07.095 Botschaft betreffend die Ratifikation eines Übereinkommens und der Änderung eines Übereinkommens sowie Beitritt zu zwei Änderungsprotokollen der UNO zur Bekämpfung terroristischer Handlungen gegen die nukleare und maritime Sicherheit vom 7. Dezember 2007

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft den Antrag auf Genehmigung des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen, der Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial, des Protokolls von 2005 zum Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt und des Protokolls von 2005 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

7. Dezember 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2007-1862

1153

Übersicht Die vier Abkommen, die Gegenstand der vorliegenden Botschaft sind, befassen sich mit der Verhinderung und Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen sowie mit der Verbesserung des Schutzes von Kernmaterial und Kernanlagen, der Seeschifffahrt und fester Plattformen vor terroristischen Angriffen. Sie ermöglichen in erster Linie eine verbesserte internationale Zusammenarbeit in diesen Bereichen.

Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist keine Erscheinung des neuen Jahrtausends. Bereits vor den Attentaten vom 11. September 2001 war sich die internationale Gemeinschaft der Notwendigkeit bewusst, den Terrorismus zu bekämpfen. Hingegen zielen die Terroristen von heute absichtlich und mehrheitlich auf Zivilpersonen und zivile Infrastruktur und haben Zugang zu modernen Technologien mit noch nie da gewesenem Zerstörungspotenzial. Diese neuen Bedrohungsformen machen eine Anpassung des internationalen rechtlichen Rahmens erforderlich.

Die vorliegende Botschaft äussert sich zur Ratifikation eines neuen und eines geänderten völkerrechtlichen Übereinkommens sowie zum Beitritt zu zwei Änderungsprotokollen, die alle aus dem Jahre 2005 stammen. Inhaltlich befassen sich diese vier völkerrechtlichen Instrumente mit der Verhinderung und Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen sowie mit der Verbesserung des Schutzes von Kernmaterial und Kernanlagen sowie der Seeschifffahrt und fester Plattformen vor terroristischen Angriffen. Sie dienen in erster Linie der Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit und verlangen von den Vertragsstaaten effektive Gesetze zur Verhinderung und Verfolgung von Terrorangriffen gegen die nukleare und maritime Sicherheit. Alle vier Übereinkünfte sind Teil des internationalen völkerrechtlichen Kanons der UNO und ihrer Sonderorganisationen zur Bekämpfung des Terrorismus.

Obwohl die Schweiz bis heute vom internationalen Terrorismus weitgehend verschont geblieben ist, betrachtet sie dessen Bekämpfung seit Langem als eines ihrer wichtigsten Anliegen. Sie setzt alle verfügbaren Mittel ein, um die finanzielle oder logistische Unterstützung terroristischer Gruppen von der Schweiz aus zu verhindern. Nicht zuletzt auch ihrer eigenen territorialen Sicherheit wegen sowie der Sicherheit von Schweizerinnen und Schweizern, die im Ausland beispielsweise als Touristen
unterwegs oder beruflich tätig sind, arbeitet sie eng mit anderen Staaten und internationalen Organisationen zusammen.

Die Ratifikation der vier völkerrechtlichen Verträge dieser Vorlage bzw. der Beitritt zu ihnen untersteht dem fakultativen Referendum. Sie machen indes keine Anpassung an das Landesrecht erforderlich, da die Schweiz deren Bestimmungen bereits im innerstaatlichen Recht verankert hat. Angesichts der politischen Tragweite von internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus hatte der Bundesrat beschlossen, ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen. Die Ratifikation

1154

eines neuen und eines geänderten völkerrechtlichen Übereinkommens sowie der Beitritt zu zwei Änderungsprotokollen sind von den Vernehmlassungsteilnehmern einstimmig begrüsst worden.

Die Form der Sammelbotschaft wurde aus verwaltungsökonomischen Gründen gewählt. Sie rechtfertigt sich angesichts des sachlichen Zusammenhangs zwischen den einzelnen Abkommen und ihrer jeweiligen Form als völkerrechtlicher Vertrag.

Dies erlaubt der Bundesversammlung und ihren Kommissionen eine kohärente politische Würdigung und Diskussion.

1155

Inhaltsverzeichnis Übersicht

1154

Abkürzungsverzeichnis

1160

1 Einleitung 1.1 Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die terroristische Bedrohung im neuen Jahrtausend 1.2 Die Massnahmen der UNO zur Bekämpfung des Terrorismus 1.3 Die 16 Übereinkommen und Protokolle der UNO gegen den Terrorismus 1.4 Die Schweiz und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus 1.5 Die Schweiz und die Ratifikation der vier Abkommen 1.5.1 Die Haltung der Bundesbehörden 1.5.2 Vereinbarkeit mit der schweizerischen Rechtsordnung 1.5.3 Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens 1.5.4 Zusammenfassung der vier Abkommen in einer Sammelbotschaft

1161

2 Internationales Übereinkommen vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen 2.1 Grundzüge des Übereinkommens 2.1.1 Ausgangslage 2.1.2 Verlauf der Verhandlungen 2.1.3 Verhandlungsergebnis 2.1.4 Überblick über den Inhalt des Übereinkommens 2.1.5 Würdigung 2.2 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Übereinkommens 2.2.1 Art. 1 (Definitionen) 2.2.2 Art. 2 (Straftatbestand) 2.2.3 Art. 3 und 9 (Geltungsbereich und Gerichtsbarkeit) 2.2.4 Art. 4 (Vorbehalt des Völkerrechts und Ausschluss der Streitkräfte) 2.2.5 Art. 7 (Informationsaustausch) 2.2.6 Art. 8 (Prävention) 2.2.7 Art. 10 (Untersuchungspflichten und konsularischer Schutz) 2.2.8 Art. 11 (Aut dedere, aut iudicare) 2.2.9 Art. 12 (Menschenrechtliche Garantien) 2.2.10 Art. 13 (Auslieferung) 2.2.11 Art. 14 (Rechtshilfe) 2.2.12 Art. 15 und 16 («Entpolitisierungs»- und NichtdiskriminierungsKlauseln) 2.2.13 Art. 17 (Zeitweise Überstellung inhaftierter Personen) 2.2.14 Art. 18 (Beschlagnahme und Verwendung von eingezogenem Nuklearmaterial) 2.2.15 Art. 19 (Mitteilung an den UNO-Generalsekretär) 2.2.16 Art. 20­22 (Durchführung des Übereinkommens) 2.2.17 Art. 23 (Streitbeilegung) 2.2.18 Art. 24­28 (Schlussklauseln) 1156

1161 1161 1162 1163 1164 1164 1165 1165 1167 1167 1167 1167 1168 1169 1169 1170 1171 1171 1171 1173 1173 1174 1175 1175 1176 1177 1177 1178 1178 1180 1180 1181 1181 1181 1182

3 Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial vom 8. Juli 2005 3.1 Grundzüge des geänderten Übereinkommens 3.1.1 Ausgangslage 3.1.1.1 Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial von 1979 3.1.1.2 Entwicklungen seit 1979 3.1.2 Verlauf der Verhandlungen zur Änderung des Übereinkommens 3.1.3 Verhandlungsergebnis 3.1.4 Überblick über den Inhalt des geänderten Übereinkommens vom 8. Juli 2005 3.1.5 Würdigung 3.2 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln der Änderung des Übereinkommens vom 8. Juli 2005 3.2.1 Titel 3.2.2 Art. 1 (Definition) 3.2.3 Art. 1A (Zweckartikel) 3.2.4 Art. 2 Abs. 1 und 5 sowie Art. 13A (Geltungsbereich) 3.2.5 Art. 2 Abs. 2 (Verantwortlichkeit für ein physisches Schutzregime) 3.2.6 Art. 2 Abs. 3 und 4 (Vorbehalt des Völkerrechts und Ausschluss der Streitkräfte) 3.2.7 Art. 2A (Physisches Schutzregime) 3.2.8 Art. 5 und 6 (Informationsaustausch und internationale Zusammenarbeit) 3.2.9 Art. 7 Abs. 1 (Straftatbestand) 3.2.10 Art. 11A und 11B («Entpolitisierungs»- und Nichtdiskriminierungs-Klauseln) 3.2.11 Art. 16 (Überprüfungskonferenz) 3.2.12 Anhang II 4 Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt 4.1 Grundzüge des Änderungsprotokolls 4.1.1 Ausgangslage 4.1.1.1 Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt 4.1.1.2 Entwicklungen seit 1988 4.1.2 Verlauf der Verhandlungen zur Änderung des SUA-Übereinkommens 4.1.3 Verhandlungsergebnis 4.1.4 Überblick über den Inhalt des Änderungsprotokolls vom 14. Oktober 2005 4.1.5 Würdigung 4.2 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des geänderten SUA-Übereinkommens vom 14. Oktober 2005 4.2.1 Art. 1 (Definition)

1183 1183 1183 1183 1184 1185 1186 1186 1187 1187 1187 1187 1188 1188 1188 1188 1189 1190 1191 1192 1192 1192 1193 1193 1193 1193 1193 1194 1195 1195 1196 1197 1197 1157

4.2.2 Art. 2bis (Vorbehalt des Völkerrechts und Ausschluss der Streitkräfte) 4.2.3 Art. 3 Abs. 1 Bst. f und 2, Art. 3bis, 3ter und 3quater (Straftatbestände) 4.2.4 Art. 5bis (Verantwortlichkeit juristischer Personen) 4.2.5 Art. 6 Abs. 4 (Aut dedere, aut iudicare) 4.2.6 Art. 8bis (Informationsaustausch, Zusammenarbeit, Anhalten und Untersuchen eines Schiffes) 4.2.7 Art. 10 Abs. 2 (Menschenrechtliche Garantien) 4.2.8 Art. 11 (Auslieferung) 4.2.9 Art. 11bis und 11ter («Entpolitisierungs»- und Nichtdiskriminierungs-Klauseln) 4.2.10 Art. 12 Abs. 1 (Rechtshilfe) 4.2.11 Art. 12bis (Zeitweise Überstellung inhaftierter Personen) 4.2.12 Art. 13 und 14 (Verhütung von Straftaten) 4.2.13 Art. 17­24 (Schlussklauseln) 5 Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden 5.1 Grundzüge des Änderungsprotokolls 5.1.1 Ausgangslage 5.1.1.1 Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden 5.1.1.2 Entwicklungen seit 1988 5.1.2 Verlauf der Verhandlungen zur Änderung des Protokolls 5.1.3 Verhandlungsergebnis 5.1.4 Überblick über den Inhalt des Änderungsprotokolls 5.1.5 Würdigung 5.2 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Protokolls vom 14. Oktober 2005 5.2.1 Art. 1 Abs. 1 (Verweis) 5.2.2 Art. 2 Abs. 1 Bst. d und 2, Art. 2bis und 2ter (Straftatbestände) 5.2.3 Art. 3 Abs. 4 (Aut dedere, aut iudicare) 5.2.4 Art. 6­13 (Schlussklauseln)

1197 1198 1199 1199 1200 1201 1201 1201 1202 1202 1202 1203

1204 1204 1204 1204 1204 1205 1205 1205 1206 1206 1206 1207 1207 1207

6 Auswirkungen 6.1 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund 6.2 Volkswirtschaftliche Auswirkungen 6.3 Auswirkungen auf die Kantone

1208 1208 1208 1208

7 Verhältnis zur Legislaturplanung

1209

8 Rechtliche Aspekte 8.1 Verfassungsmässigkeit 8.2 Verhältnis zum europäischen Recht 8.2.1 Europäische Union 8.2.2 Europarat

1209 1209 1211 1211 1211

1158

Bundesbeschluss über die Genehmigung des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen (Entwurf)

1213

Bundesbeschluss über die Genehmigung der Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial (Entwurf)

1215

Bundesbeschluss über das Protokoll von 2005 zum Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt (Entwurf)

1217

Bundesbeschluss über das Protokoll von 2005 zum Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden (Entwurf)

1219

Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen 1221 Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial

1237

Protokoll von 2005 zum Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt

1249

Protokoll von 2005 zum Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden

1271

1159

Abkürzungsverzeichnis BBl BGE BV EMRK EU IAEO IMO IPU IRSG KEG KEV KMG OSZE SEV SR SSG StGB StSG SUA UNO VlG

1160

Bundesblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesverfassung (SR 101) Europäische Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (SR 0.101) Europäische Union Internationale Atomenergie-Organisation Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (International Maritime Organization) Interparlamentarische Union Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (SR 351.1) Kernenergiegesetz vom 21. März 2003 (SR 732.1) Kernenergieverordnung vom 10. Dezember 2004 (SR 732.11) Kriegsmaterialgesetz vom 13. Dezember 1996 (SR 514.51) Organisation über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Sammlung der Europäischen Verträge (des Europarates) Systematische Sammlung des Bundesrechts (inkl. Staatsvertragsrecht) Seeschifffahrtsgesetz vom 23. September 1953 (SR 747.30) Schweizerisches Strafgesetzbuch (SR 311.0) Strahlenschutzgesetz vom 22. März 1991 (SR 814.50) Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Maritime Navigation (Convention for the) Organisation der Vereinten Nationen Vernehmlassungsgesetz vom 18. März 2005 (SR 172.061)

Botschaft 1

Einleitung

1.1

Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die terroristische Bedrohung im neuen Jahrtausend

In den letzten Jahrzehnten hat sich der Terrorismus von einem politisch-ideologischen Aktionismus hin zu einem religiös motivierten Fundamentalismus gewandelt, in dessen häufig diffusen Konzepten das Leben des Einzelnen, auch das der Terroristen, keine Bedeutung mehr besitzt. Die Terroristen von heute zielen absichtlich und mehrheitlich auf Zivilpersonen und zivile Infrastruktur (sog. «soft-targets») und haben Zugang zu modernen Technologien mit noch nie da gewesenem Zerstörungspotential. Nachvollziehbare politische Anliegen treten angesichts der grossen Opferzahlen in den Hintergrund. Zudem agieren die Terroristen nicht mehr nur in ihrem Heimatstaat, sondern sind auch über Landesgrenzen hinweg einsatzfähig.

Bereits vor den Attentaten vom 11. September 2001 in den USA war sich die internationale Gemeinschaft der Notwendigkeit bewusst, den Terrorismus zu bekämpfen.

Die verstärkte Zunahme und die Wandlung der terroristischen Bedrohung haben seit Beginn des neuen Jahrtausends indes zu einer weiteren Sensibilisierung geführt: Die Staaten haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, ihre Bevölkerung vor Terroranschlägen zu schützen. Die Vertiefung der internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus ist fester Bestandteil der bi- und multilateralen Beziehungen geworden.

Verschiedene internationale, zwischenstaatliche und nichtstaatliche Gremien setzen sich ebenfalls mit noch mehr Entschlossenheit gegen den Terrorismus und dessen Finanzierung ein. Die UNO, die G8 und die G20, der Europarat, die OSZE und die EU, die IPU, aber auch private Organisationen wie z.B. die «Wolfsberg-Gruppe» im internationalen Finanzsektor tragen dazu bei, den Spielraum der Terroristen und ihrer Sympathisanten zu verringern.

1.2

Die Massnahmen der UNO zur Bekämpfung des Terrorismus

Aufgrund ihrer internationalen Bestimmung und ihrer Ideale von Frieden, Freiheit und Toleranz stellt die UNO den angemessenen Rahmen dar, um der Bekämpfung des Terrorismus eine weltweite Legitimität zu geben. Seit 1963 haben die UNOGeneralversammlung bzw. die UNO-Sonderorganisationen insgesamt 16 Übereinkommen und Protokolle zur Bekämpfung spezifischer Erscheinungsformen des Terrorismus verabschiedet. Hierzu gehören auch die im Jahre 2005 verabschiedeten vier völkerrechtlichen Übereinkünfte der UNO zur Bekämpfung terroristischer Handlungen gegen die nukleare und maritime Sicherheit, für welche die Ratifikation bzw. der Beitritt mit dieser Botschaft beantragt wird. In Ergänzung dieses seit den 1960er-Jahren verfolgten sogenannten «sektoriellen» Ansatzes bei der Bekämpfung des Terrorismus wird im Rahmen der UNO-Generalversammlung seit einigen Jahren über ein umfassendes Übereinkommen gegen den internationalen Terrorismus verhandelt, das eine allgemein akzeptierte Definition des Terrorismus enthalten soll.

1161

Gestützt auf Empfehlungen des UNO-Generalsekretärs konnte die UNO-Generalversammlung am 8. September 2006 bereits eine Globale Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus verabschieden, welche konkrete Bereiche identifiziert, die im Interesse einer effektiven Terrorismusbekämpfung von allen Staaten und internationalen Organisationen gemeinsam an die Hand zu nehmen sind. Als eine der wichtigsten Massnahmen zur Umsetzung der Strategie wird die Ratifizierung und Umsetzung der 16 Übereinkommen und Protokolle gegen den Terrorismus genannt.

Bereits nach den Anschlägen gegen die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam im Jahre 1998, insbesondere aber nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA hat sich auch der UNO-Sicherheitsrat in verstärktem Masse mit der Terrorismusbekämpfung befasst. Durch die Annahme der Resolutionen 1267 (1999) und 1373 (2001), welche die Basis für die Einsetzung von Sanktions- und Anti-Terrorausschüssen (Al-Qaïda- und Taliban-Sanktionskomitee sowie Komitee gegen den Terrorismus) bildeten, hat er ebenfalls ein politisches und rechtliches Instrumentarium geschaffen, das die Mitgliedstaaten auf der Basis von Kapitel VII der UNOCharta verpflichtet, sich aktiv an der Bekämpfung des Terrorismus zu beteiligen.

Mit Resolution 1540 (2004) hat er weiter eine Resolution verabschiedet, mit der Terroristen an der Beschaffung von Massenvernichtungswaffen gehindert werden sollen. Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, alle Versuche nichtstaatlicher Akteure, an atomare, biologische und chemische Waffen, ihre Trägersysteme oder entsprechende Materialien und Technologien zu gelangen oder diese für terroristische Zwecke einzusetzen, zu bekämpfen und hierfür die entsprechenden Gesetzesgrundlagen zu schaffen1. In der Resolution 1624 (2005) hat er die Staaten dringlich aufgerufen, den 16 Übereinkommen und Protokollen gegen den Terrorismus beizutreten und prioritär das Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen zu unterzeichnen.

1.3

Die 16 Übereinkommen und Protokolle der UNO gegen den Terrorismus

Seit 1963 haben die UNO und ihre Sonderorganisationen schrittweise ein normatives Instrumentarium geschaffen, um spezifische Erscheinungsformen des Terrorismus zu bekämpfen. Bis anhin wurden wie bereits erwähnt 16 Übereinkommen und Protokolle verabschiedet, über deren Unterzeichnung und Ratifikation der UNOGeneralsekretär alljährlich einen Bericht veröffentlicht:

1

­

Abkommen vom 14. September 1963 über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (SR 0.748.710.1);

­

Übereinkommen vom 16. Dezember 1970 zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen (SR 0.748.710.2);

­

Übereinkommen vom 23. September 1971 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt (SR 0.748.710.3);

Die Schweiz hat dem Ausschuss, der vom Sicherheitsrat zur Überwachung der Umsetzung der Resolution 1540 geschaffen wurde, bisher zwei Berichte zur Umsetzung in der Schweiz eingereicht. Die Berichte können abgerufen werden unter folgender Internetadresse: http://www.un.org/sc/1540/

1162

­

Übereinkommen vom 14. Dezember 1973 über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen, einschliesslich Diplomaten (SR 0.351.5);

­

Internationales Übereinkommen vom 17. Dezember 1979 gegen Geiselnahme (SR 0.351.4);

­

Übereinkommen vom 26. Oktober 1979 über den physischen Schutz von Kernmaterial (SR 0.732.031);

­

Protokoll vom 24. Februar 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher gewalttätiger Handlungen auf Flughäfen, die der internationalen Zivilluftfahrt dienen (SR 0.748.710.31);

­

Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt (SR 0.747.71);

­

Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden (SR 0.747.711);

­

Übereinkommen vom 1. März 1991 über die Markierung von Plastiksprengstoffen zum Zweck des Aufspürens (SR 0.748.710.4);

­

Übereinkommen vom 15. Dezember 1997 zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge (SR 0.353.21);

­

Übereinkommen vom 9. Dezember 1999 zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (SR 0.353.22);

­

Internationales Übereinkommen vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen;

­

Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial vom 8. Juli 2005;

­

Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt;

­

Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden.

Für die Schweiz sind bisher die zwölf erstgenannten Übereinkommen in Kraft getreten. Das Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen wurde am 14. September 2005 anlässlich des UNO-Millennium+5-Gipfels vom damaligen Bundespräsidenten unterzeichnet.

1.4

Die Schweiz und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus

Obwohl die Schweiz bis heute vom internationalen Terrorismus weitgehend verschont geblieben ist, betrachtet sie dessen Bekämpfung seit Langem als eines ihrer wichtigsten Anliegen. Sie setzt alle verfügbaren Mittel ein, um die finanzielle oder logistische Unterstützung terroristischer Gruppen von ihrem Hoheitsgebiet aus zu verhindern. Nicht zuletzt auch ihrer eigenen territorialen Sicherheit wegen sowie der 1163

Sicherheit von Schweizerinnen und Schweizern, die im Ausland beispielsweise als Touristen (z.B. auf Kreuzfahrtschiffen) unterwegs oder beruflich tätig sind, arbeitet sie eng mit anderen Staaten und internationalen Organisationen zusammen. Rechtsgrundlagen bilden primär internationale Übereinkommen bi- und multilateraler Natur sowie das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG).

