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Bundesblatt 114. Jahrgang

Bern, den 22. März 1962

Band I

Erscheint wöchentlich. Preis 33 Franken im Jahr, 18 Franken im Halbjahr zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr 50 Kappen die Petitzeile oder deren Kaum. -- Inserate franko an Stämpfli & Cie. in Bern

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung von Artikel 71 des Organisationsgesetzes für die turnerischen Gerichtsbehörden (Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht) (Vom 5. März 1962) Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren !

I Am 26. Januar 1958 haben die Stimmberechtigten des Kantons Uri ein «Organisationsgesetz für die urnerischen Gerichtsbehörden» angenommen. Artikel 71 dieses Gesetzes bestimmt : « Das Eidgenössische Verwaltungsgericht entscheidet als Beschwerdeinstanz über kantonale Verwaltungsstreitigkeiten bis vermögensrechtlicher Natur, in denen der Kanton als Partei beteiligt ist (Art. 114 , Abs. 4 BV und Art. 116 OG).»

Landammann und Eegierungsrat des Kantons Uri richteten am 6. Oktober 1959 an den Bundesrat zuhanden der Bundesversammlung das Gesuch, es möchte Artikel 71 des kantonalen Gerichtsorganisationsgesetzes die eidgenössische Zustimmung erteilt werden.

Das Gesuch wurde dem Bundesgericht zur Stellungnahme unterbreitet.

Das Bundesgericht stellt in seiner Vernehmlassung vom 9.November 1959 fest, Artikel 71 der neuen Urner Gerichtsorganisation weise schlechtweg alle kantonalen Verwaltungsstreitigkeiten, in denen der Kanton als Partei beteiligt sei, dem Eidgenössischen Verwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz zu. Zweck von Artikel 114bis, Absatz 4 der Bundesverfassung sei es aber, Kantonen, die nicht wohl ein eigenes Verwaltungsgericht schaffen könnten, für Streitigkeiten, in denen sie als Partei beteiligt seien, das Eidgenössische Verwaltungsgericht Bundesblatt. 114. Jahrg. Bd. I.

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582 zur Verfügung zu stellen, um zu vermeiden, dass die Kegierung sozusagen in eigener Sache letztinstanzlich entscheide. Wo der Kanton, wie es im Kanton Uri der Fall ist, bereits eigene Verwaltungsrechtsinstanzen besitze, könne nicht das Bundesgericht als Beschwerdeinstanz über diese gesetzt werden. Artikel 71 des neuen Urner Gerichtsorganisationsgesetzes sei daher nicht zu genehmigen.

Landammann und Eegierungsrat des Kantons Uri schlössen sich nach Einholung eines Gutachtens von Prof Dr. Max Imboden, Basel, und mit Zustimmung des Landrates diesem Standpunkt an, und erklärten mit Schreiben vom 19. Juni 1961 gegen folgende, den Einwendungen des Bundesgerichts Eechnung tragende Fassung des Artikels 71 des Gerichtsorganisationsgesetzes nichts einzuwenden : «Das Eidgenössische Verwaltungsgericht entscheidet als Beschwerdeinstanz über kantonale Verwaltungsstreitigkeiten vermögensrechtlicher Natur, in denen der Kanton beteiligt ist (Art. 114bls, Abs. 4 der Bundesverfassung), soweit hiefür nicht kantonale Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht (vgl. insbesondere Art. 63 ff. OG). Die Beschwerde ist nur gegen Entscheide des Eegierungsrates zulässig.»

Der einschränkende zweite Nebensatz und der letzte Satz dieser Fassung sind in Artikel 71 des Gerichtsorganisationsgesetzes, wie es am 26. Januar 1958 vom Volk des Kantons Uri beschlossen wurde, nicht enthalten. Landammann und Eegierungsrat des Kantons Uri präzisierten nachträglich mit Schreiben vom 12.Februar 1962, dem Vorschlage vom 19. Juni 1961 komme die Bedeutung eines Eventualvorschlages zu, der auf die Einwände der Bundesbehörden hin vorgebracht werde.

