08.069 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Finanzierung von Vorsorgeeinrichtungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften) vom 19. September 2008

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft einen Entwurf zur Änderung des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) mit dem Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2004 M

03.3578

Sanierungsmassnahmen bei öffentlichen Kassen (S 4.12.03, Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit SR 03.060; N 1.3.04)

2002 M

02.3007

Sammelstiftungen. Neue Regelung (N 16.4.02, Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit NR 00.027; S 28.11.02)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. September 2008

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2008-0685

8411

Übersicht Heute im Teilkapitalisierungsverfahren finanzierte Vorsorgeeinrichtungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften (nachfolgend als ÖrVE bezeichnet) sollen innert 40 Jahren ausfinanziert und rechtlich sowie organisatorisch verselbstständigt werden.

Die meisten ÖrVE sind vollständig (Deckungsgrad mindestens 100 %) oder praktisch vollständig ausfinanziert (Deckungsgrad zwischen 91 % und 100 %). Bei Vorsorgeeinrichtungen, deren Deckungsgrad unter 91 % liegt, belief sich der Fehlbetrag Ende 2006 auf rund 14 Milliarden Franken; davon waren mehr als 210 000 Versicherte betroffen.

ÖrVE dürfen nach geltendem Recht im System der Teilkapitalisierung geführt werden. Sie müssen nicht vollständig ausfinanziert sein, weil wegen der Aufgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden bisher von einem stabilen Versichertenbestand (Perennität) ausgegangen wurde. Aufgrund demografischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen, namentlich der Privatisierung öffentlich-rechtlicher Aufgaben, kann jedoch künftig nicht mehr von einem stabilen Versichertenbestand ausgegangen werden. Deshalb stellt die Teilkapitalisierung langfristig kein tragbares Finanzierungsmodell für ÖrVE mehr dar. Es ist eine rechtliche Gleichbehandlung ÖrVE mit privatrechtlichen anzustreben. Aus diesem Grund sollen ÖrVE innert 40 Jahren (= eine Erwerbsgeneration) ausfinanziert werden. Bis zur vollständigen Ausfinanzierung können ÖrVE, die bei Inkrafttreten der vorgeschlagenen Regelung nicht ausfinanziert sind, im System der Teilkapitalisierung weitergeführt werden, sofern mindestens die Anforderungen des nachfolgend dargestellten Modells «differenzierter Zieldeckungsgrad» erfüllt sind. Im selben Zeitpunkt bereits vollkapitalisierte ÖrVE müssen hingegen im System der Vollkapitalisierung weitergeführt werden.

Das vorgeschlagene Finanzierungsmodell des differenzierten Zieldeckungsgrades trägt den unterschiedlichen finanziellen Ausgangssituationen der ÖrVE Rechnung.

Voraussetzung für die Weiterführung des Teilkapitalisierungssystems ist eine Bewilligung der zuständigen Aufsichtsbehörde. Die Bewilligung kann erteilt werden, sofern die ÖrVE über die Staatsgarantie eines Gemeinwesens und einen Finanzierungsplan verfügt, der die Strategie und die Frist für die Ausfinanzierung aufzeigt.

Die Einhaltung dieses Finanzierungsplanes ist durch die
zuständige Aufsichtsbehörde zu überprüfen. Nach spätestens 40 Jahren müssen alle gemischt finanzierten ÖrVE ausfinanziert sein. Bis dahin erstattet der Bundesrat dem Parlament alle 10 Jahre Bericht über die finanzielle Situation der ÖrVE, sodass die eidgenössischen Räte in zeitlicher Hinsicht gegebenenfalls Korrekturen vornehmen können.

Der Deckungsgrad, der für das im Einzelfall anwendbare Finanzierungssystem massgebend ist (Ausgangsdeckungsgrad), wird am Stichtag von jeder ÖrVE nach den fachlichen Empfehlungen des Experten für berufliche Vorsorge festgelegt.

Dabei müssen die Rentenverpflichtungen zu 100 % gedeckt sein. Der Ausgangsdeckungsgrad wird in Bezug auf die gesamten Verpflichtungen der Vorsorgeeinrich-

8412

tung (globaler Ausgangsdeckungsgrad) sowie in Bezug auf die Verpflichtungen gegenüber den aktiven Versicherten (Ausgangsdeckungsgrad Aktive) festgelegt.

Beide Sätze dürfen danach grundsätzlich nicht mehr unterschritten werden. Andernfalls muss die ÖrVE ­ analog zu den privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen ­ Sanierungsmassnahmen einleiten.

Rechtlich, organisatorisch und finanziell sollen ÖrVE aus der Verwaltungsstruktur herausgelöst und verselbstständigt werden. Dadurch erhält das oberste Organ eine möglichst weitgehende Autonomie. Es kann politisch unabhängig agieren und trägt die Verantwortung für das finanzielle Gleichgewicht. Im Gegenzug wird die Haftung des Gemeinwesens im Zusammenhang mit der Staatsgarantie in Art und Umfang präziser gefasst.