Die Schweiz setzt sich international prioritär für multilaterale Lösungen im Rahmen der UNO, des Europarates und der OSZE ein. Seit dem Beitritt zur UNO im Jahre 2002 kann sie in den Kommissionen der Generalversammlung ihre Interessen vollberechtigt wahrnehmen und hat namentlich aktiv an den Verhandlungen für das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen mitgewirkt. Kraft ihrer Mitgliedschaft in der IAEO seit 1957 und der IMO seit 1958 war sie bereits an den Verhandlungen für das Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial, das Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt und das Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, vertreten und wirkte auch bei der Ausarbeitung der Änderungsprotokolle aktiv mit.

1.5

Die Schweiz und die Ratifikation der vier Abkommen

1.5.1

Die Haltung der Bundesbehörden

Die vier völkerrechtlichen Instrumente dieser Vorlage sind Teil des internationalen völkerrechtlichen Kanons der UNO und ihrer Sonderorganisationen- zur Bekämpfung des Terrorismus und sind Ausdruck des multilateralen Engagements der Staatengemeinschaft. Entsprechend der Bedeutung und der Priorität, welche die Schweiz multilateralen Massnahmen gegen den Terrorismus zumisst, hat sie ihren Abschluss in den Verhandlungen aktiv mitgetragen.

Aus schweizerischer Sicht ist der besondere Wert des in der UNO-Generalversammlung erzielten Konsenses über eine Definition des Nuklearterrorismus zu begrüssen. Als repräsentativstes Organ der UNO kommt der Generalversammlung beim Setzen von völkerrechtlichen Massstäben in der Terrorismusbekämpfung im Vergleich zu andern UNO-Organen eine spezielle Legitimation zu. Im Unterschied zu andern UNO-Organen, namentlich dem UNO-Sicherheitsrat, der in den letzten Jahren mit verschiedenen Resolutionen im Bereich des Terrorismus und der Massenvernichtungswaffen (z.B. Resolutionen 1267, 1373 und 1540) mit teilweise legislativem Charakter die Bedeutung der UNO-Generalversammlung zu schmälern drohte, sind die von der Generalversammlung ausgehandelten internationalen Übereinkommen Ausdruck der Souveränität aller UNO-Mitgliedstaaten. Es liegt somit im Interesse der Schweiz, ihre Politik im Bereich der Terrorismusbekämpfung weiterzuverfolgen und Vertragspartei der vier völkerrechtlichen Instrumente der UNO zur Bekämpfung terroristischer Handlungen gegen die nukleare und maritime Sicherheit zu werden, für die mit der vorliegenden Botschaft die Ratifikation bzw. der Beitritt beantragt wird. Diese Entscheidung liegt auch ganz auf der Linie der internationalen Entwicklung für eine vertiefte Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung im internationalen Kampf gegen das organisierte Verbrechen.

1164

1.5.2

Vereinbarkeit mit der schweizerischen Rechtsordnung

Die vier völkerrechtlichen Verträge, für die in dieser Vorlage die Ratifikation bzw.

der Beitritt beantragt wird, sind mit der schweizerischen Gesetzgebung kompatibel und machen keine Anpassungen des innerstaatlichen Rechts erforderlich. Das schweizerische Recht kennt bereits heute verschiedene Strafbestimmungen im Strafgesetzbuch (StGB), im Kernenergiegesetz (KEG), im Strahlenschutzgesetz (StSG), im Kriegsmaterialgesetz (KMG) sowie im Seeschifffahrtsgesetz (SSG), mit denen die im neuen und im geänderten Übereinkommen sowie in den zwei Änderungsprotokollen genannten Straftatbestände auch in der Schweiz strafrechtlich erfasst werden können. Die meisten Bestimmungen im Bereich der internationalen Rechtshilfe finden sich bereits in anderen Übereinkommen gegen den Terrorismus, welche die Schweiz ratifiziert hat. Diese Bestimmungen stehen im Einklang mit der schweizerischen Rechtshilfegesetzgebung.

1.5.3

Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Mit Beschluss vom 2. Mai 2007 beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten, ein Vernehmlassungsverfahren bei den Kantonen, den politischen Parteien, den gesamtschweizerischen Dachverbänden der Gemeinden, Städte und Berggebiete und den gesamtschweizerischen Dachverbänden der Wirtschaft durchzuführen. Die Vernehmlassung dauerte bis zum 15. August 2007. Insgesamt gingen 34 Antworten ein. Im Einzelnen antworteten alle 26 Kantone, 5 politische Parteien (CVP, FDP, SP, SVP, CSP) sowie 3 Verbände (Schweizerischer Gewerkschaftsbund SGB, KV Schweiz, Konferenz der städtischen Polizeidirektorinnen und Polizeidirektoren KSPD) auf das Vernehmlassungsschreiben. Davon teilten 4 Vernehmlassungsadressaten mit, sie verzichteten auf eine Stellungnahme (Kt. SZ, CSP, SGB, Kaufmännischer Verband Schweiz).

Allgemeine Zustimmung zur Vorlage und zur Zielsetzung der vier Abkommen Die Ratifikation eines Übereinkommens und der Änderung eines Übereinkommens sowie der Beitritt zu zwei Änderungsprotokollen der UNO zur Bekämpfung terroristischer Handlungen gegen die nukleare und maritime Sicherheit wurde von allen Vernehmlassungsteilnehmern, die materiell zur Vorlage Stellung nahmen, einhellig begrüsst. Die Notwendigkeit, die verschiedenen Formen des internationalen Terrorismus zu bekämpfen und diesbezüglich die völkerrechtlichen Grundlagen für die internationale Zusammenarbeit zu schaffen, wurde als wichtige Aufgabe der Staatengemeinschaft hervorgehoben. Die unverzügliche Ratifikation dieser Abkommen durch die Schweiz sei ein wichtiges Zeichen der Solidarität gegenüber der Staatengemeinschaft, zumal nicht auszuschliessen sei, dass die Schweiz von terroristischen Gruppierungen als Planungs- oder Finanzierungsbasis missbraucht werden könnte.

Die Kantone und die politischen Parteien unterstützen die Bemühungen und Zielsetzungen des Bundesrates zur Erhöhung der Sicherheit vor terroristischen Anschlägen.

Der Kanton Genf hebt insbesondere die Bedeutung hervor, die dem Schutz der internationalen Institutionen und ihres Personals auf seinem Territorium zukommt.

1165

Keine Anpassung des Landesrechts erforderlich Kantone und politische Parteien teilen die vom Bundesrat vertretene Analyse, dass die von der Vernehmlassung betroffene Ratifikation von vier Abkommen keine Anpassungen des Landesrechts erforderlich macht.

Kaum Auswirkungen auf die Kantone Weiter teilt die grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer die Auffassung des Bundesrates, dass aufgrund dieser Abkommen den schweizerischen Polizeikorps keine ersichtliche Mehrarbeit entsteht, zumal es sich bei fast sämtlichen Strafbestimmungen um Tatbestände handelt, die in der Kompetenz der Strafverfolgungsbehörden des Bundes liegen. Einzig der Kanton Waadt macht geltend, dass die Kantone mit präventiven Polizeiaufgaben zum Schutze der Staatssicherheit betraut sind. Diese Aufgabe werde zwar vom Bund finanziert, es fehlten jedoch die notwendigen Gesetze, die es den Kantonen erlauben würden, diese präventivpolizeilichen Aufgaben wahrzunehmen. In allgemeiner Weise habe der Kanton Waadt bereits anlässlich der Vernehmlassung zum Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit auf diese Situation hingewiesen.

Schutz der Menschenrechte Der Kanton Genf stellt in seiner Stellungnahme mit Befriedigung fest, dass die Abkommen auch gegenüber Personen, die terroristischer Handlungen verdächtigt werden, die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards vorschreiben.

Diese Menschenrechtsgarantien werden auch vom Kanton Solothurn und von der SP begrüsst.

Keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund, keine Beschneidung der Volksrechte Die SVP unterstützt ebenfalls die Ratifikation der vier Abkommen, insofern die Vorlage effektiv weder finanzielle noch personelle Auswirkungen auf den Bund haben wird und aufgrund der bestehenden Straftatbestände auch keine rechtlichen Auswirkungen zu erwarten sind. Weiter betont die SVP, dass die Übernahme von internationalem Recht nur dann erfolgen dürfe, wenn die direktdemokratischen Volksrechte der Schweiz in keiner Art und Weise beeinträchtigt würden.

Effektiver Schutz vor Nuklearterrorismus nur durch Ausstieg aus der Atomtechnologie Die SP unterstützt ebenfalls die Vernehmlassungsvorlage, die sich in die Massnahmen zur Verwirklichung der Zielsetzungen der UNO einreihe. Die SP betont insbesondere, dass die UNO den angemessenen Rahmen darstelle, um
der Bekämpfung des Terrorismus eine weltweite Legitimität zu verleihen. Die SP fordert weiter den Bundesrat mit Nachdruck dazu auf, sowohl national wie international langfristig auf einen Verzicht auf die Atomtechnologie hinzuwirken, denn nur so könnten Terroranschläge mit atomarem Material oder gegen Kernanlagen effektiv verhindert werden.

1166

1.5.4

Zusammenfassung der vier Abkommen in einer Sammelbotschaft

Die Form der Sammelbotschaft wurde aus verwaltungsökonomischen Gründen gewählt. Sie rechtfertigt sich angesichts des sachlichen Zusammenhangs zwischen den einzelnen Abkommen und ihrer jeweiligen Form als völkerrechtlicher Vertrag.

Dies erlaubt der Bundesversammlung und ihren Kommissionen eine kohärente politische Würdigung und Diskussion.

2

Internationales Übereinkommen vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen

2.1

Grundzüge des Übereinkommens

2.1.1

Ausgangslage

Die Bedrohung durch nuklearterroristische Handlungen ist nicht neu, geriet jedoch durch Medienmitteilungen über Beschlagnahmungen von geschmuggeltem radioaktivem Material zunehmend in die Öffentlichkeit. Zudem veranschaulichte die Verstrahlung eines ehemaligen russischen Agenten mit Polonium 210 in London, welch verheerenden Schaden radioaktive Strahlung anrichten kann. Weiter ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Staaten gestiegen, die trotz den internationalen Bemühungen der Staatengemeinschaft zur Verhinderung der Weiterverbreitung von atomaren Waffen nuklear aufgerüstet haben oder kurz davor stehen. Damit steigt auch das Risiko des Transfers von nuklearem Know-how an Terroristen. Da es zudem auch für Private immer einfacher wird, radioaktives Material zu beschaffen, sind die Schweiz sowie ihre Bürgerinnen und Bürger im In- und Ausland einem zunehmenden Risiko ausgesetzt. Auf politischer Ebene haben sich im Jahre 2006 namentlich die G8 («Globale Initiative zur Bekämpfung des Nuklearterrorismus»)2, die IAEO und die OSZE verstärkt mit der Thematik befasst. Auf der Ebene der UNO nimmt die bereits erwähnte Nonproliferation-Resolution 1540 des Sicherheitsrates die Mitgliedstaaten seit einigen Jahren in die Pflicht, und auf der Agenda der Generalversammlung steht weiterhin das Traktandum «Massnahmen zur Verhinderung des Erwerbs von Massenvernichtungswaffen durch Terroristen»3.

Der «Bericht innere Sicherheit der Schweiz 2005» des Bundesamtes für Polizei vom Mai 2006 kommt zum Schluss, dass es bis heute zwar keinen Anschlag mit einer sogenannten schmutzigen Bombe, also mit einem Sprengkörper mit radioaktiver Ummantelung, gab, das Interesse dschihadistischer Terroristen an solchen Waffen aber weiterhin besteht. Der Dienst für Analyse und Prävention im Bundesamt für Polizei klärte 2004 präventiv Schweizer Verwicklungen ins Netzwerk des «Vaters» der pakistanischen Atombombe, Abdul Qadeer Khan, ab, besonders hinsichtlich Exporten zugunsten des libyschen Nuklearprogramms. Im Oktober 2004 eröffnete die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Widerhandlungen gegen das Güterkontrollgesetz vom 13. Dezember 19964 und das KMG. Die 2

3 4

Bereits im Jahre 2002 wurde am Gipfel von Kananaskis die «Globale G8-Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und -materialien» ins Leben gerufen, der sich die Schweiz im Mai 2003 anschloss.

Vgl. Resolution der UNO-Generalversammlung (A/RES/61/86) vom 6. Dez. 2006.

SR 946.202

1167

Untersuchung dauert seit 2004 an und führte zur Verhaftung dreier Mitglieder einer Familie. Ähnliche Verfahren gegen Personen des Khan-Netzwerks sind in mehreren Ländern im Gang, so etwa in Deutschland, Grossbritannien, den Niederlanden, Südafrika, der Türkei, Spanien und Japan5.

Das am 13. April 2005 nach mehrjährigen Verhandlungen verabschiedete Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen, dessen Ratifikation mit dieser Botschaft beantragt wird, reiht sich in die verschiedenen internationalen Bemühungen ein, die Terroristen den Zugang zu Massenvernichtungswaffen verunmöglichen möchten. Es stellt die internationale Zusammenarbeit auf eine vertragliche Basis und stärkt so in Ergänzung der bisherigen zwölf sektoriellen Übereinkommen der UNO langfristig den internationalen rechtlichen Rahmen zur Bekämpfung des Terrorismus. Die UNO-Generalversammlung hat die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, das Übereinkommen als eine prioritäre Angelegenheit zu ratifizieren6. Am 7. Juli 2007 ist das Übereinkommen in Kraft getreten. Bis zum 8. Oktober 2007 haben 115 Staaten das Übereinkommen unterzeichnet, 29 haben es ratifiziert7.

2.1.2

Verlauf der Verhandlungen

Ein erster Entwurf für ein Übereinkommen gegen den Nuklearterrorismus wurde im Winter 1997 von Russland zuhanden des Ad-hoc-Ausschusses der UNOGeneralversammlung zur Bekämpfung des Terrorismus eingebracht. Dieser befasste sich ein Jahr später erstmals mit dem Entwurf, nachdem er zunächst im Dezember 1997 ein Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge ausgehandelt und verabschiedet hatte.

Die Stossrichtung des russischen Entwurfs für ein Übereinkommen gegen Nuklearterrorismus wurde zwar grundsätzlich begrüsst, wurde in einzelnen Punkten aber auch kritisiert, namentlich in Bezug auf die Unschärfe einzelner Begriffsbestimmungen, den Anwendungsbereich des Übereinkommens sowie das unklare Verhältnis zu bestehenden internationalen Regeln, zum Beispiel jenen über den physischen Schutz von Kernmaterial. Insbesondere die blockfreien Staaten widersetzten sich in der Folge vehement einer Bestimmung, welche die Anwendung des Übereinkommens auf Streitkräfte ausschloss. Zudem beharrten sie auf einer generellen Aussage zur Illegalität von Nuklearwaffen. In den darauffolgenden Jahren konnten angesichts dieser Differenzen kaum Fortschritte verzeichnet werden. Die Bemühungen des Ad-hoc-Ausschusses, ergänzt durch Verhandlungen in einer Arbeitsgruppe der 6. Kommission der Generalversammlung, konzentrierten sich deshalb auf ein Übereinkommen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, das im Jahr 1999 verabschiedet werden konnte. Im Herbst 2000 wurde zusätzlich ein Entwurf für ein Umfassendes Übereinkommen gegen den Terrorismus lanciert, über den derzeit noch verhandelt wird. Auch die Anschläge vom 11. September 2001 und die zuneh5 6 7

Vgl. S. 11 und 49 f. des Berichts (abrufbar unter folgender Internetadresse: http://www.ejpd.admin.ch/fedpol/de/home/dokumentation/berichte.html) Vgl. Resolution der UNO-Generalversammlung (A/RES/61/40) vom 4. Dez. 2006.

Ratifiziert haben Aserbaidschan, Bangladesch, Belarus, Dänemark, El Salvador, Gabun, Indien, Japan, Kenia, Kirgisistan, die Komoren, Kroatien, Lettland, Libanon, Litauen, Mazedonien, Mexiko, die Mongolei, Panama, Rumänien, Russland, Serbien, Singapur, Spanien, Sri Lanka, Südafrika, die Tschechische Republik, die Ukraine sowie Ungarn.

1168

menden Diskussionen über die Möglichkeit der terroristischen Verwendung von Massenvernichtungswaffen vermochten vorerst keine Bewegung in die Verhandlungen für ein Übereinkommen gegen Nuklearterrorismus zu bringen.

Der Durchbruch in den Verhandlungen gelang erst, als der UNO-Generalsekretär in seinem Reformbericht vom 21. März 2005 («In grösserer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle») unmissverständlich eine sofortige Verabschiedung des Übereinkommens zur Bekämpfung des Nuklearterrorismus gefordert hatte. Am 1. April 2005 verabschiedete der Ad-hoc-Ausschuss das Übereinkommen, nachdem einige Tage zuvor zur Frage des Ausschlusses regulärer Streitkräfte vom Anwendungsbereich des Übereinkommens sowie zur Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes von Nuklearwaffen Konsens hatte erzielt werden können. Am 13. April 2005 verabschiedete die UNO-Generalversammlung das Übereinkommen im Konsensverfahren8. Am 14. September 2005 unterzeichnete der damalige Bundespräsident Samuel Schmid das Übereinkommen im Rahmen des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs anlässlich des UNOMillennium+5-Gipfels in New York.

Die Schweiz war von Beginn an aktiv und vollberechtigt an den Verhandlungen zum Übereinkommen gegen Nuklearterrorismus beteiligt. Sie brachte namentlich zwei Änderungseinträge ein, die zum einen das Verhältnis dieses Übereinkommens zum humanitären Völkerrecht klären und zum anderen dem Aspekt der Prävention von Nuklearterrorismus mehr Gewicht verleihen sollten.

2.1.3

Verhandlungsergebnis

Beim Übereinkommen gegen Nuklearterrorismus handelt es sich um das erste universelle Vertragswerk gegen den Terrorismus, das die UNO-Generalversammlung seit den Anschlägen vom 11. September 2001 verabschiedet hat. Als dreizehntes bereichsspezifisches Übereinkommen gegen den Terrorismus gehört es zum universellen rechtlichen Rahmen bei der Terrorismusbekämpfung und ergänzt die bisherigen 12 Anti-Terrorismus-Übereinkommen der UNO, welche die Schweiz alle ratifiziert hat. Es erfüllt die Anliegen und Anforderungen der Schweiz.

2.1.4

Überblick über den Inhalt des Übereinkommens

Das Übereinkommen will in erster Linie sicherstellen, dass die Vertragsstaaten innerstaatlich über effektive Strafgesetze zur Verfolgung nuklearterroristischer Handlungen verfügen. Weiter möchte es den Informationsaustausch zwischen den Vertragsstaaten zur Verhinderung und Aufdeckung solcher Handlungen verbessern sowie die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen gewährleisten. Es regelt überdies die Rückgabe beschlagnahmten Nuklearmaterials.

Die Artikel 3­17 und 19­28 des Übereinkommens entsprechen weitgehend Bestimmungen anderer UNO-Übereinkommen gegen den Terrorismus, namentlich dem Übereinkommen vom 26. Oktober 1979 über den physischen Schutz von Kernmate-

8

Vgl. Resolution der UNO-Generalversammlung (A/RES/59/290, Annex) vom 13. April 2005.

1169

rial9 sowie dem Internationalen Übereinkommen vom 15. Dezember 1997 zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge10. Die Schweiz hat diese Übereinkommen bereits ratifiziert und die landesrechtlichen Voraussetzungen zu ihrer Umsetzung geschaffen. Das Übereinkommen gegen Nuklearterrorismus enthält dementsprechend keine neuartigen Verpflichtungen für die Schweiz.

Im Unterschied zum Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial ist der Anwendungsbereich des Übereinkommens gegen Nuklearterrorismus weiter gefasst. So ist es nicht auf für friedliche Zwecke genutztes Kernmaterial beschränkt, das sich im internationalen Nukleartransport befindet. Es bestraft neben dem Missbrauch von waffenfähigem Nuklearmaterial auch die verbrecherische Verwendung von anderem radioaktivem Material, das wegen seiner Strahlung für Mensch und Umwelt gefährlich ist. Allerdings enthält das Übereinkommen gegen Nuklearterrorismus keine Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, spezifische präventive Massnahmen zum Schutz von Nuklearanlagen und -material zu treffen. Es enthält lediglich einen Aufruf an die Staaten, die entsprechenden Empfehlungen der IAEO zum Schutz von radioaktivem Material zu berücksichtigen.

Im Vergleich zum Übereinkommen gegen terroristische Bombenanschläge sind in Bezug auf das strafbare Verhalten nur geringe Unterschiede festzustellen, ist doch das Übereinkommen gegen terroristische Bombenanschläge auch anwendbar, wenn Strahlung oder radioaktive Substanzen freigesetzt, verbreitet oder zur Wirkung gebracht werden. Das Übereinkommen gegen Nuklearterrorismus erfasst zusätzlich den Besitz und die Herstellung von Nuklearmaterial zu terroristischen Zwecken sowie die Drohung, aus terroristischen Motiven Nuklearanschläge zu begehen.

Das Übereinkommen verfügt im Unterschied zu anderen internationalen Abkommen nicht über einen Kontrollmechanismus mit der Pflicht zur regelmässigen Berichterstattung oder mit Überprüfungskonferenzen.

2.1.5

Würdigung

Das Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen liegt auf der von unserem Land verfolgten Linie der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Unterstützung bei der internationalen Verbrechensbekämpfung. Es will verhindern, dass Massenvernichtungswaffen, die unterschiedslos militärische Ziele und Zivilpersonen oder zivile Objekte treffen und die Zahl der Opfer aufgrund der hohen Zerstörungskraft sowie möglicher Langzeitfolgen ins Unermessliche steigern können, in die Hände von Terroristen gelangen. Die Schweiz ist bisher glücklicherweise von solchen Anschlägen weitgehend verschont geblieben. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sie selbst von terroristischen Gruppierungen als Planungsoder Finanzierungsbasis genutzt wird. Sie ist deshalb gehalten, sich im Kampf gegen den Terrorismus international solidarisch zu zeigen. Bei der Bekämpfung einer der potenziell tödlichsten Formen des Terrorismus kann es sich die Schweiz nicht leisten, im internationalen Abseits zu stehen. Mit der Ratifikation des Übereinkommens setzt sie ein klares, unmissverständliches Signal.

