führenden Industrieunternehmen sind die Entscheidungskriterien insbesondere bei Standardprodukten klar auf die (Lebensweg-)Kosten und die kommerziellen88 Kriterien fokussiert. Sind die Mindestanforderungen ((Funktionalität, technische Anforderungen, Lieferantenqualifikation) erfüllt, erfolgt der Zuschlag allein nach den Lebenswegkosten. Eine stärkere Gewichtung von Qualitätsaspekten erfolgt nur in Einzelfällen und nach bewusster Abwägung.

Nach Grob-Schätzung von PST beträgt der Anteil von Standardprodukten ca. 15 % vom totalen Beschaffungsvolumen bzw. 200­300 Millionen Franken pro Jahr. Die Aussagen aus einzelnen Interviews gehen dahin, dass weitere Produkte in die Kategorie Standard eingeteilt werden könnten. Für derartige Produkte könnte vermehrt nach betriebswirtschaftlichen Kriterien (stärkere Gewichtung der Kosten) beschafft werden, vor allem auf den internationalen Beschaffungsmärkten (Global Sourcing).

Insgesamt scheint der Qualitäts- im Vergleich zum Kostenaspekt noch immer sehr stark gewichtet. Die gegenwärtige Praxis der Kosten-Nutzen-Analyse begünstigt dies ebenso wie die einzelfallweise Gewichtung von Preis und Qualität bei der Beschaffung von Gebrauchsgütern. Im Vergleich zur Industrie fehlen hier klarere und härtere Vorgaben, wie sie sich aufgrund einer klaren, von Armasuisse bisher nicht erarbeiteten Warengruppenstrategien ergeben würden (vgl. dazu Kap. 4.1.2, 4.1.4).

Ausdrücklich positiv zu würdigen ist, dass die heutige Praxis von Armasuisse gemäss Aussagen verschiedener interner und externer Gesprächspartner bis in die 1990-er Jahre verbreiteten reinen Qualitätsoptik («nur das Beste ist gut genug, koste es was es wolle») gewisse Schranken setzt. Als Beispiel kann hier die Beschaffung des Aussenbordmotors angeführt werden, wo ein Produkt Nachteile im Nutzwert durch einen wesentlich günstigeren Preis wettmachen konnte, also in der KostenNutzen-Analyse knapp obsiegte und in der Konsequenz den Zuschlag erhielt.

4.2.6

Zwischenfazit

Die fehlenden beschaffungsstrategischen Grundlagen führen dazu, dass die Beschaffungspraxis von Armasuisse die Vorhaben zu wenig differenziert angeht. Zu viele strategisch unterschiedlich positionierte Vorhaben werden nach dem gleichen Muster und mit ähnlich hohem Aufwand abgewickelt. Für einfachere und strategisch weniger wichtige Vorhaben werden zu viele Ressourcen eingesetzt, die dann bei der Bearbeitung strategisch wichtiger Vorhaben fehlen.

88

Bei der Bewertung des Nutzwerts werden neben technischen auch kommerzielle Kriterien berücksichtigt, die nicht den Preis betreffen (z. B. Lieferantenbeurteilung, etwa im Hinblick auf Qualitätssicherung, Gewährleistung, Finanzkraft, Beteiligungsverhältnisse).

Dies ist richtig und wichtig. Allerdings haben die kommerziellen gegenüber den technischen Aspekten ein geringes Gewicht. In den meisten Fällen wird der Kommerz weniger als 20 % gewichtet. Bei den folgenden Beispielen flossen kommerzielle Kriterien mit einem Gewicht von nur 10 % in die Beurteilung des Nutzwertanalyse ein: ­ Alarmierungssystem Stinger (Beschaffungswert 44 Mio. Fr.)

­ Operative elektronische Aufklärungssysteme (Beschaffungswert 110,5 Mio. Fr.).

3661

Im Vergleich mit führenden Unternehmen der Privatwirtschaft weisen die Beschaffungsprozesse von Armasuisse lange Durchlaufzeiten auf. Erfahrungen aus der Industrie zeigen, dass zwischen diesen beiden Grössen ein Zusammenhang besteht: Mit einer Reduktion der Beschaffungszeit können die Prozesskosten um bis zu 25 % reduziert werden.

Im Vergleich zu führenden Industrieunternehmen weisen die untersuchten Beschaffungsvorhaben eine umfangreiche und zum Teil komplexe Projektorganisation auf.

Die Projektführung ist stärker hierarchisiert und die Gesamtverantwortung (Produkt/Kosten/Qualität/Termine) liegt nicht auf der Stufe der Projektleiter. Neben Effizienznachteilen (längere Entscheidungswege, tendenzielle Überforderung der zeitlichen und fachlichen Kapazitäten der oberen Stufen) scheint dies bei Armasuisse auch dazu beizutragen, dass die Verantwortung nach oben weitergereicht wird, die vorgesetzten Stellen bei Fehlern umgekehrt den Schuldigen unten in der Hierarchie suchen. Dies führt auf den unteren Stufen zu einer Nullfehlerkultur und einem starkem Sicherheitsdenken.

Die Pflichtenhefte neigen zur Überspezifikation. Im Wissen darum, dass die Spezifikationen und das Pflichtenheft die Beschaffungskosten sehr stark beeinflussen, werden in führenden Industrieunternehmen die Spezifikationen viel konsequenter hinterfragt, das Pflichtenheft entsprechend entschlackt (keine Wunschkriterien) und zu einem frühen Zeitpunkt eingefroren. Bei Armasuisse wird das definitive Pflichtenheft sehr spät im Prozess erstellt. Es können immer wieder neue und geänderte Anforderungen (Funktionalität, Mengen) ins Pflichtenheft einfliessen. Der starke Einbezug der Nutzer (Truppentauglichkeitserklärung) in einer sehr späten Phase des Prozesses verstärkt diese Tendenz. Dies führt dazu, dass Projekte zu wenig zielgerichtet bearbeitet werden können. Weiter wird das Spektrum der auf dem Markt verfügbaren Lösungen, welche den Anforderungen genügen, stark eingeengt.

Schliesslich werden die Projektdauern verlängert und die Kosten erhöht. Obwohl unter dem engeren Finanzkorsett Nutzerwünsche kritischer hinterfragt werden als in früheren Zeiten, besteht bei der Definition der Pflichtenhefte noch erhebliches Optimierungspotenzial.

In der eigentlichen Angebotsevaluation haben Qualitätskriterien bei Armasuisse noch immer ein grosses Gewicht,
obwohl einer reinen Qualitätsoptik durch die engeren Finanzvorgaben und die verwendeten Bewertungsinstrumente im Vergleich zu früher gewisse Grenzen gesetzt sind. In führenden Industrieunternehmen sind Beschaffungsentscheide bei erfüllten Mindestanforderungen an Produkt und Lieferanten dagegen klar auf die Kosten und die kommerziellen Kriterien fokussiert. Sind die Mindestanforderungen erfüllt, erfolgt der Zuschlag allein nach dem Preis. Demgegenüber berücksichtigt Armasuisse bei den meisten Beschaffungsentscheiden auch Qualitätsmerkmale, die über den Mindestanforderungen liegen. Die Übererfüllung der Mindestanforderungen wird belohnt, solange keine überproportionalen Kosten entstehen und der verfügbare Kredit nicht ausgeschöpft wird. Die starke Gewichtung des Qualitätsaspekts kommt auch in den sehr aufwändig gestalteten Evaluationen (Verifikationsversuche) zum Ausdruck, welche darauf ausgelegt ist, möglichst jeden Schwachpunkt auszumerzen und ein Produkt optimal auf den Einsatz in der Truppe abzustimmen.

3662

4.3

Management und Controlling

4.3.1

Management

Insgesamt sind das Management und die Managementkultur stark von militärischer und staatlicher Seite geprägt. Im Vergleich mit der Privatwirtschaft ist die Führung noch zu wenig betriebswirtschaftlich orientiert (ungenügende Kostenorientierung).

Ein grosser Mangel aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist, dass es keine nach betriebswirtschaftlichen Kriterien geführte Steuerung der Prozesseskosten des Rüstungsablaufs gibt. Die Prozesskosten finden kaum Beachtung. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass die Kosten in verschiedenen Einheiten anfallen ­ es ist unmöglich die internen Kosten der Rüstungsbeschaffung zu beziffern, einzig für die Aufwendungen von Armasuisse sind entsprechende Informationen vorhanden.