8413

Inhaltsverzeichnis Übersicht

8412

1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Aktuelle finanzielle und rechtliche Situation der ÖrVE 1.1.2 Übersicht über die finanzielle Lage der ÖrVE des Bundes und der Kantone 1.1.3 Ursachen von Fehlbeträgen bei ÖrVE 1.1.4 Veränderte demografische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen 1.1.5 Rechtsform und oberstes Organ der Vorsorgeeinrichtungen 1.1.6 Gründung und Ausgestaltung privatrechtlicher Vorsorgeeinrichtungen 1.1.7 Gründung und Ausgestaltung ÖrVE 1.1.8 Staatsgarantie 1.1.8.1 Begriff und Rechtsgrundlagen 1.1.8.2 Geltungsbereich der Garantie 1.1.9 Beitragspflicht gegenüber dem Sicherheitsfonds 1.1.10 Teilliquidation ÖrVE 1.1.11 Aufsicht über die ÖrVE 1.1.11.1 Organisation und Struktur der Aufsicht in den Kantonen 1.1.11.2 Allgemeine Aufgaben der Aufsicht 1.1.11.3 Besondere Aufgaben der Aufsicht 1.1.11.4 Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde 1.2 Probleme der heutigen Regelungen 1.2.1 Fehlende Unabhängigkeit von politischen Behörden 1.2.2 Mangelnde Kompetenzen des obersten Organs 1.2.3 Abhängigkeit der Aufsichtsbehörde 1.3 Zielsetzungen für ein künftiges Finanzierungsmodell 1.4 Untersuchte und verworfene Lösungsmöglichkeiten 1.4.1 Einhalten eines globalen Zieldeckungsgrades 1.4.2 Einfrieren der Unterdeckung 1.4.3 Kapitalisierung neuer Verpflichtungen 1.4.4 Nachteile der verworfenen Finanzierungsmodelle 1.5 Die beantragte Neuregelung 1.5.1 Ausfinanzierung innert 40 Jahren 1.5.2 Finanzierungsmodell des differenzierten Zieldeckungsgrades 1.5.3 Bewertung des vorgeschlagenen Finanzierungsmodells 1.5.4 Umsetzung des Finanzierungsmodells während der Ausfinanzierungsfrist 1.5.5 Finanzielle Auswirkungen für die Beteiligten 1.5.5.1 Finanzielle Auswirkungen für die einzelnen Vorsorgeeinrichtungen 1.5.5.2 Finanzielle Auswirkungen für die übrigen Beteiligten 1.5.6 Organisatorische Auswirkungen für Vorsorgeeinrichtungen 1.5.7 Staatsgarantie

8417 8417 8417

8414

8418 8419 8420 8420 8421 8422 8423 8423 8424 8425 8425 8426 8426 8427 8428 8429 8429 8429 8430 8430 8430 8431 8431 8433 8436 8437 8438 8438 8439 8442 8446 8447 8447 8450 8451 8452

1.5.7.1 Allgemeines 1.5.7.2 Bilanzierung und Verzinsung 1.5.7.3 Teilliquidation als Anwendungsfall der Garantie 1.5.7.4 Rahmenbedingungen zur Garantie im Allgemeinen 1.5.8 Beiträge an den Sicherheitsfonds 1.5.9 Rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen 1.5.9.1 Annäherung der Grundlagen von privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen 1.5.9.2 Sicherstellung und Begrenzung der Einflussmöglichkeiten des Gemeinwesens 1.5.9.3 Zusammenfassung 1.5.10 Aufgaben der Aufsichtsbehörde 1.5.11 Organisatorische, rechtliche und finanzielle Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde 1.6 Bewertung der vorgeschlagenen Lösung (Ergebnis der Vernehmlassung) 1.6.1 Unterstützung des vorgeschlagenen Finanzierungsmodells und der institutionellen Massnahmen 1.6.2 Mittelfristige Ausfinanzierung umstritten 1.7 Weitere Gesetzesänderungen 1.7.1 Redaktionelle Anpassung «Versichertenkollektiv/Vorsorgewerk» 1.7.2 Rechtsform privatrechtlicher Vorsorgeeinrichtungen 1.8 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

8452 8453 8454 8455 8455 8456 8456 8457 8459 8459 8459 8460 8460 8460 8462 8462 8463 8464

2 Erläuterungen zu einzelnen Gesetzesänderungen 2.1 Änderungen des BVG 2.2 Änderung des Zivilgesetzbuches 2.3 Änderung des Fusionsgesetzes 2.4 Änderungen des Freizügigkeitsgesetzes 2.5 Übergangsbestimmungen

8465 8465 8472 8472 8472 8473

3 Auswirkungen 3.1 Auswirkungen für den Bund 3.2 Auswirkungen für Kantone und Gemeinden 3.2.1 Staatsgarantie 3.2.2 Personelle Auswirkungen 3.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

