08.074 Botschaft zur Volksinitiative «gegen masslosen Bau umwelt- und landschaftsbelastender Anlagen» vom 29. Oktober 2008

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «gegen masslosen Bau umwelt- und landschaftsbelastender Anlagen» Volk und Ständen mit der Empfehlung zu unterbreiten, die Initiative abzulehnen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

29. Oktober 2008

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2008-2001

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Übersicht Die Volksinitiative will das Erstellen und das Erweitern von Anlagen, welche die Umwelt oder die Landschaft belasten, nur noch zulassen, wenn aus bildungs- oder gesundheitspolitischer, aus natur- oder landschaftsschützerischer Sicht gesamtschweizerisch ein dringendes Bedürfnis besteht und die Nachhaltigkeit sichergestellt ist.

Der Initiativtext zählt zahlreiche Anlagen aus den Bereichen Sport und Freizeit sowie Ver- und Entsorgung explizit zu den von der Regelung betroffenen und schliesst überdies Industrie- und Gewerbebauten sowie wichtige nationale Infrastrukturanlagen mit ein. Da die Voraussetzungen, unter denen derartige Anlagen künftig noch errichtet oder erweitert werden dürften, ausserordentlich restriktiv formuliert sind, würde die Annahme der Volksinitative in der überwiegenden Zahl der Fälle faktisch auf ein Verbot derartiger Anlagen hinauslaufen.

Die Initiative verpflichtet den Bundesgesetzgeber dazu, die Standorte und die Ausmasse solcher Anlagen grundeigentümerverbindlich festzulegen. Dies bedeutet nicht nur einen massiven Eingriff in die Planungskompetenzen der Kantone, sondern verletzt auch den von der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Rechtsschutz, da gegen derartige Beschlüsse des Bundesgesetzgebers kein Rechtsmittel gegeben ist.

Der Bundesrat befürchtet bei Annahme der Initiative eine massive Beeinträchtigung des Wirtschaftsstandorts Schweiz sowie einen Innovationsstopp in vielen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens.

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «gegen masslosen Bau umwelt- und landschaftsbelastender Anlagen» hat folgenden Wortlaut: I Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert: Art. 75 Abs. 4 (neu) Umwelt- und landschaftsbelastende Anlagen wie Industrie- und Gewerbekomplexe, Steinbrüche, Flugplätze, Einkaufszentren, Anlagen der Abfallverwertung und -beseitigung, Verbrennungs- und Kläranlagen, Sportstadien, Anlagen für Sport und Freizeit, Vergnügungsparks, Parkhäuser und Parkplätze dürfen nur erstellt und erweitert werden, wenn dafür aus bildungs- oder gesundheitspolitischer, natur- oder landschaftsschützerischer Sicht gesamtschweizerisch ein dringendes Bedürfnis besteht und die Nachhaltigkeit sichergestellt ist. Das Gesetz legt mit allgemeinverbindlichen Plänen die Standorte und die Ausmasse solcher Anlagen fest.

4

II Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert: Art. 197 Ziff. 8 (neu) 8. Übergangsbestimmungen zu Art. 75 Abs. 4 (umwelt- und landschaftsbelastende Anlagen) Tritt die entsprechende Gesetzgebung nicht innerhalb von zwei Jahren nach Annahme von Artikel 75 Absatz 4 in Kraft, so erlässt der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen und Pläne durch Verordnung.

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «gegen masslosen Bau umwelt- und landschaftsbelastender Anlagen» wurde am 6. Juni 2006 von der Bundeskanzlei vorgeprüft1 und am 18. Dezember 2007 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 18. Januar 2008 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 106 098 gültigen Unterschriften zu Stande gekommen ist2.

1 2

BBl 2006 5233 BBl 2008 1111

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Die Initiative hat die Form eines ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu keinen Gegenentwurf. Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20023 (ParlG) hat der Bundesrat der Bundesversammlung somit spätestens bis am 18. Dezember 2008 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG innert 30 Monaten nach Einreichung der Initiative, das heisst in diesem Fall bis am 18. Juni 2010, über die Volksinitiative zu beschliessen.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 2 der Bundesverfassung4 (BV): ­

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt die Anforderungen an die Einheit der Form.

