Überprüfung der Funktion der Strafverfolgungsbehörden des Bundes Bericht vom 5. September 2007 der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 28. November 2007

Sehr geehrter Herr Kommissionspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 5. September 2007 der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates betreffend «Überprüfung der Funktion der Strafverfolgungsbehörden des Bundes» nehmen wir nach Artikel 158 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Kommissionspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

28. November 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2007-2925

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Stellungnahme Der Bundesrat dankt der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates für die aufwändige und detaillierte Behandlung und Überprüfung der vier verschiedenen Untersuchungsberichte zur Bundesanwaltschaft und den übrigen Strafverfolgungsbehörden des Bundes.

Der Bundesrat anerkennt die geleistete Arbeit, vermag jedoch nicht, sich die Feststellungen und Schlussfolgerungen der Geschäftsprüfungskommission in allen Teilen zu Eigen zu machen.

Der Bundesrat stellt fest, dass er mit den Empfehlungen der Kommission weitgehend einverstanden ist und dass diese entweder bereits umgesetzt worden sind oder demnächst umgesetzt werden.

Der Bundesrat befasst sich in einem ersten Teil mit den von der Geschäftsprüfungskommission aufgeworfenen Fragen betreffend Verletzung des Prinzips der Gewaltentrennung, der Unabhängigkeit des Bundesanwaltes, der Kompetenzüberschreitung und der Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das EJPD. Dies geschieht anhand der im Bericht geschilderten Sachverhalte. In einem zweiten Teil behandelt der Bundesrat die an ihn gerichteten Empfehlungen der Geschäftsprüfungskommission. In einem dritten Teil äussert sich der Bundesrat schliesslich zu den Schlussfolgerungen bezüglich Aufsicht über die Bundesanwaltschaft.

1

Zu den aufgeworfenen Fragen

1.1

Fragen betreffend Verletzung des Prinzips der Gewaltentrennung

Die Bundesanwaltschaft ist Teil der Verwaltung. Sie gehört nicht zur Judikative, wie oft fälschlicherweise behauptet wird. Bundesrat und Bundesanwaltschaft sind somit Teil der gleichen Gewalt.

Die Bundesanwaltschaft und ihr Leiter haben jedoch eine besondere Stellung. Grund dafür ist die Natur der von ihr zu erfüllenden Aufgabe. Der Bundesanwalt leitet Ermittlungen zur Aufklärung bestimmter Straftaten und führt vor Gericht Anklage.

Er hat jeweils Parteistellung. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben untersteht der Bundesanwalt keinen Weisungen des Bundesrats oder des EJPD. Er geniesst damit eine für Verwaltungsbehörden atypische Unabhängigkeit innerhalb der Exekutive.

So soll Machtmissbrauch verhindert werden ­ namentlich die politische Einflussnahme auf einzelne Fälle oder die Instrumentalisierung der Strafverfolgung. Ausserdem sind der Bundesanwalt und die übrigen Staatsanwälte des Bundes, im Gegensatz zum übrigen Bundespersonal, auf eine feste Amtsdauer von vier Jahren angestellt. Diese eingeschränkte Weisungsgebundenheit innerhalb derselben Gewalt ist aber nicht vergleichbar mit der richterlichen Unabhängigkeit (siehe dazu auch die Ausführungen zu Empfehlung 5 nachstehend).

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1.2

Zur Frage der Verletzung der Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft

Der Bericht stellt unter Ziffer 3.2 d) fest, im Fall «Achraf» seien die politischen Interessen des Justizministers, den Terrorismusverdächtigen möglichst rasch an Spanien auszuliefern, weil er dies dem spanischen Justizminister versprochen habe, in Konflikt geraten mit der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens durch die Bundesanwaltschaft, das die Auslieferung hätte verzögern können.

Diese Feststellung beruht auf falschen Grundlagen. Der Bundesrat bedauert, dass es die Subkommission unterlassen hat, das Bundesamt für Justiz in dieser Frage zu begrüssen.

Im EJPD war im Fall «Achraf» von allem Anfang an klar, dass eine Überstellung an die spanischen Strafverfolgungsbehörden nur auf der Grundlage eines spanischen Auslieferungsersuchens nach Massgabe des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 12. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1) erfolgen könnte. Ebenfalls klar war, dass Achraf gegen eine vom Bundesamt für Justiz erlassene Auslieferungsverfügung an das Bundesgericht, welches letztinstanzlich zu entscheiden hätte, würde rekurrieren können.

Dass der Vorsteher EJPD bei dieser Ausgangslage kein Versprechen für eine Auslieferung machen konnte, ist allein schon auf Grund der im Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) dargestellten Kompetenzverteilung offensichtlich. In der Folge übermittelte Spanien am 21. Oktober 2004 ein Verhaftsersuchen zwecks Auslieferung. Am 27. Oktober 2004 wurde das förmliche Auslieferungsersuchen eingereicht.

Bereits am 21. Oktober 2004 hatte die Bundesanwaltschaft dem Bundesamt für Justiz mitgeteilt, dass sie ein eigenes Strafverfahren gegen Achraf eröffnet hatte, um abzuklären, ob er sich auch in der Schweiz strafbar gemacht hatte. Dabei wies das Bundesamt für Justiz darauf hin, dass dieses Strafverfahren eine Auslieferung von Achraf ­ aufgrund der Priorität der schweizerischen Gerichtsbarkeit ­ verunmöglichen könnte (vgl. Art. 35 Abs. 1 Bst. b IRSG). Am 22. Oktober 2004 hat das Bundesamt für Justiz das GS EJPD entsprechend informiert.

Eine längere Sitzung am Abend des 2. November 2004, die unter der Leitung des Vorstehers EJPD stand und an welcher neben dem stellvertretenden Bundesanwalt auch der stellvertretende Chef des Dienstes für Analyse und Prävention (DAP), der Leiter der Abteilung Internationale Rechtshilfe des Bundesamts für
Justiz sowie der Chef des Informationsdienstes des EJPD teilnahmen, diente vor allem der Koordination der zum Teil widersprüchlichen Medieninformationen aus der Bundesanwaltschaft und fedpol. Hierzu wurde an der Sitzung festgelegt, dass der Informationslead für den Fall Achraf ab sofort beim Informationsdienst EJPD liege. Zudem wurden die bestehenden Handlungsoptionen für das weitere Vorgehen in der Sache selbst aufgezeigt und diskutiert.