Das Managementinformationssystem verlangt von den Projektleitern eine jährliche Planung der Ressourcen. Diese Planung geht aber nach übereinstimmenden Aussagen verschiedener Gesprächspartner von den vorhandenen Ressourcen aus und verteilt diese auf die anstehenden Aufgaben. Es wird nicht, wie aus betriebswirtschaftlicher Sicht angezeigt, der umgekehrte Weg gegangen und aufgrund einer (beschaffungsstrategisch informierten) Analyse der Vorhaben der Ressourcenbedarf pro Projekt ermittelt und anschliessend von der Führung die Ressourcen dafür zugeteilt. Einzelne Gesprächspartner gingen sogar so weit zu behaupten, dass Armasuisse die PEB-Kredite und die Vorhabensplanung nicht nur aus einer technischen und marktbezogenen Sicht beurteile, sondern die Planung auch dahingehend zu beeinflussen versuche, dass die eigenen Ressourcen ausgelastet werden können.

Im Vergleich zu führenden Unternehmen der Privatwirtschaft fehlen von Seiten des Managements und der Führung klare, auf einzelne Projekte herunter gebrochene Zielvorgaben zur Beschleunigung der Projekte und Reduktion der internen und externen Kosten. Gerade im Rahmen der Beschaffung sind die internen und externen Prozesskosten eine Funktion der Zeit. In der Industrie konnten über Vorgaben für stark verkürzte Projektzeiten (Tests und Evaluation) die Kosten massiv gesenkt werden, ohne dass sich deswegen die Qualität der Ergebnisse verschlechtert hätte.

Das ursprünglich von Armasuisse selbst formulierte, inzwischen aber von den Verantwortlichen als unrealistisch erachtete Leitaussage «schneller, besser, billiger» ist eine anspruchsvolle aber nicht
unmögliche Vorgabe. Auch in der Industrie konnten Kostenreduktionen erreicht werden, welche von den Direktbetroffenen im Vorfeld als unrealistisch bezeichnet wurden.

Die geschilderte Situation ist in einem von Personalabbau89 geprägten Umfeld und angesichts der herrschenden finanziellen Steuerungsmechanismen zum Teil nachvollziehbar. Bei Unternutzung von Budget und Personalressourcen droht die Gefahr, dass beim nächsten Planungslauf auf höherer Ebene (bis hin zur Politik) Kürzungen erfolgen. Es ist abzuwarten, wie weit die Umstellung von Armasuisse auf das FLAG-Modell Verbesserungen in der Anreizstruktur bringen kann. Es wird eine Aufgabe des Armasuisse Managements sein, die im Rahmen von FLAG zumindest etwas erweiterten Spielräume so zu nutzen, dass eine Senkung der Beschaffungskosten belohnt werden kann.

89

Vgl. dazu Kap. 4.4.

3663

4.3.2

Controllingsystem

Armasuisse hat ein mehrstufiges Controllingsystem aufgebaut, welches die strategische Führung, die Koordination der Ressourcen der verschiedenen Vorhaben sowie das operative Controlling der Ausführung der Vorhaben umfasst. Das System ist noch nicht vollumfänglich umgesetzt und konnte deshalb im Rahmen der untersuchten Vorhaben nur teilweise eingesetzt werden.90 Die Konzeption des Controllingsystems in SAP ist grundsätzlich gut und entspricht im Ansatz Vorbildern in führenden Industrieunternehmen. Trotzdem zeigt die Konzeption auch Mängel:

90

91

­

Ein ganzheitliches Controlling führt neben den Dimensionen Leistung (Qualität, Leistungsdaten, Lebensdauer etc.), Kosten (Beschaffungskosten, Betriebskosten) auch die Dimension des gebundenen Kapitals (Materialbestände, Ware in Arbeit etc.). Die Dimension des gebundenen Kapitals fehlt im Controlling von Armasuisse. Es konnten auch keine entsprechenden Zahlen geliefert werden. Mit den Bemühungen zur Abschätzung der Lebenswegkosten in der Beschaffungsphase sind zwar Ansätze vorhanden, diese Kosten zumindest teilweise in Beschaffungsentscheide einzubeziehen. Die Kapitalkosten sind dabei aber nicht berücksichtigt.91

­

Ein wichtiger Grund dafür mag darin liegen, dass Armasuisse weder für die Bewirtschaftung der entsprechenden Finanzmittel (PST) noch für die Bewirtschaftung des physischen Kapitalstocks (LBA) zuständig ist. Für das Projektcontrolling fehlt eine Gesamtsicht über alle involvierten Organisationseinheiten. Dadurch ist es auch nicht möglich, eine vollständige Lebenswegkosten-Sichtweise zu erhalten. Abbildung 15 zeigt eine solche Sicht aufgrund einer rein qualitativen Grobschätzung aus externer Sicht.

Nach Angaben von Armasuisse wird per Januar 2008 ein Vertrags- und Lieferantenmanagement operationell sein, welches die wesentlichen der aufgeführten Forderungen bzgl.

Controlling abdecken wird.

Der Vergleich der aktuellen Situation mit Feststellungen aus älteren Revisionsberichten macht immerhin deutlich, dass das gebundene Kapital fallweise vermehrt in die Überlegungen einbezogen und Lager- und Reservebestände reduziert werden.

3664

Abbildung 15 Gewichtung von Kapital-, Kosten- und Leistungsdimension (Qualitative Grobschätzung aufgrund der Interviews) Leistung Ist-Ausprägung Soll-Ausprägung

Kapital

Kosten

Quelle: Zellweger Management Consulting AG

Betrachten wir nun nach dem Controllingkonzept an sich auch dessen Umsetzung, stellen wir fest, dass das bestehende Controllingsystem weder zur Unternehmensführung noch im Rahmen des Projektcontrollings konsequent eingesetzt wird.

Das übergeordnete Armasuisse Cockpit (strategische Ebene) ist noch nicht umgesetzt. Abgesehen von Abbauvorgaben beim Personal, fehlen entsprechende Vorgaben und Zielsetzungen weitgehend. Zudem fehlen aus Sicht der Beschaffung wichtige Elemente wie z. B. eine sauber strukturierte Beschaffungsstatistik und klar definierte Key Performance Indikatoren, also Kennzahlen, anhand derer man den Fortschritt oder den Erfüllungsgrad hinsichtlich wichtiger Zielsetzungen oder kritischer Erfolgsfaktoren innerhalb einer Organisation messen kann. Im Rahmen von Gesprächen wurde eingestanden, dass man zwar ein leistungsfähiges System habe, sich aber mit der Definition der richtigen Kennzahlen schwer tue.

Auch für das Projektcontrolling scheint das Managementinformationssystem (mittlere Ebene des Controllingsystems) praktisch keine Relevanz zu haben. Das zeigt sich sowohl an entsprechenden Aussagen der Projektleiter wie auch aufgrund der Tatsache, dass viele Mitarbeiter nach mehrjähriger Zeiterfassung noch nie etwas über die Auswertung, Interpretation und Folgerungen aus dieser «Übung» erfahren haben. Ein weiteres Indiz ist die unbefriedigende Datenqualität. Es werden Kosten auf Projekte belastet, welche nicht zum Projekt zugeordnet werden können (z. B.

Falschbuchungen, Verbuchung der Einführung von Mitarbeitern als Projektkosten etc.). Bei allen analysierten Beschaffungsvorgängen gibt es Erklärungsbedarf, zum Teil konnten die Zahlen in den Augen der zuständigen Projektleiter für die Projektführung gar nicht verwendet werden. Die aktuelle Situation führt dazu, dass das ganze System und insbesondere auch die Stundenerfassung offen in Frage gestellt werden.

3665

In der aktuellen Praxis wird das Controllingsystem vor allem auf der operativen Ebene genutzt. Es handelt sich hier um SAP-Berichte, welche eine aktuelle Information über den Kredit- und Zahlungstand sowie den Stand der Bestellungen erlauben.

Entsprechend werden die Auswertungsberichte zur Überwachung der Kreditausschöpfung, zur Kompensation zwischen unterschiedlich ausgeschöpften Krediten bzw. zum Vermeiden von Kreditüberschreitungen eingesetzt.

Durch die Tätigkeit im Bereich der Rüstungsbeschaffung ist Armasuisse mit Risiken aus unterschiedlichen Richtungen konfrontiert: ­

politische Risiken (innenpolitisch, aussenpolitisch),

­

Beschaffungsrisiken (Abhängigkeit, Versorgungssicherheit etc.),

­

Projektrisiken (technisch, kommerziell, terminlich),

­

personelle Risiken.