­

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang; die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

­

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts; sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

Die offensichtliche Undurchführbarkeit einer Initiative gilt als einzige ungeschriebene materielle Schranke einer Verfassungsrevision. Die Volksinitiative «gegen masslosen Bau umwelt- und landschaftsbelastender Anlagen» ist weder in rechtlicher Hinsicht unmöglich zu realisieren noch ist sie faktisch undurchführbar.

Die Initiative ist somit gültig.

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

Der Boden ist ein knappes und nicht vermehrbares Gut. Ihm gilt es Sorge zu tragen.

Das Initiativkomitee sieht den Schweizer Boden durch überbordende Bautätigkeit gefährdet und ist der Auffassung, dass man sich jetzt wehren müsse. Ansonsten hätten wir in wenigen Jahren keine freie Landschaft mehr, sondern nur noch eine Stadt von Genf bis St. Margrethen. Ausdruck dieser Sorge sind die TandemInitiativen «Gegen masslosen Bau umwelt- und landschaftsbelastender Anlagen» und «Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen», die unter dem Motto «Rettet den Schweizer Boden» eingereicht wurden.

Nach geltendem Recht dürfen Bauten und Anlagen, die sich erheblich auf Raum, Erschliessung und Umwelt auswirken, erst realisiert werden, nachdem die entsprechenden planerischen Voraussetzungen geschaffen worden sind. Mit dieser Planungspflicht nach Artikel 2 des Raumplanungsgesetzes vom 22. Juni 19795 (RPG) wird sichergestellt, dass derartige Bauten und Anlagen erst nach einem demokratischen Planungsverfahren und unter Abwägung sämtlicher Interessen realisiert wer3 4 5

SR 171.10 SR 101 SR 700

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den dürfen. Besonders wichtig ist, dass dabei die Planungsziele und -grundsätze nach den Artikeln 1 und 3 RPG beachtet werden.

Alle planenden Behörden sind ausserdem auf die verfassungsrechtlichen Ziele der zweckmässigen und haushälterischen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes verpflichtet (Art. 75 BV).

Das geltende Bundesrecht setzt für die Lösung der Probleme, die sich im Zusammenhang mit umweltbelastenden Anlagen stellen können, beim Ausmass der voraussichtlichen Umweltbelastung und nicht beim Zweck der Anlage als solcher an.

Nach Artikel 74 BV erlässt der Bund Vorschriften über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen. Er sorgt dafür, dass solche Einwirkungen vermieden werden. Für den Vollzug der Vorschriften sind die Kantone zuständig, soweit das Gesetz ihn nicht dem Bund vorbehält.

Das Umweltschutzgesetz vom 7. Oktober 19836 (USG) regelt den Umgang mit umweltbelastenden Anlagen und überträgt der Behörde, welche über Planung, Errichtung oder Änderung solcher Anlagen entscheidet, die Pflicht, möglichst frühzeitig die Umweltverträglichkeit zu prüfen (Art. 10a USG). Das Umweltschutzrecht des Bundes bestimmt weiter, welche Anlagen einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind7.

Der Schutz der Landschaft ist im Wesentlichen in der Gesetzgebung über den Naturund Heimatschutz geregelt. Nach Artikel 78 Absatz 1 BV ist der Natur- und Heimatschutz vorab Sache der Kantone. Dem Landschaftsschutz ist im Rahmen der Interessenabwägung bei der Planung und Bewilligung der Bauten und Anlagen gebührend Rechnung zu tragen.

Hintergrund der Initiativen ist einerseits die Absichtserklärung des Bundesrates, das Bundesgesetz vom 16. Dezember 19838 über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (die sogenannte Lex Koller) aufheben zu lassen9. Andrerseits sind die beiden Initiativen vor dem Hintergrund der Globalisierung der Wirtschaft, dem Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU und der damit verbundenen Einwanderung zu sehen. Schliesslich spielen auch geplante oder realisierte Grossbauten und -anlagen wie beispielsweise die 2004 erfolgte Einzonung von rund 55 Hektaren Landwirtschaftsland in der Gemeinde Galmiz (FR) für die Ansiedlung eines Biopharma-Unternehmens eine Rolle für die Lancierung der TandemInitiativen. Diese
tatsächlichen und rechtlichen Veränderungen nähren die Befürchtung, es könne zu einem Nachfrageüberhang nach Bauland und damit zu einer weiteren Ausdehnung der Bauzonen, zum Zusammenwachsen von Dörfern und Städten und damit zur Beeinträchtigung von noch weitgehend unversehrten Landschaften führen.