8473 8473 8473 8473 8474 8474

4 Verhältnis zur Legislaturplanung

8475

5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.2 Verhältnis zum ATSG 5.3 Verhältnis zum europäischen Recht 5.3.1 Europarat 5.3.2 Europäische Union

8475 8475 8475 8475 8475 8476

8415

5.4 Verhältnis zum neuen Finanzausgleich 5.5 Erlassform 5.6 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

8476 8476 8477

Anhang: Kostenvergleich der jeweiligen Finanzierungsvarianten

8478

Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) (Finanzierung von Vorsorgeeinrichtungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften) (Entwurf)

8483

8416

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Dem Fragenkomplex zur Finanzierung der ÖrVE liegen die als Postulat überwiesene Motion «Sanierungsmassnahmen bei öffentlichen Kassen» der SGK-S (03.3578) sowie die parlamentarische Initiative «BVG. Aufhebung von Artikel 69 Absatz 2» von Serge Beck (03.432, nachstehend «Initiative Beck») zugrunde. Zur Behandlung der erwähnten parlamentarischen Vorstösse hat die SGK-N eine Subkommission BVG eingesetzt. Die Subkommission BVG führte am 11. August 2005 ein Hearing mit Fachleuten durch, wobei sich einerseits die vollständige Ausfinanzierung der ÖrVE (i.S. der Initiative Beck) und andererseits die Einführung eines Zieldeckungsgrades für ÖrVE als primär weiterzuverfolgende Finanzierungsmodelle herauskristallisierten. Nachdem die damit zusammenhängenden finanziellen Konsequenzen von der Verwaltung in einem Bericht1 dargestellt worden waren und nachdem das EDI im März 2006 im Zusammenhang mit der eingangs erwähnten Motion eine Expertenkommission eingesetzt hatte, sistierte die Subkommission BVG ihre weiteren Arbeiten. Schliesslich empfahl die Expertenkommission dem Bundesrat mit ihrem Schlussbericht, das System der Teilkapitalisierung unbefristet weiterzuführen, wobei mindestens die Anforderungen des Finanzierungsmodells «differenzierter Zieldeckungsgrad» (siehe Ziff. 1.5.2) erfüllt sein müssten. Im Rahmen eines Vernehmlassungsverfahrens wurden schliesslich dieser von der SGK-N und ihrer Subkommission favorisierte Vorschlag sowie der Vorschlag des Bundesrates, auf der Basis des von der Expertenkommission empfohlenen Modells mittelfristig eine volle Ausfinanzierung anzustreben, in Vernehmlassung gegeben (siehe Ziff. 1.6).

1.1.1

Aktuelle finanzielle und rechtliche Situation der ÖrVE

ÖrVE können seit jeher ­ unter Berufung auf die Perennität und die Garantie der öffentlichen Hand ­ im Teilkapitalisierungsverfahren geführt werden, weil die Liquidationsgefahr bei diesen Vorsorgeeinrichtungen ausgeschlossen werden kann2.

Während zahlreiche Bestimmungen des BVG im Rahmen der langjährigen parlamentarischen Beratungen vollständig überarbeitet wurden, blieb der entsprechende Artikel (heute Art. 69 Abs. 2 BVG) mit Ausnahme einer kleinen Präzisierung3 bis heute unangetastet.

1

2 3

Vgl. Bericht zu den finanziellen Konsequenzen der Umsetzung der parlamentarischen Initiative Beck und des ASIP-Modells zuhanden der Subkommission BVG der SGK-NR vom März 2006.

Vgl. BBl 1976 I 170 Die Umschreibung «vom Grundsatz der geschlossenen Kasse abzuweichen» wurde durch «vom Grundsatz der Bilanzierung in geschlossener Kasse abzuweichen» ersetzt.

8417

1.1.2

Übersicht über die finanzielle Lage der ÖrVE des Bundes und der Kantone

Die nachfolgende Tabelle enthält eine Übersicht über die Deckungsgrade und die Fehlbeträge der ÖrVE mit Garantiezusage des zugehörigen Gemeinwesens. Die Zahlen beziehen sich auf Ende 2006: Deckungsgrad in %

Anzahl VE

Vermögen Mio. Fr.

Unterdeckung Mio. Fr.

Aktive Versicherte

Rentenbeziehende

>110 106­110 100­105 96­ 99 91­ 95 81­ 90 71­ 80 61­ 70 51­ 60 <=50

22 5 15 2 4 8 7 2 1 3

7 622 1 749 32 146 154 9 106 21 737 27 218 1 419 94 1 589

­ ­ ­ 3 785 2 853 8 238 818 29 1 937

24 460 6 300 106 103 674 33 063 93 998 99 748 7 172 554 9 777

7 553 1 645 37 719 311 12 930 31 325 46 512 3 050 281 5 452

Total

69

102 834

14 663

381 849

146 778

Die Mehrzahl der ÖrVE ist entweder vollständig (Deckungsgrad von mindestens 100 %) oder praktisch vollständig (Deckungsgrad zwischen 91 % und 100 %) ausfinanziert. Die diese Kriterien nicht erfüllenden ÖrVE sind in der Minderzahl (21 von 69), aber die entsprechenden Fehlbeträge sind auf einem sehr hohen Stand (rund 14 Mrd. Fr.). Zudem gehört beinahe jede zweite versicherte Person einer ÖrVE mit einem Deckungsgrad von weniger als 90 % an.