Die Entscheidpapiere (v. a. Evaluationsberichte) nehmen bei grösseren Vorhaben eine knappe Risikobewertung vor. Zu Fragen Anlass geben dabei die in einem Fall (FIS-Heer) sichtbaren erheblichen Differenzen in der Risikobewertung verschiedener Gremien und das Fehlen eigentlicher Abbruchkriterien. Zudem erfordert die vielschichtige Risikolandschaft, in der sich die Rüstungsbeschaffung bewegt, ein institutionalisiertes Risikomanagement, das weiter geht als die heutige Risikobeurteilung in den Projekten. Gegenwärtig werden auch sehr grosse Rüstungsvorhaben vom übergreifenden Risk-Controlling des Departements nicht erfasst.

4.3.3

Interne Revision

Die interne Revision des Finanzinspektorats Armasuisse ist ein Kontrollinstrument mit einigem Potential. Während die älteren Revisionen stark an Ordnungsmässigkeit (Einhaltung der Vorgaben) orientiert sind, verfolgen die neueren Revisionen auch eine stärker betriebswirtschaftlich orientierte und umfassendere Sichtweise.

Die Prüfberichte sind gut und kritisch abgefasst. Die abschliessende Beurteilung sowie der Handlungsbedarf werden jedoch zu stark abgedämpft. Die Umsetzung der (schwachen) Empfehlungen ist zudem zu wenig verbindlich geregelt.

4.3.4

Zwischenfazit

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht fällt auf, dass der Ressourcenbedarf nicht aufgrund einer (beschaffungsstrategisch informierten) Analyse der Vorhaben pro Projekt ermittelt wird und anschliessend die Ressourcen dafür zugeteilt werden. Vielmehr geht man von den vorhandenen Ressourcen (Personal und Kredite) aus und verteilt diese auf die Vorhaben. Zudem fehlen von Seiten des Managements (Führung) klare, bis auf einzelne Vorhaben heruntergebrochene Vorgaben bezüglich Zeit und Kosten. Somit bleiben die Auslastung der eigenen Ressourcen und das Einhalten der Kredite zentrale Treiber für das Management, gerade auch vor dem Hintergrund der bestehenden Anreizstruktur: Die herrschenden finanziellen Steuerungsmechanismen belohnen die maximale Ausschöpfung der gesprochenen Kredite und der Druck zum Personalabbau führt zu einem Bestreben, die eigenen Personalressourcen mit möglichst viel Arbeit zu versorgen. Aus betriebswirtschaftlicher 3666

Sicht kann diese Situation nicht befriedigen: in Führung und Management besteht noch klares Optimierungspotenzial.

Ein grundsätzlich gut aufgesetztes Controllingsystem ist zwar im Aufbau und zum Teil auch bereits operativ. Bis heute fehlen darin aber aus Sicht der Beschaffung wichtige Kennzahlen, anhand derer man den Fortschritt oder den Erfüllungsgrad hinsichtlich wichtiger Zielsetzungen messen kann. Zudem fehlt eine den ganzen Rüstungsablauf umfassende Gesamtsicht unter Einbezug der Kapitalkosten. Unbefriedigend ist auch die Nutzung der bereits vorhandenen Elemente und der entsprechenden Ergebnisse des Controllingsystems. Statt der strategischen Steuerung aus betriebwirtschaftlicher Sicht dient das System der angesprochenen Optimierung von Budget und Personalressourcen. Die aktuelle Praxis verschenkt somit das grosse Potential des Systems und stellt den erheblichen Aufwand in Frage, der mit der Datenerhebung verbunden ist.

Schliesslich erfordert die vielschichtige Risikolandschaft ein institutionalisiertes Risiko-Management, das weiter geht als die heutige Risikobeurteilung in den einzelnen Projekten.

4.4

Personal

Gemäss Angaben von Armasuisse wurden im Beschaffungsbereich seit 1990 rund 15­20 % des Personals abgebaut (genaue Zahlen sind gemäss Armasuisse aufgrund der wiederholten Reorganisationen mit verhältnismässigem Aufwand nicht zu eruieren). Es ist zur Zeit noch offen, welchen zusätzlichen Beitrag die Beschaffungsämter an die departementale Abbauvorgabe von weiteren 10 % des Personals leisten müssen.

Die technische Qualifikation der Armasuisse-Mitarbeiter ist auf einem hohen Niveau (vgl. Abbildung 16). Es ist eine grosse technische Erfahrung im Rüstungssektor vorhanden. Die operativen Einkäufer sind in der Mehrzahl. Es fehlen aber strategische Einkäufer bzw. Supply Chain Manager mit technischem und betriebswirtschaftlichem Hintergrund sowie internationaler Industrieerfahrung.

3667

Abbildung 16 Qualifikation der Mitarbeiter von Armasuisse (Beschaffung) Ausbildung Mitarbeiter/innen BFTA, BWFM, W+T (2006) 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

BFTA

BW FM

Universität, Hochsch

23

8

W +T 48

Fachhochschule

47

36

44

Höhere Berufsausbild

12

42

18

Berufsausbildung

30

52

68

andere

1

3

2

Quelle: Darstellung der PVK aufgrund von Angaben Armasuisse

Hinzu kommt, dass die Zusammensetzung der vorhandenen technologischen Qualifikationen nicht mit dem sich ändernden Beschaffungsportfolio übereinstimmt.

Tendenziell gibt es zu viele an sich gut qualifizierte Mitarbeiter in traditionellen Bereichen und zu wenig in neuen Bereichen. Um personelle Engpässe im Bereich der Führungssysteme zu kompensieren, finanziert Armasuisse den Aufbau und Betrieb eines entsprechenden Kompetenzzentrums bei der RUAG.

Umgekehrt gibt es Aussagen, wonach gewisse Bereiche innerhalb der Armasuisse eher zu grosszügig dotiert seien. Gemäss plausiblen Interviewaussagen führt dies gar dazu, dass Armasuisse Druck zur Lancierung von Beschaffungsvorhaben macht, die aus Sicht der Armee nicht vordringlich sind, zu deren Bearbeitung bei Armasuisse aber nicht ausgelastete Personalressourcen verfügbar sind (vgl. Kap. 4.3.1).

Es liegt auf der Hand, dass die Verlagerung von Personalressourcen zwischen den Fachbereichen aufgrund der vorhandenen bzw. geforderten Spezialisierung nicht ohne weiteres zu realisieren ist. Vor diesem Hintergrund erscheint der personelle Umbau im Beschaffungsbereich als grössere Herausforderung als ein allenfalls zusätzlich zu realisierender Personalabbau.

3668

Das Durchschnittsalter liegt in den beiden Beschaffungsämtern bei deutlich über 50 Jahren, die durchschnittliche Anstellungsdauer bei 16 Jahren. Die Altersstruktur wird Armasuisse in Zukunft vor grosse Herausforderungen stellen. Einerseits steigen die Anforderungen und andererseits sinkt die Attraktivität von Armasuisse auf dem Arbeitsmarkt tendenziell, solange die Wirtschaft auf Hochtouren läuft. Die gut zahlende international tätige Industrie und auch die Dienstleistungsunternehmen haben heute grösste Probleme qualifiziertes Beschaffungspersonal zu rekrutieren.

5

Zusammenfassende Schlussfolgerungen

Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung bildeten Fragen nach der Rechtmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Beschaffungspraxis im Rüstungsbereich.

In einer Gesamtbeurteilung ist festzuhalten, dass sich Armasuisse als hauptsächlicher Träger der Beschaffung in verschiedenen Bereichen auf einem hohen Niveau bewegt. Auffallend ist vor allem die sehr gute Dokumentation der Prozesse. Positiv hervorzuheben ist auch, dass Armasuisse in einem turbulenten Umfeld zahlreiche Schritte eingeleitet hat, die in die richtige Richtung gehen. Man hat die beschaffungsrechtliche Ausbildung verstärkt, hat ein (zertifiziertes) Managementsystem aufgebaut, die Leistungszeiterfassung eingeführt und ist am Aufbau eines modernen Controllingsystems.

Trotzdem, so zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, ist Armasuisse noch nicht am Ziel. Es zeigt sich dabei, dass ein grosser Teil der Probleme nicht von Armasuisse im Alleingang bewältigt werden kann, sondern dass dazu auch die aktive Mitarbeit der anderen Partner im VBS notwendig ist.