Das Bundesgericht erklärt in seiner zweiten Vernehmlassung vom 14. Juli 1961, gegen die neue, von der Urner Eegierung befürwortete Lösung keine Einwendungen zu erheben, sich aber zum Verfahren nicht zu äussern.

II Der Kanton Uri hat seine Verwaltungsgerichtsbarkeit bereits weitgehend ausgebaut, indem er im kantonalen Gerichtsorganisationsgesetz zur Beurteilung von Streitigkeiten über verrnögensrechtliche Ansprüche aus dem öffentlichen Eecht Instanzen eingesetzt hat, die von der Verwaltung unabhängig sind, so - in Artikel 64, Absatz l das Obergericht zur Beurteilung aller vermögensrechtlichen Ansprüche aus dem öffentlichen Recht gegen den Kanton, die Einwohner-, Kirch- und Bürgergemeinden, die Korporationen und alle andern öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten; - in Artikel 67 die Steuerrekurskommission zur Beurteilung von Eekursen nach Massgabe des kantonalen Steuerrechts; - in Artikel 68, Buchstabe e die AHV-Eekurskommission zur Beurteilung von Streitigkeiten nach Massgabe des kantonalen Gesetzes über die Kinderzulagen; - in Artikel 69 die Expropriations-Schätzungskommission zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem kantonalen Enteignungsrecht.

583 Absatz 4 von Artikel 114bls der Bundesverfassung gestattet den Kantonen, mit Genehmigung der Bundesversammlung Administrativstreitigkeiten, die in ihren Bereich fallen, dem eidgenössischen Verwaltungsgericht zuzuweisen.

Kleinere Kantone können sich somit des.eidgenössischen Verwaltungsgerichtes bedienen, um die Verwaltungsgerichtsbarkeit in kantonalen Sachen einzuführen (Burckhardt, Kommentar S. 800). Es kann aber nicht Sinn dieser Verfassungsbestimmung sein, dass die Kantone ihre sämtlichen Verwaltungsstreitigkeiten, ohne Bücksicht auf deren Art und Bedeutung, und auf die eigene Verwaltungsrechtspflegeordnung dem Entscheid des Bundesgerichtes als des Eidgenössischen Verwaltungsgerichts unterstellen können. Andernfalls entstünde für das Bundesgericht eine untragbare Mehrbelastung. Insbesondere hat Artikel 114bls, Absatz 4 der Bundesverfassung nicht die Meinung, dass das Bundesgericht als Verwaltungsgericht zur Beschwerdeinstanz über die kantonalen Verwaltungsgerichtsbehörden gemacht werde. Diese Bestimmung der Bundesverfassung ist von jeher in einem engeren Sinne ausgelegt worden, was sich schon aus den parlamentarischen Beratungen ergibt (Sten Bull. 1912, StB, Locher S. 68, BB Müller S. 72, Usteri S. 84 und Sten Bull. 1914, NB, Häberlin, S. 444; StB, Usteri S. 177). Dass die Genehmigung der Bundesversammlung vorbehalten wird, hat gerade den Sinn, eine gewisse Abgrenzung vornehmen zu können.

In all den erwähnten Fällen, für die das Urner Gerichtsorganisationsgesetz die Verwaltungsgerichtsbarkeit bereits von der Verwaltung unabhängigen Instanzen übertragen hat, besteht jedenfalls kein Bedürfnis von der in Artikel 114bls, Absatz 4 der Bundesverfassung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch zu machen.