Allerdings hängt der Deckungsgrad sehr stark vom technischen Zinssatz ab, den die ÖrVE wählt, sowie von den verwendeten Sterbetafeln. Beim Vergleich der ausgewiesenen Deckungsgrade ist diesem Umstand Rechnung zu tragen. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich aus den Ende 2006 verfügbaren Daten über insgesamt 69 ÖrVE Folgendes entnehmen: ­

42 Vorsorgeeinrichtungen verzeichneten Ende 2006 einen Deckungsgrad von 100 % oder darüber. Diese erste Gruppe macht zwar mehr als die Hälfte (60,9 %) aller ÖrVE aus; ihr gehört aber nur etwas mehr als ein Drittel der einer ÖrVE angeschlossenen erwerbstätigen Versicherten (35,8 % oder 136 986 Versicherte) an.

­

27 Vorsorgeeinrichtungen wiesen eine Unterdeckung auf. Dieser zweiten Gruppe gehören fast 40 % der ÖrVE und 64,1 % (244 986) der erwerbstätigen Versicherten an. Die Gruppe kann in drei Untergruppen gegliedert werden: ­ Bei 6 Vorsorgeeinrichtungen (8,7 % der ÖrVE) liegt der Deckungsgrad bei mindestens 91 %. Diesen ÖrVE gehören etwas mehr als 33 000 aktive Versicherte (8,8 %) an. Die Unterdeckung beläuft sich bei dieser ersten Untergruppe lediglich auf 788 Millionen Franken (5,3 % der gesamten Unterdeckung).

8418

­

­

Beim grössten Teil der Vorsorgeeinrichtungen mit einer Unterdeckung liegt der Deckungsgrad zwischen 61 % und 90 %. Diese zweite Untergruppe umfasst 17 Einrichtungen (24,6 % der Gesamtzahl) mit über 200 000 aktiven Versicherten (52,6 % der Gesamtzahl). Mit insgesamt 11,9 Milliarden Franken entfällt der grösste Anteil an der Unterdeckung (81,2 %) auf diese ÖrVE.

Vier Vorsorgeeinrichtungen weisen einen Deckungsgrad unter 60 % auf. Ihnen gehören insgesamt über 10 000 aktive Versicherte an und ihr kumulierter Fehlbetrag beträgt 1,9 Milliarden Franken (13,4 % der gesamten Unterdeckung).

Die wichtigsten Gruppen: DG >= 100 %

Anzahl ÖrVE Aktive Versicherte Rentenbeziehende Unterdeckung (Mio.)

DG < 100 % 100 % > DG >= 91 %

42 60,8 % 27 136 863 35,8 % 244 986 46 917 31,9 % ­

­

DG < 91 %

39,1 % 64,1 %

6 8,7 % 21 30,4 % 33 737 8,8 % 211 249 55,3 %

68,0 %

13 241 9,0 %

86 620 59,0 %

14 663 100,0 %

788 5,3 %

13 875 94,6 %

99 861

Quelle: Bericht des BSV zur finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtungen und der Lebensversicherer 2006, Berechnungen des BSV.

1.1.3

Ursachen von Fehlbeträgen bei ÖrVE

Die Ursachen der Fehlbeträge bei den einzelnen ÖrVE sind sehr verschieden und lassen sich nicht mehr für jede einzelne Vorsorgeeinrichtung nachvollziehen. Neben der bewussten Wahl einer Teilkapitalisierung können folgende Gründe bestehen: Nicht bezahlte Beiträge ÖrVE waren historisch in der Regel Leistungsprimatkassen. Bei diesen Vorsorgeeinrichtungen bedingte jede Erhöhung des versicherten Verdienstes einen Einkauf. Dies hat bei ÖrVE eine besonders grosse Bedeutung, da im Personalrecht von Bund, Kantonen und Gemeinden in der Regel ein Lohnanpassungsmechanismus vorgesehen ist. Die für diese Einkäufe vorgesehenen Arbeitgeberbeiträge wurden jedoch nicht immer bezahlt. Gelegentlich wurde auch auf Nachfinanzierungsbeiträge der Versicherten verzichtet.

Überdurchschnittlicher Anteil an Invaliditätsleistungen Die öffentliche Hand weist nach dem Baugewerbe die höchste Invaliditätswahrscheinlichkeit auf. Dieser hohe Anteil an Invaliditätsfällen erklärt sich daraus, dass für die öffentliche Verwaltung häufig ein eigener, umfassenderer Invaliditätsbegriff definiert wurde und ­ nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ­ in der Vergangenheit arbeitsrechtliche Problemfälle zum Teil über den Weg der Invalidisierung gelöst worden sind. Letztlich waren dadurch Beiträge und Leistungen bei ÖrVE häufig nicht im Gleichgewicht.