9 10

SR 0.732.031 SR 0.353.21

1170

2.2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Übereinkommens

2.2.1

Art. 1 (Definitionen)

Die Definition von radioaktivem Material nach Absatz 1 ist sehr allgemein gehalten.

Die Begriffsbestimmungen und der Geltungsbereich der Strahlenschutzverordnung vom 22. Juni 199411 (Anhänge I und II), decken die Definition des Übereinkommens vollumfänglich ab. Die Definition von Kernmaterial nach Absatz 2 entspricht der Begriffsbestimmung in Artikel 1 der Kernenergieverordnung vom 10. Dezember 200412. Die Definition von Kernanlage nach Absatz 3 wird durch die Begriffsbestimmung im KEG abgedeckt. Der Begriff Vorrichtung nach Absatz 4 wird durch den Geltungsbereich von Artikel 2 StSG abgedeckt.

2.2.2

Art. 2 (Straftatbestand)

Artikel 2 listet als zentrales Element des Übereinkommens eine Reihe von Vergehen auf, die unter den Begriff nuklearterroristische Handlungen fallen. Er ahndet den Besitz von radioaktivem Material, die Anfertigung oder den Besitz radioaktiver Vorrichtungen, die Verwendung von radioaktivem Material oder einer Vorrichtung, sowie die Verwendung oder Beschädigung einer Kernanlage. Drohung, Versuch, Anstiftung und Mittäterschaft sind ebenfalls strafbar. Der Urheber muss zudem in der Absicht handeln, den Tod oder die schwere Körperverletzung einer Person bzw.

bedeutende Sach- oder Umweltschäden zu verursachen. Im Gegensatz zum Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen (Art. 2 Abs. 5)13 findet dieses Übereinkommen nicht nur auf für zivile Zwecke genutztes, sondern auch auf militärisch genutztes Nuklearmaterial Anwendung.

Das beispielsweise im Jahre 2006 gegen einen ehemaligen russischen Agenten eingesetzte Polonium 210 wurde zwar nicht im Zusammenhang mit einer Nuklearexplosion verwendet, sein Gebrauch erfüllt im konkreten Fall indes die Voraussetzung des Übereinkommens in Bezug auf den Tatbestand der Verwendung einer Vorrichtung zur Verbreitung radioaktiven Materials in der Absicht, den Tod oder eine schwere Körperverletzung zu verursachen (Art. 2 Abs. 1 Bst. b i.V.m. Art. 1 Abs. 4 Bst. b des Übereinkommens). Weiter erfüllt auch die Spur der Kontaminierung mit Polonium 210 an mehr als zwölf Orten in mindestens drei Ländern die Voraussetzung der Multinationalität der Tatbegehung (Art. 3 des Übereinkommens).

Auch der Diebstahl von Nuklearmaterial kann unter den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen, wenn der Täter daran Besitz in der Absicht erlangt, den Tod, eine schwere Körperverletzung oder bedeutende Sach- oder Umweltschäden zu verursachen (Art. 2 Abs. 1 Bst. a des Übereinkommens).

Im schweizerischen Recht ist die Ahndung des unrechtmässigen Umgangs bzw. der unerlaubten Verwendung von radioaktivem Material und radioaktiven Vorrichtungen in verschiedenen Gesetzen aufgeführt. Alle im Übereinkommen aufgeführten Handlungen sind jedoch abgedeckt, sodass es keine Gesetzesänderungen braucht.

11 12 13

SR 814.501 SR 732.11 Siehe unten Ziff. 3.2.4.

1171

Das KMG bestraft namentlich die Herstellung und Lagerung von Kernwaffen (Art. 34 Abs. 1 KMG), das StSG bestraft Personen, die Dritte einer offensichtlich ungerechtfertigten Strahlung aussetzen, um deren Gesundheit zu schädigen (Art. 43 Abs. 2 StSG), und das KEG bestraft Personen, die in einer Kernanlage eine für die nukleare Sicherheit oder Sicherung wesentliche Vorrichtung beschädigen (Art. 88 Abs. 1 Bst. b KEG) bzw. die ohne Bewilligung mit nuklearen Gütern umgehen (Art. 89 Abs. 1 Bst. a KEG). Daneben decken auch zahlreiche Bestimmungen des Besonderen Teils des StGB im Übereinkommen genannte Straftaten ab; nebst den Bestimmungen, die Vergehen gegen Leib und Leben ahnden (Art. 111 ff. StGB), sind spezifischer die neuen Artikel 226bis und 226ter StGB zu erwähnen, die jede Person bestrafen, die eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für fremdes Eigentum von erheblichem Wert verursacht, indem sie sich der Kernenergie oder radioaktiver Stoffe bedient, wobei auch Vorbereitungshandlungen strafbar sind.

Im Gegensatz zum Übereinkommen schützen die einschlägigen Bestimmungen des schweizerischen Strafrechts die Umwelt nicht ausdrücklich. Da die schweizerischen Bestimmungen jedoch weiter gehen als der im Übereinkommen vorgeschriebene Schutz, braucht es keine Anpassungen. Die oben genannten Handlungen werden unabhängig davon bestraft, ob die konkrete Tat die menschliche Sicherheit oder die Umwelt gefährdet. Nur in zwei Fällen stellt die Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Personen oder fremden Sachen im Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung ein konstituierendes bzw. ein erschwerendes Element der Strafbarkeit dar (Art. 226bis StGB bzw. Art. 88 Abs. 2 KEG). Es kann jedoch festgehalten werden, dass das schweizerische Recht auch in diesen Bereichen keine Lücke aufweist: Einerseits genügen die oben genannten Strafbestimmungen den Anforderungen des Übereinkommens, andererseits ist es in einem flächenmässig kleinen Land wie der Schweiz konkret nur schwer vorstellbar, dass der Missbrauch von strahlenden Materialien oder Einrichtungen nicht zu einer Gefährdung der Bevölkerung führt.

Nach Artikel 2 Absätze 2­4 des Übereinkommens begeht ebenfalls eine Straftat, wer unter gewissen Umständen damit droht, die Tat zu begehen oder mit Drohungen widerrechtlich die Übergabe von
radioaktivem Material, einer radioaktiven Vorrichtung oder einer Kernanlage verlangt. Versuch, Anstiftung und Mittäterschaft werden ebenfalls bestraft, ebenso der Beitrag zur Begehung von Straftaten durch eine Gruppe übereinstimmend handelnder Personen.

Bereits der Allgemeine Teil des StGB enthält Bestimmungen zur Bestrafung des Versuchs, der Anstiftung und der Mittäterschaft (Art. 21 ff. StGB). Die Bestimmungen zur Bestrafung von Vorbereitungshandlungen (Art. 226bis und 260bis StGB) ergänzen die allgemeinen Bestimmungen wirkungsvoll. Die Unterstützung einer Gruppe wird durch Artikel 260ter StGB abgedeckt, sofern die Gruppe ihren Aufbau und die personelle Zusammensetzung geheim hält; andernfalls wird dieser Beitrag als Gehilfenschaft betrachtet14. Die Drohung, eine Straftat zu begehen, oder die Tatsache, widerrechtlich die Übergabe von Material zu verlangen, entspricht den Straftatbeständen der Artikel 180 (Drohung), 181 (Nötigung), 156 (Erpressung) und 258 StGB (Schreckung der Bevölkerung).

14

Die Gehilfenschaft wird vom Bundesgericht weit interpretiert. Es reicht, dass die betroffene Person erkennen kann oder das Risiko auf sich nimmt, dass ihr Beitrag zu kriminellen Zwecken verwendet wird (BGE 121 IV 120).

1172

2.2.3

Art. 3 und 9 (Geltungsbereich und Gerichtsbarkeit)

Artikel 3 schliesst die Anwendung des Übereinkommens aus, wenn die Straftat innerhalb eines einzigen Staates begangen wird, wenn der Verdächtige und die Opfer Angehörige dieses Staates sind, wenn der Verdächtige im Hoheitsgebiet dieses Staates aufgefunden wird und kein anderer Staat seine Gerichtsbarkeit begründen kann, mit der Massgabe, dass in solchen Fällen die jeweils zutreffenden Bestimmungen der Artikel 7, 12 und 14­17 Anwendung finden.

Nach Artikel 9 Absatz 1 des Übereinkommens muss jeder Vertragsstaat seine Gerichtsbarkeit begründen, wenn die Straftat in seinem Hoheitsgebiet begangen wird (Territorialprinzip), wenn die Straftat an Bord eines Schiffes unter seiner Flagge oder eines zur Tatzeit nach dem Recht dieses Staates eingetragenen Luftfahrzeugs begangen wird (Flaggenprinzip) oder wenn die Straftat von einem Angehörigen dieses Staates begangen wird (aktives Personalitätsprinzip). Das schweizerische Recht sieht in diesen Fällen die Gerichtsbarkeit der Schweizer Gerichte vor. Bei einer Straftat auf schweizerischem Hoheitsgebiet findet Artikel 3 StGB Anwendung.

Wenn die Straftat auf einem Schiff unter Schweizer Flagge begangen wird, sieht Artikel 4 Absatz 2 SSG vor, dass Schweizer Recht anwendbar ist. Eine analoge Bestimmung ist für Luftfahrzeuge in Artikel 97 Absatz 1 des Luftfahrtgesetzes (LFG)15 vorgesehen. Schliesslich erlaubt Artikel 7 StGB den Schweizer Behörden, einen Schweizer Täter, der ein Verbrechen oder Vergehen im Ausland begangen hat, zu verfolgen, wenn die Tat auch im Staat strafbar ist, in dem sie begangen wurde.

Nach Artikel 9 Absatz 4 des Übereinkommens müssen die Vertragsstaaten auch ihre Gerichtsbarkeit begründen, wenn der Verdächtige sich in ihrem Hoheitsgebiet befindet und nicht an einen der Vertragsstaaten, die in Übereinstimmung mit den Absätzen 1 und 2 ihre Gerichtsbarkeit begründet haben, ausgeliefert wird. Diese Verpflichtung wird durch Artikel 6 StGB abgedeckt.

Zusätzlich führt Artikel 9 Absatz 2 fünf Fälle auf, in denen die Vertragsstaaten ihre Gerichtsbarkeit freiwillig begründen können. Auch in diesen Fällen ist die Gerichtsbarkeit der Schweiz grundsätzlich gegeben, in Bezug auf Buchstabe c unter der Bedingung, dass sich der Täter in der Schweiz befindet oder ihr wegen dieser Tat ausgeliefert wird. Die Vertragsstaaten sind gehalten, den UNO-Generalsekretär
über die Gerichtsbarkeit, die sie nach Artikel 9 Absatz 2 des Übereinkommens begründen, zu informieren. Schliesslich schliesst Artikel 9 Absatz 5 die Ausübung einer Strafgerichtsbarkeit, die von einem Vertragsstaat nach innerstaatlichem Recht begründet wird, nicht aus.

2.2.4

Art. 4 (Vorbehalt des Völkerrechts und Ausschluss der Streitkräfte)

Absatz 1 bestimmt, dass das Übereinkommen die Rechte, Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten, die den Staaten und Individuen aus internationalem Recht, insbesondere der UNO-Charta und dem humanitären Völkerrecht, erwachsen, nicht beeinflusst. Dieser Absatz bezweckt die Festsetzung von Garantien, insbesondere hinsichtlich der Frage der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Streitkräfte nach 15

SR 748.0

1173

Absatz 2. Dieser sieht den Ausschluss der Streitkräfte vom Anwendungsbereich des Übereinkommens in Zeiten von bewaffneten Konflikten vor, da diese Situation durch das humanitäre Völkerrecht geregelt wird. Ebenfalls nicht nach dem Massstab dieses Übereinkommens werden Aktivitäten der Streitkräfte beurteilt, wenn diese ausserhalb von bewaffneten Konflikten in Erfüllung ihrer dienstlichen Pflichten handeln, sofern ihre Aktivitäten von anderen Regeln des Völkerrechts erfasst werden.

Der an den Verhandlungen politisch umstrittene Absatz 2, der ­ wie auch Absatz 1 ­ die Formulierung von Artikel 19 des Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge übernimmt und bereits im Jahre 1997 die Verabschiedung jenes Übereinkommens zu gefährden drohte16, stellte auch in Bezug auf das vorliegende Übereinkommen das langjährige Hindernis für einen Konsens dar. Während in erster Linie vor allem die Atommächte diese Bestimmung befürworteten, verlangten die grosse Mehrheit der blockfreien Staaten und der Gruppe der arabischen Staaten die Streichung dieses Artikels. Die Schweiz verlangte in einem schriftlichen Vorschlag17 zusammen mit Mexiko und der Ukraine, die Ausnahmeklausel für Streitkräfte auf internationale bewaffnete Konflikte ­ unter dem Verweis auf die Geltung des humanitären Völkerrechts ­ zu beschränken, da Nuklearmaterial anders als gewöhnliche Explosiva in Bürgerkriegen und in Friedenszeiten auf keinen Fall in legitimer Weise von den Streitkräften eingesetzt werden kann.

In der Folge konnte die Schweiz einer Kompromisslösung zugunsten der nun geltenden Regelung in Absatz 2 zustimmen, da gleichzeitig in einem neuen Absatz 3 festgehalten wird, dass die Nichtanwendbarkeit des Übereinkommens auf Aktivitäten von Streitkräften nicht so ausgelegt werden kann, dass solche Aktivitäten, wenn sie nach anderen Rechtsregeln rechtswidrig sind, entschuldigt oder für rechtmässig erklärt werden oder dass die Strafverfolgung nach anderen Gesetzen verhindert wird.

Dadurch konnte klargestellt werden, dass auch Aktivitäten von Streitkräften oder von Zivilpersonen im Dienste der Streitkräfte (z. B. Angehörige militärischer Geheimdienste) ausserhalb bewaffneter Konflikte strafrechtlich verfolgt werden können, wenn sie gegen anderes Recht verstossen.

Weiter hält Absatz 4 fest, dass sich dieses Übereinkommen nicht
zur Frage der Rechtmässigkeit des Gebrauchs von oder der Drohung mit Atomwaffen durch Staaten äussert. Mit dieser Kompromissformel konnte diese ebenfalls heftigst umstrittene Frage hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Übereinkommens offengelassen werden.

2.2.5

Art. 7 (Informationsaustausch)

Absatz 1 verpflichtet die Vertragsstaaten so weit wie möglich zusammenzuarbeiten, indem sie alle möglichen ­ wenn nötig auch gesetzgeberischen ­ Massnahmen treffen, um strafbare Handlungen nach diesem Übereinkommen zu verhindern oder deren Vorbereitung entgegenzusteuern (Bst. a). Die in der Schweiz zur Erfüllung dieser Verpflichtung vorhandenen rechtlichen Grundlagen sind in den Erläuterungen zu Artikel 2 aufgeführt.

16 17

Vgl. hierzu BBl 2002 5430 f.

A/C.6/53/WG.1/CRP.30

1174

Die Zusammenarbeit besteht im Austausch von Informationen (unter Vorbehalt der diesbezüglichen Bedingungen des nationalen Rechts sowie der in den Absätzen 2 und 3 erwähnten Einschränkungen) und in der Koordination von präventiven und repressiven Massnahmen. Die Vertragsstaaten müssen insbesondere strafbare Handlungen und Vorbereitungen hierzu unverzüglich allenfalls betroffenen anderen Staaten und unter Umständen den internationalen Organisationen mitteilen (Bst. b).

Absatz 2 verpflichtet die Vertragsstaaten und die internationalen Organisationen, die Vertraulichkeit von Informationen, die sie von einem anderen Vertragsstaat oder durch die Teilnahme an einer Massnahme aufgrund dieses Übereinkommens erhalten, in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht oder nach Massgabe entsprechender Absprachen zu wahren.

Nach Absatz 3 müssen Informationen nicht preisgegeben werden, wenn das innerstaatliche Recht dem entgegensteht oder die Sicherheit des betreffenden Staates oder die Sicherung von Kernmaterial gefährdet würde.

Nach Absatz 4 haben die Vertragsstaaten dem Generalsekretär der Vereinten Nationen die für den Informationsaustausch nach diesem Artikel zuständigen Behörden bekannt zu geben, die rund um die Uhr erreichbar sein müssen. Für die Schweiz ist dies die Einsatzzentrale des Bundesamtes für Polizei. Der Generalsekretär leitet in der Folge die Namen der staatlichen Ansprechstellen an die anderen Vertragsstaaten und an die IAEO weiter.

2.2.6

Art. 8 (Prävention)

Artikel 8 des Übereinkommens fordert die Staaten zur Verhinderung von Nuklearterrorismus auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um den Schutz von radioaktivem Material zu gewährleisten. Dabei sollen sie die entsprechenden Empfehlungen und Funktionen der IAEO berücksichtigen. In der Schweiz sind namentlich die folgenden Massnahmen vorgesehen: Das StSG verlangt eine Bewilligung für den Umgang mit radioaktiven Stoffen oder Anlagen, die ionisierende Strahlung erzeugen können, sowie zur Buchführung. Das KEG enthält neben einer Reihe von Bewilligungspflichten zum Schutz der nuklearen Sicherheit von Kernanlagen und Kernmaterialien die Verpflichtung, Sicherungsmassnahmen gegen die unbefugte Einwirkung und die Entwendung von Kernmaterialien zu treffen. Das KMG enthält im Weiteren ein Verbot, Kernwaffen zu entwickeln, herzustellen, zu vermitteln, zu erwerben, jemandem zu überlassen, ein-, aus-, durchzuführen, zu lagern oder anderweitig über sie zu verfügen, jemanden zu diesen Handlungen zu verleiten oder diese Handlungen zu fördern. Zusätzliche Massnahmen im Hinblick auf die Vermeidung von Straftaten im Zusammenhang mit Kernmaterialien, radioaktiven Stoffen oder ionisierender Strahlung sind nicht notwendig.

2.2.7

Art. 10 (Untersuchungspflichten und konsularischer Schutz)

Artikel 10 sieht eine Untersuchungspflicht vor, wenn ein Vertragsstaat die Information ­ im Allgemeinen von Interpol ­ erhält, dass in seinem Hoheitsgebiet eine Straftat gemäss Übereinkommen begangen wurde oder wird und dass die verdächtige Person sich in seinem Hoheitsgebiet befindet. In einer solchen Situation muss 1175

der betreffende Vertragsstaat geeignete Massnahmen treffen, um die Anwesenheit der verdächtigen Person zum Zweck der Strafverfolgung oder der Auslieferung sicherzustellen. Der Staat, in dessen Hoheitsgebiet sich die erwähnte Person befindet, verfügt über eine gewisse Freiheit bei der Einschätzung. Die ratio legis der vorliegenden Bestimmung ist jedoch, die Flucht der betreffenden Person zu verhindern. Das IRSG sieht vor, dass die Inhaftierung des Verfolgten während des Auslieferungsverfahrens in unserem Land die Regel ist18. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen die Bedingungen für eine aussergewöhnliche Freilassung anhand strenger Kriterien geprüft werden, und der Grundsatz besteht darin, die Person zu inhaftieren19.

Das Übereinkommen bietet Garantien für die einer Straftat verdächtigte Person, gegen die Massnahmen zur Sicherstellung ihrer Anwesenheit zum Zweck der Strafverfolgung oder Auslieferung getroffen worden sind. Ein konsularischer Schutz ist in dem Sinn vorgesehen, dass der Verdächtige mit dem nächsten zuständigen Vertreter seines Staates Verbindung aufnehmen, dessen Besuch empfangen und über seine Rechte informiert werden kann. Diese klassischen Mindestrechte haben zum Ziel, die Beziehungen zwischen dem Verdächtigen und den Vertretern seines Staates zu erleichtern. Sie sind auch in Artikel 36 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen20 aufgeführt. Ausserdem kann ein Vertragsstaat, der seine Gerichtsbarkeit in Anwendung von Artikel 7 des Übereinkommens begründet hat, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz einladen, mit dem Verdächtigen Verbindung aufzunehmen und ihn unter Anwendung von Artikel 10 Absatz 5 des Übereinkommens zu besuchen.

2.2.8

Art. 11 (Aut dedere, aut iudicare)

Artikel 11 enthält den international gefestigten Grundsatz aut dedere, aut iudicare.

Er verlangt vom ersuchten Staat, entweder ein Auslieferungs- oder, falls er den Verdächtigen nicht ausliefert, ein Strafverfahren einzuleiten. Die vom Übereinkommen abgedeckten Straftaten sind schwerwiegender Art, und die ratio legis der Bestimmung ist zu verhindern, dass der einer terroristischen Handlung Verdächtigte einer angemessenen Strafe entkommt.

Wenn die Schweiz ein Auslieferungsersuchen erhält, benötigt sie sowohl für die Eröffnung eines Auslieferungsverfahrens als auch für die Verweigerung der Auslieferung und der Einleitung eines Strafverfahrens Informationen vom ersuchenden Staat. Eine Auslieferung ist nach Artikel 7 IRSG nicht möglich, wenn die gesuchte Person schweizerischer Nationalität ist und ihrer Auslieferung nicht zustimmt oder wenn die Mindeststandards für den Schutz der persönlichen Rechte, wie sie aus der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) oder aus dem Internationalen Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II)21 hervorgehen, nicht garantiert sind22.

18 19 20 21 22

Art. 47 ff. IRSG.

Namentlich BGE 130 II 306.