Im Hinblick auf die rechtliche Beurteilung ist zu beachten, dass die Rüstungsbeschaffung in vielen europäischen Ländern vergleichsweise wenig wettbewerbsorientiert und die Bevorzugung der eigenen Industrie im Rahmen freihändiger Vergaben eher die Regel als die Ausnahme ist. Das schweizerische Recht geht mit der Forderung des Einladungsverfahrens für Beschaffungen von Kriegsmaterial über die Mindestanforderungen des internationalen Beschaffungsrechts hinaus.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wurde die aktuelle Beschaffungspraxis von Armasuisse am strengen Massstab der Praxis führender Industrieunternehmen (Anlagenbau, Maschinenbau, Infrastrukturbau in den Bereichen Verkehr, Öl- und Gasförderung) gemessen. Zwar ist die staatliche Rüstungsbeschaffung an gesetzliche Vorgaben gebunden und deshalb nicht in jeder Hinsicht direkt mit Privatunternehmen vergleichbar. Innerhalb des rechtlichen Rahmens verfügt die Verwaltung aber über Spielräume für Optimierungen, die gerade aus einem Vergleich mit der Beschafffungspraxis privater Unternehmen deutlich werden.

Im Folgenden haben wir die Kernprobleme aufgeführt, bei denen aus rechtlicher und betriebswirtschaftlicher Sicht der Handlungsbedarf am grössten ist.

Hohe Bedeutung von freihändigen Vergaben (Monopolsituationen) Fast die Hälfte der
Mittel oder rund 750 Millionen Franken gab Armasuisse im Jahr 2006 für Aufträge aus, die freihändig vergeben wurden. Diese Situation wird mit der hohen Bedeutung von Monopolen, insbesondere im Unterhaltsbereich, begründet.

3669

Starke und aus rechtlicher Sicht zum Teil fragwürdige Präferenz für das Einladungsverfahren Der Grundgedanke, wo immer möglich Wettbewerb zu schaffen, ist bei den Mitarbeitenden von Armasuisse gut verankert, was bei der Festlegung des Vergabeverfahrens immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten mit Vertretern des Departementsbereichs Verteidigung führt. Letzere werten die Schaffung von Wettbewerb deutlich weniger hoch als eine möglichst rasche und in hohem Masse systemkompatible Beschaffung.

Armasuisse setzt sich zwar in der Regel für Wettbewerb ein, zieht aber das Einladungsverfahren den wettbewerbsintensiveren offenen oder selektiven Verfahren vor.

Das Einladungsverfahren ist in der Handhabung flexibler und weniger aufwändig.

Es ermöglicht zudem, den Kreis der Anbieter auf bewährte Lieferanten zu beschränken und die regionale Verteilung der Aufträge zu steuern.

Die Präferenz für das Einladungsverfahren zeigt sich auch in einer fragwürdigen Interpretation des Beschaffungsrechts. Dies hat zur Folge, dass bestimmte Beschaffungen ohne genügende Begründung im Einladungsverfahren statt in einem wettbewerbsintensiveren, offenen oder selektiven Verfahren abgewickelt werden.

In einem der vertieft untersuchten Fälle wurde zudem festgestellt, dass ein zusammenhängender Auftrag in der Absicht zweigeteilt wurde, eine offene oder selektive Ausschreibung zu umgehen und stattdessen ein Einladungsverfahren durchzuführen.

Dieses Vorgehen widerspricht klar den rechtlichen Vorgaben.

Teilweise ungenügende Transparenz von Verfahren und Evaluationskriterien Zwar verwendete Armasuisse in allen vertieft untersuchten Wettbewerbsverfahren sachliche Kriterien und klar strukturierte Bewertungsinstrumente. Im Hinblick auf die Transparenz der Verfahren und der Evaluationskriterien ergibt sich aber ein gemischtes Bild. Mustergültige Abläufe stehen neben Abläufen, welche im Hinblick auf die Transparenz des Verfahrens kritisch zu beurteilen sind. Als problematisch erwiesen sich in den vertieft untersuchten Beschaffungsvorhaben vor allem folgende Aspekte: ­

Mangelnde Offenlegung: Armasuisse stellt zu Beginn der Verfahren nicht immer genügend Transparenz her. In zwei von drei untersuchten wettbewerblichen Verfahren wurden die Evaluationskriterien und/oder der Verfahrensablauf nicht konsequent genug offen gelegt.

­

Änderung der Evaluationskriterien im Laufe des Verfahrens: Zumindest in einem Fall waren für den Zuschlag Kriterien entscheidend, welche in der Ausschreibung nicht bzw. mit abweichender Gewichtung enthalten waren.

Rechtliche Vorgaben nicht optimal für komplexe Rüstungsbeschaffungen Im Hinblick auf die Durchführung eines rechtmässigen Verfahrens fehlt es weniger an den Instrumenten und den Kompetenzen der Beteiligten. Vielmehr scheinen die Mängel im Verfahren einerseits darauf zurückzuführen zu sein, dass an einer bewährten Praxis festgehalten wird oder dass eine widersprüchliche Ausgangslage zu wenig geklärt wird (Bestreben zur Schaffung einer Wettbewerbssituation vs. hohe Gewichtung der Kompatibilität mit bestehenden Systemen).

Andererseits sind die gegenwärtigen Vorgaben für das offene oder selektive Verfahren eher auf Beschaffungen von Standardgütern zugeschnitten und werden der 3670

Beschaffung komplexer Rüstungsgüter nur zum Teil gerecht. Vor allem bei kleineren Vorhaben können sich aus dem vergleichsweise grossen Aufwand für die Abwicklung offener/selektiver Vergabeverfahren auch Konflikte zu einer betriebswirtschaftlich optimalen Beschaffung ergeben. Die Lösung dürfte weniger in einer verstärkten Regulierung als vielmehr in der Klärung und Durchsetzung der bestehenden Regeln zu suchen sein. Es wären deshalb im Rahmen der laufenden Revision des Beschaffungsrechts verbindliche, aber nicht zu formalistische Vorgaben zu prüfen, die genügend Flexibilität für eine wirtschaftliche Beschaffung komplexer Rüstungsgüter aufweisen. In diese Richtung gehen auch Bestrebungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur Klärung und Revision der Vergaberichtlinie, welche eine stärkere Wettbewerbsorientierung der dortigen Rüstungsbeschaffung ermöglichen sollen.

Stark eingeschränkter Rechtsschutz Der Bund gibt im Bereich der Rüstungsbeschaffung Milliarden aus, ohne dass unterlegene Offertsteller den Anspruch auf eine beschaffungsrechtliche Prüfung des Vergabeverfahrens haben. Es besteht nur die Möglichkeit einer Aufsichtsbeschwerde beim VBS bzw. einer Aufsichtseingabe bei den parlamentarischen Kontrollkommissionen (blosse Rechtsbehelfe) oder allenfalls einer Anzeige bei der Wettbewerbskommission auf Verletzung des Kartellrechts (Missbrauch von Marktmacht bei Beschaffungen). Weder die Aufsichtsbeschwerde noch die Anzeige bei der WEKO sind mit einem Anspruch auf materielle Prüfung verbunden. Angesichts des finanziellen Volumens und im Interesse einer sachgerechten Auseinandersetzung drängt sich eine Überprüfung des Rechtsschutzes im Rahmen der laufenden Revision des Beschaffungsrechts auf.

Ungenügende strategische Grundlagen Die Rüstungsbeschaffung hat auch verteidigungspolitische und aussenpolitische Vorgaben zu berücksichtigen, die unter Umständen ein Abrücken von beschaffungsrechtlichen Vorgaben erfordern (Sicherstellung der einheimischen Industriebasis, Lieferungen aus kriegsführenden Staaten). Die entsprechenden Voraussetzungen sind auf Stufe formeller Gesetze aus guten Gründen nur schwach normiert. Wenn nun aber auch auf untergeordneter Stufe klare Vorgaben für die Konkretisierung dieser offenen Normen fehlen, besteht die Gefahr, dass vergleichbare Fälle ungleich behandelt werden
und staatliches Handeln unberechenbar und intransparent wird.

Aus rechtlicher Sicht ist die Beschaffungspraxis insgesamt auf strategischer (und nicht auf der rechtlichen) Ebene zu wenig bestimmt.

So ist die Prüfung der «aussenpolitischen Verträglichkeit» des Imports von Rüstungsgütern aus bestimmten Ländern am Einzelfall orientiert und erfolgt sehr spät im Prozess. Es bestehen anders als im Falle der Rüstungsexportkontrollen keine klaren Richtlinien für entsprechende Prüfungen. Die im Planungs- und Beschaffungsprozess sehr spät angesetzte Prüfung dürfte de facto zu einer Privilegierung der militärischen Bedürfnisse gegenüber aussenpolitischen Erwägungen führen.