Angesichts der Tatsache, dass zu jenem Zeitpunkt keine konkreten Hinweise auf eine deliktische Tätigkeit Achrafs in der Schweiz bestanden, einigten sich die Teilnehmer am Schluss der Sitzung einvernehmlich darauf, dass bis auf weiteres die Option Auslieferung im Vordergrund stehen sollte. Für den Fall, dass die Ermittlungen Hinweise auf konkrete terroristische Aktivitäten Achrafs in der Schweiz ergeben sollten, hätte eine allenfalls bereits bewilligte Auslieferung zugunsten des Verfahrens der Bundesanwaltschaft aufgeschoben werden müssen (Art. 58 Abs. 1 IRSG).

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Allenfalls hätte auch von der Möglichkeit einer vorübergehenden Zuführung Gebrauch gemacht werden können (Art. 58 Abs. 2 IRSG).

Der Bundesanwaltschaft wurden an dieser Sitzung keinerlei Weisungen in Richtung Verzicht auf ein eigenes Ermittlungsverfahren erteilt. Angesichts der Möglichkeit einer parallelen Führung des Auslieferungs- und des Ermittlungsverfahrens bestand dafür rein objektiv auch keine Notwendigkeit.

Es wurde schliesslich von allen Sitzungsteilnehmern in ausdrücklichem Konsens festgehalten, dass vorerst die Option einer Auslieferung im Vordergrund stünde. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft und des Bundesamts für Justiz haben gleichzeitig vereinbart, sich regelmässig über den Verfahrensablauf zu orientieren und den Entscheid über das definitive Vorgehen (Strafverfahren inkl. Anklage in der Schweiz oder Auslieferung und späteres Strafübernahmebegehren nach Spanien) zu einem späteren Zeitpunkt zu fällen.

Am folgenden Tag, dem 3. November 2004, wurden die Medien vom Vorsteher EJPD persönlich über den Fall orientiert und darüber ins Bild gesetzt, dass eine Auslieferung im Vordergrund steht.

Die vom Sprecher der Bundesanwaltschaft am 4. November 2004 gemachte Aussage, dass eine Auslieferung für die Bundesanwaltschaft nicht im Vordergrund stehe, widersprach diametral der zwei Tage vorher einvernehmlich vereinbarten und vom Vorsteher EJPD am 3. November 2004 der Öffentlichkeit kommunizierten Information.

Nach verschiedenen Koordinationssitzungen zwischen dem Bundesamt für Justiz und der Bundesanwaltschaft kam diese bereits in einem Schreiben vom 24. Dezember 2004 von sich aus zum Schluss, dass namentlich im Hinblick auf die gesamthafte Beurteilung des Tatkomplexes bzw. auf eine einheitliche gerichtliche Beurteilung aller Mitbeschuldigten dem spanischen Verfahren und somit einer Auslieferung der Vorrang einzuräumen sei.

Nachdem das Bundesgericht mit Urteil vom 5. April 2005 die Beschwerde von Achraf gegen den Auslieferungsentscheid des Bundesamts für Justiz vom 27. Januar 2005 abgewiesen hatte, wurde dieser am 22. April 2005 den spanischen Behörden übergeben.

Auf Antrag der Bundesanwaltschaft hat das Bundesamt für Justiz via die Schweizer Botschaft in Madrid den spanischen Behörden am 25. November 2005 die Übernahme bestätigt.

Damit ist aufgezeigt, dass nicht die Koordination zwischen
dem Auslieferungs- und dem schweizerischen Strafverfahren Probleme bereitet hat. Schwierigkeiten entstanden vielmehr, weil der damalige Bundesanwalt, entgegen den getroffenen Absprachen, eine Pressekonferenz abhalten wollte, ohne dass hierfür objektiv eine Veranlassung, geschweige denn eine Notwendigkeit bestanden hätte.

Kommt es nicht zu einer Koordination der Informationspolitik zwischen den beteiligten Bundesämtern und der Bundesanwaltschaft oder weigert sich ­ wie im vorliegenden Fall ­ der Bundesanwalt, sich an die getroffenen Absprachen zu halten, so stellt sich die Frage, ob der Vorsteher des EJPD befugt ist, ihm im Rahmen seiner administrativen Aufsicht eine bestimmte Information der Öffentlichkeit vorzuschreiben oder zu untersagen.

2084

Das EJPD vertritt die Auffassung, die Information der Öffentlichkeit durch die Bundesanwaltschaft falle grundsätzlich, das heisst sofern sie ein laufendes Ermittlungsverfahren betrifft, in den Bereich der Fachaufsicht; in gewissen, seltenen Fallkonstellationen, in welchen aus übergeordneten staatspolitischen Interessen eine Koordination zwischen mehreren beteiligten Bundesämtern nötig ist, sei sie jedoch eine administrative Angelegenheit. Deshalb seien Weisungen des Departementvorstehers über die Information der Bundesanwaltschaft zulässig, insbesondere zur Durchsetzung von übergeordneten staatspolitischen Interessen.

Der Rechtskonsulent des Bundesrates, Prof. Dr. Georg Müller, ist dagegen der Meinung, die Information sei Bestandteil der Aufgabenerfüllung. Der Gesetzgeber habe eine Einflussnahme der Exekutive auf die Art der Aufgabenerfüllung durch die Bundesanwaltschaft ausgeschlossen (Art. 14 und 16 Abs. 4 Satz 1 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege vom 15. Juni 1934 [BStP], SR 312.0). Anordnungen über die Information der Öffentlichkeit könne nur das Bundesstrafgericht als fachliche Aufsichtsinstanz treffen.

Die Abgrenzung zwischen administrativer und fachlicher Aufsicht ist offensichtlich schwierig. Der Bundesrat hält die heutige Rechtslage für unbefriedigend. Er schlägt deshalb im Entwurf zum Strafbehördenorganisationsgesetz vor, die administrative und die fachliche Aufsicht inskünftig dem Bundesrat zu übertragen. Nach neuem Recht wird der Bundesrat zuständig sein, der Bundesanwaltschaft allgemeine Weisungen über die Information der Öffentlichkeit zu erteilen. Es müssen allerdings die institutionellen Voraussetzungen geschaffen werden, damit der Bundesrat diese Aufgabe erfüllen kann.