SR 0.191.02 SR 0.103.2 Namentlich BGE 132 II 81; 124 II 132; 123 II 153; 122 II 373.

1176

Die Pflicht zur Strafverfolgung, wie sie in der vorliegenden Bestimmung im Fall einer Nicht-Auslieferung vorgesehen ist, stellt für die Schweiz keine Neuheit dar.

Sie kann in Anwendung von Artikel 6 StGB wahrgenommen werden, einer Bestimmung, die die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen die für die Gesellschaft gefährlichsten Verbrechen und Vergehen verankert. In allen Fällen hat die Schweiz auch nach dem Übereinkommen die Möglichkeit, auf Antrag des Staates, in dem die Straftat begangen wurde, die Strafgewalt anstelle des betreffenden Staates auszuüben, wenn keine Auslieferung erfolgt23.

Grundsätzlich ist Artikel 11 Absatz 2 auf die Schweiz nicht anwendbar, denn die Auslieferung schweizerischer Staatsbürger wird durch Artikel 7 IRSG geregelt.

Dabei ist zu betonen, dass die Zustimmung von einer Bedingung nach Artikel 11 Absatz 2, wie zum Beispiel dem Strafvollzug in der Schweiz, begleitet sein könnte.

Die Zustimmung des Schweizer Staatsangehörigen kann widerrufen werden, solange die Übergabe nicht angeordnet ist. Wenn eine solche Zustimmung fehlt, wird das Strafverfahren gegen die entsprechende Person von den Schweizer Behörden nach Artikel 11 Absatz 1 eingeleitet.

2.2.9

Art. 12 (Menschenrechtliche Garantien)

Artikel 12 verpflichtet die Vertragsstaaten, den Personen, gegen die wegen nuklearterroristischer Aktivitäten Zwangsmassnahmen ergriffen werden oder ein Verfahren eingeleitet wird, eine faire Behandlung zu gewähren. Die Vertragsstaaten werden nicht nur verpflichtet, die innerstaatlich vorgesehenen Rechte zu garantieren, sondern die Behandlung muss auch mit völkerrechtlichen Bestimmungen zum Schutze der Menschenrechte vereinbar sein24.

2.2.10

Art. 13 (Auslieferung)

Absatz 1 regelt die Auswirkungen des Übereinkommens auf die geltenden Auslieferungsverträge oder solche, die zwischen den Vertragsstaaten des Übereinkommens abgeschlossen werden. Da das IRSG die Zusammenarbeit für jede Straftat ermöglicht, sind terroristische Straftaten natürlich eingeschlossen. Die Schweiz hat im Gegensatz zu anderen Staaten keinen «Katalog von Straftaten» erstellt, bei denen sie kooperiert. In diesem Sinn braucht die Schweiz das Übereinkommen nicht als Rechtsgrundlage der Auslieferung nach Artikel 13 Absatz 2 des Übereinkommens zu betrachten, da das IRSG diese Grundlage darstellt. Dieses Gesetz regelt folglich das Auslieferungsverfahren. Zu den Bedingungen, denen die Schweiz die Ausliefe23 24

Delegation der Strafverfolgung nach den Art. 85 ff. IRSG.

Zu beachten sind hier in erster Linie die Art. 9 und 10 des Internationalen Pakts vom 16. Dez. 1966 über bürgerliche und politische Rechte (SR 0.103.2), das Übereinkommen vom 10. Dez. 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (SR 0.105), die Art. 5 und 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (SR 0.101) sowie das Europäische Übereinkommen vom 26. Nov. 1987 zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (SR 0.106). Die Schweiz berücksichtigt überdies die Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen, wie sie das Ministerkomitee des Europarats am 19. Jan. 1973 mit der Resolution (73) 5 beschlossen und am 12. Febr. 1987 in überarbeiteter Fassung in der Empfehlung 87 (3) gebilligt hat; vgl. BGE 122 I 226.

1177

rung unterstellt, gehören die doppelte Strafbarkeit25 sowie die insbesondere durch die oben erwähnten EMRK und den UNO-Pakt II zugesicherten Garantien.

Absatz 3 präzisiert ausserdem, dass die Auslieferung den übrigen vom innerstaatlichen Recht des ersuchten Staates vorgesehenen Bedingungen unterliegt. Dies ist eine normale Klausel, die unserem Land namentlich ermöglicht, die Auslieferung bei schweren Verfahrensfehlern im ersuchenden Staat zu verweigern26.

Absatz 4 will verhindern, dass eine Person, die einer im Übereinkommen erwähnten Straftat verdächtigt wird, der Strafverfolgung entgeht. Eine solche Regelung findet sich auch in anderen internationalen Instrumenten, zum Beispiel in Artikel 8 Absatz 4 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe27.

Absatz 5 verankert eine seit vielen Jahren durch zahlreiche internationale Instrumente gefestigte Praxis, welche die Wirksamkeit des Übereinkommens verbessert28.

2.2.11

Art. 14 (Rechtshilfe)

Absatz 1 legt eine klassische Pflicht fest, die in fast allen bi- und multilateralen Instrumenten für Rechtshilfe in Strafsachen enthalten ist und gemäss der die Vertragsstaaten einander grösstmögliche Rechtshilfe gewähren.

Absatz 2 nimmt einen anderen wesentlichen Grundsatz des Völkerrechts auf. Wenn kein Abkommen für Rechtshilfe oder Informationsaustausch zwischen den Vertragsstaaten vorliegt, müssen diese ihre innerstaatliche Gesetzgebung anwenden, um ihre Verpflichtungen nach den Absätzen 1 und 2 zu erfüllen (pacta sunt servanda).

2.2.12

Art. 15 und 16 («Entpolitisierungs»und Nichtdiskriminierungs-Klauseln)

Die Artikel 15 und 16 übernehmen fast wörtlich den Wortlaut der entsprechenden Bestimmungen im Internationalen Übereinkommen vom 9. Dezember 1999 zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus29 und praktisch den exakten Wortlaut der entsprechenden Artikel des Internationalen Übereinkommens vom 15. Dezember 1997 zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge30.

Artikel 15 regelt die «Entpolitisierung» der in Artikel 2 des Übereinkommens erwähnten Straftaten im Hinblick auf die Auslieferung oder Rechtshilfe in Strafsachen zwischen Vertragsstaaten. Dies bedeutet, dass die für eine Straftat gemäss 25

26 27 28 29 30

Die minimale Dauer der freiheitsbeschränkenden Sanktion, mit der die Tat bestraft wird, muss nach Art. 35 Bst. a IRSG mindestens ein Jahr betragen. Bei terroristischen Handlungen nach Art. 2 des Übereinkommens stellt sich kein Problem, da diese alle gemäss dieser Anforderung bestraft werden.

Art. 2 IRSG.

SR 0.105 Vgl. insbesondere Art. 28 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dez. 1957; SR 0.353.1.

SR 0.353.22; vgl. Art. 14 des genannten Übereinkommens betreffend «Entpolitisierung» und Art. 15 zur Nichtdiskriminierungsklausel.

SR 0.353.21; vgl. Art. 11 des genannten Übereinkommens betreffend «Entpolitisierung» und Art. 12 zur Nichtdiskriminierungsklausel.

1178

Übereinkommen erforderliche strafrechtliche Zusammenarbeit nicht einfach aus dem Grund verweigert werden kann, dass sie sich auf eine politische Straftat bezieht. Die ratio legis dieser Bestimmung steht im Zusammenhang mit der Schwere der betreffenden terroristischen Straftaten, die nicht mehr als Handlungen mit politischem Aspekt betrachtet werden können, weil insbesondere die Opfer meistens Zivilpersonen sind, die mit den Straftaten in keinem Zusammenhang stehen. Die vorliegende Klausel modifiziert die geltenden Rechtshilfe- und Auslieferungsinstrumente in Bezug auf die Einschätzung der Art der entsprechenden Straftaten.

Im innerstaatlichen Recht sieht bereits Artikel 3 Absatz 2 IRSG die «Entpolitisierung» bestimmter schwerer Vergehen vor. Wie erwähnt ist eine «Entpolitisierung» terroristischer Straftaten auch im Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus verankert ebenso wie im Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge. Zudem hat die Bundesversammlung am 24. März 2006 den Bundesbeschluss über die Genehmigung des Protokolls zur Änderung des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus31 angenommen, das die «Entpolitisierung» der terroristischen Straftaten der jüngsten im Protokoll erwähnten UNO-Instrumente gegen den Terrorismus vorsieht. Bei der Verabschiedung dieses Protokolls ist die Bundesversammlung dem Vorschlag des Bundesrates gefolgt und hat darauf verzichtet, einen inhaltlichen Vorbehalt zu formulieren. Das heisst, dass die Schweiz bei den erwähnten terroristischen Straftaten darauf verzichten wird, die Möglichkeit einer Verweigerung der Zusammenarbeit aus politischen Gründen auszuschöpfen. In diesem Sinn schliesst sich unser Land der gegenwärtigen internationalen Tendenz an, die in den UNO-Instrumenten zur Terrorbekämpfung erwähnten terroristischen Straftaten nicht als politisch zu betrachten. Zudem verweigert die Schweiz in der Praxis die Zusammenarbeit in diesem Bereich nicht, hat also in den letzten Jahren nie den Vorbehalt angewendet, den sie bei der Ratifizierung des Europäischen Übereinkommens vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus angebracht hatte32.

Artikel 15 ist im Zusammenhang mit Artikel 16 zu sehen. Artikel 16 bezieht sich auf das versteckte Ziel der Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion,
Nationalität, ethnischer Herkunft oder politischer Anschauungen der betroffenen Person33. Diese obligatorische Nichtdiskriminierungsklausel zielt darauf ab, dass die Rechtshilfe im weiten Sinn (inklusive Auslieferung) beim Vorhandensein der in der Bestimmung erwähnten Gründe verweigert werden kann. Damit soll verhindert werden, dass der ersuchte Staat über den Weg der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen bei Verfahren mitwirkt, die der verfolgten Person nicht den minimalen Schutzstandard garantieren, der dem Recht der demokratischen Staaten entspricht, wie er insbesondere durch die EMRK oder den UNO-Pakt II festgelegt ist, oder die den Normen des internationalen «Ordre public» zuwiderlaufen34.

In diesem Sinne unterscheidet sich Artikel 16 von Artikel 15, indem er die Würdigung des Ersuchens nicht nur unter dem Aspekt der Natur der Tat, sondern auch unter dem Aspekt des Motivs des Ersuchens ermöglicht. Diese Bestimmung erlaubt 31 32 33

34

BBl 2006 3647 SR 0.353.3 Auch andere internationale Instrumente enthalten eine solche Klausel, namentlich das Europäische Auslieferungsübereinkommen (Art. 3 Abs. 2), das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus (Art. 5 ) oder das UNO-Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (Art. 16 Abs. 14; SR 0.311.54).

Namentlich BGE 123 II 517, E. 5a und die erwähnten Verweise.

1179

es, sich gegen missbräuchliche Gesuche abzusichern. Eine solche Klausel stellt eine Errungenschaft des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus dar35. Die vom Gesuch betroffene Person verfügt folglich über ein gegenüber dem ersuchten Staat anwendbares Recht der Nicht-Zusammenarbeit, wenn der ersuchende Staat den wahren Grund seines Gesuchs verschleiert. Ausser wenn es sich beim herrschenden Regime im ersuchenden Staat um eine Diktatur handelt, ist der Nachweis allerdings schwierig zu erbringen, dass ein objektives, ernsthaftes und glaubhaftes Risiko einer schweren Menschenrechtsverletzung oder einer verbotenen diskriminierenden Behandlung im ersuchenden Staat besteht, die geeignet ist, die betreffende Person in persönlicher Weise zu tangieren36. Dies verringert in der Praxis die Bedeutung dieser Nichtdiskriminierungsklausel. Auf jeden Fall kann die im ausländischen Verfahren verfolgte Person die zwingenden Normen des Völkerrechts anrufen, die für die Schweiz unabhängig vom Bestehen bi- oder multilateraler Verträge mit dem ersuchenden Staat Geltung besitzen und die Ablehnung der Zusammenarbeit seitens der Schweiz rechtfertigen können.

2.2.13

Art. 17 (Zeitweise Überstellung inhaftierter Personen)

Diese Bestimmung regelt die zeitweise Überstellung inhaftierter Personen. Die zeitweise Überstellung dient der Identifizierung oder Zeugenaussage oder dazu, dass inhaftierte Personen ihren Beitrag zu Abklärungen im Rahmen einer Untersuchung oder von Strafverfolgungen nach Artikel 2 des Übereinkommens leisten.

Im Sinn von Absatz 2 ist die Überstellung vom Einverständnis der betroffenen Person sowie des ersuchenden und des ersuchten Staates abhängig; zudem unterliegt sie den von diesen Staaten festgelegten Bedingungen. Absatz 2 präzisiert noch folgende Elemente: Grundsätzlich, ausser bei Einverständnis oder Gesuch des ersuchten Staates, bleibt die überstellte Person im ersuchenden Staat in Haft; damit soll ihre Flucht verhindert werden. Anschliessend wird die Person unverzüglich an den ersuchten Staat rücküberstellt, ohne dass dieser deshalb ein Auslieferungsersuchen stellen muss. Die im ersuchenden Staat verbrachte Haftzeit wird ihr auf ihre im ersuchten Staat zu verbüssende Strafe angerechnet.

Nach Absatz 3 hat die überstellte Person schliesslich insofern freies Geleit, als sie im Hoheitsgebiet des Staates, dem sie überstellt wird, nicht wegen Handlungen oder Vergehen aus der Zeit vor ihrer Abreise aus dem Hoheitsgebiet des Vertragsstaates, von dem sie überstellt wird, verfolgt, inhaftiert oder einer sonstigen Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden darf.

2.2.14

Art. 18 (Beschlagnahme und Verwendung von eingezogenem Nuklearmaterial)

Artikel 18 des Übereinkommens regelt das Verfahren infolge der Beschlagnahme von radioaktivem Material, Vorrichtungen oder Kernanlagen im Zusammenhang mit einer terroristischen Straftat sowie dessen Entsorgung bzw. Rückgabe an einen 35 36

Art. 5 des genannten Übereinkommens.

Namentlich BGE 129 II 268; 123 II 167, E. 6b.

1180

anderen Staat. Sobald radioaktives Material, Vorrichtungen oder Kernanlagen beschlagnahmt worden sind, muss der Vertragsstaat, in dessen Besitz sie sich befinden, nach Absatz 1 die notwendigen Massnahmen treffen, um sie zu neutralisieren, und dafür sorgen, dass sie in Übereinstimmung mit den anwendbaren Sicherungsmassnahmen der IAEO verwahrt werden und dass die Empfehlungen der IAEO zum physischen Schutz beachtet werden.

Artikel 37 Absatz StSG sowie Artikel 72 Absatz 4 KEG erteilen der Aufsichtsbehörde die Befugnis, gefährliche Stoffe oder Gegenstände bzw. nukleare Güter oder radioaktive Abfälle zu beschlagnahmen und die Gefahrenquellen auf Kosten des Inhabers zu beseitigen. Über die definitive Einziehung von Nuklearmaterial muss in der Schweiz von einer Richterin oder einem Richter entschieden werden.

Absatz 2 schreibt den Vertragsstaaten vor, nach Abschluss des Strafverfahrens das radioaktive Material, Vorrichtungen oder Kernanlagen dem Vertragsstaat, dem sie gehören, dem Vertragsstaat, dessen Staatsangehörige die natürliche oder juristische Person, in deren Eigentum sie stehen, ist oder in dem diese ansässig ist, oder dem Vertragsstaat, in dessen Hoheitsgebiet sie gestohlen oder sonst auf widerrechtliche Weise beschafft wurden, zurückzugeben. Erlauben innerstaatliche oder völkerrechtliche Bestimmungen die Rückgabe nicht oder treffen die beteiligten Vertragsstaaten eine entsprechende Vereinbarung, so können nach Absatz 3 das radioaktive Material, Vorrichtungen oder Kernanlagen im Vertragsstaat, in dessen Besitz sie sich befinden, verbleiben; sie dürfen jedoch nur für friedliche Zwecke benutzt werden.

Andere Staaten oder die IAEO können nach Absatz 5 für die Rückgabe, Verwahrung und Entsorgung beigezogen werden. Absatz 7 hält fest, dass dieser Artikel die allgemeinen völkerrechtlichen Haftungsregeln für nukleare Schäden nicht berührt.

2.2.15

Art. 19 (Mitteilung an den UNO-Generalsekretär)

Artikel 19 hält die Vertragsparteien an, den UNO-Generalsekretär über den Ausgang von Strafverfahren zu unterrichten, die wegen nuklearterroristischen Straftaten im Sinne dieses Übereinkommens geführt worden sind.

2.2.16

Art. 20­22 (Durchführung des Übereinkommens)

Die Artikel 20­22, die ganz oder teilweise aus früheren Übereinkommen gegen den Terrorismus übernommen wurden, rufen die Prinzipien der Konsultation, der souveränen Gleichheit der Staaten, der territorialen Integrität und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten bei der Durchführung des Übereinkommens in Erinnerung.

2.2.17

Art. 23 (Streitbeilegung)

Absatz 1 beschreibt den Mechanismus der Streiterledigung hinsichtlich der Auslegung oder Anwendung des Übereinkommens. In einem ersten Schritt sollen die Streitigkeiten durch Verhandlungen gelöst werden. In einem zweiten Schritt haben die Parteien die Möglichkeit, ad hoc ein Schiedsgericht anzurufen. Falls es zu keiner Einigung kommt, sieht das Übereinkommen einen letzten Rekurs gegen das schiedsgerichtliche Urteil an den Internationalen Gerichtshof vor. Absatz 2 sieht vor, dass 1181

alle Staaten einen Vorbehalt gegen die in Absatz 1 vorgesehene obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit anbringen können. Dieser Vorbehalt kann nach Absatz 3 jederzeit widerrufen werden.

Der Wortlaut des Artikels 23 entspricht demjenigen anderer UNO-Übereinkommen gegen den Terrorismus, denen die Schweiz als Vertragspartei angehört. Ausserdem ist die Schweiz dem Statut des Internationalen Gerichtshofes beigetreten37 und hat die obligatorische Gerichtsbarkeit dieses Gerichtshofes nach Artikel 36 des Statuts anerkannt.

2.2.18

Art. 24­28 (Schlussklauseln)

Die Artikel 24­28 enthalten die üblichen Schlussklauseln betreffend Unterzeichnung, Ratifikation, Inkrafttreten, Änderung und Kündigung des Übereinkommens.

Das Übereinkommen stand allen Staaten vom 14. September 2005 bis zum 31. Dezember 2006 am UNO-Hauptsitz in New York zur Unterzeichnung offen (Art. 24 Abs. 1). Bis zu diesem Datum hatten 115 Staaten das Übereinkommen unterzeichnet, darunter die Schweiz am 14. September 2005. Nach Ablauf dieser Frist kann ein Staat dem Übereinkommen nur noch beitreten (Art. 24 Abs. 3). Die Instrumente der Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder des Beitritts müssen beim UNO-Generalsekretär hinterlegt werden (Art. 24 Abs. 2 und 3).

Artikel 25 bestimmt, dass das Übereinkommen 30 Tage nach der 22. Ratifikation in Kraft tritt. Dies ist am 7. Juli 2007 geschehen. Für Staaten, die das Übereinkommen nach diesem Datum ratifizieren oder ihm beitreten, tritt das Übereinkommen 30 Tage nach der Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde in Kraft.

Artikel 26 beschreibt das Verfahren, das für eine Änderung des Übereinkommens zu beschreiten ist. Für die Einberufung einer Änderungskonferenz bedarf es der Zustimmung der Mehrheit der Vertragsstaaten. Allfällige Änderungen können nur mit Zweidrittelmehrheit aller Vertragsstaaten beschlossen werden. Damit eine Änderung des Übereinkommens für einen Vertragsstaat verbindlich wird, muss er seine Ratifikations-, Annahme-, Beitritts- oder Genehmigungsurkunde zu der Änderung hinterlegen.

Nach Artikel 27 kann ein Staat das Übereinkommen jederzeit kündigen, indem er die Kündigung dem UNO-Generalsekretär schriftlich notifiziert.

37

SR 0.193.501. Das Statut ist für die Schweiz am 28. Juli 1948 in Kraft getreten.

1182

3

Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial vom 8. Juli 2005

3.1

Grundzüge des geänderten Übereinkommens

3.1.1

Ausgangslage

3.1.1.1

Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial von 1979

Das Übereinkommen über den physischen Schutz38 von Kernmaterial39 wurde am 26. Oktober 1979 in Wien beschlossen und am 3. März 1980 am Sitz der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) in Wien und der Vereinten Nationen in New York zur Unterzeichnung aufgelegt. Die Schweiz ratifizierte das Übereinkommen am 9. Januar 1987. Am 8. Februar 1987 trat es für die Schweiz in Kraft. Das Übereinkommen umfasste am 17. September 2007 130 Vertragsstaaten.

Der Anstoss zur Ausarbeitung des Übereinkommens erfolgte anlässlich der Konferenz vom Mai 1975 zur Überprüfung des Atomsperrvertrags. Diese hielt in einer Erklärung fest, dass ein wachsendes Bedürfnis für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit zur Gewährleistung einer genügenden Sicherung von potenziell gefährlichem Kernmaterial bestehe. Von der IAEO wurde verlangt, dass sie konkrete Empfehlungen für die Sicherung von Kernmaterial während dessen Nutzung, Lagerung und Beförderung ausarbeite. In einer an der Generalkonferenz der IAEO im September 1975 beschlossenen Resolution wurden die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Sicherung ihrer Kernanlagen und Kernmaterialien wenn nötig zu verstärken und Mittel und Wege zu suchen, um die internationale Zusammenarbeit bei der Lösung der gemeinsamen diesbezüglichen Probleme zu erleichtern. Mit der Einberufung einer internationalen Konferenz Ende 1977 am Sitz der IAEO in Wien zur Erarbeitung eines entsprechenden Übereinkommens setzte der Generaldirektor der IAEO die Resolution von 1975 um. Am 26. Oktober 1979 wurden die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen. Die Konferenzteilnehmer stimmten dem vorliegenden Wortlaut des Übereinkommens zu. Am 3. März 1980 wurde das Übereinkommen zum physischen Schutz von Kernmaterial am Sitz der IAEO in Wien und der Vereinten Nationen in New York zur Unterzeichnung aufgelegt.