Auch die strategischen Vorgaben für Entscheide zur Erhaltung der sicherheitspolitisch notwendigen inländischen Industriebasis sind ungenügend. Dies zeigt sich exemplarisch in der Beschaffung eines Jetpiloten-Ausbildungssystems (PC-21).

Zwar wurde die Verordnung (VoeB) mit einer Ausnahmebestimmung ergänzt, um eine direkte Vergabe an einen inländischen Lieferanten zu ermöglichen. Allerdings beinhaltet die Ausnahmebestimmung sehr grossen Ermessensspielraum, der nicht 3671

durch entsprechende strategische Vorgaben des Departements oder des Rüstungschefs eingeschränkt wird. Im vorliegenden Fall stellt sich nicht nur die Frage, ob die Ausnahmebestimmung angemessen ausgelegt wurde, sondern auch, ob diese überhaupt anwendbar war.

Politische und finanzielle Steuerung durch das Parlament nicht optimal Das Parlament kann zu Beschaffungsvorhaben, in die schon sehr viel Vorbereitungsaufwand geflossen ist, erst zu einem sehr späten Zeitpunkt verbindlich Stellung beziehen. Es liegt auf der Hand, dass diese Ausgangslage aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht optimal ist und eine vom konkreten Vorhaben unabhängige Gewährung der Finanzmittel über Rahmenkredite dem VBS mehr Flexibilität und Planungssicherheit geben würde. Zudem würde verhindert, dass das Parlament über technische Detailfragen diskutiert, welche nicht seiner Kernkompetenz entsprechen.

Eine politische Steuerung über mehrjährige Rahmenkredite wäre aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu begrüssen und grundsätzlich auch stufengerecht. Der Entscheid für ein bestimmtes Rüstungsgut eines bestimmten Lieferanten ist allerdings nicht rein technischer oder rein kommerzieller Natur. Deshalb setzt eine Verlagerung der politischen Steuerung auf mehrjährige Rahmenkredite voraus, dass die Verwaltung ihre Beschaffungsentscheide an möglichst transparente und konkrete Kriterien und Richtlinien bindet. Entsprechende Grundlagen hat das VBS bis heute nicht entwickelt.

Insgesamt sind auch die Unterlagen, welche das VBS dem Parlament als Grundlage für die Entscheide über Rüstungsausgaben zur Verfügung stellt, trotz gewisser Verbesserungen noch zu wenig transparent und vor allem für Aussenstehende nur schwer verständlich.

Ungenügende strategische Grundlagen für wirtschaftliche Beschaffung Die aktuelle strategische Position der Rüstungsbeschaffung ist geprägt von vielen Monopolen oder Quasi-Monopolen, stark konzentrierten Lieferantenbeziehungen und einem hohen Inlandanteil. Aus Sicht eines modernen Beschaffungsmanagements ist einer solchen Situation mit einer klaren Beschaffungsstrategie zu begegnen, welche die Entstehung von Monopolen aus Systemzwängen beschränkt und im Umgang mit unvermeidbaren Monopolen frühzeitig Regeln definiert und Transparenz erwirken kann. Entsprechende Grundlagen, insbesondere differenzierte Warengruppenstrategien,
fehlen bei Armasuisse weitgehend. Um einer Monopolsituation nicht unvorbereitet gegenüberzustehen und eine wirtschaftliche Beschaffung auch in einem strategisch anspruchsvollen Umfeld sicherzustellen, sind entsprechende Grundlagen unentbehrlich. Diese kann das Beschaffungszentrum Armasuisse aber nur in Zusammenarbeit mit seinen Partnern im VBS erarbeiten.

Lange Durchlaufzeiten und hohe Prozesskosten Die fehlenden beschaffungsstrategischen Grundlagen führen auch dazu, dass die Beschaffungspraxis von Armasuisse die Vorhaben zu wenig differenziert angeht. Zu viele strategisch unterschiedlich positionierte Vorhaben werden nach dem gleichen Muster und mit ähnlich hohem Aufwand abgewickelt. Für einfachere und strategisch weniger wichtige Vorhaben werden zu viele Ressourcen eingesetzt. Diese fehlen dann bei der Bearbeitung strategisch wichtiger Vorhaben.

3672

Im Vergleich mit führenden Unternehmen der Privatwirtschaft weisen die Beschaffungsprozesse von Armasuisse lange Laufzeiten und hohe Prozesskosten auf. Erfahrungen aus der Industrie zeigen, dass zwischen diesen beiden Grössen ein Zusammenhang besteht: Mit einer Reduktion der Beschaffungszeit können die Prozesskosten um bis zu 25 % reduziert werden.

Komplexe Projektorganisation und stark hierarchisierte Entscheidungskompetenzen Im Vergleich zu führenden Industrieunternehmen weisen die untersuchten Beschaffungsvorhaben eine umfangreiche und zum Teil komplexe Projektorganisation auf.

Die Projektführung ist stärker hierarchisiert und die Gesamtverantwortung (Produkt/Kosten/Qualität/Termine) liegt nicht auf der Stufe der Projektleiter. Neben Effizienznachteilen (längere Entscheidungswege, tendenzielle Überforderung der zeitlichen und fachlichen Kapazitäten der oberen Stufen) scheint dies bei Armasuisse auch dazu beizutragen, dass die Verantwortung nach oben weitergereicht wird, die vorgesetzten Stellen bei Fehlern umgekehrt den Schuldigen unten in der Hierarchie suchen. Dies führt auf den unteren Stufen zu einer Nullfehlerkultur und starkem Sicherheitsdenken.

Tendenz zu Kosten treibenden Überspezifikationen in den Pflichtenheften Die Pflichtenhefte neigen zur Überspezifikation. Im Wissen darum, dass die Spezifikationen und das Pflichtenheft die Beschaffungskosten sehr stark beeinflussen, werden in führenden Industrieunternehmen die Spezifikationen viel konsequenter hinterfragt, das Pflichtenheft entsprechend entschlackt und zu einem früheren Zeitpunkt eingefroren. In der Rüstungsbeschaffung wird das definitive Pflichtenheft sehr spät im Prozess erstellt. Es können immer wieder neue und geänderte Anforderungen (Funktionalität, Mengen) ins Pflichtenheft einfliessen. Mit der Truppentauglichkeitserklärung sind die Nutzer zudem in einer sehr späten Phase des Prozesses in einer starken Position, was die Tendenz zur Berücksichtigung kostentreibender Änderungen verstärkt. Dies führt dazu, dass Projekte zu wenig zielgerichtet bearbeitet werden können. Durch die Überspezifikation der Pflichtenhefte wird zudem das Spektrum der auf dem Markt verfügbaren Lösungen, welche den Anforderungen genügen, stark eingeengt.

Positiv zu vermerken ist, dass unter dem verstärkten Finanzdruck weniger Wünsche als in früheren
Zeiten umgesetzt werden und der Nutzer konsequent mit den Kostenfolgen allfälliger Änderungen konfrontiert wird.

Starke Gewichtung des Qualitätsaspekts in der Evaluation In führenden Industrieunternehmen sind Beschaffungsentscheide klar auf den Preis und die kommerziellen Kriterien fokussiert. Sind die Mindestanforderungen (Funktionalität, technische Anforderungen, Lieferantenqualifikation) erfüllt, erfolgt der Zuschlag allein nach dem Preis. Demgegenüber berücksichtigt Armasuisse bei den meisten Beschaffungsentscheiden Qualitätsmerkmale, die über den Mindestanforderungen liegen. Die Übererfüllung der Mindestanforderungen wird belohnt, solange keine überproportionalen Kosten entstehen und der verfügbare Kredit nicht ausgeschöpft wird. Die starke Gewichtung des Qualitätsaspekts kommt auch in den sehr aufwändig gestalteten Evaluationen (Verifikationsversuche, Erprobungen) zum Ausdruck, welche grundsätzlich darauf ausgelegt sind, möglichst jeden Schwachpunkt auszumerzen und ein Produkt optimal auf den Einsatz in der Truppe abzustimmen. Immerhin setzt der gegenüber früher verstärkte (aber noch nicht genü3673

gend konsequente) Einbezug von Kostenüberlegungen zusammen mit dem gestiegenen Budgetdruck einer ausschliesslich auf Qualität fokussierten Entscheidfindung gewisse Grenzen.