6 7 8 9

SR 814.01 Vgl. Anhang zur Verordnung vom 19. Oktober 1988 über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPV); SR 814.011 SR 211.412.41 Vgl. Pressemitteilung vom 12. Januar 2005; http://www.news.admin.ch/message/index.html?lang=de&msg-id=789

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3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Die vorliegende Volksinitiative will den Neubau und die Erweiterung von umweltund landschaftsbelastenden Anlagen stark beschränken. Solche Anlagen sollen ­ wenn überhaupt ­ nur noch zu ganz spezifischen Zwecken möglich sein. Die Initiative zielt auch darauf ab, dem Bund zu mehr Durchsetzungskraft in wichtigen raumplanerischen Fragen zu verhelfen.

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Damit eine umwelt- und landschaftsbelastende Anlage erstellt werden kann, muss ein bildungspolitisches, ein gesundheitspolitisches, ein naturschützerisches oder aber ein landschaftsschützerisches Bedürfnis bestehen. Dieses Bedürfnis muss gesamtschweizerisch ausgewiesen und dringend sein. Ausserdem muss die Nachhaltigkeit der Anlage sichergestellt sein. Schliesslich sollen die Standorte und die Ausmasse solcher Anlagen mit allgemeinverbindlichen Plänen gesetzlich festgelegt werden.

3.3

Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

Der neue Absatz 4 von Artikel 75 BV soll die Bewilligungsvoraussetzungen für das Erstellen und das Erweitern von umwelt- und landschaftsbelastenden Anlagen regeln. Unter umweltbelastenden Anlagen sind ortsfeste Anlagen zu verstehen, die Einwirkungen im Sinne des Bundesgesetzes über den Umweltschutz zur Folge haben oder haben können. Aus dem Wortlaut der Initiative geht hervor, dass die Aufzählung der umwelt- und landschaftsbelastenden Anlagen nicht abschliessend ist. Dazu gehören daher wohl auch Verkehrswege wie Strassen und Eisenbahnen, Anlagen zur Erzeugung, Lagerung und Übertragung von Energie und militärische Anlagen. Unter die landschaftsbelastenden Anlagen dürften in erster Linie solche Anlagen fallen, die unverbauten Boden beanspruchen.

Aus der beispielhaften Aufzählung von Anlagen im Initiativtext und aus dem Kontext, in welchem die Initiative steht, kann geschlossen werden, dass nur solche Anlagen von der Initiative betroffen sein sollen, die ein gewisses Mass an Umweltoder Landschaftsbelastung überschreiten. Es würde wohl im Falle einer Annahme der Initiative dem Bundesgesetzgeber obliegen, die Abgrenzung vorzunehmen zu Anlagen, die der neuen Bestimmung nicht unterstehen.

Von diesen umwelt- und landschaftsbelastenden Anlagen können nach dem Willen der Initianten nur noch solche bewilligt werden, welche aus bildungs- oder gesundheitspolitischer, aus natur- oder landschaftsschützerischer Sicht einem Bedürfnis entsprechen. Damit ist das Erstellen von umwelt- oder landschaftsbelastenden Anlagen ausgeschlossen, die beispielsweise bloss einem wirtschaftlichen, versorgungspolitischen, militärischen oder auch touristischen Bedürfnis entsprechen.

Der Kreis der bewilligungsfähigen Anlagen wird weiter eingeschränkt durch die Voraussetzung, dass das Bedürfnis gesamtschweizerisch bestehen und ausserdem dringend sein muss. Damit fallen all jene Anlagen ausser Betracht, welche bloss

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einem kantonal, regional oder lokal dringenden Bedürfnis entspringen, sowie all jene, für die ein Aufschub möglich erscheint.