Das Übereinkommen bezieht sich auf internationale Transporte von Kernmaterial, das für friedliche Zwecke genutzt wird. Es regelt den Umfang des physischen Schutzes für Kernmaterial während des Transports sowie während der mit dem Transport zusammenhängenden Lagerung. Bezüglich gewisser Schutzmassnahmen gilt das Übereinkommen auch während der innerstaatlichen Nutzung, Lagerung und Beförderung von Kernmaterial.

Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich unter anderem, eine zentrale Behörde einzusetzen, die für
den physischen Schutz von Kernmaterial sowie für die bilaterale und internationale Koordination von Massnahmen zur Wiederbeschaffung abhandengekommenen Materials zuständig ist. Sie haben für die im Übereinkommen

38

39

«Physischer Schutz» ist die wörtliche Übersetzung des englischen «Physical Protection», worunter man den Schutz von Kernmaterial gegen Entwendung und rechtswidrige Verwendung sowie den Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen vor Sabotage versteht. Im amtlichen deutschen Sprachgebrauch wird dafür der Begriff «Sicherung» verwendet.

SR 0.732.031

1183

festgelegten Straftaten angemessene Strafen festzulegen und einander gegenseitig mit Rechtshilfe zu unterstützen.

Vom Übereinkommen ausgeklammert wurde die Sicherung von Kernanlagen, da verschiedene Staaten die nationale Nutzung der Kernenergie als rein souveräne Angelegenheit betrachteten, obwohl die Ziele der Sicherung von Transporten von Kernmaterial und der Sicherung von Kernanlagen grundsätzlich dieselben sind: Verhindern, dass Mensch und Umwelt durch eine Einwirkung Dritter (z.B. Sabotage, Entwendung) insbesondere radiologischen Gefahren ausgesetzt werden könnten und dass Kernmaterial für die Herstellung von Kernsprengkörpern missbraucht wird.

3.1.1.2

Entwicklungen seit 1979

Der Schutz von Kernmaterial vor terroristischem Missbrauch, Diebstahl und Schmuggel sowie der Schutz von Kernanlagen gegen Sabotage insbesondere mit terroristischem Hintergrund nimmt heute einen immer wichtigeren Stellenwert in den bi- und multilateralen Beziehungen ein40. Dass auch für die Schweiz das Risiko besteht, Opfer solcher Delikte zu werden, zeigt ein Vorfall an der Schweizer Grenze im Jahre 2002, als zwei ausländische Staatsangehörige über den Autobahngrenzübergang Weil am Rhein bei Basel in die Schweiz einreisen wollten und das Grenzwachtkorps dabei verschiedene technische Geräte fand, darunter einen Computer, der einen Kartenausschnitt mit dem Atomkraftwerk Gösgen (SO) im Zentrum zeigte.

Eine verbesserte internationale Zusammenarbeit zur Verhinderung und Bekämpfung solcher Delikte, beim Lokalisieren und Wiederbeschaffen von gestohlenem oder geschmuggeltem Kernmaterial sowie zur Milderung der radiologischen Folgen von Sabotageakten bildet den Schwerpunkt der jüngsten Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial. Bekräftigt wurde die Stossrichtung dieser Änderung am G8-Gipfel in St. Petersburg im Juli 2006, an dem die G8 die Unterstützung der Globalen Initiative Russlands und der USA zur Bekämpfung des Nuklearterrorismus angekündigt hatten. Die Zielsetzungen des Übereinkommens wurden auch in die am 8. September 2006 verabschiedete Globale Strategie der UNO zur Bekämpfung des Terrorismus aufgenommen. Am 18. Oktober 2006 hat auch die IPU in einer Resolution die Staaten aufgerufen, Massnahmen zu ergreifen, damit keine Nuklearwaffen in die Hände von Terroristen gelangen41. Die UNOGeneralversammlung hat die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, die Änderung des Übereinkommens als eine Angelegenheit von Priorität zu ratifizieren42. Bis zum 19. September 2007 haben zwölf Staaten die Änderung des Übereinkommens ratifiziert43.

40 41

42 43

Vgl. hierzu bereits die Ausführungen zum Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen in Ziff. 2.1.1.

Resolution vom 18. Okt. 2006 (IPU Dok. Nr. 26): Coopération entre les parlements et l'Organisation des Nations Unies pour promouvoir la paix dans le monde, en particulier du point de vue de la lutte contre le terrorisme et d'une plus grande sécurité énergétique à l'échelle mondiale.

Vgl. Resolution der UNO-Generalversammlung (A/RES/61/40) vom 4. Dez. 2006.

Algerien, Bulgarien, Indien, Kenia, Kroatien, Libyen, Nigeria, Polen, Österreich, Rumänien, die Seychellen und Turkmenistan.

1184

3.1.2

Verlauf der Verhandlungen zur Änderung des Übereinkommens

Der oben erwähnte Mangel des Übereinkommens, der Ausschluss des Schutzes von Kernanlagen, wurde immer wieder kritisiert. Ausserhalb des Übereinkommens wurde versucht, die Sicherung im nuklearen Bereich umfassender anzugehen. 1998 stimmte eine Expertenkonferenz der IAEO-Mitgliedstaaten einer Revision der «Richtlinie zum physischen Schutz von Kernmaterialien»44 zu. Die Revision betraf insbesondere die Aufnahme eines Kapitels mit Empfehlungen bezüglich Sicherung von Kernanlagen sowie die Erweiterung des Titels auf «Richtlinie zum physischen Schutz von Kernmaterialien und Kernanlagen».

Gestützt auf eine Anregung des Gouverneursrates der IAEO berief deren Generaldirektor im November 1999 eine informelle Expertengruppe ein, um abzuklären, ob das Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterialien revidiert werden solle. Im März 2001 empfahl die Expertengruppe, das Übereinkommen durch einen Zusatztext zu stärken, wobei der Geltungsbereich insbesondere auf den landesinternen Gebrauch und Transport von Kernmaterialien sowie die Sicherung von Kernanlagen auszudehnen sei.

Anfang September 2001 nahm auf Einladung des Generaldirektors der IAEO eine weitere Expertengruppe ihre Arbeit auf mit dem Ziel, einen Änderungsentwurf zum Übereinkommen auszuarbeiten. Durch die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA erlangte die Tätigkeit der Expertengruppe zusätzliche Aktualität. Im März 2003 lag ihr der Schlussbericht mit Änderungsvorschlägen vor. In ihrem Bericht wies die Expertengruppe jedoch darauf hin, dass verschiedene ungelöste Fragen in einem weiteren Vorbereitungsprozess gelöst werden müssten, bevor eine diplomatische Konferenz zur Revision des Übereinkommens einberufen werden könne.

Im Juni 2004, nach verschiedenen bi- und multilateralen Konsultationen, reichte Österreich, unterstützt von 24 Staaten ­ darunter auch der Schweiz ­ dem Generaldirektor der IAEO einen bereinigten Revisionsentwurf ein. Der Generaldirektor wurde ersucht, den vorliegenden Text den Unterzeichnerstaaten zwecks Einberufung einer diplomatischen Konferenz zuzustellen. Nachdem die zur Einberufung erforderliche Zustimmung der Mehrheit der Unterzeichnerstaaten vorlag, wurde vom 4. bis 7. April 2005 in Wien eine Vorbereitungskonferenz durchgeführt. Die diplomatische Konferenz fand vom 4. bis 8. Juli 2005 ebenfalls in Wien statt. Am
8. Juli 2005 wurde der Revisionsentwurf mit dem erforderlichen Quorum der Vertragsstaaten (2/3 der Vertragsstaaten) gutgeheissen45. Eine förmliche Unterzeichnung der Änderung des Übereinkommens erfolgte nicht, da Artikel 20 Absatz 2 des Übereinkommens bei Änderungen nur eine Ratifikation, Annahme oder Genehmigung vorsieht.

Die Änderung tritt nach derselben Bestimmung erst in Kraft, nachdem zwei Drittel der Vertragsstaaten ihre Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden beim Depositar hinterlegt haben.

Am ganzen Vorbereitungsprozess und in den diversen Expertengruppen war die Schweiz durch das Bundesamt für Energie und in der Schlussphase zusätzlich durch das Bundesamt für Justiz aktiv vertreten. Vorbereitungs- und diplomatische Konferenz standen unter dem Vorsitz des Schweizers Prof. Alec Baer, des ehemaligen stellvertretenden Direktors des Bundesamtes für Energie.

44 45

INFCIRC/225/Rev.4.

Vgl. IAEO Dok. GOV/INF/2005/10-GC(49)/INF/6.

1185

3.1.3

Verhandlungsergebnis

Das Verhandlungsergebnis entspricht den Anliegen und Anforderungen der Schweiz.

Die Schweizer Delegation hatte sich an den Verhandlungen dafür ausgesprochen, dass die zwölf Grundsätze für den physischen Schutz von Kernmaterial in möglichst verbindlicher Form in den Revisionsentwurf aufgenommen würden. Die Verpflichtungen, die sich aus diesen Grundsätzen ergeben, sind im KEG und in der KEV schon heute umgesetzt.

In Bezug auf den Ausschluss von Streitkräften vom Anwendungsbereich des Übereinkommens, der seitens der USA in den revidierten Text eingebracht worden war, konnte die Schweiz mit einem eigenen Vorschlag erreichen, dass dadurch keine Strafbarkeitslücken entstehen. Dieser Vorschlag entspricht der kohärenten Position der Schweiz, die sich auch an Verhandlungen zu anderen Anti-Terror-Übereinkommen (z.B. Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge46, Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen, Entwurf für ein umfassendes Übereinkommen gegen den Terrorismus) jeweils dafür einsetzt bzw. eingesetzt hatte, dass eine Ausnahme der Streitkräfte vom Anwendungsbereich eines völkerrechtlichen Vertragsregimes gegen den Terrorismus niemals so verstanden werden kann, dass dadurch ansonsten rechtswidrige Handlungen entschuldigt oder für rechtmässig erklärt werden oder dass die Strafverfolgung nach anderen Gesetzen verhindert wird.

Der neu eingeführte Tatbestand der Sabotage entspricht ebenfalls dem von der Schweiz verfochtenen Anliegen, wonach strafrechtlich relevantes Verhalten in internationalen Übereinkommen eindeutig identifizierbare Konturen aufweisen muss und keinen Raum für willkürliche Interpretationen lassen darf, die innerstaatlich nicht umgesetzt werden oder zu unklaren Rechtshilfebegehren führen können. Dass der neue Tatbestand nach seinem Wortlaut nicht anwendbar ist, wenn er im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht des Vertragsstaats vorgenommen wird, in dessen Hoheitsgebiet sich die Kernanlage befindet, wird dadurch relativiert, dass auch hier der auf Druck der Schweiz eingeführte Vorschlag zum Tragen kommt, wonach jeder innerstaatlich gerechtfertigte Akt gegen ein Kernkraftwerk, in der Absicht, Menschen zu töten oder zu verletzen oder massive Sachbeschädigungen zu begehen, ebenfalls am Massstab des Völkerrechts gemessen werden muss.

3.1.4

Überblick über den Inhalt des geänderten Übereinkommens vom 8. Juli 2005

Als wesentliche Erweiterung zum Übereinkommen von 1979 umfasst die Änderung des Übereinkommens zusätzlich zum physischen Schutz von Kernmaterial auch Verpflichtungen zum Schutz der Kernanlagen vor Sabotage. Insbesondere hält sie zwölf Grundsätze des physischen Schutzes von Kernmaterial und Kernanlagen fest, die, soweit dies sinnvoll und durchführbar ist, anzuwenden sind.

Tätigkeiten von Streitkräften während eines bewaffneten Konflikts im Sinne des humanitären Völkerrechts sowie Tätigkeiten, welche Streitkräfte eines Staates in 46

Vgl. hierzu BBl 2002 5430 f.

1186

Erfüllung ihrer dienstlichen Pflichten ausüben, werden ausdrücklich nicht erfasst, soweit sie durch andere Regeln des Völkerrechts abgedeckt werden. Das geänderte Übereinkommen findet auch keine Anwendung auf für militärische Zwecke genutztes oder vorbehaltenes Kernmaterial oder dieses Material enthaltende Kernanlagen, die bereits von den im Kernwaffensperrvertrag vorgesehenen Kontrollmassnahmen ausgeschlossen sind.

Als neue Straftatbestände enthält die Änderung des Übereinkommens die Sabotage gegen Kernanlagen sowie Handlungen, die eine Beeinträchtigung von Menschen und Sachen zur Folge haben oder haben könnten. Zusätzlich wurde auch die Beeinträchtigung der Umwelt als strafbare Handlung aufgenommen.

Mit dem geänderten Übereinkommen wurden internationale Standards zum Schutz der Kernmaterialien und Kernanlagen festgelegt, die bei deren weltweiter Umsetzung einen besseren Schutz vor Sabotage und ein wesentlich kleineres diesbezügliches Gefährdungspotenzial von Kernmaterial und Kernanlagen zur Folge haben werden.

3.1.5

Würdigung

Die Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial entspricht dem Anliegen der Schweiz, internationale Standards nicht nur während des internationalen Transports, sondern auch für die sichere Nutzung, Lagerung und Beförderung von Kernmaterial innerhalb der Landesgrenzen zu schaffen, den Schutz von Kernanlagen vor Sabotageakten zu verstärken und diesbezüglich die internationale Zusammenarbeit zu verbessern. Das geänderte Übereinkommen schliesst durch diese Änderung gewisse Lücken des Abkommens von 1979 und ermöglicht so, den internationalen rechtlichen Rahmen für die Bekämpfung des Terrorismus zu erweitern und zu stärken.

3.2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln der Änderung des Übereinkommens vom 8. Juli 200547

3.2.1

Titel

Der Titel des Übereinkommens von 1979 wird entsprechend dem erweiterten Geltungsbereich erweitert und lautet nun «Übereinkommen zum physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen».

3.2.2

Art. 1 (Definition)

Neu werden gemäss Ziffer 3 des Änderungsübereinkommens die Begriffe «Kernanlage» (Anlage zur Herstellung, Verarbeitung, Verwendung, Handhabung, Lagerung oder Entsorgung von Kernmaterial) sowie «Sabotageakt» (gegen eine Kernanlage 47

Die nachfolgenden Artikel in den Überschriften beziehen sich auf die Nummerierung im «Übereinkommen» von 1979 und nicht auf die Änderung von 2005. Sofern im Text auf diese verwiesen wird, werden sie als Ziffern des «Änderungsübereinkommens» bezeichnet.

1187

oder gegen Kernmaterial gerichtete vorsätzliche Handlung, welche Menschen oder die Umwelt durch Strahlenbelastung oder Freisetzung radioaktiver Stoffe unmittelbar oder mittelbar gefährden könnte) in die Definition aufgenommen.

3.2.3

Art. 1A (Zweckartikel)

Das Änderungsübereinkommen sieht in Ziffer 4 neu einen Zweckartikel vor. Als Ziele des Übereinkommens werden ein weltweiter wirksamer physischer Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen, die Verhütung und Bekämpfung diesbezüglicher Straftaten sowie die Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten genannt.

3.2.4

Art. 2 Abs. 1 und 5 sowie Art. 13A (Geltungsbereich)

Nach Ziffer 5 des Änderungsübereinkommens wird in Artikel 2 Absatz 1 der Geltungsbereich des Übereinkommens auf für friedliche Zwecke genutzte Kernanlagen erweitert, während Absatz 5 von Artikel 2 darauf hinweist, dass das Übereinkommen keine Anwendung auf für militärische Zwecke genutztes Kernmaterial oder solches Material enthaltende Kernanlagen findet. Ziffer 11 des Änderungsübereinkommens stellt klar, dass die Weitergabe von Kerntechnologie für friedliche Zwecke, die zur Stärkung des physischen Schutzes von Kernmaterial und Kernanlagen erfolgt, durch das Übereinkommen nicht beeinträchtigt wird (neuer Art. 13A des Übereinkommens).

3.2.5

Art. 2 Abs. 2 (Verantwortlichkeit für ein physisches Schutzregime)

In Artikel 2 Absatz 2 wird die souveräne Verantwortung der Vertragsstaaten für die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Regimes zum physischen Schutz festgehalten (vgl. Ziff. 5 des Änderungsübereinkommens).

3.2.6

Art. 2 Abs. 3 und 4 (Vorbehalt des Völkerrechts und Ausschluss der Streitkräfte)

Ziffer 5 des Änderungsübereinkommens führt in Artikel 2 des Übereinkommens zwei neue Absätze ein. Absatz 3 besagt, dass das Übereinkommen ­ abgesehen von den durch die Vertragsstaaten ausdrücklich übernommenen Verpflichtungen ­ die souveränen Rechte der Vertragsstaaten nicht berührt.

Artikel 2 Absatz 4 ist in vier Buchstaben aufgeteilt. Buchstabe a hält fest, dass durch das Übereinkommen keine sonstigen Rechte, Verpflichtungen oder Verantwortlichkeiten berührt werden, die sich aus dem Völkerrecht und dem humanitären Völkerrecht ergeben. Buchstabe b statuiert den Ausschluss der Tätigkeiten von Streitkräften während eines bewaffneten Konfliktes sowie die Tätigkeiten, welche die Streitkräfte eines Staates in Erfüllung ihrer dienstlichen Pflicht ausüben, vom Über1188

einkommen. Dagegen ergänzt Buchstabe c, dass das Übereinkommen keine rechtmässige Befugnis zur Anwendung oder Androhung von Gewalt beinhalte. Nach Buchstabe d werden durch das Übereinkommen keine ansonsten rechtswidrigen Handlungen rechtmässig48, auch wird dadurch die strafrechtliche Verfolgung nach anderen Gesetzen nicht verhindert. Buchstabe d geht ­ wie in Ziffer 3.1.4 bereits erwähnt ­ auf einen Vorschlag der Schweiz zurück, der sicherstellt, dass der Ausschluss von Streitkräften vom Anwendungsbereich des Übereinkommens, welcher seitens der USA in den revidierten Text eingebracht worden war, nicht zu Strafbarkeitslücken führt49.

3.2.7

Art. 2A (Physisches Schutzregime)

Der neue Artikel 2A gibt ausführlichere Angaben zur Ausgestaltung des Regimes zum physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen.

Absatz 1 legt die Ziele des Regimes fest: Es geht darum, Kernmaterial vor Diebstahl zu schützen, Massnahmen zur Wiederbeschaffung abhandengekommenen Materials zu gewährleisten, Kernmaterial und Kernanlagen vor Sabotageakten zu schützen und die radiologischen Folgen von Sabotageakten zu mildern.

Absatz 2 verpflichtet die Vertragsstaaten, einen Rahmen für Gesetzgebung und Vollzug der Regelung des physischen Schutzes zu schaffen, eine zuständige Behörde einzusetzen und weitere Massnahmen zu treffen, die für den physischen Schutz erforderlich sind.

Absatz 3 legt Grundsätze des physischen Schutzes von Kernmaterial und Kernanlagen fest, die, soweit dies sinnvoll und durchführbar ist, anzuwenden sind. Es sind dies: A:

Verantwortung des Staates Für den physischen Schutz sind die Vertragsstaaten verantwortlich.

B:

Verantwortung während des internationalen Transports Die Verantwortung eines Staates dauert so lange, bis diese ordnungsgemäss einem anderen Staat übertragen wird.

C: Rahmen für Gesetzgebung und Vollzug Der Staat hat einen Rahmen für Gesetzgebung und Vollzug zu schaffen.

Dies umfasst den Erlass von Vorschriften, Massnahmen zur Bewertung, Genehmigung, Überprüfung und Durchsetzung sowie Sanktionen.

D: Zuständige Behörde Der Staat soll eine zuständige Behörde für die Durchführung des Rahmens für Gesetzgebung und Vollzug bestimmen.

48

49

Zum Beispiel gezielte radioaktive Verstrahlung der Zivilbevölkerung, die je nach Umständen als Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und/oder Folter verfolgt werden kann.

Abs. 2 Bst. a, b und d entsprechen Art. 4 Abs. 1­3 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen, weshalb hier auf die Kommentierung dieser Bestimmung in Ziff. 2.2.4 verwiesen wird.

1189

E:

Verantwortung des Bewilligungsinhabers Die Verantwortung für die Durchführung des physischen Schutzes soll in erster Linie bei den Bewilligungsinhabern liegen.

F:

Sicherungskultur Alle beteiligten Organisationen sollen der Sicherungskultur gebührenden Vorrang einräumen.

G: Bedrohung Der physische Schutz soll auf einer gegenwärtigen Gefährdungsannahme beruhen.

H: Abgestufter Ansatz Die Anforderungen an den physischen Schutz sollen die Gefährdungsannahme, die relative Attraktivität und Beschaffenheit des Materials und die möglichen Folgen eines Diebstahls oder Sabotageaktes berücksichtigen.

I:

Verteidigung in der Tiefe Die Anforderungen zum physischen Schutz sollen einem Konzept entsprechen, das aus mehreren Ebenen und Methoden (bauliche, technische, personelle, organisatorische) bestehen muss.

J:

Qualitätssicherung Programme zur Qualitätssicherung sollen erstellt und durchgeführt werden.