1.3

Zur Frage der Kompetenzüberschreitung und der Verletzung von Verfahrensvorschriften

Auch die Bundesanwaltschaft untersteht einer Aufsicht durch die vorgesetzte Behörde. Einen Vorgesetzten im üblichen Sinn, d. h. mit umfassenden Weisungsbefugnissen, hat die Bundesanwaltschaft aufgrund ihrer besonderen Stellung aber nicht. Die zwei Aufsichtsinstanzen ­ Bundesrat (EJPD) als adminstrative Aufsicht und Beschwerdekammer des Bundestrafgerichts als fachliche Aufsicht ­ haben je begrenzte Einwirkungsmöglichkeiten.

Die Bundesanwaltschaft stand von ihrer Schaffung im Jahre 1889 an bis zum Inkrafttreten der so genannten Effizienzvorlage am 1. Januar 2002 unter der Aufsicht des Bundesrats bzw. des EJPD. Der Bundesrat übte seine Aufsicht aber schon seit Jahrzehnten zurückhaltend aus und beschränkte sich auf eine Rechtsaufsicht, später auf eine administrative Aufsicht. Mit der Änderung von Artikel 11 des BStP durch die Effizienzvorlage wurde der Bundesanwalt in fachlicher Hinsicht der Aufsicht der Anklagekammer des Bundesgerichts unterstellt (s. dazu die Botschaft des Bundesrates, BBl 1998 1529). Artikel 14 Absatz 1 BStP beliess aber die so genannte administrative Aufsicht über den Bundesanwalt beim Bundesrat, der diese Aufgabe dem EJPD übertragen hat (s. insb. Artikel 27 der Organisationsverordnung für das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, SR 172.213.1). Begründet wurde die Teilung der Aufsicht einerseits damit, dass eine Staatsanwaltschaft im funktionellen Sinn weisungsunabhängig und einer richterlichen Kontrolle unterstellt sein müsse, dass aber andererseits dem Bundesrat als Wahlbehörde im Hinblick auf 2085

die Wiederwahl und das Disziplinarwesen sowie hinsichtlich des Personal- und Rechnungswesens Aufsichtsfunktionen verbleiben müssen (Felix Bänziger/Luc Leimgruber, Das neue Engagement des Bundes in der Strafverfolgung ­ Kurzkommentar zur «Effizienzvorlage», Bern 2001, Rz. 171).

Am 1. April 2004 hat die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts in Bellinzona die Funktionen der ehemaligen Anklagekammer des Bundesgerichts übernommen (Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4365). Nach Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe a des Bundesgesetzes über das Bundesstrafgericht (SGG; SR 173.71) entscheidet die Beschwerdekammer auch über Beschwerden gegen Amtshandlungen oder Säumnis des Bundesanwalts. Nach Artikel 28 Absatz 2 SGG führt sie «die Aufsicht über die Ermittlungen der gerichtlichen Polizei und die Voruntersuchung in Bundesstrafsachen». Die Botschaft umschreibt diese Aufsichtstätigkeit wie folgt: «... Dieses Aufsichtsrecht erlaubt ihr insbesondere, sich jederzeit etwelche Akten zustellen zu lassen und auf diese Weise über die Untersuchungsmethoden zu wachen. Stellt sie Mängel fest, nimmt sie die nötigen Abklärungen vor und ordnet alle erforderlichen Massnahmen von Amtes wegen an» (BBl 2001 4365).

Inhaltlich unverändert geblieben ist die Regelung über die administrative Aufsicht des Bundesrates und deren Übertragung an das EJPD.

Neben ihrer Funktion als Rechtsmittelbehörde in Bezug auf die Entscheidungen der Bundesanwaltschaft muss die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts auch Berichte über die Amtsführung einfordern und allenfalls generelle Weisungen erteilen können. Dabei hat sich gezeigt, dass die faktischen Aufsichtsmöglichkeiten der Beschwerdekammer von ihrer gerichtlichen Funktion her limitiert sind. Eine umfassende Aufsicht erfordert andere fachliche Ressourcen, als sie die gerichtliche Funktion verlangt. Die Beschwerdekammer hat zwar weit gehende Einsichtsrechte, doch hat sie keine Möglichkeiten, bei festgestellten Mängeln unmittelbar organisatorische oder disziplinarische Massnahmen anzuordnen, da die administrative Aufsicht beim Bundesrat liegt.

Das EJPD, welches die administrative Aufsicht im Auftrag des Bundesrates ausübt, hat seinerseits nur beschränkte Möglichkeiten, den Ressourcenbedarf der Bundesanwaltschaft in finanzieller, personeller und sachlicher Hinsicht anhand
einer Einsichtnahme in die faktische Geschäftsabwicklung zu überprüfen.

Selbst die Geschäftsprüfungskommission zieht aus diesen Umständen den Schluss, dass eine geteilte Aufsicht eine klare Abgrenzung und Koordination notwendig mache. Diese erfordert zwingende und regelmässige mündliche und schriftliche Absprachen zwischen den Aufsichtsinstanzen. Eine klare und einheitliche Aufsichtsregelung, wie sie vom Bundesrat wiederholt gefordert und beschlossen wurde, ist dringend nötig, damit jeglicher Anschein von Kompetenzüberschreitung vermieden werden kann. Nur eine vereinigte Aufsicht im Sinne der klassischen Dienstaufsicht bietet das geeignete Instrumentarium, um Kompetenzstreitigkeiten zuverlässig zu vermeiden. Sie muss durch eine klare Regelung der inhaltlichen Schranken des Weisungsrechts der Aufsichtsbehörde ergänzt werden. Das Parlament wird im Rahmen des zu erlassenden Bundesgesetzes über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (StBOG), das sich zur Zeit in der Vernehmlassung befindet, Gelegenheit haben, eine sachgerechte Lösung zu beschliessen, welches die Mängel der aktuellen Aufsicht über die Bundesanwaltschaft beseitigt (siehe dazu die Ausführungen in Ziff. 3 nachfolgend).

2086

Die von der Geschäftsprüfungskommission beanstandeten Absprachen zwischen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und dem EJPD bestätigen, dass das heutige Aufsichtsmodell mit der Teilung der Aufsicht in einen «administrativen» und einen «fachlichen» Bereich sowie die Zuweisung dieser Bereiche an zwei verschiedene Behörden in der Praxis bei besonders schwierigen Fällen kaum zu handhaben ist. Die daraus entstandenen Kompetenzkonflikte und Abgrenzungsschwierigkeiten erlauben keine verantwortungsvolle und wirksame Aufsicht über die Bundesanwaltschaft, was nicht dem Sinn und Zweck der mit der Effizienzvorlage beschlossenen Neuregelung der Aufsicht entspricht. Bei positiven oder negativen Kompetenzkonflikten sind Absprachen über die Kompetenzaufteilung unerlässlich.