Management: Mangelnde Kostenorientierung bei Vorgaben und Controlling Die für die Abwicklung der einzelnen Vorhaben nötigen Ressourcen werden nicht aufgrund einer (beschaffungsstrategisch informierten) Analyse pro Projekt ermittelt und anschliessend durch das Management zugeteilt. Vielmehr geht man von den vorhandenen Ressourcen (Personal und Kredite) aus und verteilt diese auf Vorhaben. Es fehlen von Seiten des Managements (Führung) klare, bis auf einzelne Vorhaben heruntergebrochene Vorgaben bezüglich Zeit und Kosten. Somit bleiben das Ausschöpfen der Kredite und die Auslastung der eigenen Ressourcen zentrale Treiber für das Management, gerade auch vor dem Hintergrund der bestehenden Anreizstruktur (übergeordnete finanzielle Steuerung, Personalabbau).

Ein grundsätzlich gut aufgesetztes Controllingsystem ist zwar im Aufbau und zum Teil auch bereits operativ. Bis heute fehlen darin aber aus Sicht der Beschaffung wichtige Kennzahlen, anhand derer man den Fortschritt oder den Erfüllungsgrad hinsichtlich wichtiger Zielsetzungen messen kann. Zudem fehlt eine den ganzen Rüstungsablauf umfassende Gesamtsicht unter Einbezug der Kapitalkosten. Unbefriedigend ist auch die Nutzung der bereits vorhandenen Elemente und der entsprechenden Ergebnisse des Controllingsystems. Statt als umfassendes Führungsinstrument dient das System fast nur der angesprochenen Optimierung von Budget und Personalressourcen. Die aktuelle Praxis verschenkt somit das grosse Potenzial des Systems und stellt den erheblichen Aufwand in Frage, der mit der Datenerhebung verbunden ist.

Personeller Umbruch als Herausforderung Im Grundsatz verfügt Armasuisse über motiviertes und gut qualifiziertes Personal.

Allerdings fehlen strategische Einkäufer bzw. Supply Chain Manager mit technischem und betriebswirtschaftlichem Hintergrund sowie internationaler Industrieerfahrung. Hinzu kommt, dass die Zusammensetzung der vorhandenen technologischen Qualifikationen nicht optimal mit dem sich ändernden Beschaffungsportfolio übereinstimmt. Tendenziell gibt es zu viele an sich gut qualifizierte Mitarbeiter in traditionellen Sektoren und zu wenig in neuen Bereichen (Führungssysteme).
Die Anforderungen an die Beschaffenden werden in Zukunft eher steigen, andererseits dürfte die Attraktivität von Armasuisse auf dem Arbeitsmarkt eher abnehmen, wenigstens solange die Konjunkturlage gut ist. Angesichts der Altersstruktur der Belegschaft dürfte für Armasuisse die Herausforderung deshalb eher im personellen Umbau als in den departemental vorgegebenen Abbauvorgaben liegen.

3674

Anhang

Kurzporträts der vertieft untersuchten Beschaffungsvorhaben Umbau Radpanzer Piranha in Sanitätsfahrzeug 6x6 Zur Rettung und Evakuation von Patienten auf dem Gefechtsfeld, vom Schadenplatz oder aus gefährdeten Gebieten bei subsidiären Einsätzen im In- und Ausland benötigt die Armee ein geländegängiges, splittergeschütztes Sanitätsfahrzeug. Dieses Bedürfnis sollte durch den Umbau vorhandener, überzählig gewordener Panzerjäger in Zusammenarbeit mit dem ursprünglichen Lieferanten gedeckt werden (Monopolsituation). Der entsprechende Projektauftrag wurde am 31. Dezember 2002 erteilt.

Ab Frühling 2003 wurden, in enger Zusammenarbeit mit der Truppe, erste Erkenntnisse bezüglich Gestaltung des Innenraumes mittels einer Holzmaquette gewonnen (vgl. Abbildung 17).

Abbildung 17 Umbau Radpanzer Piranha in Sanitätsfahrzeug 6x6

Quelle: P. Stucki, Armasuisse

Dieses Vorgehen ermöglichte es, die Anforderungen des Sanitätsdienstes bereits im Prototyp des Sanitätsfahrzeuges zu realisieren. Der Prototyp wurde von der Firma MOWAG GmbH auf eigene Kosten hergestellt und im März 2004 ausgeliefert (deshalb wurde kein entsprechender PEB-Kredit beantragt). Nach den Truppenversuchen (März bis August 2004) wurde im September 2004 die Truppentauglichkeit erklärt und die Beschaffung ins Rüstungsprogramm 2005 aufgenommen.

Ende 2005 genehmigte das Parlament einen entsprechenden Kredit im Umfang von 38 Millionen Franken.

3675

Abbildung 18

2002

2003

2004

2005

Beginn der auslieferung

Verabschiedung Rüstungsprogramm 05

Truppentauglichkeit, Beschaffungsreife

Prototyp

Truppenversuche

Erste Erkenntnisse mit Holzmaquette

Projektauftrag

Zeitlicher Ablauf Umbau Radpanzer im Überblick

2006

Quelle: Darstellung der PVK

Kurzwellenfunksystem SE-240 Das SE-240 ist ein wichtiger Teil des integrierten Fernmeldesystems der Armee. Es sichert die Kommunikation (Sprache und Daten) über grössere Distanzen (rund 20 bis 200 km). Die wichtigsten Neuerungen gegenüber den Vorgängergeräten sind der Schutz und die Mobilität von Verbindungen zur Übermittlung von Sprache und Daten. Das System besitzt die Fähigkeit zur Verschlüsselung von Sprache und Daten sowie zu ständigem Frequenzwechsel während des Betriebs (sog. Hopping Modus) (vgl. Abbildung 19).

Abbildung 19 Funksystem SE 240 (Leistungsstufe 125 W)

Quelle: Armasuisse (Informationsbroschüre zum Rüstungsprogramm 2005)

3676

Bereits 1992 wurde eine konzeptionelle Phase für den Kurzwellenfunk gestartet.

1999 wurden die entsprechenden Vorhaben sistiert (PEB-Verpflichtungskredit von 800 000 Fr.), weil das Vorhaben nicht vor den Reformen der Armee XXI realisiert werden sollte.

Die Beschaffung wurde mit einem Projektauftrag des Planungsstabes im Jahr 2002 gestartet. Für die Evaluations- und Erprobungsarbeiten stand ein Verpflichtungskredit von 2,5 Millionen Franken zur Verfügung, der ausgeschöpft wurde. In einem internationalen Einladungsverfahren, das im März 2003 gestartet wurde, gingen neun Angebote ein. Aufgrund einer Papierevaluation (Vorevaluation) legte man sich bereits nach der Vorevaluation auf die Firma Thales fest (Dezember 2003) und verzichtete auf eine Evaluation unter Konkurrenzbedingungen. Die Evaluation mit umfangreichen Erprobungen und Versuchen des gewählten Systems fand schwergewichtig im Jahr 2004 statt und wurde mit dem Evaluationsbericht und der Typenwahl im Februar 2005 abgeschlossen (exkl. Nebenbeschaffungen wie Antennen).

Mit dem Rüstungsprogramm 2005 stimmte das Parlament der Beschaffung von 480 SE-240-Systemeinheiten zu und bewilligte dafür einen Verpflichtungskredit von 65 Millionen Franken. Im RP 07 sind Folgebeschaffungen von 628 SE-240-Systemeinheiten vorgesehen, welche für die Datenfunkanbindung des FIS-Heer benötigt werden.

Abbildung 20

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

Abschluss des PEB Kredites

Leistungstests

Truppentauglichkeit

Typenwahl, Firmenwahlblatt erstellt

Erprobungen und Truppenversuche

Zuspruch an Thales bereits nach der Vorevaluation

Start internationales Einladungsverfahren

Projektauftrag

Sistierung des ersten Vorhabens

Militärische Anforderung liegen vor

Zeitlicher Ablauf Funksystem SE 240 im Überblick

2006

Quelle: Darstellung der PVK

3677

Führungsinformationssystem Heer (FIS-H) Mit der Einführung eines Führungsinformationssystems für das Heer will die Armee von einer Epoche Abschied nehmen, in der mit Folien beklebte Karten, Packpapier und Filzstifte Hilfsmittel für die laufende Lagedarstellung und die Befehlsgebung bildeten. Das System solle es ermöglichen, aufgrund eines praktisch in Echtzeit vorliegenden gemeinsamen Lagebildes schneller und genauer über die Hierarchiestufen hinweg zu kommunizieren. Das System soll nicht nur in fixen Kommandostationen sondern mobil eingesetzt werden können. Ein erheblicher Teil der Kosten fällt deshalb nicht nur für IT-Soft- und Hardware an, sondern auch für Fahrzeugeinbauten (vgl. Abbildung 21).