K: Notfallpläne Von allen beteiligten Stellen sollen Notfallpläne erarbeitet und geübt werden.

L:

Vertraulichkeit Der Staat soll Anforderungen zum Schutz vertraulicher Informationen aus dem Bereich des physischen Schutzes aufstellen.

Absatz 4 gibt dem Staat die Möglichkeit, bestimmtes Material unter Berücksichtigung von Beschaffenheit, Menge und Attraktivität des Materials sowie möglicher radiologischer Folgen vom Geltungsbereich des Übereinkommens auszunehmen.

Für Ausnahmen sind die Grundsätze einer umsichtigen Betriebsführung anzuwenden.

3.2.8

Art. 5 und 6 (Informationsaustausch und internationale Zusammenarbeit)

Nach Ziffer 7 des Änderungsübereinkommens wird in Artikel 5 Absätze 1, 2 und 4 des Übereinkommens der bisherige Wortlaut von Artikel 5 weitgehend beibehalten und um den Schutz von Kernanlagen erweitert.

Der neue Absatz 3 äussert sich zur Zusammenarbeit der Vertragsstaaten bei Sabotageakten gegen Kernmaterial oder gegen eine Kernanlage oder im Fall der glaubhaften Androhung einer solchen Tat. Nach Buchstabe a soll ein Staat, der Kenntnis hat von einer glaubhaften Androhung eines Sabotageaktes gegen Kernmaterial oder eine Kernanlage in einem anderen Staat, geeignete Massnahmen beschliessen, um den 1190

betreffenden Staat oder einschlägige internationale Organisationen von diesen Androhungen zu unterrichten. Buchstabe b verpflichtet einen Staat, in dem ein Sabotageakt verübt worden ist, andere Staaten, die wahrscheinlich radiologisch betroffen sind, so bald wie möglich zu unterrichten, um die radiologischen Folgen zu beschränken. Nach Buchstabe c hat jeder Staat, der nach den Buchstaben a und b um Unterstützung angegangen worden ist, umgehend eine Entscheidung zu treffen und dem ersuchenden Vertragsstaat mitzuteilen, ob er in der Lage ist, die erbetene Unterstützung zu leisten. Buchstabe d hält fest, dass die Koordinierung der Zusammenarbeit auf diplomatischem oder vereinbartem Weg erfolgt.

Absatz 5 gibt einem Vertragsstaat die Möglichkeit, soweit erforderlich unmittelbar oder über internationale Organisationen andere Vertragsstaaten zu konsultieren und mit ihnen zusammenzuarbeiten, um die Ausgestaltung des physischen Schutzes zu verbessern.

Ziffer 8 des Änderungsübereinkommens gibt dem bisherigen Artikel 6 des Übereinkommens einen neuen Wortlaut. Artikel 6 Absatz 1 äussert sich zur Weitergabe vertraulicher Informationen. Neu wird festgehalten, dass bei Weitergabe von vertraulichen Informationen an Staaten, die nicht Vertragsparteien des Übereinkommens sind, Massnahmen unternommen werden müssen, um die Vertraulichkeit solcher Informationen zu wahren. Nach Absatz 2 sind Vertragsstaaten nicht verpflichtet, Informationen weiterzugeben, welche sie aufgrund innerstaatlichen Rechts nicht mitteilen dürfen oder welche die Sicherheit des Staates oder den physischen Schutz gefährden würden.

3.2.9

Art. 7 Abs. 1 (Straftatbestand)

Ziffer 9 des Änderungsübereinkommens enthält in erster Linie einige redaktionelle Anpassungen, die keine inhaltlichen Auswirkungen haben. Zudem wird die Umwelt zu einem strafrechtlich explizit geschützten Gut erklärt. Schliesslich werden vier neue Straftaten eingefügt: Befördern, Versenden oder Verbringen von Kernmaterial ohne Befugnis (Art. 7 Abs. 1 Bst. d); jeder Sabotageakt gegen eine Kernanlage bzw.

jede Handlung, die auf den Betrieb einer Kernanlage einwirkt, bei welcher der Täter vorsätzlich den Tod oder schwere Körperverletzungen anderer Personen verursacht oder weiss, dass er sie verursachen kann, oder mit der er bedeutende Sach- oder Umweltschäden durch Strahlenbelastung oder Freisetzung radioaktiver Stoffe verursacht (Art. 7 Abs. 1 Bst. e)50; die Organisation einer der in Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben a­h beschriebenen Straftaten oder die Anstiftung zu diesem Zweck (Art. 7 Abs. 1 Bst. j); schliesslich der Beitrag zur Begehung solcher Straftaten durch eine Personengruppe, die mit einem gemeinsamen Ziel handelt (Art. 7 Abs. 1 Bst. k).

Bei der Annahme des Übereinkommens waren die in Artikel 7 vorgesehenen Straftaten alle durch das StGB und das ehemalige Atomenergiegesetz des Bundes51 (AtG),

50

51

Der am Ende von Bst. e statuierte Rechtfertigungsgrund des nationalen Rechts steht indes auch unter dem Vorbehalt von Art. 2 Abs. 4 Bst. c, wonach keine Handlungen gerechtfertigt werden können, die insbesondere dem Völkerrecht widersprechen; vgl. hierzu bereits Ziff. 3.1.4.

Bundesgesetz vom 23. Dez. 1959 über die friedliche Verwendung der Atomenergie; AS 1960 541.

1191

abgedeckt52. Als das AtG durch das KEG ersetzt wurde, stellte der Bundesrat sicher, dass die in Artikel 7 des Übereinkommens vorgesehenen Straftaten auch vom neuen Recht abgedeckt waren53. Die neuen Buchstaben d und e des Übereinkommens sind durch die Artikel 88 und 89 KEG abgedeckt, Buchstabe j durch die Artikel 22 ff.

StGB. Die Unterstützung einer Gruppe (Buchstabe k) ist durch Artikel 260ter StGB abgedeckt, falls die Gruppe ihren Aufbau und ihre personelle Zusammensetzung geheim hält; andernfalls wird dieser Beitrag als Mittäterschaft betrachtet. Zur Frage der Vereinbarkeit des schweizerischen Rechts mit dem neu eingeführten Begriff des strafrechtlichen Schutzes der Umwelt wird mutatis mutandis auf die Bemerkungen unter Ziffer 2.2.2 verwiesen.

3.2.10

Art. 11A und 11B («Entpolitisierungs»und Nichtdiskriminierungs-Klauseln)

Die neuen Artikel 11A und 11B des Übereinkommens (Ziff. 10 des Änderungsübereinkommens) übernehmen im Wesentlichen die Artikel 15 und 16 des Internationalen Übereinkommens vom 13. April 2005 zur Bekämpfung des Nuklearterrorismus.

Deshalb wird auf die entsprechenden Ausführungen unter Ziff. 2.2.12 verwiesen.

3.2.11

Art. 16 (Überprüfungskonferenz)

Entsprechend dem geänderten Artikel 16 des Übereinkommens (vgl. Ziff. 13 des Änderungsübereinkommens) beruft der Depositar fünf Jahre nach Inkrafttreten der am 8. Juli 2005 angenommenen Änderung eine Konferenz der Vertragsstaaten zur Überprüfung der Durchführung des Übereinkommens und von dessen Zweckdienlichkeit ein54.

3.2.12

Anhang II

Die Tabelle zur Kategorisierung von Kernmaterial in Annex II des Übereinkommens bleibt grundsätzlich unverändert; in den Fussnoten b und e wird lediglich die alte Bezeichnung der Strahlungseinheit rad durch die neue Einheit Gray (1 Gray = 100 rad) ersetzt.

52 53 54

Botschaft des Bundesrates vom 22. Mai 1985 betreffend das Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial, BBl 1985 II 361.

Vgl. Botschaft vom 28. Febr. 2001 zu den Volksinitiativen «MoratoriumPlus» und «Strom ohne Atom», BBl 2001 2665.

Nach Art. 20 Abs. 1 des Übereinkommens kann jedoch eine Mehrheit der Vertragsstaaten jederzeit auf Vorschlag eines Vertragsstaates zur Änderung des Übereinkommens beim Depositar die Einberufung einer Konferenz zur Überprüfung des Änderungsvorschlags beantragen.

1192

4

Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt

4.1

Grundzüge des Änderungsprotokolls

4.1.1

Ausgangslage

4.1.1.1

Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt

Als Reaktion auf die Kaperung des italienischen Kreuzfahrtschiffs «Achille Lauro» am 7. Oktober 1985 vor dem Hafen von Alexandria, bei der ein amerikanischer Passagier ums Leben kam, forderte die internationale Gemeinschaft von der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) eine Verbesserung des Schutzes von Seeschiffen vor terroristischen Anschlägen. In der Folge handelten die Mitgliedstaaten der IMO ein Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt (SUA-Übereinkommen) aus. Das SUAÜbereinkommen schützt Schiffe, deren Passagiere und Ladung vor terroristischen Übergriffen. Die Vertragsparteien sind verpflichtet, Personen, die terroristische Anschläge verüben, zu bestrafen oder auszuliefern. Das SUA-Übereinkommen wurde am 10. März 1988 in Rom angenommen. Die Schweiz hat es am 12. März 1993 ratifiziert55. Am 10. Juni 1993 trat es für sie in Kraft. Am 30. September 2007 umfasste das SUA-Übereinkommen 146 Vertragsstaaten.

4.1.1.2

Entwicklungen seit 1988

Das SUA-Übereinkommen von 1988 entstand als Folge der terroristischen Bedrohung der 1980er-Jahre. In den letzten Jahren ist aber die terroristische Bedrohung auch zur See gestiegen. Zu nennen sind hier der im Jahre 2000 verübte Bombenanschlag gegen das amerikanische Kriegsschiff USS Cole oder der Sprengstoffanschlag gegen den französischen Öltanker Limburg im Jahre 2002 vor der Küste Jemens, welche mehrere Tote und Verletzte forderten. Im Februar 2004 sank eine Fähre mit insgesamt 1050 Passagieren an Bord vor der Küste der Philippinen, nachdem eine in einem Fernseher versteckte und nur vier Kilogramm schwere TNTBombe im Unterdeck explodiert war. Weiter fanden in der Vergangenheit vor allem vor den Küstengewässern Somalias vermehrt Angriffe gegen Kreuzfahrtschiffe statt.

Die von Terroristen benutzten Mittel werden technologisch immer effizienter und das Zerstörungspotenzial immer grösser. Schiffe und ihre Ladung können nicht mehr nur als Angriffsziel, sondern auch als Angriffsmittel, zum Beispiel zur Verbreitung von Giftstoffen oder zur Sprengung von Treibstoffen, missbraucht werden. Der Transport von Terroristen und von Massenvernichtungswaffen per Schiff, insbesondere in Containern, ist ebenfalls zu einer ernstzunehmenden Bedrohung geworden.

Die unter Schweizer Flagge fahrende Schiffe sind bisher von solchen Anschlägen glücklicherweise weitgehend verschont geblieben. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Schweiz selbst von terroristischen Gruppierungen als Planungs- oder Finanzierungsbasis genutzt wird. So hat sich im Laufe von 55

SR 0.747.71

1193

Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen das Terrornetzwerk Al-Qaida ergeben, dass in der Schweiz festgenommene Personen Kontakte zu einer Person gehabt haben, die sich im nächsten Umfeld der Attentäter des Anschlags auf die USS Cole bewegt hat56.

Auf politischer Ebene sind in den letzten Jahren insbesondere von den USA verschiedene Initiativen ins Leben gerufen worden, welche die maritime Sicherheit verbessern wollen. Die USA lancierten beispielsweise im Jahre 2002 die «Container Security Initiative», die u.a. von der G8, der Weltzollunion, der OSZE und der EU unterstützt wird, und im Jahre 2003 die «Proliferation Security Initiative» zur Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu Land, Luft und See.

Das im Jahre 2005 durch zwei Änderungsprotokolle revidierte SUA-Übereinkommen, für das mit dieser Botschaft der Beitritt der Schweiz beantragt wird, widerspiegelt die rechtlichen Anpassungen, die sich aufgrund der gesteigerten terroristischen Bedrohung zur See als notwendig erwiesen haben. Diese Revision reiht sich in die verschiedenen internationalen Bemühungen ein, die Sicherheit der Seeschifffahrt und fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, gegenüber terroristischen Angriffen besser zu schützen, gleichzeitig aber auch deren Missbrauch zum Transport von Massenvernichtungswaffen zu erschweren. Das nachfolgend erläuterte Änderungsprotokoll stellt die verstärkte internationale Zusammenarbeit zum Schutze der Sicherheit der Seeschifffahrt auf eine vertragliche Basis und stärkt langfristig den internationalen rechtlichen Rahmen zur Bekämpfung des Terrorismus57. Bis zum Ende der Unterzeichnungsperiode am 13. Februar 2007 hatten achtzehn Staaten das Änderungsprotokoll unter dem Vorbehalt der Ratifikation unterzeichnet58. Am 30. September 2007 zählte das Änderungsprotokoll zwei Vertragsstaaten59. Die UNO-Generalversammlung hat die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, das Änderungsprotokoll als prioritäre Angelegenheit zu ratifizieren60.

4.1.2

Verlauf der Verhandlungen zur Änderung des SUA-Übereinkommens

Im Gefolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 wurde kritisiert, dass das SUA-Übereinkommen Lücken bei den terroristischen Tatbeständen aufweist. In der Folge wurden Verhandlungen über die Revision des SUA-Übereinkommens aufgenommen, die fast zwei Jahre in Anspruch nahmen. Die Verhandlungen erfolgten im Wesentlichen im Rechtsausschuss der IMO. Insbesondere die Delegationen verschiedener grosser Schwellen- und Entwicklungsländer befürchteten zunächst, dass 56

57

58

59 60

In seinem Entscheid vom 28. Febr. 2007 (SK.2006.15_B) hat das Bundesstrafgericht es jedoch abgelehnt, die Angeklagten wegen der Beteiligung an einer kriminellen Organisation zu verurteilen. Es hat hingegen einzelne Angeklagte wegen Verstössen gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer und der Fälschung von Ausweisen schuldig gesprochen.

Die Ausführungen zum Änderungsprotokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden finden sich unter Ziff. 5 der Botschaft. Aus technischen Gründen mussten diese Änderungen in einem separaten Änderungsprotokoll geregelt werden.

Australien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Neuseeland, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien, die Türkei, USA und das Vereinigte Königreich.

Cookinseln sowie St. Kitts und Nevis.

Vgl. Resolution der UNO-Generalversammlung (A/RES/61/40) vom 4. Dez. 2006.

1194

durch die Modifikation des SUA-Übereinkommens ihre staatliche Souveränität eingeschränkt werden könnte. Sie stemmten sich gegen die Eingriffsmöglichkeiten von Drittstaaten und namentlich auch gegen ein grundsätzliches Verbot des Schiffstransports von ABC-Waffen. Dank dem grossen Führungs- und Verhandlungsgeschick des damaligen zyprischen Präsidenten des IMO-Rechtsausschusses gelang es dennoch, die Verhandlungen rechtzeitig zu beenden. Am 14. Oktober 2005 konnte an einer diplomatischen Konferenz in London, an der auch die Schweiz vertreten war, das Protokoll zum Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt61 angenommen werden. Gleichzeitig konnte an der Konferenz ein zweites Protokoll verabschiedet werden, welches das Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, modifiziert62.

4.1.3

Verhandlungsergebnis

Das ursprüngliche SUA-Übereinkommen von 1988 und das Änderungsprotokoll von 2005 werden von den Vertragsparteien als eine einzige Übereinkunft angewendet, die den Titel «Übereinkommen von 2005 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt» trägt und kurz als «SUA-Übereinkommen 2005» bezeichnet wird.

Das Verhandlungsergebnis erfüllt die Anliegen der Schweiz in Bezug auf die Bestimmtheit der neuen Straftatbestände und hinsichtlich der neuen Möglichkeiten zur Anhaltung und Durchsuchung von Schiffen. Einzig die Ausnahme von Streitkräften vom Anwendungsbereich des SUA-Übereinkommens wird im Gegensatz zu anderen Anti-Terrorübereinkommen der UNO nicht durch einen jeweils von der Schweiz verlangten Zusatz ergänzt, wonach diese Ausnahme nicht zur Straflosigkeit führen darf. Es ist deshalb beabsichtigt, anlässlich des Beitritts der Schweiz zum Änderungsprotokoll von 2005 zum Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt eine entsprechende Erklärung abzugeben63

4.1.4

Überblick über den Inhalt des Änderungsprotokolls vom 14. Oktober 2005

Das Änderungsprotokoll will in erster Linie sicherstellen, dass die Vertragsstaaten innerstaatlich über effektive Strafgesetze zur Verfolgung terroristischer Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt verfügen und so weit wie möglich zusammenarbeiten, um die vom SUA-Übereinkommen 2005 erfassten widerrechtlichen Handlungen zu verhindern und zu bekämpfen.

Neu stellt das Änderungsprotokoll insbesondere folgende Tatbestände unter Strafe: ­

61 62 63

die Verwendung von Schiffen als Angriffsobjekt oder -mittel in einer Art und Weise, die den Tod eines Menschen, eine schwere Körperverletzung LEG/CONF.15/21.

Vgl. zu diesem Änderungsprotokoll unten Ziff. 5.

Vgl. hierzu ausführlich unten Ziff. 4.2.2.

1195

oder Schäden verursacht oder zu verursachen geeignet ist, um die Bevölkerung einzuschüchtern oder einen Staat oder eine internationale Organisation zu einem bestimmten Verhalten zu nötigen; ­

den Transport per Schiff von Sprengstoffen und radioaktivem Material, um den Tod eines Menschen, eine schwere Körperverletzung oder Schäden zu verursachen, mit dem Ziel, die Bevölkerung einzuschüchtern oder einen Staat oder eine internationale Organisation zu einem bestimmten Verhalten zu nötigen;

­

den Transport per Schiff von atomaren, biologischen oder chemischen Waffen, Waffenbestandteilen und Gütern zur Herstellung solcher Materialien und Waffen (inklusive «Dual-Use-Güter»); sowie

­

die Beförderung von Personen auf dem Seeweg, die eine Handlung begangen haben, die entweder vom SUA-Übereinkommen 2005 oder von einem anderen völkerrechtlichen Instrument gemäss der Anlage zum SUA-Übereinkommen 2005 eine Straftat darstellt64.

Jeder Vertragsstaat hat juristische Personen, die ihren Sitz in seinem Hoheitsgebiet haben oder nach seinem Recht gegründet wurden, straf-, zivil- oder verwaltungsrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, wenn eine für die Leitung oder Kontrolle dieser juristischen Person zuständige Person in dieser Eigenschaft eine im SUAÜbereinkommen 2005 genannte Straftat begangen hat.

Die Anhaltung und die Durchsuchung von Schiffen in internationalen Gewässern sowie die Befragung einer an Bord befindlichen Person durch einen Vertragsstaat ist möglich, sofern das Schiff oder die Person im Verdacht steht, in eine terroristische Straftat verwickelt zu sein und der Flaggenstaat hierzu ausdrücklich seine Zustimmung erteilt. Die Vertragsstaaten werden ermutigt, genormte Vorgehensweisen für gemeinsame Einsätze zu schaffen und Vereinbarungen zur erleichterten Durchführung der Strafverfolgungseinsätze zu erarbeiten.

4.1.5

Würdigung

Das Änderungsprotokoll von 2005 novelliert das SUA-Übereinkommen und verfeinert die Strategie gegen terroristische Angriffe zur See. Die Schweiz hat ein Interesse daran, durch den Beitritt zum Protokoll das internationale Regel- und Netzwerk zur Bekämpfung terroristischer Anschläge gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt zu stärken und zu vergrössern. Die Schweiz demonstriert dadurch auch als Binnenland mit einer kleinen Hochseeflotte ihre Solidarität mit denjenigen Staaten, die mit Terrorismus zur See konfrontiert sind. Letztlich bekräftigt sie durch den Beitritt gegenüber der Staatengemeinschaft auch ihre Bereitschaft, solche Delikte verhindern und strafrechtlich verfolgen zu wollen und diesbezüglich mit anderen Staaten zusammenzuarbeiten.

64

Alle im SUA-Übereinkommen 2005 diesbezüglich aufgelisteten völkerrechtlichen Übereinkommen sind von der Schweiz ratifiziert worden.

1196

4.2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des geänderten SUA-Übereinkommens vom 14. Oktober 200565

4.2.1

Art. 1 (Definition)

Die durch Artikel 2 des Änderungsprotokolls in Artikel 1 des SUA-Übereinkommens 2005 neu eingeführten Definitionen ermöglichen eine eindeutige Auslegung der neuen Artikel, namentlich die Straftatbestände der Artikel 3, 3bis, 3ter und 3quater.

Erforderlich machte die umfangreiche Erweiterung des Definitionskatalogs vor allem die Aufnahme von biologischen und chemischen Waffen und ihrer Bestandteile sowie von toxischen Chemikalien in das Änderungsprotokoll. Ebenfalls genauer umschrieben werden die von solchen Waffen verursachten Schäden.

4.2.2

Art. 2bis (Vorbehalt des Völkerrechts und Ausschluss der Streitkräfte)

Nach Artikel 3 des Änderungsprotokolls lässt das SUA-Übereinkommen 2005 gemäss Artikel 2bis Absätze 1 und 3 die sonstigen Rechte, Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten aus dem Völkerrecht unberührt, so namentlich den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen und das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen.

