zu 06.458 Parlamentarische Initiative Verzicht auf die Einführung der allgemeinen Volksinitiative Bericht vom 21. Februar 2008 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 16. April 2008

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 21. Februar 2008 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates betreffend Verzicht auf die Einführung der allgemeinen Volksinitiative nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

16. April 2008

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

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Stellungnahme Am heutigen System der politischen Rechte wurde bemängelt, dass es an einem Initiativrecht fehle, mit dem politische Anliegen direkt auf Gesetzesstufe verwirklicht werden können. Die Verfassungsinitiative wird deshalb auch dann eingesetzt, wenn es sich inhaltlich um Anliegen handelt, die eigentlich einer der Verfassung untergeordneten Regelungsebene zuzuordnen sind.

Der Bundesrat hat anlässlich der Totalrevision der Bundesverfassung 1996 nach einer Lösung für eine entsprechende Differenzierung der Volksrechte gesucht und neben einer Erhöhung des Quorums für ausgearbeitete Volksinitiativen die Einführung der allgemeinen Volksinitiative vorgeschlagen. Die eidgenössischen Räte traten darauf aber nicht ein und präsentierten statt dessen aufgrund einer parlamentarischen Initiative (vgl. BBl 2001 4803) eine Verfassungsvorlage, die am 9. Februar 2003 von Volk und Ständen gutgeheissen wurde (AS 2003 1949). Der Bundesrat hat dem Parlament am 31. Mai 2006 den Entwurf eines Gesetzes unterbreitet, welches das Verfahren bei der Anwendung dieser allgemeinen Volksinitiative regelt (BBl 2006 5261). Der Nationalrat beschloss indessen am 19. Dezember 2006, auf dieses Ausführungsgesetz nicht einzutreten (AB 2007 N 1979), und der Ständerat schloss sich ihm am 19. März 2007 an (AB 2007 S 220). In der Vernehmlassung und in der Parlamentsdebatte ist das vom Bundesrat vorgeschlagene Verfahren als kompliziert, unpraktikabel und zeitraubend beurteilt worden. Es wurde auch die Befürchtung geäussert, dass dadurch das Vertrauen in die politischen Institutionen geschwächt werde.

Die Komplexität des Verfahrens ergab sich daraus, dass das Bundesparlament ­ im Unterschied zu den Kantonsparlamenten ­ aus zwei Kammern besteht, dass die Möglichkeit eines Gegenentwurfs einzubeziehen war, dass für die verschiedenen Rechtsetzungsstufen unterschiedliche Mehrheitserfordernisse gelten und dass die bundesgerichtliche Überprüfung die Regelung weiterer Verfahrensschritte erforderte. Das Parlament gelangte deshalb zum Schluss, dass der Entwurf in der praktischen Umsetzung zu Problemen führen würde, welche die bekannten Nachteile des heutigen Gesetzgebungsverfahrens ohne das Instrument der allgemeinen Volksinitiative bei Weitem überwögen.

Der Bundesrat ist zum Schluss gekommen, dass sich in dieser Frage kaum eine praktikable
und mehrheitsfähige Lösung finden lässt.

Bei dieser Sachlage ist es vorzuziehen, die Verfassungsänderung vom 9. Februar 2003 rückgängig zu machen, damit das mit der Volksrechtsreform geschaffene Versehen aus der neuen Bundesverfassung getilgt werden kann, dass zwei Verfassungsbestimmungen mit identischer Artikelnummer, aber verschiedenem Wortlaut gleichzeitig in der Bundesverfassung stehen (vgl. AS 2003 1953); auch soll die Verfassung keine Instrumente enthalten, die gar nicht eingesetzt werden können.

Der Bundesrat schliesst sich den Kommissionsanträgen der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates an.

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