Abbildung 21 FIS-Heer

Quelle: Präsentation am Tag der Generalstabsoffiziere des Heeres, 16.11.2006, Oberst i Gst Gerold Meyer, C FFS

Aufgrund der komplizierten Vorgeschichte, die bis in die frühen neunziger Jahre zurückreicht, ist es schwierig, den eigentlichen Startschuss für die Beschaffung des FIS-Heer zeitlich zu fixieren. Nach zwei in den 90-er Jahren gescheiterten Anläufen mit Eigenentwicklungen und darauf folgenden Teststellungen mit dem FIS der französischen Armee erging im November 2002 der Beschluss, dass ein bereits im Einsatz stehendes System beschafft und im Rahmen von aufeinanderfolgenden Testphasen (so genannte Testbeds) an die Bedürfnisse der Schweizer Armee angepasst werden soll (Anschluss bestehender Systeme, Benutzeroberfläche, Fahrzeugintegration). Im Juni 2003 schrieb Armasuisse in einem Einladungsverfahren (11 Anbieter) die Durchführung des ersten von insgesamt vier geplanten Testphasen aus. Nach einer Papierevaluation der eingegangenen Angebote entschied man sich im Dezember für das System der spanischen Firma Amper Programas (Generalunternehmer Thales Schweiz). Nach Abschluss der zweiten Testphase (Januar 2005) wurde mit dem Rüstungsprogramm die Beschaffung des Systems für einen Teil des Heeres beantragt. In der Botschaft schreibt der Bundesrat, dass weitere Tests in den 3678

Jahren 2006 und 2007 vorgesehen seien. Weiter heisst es: «Eine Beschaffungsreife im üblichen Sinne lässt sich in diesem komplexen Vorhaben nicht erreichen. Die rasche Entwicklung im Informatik- und Kommunikationsbereich bedingt stete Anpassungen und führt damit zwangsläufig zu leicht unterschiedlichen Konfigurationen innerhalb des angestrebten Führungsverbundes. Das gewählte schrittweise Vorgehen ist auch bei zivilen Informatik- und Kommunikationsprojekten üblich. Es erlaubt die Projektrisiken zu reduzieren.» Mit dem Rüstungsprogramm 2006 bewilligten die Eidgenössischen Räte, kurz nach Ablieferung der dritten Testphase (Oktober 2006) , einen Kredit von 424 Millionen Franken. Aus diesem Kredit werden neben Softwareentwicklung und Softwarelizenzen auch entsprechende Hardware und vor allem Fahrzeugeinbauten finanziert.

Im Rüstungsprogramm 2007 werden für den zweiten Ausbauschritt des FIS-Heer weitere 278 Millionen Franken beantragt. Es wird mit Gesamtkosten von 1,5 bis 2 Milliarden Franken für den Endausbau des FIS-Heer gerechnet (inkl. PEB-Krediten und Ausbau der entsprechenden Telekommunikationsfähigkeiten).

Abbildung 22

2001

2002

2003

2004

2005

Beschaffung

Ablieferung Testbed 3 2006

Bewilligung durch Parlament RP 06

Projektauftrag Testbed 3

Projektauftrag Testbed 2

Erprobungen der Originalsoftware

Firmenwahl

Einladungsverfahren, Aktionsplan, Ausschreibung Testbed 1

Projektauftrag

Beschaffungsbeschluss

Zeitlicher Ablauf FIS-Heer im Überblick

2007

Quelle: Darstellung der PVK

3679

Aussenbordmotor Der Aussenbordmotor wird von der Armee vorwiegend an Übersetzbooten, hauptsächlich zum Personen- und Materialtransport eingesetzt. Für den flexiblen militärischen Einsatz an verschiedenen Orten muss er einfach (über Land) transportierbar sein (vgl. Abbildung 23).

Abbildung 23 Aussenbordmotor

Quelle: F. Aeschimann, Armasuisse

Die Beschaffung eines neuen Aussenbordmotors wurde Ende 1999 mit einem Projektauftrag gestartet. Weil keines der auf dem Markt vorhandenen Angebote den Anforderungen der Truppe genügte, wurde die Beschaffung Ende 2000 sistiert. Als sich auf dem Markt leistungsfähigere Motoren ankündigten, wurde das Pflichtenheft überarbeitet und im Februar 2003 eine Ausschreibung (selektives Verfahren nach WTO) lanciert. Nach ausführlichen Erprobungen im Sommer 2003 und im Winterhalbjahr 2003/2004 wurde Ende Juli 2004 der Zuschlag erteilt. Im Anschluss wurden im Einladungsverfahren auch noch Nebenbeschaffungen, vor allem für Transportwagen und -gestelle getätigt (Anteil am Beschaffungsvolumen rund 20 %). Das gesamte Beschaffungsvolumen beläuft sich auf knapp drei Millionen Franken.

3680

1999 2000 2001 2002 2003

Typenwahl, Zuschlag

Truppentauglichkeit

Erprobungen

Erprobungen

Ausschreibung WTO

Mil. Pflichtenheft 2

Sistierung Beschaffung

Mil. Pflichtenheft 1

Projektauftrag

Zeitlicher Ablauf Aussenbordmotor im Überblick Abbildung 24

2004

Quelle: Darstellung der PVK

3681

Liste der Gesprächspartner Workshops Umbau Sanitätsfahrzeug Eschler Heinz, W+T, Qualitätssicherung Frei Daniel, Logistikbasis der Armee Hammerich Thomas, Heeresstab, Planung, Projekte, Versuche Hunziker Pascal, Kommerz Landsysteme leicht und Munition, Armasuisse Stucki Peter, Fachbereich Landsysteme leicht, Armasuisse Zollinger Frank, Planungsstab der Armee, Armee- und Rüstungsplanung, Systeme Heer SE 240 Loosli Markus, Projektleiter SE-240, Armasuisse Hunziker Theo, Ressortprojektleiter Technik SE-240, Armasuisse Heer Max, Ressortprojektleiter Qualität, Armasuisse Imboden Paul, Ressortprojektleiter Kommerz, Armasuisse Röthlisberger Bruno, Logistikbasis der Armee, Ressortprojektleiter ILM (Integriertes Logistik Management) Röthlisberger Peter, Führungsunterstützungsbasis, Ressortprojektleiter Militärischer Einsatz und Betrieb Waber Urs, Planungsstab der Armee, Stv. Chef Armee- und Rüstungsplanung/Leiter Bereich Systeme und Führungsverbund Wyss Bruno, Ressortprojektleiter Technik Takt Funk, Armasuisse FIS-Heer Abgottspon Kurt, Projektleiter FIS HE ab 1.10.2006, Armasuisse Bürgin Urs, Ressortprojektleiter Kommerz im FIS HE, Armasuisse Eggerschwiler Urs, Führungsunterstützungsbasis der Armee Eichenberger René, Planungsstab der Armee, Armee- und Rüstungsplanung, Systeme und Führungsverbund Isler Rolf, Projektleiter FIS HE bis 30.9.2006 (pensioniert) Meyer Gerold, Oberst i Gst, Führungs- und Fachsysteme Heer Wettstein Hannes, Direktor BFTA, Armasuisse