Nach Artikel 3 des Änderungsprotokolls findet das SUA-Übereinkommen 2005 keine Anwendung auf Handlungen von Streitkräften während eines bewaffneten Konflikts im Sinne des humanitären Völkerrechts, die von jenem Recht erfasst werden, und auf die Tätigkeiten, die Streitkräfte eines Staates in Erfüllung ihrer dienstlichen Pflichten ausüben, soweit sie von anderen Regeln des Völkerrechts erfasst sind (Art. 2bis Abs. 2). Entsprechende Klauseln finden sich auch in andern Anti-Terror-Übereinkommen der UNO, nämlich im Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge sowie im Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen und in der Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial, die beide Gegenstand dieser Botschaft sind. Im Unterschied zu diesen Übereinkommen weist das Änderungsprotokoll keinen Zusatz auf, der eine Ausnahme der Streitkräfte von seinem Anwendungsbereich unter den Vorbehalt stellt, dass ansonsten rechtswidrige Handlungen dadurch weder entschuldigt oder für rechtmässig erklärt werden, noch dass dadurch die Strafverfolgung nach anderen Gesetzen verhindert wird.

Wie bereits oben dargelegt wurde, entspricht es der konstanten Auffassung der Schweiz, solche Ausnahmen für Handlungen bestimmter Personenkategorien nur zu akzeptieren, wenn diese Handlungen durch das humanitäre Völkerrecht erfasst werden oder keine Verletzung des Völkerrechts darstellen. Entsprechend hat sie sich in den letzten zehn Jahren im Sinne einer Minimalgarantie stets für die Aufnahme 65

Die nachfolgenden Artikel in den Überschriften beziehen sich auf die Nummerierung im SUA-Übereinkommen 2005 und nicht auf die Artikel des Änderungsprotokolls von 2005.

Sofern im Text auf diese verwiesen wird, werden sie als Artikel des Änderungsprotokolls bezeichnet.

1197

dieses Zusatzes gegen die Straflosigkeit in internationale Übereinkommen gegen den Terrorismus eingesetzt66. Auch für die Verhandlungen über die Revision des SUAÜbereinkommens und über das SUA-Protokoll hatte der Bundesrat ein entsprechendes Mandat erteilt. Es ist der Schweiz aber wegen des allseitigen Drucks, die Verhandlungen möglichst schnell abzuschliessen, nicht gelungen, diese Garantie zur Verhinderung der Straflosigkeit ausdrücklich im Text des Änderungsprotokolls zu verankern. Das übergeordnete Interesse an der Annahme des Änderungsprotokolls im Konsens liess die Schweiz ihre Position nicht aufrechterhalten. Nach Auffassung des Bundesrates ist diese Lücke aber bedauerlich, sendet sie doch ein falsches Signal aus, dass de facto terroristische Handlungen der Streitkräfte in Friedenszeiten nicht dem SUA-Übereinkommen 2005 unterstellt sind, wenn diese durch nicht näher definierte Regeln des Völkerrechts erfasst werden. Der Bundesrat schlägt daher vor, gestützt auf die kohärente und konstante Praxis der Schweiz bei der Ausarbeitung internationaler Übereinkommen gegen den Terrorismus und in Übereinstimmung mit anderen sektoriellen Übereinkommen im Anti-Terror-Bereich anlässlich des Beitritts der Schweiz zum Änderungsprotokoll eine Erklärung abzugeben, wonach im SUA-Übereinkommen 2005 weder ansonsten rechtswidrige Handlungen entschuldigt oder rechtmässig werden noch dadurch die strafrechtliche Verfolgung nach anderen Gesetzen verhindert wird. Diese Erklärung hätte zur Folge, dass die Schweiz das SUA-Übereinkommen 2005 zum Beispiel bei einem Sprengstoffanschlag gegen ein Schiff der Schweizer Hochseeflotte auch dann zur Anwendung bringen würde, wenn ein anderer Staat die Anwendung deshalb verneint, weil ein Delikt von seinen Streitkräften begangen wird und er diese nicht nach anderen Regeln des Völkerrechts verfolgt.

4.2.3

Art. 3 Abs. 1 Bst. f und 2, Art. 3bis, 3ter und 3quater (Straftatbestände)

Eine bedeutende Erweiterung betrifft in Artikel 4 des Änderungsprotokolls die strafrechtlich verfolgbaren Handlungen. Gemäss dieser Bestimmung wird Buchstabe g aus Artikel 3 des SUA-Übereinkommens gestrichen, und der geänderte Absatz 2 bestraft jede Person, die unter gewissen Bedingungen droht, eine der Straftaten nach Artikel 3 zu begehen. Der neue Artikel 3bis bestraft einerseits Personen, die auf einem Schiff oder gegen ein Schiff Waffen oder gefährliches Material einsetzen bzw. von einem Schiff aus solche auslösen (vor allem Sprengsätze, radioaktives Material, ABC-Waffen, Öl), um eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen, und andererseits Personen, die an Bord eines Schiffes Waffen oder gefährliches Material befördern. Artikel 3ter bestraft Personen, die andere Personen, welche vom Übereinkommen oder von den im Anhang aufgezählten Verträgen vorgesehene Straftaten begangen haben, mit der Absicht befördern, sie der Strafverfolgung zu entziehen. Artikel 3quater bestraft den Versuch, die Mittäterschaft und die Anstiftung.

Die geltenden schweizerischen Strafnormen erfüllen die Anforderungen des SUAÜbereinkommens von 2005 vollständig. Die Bestimmungen des Besonderen Teils des StGB über Vergehen gegen Leib und Leben, gegen Vermögen, gegen Freiheit und gegen öffentlichen Verkehr oder über Verbrechen, die eine Gemeingefahr 66

Vgl. oben Ziff. 2.2.4 und 3.2.6.

1198

schaffen oder Verbrechen gegen den Staat und die nationale Sicherheit, sind auf die im Änderungsprotokoll genannten Straftaten anwendbar. Ebenso sind Artikel 34 KMG, die Artikel 37 und 38 des Sprengstoffgesetzes vom 25. März 197767, die Artikel 43 und 44 StSG, die Artikel 88 und 89 KEG sowie die Artikel 128­129a SSG anwendbar. Zudem werden Versuch, Mittäterschaft und Anstiftung nach den Artikeln 21 ff. und 260bis StGB ebenfalls bestraft. Die Drohung, Straftaten zu Zwecken der Nötigung zu begehen, ist durch die Artikel 180, 181, 258, 285 und 286 StGB abgedeckt.

4.2.4

Art. 5bis (Verantwortlichkeit juristischer Personen)

Der neue Artikel 5bis des SUA-Übereinkommens von 2005 (Art. 5 des Änderungsprotokolls) verlangt von den Vertragsstaaten, dass sie die notwendigen Massnahmen treffen, damit eine juristische Person zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn eine Straftat im Anwendungsbereich des Übereinkommens begangen wird, wobei gemäss dieser Bestimmung die Verantwortlichkeit straf-, zivil- oder verwaltungsrechtlicher Art sein kann. Diese Verantwortlichkeit besteht unbeschadet der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Einzelpersonen, welche die Straftat begangen haben.

Artikel 102 Absatz 1 StGB führt eine allgemeine subsidiäre strafrechtliche Verantwortlichkeit der juristischen Person ein, wenn das Verbrechen oder Vergehen wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden kann. Absatz 2 führt eine primäre Verantwortlichkeit für gewisse Straftaten ein, wenn dem Unternehmen vorzuwerfen ist, dass es nicht alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehren getroffen hat, um eine solche Straftat zu verhindern. Diese Bestimmung entspricht also nicht vollständig den Anforderungen des Übereinkommens, denn sie erlaubt keine parallele Verfolgung der juristischen und der natürlichen Person. Dieser Mangel wird aber durch die möglichen zivilrechtlichen (namentlich zivilrechtliche Verantwortlichkeitsklage nach den Art. 41 ff. des Zivilgesetzbuchs68) und verwaltungsrechtlichen Massnahmen (namentlich Rückzug des Seebriefes oder aussergewöhnliche Sicherheitsmassnahmen von Art. 44 SSG in Zusammenhang mit Art. 6 SSG) gegen die juristische Person, die das beanstandete Schiff betreibt, bei Weitem kompensiert, sodass keine zusätzlichen Bestimmungen nötig sind.

4.2.5

Art. 6 Abs. 4 (Aut dedere, aut iudicare)

Artikel 6 Absatz 4 des SUA-Übereinkommens von 2005 (Art. 6 Abs. 3 des Änderungsprotokolls) festigt den internationalen Grundsatz aut dedere, aut iudicare. Er verlangt vom ersuchten Staat, ein Auslieferungsverfahren bzw., wenn er den Verdächtigen nicht ausliefert, wegen der Schwere der vom Übereinkommen abgedeckten Straftaten ein Strafverfahren zu eröffnen und zu verhindern, dass der Urheber der terroristischen Straftat einer angemessenen Strafe entkommt. Für Details wird auf

67 68

SR 941.41 SR 210

1199

die entsprechenden Ausführungen zu Artikel 11 des Internationalen Übereinkommens vom 13. April 2005 zur Bekämpfung des Nuklearterrorismus verwiesen69.

4.2.6

Art. 8bis (Informationsaustausch, Zusammenarbeit, Anhalten und Untersuchen eines Schiffes)

Begegnen befugte Beamte eines Vertragsstaats seewärts des Küstenmeeres eines Staates einem Schiff, das die Flagge eines anderen Vertragsstaats führt, und besteht Anlass zum Verdacht, dass das Schiff oder eine an Bord des Schiffes befindliche Person im Zusammenhang mit einer in Artikel 3, 3bis, 3ter oder 3quater genannten Straftat steht, so können die Beamten das Schiff nach dem neuen Verfahren gemäss Artikel 8bis des SUA-Übereinkommens 2005 (Art. 8 Abs. 2 des Änderungsprotokolls) anhalten, durchsuchen und die an Bord befindlichen Personen befragen, wenn der Flaggenstaat dieses Schiffes dies ausdrücklich genehmigt. Dazu notifiziert die ersuchende Partei den Flaggenstaat unter Angabe aller bekannten Informationen über das Schiff und kann eine schnelle Antwort des Flaggenstaates erwarten. Dieser kann das Ersuchen ablehnen, vorbehaltlos genehmigen, die Genehmigung von einer Bedingung abhängig machen, an der Durchsuchung teilnehmen oder sie selber durchführen. Die Vertragsstaaten können dem IMO-Generalsekretär im Voraus eine allgemeine Genehmigung für diese Fälle mit oder ohne Bedingung notifizieren. Die Durchsuchungsorgane Dritter müssen von ihrer Regierung ordentlich ermächtigt sein und sollen auf Gewalt verzichten. Beim Anhalten des Schiffes auf See und bei der Durchsuchung der Ladung sind die Schwierigkeiten und Gefahren des sogenannten «Boarding» zu berücksichtigen.

Werden bei der Durchsuchung Beweise gefunden, wonach ein Verstoss gegen das Übereinkommen vorliegt, so kann der Flaggenstaat das vorläufige Festhalten des Schiffes, der Ladung und der an Bord befindlichen Personen genehmigen. Zusätzliche Massnahmen sind seitens des ersuchenden Vertragsstaats zur Abwendung unmittelbarer Gefahr für das Leben von Personen möglich. Gewalt ist im Allgemeinen zu vermeiden und, falls dennoch erforderlich, verhältnismässig anzuwenden.

Der die Massnahmen ausführende Vertragsstaat trifft dazu verschiedene Sicherungsmassnahmen und haftet für Schäden, Verletzungen und Verluste, wenn die Massnahmen widerrechtlich vorgenommen wurden oder sich der Verdacht als unbegründet erweist. Der Flaggenstaat kann seine Gerichtsbarkeit für anwendbar erklären oder in die Ausübung der Gerichtsbarkeit eines anderen Vertragsstaates einwilligen. Die Vertragsstaaten arbeiten so weit wie irgend möglich zusammen, um vom SUA-Übereinkommen
erfasste widerrechtliche Handlungen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zu verhüten und zu bekämpfen und werden ermutigt, genormte Vorgehensweisen für gemeinsame Einsätze nach diesem Artikel zu schaffen und Vereinbarungen zur erleichterten Durchführung der Strafverfolgungseinsätze zu erarbeiten.

Auf der Basis dieser Bestimmung haben die USA beispielsweise mit einer Anzahl von Staaten sogenannte «Boarding Agreements» abgeschlossen. Dieses Instrument erlaubt die gegenseitige Kontrolle von Schiffen ohne ausdrückliche Ermächtigung durch den Flaggenstaat. Der durchsuchende Staat muss diesen jedoch vorgängig über die Durchsuchung informieren. Der Flaggenstaat hat das Recht, im konkreten 69

Vgl. oben Ziff. 2.2.8.

1200

Einzelfall die Durchsuchung eines Schiffes zu verbieten. Ob ein solches Verbot in concreto durchgesetzt werden kann, ist eher zu bezweifeln. Für die Schweiz besteht jedenfalls keine Veranlassung, mit Drittstaaten ein «Boarding Agreement» abzuschliessen. Sollte ein unter Schweizer Flagge fahrendes Schiff verdächtigt werden, so müssten somit vorgängig zwingend die schweizerischen Behörden um Ermächtigung angegangen werden, weil ein schweizerisches Schiff auf Hoher See unter Schweizer Rechtshoheit steht.

4.2.7

Art. 10 Abs. 2 (Menschenrechtliche Garantien)

Diese Bestimmung (Art. 9 des Änderungsprotokolls) ist fester Bestandteil verschiedener jüngerer Anti-Terrorübereinkommen der UNO. Sie entspricht unter anderem auch Artikel 12 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen, weshalb hier auf die dortigen Ausführungen verwiesen wird70.

4.2.8

Art. 11 (Auslieferung)

Artikel 11 Absätze 1­4 des SUA-Übereinkommens von 2005 (Art. 10 des Änderungsprotokolls) regelt die Folgen des Übereinkommens für die geltenden Auslieferungsinstrumente bzw. solche, die zwischen Vertragsstaaten des Übereinkommens abgeschlossen werden. Da das IRSG bereits die Möglichkeit einer Zusammenarbeit bei jeder Straftat vorsieht, stellt diese Bestimmung für unser Land keine Schwierigkeit dar. Für Einzelheiten wird auf die Ausführungen zu Artikel 13 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung des Nuklearterrorismus verwiesen71. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die Auslieferung den vom innerstaatlichen Recht des ersuchten Staates vorgesehenen Bedingungen unterliegt. Bei den Voraussetzungen, die in der Schweiz für eine Auslieferung bestehen, sind die doppelte Strafbarkeit72 sowie die namentlich in der EMRK und im UNO-Pakt II genannten Menschenrechtsgarantien zu erwähnen. Absatz 4 schliesslich will verhindern, dass die einer im Übereinkommen genannten Straftat verdächtigte Person der Strafverfolgung entkommen kann.

4.2.9

Art. 11bis und 11ter («Entpolitisierungs»und Nichtdiskriminierungs-Klauseln)

Die Artikel 11bis und 11ter des SUA-Übereinkommens von 2005 (Art. 10 Abs. 2 und 3 des Änderungsprotokolls) übernehmen den Inhalt der Artikel 15 und 16 des Internationalen Übereinkommens vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearter-

70 71 72

Vgl. oben Ziff. 2.2.9.

Vgl. oben Ziff. 2.2.10.

Die Dauer der freiheitsbeschränkenden Sanktion, mit der die Tat bestraft wird, muss nach Art. 35 Bst. a IRSG mindestens ein Jahr betragen. In Bezug auf die terroristischen Straftaten nach Art. 2 des Übereinkommens bereitet dies keine Probleme, da diese gemäss dieser Anforderung alle bestraft werden.

1201

roristischer Handlungen. Es wird deshalb auf die entsprechenden Ausführungen verwiesen (vgl. Ziff. 2.2.12).

4.2.10

Art. 12 Abs. 1 (Rechtshilfe)

Artikel 12 Absatz 1 (Art. 11 des Änderungsprotokolls) erweitert in Absatz 1 den Anwendungsbereich des Übereinkommens auf die neuen, vom Protokoll hinzugefügten Straftaten, für die es angezeigt ist, Rechtshilfe in Strafsachen zu gewähren.

4.2.11

Art. 12bis (Zeitweise Überstellung inhaftierter Personen)

Artikel 12bis des SUA-Übereinkommens von 2005 (Art. 11 Abs. 2 des Änderungsprotokolls) regelt die zeitweise Überstellung von inhaftierten Personen; diese dient der Identifizierung oder Zeugenaussage oder dazu, dass inhaftierte Personen ihren Beitrag zu Abklärungen im Rahmen einer Untersuchung oder von Strafverfahren gemäss den im Protokoll angefügten Straftaten leisten. Die in Bezug auf Artikel 17 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung des Nuklearterrorismus gemachten Ausführungen gelten auch für die vorliegende Bestimmung73.

4.2.12

Art. 13 und 14 (Verhütung von Straftaten)

Bei den Massnahmen, die eine Verhütung der in den Artikel 13 und 14 des SUAÜbereinkommens von 2005 (Art. 12 und 13 des Änderungsprotokolls) vorgesehenen neuen Straftaten ermöglichen sollen, sind verschiedene Massnahmen aus dem IRSG zu erwähnen, deren Wirksamkeit in Zusammenarbeitsverfahren vielfach erwiesen wurde. Eine dieser Massnahmen ist die unaufgeforderte Übermittlung von Beweismitteln und Informationen im Sinne von Artikel 67a IRSG. Diese Bestimmung ermöglicht der schweizerischen Strafverfolgungsbehörde, unter gewissen Bedingungen einer ausländischen Behörde unaufgefordert Beweismittel zu übermitteln, die sie im Lauf ihrer eigenen Untersuchung gesammelt hat, wenn sie glaubt, dass diese Übermittlung die Einleitung eines Strafverfahrens ermöglicht oder eine hängige Strafuntersuchung erleichtern kann74. Eine andere Massnahme ist die Möglichkeit, gemäss den gesetzlich festgelegten Bedingungen vorläufige Massnahmen anzuordnen ­ ein typisches Beispiel dafür ist das Sperren von Konten ­, um einen bestehen-

73 74

Vgl. oben Ziff. 2.2.13.

Die Übermittlung eines Beweismittels an einen Staat, gegenüber dem die Schweiz nicht durch eine internationale Vereinbarung gebunden ist, bedarf der Zustimmung des Bundesamtes für Justiz (Art. 67a Abs. 3). Informationen, die den Geheimbereich betreffen, können übermittelt werden, wenn sie die Einreichung eines Rechtshilfeersuchens an die Schweiz ermöglichen (Art. 67a Abs. 5). Jede unaufgeforderte Übermittlung muss in einem Protokoll festgehalten werden (Art. 67a Abs. 6).

1202

den Zustand zu erhalten, bedrohte rechtliche Interessen zu wahren oder Beweismittel zu sichern75.

4.2.13

Art. 17­24 (Schlussklauseln)

Nach Artikel 15 des Änderungsprotokolls werden das SUA-Übereinkommen von 1988 und das Änderungsprotokoll von 2005 zwischen den Vertragsparteien des Änderungsprotokolls als eine einzige Übereinkunft angesehen und ausgelegt. Diese Übereinkunft wird als «SUA-Übereinkommen 2005» bezeichnet und setzt sich aus den Artikeln 1­16 des revidierten Übereinkommens und den Artikeln 17­24 des Änderungsprotokolls sowie dessen Anlage zusammen. Ist demzufolge im Anwendungsfall ein Staat nur Vertragspartei des Übereinkommens von 1988, nicht aber des Änderungsprotokolls von 2005, so gilt zwischen den Parteien nur das SUA-Übereinkommen von 1988. Entsprechend werden in der SR das SUA-Übereinkommen von 1988 und das SUA-Übereinkommen 2005 mit unterschiedlichen Nummern zu führen sein.

Nach Artikel 16 des Änderungsprotokolls bestimmt der neue Artikel 16bis des SUAÜbereinkommens 2005, dass als dessen Schlussklauseln die Artikel 17­24 des Änderungsprotokolls von 2005 gelten.

Das Änderungsprotokoll stand vom 14. Februar 2006 bis zum 13. Februar 2007 am Sitz der IMO in London zur Unterzeichnung offen (Art. 17). Nach Ablauf dieser Frist kann ein Staat dem Änderungsprotokoll nur noch beitreten. Die Schweiz wird dem Änderungsprotokoll nach der Genehmigung durch das Parlament direkt beitreten.

Die übrigen Schlussklauseln des Änderungsprotokolls entsprechen weitgehend den bisherigen Bestimmungen des SUA-Übereinkommens von 1988 beziehungsweise den in völkerrechtlichen Übereinkommen üblichen Schlussbestimmungen hinsichtlich Inkrafttreten, Kündigung und Änderung.

75

Art. 18 IRSG. Folgende Bedingungen sieht das Gesetz vor: Wenn Gefahr im Verzug ist und mit den übermittelten Angaben überprüft werden kann, ob alle Voraussetzungen gegeben sind, kann das Bundesamt für Justiz nach Ankündigung eines Ersuchens vorläufige Massnahmen anordnen; diese Massnahmen werden aufgehoben, wenn der ausländische Staat nicht innert der gesetzten Frist das Ersuchen einreicht (Art. 18 Abs. 2 IRSG).

1203

5

Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden

5.1

Grundzüge des Änderungsprotokolls

5.1.1

Ausgangslage

5.1.1.1

Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden

Das Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel76 befinden, wurde gleichzeitig mit dem SUA-Übereinkommen von 1988 angenommen77. Das Übereinkommen und das Protokoll bilden eine Einheit. Weil feste Plattformen auf dem Festlandsockel nicht mit schwimmendem Gerät vergleichbar sind, aber ebenfalls von terroristischen Angriffen bedroht sein können, einigte sich die diplomatische Konferenz im Jahre 1988, diesen Gesichtspunkten in einem separaten Protokolls Rechnung zu tragen. Die Schweiz hatte das Protokoll von 1988 am 12. März 1993 ratifiziert78. Am 10. Juni 1993 trat es für sie in Kraft. Am 30. September 2007 umfasste das Protokoll von 1988 135 Vertragsstaaten.