Andere Absprachen hingegen sind nicht zulässig und sind denn auch nie erfolgt.

In diesem Lichte ist auch der von der Kommission monierte Mailverkehr zwischen dem Beschwerdekammerpräsidenten und dem Generalsekretär EJPD zu sehen. Der Generalsekretär EJPD hat ­ unter und wegen besonderer Berücksichtigung der Gewaltentrennung- lediglich Interesse am Ausgang einer allfälligen Abklärung durch die Beschwerdekammer bekundet. In Anbetracht der geltenden Aufsichtsregelung war es nötig und sinnvoll, dass er über das beabsichtigte Vorgehen des Beschwerdekammerpräsidenten in groben Zügen im Bild war. Mit Bezug auf die administrative Aufsicht war das Interesse des Generalsekretärs EJPD am Ergebnis der vom Beschwerdekammerpräsidenten angestrebten Abklärungen nicht nur legitim und legal, sondern erforderlich, um die administrative Aufsicht ausüben zu können.

Daraus ein wie auch immer geartetes «Auftragsverhältnis» ableiten zu wollen, ist nicht nachvollziehbar.

Im Weiteren ist die personalrechtliche Rechtslage in Bezug auf den Bundesanwalt, dessen Stellvertreter sowie den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten des Bundes und deren Stellvertreter gesetzlich klar geregelt. Das wichtigste personalrechtliche Merkmal ist die Wahl auf Amtsdauer. Artikel 9 Absatz 5 des Bundespersonalgesetzes (BPG; SR 172.220.1) sieht vor, dass der Bundesrat durch Verordnung für weiteres Personal, das vom Anstellungsorgan unabhängig sein muss, die Wahl auf Amtsdauer vorsehen kann. Von dieser Delegationskompetenz hat der Bundesrat in Artikel 32 der Bundespersonalverordnung
(BPV; SR 172.220.111.3) Gebrauch gemacht und hat festgelegt, dass die Arbeitsverhältnisse des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin sowie der stellvertretenden Bundesanwälte und Bundesanwältinnen, aber auch der Staatsanwälte und Staatsanwältinnen des Bundes und deren Stellvertreter auf eine Amtsdauer von vier Jahren abgeschlossen werden (vgl. Art. 32 Abs. 1 Bst. b und c BPV). Während dieser Zeit ist das Arbeitsverhältnis durch die Schweizerische Eidgenossenschaft praktisch unkündbar. Es kann nämlich vor Ablauf der Amtsdauer nur dann gekündigt werden, wenn Gründe für eine fristlose Kündigung vorliegen (vgl. Art. 32 Abs. 3 Bst. a BPV). Eine ordentliche Kündigung kann nur auf Ablauf der Amtsdauer bei Vorliegen von Kündigungsgründen im Sinne von Artikel 12 Absatz 6 BPG und unter Einhaltung der entsprechenden Kündigungsfristen von drei, vier oder sechs Monaten, je nach Dauer des Arbeitsverhältnisses erfolgen (vgl. Art. 32 Abs. 3 Bst. b BPV). Mit anderen Worten: Wenn die Wahlbehörde vor dem Ablauf der Amtsdauer nicht tätig wird und nicht einen ordentlichen Kündigungsgrund ausspricht, dann erneuert sich das Arbeitsverhältnis dieser Personalkategorie automatisch um weitere vier Jahre.

Damit hat der Bundesrat auf Verordnungsebene eindeutig klar gemacht, wie wichtig ihm die unabhängige Stellung des Bundesanwalts in personeller Hinsicht ist.

2087

Gerade der vorliegende Fall um Bundesanwalt Valentin Roschacher zeigt, dass die heutigen gesetzlichen Bestimmungen ausreichend sind. Trotz unbestrittener schwieriger Voraussetzungen in der Person des Bundesanwaltes wären weder der Vorsteher EJPD noch der Bundesrat berechtigt gewesen, diesen einseitig aus dem Amt zu entlassen, lagen doch keine für eine ausserordentliche Kündigung hinreichenden Gründe vor.

Bundesanwalt Valentin Roschacher hat jedoch am 5. Juli 2006 von sich aus den Rücktritt erklärt, was einer einseitigen Kündigung entspricht, welche ausschliesslich im Willensbereich des Bundesanwalts lag. Inwiefern dieser Akt seine personalrechtliche Unabhängigkeit tangiert haben könnte, ist nicht ersichtlich. Daran vermag auch die gleichentags abgeschlossene Vereinbarung nichts zu ändern. Selbst wenn gestützt auf diese die Kündigung als zweiseitiges Rechtsgeschäft zu qualifizieren wäre, wäre die personalrechtliche Unabhängigkeit des Bundesanwalts zu keinem Zeitpunkt beeinträchtigt worden, weil das Geschäft auch in diesem Fall nicht ohne seine Zustimmung hätte zustande kommen können.

Das EJPD, das Bundesamt für Justiz und das Eidgenössische Personalamt vertraten die Ansicht, der Bundesrat müsse der Auflösung des Arbeitsverhätltnisses nicht zustimmen, weil der Bundesanwalt gekündigt habe. Der Bundesrat hat diese Meinung in seinen Stellungnahmen gegenüber der Finanzdelegation und bei der Beantwortung parlamentarischer Vorstösse geteilt. Der Rechtskonsulent des Bundesrates ist dagegen der Auffassung, ein auf Amtsdauer begründetes Arbeitsverhältnis könne nur durch eine Entlassungsverfügung, die auf Antrag des kündigenden Mitarbeiters ergeht, aufgelöst werden.

Wie es sich damit verhält, kann offen bleiben. Der Bundesrat wurde vom Vorsteher des EJPD über die Kündigung des Bundesanwaltes an der Sitzung vom 5. Juli 2006 informiert. Er hat dagegen keine Einwände erhoben und damit die Auflösung des Arbeitsverhältnisses stillschweigend genehmigt. Er hat zwar die Entlassung des Bundesanwaltes nicht förmlich verfügt bzw. keinen Beschluss über die Genehmigung des Auflösungsvertrages gefasst, wie dies bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses erforderlich wäre, das durch Verfügung auf Amtsdauer begründet worden ist. Im Ergebnis hat der Bundesrat aber dem Vorgehen des Vorstehers des EJPD zugestimmt.