Schliesslich verlangt die Initiative, dass «die Nachhaltigkeit sichergestellt ist». Nach Artikel 2 Absatz 2 BV fördert die Schweizerische Eidgenossenschaft unter anderem die nachhaltige Entwicklung. Der Begriff der nachhaltigen Entwicklung, wie er in dieser Verfassungsbestimmung verwendet wird, nimmt nicht bloss Bezug auf den Umweltschutz. Vielmehr gilt er als allgemeines staatliches Handlungsprinzip insbesondere auch für die Wirtschafts- und Finanzpolitik10. Die im Initiativtext angesprochene Nachhaltigkeit ist dagegen nur ökologisch ausgerichtet. Eine nachhaltige Entwicklung, die auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte umfasst, will und kann die Initiative nicht anstreben. Sie interpretiert das verfassungsmässige Gebot der Förderung der nachhaltigen Entwicklung sehr einseitig. Nicht minder problematisch ist die Formulierung im Initiativtext, wonach die nachhaltige Entwicklung «sichergestellt» sein muss. Nach heute herrschender Auffassung kann Nachhaltigkeit nicht wie eine Bedingung erfüllt, sondern lediglich angestrebt werden. Ziel ist dabei insbesondere, ein langfristiges Gleichgewicht zwischen Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft zu erreichen.

Der Wortlaut des Initiativtextes gibt nicht darüber Auskunft, ob die Standorte und die Ausmasse umwelt- und landschaftsbelastender Anlagen durch ein Bundesgesetz oder kantonale Gesetze festgelegt werden sollen. Aus dem Kontext wird jedoch klar, dass der Bundesgesetzgeber angesprochen ist. Dies lässt sich daraus schliessen, dass der Initiativtext nur Anlagen zulassen will, für die ein gesamtschweizerisch dringendes Bedürfnis besteht. Wann ein solches Bedürfnis besteht, sollte sinnvollerweise durch den Bund und nicht durch jeden einzelnen Kanton entschieden werden. Eindeutig Klarheit verschafft aber die Übergangsbestimmung der Initiative: Wenn die entsprechende Gesetzgebung nicht innerhalb zweier Jahre nach Annahme des neuen Verfassungsartikels in Kraft tritt, so hat der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen und Pläne zu verordnen. Damit kann nur gemeint sein, dass der Bundesrat an Stelle des Bundesgesetzgebers vorläufig handeln soll. Undenkbar ist, dass der Bundesrat an Stelle einzelner säumiger Kantone deren
Gesetze und Pläne erlassen sollte. Im Übrigen haben die Initianten wiederholt betont, mit der Initiative sollen die Planungskompetenzen des Bundes gestärkt werden.

Bei der Festlegung der Standorte und Ausmasse der Anlagen geht es nicht nur um eine behördenverbindliche Richtplanung, sondern um die allgemeinverbindliche, das heisst grundeigentümerverbindliche, Festlegung entsprechender Nutzungszonen.

Planungsbehörde wäre dabei der Bundesgesetzgeber. Wie bei der heutigen Nutzungsplanung durch die Kantone oder Gemeinden müsste eine solche eidgenössische Nutzungsplanung, um die Anliegen der Volksinitiative zu erfüllen, parzellenscharf sein. Diese Planung wird gemäss Initiativtext auf Gesetzesstufe gehoben.

Durch die Übergangsbestimmung soll der Gesetzgeber zu sofortiger Legiferierung beziehungsweise Planung gezwungen werden. Dies ergibt sich aus der Forderung, dass der Bundesrat auf dem Verordnungsweg eine vorläufige Regelung bereits dann treffen soll, wenn innerhalb von zwei Jahren nach Annahme der Initiative noch keine entsprechende Gesetzgebung in Kraft getreten ist.

10

Vgl. Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 29. Juni 2000, VPB/JAAC 2001 I, S. 37.

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4

Würdigung der Initiative

4.1

Anliegen der Initiative

Die Initiative will mit einer radikalen Einschränkung bei der Bewilligung von umwelt- und landschaftsbelastenden Anlagen und durch eine Übertragung der Kompetenz zur diesbezüglichen Nutzungsplanung an den Bund Landschaft und Umwelt namentlich vor einer vollständigen Überbauung und Zerstörung bewahren.