- , '' Nach dem neuen Vorschlag der Urner Behörden scheiden alle Streitigkeiten von der Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht aus, für die der Kanton die Verwaltungsgerichtsbarkeit bereits selber eingeführt hat, indem er das Obergericht oder besondere Kommissionen damit betraute.' Das Bundesgericht kann nach der vorgeschlagenen neuen Lösung nur noch gegen Entscheide des Regierungsrates angerufen werden, d.h. in Angelegenheiten, in denen dieser sonst gewissermassen in eigener Sache letztinstanzlich entscheiden würde. Diese Zuweisung an das Bundesgericht entspricht dem Sinne von Artikel 114bls, Absatz
4 der Bundesverfassung, und es ist daraus für das Bundesgericht keine übermässige Beanspruchung zu erwarten.

III Landrat und Begierungsrat des Kantons Uri setzen voraus, die Bundesversammlung sei auf Grund ihrer Genehmigungsbefugnis nach Artikel 114bis, Absatz 4 der Bundesverfassung berechtigt, anstelle des vom Volk am 26. Januar 1958 beschlossenen Artikels 71 des kantonalen Gerichtsorganisationsgesetzes eine mit einschränkenden Zusätzen versehene neue Fassung zu genehmigen.

Der Bundesversammlung steht ein solches Recht nicht zu. Weil aber die in der genannten Verfassungsbestimmung vorgeschriebene Genehmigung der

584 Bundesversammlung ihr gerade die Möglichkeit einräumen will, gegebenenfalls die von einem Kanton gewünschte Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht zu begrenzen, muss die Bundesversammlung zuständig sein, eine begehrte Genehmigung unter Umständen nicht in vollem Umfange zu erteilen, sondern nur teilweise. Dies ergibt sich aus dem Grundsätze: in maiore minus.

Aus diesen Erwägungen schlagen wir Ihnen vor, die Genehmigung mit der Einschränkung zu erteilen, dass die Anrufung des Bundesgerichtes als Verwaltungsgericht nur zugelassen wird, soweit für die betreffenden Streitigkeiten nicht schon eine kantonale Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht; auch sollen nur Entscheide des Eegierungsrates an das Bundesgericht weitergezogen werden können.

IV.

Gemäss Artikel 116 des Organisationsgesetzes hat die Bundesversammlung zu beschliessen, welche Verfahrensbestimmungen massgebend sein sollen. In den Gesuchen von Landammann und Eegierungsrat des Kantons Uri werden keine besonderen Wünsche geäussert. Das für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vorgesehene Verfahren erscheint als geeignet.

Im Interesse einheitlicher Eechtsmittelfristen ist in Übereinstimmung mit Artikel 107 des Organisationsgesetzes eine Beschwerdefrist von dreissig Tagen vorzusehen.

Wir empfehlen Ihnen den beiliegenden Beschlussesentwurf zur Annahme 'und versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 5.März 1962.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: P. Chaudet Der Bundeskanzler: Ch. Oser

585 (Entwurf)

Bundesbeschluss über

der Genehmigung von Art. 71 des Gerichtsorganisationsgesetzes vom 26. Januar 1958 für die umerischen Gerichtsbehörden (Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht)

Die Bundesversammlung der Schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , in Anwendung von Artikel 114Ms, Absatz 4 der Bundesverfassung und Artikel 116 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 5. März 1962, beschliesst:

Art. l Artikel 71 des Organisationsgesetzes für die umerischen Gerichtsbehörden, vom 26. Januar 1958, wonach das Eidgenössische Verwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz über kantonale Verwaltungsstreitigkeiten vermögensrechtlicher Natur entscheidet, in denen der Kanton als Partei beteiligt ist, wird mit der Einschränkung genehmigt, dass die Anrufung des Schweizerischen Bundesgerichts als Verwaltungsgericht nur zugelassen wird, soweit für die erwähnten Streitigkeiten keine kantonale Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht, und nur gegen Entscheide des Eegierungsrates.

Art. 2 Auf Verwaltungsstreitigkeiten gemäss Artikel l ist das für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgesehene Verfahren anzuwenden.

2 Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist innert dreissig Tagen vom Eingang der schriftlichen Ausfertigung des regierungsrätlichen Entscheides an beim Bundesgericht einzureichen.

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