Es trifft
zu, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Vorsteher des EJPD und dem Bundesanwalt gestört war. Die vom Vorsteher des EJPD ausgesprochenen Ermahnungen und Rügen waren jedoch nicht nur die Folge von Meinungsdifferenzen und Spannungen, sondern zumindest teilweise sachlich begründet. Mahnungen, die einer Kündigung vorangehen müssen, gelten nicht als Verfügungen und müssen deshalb auch nicht im Verfahren nach dem Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (VwVG) erlassen werden. Erst im Zusammenhang mit einer allfälligen Nichtwiederwahl durch den Bundesrat wäre in einem Verfahren nach den Vorschriften des VwVG, insbesondere unter Gewährung des rechtlichen Gehörs, zu prüfen gewesen, ob die in den Mahnungen und Rügen erhobenen Vorwürfe des Vorstehers des EJPD begründet sind oder nicht.

2088

1.4

Abgangsentschädigung für den Bundesanwalt

Umstritten ist, ob die Herrn Roschacher ausgerichtete Abgangsentschädigung auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage beruhte.

Das EJPD und der Bundesrat vertraten die Auffassung, dass Artikel 26 Absatz 1 i.V.m. Artikel 79 Absatz 2 BPV analog angewendet werden könne, wobei auch die Finanzdelegation die getroffene Lösung als vertretbar erachtete. Nach diesen Bestimmungen hält der Arbeitsvertrag mit bestimmten Chefbeamtinnen und Chefbeamten fest, dass der Wegfall der gedeihlichen Zusammenarbeit mit dem Departementsvorsteher oder der Departementsvorsteherin als Grund für eine ordentliche Kündigung nach Artikel 12 Absatz 6 Buchstabe f BPG gilt. Wird aus diesem Grund einer Chefbeamtin oder einem Chefbeamten gekündigt, so wird ihr oder ihm eine Entschädigung in der Höhe eines Jahreslohnes ausgerichtet.

Der Rechtskonsulent des Bundesrates gelangt gestützt auf seine Überprüfung zum Ergebnis, dass eine analoge Anwendung der Artikel 26 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 79 Absatz 2 BPV nicht möglich ist. Die Regelung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Bundesanwalt, der vom Bundesrat auf Amtsdauer gewählt wird, ist nicht lückenhaft. Sie ist zur Gewährleistung der Unabhängigkeit so ausgestaltet, dass sie während der Amtsdauer nur aufgelöst werden kann, wenn ein wichtiger Grund im Sinne von Artikel 12 Absatz 7 BPG vorliegt, oder wenn der Bundesanwalt unter Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigt. Ausserdem kann das Arbeitsverhältnis jeweils auf Ablauf der vierjährigen Amtsdauer aufgelöst werden, wenn einer der in Artikel 12 Absatz 6 BPG erwähnten Gründe gegeben ist. Der Bundesanwalt steht als Leiter einer dezentralen, dem EJPD nur administrativ zugeordneten Verwaltungseinheit nicht in einem so nahen Verhältnis zum Vorsteher des EJPD, dass ein Wegfall der gedeihlichen Zusammenarbeit mit dem Departementschef ­ wie z.B. bei einem Direktor oder einer Direktorin eines Bundesamtes ­ als Kündigungsgrund erscheinen könnte, der eine Abgangsentschädigung rechtfertigen würde. Weisen die Vorschriften über die Auflösung von auf Amtsdauer abgeschlossenen Arbeitsverhältnissen keine Lücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit auf, so kommt auch keine analoge Anwendung von Artikel 26 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 79 Absatz 2 BPV in Frage.

Artikel 19 Absatz 5 BPG stellt ebenfalls keine Grundlage
für eine Abgangsentschädigung des Bundesanwaltes dar. Diese Bestimmung sieht Massnahmen bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ohne Verschulden des Angestellten vor. Sie ist im Falle einer Kündigung durch den Arbeitnehmer grundsätzlich nicht anwendbar. Nach Artikel 19 Absatz 5 BPG kann der Bundesrat den Rahmen für allfällige Abgangsentschädigungen bei Beendigung im gegenseitigen Einvernehmen nach Artikel 10 Absatz 1 BPG regeln. Von dieser Ermächtigung hat er keinen Gebrauch gemacht. Der Bundesanwalt gehört auch nicht zu den in Artikel 78 Absatz 2 BPV aufgezählten Personalkategorien, denen Abgangsentschädigungen ausgerichtet werden können.

Nach Meinung des Rechtskonsulenten des Bundesrates sei das EJPD also nicht befugt gewesen, dem Bundesanwalt in der Vereinbarung über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Abgangsentschädigung in der Höhe von einem Jahresgehalt zuzusichern. Es habe sich bei seinem Vorgehen allerdings auf eine Auskunft des Eidgenössischen Personalamtes gestützt. Das Fehlen der gesetzlichen Grundlage für die Ausrichtung der Abgangsentschädigung sei zudem kein leicht erkennbarer

2089

Mangel. Obwohl das EJPD dies abgeklärt hatte. Der Mangel wirkte sich auf die Gültigkeit der Vereinbarung mit dem Bundesanwalt nicht aus.

Der Bundesrat anerkennt, dass Klärungsbedarf besteht. Die vorliegende Problematik soll deshalb im Zuge der BPG-Revision genau geprüft und bereinigt werden. Die gesetzgeberischen Arbeiten sind bereits im Gang. Es ist vorgesehen, dass Amtsdauerverhältnisse nicht mehr generell im BPG, sondern spezialgesetzlich geregelt werden sollen. Im Falle der Bundesanwaltschaft wird dies im Rahmen des neuen Strafbehördenorganisationsgesetz erfolgen.

2

Zu den Empfehlungen Empfehlung 1

Formell-gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Vertrauenspersonen

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates fordert den Bundesrat auf, dafür zu sorgen, dass für den polizeilichen Einsatz von Vertrauenspersonen im Rahmen der Strafverfolgung eine formell-gesetzliche Grundlage geschaffen wird.

Der Bundesrat ist bereit, die Empfehlung 1 zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen.

Die polizeiliche Praxis in der Schweiz unterscheidet im Allgemeinen drei Arten von Hilfspersonen: den einfachen Informanten, die Vertrauensperson und den verdeckten Ermittler. Der Begriff des verdeckten Ermittlers wurde mit dem Bundesgesetz vom 20. Juni 2003 über die verdeckte Ermittlung (BVE, SR 312.8) gesetzlich geregelt.

Es ist aufgrund von Botschaft und Kommissionsprotokollen davon auszugehen, dass der Einsatz einer Vertrauensperson als Ermittlungsmethode durch das BVE nicht ausgeschlossen worden ist.