Im Raumentwicklungsbericht 200511 weist das Bundesamt für Raumentwicklung aus, dass die Siedlungsfläche in den vergangenen zwanzig Jahren um 32 700 Hektaren zugenommen hat, was annähernd einem Quadratmeter pro Sekunde entspricht.

Allerdings ist ein grosser Teil des Siedlungswachstums nicht auf die von der Initiative angesprochenen Anlagen, sondern auf die Wohnnutzung zurückzuführen. Allein 32 Prozent des Wachstums der Siedlungsfläche während der letzten zwanzig Jahre wurden durch Einfamilienhäuser verursacht. Die grosse Zunahme der Siedlungsfläche auf Kosten des Landwirtschaftslandes ist insbesondere deshalb problematisch, weil die Nutzungsreserven in den bestehenden Bauzonen nach wie vor sehr gross sind12. Die Initiative bezieht sich aber nicht auf die Wohnnutzung und sie unterscheidet ausserdem nicht zwischen dem Erstellen und Erweitern von Anlagen in bereits eingezonten Gebieten einerseits und den dafür nötigen Neueinzonungen anderseits. Sie lässt schliesslich verdichtetes Bauen, verstanden als Erweiterung bestehender Anlagen, beispielsweise in einer Industriezone, nur zu, wenn die restriktiven Bedingungen für eine Bewilligung erfüllt sind.

Die Bedürfnisklausel der Initiative ist sehr einseitig formuliert: Nur Bedürfnisse bildungs- oder gesundheitspolitischer sowie natur- oder landschaftsschützerischer Art können noch zu einer Bewilligung der genannten Anlagen führen. Andere Bedürfnisse, beispielsweise sicherheits-, sozial- oder wirtschaftspolitischer Art, bleiben unberücksichtigt. Die Initiative entfernt sich damit von einer Raumplanung, welche die legitimen Bedürfnisse der Einwohnerinnen und Einwohner, der Unternehmungen und der Organisationen ernst nimmt und ein umwelt-, sozial-, kulturellund wirtschaftsverträgliches Miteinander und Nebeneinander zu ermöglichen hilft.

Im Übrigen ist unklar, für welche umwelt- und landschaftsbelastenden Anlagen überhaupt ein (dringendes) natur- oder landschaftsschützerisches Bedürfnis bestehen könnte.

Die Initiative greift radikal und zudem punktuell in die
föderalistisch organisierte Raumplanung ein. Von der gesamten Nutzungsplanung, welche heute den Kantonen, mehrheitlich sogar den Gemeinden, obliegt, soll ein Teil, nämlich die Nutzungsplanung für grössere Anlagen, nun dem Bund übertragen werden. Zwar ist dem Bundesgesetzgeber schon heute die Nutzungsregelung für die Gebiete ausserhalb der Bauzonen übertragen, diese Kompetenz gründet aber in der grundsätzlichen Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet. Zudem erfolgt die Regelung durch den Bund in diesem Bereich mittels Bundesgesetz und Bundesverordnung in generellabstrakter Weise und nicht, wie dies die Initiative vorsieht, mittels Nutzungsplanung und damit parzellenscharf.

11 12

Bundesamt für Raumentwicklung, Raumentwicklungsbericht 2005, S. 31.

Bundesamt für Raumentwicklung, Raumentwicklungsbericht 2005, S. 33.

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4.2

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

4.2.1

Die Beschränkung auf bildungs- oder gesundheitspolitische sowie natur- oder landschaftsschützerische Bedürfnisse

Da die Initiative das Erstellen und das Erweitern von umwelt- und landschaftsbelastenden Anlagen nur dann zulassen will, wenn dafür ein bildungs-, ein gesundheitspolitisches, ein natur- oder landschaftsschützerisches Bedürfnis besteht, würde ihre Annahme eine Vielzahl von Bauten und Anlagen verunmöglichen. Verboten wäre es beispielsweise, folgende Bauten und Anlagen zu erstellen und zu erweitern: ­