3682

Aussenbordmotor Aeschimann Fritz, FB 632, Technischer Bereich, Armasuisse Girard Jean Pierre, Planungsstab der Armee, Armee- und Rüstungsplanung, Systeme Heer Meister Heinz, FB 733, Q-Bereich, Armasuisse Neuenschwander Fritz, FB 633, Kaufmännischer Bereich, Armasuisse Weitere Gesprächspartner Böhler, Jürgen, Ressortleiter Exportkontrollen/Industrieprodukte, Staatssekretariat für Wirtschaft Bossi Fabio, Leiter Kompetenzzentrum Beschaffungswesen Bund, Bundesamt für Bauten und Logistik Boutellier Roman, Professor, Departement Management, Technology, Economis, Innovations- und Technologiemanagement, Eidg. Techn. Hochschule, Zürich Bühler Stephan, BFWM, FB-Leiter Landsysteme schwer (Verantw. Ausbildung Systemführer), Armasuisse Ebener Thomas, Auditor Finanzinspektorat, Armasuisse Emch Peter, Leiter Recht und Internationales, VBS, Armasuisse Fetz Marco, Sekretariat der Beschaffungskommission des Bundes, Bundesamt für Bauten und Logistik Hossli Stefan, Chef Stab VBS Hubler Alexander, Recht und Internationales, VBS, Armasuisse Imhof Peter, BFTA, Abteilungsleiter Führungssysteme, Armasuisse Kropf Rudolf, Direktor Zentrale Dienste/Stv. Rüstungschef, Armasuisse Liechti Heinz, Oberst i. Gst., Chef Master und Investitionsplanung, PSTA Lyoth Peter, Direktor BWFM, Armasuisse Markwalder Alfred, Rüstungschef, Armasuisse Marro Heinz, Tech. Kaufmann/Einkäufer, Transportfahrzeuge, Genie- Rettungs- und ABC-Schutzmaterial, Armasuisse Mathys Andreas, Leiter Waffensysteme und Fahrzeuge, Armasuisse Messerli Heinz, Stv. Leiter Finanzinspektorat, Armasuisse Nordmann Claude, BFTA, Leiter EKF-Systeme, Armasuisse Rosch Marcel, PSTA, Leiter Bereich Rüstungsmaterialplanung Rothenbühler Stephan, Referent Armasuisse/RUAG im Stab des Chefs VBS Schwarz Ulrich, Controller, Fachbereich Landsysteme leicht, Armasuisse Sommerhalder Richard, BFWM, Stv. FB-Leiter Entsorgung und Sonderprojekte, Armasuisse Sonderegger Martin, Leiter Geschäftseinheit Landsysteme und Munition, Armasuisse 3683

Steiner Marc, Richter am Bundesverwaltungsgericht Von Gunten Thomas, Controller, BFTA, Armasuisse Walser Hans-Peter, Oberst i Gst, Chef Armee- und Rüstungsplanung, Schweizer Armee Wettstein Hannes, Direktor BFTA, Armasuisse Wyss, Othmar, Stv. Leiter Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen, Staatssekretariat für Wirtschaft Zysset Bruno, Leiter Finanzinspektorat, Armasuisse

3684

Rüstungskredite In das Rüstungsprogramm werden in der Regel aufgenommen: ­

Armeematerial, das erstmals beschafft werden soll und mit dessen Typenwahl bedeutende Folgen für Armee und Bund verbunden sind,

­

Vorhaben, die den finanziellen Rahmen der jährlichen Budgets für die persönliche Ausrüstung und den Erneuerungsbedarf sowie für Ausbildungsmunition und Munitionsbewirtschaftung überschreiten.

In das Budget für die Ausrüstung und den Erneuerungsbedarf (AEB) wird in der Regel aufgenommen: ­

Die persönliche Ausrüstung und Bewaffnung der Armeeangehörigen;

­

die Ersatz- und Nachbeschaffungen von Armeematerial sowie umfassende Revisionen und Änderungen;

­

Armeematerial, das erstmals beschafft wird, jedoch von finanziell nachgeordneter Bedeutung ist.

In das Budget Ausbildungsmunition und Munitionsbewirtschaftung (AMB) wird in der Regel aufgenommen: ­

Munition, die für den Einsatz oder die Ausbildung neu- oder wiederbeschafft werden muss;

­

Munition, die im Rahmen der waffenspezifischen Konzepte überwacht, revidiert und bevorratet wird;

­

Armeematerial, das ausser Dienst gestellt wird und mit Entsorgungsaufwand verbunden ist;

­

Munition für das Schiesswesen ausser Dienst, die gegen Verrechung zur Verfügung gestellt wird und deren Erlös im AMB aufwandmindernd vereinnahmt wird (Ausnahme Bruttoprinzip).

In das Ersatzmaterial- und Instandhaltungsbudget (EIB) wird in der Regel aufgenommen: ­

Ersatzteile, Instandhaltungsbedarf und Dienstleistungen zur Sicherstellung der materiellen Einsatzbereitschaft während der Nutzung;

­

Ersatzbeschaffungen von Bau- und Unterbaugruppen, die reparaturfähig sind, sowie Instandhaltungs- und Prüfeinrichtungen;

­

Dienstleistungen im Rahmen des Änderungsdienstes, Konfigurationsmanagements und der Materialwirtschaft.

Quelle: H.-P. Walser, Chef Armee- und Rüstungsplanung, Planungsstab der Armee

3685

Abbildung 25 Zahlungsvolumen 2006 nach Vergabeverfahren in den Geschäftseinheiten (Mio. CHF) 100%

2

4

15

3

5 47

Anteil am Zahlungsvolumen 2006

80% 132

202 272

freihändige Vergabe nach WTO-Verfahren

49

60%

89

49

freihändige Vergabe wettbewerbl. Vergabe (ohne Rechtsschutz)

40%

WTO-Verfahren

179

114

20%

129 137

31

13

17

Ausrüstung und Bekleidung

Transportfahrzeuge, Genie-, Rettungs- und ABCSchutzmaterial

Landsysteme und Munition

Luftfahrtsysteme

Ausbildungssysteme

Telematiksysteme

4

Führungssysteme

0%

Bemerkung: In der Darstellung nicht berücksichtigt sind klassifizierte Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von rund 63 Millionen Franken.

Quelle: PVK aufgrund MIS Armasuisse

3686

Abbildung 26

73'224'236

Geografische Verteilung der Beschaffungen bei ausgewählten Geschäftseinheiten

80'000'000

Herkunft der Lieferanten der Geschäftseinheit Transportfahrzeuge, Genie- und Rettungsmaterial

70'000'000

50'000'000

40'000'000

636'532

10'000'000

1'092'524

20'000'000

1'609'272

30'000'000 12'087'777

Zahlungen 2006 (CHF)

60'000'000

NL

CA

w eitere

0 CH

DE

50'000'000

45'890'614

Herkunft der Lieferanten der Geschäftseinheit Ausrüstung und ABC-Schutzmaterial 45'000'000

35'000'000 30'000'000 25'000'000

26'795

9'657

677

CN HK

30'540

TH

37'326

LI

121'075

FR

67'307

SE

239'994

AT

183'675

IN

241'030

DE

261'930

CH

283'162

0

299'080

1'577'949

5'000'000

511'880

10'000'000

5'392'468

15'000'000

2'617'805

20'000'000 7'353'778

Zahlungen 2006 (CHF)

40'000'000

IT

PL

GB BG

SI

US

RO ES

NL

Quelle: Darstellung der PVK aufgrund Angaben von Armasuisse

3687

Abbildung 27 Beispiel übergeordnete Beschaffungsstrategie 1. Entwicklungstrends.........................................................................................................

2. Vision................................................................................................................................

3. Mittelfristige Ziele: 1998 ­ 2001 ......................................................................................

3.1.

Quantitative Ziele ........................................................................................................

3.2.

Qualitative Ziele ..........................................................................................................

4. Kernfähigkeiten ...............................................................................................................

5. Strategie ...........................................................................................................................

5.1.

Dimensionen der Beschaffungsstrategie .....................................................................

5.2.

Beschaffungssortiment................................................................................................

5.3.

Beschaffungsportfolio..................................................................................................

5.4.

Differenzierte ,,Normstrategien" ...................................................................................

5.5.

Commodity-Strategien.................................................................................................

6. Strategiebausteine...........................................................................................................

7. Resultierende Anforderungen ........................................................................................

7.1.

Anforderungen an den zentralen Einkauf ....................................................................

7.2.

Anforderungen an internen Kunden.............................................................................

7.3.

Anforderungen an die Lieferanten ...............................................................................

8. Strategische Erfolgsfaktoren..........................................................................................

9. Umsetzung .......................................................................................................................

9.1.

Commodity-Strategien.................................................................................................

9.2.

Konzepte, Methoden, Tools.........................................................................................

3688

Impressum Durchführung der Untersuchung Christoph Bättig Hedwig Heinis (Layout) Externe Expertise Zellweger Management Consulting AG, Pfäffikon (Th. Zellweger, K. Gertschnig)

Die PVK dankt den in die Untersuchung einbezogenen Bundesämtern bestens für die gute Zusammenarbeit und das entgegengebrachte Vertrauen. Unser Dank geht an alle Gesprächspartnerinnen und -partner für die Bereitschaft, sich für Interviews und Auskünfte zur Verfügung zu stellen und die verlangten Dokumente bereitzustellen. Ein spezieller Dank geht an Herrn Thomas von Gunten vom Bundesamt für Führungs-, Telematik- und Ausbildungssysteme, der die Auswertung der vorhandenen Daten massgeblich unterstützt hat. Schliesslich dankt die PVK den Herren Thomas Zellweger und Kurt Gertschnig von der Zellweger Management Consulting AG für ihre wertvolle Mitarbeit.

Originalsprache des Berichts: deutsch 3689

3690