Im Gegensatz zum verdeckten Ermittler verbirgt die Vertrauensperson weder ihre wahre Identität, noch muss sie sich erst in das kriminelle Umfeld einschleusen. Ihr Zugang zu den Informationen beruht auf ihren bereits bestehenden Beziehungen zu den Zielpersonen oder auf ihrem Aufenthalt im kriminellen Umfeld.

Gesamthaft betrachtet handelt es sich beim Einsatz von Vertrauenspersonen im dargestellten Rahmen um einen hinsichtlich seiner Schwere nicht mit der verdeckten Ermittlung vergleichbaren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen. Eine formell-gesetzliche Grundlage ist deshalb nicht erforderlich. Die Tätigkeit ist durch die generellen Befugnisnormen der Polizei zur Vornahme von Ermittlungshandlungen genügend abgedeckt.

Der Bundesrat hat am 4. Juli 2007 vom Umsetzungsbericht Strafverfolgung auf Bundesebene im Rahmen des Projekts EffVor 2 Kenntnis genommen. Darin wurde der Schluss gezogen, dass eine formell-gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Vertrauenspersonen nicht erforderlich, aber aus Gründen der Rechtssicherheit zu prüfen sei.

2090

Der Bundesrat erachtet die Schaffung einer formell-gesetzlichen Grundlage für den Einsatz von Vertrauensperson zwar nicht als zwingend notwendig, indessen durchaus als sinnvoll.

Der Bundesrat hat, wie in der Antwort auf die Interpellation NR Banga vom 21. Juni 2006 dargelegt, bereits eine schrittweise Erneuerung des Polizeirechts des Bundes eingeleitet. Als erste Etappe hat er den eidgenössischen Räten die Botschaften für die Bundesgesetze über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes (BPI) und die Anwendung von polizeilichem Zwang (ZAG) vorgelegt. Mit Blick auf eine zweite Etappe hat der Vorsteher EJPD das fedpol mit der Erarbeitung von Vorschlägen zur Schaffung eines Polizeigesetzes des Bundes beauftragt. In diesem Rahmen ist die Thematik der gesetzlichen Regelung für den Einsatz von Vertrauenspersonen zu prüfen.

Empfehlung 2

Hohe Priorität beim Abbau von Pendenzen im URA

Das Bundesstrafgericht räumt dem Abbau der Pendenzen beim Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt (URA) hohe Priorität ein und trifft unter Mithilfe der übrigen Strafverfolgungsbehörden des Bundes Massnahmen, um allfällige Verjährungen von Verfahren zu verhindern.

Der Bundesrat äussert sich zu Empfehlung 2 nicht, da sie in den Zuständigkeit des Bundesstrafgerichts fällt.

Hingegen ist folgendes anzufügen: Hohe Priorität hat das Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (StBOG), das der Bundesrat am 21.9.2007 in die Vernehmlassung geschickt hat. Das Eidg. Untersuchungsrichteramt (URA) wird mit Inkrafttreten des StBOG in die Bundesanwaltschaft überführt und damit aufgehoben. Somit werden die Ressourcen, die heute in die Voruntersuchungen investiert werden, der Strafverfolgung erhalten bleiben und diese verstärken.

Der Bundesrat drängt darauf, dass dieses Gesetz bereits am 1.1.2009 in Kraft gesetzt werden kann, was eine starke Beschleunigung der Verfahren bringen dürfte.

Empfehlung 3

Erfordernisse der zwingenden Bundeskompetenzen beachten

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates fordert den Bundesrat auf, dafür zu sorgen, dass bei der Festlegung der künftigen Umsetzung der Effizienzvorlage und insbesondere bei der Ressourcenzuteilung der Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, in den Bereichen der zwingenden Bundeskompetenzen mit der erforderlichen Tiefe tätig zu werden, Rechnung getragen wird.

Der Bundesrat nimmt die Empfehlung 3, die bereits weitgehend umgesetzt ist, entgegen.

Gestützt auf den Antrag des EJPD hat der Bundesrat am 4. Juli 2007 die Umsetzung des Modells «Konzentration der Kräfte» (Grundsätze, Deliktsschwerpunkte, Aktualitätspriorisierung) beschlossen. Es kann integral auf den Umsetzungsbericht «Strafverfolgung auf Bundesebene (Projekt EffVor2)» vom 16.4.2007 verwiesen werden.

2091

Ab 1. Januar 2008 werden die Strafverfolgungsbehörden des Bundes ausschliesslich gemäss der vom Bundesrat beschlossenen Neuausrichtung tätig sein.

Auf Grund der bisherigen Erfahrungen sowie des aktuellen Lagebildes (Bedrohungslage) wird die nachfolgende Priorisierung und Schwerpunktbildung innerhalb der Deliktsfelder formuliert: Terrorismus, Finanzierung des Terrorismus Organisierte Kriminalität im Zusammenhang mit Menschenschmuggel, -handel, Betäubungsmittel; sowie gemischte Fälle von Geldwäscherei, Korruption usw.

Wirtschaftskriminalität als Teil der obligatorischen Kompetenz (Geldwäscherei, Korruption) und im Sinne der fakultativen Bundeskompetenzen passive Rechtshilfe und die sich daraus ergebenden Strafverfahren in Bundeskompetenz Proliferation/Sprengstoff/Waffen/Güterkontrollgesetz Priorität

Geldwäscherei aus MROS-Meldungen Inlandkorruption Flugunfälle Amtsgeheimnisverletzungen

Die Prioritätsreihenfolge der Deliktsfelder kann sich auf Grund aktueller Ereignisse oder einer sich plötzlich ändernden Bedrohungslage verschieben. Eine hohe Flexibilität (Aktualitätspriorisierung) in der Strafverfolgung ist deshalb unumgänglich.