8419

Ungenügend finanzierte Leistungsversprechen ÖrVE kannten bis in die jüngste Vergangenheit ­ und kennen teilweise noch heute ­ grosszügige Regelungen für das flexible Rentenalter, die nicht ausreichend finanziert waren oder sind. Gleiches gilt auch für den Teuerungsausgleich auf den Renten.

Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes auf den 1. Januar 1995 Mit dem Inkrafttreten des FZG wurde auch bei den ÖrVE die volle Freizügigkeit eingeführt. Damit endete deren Möglichkeit, beim Austritt von Versicherten mehr oder weniger hohe Mutationsgewinne zu erzielen. Für die ÖrVE bedeutete dies eine Zunahme ihrer Verpflichtungen.

Anlageverluste Der grösste Teil der ÖrVE begann erst relativ spät, in Aktien zu investieren. Sie wurden deshalb vielleicht noch stärker als die privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen von der Börsenbaisse der Jahre 2001 und 2002 getroffen. Die Anlage des Vorsorgevermögens der ÖrVE wurde zudem häufig durch politische Ziele wie etwa die regionale Wirtschaftsförderung und die Wohnbaupolitik beeinflusst, womit zusätzliche Verlustquellen verbunden sein könnten.

1.1.4

Veränderte demografische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Es ist aus demografischen Gründen keineswegs sicher, dass in Zukunft die Zahl der Austritte wegen Pensionierung und Stellenwechsel voll durch Neueintritte ausgeglichen wird. Die Perennität ist damit nicht mehr im gleichen Ausmass gesichert wie in der Vergangenheit. Zusätzlich ist der Trend zu vermehrten Privatisierungen zu beachten. Ein teilkapitalisiertes Finanzierungssystem kann den Handlungsspielraum der Gemeinwesen bei Privatisierungsbestrebungen einschränken, wenn eine garantiebedingte Deckungslücke auszufinanzieren wäre, der Fehlbetrag für das Gemeinwesen jedoch nicht oder nur schwierig zu finanzieren ist.

1.1.5

Rechtsform und oberstes Organ der Vorsorgeeinrichtungen

Registrierte Vorsorgeeinrichtungen müssen nach geltendem Recht die Rechtsform einer Stiftung, einer Genossenschaft oder einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung aufweisen (Art. 48 Abs. 2 BVG).

ÖrVE können die Rechtsform der selbstständigen oder unselbstständigen öffentlichrechtlichen Anstalt4 oder der Stiftung5 öffentlichen Rechts aufweisen. Ist die Vorsorgeeinrichtung eine unselbstständige öffentlich-rechtliche Anstalt, so ist sie ein Verwaltungszweig. Das Gemeinwesen kann die Geschäftsführung auf verschiedene 4

5

Zum Beispiel Versicherungskasse für das Staatspersonals des Kantons St. Gallen, Beamtenversicherungskasse des Kantons Zürich (Verselbständigung, wenn Versicherungskasse einen Deckungsgrad von 100 % erreicht).

Zum Beispiel die Pensionskasse der Stadt Zürich.

8420

Verwaltungseinheiten verteilen. So ist beispielsweise im Kanton St. Gallen das Personalamt für die versicherungstechnische Geschäftsführung der Versicherungskasse verantwortlich und das Amt für Vermögensverwaltung für die Vermögensverwaltung6. Die Konzeption der Vorsorgeeinrichtung als selbstständige oder unselbstständige öffentlich-rechtliche Anstalt sagt jedoch nur bedingt etwas über die tatsächliche Autonomie des obersten Organs aus. So kann das oberste Organ der als selbstständige öffentlich-rechtliche Anstalt konzipierten Bernischen Pensionskasse (BPK) nicht selbstständig über Beiträge entscheiden (Art. 5 ff. des Gesetzes über die Bernische Pensionkasse BPKG), während sein Einfluss auf die Leistungen bedeutend grösser ist (grundsätzliche Reglementsbestimmungen des obersten Organs stehen aber nach Art. 13 Abs. 1 Bst. c BPKG unter dem Genehmigungsvorgehalt des Regierungsrates). Kleiner ist der Einfluss des obersten Organs bei der Pensionskasse für die Angestellten des Kantons Freiburg, die als Einrichtung öffentlichen Rechts konzipiert ist: Beiträge und Leistungen sind im Gesetz über die Pensionskasse des Staatspersonals (Art. 49 und 62) fixiert, womit dem paritätisch zusammengesetzten obersten Organ diesbezüglich praktisch kein Spielraum verbleibt, nicht aufeinander abgestimmte Beiträge und Leistungen ins Lot zu bringen.

Privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen müssen dagegen rechtlich immer als Stiftung oder Genossenschaft verselbstständigt und vom Arbeitgeber getrennt werden.

Dies gilt auch für rein arbeitgeberfinanzierte patronale Wohlfahrtsfonds.