Anlagen, die touristische Bedürfnisse befriedigen, wie etwa Seil- und Sesselbahnen sowie Skilifte;

­

Anlagen, die wirtschaftlichen Zwecken dienen, wie etwa Industrie- und Gewerbeanlagen, Einkaufszentren sowie Kiesabbau- und Steinbruchanlagen;

­

Anlagen, die der Energiegewinnung und -versorgung dienen, wie etwa Solar-, Wind- oder Wasserkraftwerke sowie neue Hochspannungs- oder Gasleitungen;

­

militärische Bauten;

­

Sportanlagen wie Sportplätze, Stadien, Pisten;

­

Eisenbahnstrecken und Strassen.

4.2.2

Die Beschränkung auf gesamtschweizerisch dringende Bedürfnisse

Durch die weitere Einschränkung, dass für solche Anlagen ein gesamtschweizerisch dringendes Bedürfnis bestehen muss, wird der Kreis zulässiger Anlagen noch einmal drastisch verkleinert. So entsprechen Anlagen, welche bei grosszügiger Auslegung noch als «gesundheitspolitisch» oder «naturschützerisch» gelten können, oft nur lokalen oder regionalen Bedürfnissen und könnten deshalb nicht mehr erstellt oder erweitert werden. Dazu gehören beispielsweise regionale Abwasserreinigungsanlagen und regionale Spitäler.

Selbst Anlagen wie grössere Lawinenverbauungen, die sich landschaftsbelastend auswirken, dürften in der Regel nicht einem gesamtschweizerisch dringenden Bedürfnis entsprechen.

4.2.3

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf der Ebene von Bund und Kantonen

Bei Annahme der Initiative ist der Bund was das Personelle und damit auch was die Finanzen angeht insbesondere deshalb betroffen, weil er innert kürzester Zeit ­ die Initiative spricht von zwei Jahren ­ für die gesamte Schweiz eine Nutzungsplanung für umwelt- und landschaftsbelastende Anlagen vornehmen müsste. Entsprechende Erfahrungen für eine ähnlich umfangreiche Bundesplanung fehlen. Selbst wenn eine Vielzahl geeigneter Personen neu eingestellt würde, wäre das zeitlich gesteckte Ziel wohl kaum zu erreichen. Zudem müssten auch die Kantone personelle Mittel für das 8781

Projekt zur Verfügung stellen, wäre eine solche Nutzungsplanung doch nur in enger Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen möglich. Eine einigermassen zuverlässige Einschätzung der Kosten, die bei der Umsetzung der Initiative anfallen würden, ist im gegebenen Zeitpunkt nicht möglich.

4.2.4

Auswirkungen auf das Verhältnis zum internationalen Recht und zur EU

Der in der Initiative formulierte Auftrag an den Bundesgesetzgeber, die bewilligungsfähigen umwelt- oder landschaftsbelastenden Anlagen in allgemeinverbindlichen Plänen festzulegen, ist insbesondere im Hinblick auf den Rechtsschutz problematisch. Gegen Nutzungspläne muss in den Kantonen nach Artikel 33 Absatz 2 RPG mindestens ein Rechtsmittel zur Verfügung stehen. Diese Bestimmung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach bau- oder planungsrechtliche Massnahmen mit direkten Auswirkungen auf die Ausübung der Eigentumsrechte der Grundeigentümer unter Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention13 fallen. Gegen Erlasse des Bundesgesetzgebers steht jedoch kein Rechtsmittel offen. Die Initiative verstösst somit gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Da diese Bestimmung nicht zum zwingenden Völkerrecht gehört, ist die Initiative deswegen nicht als ungültig zu erklären. Sie ist jedoch völkerrechtswidrig.

Das Verhältnis zur EU wäre durch die Annahme der Initiative rechtlich nicht direkt betroffen. Die EU könnte insofern von der Annahme der Initiative profitieren, als viele expansionswillige Firmen ihren Sitz vermutlich von der Schweiz ins Ausland verlegen würden, da es für sie in der Schweiz keine Wachstumsperspektiven mehr gäbe.