Zusammenfassend stellt der Bundesrat fest, dass die Strafverfolgungsbehörden des Bundes ihre Tätigkeit innerhalb des unveränderten gesetzlichen Rahmens gemäss der festgelegten Strategie ausrichten werden, ohne von der zwingenden Kompetenzordnung abzuweichen. Innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Kompetenzrahmens besteht nämlich ein gewisser Spielraum: so kann die Bundesanwaltschaft gemäss Artikel 18 BStP Strafsachen im klassischen Kompetenzbereich (Art. 336 Ziff. 1 und 3 StGB) generell den kantonalen Behörden zur Verfolgung übertragen. Hingegen kann im neuen Kompetenzbereich (Art. 337 StGB und Art. 336 Abs. 2 StGB) die Strafverfolgung nur in einfachen Fällen den kantonalen Behörden übertragen werden (Art. 18bis BStP). Durch eine Anpassung der Delegationspraxis können bei den Strafverfolgungsbehörden des Bundes die Ressourcen vermehrt gemäss der festgelegten Strategie eingesetzt werden. Um vermehrt aufwändige Verfahren im Bereich der Wirtschaftskriminalität (fakultativer Kompetenzbereich) führen zu können, muss bei grundsätzlich unverändertem Ressourcenbedarf zwangsläufig die Anhandnahme von Verfahren im obligatorischen Kompetenzbereich restriktiver geprüft werden.

Eine Anpassung der Delegationspraxis hat direkte Auswirkungen auf die Belastung der kantonalen Strafverfolgungsbehörden und ist daher nur möglich, wenn mit den Kantonen eng zusammengearbeitet wird. Diese Zusammenarbeit wird in Zukunft weiter verstärkt. Der Vorstand der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizei2092

direktorinnen (KKJPD) hat sich am 21. Juni 2007 positiv zur neuen Stossrichtung geäussert und ihr grundsätzlich zugestimmt.

Mit der Inkraftsetzung der StPO fällt die Voruntersuchung und damit der zweimalige Handwechsel der Untersuchungsakten dahin, was die Verfahrensabläufe vereinfachen wird. Als weitere Folge werden die bisher für das URA aufgewendeten Mittel (finanziell und personell) in die Bundesanwaltschaft überführt.

Das EJPD wird dem Bundesrat Ende Juni 2008 Bericht erstatten über die Erfahrungen mit dem neuen Modell im ersten Halbjahr 2008, die Entwicklung der Fallzahlen sowie die Koordination mit den Kantonen. Gestützt darauf wird der Bundesrat entscheiden, zu welchem Zeitpunkt bzw. in welcher Periodizität er über die Entwicklung der Schwerpunkte wie auch über den Ressourcenbedarf zu informieren ist.

Damit ist gewährleistet, dass der Problematik der zwingenden Bundeskompetenzen auch in Zukunft die nötige Beachtung geschenkt wird.

Empfehlung 4

Übergeordnete Kriminalpolitikstrategie im Bundesrat festlegen

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates fordert den Bundesrat auf, dafür zu sorgen, dass eine im Rahmen der Neuausrichtung der Effizienzvorlage übergeordnete Kriminalpolitikstrategie auf Stufe Bundesrat festgelegt wird, und prüft deren Abstützung im Parlament oder in hierfür geeigneten parlamentarischen Gremien.

Der Bundesrat nimmt die Empfehlung 4 entgegen und stellt fest, dass sie bereits weitgehend umgesetzt ist.

Wie zu Empfehlung 3 dargelegt, hat der Bundesrat mit Beschluss vom 4. Juli 2007 die vom EJPD beantragte übergeordnete Kriminalpolitikstrategie genehmigt.

Gemäss Antrag des EJPD vom 2. Juli 2007 ist vorgesehen, dass die gesetzten Schwerpunkte regelmässig (beispielsweise gemäss Legislaturrhythmus alle 4 Jahre) überprüft und falls notwendig der jeweiligen neuen Bedrohungslage angepasst werden. Ausserordentliche Anpassungen bei aktuellen aussergewöhnlichen Ereignissen oder bei einer grundlegenden Änderung der Bedrohungslage sind jederzeit möglich.

Der Bundesrat wird das EJPD im Rahmen der Kenntnisnahme des Abschlussberichts per Ende Juni 2008 beauftragen, die Kriminalpolitikstrategie erneut per Ende 2011 zur Genehmigung zu unterbreiten und dafür zu sorgen, dass sie vorgängig entweder durch das Parlament oder in hierfür geeigneten parlamentarischen Gremium abgestützt wird.

Empfehlung 5

Sicherstellung der Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates fordert den Bundesrat auf, sich des Dossiers Bundesanwaltschaft unverzüglich aktiv anzunehmen und Massnahmen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft in institutioneller und personeller Hinsicht zu treffen.

Der Bundesrat nimmt die Empfehlung 5 entgegen.

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Grundsätzlich ist festzustellen, dass sich der Bundesrat im Rahmen seiner Tätigkeit regelmässig mit Fragen der Bundesanwaltschaft befasst und seine Führungsaufgabe nicht vernachlässigt hat. So hat der Vorsteher EJPD den Bundesrat bereits ab 2004 laufend über das Dossier «Bundesanwaltschaft» informiert. Ab dem gleichen Zeitraum hat sich der Bundesrat regelmässig mit der Aufsichtsproblematik befasst.

Alleine im Jahre 2006 wurde der Bundesrat sieben Mal zum Dossier «Bundesanwaltschaft» orientiert.

Der Bundesrat stellt ausserdem fest, dass er sich des Dossiers Bundesanwaltschaft insofern unverzüglich angenommen hat, als er unabhängige Experten zur Würdigung des Berichts der GPK-N beigezogen hat. Er hat ausserdem der Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens über den Entwurf zum StBOG durch das EJPD zugestimmt, mit welchem eine neue Regelung der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft vorgeschlagen und darum ersucht wird, auch zu anderen Modellen der Aufsicht Stellung zu nehmen.

Im Übrigen kann integral auf die Ausführungen zu Ziff.1.3 vorstehend verwiesen werden.

Empfehlung 6

Gewährleistung der Informationsfreiheit der Bundesanwaltschaft

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates fordert den Bundesrat auf, dafür zu sorgen, dass die Abgrenzung zwischen unabhängiger Informationstätigkeit der Bundesanwaltschaft und der Koordination mit der Informationstätigkeit des EJPD als administrativ vorgesetzte Behörde geklärt wird.

Der Bundesrat ist bereit, die Empfehlung 6 entgegenzunehmen. Er erachtet diese aufgrund der neuen StPO und des sich in Vernehmlassung befindlichen VE-StBOG als in Umsetzung begriffen.

Der Bundesrat erachtet die Regelung des geltenden Rechts als unbefriedigend. Er schlägt deshalb im Entwurf zum Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, VE-StBOG) vor, die administrative und die fachliche Aufsicht inskünftig dem Bundesrat zu übertragen.

Nach neuem Recht wird der Bundesrat zuständig sein, der Bundesanwaltschaft allgemeine Weisungen über die Information der Öffentlichkeit zu erteilen. Er wird prüfen, auf welche Weise er die Aufsicht ausüben wird.