Das oberste Organ einer privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtung ist das Leitungsorgan, welches die Strategie der Vorsorgeeinrichtung, ihre Leistungen und ihre Finanzierung selbstständig bestimmt. Diesbezüglich steht dem obersten Organ einer privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtung eine einseitige Regelungsbefugnis zu.

Beim obersten Organ einer ÖrVE sind die Kompetenzen durch das öffentliche Recht der Kantone und Gemeinden geregelt. Häufig sind die wichtigsten Elemente der Vorsorgelösung (z.B. Beiträge, Leistungen) im öffentlich-rechtlichen Erlass geregelt. In diesen Bereich steht dem obersten Organ keine Entscheidbefugnis und damit eigentlich auch keine Organfunktion zu. Es hat lediglich ein Anhörungsrecht (Art. 51 Abs. 5 BVG). In anderen Fällen kann das oberste Organ in dem ihm vom Erlass eingeräumten Rahmen auch ohne Zustimmung der Legislative entscheiden.7

1.1.6

Gründung und Ausgestaltung privatrechtlicher Vorsorgeeinrichtungen

Urkunde und Statuten Die grundlegenden Bestimmungen über die Vorsorgeeinrichtung wie Name, Zweck, Destinatärskreis, Widmungs- oder Gründungskapital, Grundzüge der Organisation, Zuständigkeiten für Statutenänderungen, Bestimmungen über die Liquidation der 6 7

Art. 89 der Verordnung über die Versicherungskasse für das Staatspersonal St. Gallen.

Vgl. z.B.§ 63 der Statuten der kantonalen Pensionskasse Solothurn. Statutenänderungen der Verwaltungskommission unterliegen der Genehmigung der Delegiertenversammlung und des Kantonsrates. Wird die Zustimmung von der Delegiertenversammlung und/oder dem Kantonsrat verweigert, geht das Geschäft an die Verwaltungskommission zurück.

Kommt es auch im zweiten Anlauf nicht zu einer Genehmigung, entscheidet die Verwaltungskommission selbständig mit Zweidrittelsmehrheit über Statutenänderungen, die zur Anpassung an übergeordnetes Recht nötig sind und über Beitragserhöhungen, wenn die finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtung gefährdet ist.

8421

Stiftung oder Genossenschaft sind in der Stiftungsurkunde bzw. den Statuten der Genossenschaft enthalten.

Die Stiftungsurkunde ist ein Rechtsakt des Stifters (z.B. des Arbeitgebers). Er gibt seine Dispositionsbefugnis über die Stiftung erst mit vollzogener Stiftungsgründung aus der Hand.8 Gleiches gilt auch im Falle der Gründung einer Genossenschaft.

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben keinen unmittelbaren Einfluss auf die Ausgestaltung der Stiftungsurkunde oder der Genossenschaftsstatuten. Ihr Einfluss ist allenfalls indirekter Natur, da der Arbeitgeber die Vorsorgeeinrichtung nur im Einvernehmen mit seinem Personal wählen kann.9 Reglemente Die Details der Vorsorge, insbesondere die Leistungen und die Finanzierung, sind im Reglement geregelt, das vom obersten, paritätisch zusammen gesetzten Organ der Vorsorgeeinrichtung erlassen wird. Das oberste Organ hat eine einseitige Regelungsbefugnis, wobei der Arbeitgeber von Gesetzes wegen nicht zu überparitätischen Beiträgen gezwungen werden kann (Art. 66 Abs. 1 BVG).10 Darüber hinaus gibt ihm das BVG keinen direkten Einfluss auf die Ausgestaltung des Reglements11, obwohl sich auch zuweilen in den Reglementen Bestimmungen finden lassen, wonach Änderungen am koordinierten Lohn der Zustimmung des Arbeitgebers bedürfen.

1.1.7

Gründung und Ausgestaltung ÖrVE

Das BVG gibt dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowohl bezüglich der Rechtsform (Art. 48 Abs. 2 BVG) als auch in Bezug auf die rechtliche Ausgestaltung der materiellen Regelung (Art. 50 Abs. 2 BVG) einen sehr grossen Spielraum.

Sie können die relevanten Vorschriften für ihre Vorsorgeeinrichtungen in einem Erlass regeln, wobei nicht ein Gesetz im formellen Sinn verlangt wird, sondern es den öffentlich-rechtlichen Körperschaften überlassen bleibt, auf welcher Erlassstufe und in welchen Verfahren sie die ÖrVE regeln wollen.12 Die Grundzüge der Vorsorgeregelung können sich auch im Personalrecht finden.13 Als Folge davon schränkt das BVG bei den ÖrVE auch die Kompetenzen des obersten Organs ein. Erlässt das Gemeinwesen die Bestimmungen, so steht dem paritätischen Organ kein Entscheidungsrecht, sondern lediglich ein Anhörungsrecht zu (Art. 51 Absatz 5 BVG). Bei den meisten ÖrVE sind heute jedoch die wesentlichen Inhalte der Vorsorgelösung in 8 9 10

11

12 13

Vgl. Hans-Ulrich Stauffer, Berufliche Vorsorge, S. 487.