5.1.1.2

Entwicklungen seit 1988

Die Zunahme der terroristischen Bedrohung79 nicht nur zu Land und zur Luft, sondern auch zur See machte eine Anpassung des internationalen rechtlichen Rahmens zum Schutz von festen Plattformen notwendig. Diese erfolgte durch das vorliegende SUA-Protokoll über feste Plattformen 2005. Bis zum Ende der Unterzeichnungsperiode am 13. Februar 2007 hatten 18 Staaten das Änderungsprotokoll unter dem Vorbehalt der Ratifikation unterzeichnet80. Die UNO-Generalversammlung hat die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, das Änderungsprotokoll als prioritäre Angelegenheit zu ratifizieren81.

76

77 78 79 80

81

Der Festlandsockel ist der in der Regel bis zu 200 Seemeilen von der Küste entfernte Abschnitt zwischen dem Küstenmeer und der Hohen See (vgl. die Definition in Art. 76 des UNO-Seerechtsübereinkommens von 1982).

Vgl. zur Ausgangslage oben Ziff. 4.1.1.1.

SR 0.747.711 Vgl. dazu oben Ziff. 4.1.1.2.

Australien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Neuseeland, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien, die Türkei, die USA und das Vereinigte Königreich.

Vgl. Resolution der UNO-Generalversammlung (A/RES/61/40) vom 4. Dez. 2006.

1204

5.1.2

Verlauf der Verhandlungen zur Änderung des Protokolls

Die Verhandlungen über das Änderungsprotokoll zum Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, wurden gleichzeitig mit den Verhandlungen über das Änderungsprotokoll zum Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt geführt und boten inhaltlich keinen Grund zu Meinungsverschiedenheiten. Das Änderungsprotokoll wurde am 14. Oktober 2005 an einer diplomatischen Konferenz der Mitgliedstaaten unter Teilnahme der Schweiz verabschiedet82.

5.1.3

Verhandlungsergebnis

Das ursprüngliche SUA-Protokoll von 1988 und das Änderungsprotokoll von 2005 werden von den Vertragsparteien als eine einzige Übereinkunft angewendet, die den Titel «Protokoll von 2005 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden» trägt und kurz als «SUA-Protokoll über feste Plattformen 2005» bezeichnet wird.

Das Verhandlungsergebnis erfüllt die Anliegen der Schweiz in Bezug auf die Bestimmtheit der neuen Straftatbestände. Wie bereits beim SUA-Übereinkommen 2005 werden auch hier83 Streitkräfte vom Anwendungsbereich des Protokolls ausgenommen, im Gegensatz zu anderen Anti-Terror-Übereinkommen der UNO indes nicht durch einen jeweils von der Schweiz verlangten Zusatz ergänzt, wonach diese Ausnahme nicht zur Straflosigkeit führen darf. Es ist deshalb beabsichtigt, anlässlich des Beitritts der Schweiz zum Änderungsprotokoll von 2005 zum Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt eine entsprechende Erklärung abzugeben84.

5.1.4

Überblick über den Inhalt des Änderungsprotokolls

Feste Plattformen können nicht nur als Angriffsobjekt, sondern auch als Waffenträger oder Waffenstellung missbraucht werden. Das Änderungsprotokoll will in erster Linie sicherstellen, dass die Vertragsstaaten innerstaatlich über effektive Strafgesetze zur Verfolgung terroristischer Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen verfügen und so weit wie möglich zusammenarbeiten, um die vom SUA-Protokoll über feste Plattformen 2005 erfassten widerrechtlichen Handlungen zu verhüten und zu bekämpfen.

Neu stellt das Änderungsprotokoll insbesondere folgende Tatbestände unter Strafe: ­

82 83

84

das Einsetzen oder Auslösen von Sprengsätzen, radioaktivem Material, biologischen Waffen, chemischen Waffen oder Kernwaffen gegen eine feste LEG/CONF.15/22.

Vgl. den Verweis in Art. 2 des Änderungsprotokolls betreffend Anwendbarkeit von Art. 2bis des SUA-Übereinkommens 2005 auf das SUA-Protokoll über feste Plattformen 2005.

Vgl. hierzu ausführlich oben Ziff. 4.2.2 sowie die Erläuterungen in Fussnote 86.

1205

Plattform oder von einer festen Plattform aus, die den Tod, schwere Körperverletzungen oder Schäden verursachen oder verursachen können und bezwecken, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen; ­

das Einleiten von Öl, verflüssigtem Erdgas oder eines anderen gefährlichen oder schädlichen Stoffes von einer festen Plattform aus, das den Tod eines Menschen, schwere Körperverletzungen oder Schäden verursacht oder verursachen kann, mit dem Zweck, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen; sowie

­

die Verletzung oder Tötung einer Person im Zusammenhang mit der Begehung einer der genannten Straftatbestände.

5.1.5

Würdigung

Das Änderungsprotokoll 2005 ergänzt das Protokoll von 1988 durch verschiedene Straftatbestände, die den Schutz von festen Plattformen vor terroristischen Angriffen verbessern sollen. Die Schweiz hat ein Interesse daran, die internationalen Bemühungen zur Verbesserung des rechtlichen Netzwerks gegen den Terrorismus durch ihren Beitritt zu unterstützen.

5.2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Protokolls vom 14. Oktober 200585

5.2.1

Art. 1 Abs. 1 (Verweis)

Wie bereits das SUA-Protokoll von 1988 verweist das Änderungsprotokoll 2005 (Art. 2) auf Bestimmungen des Übereinkommens zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt sowie dessen geänderte Fassung und erklärt gewisse Bestimmungen auf das SUA-Protokoll über feste Plattformen 2005 für sinngemäss anwendbar. Der Verweis beinhaltet Definitionen (Art. 1), den Vorbehalt des Völkerrechts und den Ausschluss der Streitkräfte (Art. 2bis)86, den Anwendungsbereich, die Verantwortlichkeit juristischer Personen (Art. 5bis), die Untersuchungspflicht und den konsularischen Schutz (Art. 7) sowie Rechtshilfe- und Auslieferungsbestimmungen (Art. 10­16). Diese Bestimmungen sind auf die in diesem Protokoll genannten Straftaten anwendbar, wenn sie auf festen Plattformen auf dem Festlandsockel oder gegen solche Plattformen begangen werden.

85

86

Die nachfolgenden Artikel in den Überschriften beziehen sich auf die Nummerierung im SUA-Protokoll über feste Plattformen 2005 und nicht auf die Artikel des Änderungsprotokolls von 2005. Sofern im Text auf diese verwiesen wird, werden sie als Artikel des Änderungsprotokolls bezeichnet.

Die Erklärung über die Verhinderung der Straflosigkeit anlässlich des Beitritts zum Protokoll von 2005 zum Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt (vgl. oben Ziff. 4.2.2) gilt auch für das SUAProtokoll über feste Plattformen 2005, da letzteres für die Ausnahme der Streitkräfte auf die Anwendbarkeit von Art. 2bis des SUA-Übereinkommens 2005 verweist.

1206

5.2.2

Art. 2 Abs. 1 Bst. d und 2, Art. 2bis und 2ter (Straftatbestände)

Das Änderungsprotokoll (Art. 3 und 4) nimmt die gleichen Anpassungen wie im SUA-Übereinkommen von 2005 vor. Der neue Artikel 2bis des SUA-Protokolls von 2005 über feste Plattformen übernimmt die in Artikel 3bis des Übereinkommens aufgeführten Handlungen, wenn sie gegen eine feste Plattform gerichtet sind oder von einer festen Plattform aus begangen werden. Artikel 2ter bestraft auch den Versuch, die Mittäterschaft und die Anstiftung. Alle diese Straftaten sind vom schweizerischen Strafrecht abgedeckt, ebenso wie diejenigen, die Gegenstand des Übereinkommens sind87.

5.2.3

Art. 3 Abs. 4 (Aut dedere, aut iudicare)

Artikel 3 Absatz 4 des SUA-Protokolls von 2005 über feste Plattformen (Art. 5 Abs.

3 des Änderungsprotokolls) verankert den internationalen Grundsatz aut dedere, aut iudicare. Für Details wird auf die entsprechenden Ausführungen zu Artikel 11 des Internationalen Übereinkommens vom 13. April 2005 zur Bekämpfung des Nuklearterrorismus verwiesen88.

5.2.4

Art. 6­13 (Schlussklauseln)

Nach Artikel 6 des Änderungsprotokolls werden das SUA-Protokoll von 1988 und das Änderungsprotokoll von 2005 zwischen den Vertragsparteien des Änderungsprotokolls als eine einzige Übereinkunft angesehen und ausgelegt. Diese Übereinkunft wird als «SUA-Protokoll über feste Plattformen 2005» bezeichnet und setzt sich aus den Artikeln 1­4 des revidierten Protokolls und den Artikeln 8­13 des Änderungsprotokolls zusammen. Ist demzufolge im Anwendungsfall ein Staat nur Vertragspartei des Protokolls von 1988, nicht aber des Änderungsprotokolls von 2005, so gilt zwischen den Parteien nur das SUA-Protokoll von 1988. Entsprechend werden in der SR das SUA-Protokoll von 1988 und das SUA-Protokoll über feste Plattformen 2005 mit unterschiedlichen Nummern zu führen sein.

Nach Artikel 7 des Änderungsprotokolls bestimmt der neue Artikel 4bis des SUAProtokolls über feste Plattformen 2005, dass als dessen Schlussklauseln die Artikel 8­13 des Änderungsprotokolls von 2005 gelten.

Das Änderungsprotokoll stand vom 14. Februar 2006 bis zum 13. Februar 2007 am Sitz der IMO in London zur Unterzeichnung offen (Art. 8). Nach Ablauf dieser Frist kann ein Staat dem Änderungsprotokoll nur noch beitreten. Die Schweiz wird dem Änderungsprotokoll nach der Genehmigung durch das Parlament direkt beitreten.

Die übrigen Schlussklauseln des Änderungsprotokolls entsprechen weitgehend den bisherigen Bestimmungen des SUA-Protokolls von 1988 bzw. den in völkerrechtlichen Übereinkommen üblichen Schlussbestimmungen hinsichtlich Inkrafttreten, Kündigung und Änderung.

87 88

Vgl. oben Ziff. 4.2.3.

Vgl. oben Ziff. 2.2.8.

1207

6

Auswirkungen

6.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund

Die Ratifikation der vier völkerrechtlichen Verträge dieser Vorlage bzw. der Beitritt zu ihnen lassen keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund erwarten. Der Bund ist bereits heute für Verbrechen mit typisch terroristischem Hintergrund weitgehend zuständig, mit Blick auf die vier völkerrechtlichen Instrumente dieser Vorlage insbesondere bei der Beteiligung oder Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Organisation oder bei Verbrechen, die von einer kriminellen oder terroristischen Organisation im Sinne von Artikel 260ter StGB ausgehen (Art. 337 StGB), bei Verwendung von Sprengstoffen (Art. 224­226 StGB) und Gefährdung durch Kernenergie, Radioaktivität und ionisierende Strahlen (Art.

226bis und 226ter StGB)89, bei unzulässiger Verfügung über Kernwaffen, biologische und chemische Waffen nach dem KMG (Art. 40), bei Straftaten nach dem KEG (Art. 100) und dem StSG (Art. 46). Neue Zuständigkeiten der Bundesgerichtsbarkeit werden daher nicht begründet. Mit zusätzlichen Strafverfahren ist nicht zu rechnen, da die gemäss den vier völkerrechtlichen Instrumenten dieser Vorlage zu bestrafenden Verhaltensweisen bereits nach geltendem Recht strafbar sind.

6.2

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Die Ratifikation der vier völkerrechtlichen Verträge dieser Vorlage bzw. der Beitritt zu ihnen lassen keine volkswirtschaftlichen Auswirkungen erwarten.

6.3

Auswirkungen auf die Kantone

Die Ratifikation der vier völkerrechtlichen Verträge dieser Vorlage bzw. der Beitritt zu ihnen lassen keine zusätzliche Auswirkungen auf die Kantone erwarten, da ­ wie bereits dargelegt ­ in den meisten Fällen mit terroristischem Hintergrund Bundesgerichtsbarkeit gegeben ist.

In Bezug auf terroristische Handlungen gegen oder mit Seeschiffen kennt das SSG die Besonderheit (vgl. Art. 15 Abs. 1), dass die an Bord eines schweizerischen Seeschiffes begangenen strafbaren Handlungen sowie die nach diesem Gesetz unter Strafe gestellten strafbaren Handlungen von den Behörden des Kantons Basel-Stadt zu verfolgen und zu beurteilen sind, sofern sie nicht der Bundesgerichtsbarkeit oder der Militärstrafgerichtsbarkeit unterliegen. Nach Artikel 337 StGB ist ­ wie bereits erwähnt ­ Bundesgerichtsbarkeit namentlich gegeben bei der Beteiligung oder Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Organisation oder bei Verbrechen, die von einer kriminellen oder terroristischen Organisation im Sinne von Artikel 260ter StGB ausgehen, wenn die Tat zu einem wesentlichen Teil im Ausland begangen wird. Die Bundesgerichtsbarkeit wird indes nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Schweiz über Schiffe, die unter Schweizer Flagge fahren, Rechtshoheit und Gerichtsbarkeit über Personen und Eigentum ausübt. Ein solches Schiff wird nach 89

Art. 336 Abs. 1 Bst. d StGB.

1208

schweizerischem Rechtsverständnis nicht zu einem fahrenden Landesteil90. Ein Delikt gemäss dem SUA-Übereinkommen erfolgt somit nicht im Inland, sodass Bundesgerichtsbarkeit nach Artikel 337 StGB bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zur Anwendung gelangt.

7

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die vier völkerrechtlichen Verträge dieser Vorlage, für die mit dieser Botschaft die Ratifikation bzw. der Beitritt beantragt wird, wurden allesamt im Jahre 2005 verabschiedet. Da sich die Verhandlungen teilweise über mehrere Jahre hinzogen, war im Zeitpunkt der Legislaturplanung 2003­2007 nicht vorhersehbar, wann die Verhandlungen zu einem Abschluss kommen würden. Aus diesem Grunde wurde die Ratifikation bzw. der Beitritt im Bericht über die Legislaturplanung 2003­200791 nicht angekündigt.

Die Ratifikation der vier völkerrechtlichen Verträge dieser Vorlage bzw. der Beitritt zu ihnen entsprechen jedoch dem bisherigen internationalen Engagement der Schweiz bei der Bekämpfung des Terrorismus. So hat die Schweiz alle zwölf bisherigen UNO-Übereinkommen und -Protokolle zur Bekämpfung des Terrorismus ratifiziert. In verschiedenen Resolutionen der UNO-Generalversammlung und des UNO-Sicherheitsrates werden die Staaten aufgerufen, diese völkerrechtlichen Instrumente möglichst bald zu ratifizieren. Nicht zuletzt trägt eine verbesserte internationale Zusammenarbeit im Bereich der Terrorismusbekämpfung, die mit den völkerrechtlichen Instrumenten dieser Vorlage angestrebt wird, zur Stärkung der inneren Sicherheit der Schweiz bei. Die Wahrung der Sicherheitsinteressen der Schweiz durch internationale Zusammenarbeit gehört zu den Zielen der Legislatur 2003­2007, und es liegt demnach im Interesse der Schweiz, ihr Augenmerk auf die Entwicklungen namentlich der UNO auszurichten.

8

Rechtliche Aspekte

8.1

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit der Bundesbeschlüsse zur Genehmigung des Internationalen Übereinkommens vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen, der Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial vom 8. Juli 2005 sowie der beiden Protokolle vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt und zum Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, beruht auf Artikel 54 Absatz 1 BV, der den Bund ermächtigt, völkerrechtliche Verträge abzuschliessen. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig.

90 91

BBl 1952 I 264 BBl 2004 1149

1209

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV werden völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum unterstellt, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2) oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesbesetzen erfordert (Ziff. 3).

Die vier völkerrechtlichen Verträge dieser Vorlage werden auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, können aber jederzeit unter Einhaltung einer Frist von 180 Tagen bzw. ein Jahr nach Eingang des Kündigungsschreibens beim Depositar gekündigt werden. Sie implizieren keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation. Es bleibt die Frage, ob sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder ob ihre Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. In Anlehnung an Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200292 gilt eine Bestimmung eines Staatsvertrags dann als rechtsetzend, wenn sie auf unmittelbar verbindliche und generell-abstrakte Weise Pflichten auferlegt, Rechte verleiht oder Zuständigkeiten festlegt. Wichtig ist eine solche Norm dann, wenn ihr Regelungsgegenstand im Landesrecht entsprechend Artikel 164 Absatz 1 Buchstaben a­g BV auf formellgesetzlicher Stufe geregelt werden müsste. Als wichtig anzusehen sind namentlich alle grundlegenden Bestimmungen über die Rechte und Pflichten von Personen, über die Einschränkungen verfassungsmässiger Rechte sowie über die Aufgaben und Leistungen des Bundes.

Die vier neuen völkerrechtlichen Verträge auferlegen den Vertragsstaaten als zentralen Punkt die Pflicht, Terrorakte gegen die nukleare und maritime Sicherheit zu verhindern und für den Fall, dass sich solche Verbrechen gleichwohl ereignen, die für die Strafverfolgung notwendigen Gesetzesbestimmungen zu erlassen. Weiter begründen die vier völkerrechtlichen Verträge zwischen den Vertragsstaaten Verpflichtungen im Bereich der Rechtshilfe und der Auslieferung. Diese Verpflichtungen haben auch Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten von Einzelpersonen.

Ausserdem verleihen sie den mit ihrer Anwendung beauftragten Behörden entsprechende Kompetenzen. Die Vertragsstaaten haben einen gewissen Spielraum bei der Umsetzung der meisten dieser Verpflichtungen, die Ziele sind jedoch konkret und genau umschrieben. Teilweise sind auch
die zu ergreifenden technischen Massnahmen im Einzelnen festgelegt. Für die Umsetzung der Verpflichtungen aus den vier völkerrechtlichen Verträgen müssen zwar keine Bundesgesetze erlassen werden ­ das StGB und weitere Bundesgesetze enthalten bereits die notwendigen Regelungen ­, massgeblich ist indes eine theoretische Betrachtungsweise, d.h. die Frage, ob der Erlass von Straf- oder Rechtshilfebestimmungen aufgrund der Ratifikation der vier völkerrechtlichen Verträge dieser Vorlage bzw. des Beitritts zu ihnen notwendig wäre, wenn das schweizerische Recht solche Bestimmungen nicht enthielte. Im vorliegenden Fall müssten zu deren Umsetzung tatsächlich Straf- oder Rechtshilfebestimmungen erlassen werden, wenn sie das schweizerische Recht nicht bereits vorsähe. Ratio legis ist, dass die Schweiz durch die Ratifikation bzw. den Beitritt völkerrechtlich gebunden ist und diese Strafbestimmungen nicht mehr ohne Rücksicht auf die staatsvertraglichen Verpflichtungen abändern oder aufheben kann.

Diese Bestimmungen müssen als wichtig angesehen werden, da sie nach Artikel 164 Absatz 1 BV nur in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden könnten, wenn sie auf nationaler Ebene erlassen werden müssten. Demzufolge unterstehen die Genehmigungsbeschlüsse der Bundesversammlung gemäss Artikel 141 Absatz 1 92

SR 171.10

1210

Buchstabe d Ziffer 3 BV dem fakultativen Referendum für völkerrechtliche Verträge.

8.2

Verhältnis zum europäischen Recht

8.2.1

Europäische Union

Die Massnahmen der Schweiz zur Bekämpfung des Terrorismus, namentlich ihre Bestrebungen, das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen und die Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial zu ratifizieren und den Änderungsprotokollen zum SUAÜbereinkommen und zum SUA-Protokoll von 1988 beizutreten, entsprechen den Massnahmen der EU in diesem Bereich. Die EU erachtet in ihrem mehrjährigen Arbeitsprogramm für die Stärkung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Haager Programm) die Bekämpfung des Terrorismus als eine ihrer Prioritäten. Die EU setzt sich gemäss ihrem Aktionsplan zur Bekämpfung des Terrorismus93 für eine möglichst schnelle Ratifikation und Umsetzung aller UNO-Übereinkommen und -Protokolle zur Bekämpfung des Terrorismus ein. In einer Gemeinsamen Aktion des Rates94 vom 12. Juni 2006 zur Unterstützung der Tätigkeiten der IAEO in den Bereichen nukleare Sicherheit und Verifikation im Rahmen der Umsetzung der Strategie der EU gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen nimmt die EU auf das Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen und die Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial Bezug und unterstützt deren Ratifikation. Entsprechend hat der Rat der Europäischen Union am 10. Juli 2007 den Beitritt der Europäischen Atomgemeinschaft zur Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial genehmigt95.

8.2.2

Europarat

Der Europarat unterstützt die Arbeit der Vereinten Nationen im Bereich der Terrorismusbekämpfung und hat wiederholt die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit zwischen Staaten und Organisationen betont. Am 15. Mai 2003 hat er das Protokoll zur Änderung des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus96 angenommen. Am 16. Mai 2005 hat er das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus97 verabschiedet, in dem Straftaten im Vorfeld von terroristischen Handlungen kriminalisiert werden und inhaltlich auf die bestehenden Anti-Terror-Übereinkommen der UNO Bezug genommen wird.

93 94 95 96 97

Vgl. Version vom 29. März 2007, Dok. Nr. 7233/1/07 REV 1.

2006/418/GASP, ABl. L 165 vom 17.6.2006, S. 20.

ABl. L 190 vom 21.7.2007, S.12.

Sammlung der Europäischen Verträge (SEV) Nr. 190. Die Schweiz hat das Protokoll am 7. Sept. 2006 ratifiziert.

SEV Nr. 196.

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