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Zu den Schlussfolgerungen betreffend Aufsicht über die Bundesanwaltschaft

Der Bundesrat teilt die Auffassung der GPK-N, dass die heutige geltende Aufsichtsregelung lückenhaft und zu wenig klar ist. Wie bereits dargelegt, wird diesem Aspekt im Rahmen der Vernehmlassung zum VE-StBOG Rechnung getragen.

Es hat sich deutlich gezeigt, dass die aktuell geltende Mehrfachaufsicht, welche unteilbare Verantwortung aufteilt, systembedingt unbefriedigend ist. Aus diesem Grund und angesichts der praktisch ab Inkrafttreten der Effizienzvorlage aufgetrete-

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nen Kompetenzstreitigkeiten hat sich der Bundesrat schon früh und wiederholt für eine Vereinigung der Aufsicht bei der Exekutive ausgesprochen.

Der Rechtskonsulent des Bundesrates und der von ihm beigezogene Experte auf dem Gebiet des Strafprozessrechts, Prof. Dr. Niklaus Schmid, befürworten ebenfalls eine ungeteilte Aufsicht. Nach ihrer Ansicht sollten die Wahl und Aufsichtsbefugnisse in der Hand des Bundesrates vereinigt werden, um Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

Der Bundesrat sei auch besser geeignet als ein Organ der Legislative oder der Justiz, um diese Aufgabe wahrzunehmen, weil er über mehr Fachkompetenz verfüge und die Möglichkeit habe, die notwendige Koordination mit anderen Aufgaben (insbesondere der Rechtshilfe) sicher zu stellen. Die Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft könnte zwar bei einer Aufsicht durch das Bundesgericht am besten gewährleistet werden. Die Aufsicht durch Organe der Legislative oder Exekutive biete in dieser Hinsicht grössere Risiken. Sie könnten reduziert werden, indem durch eine entsprechende Ausgestaltung der personalrechtlichen Stellung des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin und durch gesetzliche Einschränkungen des Aufsichtsrechts, wie sie z.B. der Entwurf zum StBOG vorsehe, vermindert werden.

Prof. Dr. Niklaus Schmid vertritt die Auffassung wie sie der Bundesrat bisher geäussert hatte. Er erachtet die in Artikel 20 Absatz 1 VE-StBOG vorgesehene Unterstellung der Bundesanwaltschaft unter die Aufsicht des Bundesrats bzw. des EJPD als eine in jeder Hinsicht sachgerechte Lösung. Mischsysteme seien in zahlreichen Varianten denkbar. Bedenkenswert sei in diesem Zusammenhang der Hinweis im erläuternden Bericht des EJPD zum VE-StBOG vom 22.8.2007, wonach denkbar sei, die Aufsicht zwar der Exekutive zuzuordnen, für die Durchführung der Aufsicht in Anwendung von Artikel 57 Absatz 1 RVOG aber externe Fachleute einzusetzen.

Ein solcher Einsatz hätte nach Weisungen sowie unter Verantwortung des EJPD bzw. des Bundesrates zu erfolgen. Eine solche Lösung böte verschiedene Vorteile (z.B. keine Gesetzesänderung bzw. neue Behörde nötig; flexibler Einsatz von Fachpersonen je nach Aufsichtsbedürfnissen; enge Einbindung in die Aufsichtsstruktur des EJPD möglich, usw.).

Der Rechtskonsulent des Bundesrates schlägt zusätzlich die Schaffung einer Institution und eines Verfahrens
vor, die gewährleisteten, dass der Bundesrat als Wahlund Aufsichtsbehörde die massgebenden Anordnungen selbst treffe. Die tatsächliche Ausübung der Aufsicht sollte seiner Ansicht nach nicht einem Departement, sondern einem Gremium übertragen werden, das sich aus fachkundigen Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Departemente sowie aus externen Fachleuten zusammensetze. Dieser Aufsichtsrat hätte die Aufgabe einer ständigen Überwachung der Bundesanwaltschaft, müsste aber für den Erlass von allgemeinen Weisungen oder von Anordnungen gegenüber der Bundesanwaltschaft dem Bundesrat Antrag stellen.

Damit könnten Konflikte zwischen dem Vorsteher oder der Vorsteherin des EJPD und dem Bundesanwalt oder der Bundesanwältin, wie sie im Fall Roschacher entstanden und auch früher immer wieder vorgekommen seien, vermieden werden. Der Bundesrat würde durch einen departementsunabhängigen Aufsichtsrat beraten.

Der Bundesrat hat am 21. September 2007 vom Vorentwurf des Bundesgesetzes über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (VE-StBOG) und vom erläuternden Bericht des EJPD Kenntnis genommen und das EJPD ermächtigt, bei den Kantonen, den politischen Parteien, den gesamtschweizerischen Dachverbänden der Gemeinden, Städte und Berggebiete, den gesamtschweizerischen Dachverbänden der Wirtschaft und den weiteren interessierten Kreisen ein Vernehmlassungsverfah-

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ren durchzuführen.Das Vernehmlassungsverfahren dauert bis zum 31. Dezember 2007.

Zudem wurden die Vernehmlassungsteilnehmer in einem Begleitbrief aufgefordert, Stellung zu nehmen zu einer allfälligen Beaufsichtigung der Bundesanwaltschaft durch das Bundsgericht oder zu weiteren Formen der Aufsicht (durch das Bundesstrafgericht, ein parlamentarisches Gremium, ein gemischtes Sondergremium oder die heutige Mehrfachunterstellung).

Gleichzeitig hat sich das EJPD bereit erklärt, bis zum Ende des Vernehmlassungsverfahrens eine Variante betreffend die Aufsicht der Bundesanwaltschaft durch das Bundesgericht auszuarbeiten und diese zu bewerten.

Im Rahmen der Auswertung der Vernehmlassungsergebnisse zum VE-StBOG wird sich der Bundesrat erneut mit der Frage befassen und die beiden Rechtsgutachten sowie die diesbezüglichen Ausführungen des Berichts der GPK-N vom 5. September 2007 in seine Beurteilung einbeziehen.

Anhänge1: Stellungnahme Prof. Dr. iur. Georg Müller Stellungnahme Dr. iur. LL.M. Niklaus Schmid, em. Professor der Universität Zürich

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Die Stellungnahmen können eingesehen werden unter: http://www.bk.admin.ch/dokumentation/02574/index.html?lang=de

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