4.3

Vorzüge und Mängel der Initiative

4.3.1

Vorzüge

Die Initiative will auf Mängel in der Raumentwicklung der letzten Jahrzehnte hinweisen. Namentlich verlangt sie, dass die Nachhaltigkeit stärker als bis anhin gewichtet werden sollte. Als positiv kann allenfalls auch bewertet werden, dass die Initiative die Frage zu bedenken gibt, ob mit der herkömmlichen Rollenverteilung bei der Raumplanung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden die anstehenden Probleme noch optimal gelöst werden können oder ob dem Bund nicht zumindest in gewissen Bereichen eine erweiterte Kompetenz zukommen sollte.

13

SR 0.101

8782

4.3.2

Mängel

Die in der Initiative formulierten Bewilligungsbeschränkungen für umwelt- und landschaftsbelastende Anlagen sind einseitig rigoros und lassen keine umfassende Interessenabwägung mehr zu. Sie würden in der Schweiz in weiten Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens zum Erliegen von Entwicklung und Innovation führen. Zwar würde wohl tatsächlich die räumliche Ausbreitung von Anlagen zugunsten intakter Landschaften gestoppt. Doch auch die bauzoneninterne Erneuerung von Bauten und Anlagen im Sinne einer Erweiterung käme zum Erliegen. Der Wirtschaftsstandort Schweiz wäre innert kurzer Zeit nicht mehr wettbewerbsfähig.

Investitionen würden anderswo im Ausland getätigt. Gleiches würde auch für die Entwicklung des Tourismus und des Sportes in der Schweiz gelten.

Dass die Annahme der Initiative zu erheblichen Problemen führen würde, zeigt auch der Umstand, dass die Initiative mehreren verfassungsmässigen Grundsätzen zuwiderläuft:

5

­

Wie bereits ausgeführt, wird der durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantierte Rechtsschutz beschnitten. Dies steht im Widerspruch zu Artikel 5 Absatz 4 BV, wonach Bund und Kantone das Völkerrecht zu beachten haben.

­

Die Initiative verstösst in ihrem einseitigen Verständnis der nachhaltigen Entwicklung gegen Artikel 2 BV.

­

In Widerspruch zu Artikel 5 Absatz 2 BV wäre das staatliche Eingreifen in die Raumplanung kaum mehr verhältnismässig.

­

Die Initiative steht im Widerspruch zu Artikel 29a BV, welcher den Rechtsweg beziehungsweise die richterliche Überprüfung garantiert.

­

Tangiert wäre auch der in Artikel 94 BV festgelegte Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit. Die Interessen der schweizerischen Gesamtwirtschaft würden nicht gewahrt und die wirtschaftliche Sicherheit der Bevölkerung wäre gefährdet. Von günstigen Rahmenbedingungen für die private Wirtschaft im Sinne von Absatz 4 dieser Verfassungsbestimmung könnte keine Rede mehr sein.

Schlussfolgerung

Die Volksinitiative ist unausgewogen und nimmt keine Rücksicht auf wirtschaftliche, sicherheitspolitische, soziale und kulturelle Interessen. Die Folgen bei Annahme der Initiative wären für die schweizerische Wirtschaft gravierend. Die Initiative greift zudem massiv in die föderalistische Organisation der Raumplanung ein, verletzt Völkerrecht und steht im Widerspruch zu verschiedenen Verfassungsbestimmungen.

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die durch die Initiative angestrebten Ziele mit den vorgeschlagenen Massnahmen nicht erreicht werden können. Im Rahmen der anstehenden Revision des Raumplanungsgesetzes sollten im Interesse einer haushälterischen Bodennutzung die Zersiedelung eingedämmt und die Ansprüche an den Raum besser aufeinander abgestimmt werden. Weiter sollen unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips die Aufgaben des Bundes geklärt und Verbesserungen im 8783

Bereich der Bundesplanungen und der kantonalen Richtplanungen vorgeschlagen werden14.

Die Volksinitiative «gegen masslosen Bau umwelt- und landschaftsbelastender Anlagen» ist aus all diesen Gründen abzulehnen.

14

Botschaft vom 23. Januar 2008 über die Legislaturplanung 2007­2011; BBl 2008 803.

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