Art. 11 Abs. 2 BVG Nach Art. 65d Abs. 3 Bst. a in Verbindung mit Art. 49 Abs. 2 Ziff. 16 und Art. 5 Abs. 2 BVG hat der Arbeitgeber ausserdem ein Vetorecht bezüglich Sanierungsbeiträge in der weitergehenden Vorsorge.

Gegenstück zur einseitigen Rechtssetzungsbefugnis des obersten Organs ist das Kündigungsrecht des Arbeitgebers. Dieses muss so ausgestaltet werden, dass der Arbeitgeber den Anschlussvertrag kündigen kann, wenn er mit einer Änderung des Reglements nicht einverstanden ist (Urteil des Bundesgerichts vom 13. Mai 2005, 2A. 609/2004).

Vgl. Hans Michael Riemer, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz § 2 N 113.

Vgl. z.B. Art. 85 der Verordnung über das Arbeitsverhältnis des städtischen Personals der Stadt Zürich. Das Gemeindeparlament regelt darin auf Vorschlag des Stiftungsrates der Vorsorgeeinrichtung die Sparbeiträge von Arbeitgeber und Arbeitnehmenden.

8422

einem Erlass geregelt. Daran ändert auch dessen Bezeichnung (häufig: Statuten) nichts. Dabei hat die kantonale Aufsichtsbehörde jener Aufsicht Rechnung zu tragen, die nach geltendem Recht bereits durch eine andere kantonale Aufsichtsbehörde ausgeübt wird (Art. 2 BVV 1). Grundsätzlich ist es auch möglich, dass das Gemeinwesen die Aufsicht über die ÖrVE nicht der Aufsichtsbehörde, sondern einer anderen Behörde überträgt.14 Auch ÖrVE haben Reglemente. Ob diese vom obersten Organ der Vorsorgeeinrichtung oder von der Legislative oder Exekutive des Gemeinwesens beschlossen werden oder ob Genehmigungsvorbehalte bestehen, ist ausschliesslich eine Frage des einschlägigen Rechts von Bund, Kanton oder Gemeinden. In der Praxis findet sich häufig ein Genehmigungsvorbehalt zugunsten der Exekutive oder der Legislative.

Anders als privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen können ÖrVE jedoch mit Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde von der Bilanzierung in geschlossener Kasse und damit auch vom Erfordernis der Vollkapitalisierung abweichen, sofern ein Gemeinwesen die Leistungen garantiert.

1.1.8

Staatsgarantie

1.1.8.1

Begriff und Rechtsgrundlagen

Die Garantie des Gemeinwesens (Staatsgarantie) für die Leistungen einer ÖrVE ist heute Voraussetzung für die Teilkapitalisierung einer solchen Vorsorgeeinrichtung (Art. 45 Abs. 1 BVV 2). Sie bildet zusammen mit der Bewilligung der Aufsichtsbehörde die Voraussetzung für ein Abweichen vom Grundsatz der Bilanzierung in geschlossener Kasse (Art. 69 Abs. 2 BVG). Die Staatsgarantie wird heute weder auf Gesetzes- noch auf Verordnungsstufe näher umschrieben. Geregelt wird einzig die Pflicht des Gemeinwesens, die Leistungen nach BVG ausrichten zu können, womit eine primäre Leistungspflicht der ÖrVE und eine sekundäre Leistungspflicht des Gemeinwesens statuiert wird.

Die Garantie gilt sowohl für Renten- als auch für Austrittsleistungen der Versicherten; beide Leistungen dürfen in keinem Fall geschmälert werden. Somit dürfen ÖrVE, die im Genuss einer Staatsgarantie stehen und nicht voll kapitalisiert sind, im Fall einer Teilliquidation keine versicherungstechnischen Fehlbeträge von den Austrittsleistungen der Versicherten abziehen (Art. 19 FZG).

Die Staatsgarantie befreit die Organe der Vorsorgeeinrichtung nicht von der Beachtung anerkannter fachlicher Grundsätze bei der Bewirtschaftung ihres Vermögens.

Sie ist insbesondere kein Freipass für eine Anlagestrategie, die den Anlagerisiken ungenügend Rechnung trägt, und verschafft der ÖrVE keine unbeschränkte Risikofähigkeit15.

14

15

Bis Ende 1997 unterstand die Pensionskasse PKB des Bundes nicht der Aufsicht des BSV, sondern der Aufsicht des Eidg. Finanzdepartementes. In allen Kantonen wird die Aufsicht ausschliesslich von der für die BVG-Aufsicht zuständigen kantonalen bzw.

regionalen Behörde ausgeübt.

Vgl. Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission des Kantons Basel-Stadt zur Aufklärung der Vorkommnisse bei der Pensionskasse des Basler Staatspersonals sowie bei weiteren von der Finanzverwaltung verwalteten Fonds vom 20. Dezember 2004, S. 50.

8423

Die Staatsgarantie ist heute Voraussetzung für die Bewilligung der Aufsichtsbehörde zur Bilanzierung in offener Kasse. Die gesetzliche Regelung entspricht allerdings insofern nicht mehr der Realität, als im Zusammenhang mit der Staatsgarantie nicht mehr buchhalterisch die Bilanzierung in offener Kasse, sondern finanzierungsseitig die Teilkapitalisierung einer ÖrVE im Vordergrund steht16.

Damit die Staatsgarantie gewährt werden darf, müssen materielle und formelle Voraussetzungen erfüllt werden. Als Garantiegeber kommen der Bund, die Kantone und die Gemeinden in Betracht. In materieller Hinsicht sollte seitens der Vorsorgeeinrichtung das Erfordernis der Perennität erfüllt sein. Das Vorliegen dieses Erfordernisses wird in der Praxis jedoch kaum oder zumindest nur summarisch überprüft.

In formeller Hinsicht muss die Staatsgarantie in einem Erlass des Gemeinwesens ­ in der Regel ist dies ein kantonales Gesetz oder ein Gemeindeerlass17 ­ vorgesehen sein. Die Staatsgarantie kann sich auch faktisch aufgrund der juristischen Ausgestaltung der ÖrVE als unselbstständige öffentlich-rechtliche Anstalt ergeben.18 Da solche Vorsorgeeinrichtungen über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügen und somit Teil des Gemeinwesens sind, entsteht die Garantie automatisch und deckt die Gesamtheit der Leistungen ab.19 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass für die Vorsorgeeinrichtung eine besondere Rechnung geführt wird.

Damit die Garantie zum Tragen kommen kann, muss die Teilkapitalisierung durch die Aufsichtsbehörde bewilligt werden. Diese hat in erster Linie zu prüfen, ob sich die Garantiezusage im Umfang des Rahmens bewegt, den der zugrunde liegende Erlass zieht.

1.1.8.2

Geltungsbereich der Garantie

Für die obligatorische und die weitergehende Vorsorge Grundsätzlich müssen die BVG-Leistungen garantiert werden (Art. 45 Abs. 2 BVV 2), wobei bei der Festsetzung der Austrittsleistung von Versicherten keine versicherungstechnischen Fehlbeträge in Abzug gebracht werden dürfen (Art. 19 FZG). Da der Geltungsbereich des FZG jedoch nicht auf die gesetzliche Minimalvorsorge beschränkt ist, gilt die Garantie des Gemeinwesens entgegen dem Wortlaut von Artikel 45 Absatz 2 BVV 2 nicht nur für die gesetzliche Mindestvorsorge, sondern auch für die weitergehende Vorsorge.

16 17

18

19

Vgl. PRASA Hewitt, Studie zur Refinanzierung der öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen, Dezember 2003, S. 4 (nachfolgend zitiert als PRASA, S. ...).

Zum Beispiel Art. 50 des Gesetzes über die bernische Lehrerversicherungskasse, § 53 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Pensionskasse des Basler Staatspersonals, Art. 2 der Statuts concernant la Caisse de prévoyance du personnel enseignant de l'instruction publique et des fonctionnaires du Canton de Genève, Art. 74 des Reglements über die Personalvorsorgekasse der Stadt Bern.

Vgl. § 2 des Zürcher Gesetzes über die Versicherungskasse für das Staatspersonal und Antrag des Regierungsrates des Kantons Zürich vom 15. Mai 2002 zum Gesetz über die Verselbständigung der Versicherungskasse für das Staatspersonal, S. 6.

Vgl. PRASA, S. 10.

8424

Für weitere angeschlossene Arbeitgeber ÖrVE können neben der eigentlichen Kernverwaltung weitere Arbeitgeber anschliessen, die mit dem Gemeinwesen durch einen Leistungsvertrag verbunden sind, von diesem Subventionen beziehen oder einen Bezug zum Gemeinwesen haben. Weiter finden sich auch Anschlüsse von juristischen Körperschaften (Aktiengesellschaften oder Genossenschaften), an welchen das Gemeinwesen eine massgebende Beteiligung hält (z.B. Spitäler mit Leistungsauftrag). Möglich ist ebenfalls der Anschluss anderer Gemeinwesen (z.B. Anschluss von Gemeinden an eine Vorsorgeeinrichtung für das kantonale Personal). In diesen Fällen erstreckt sich die Garantie des Gemeinwesens auch auf die weiteren angeschlossenen Arbeitgeber.

1.1.9

Beitragspflicht gegenüber dem Sicherheitsfonds

Da die ÖrVE reglementarische Leistungen ausrichten, unterstehen sie dem Freizügigkeitsgesetz (Art. 1 Abs. 2 FZG). Diese Unterstellung bildet Anknüpfungspunkt für die Unterstellung einer Vorsorgeeinrichtung unter den Sicherheitsfonds (Art. 57 BVG).

Für die ÖrVE mit Staatsgarantie führt diese Regel zur Situation, dass sie einer doppelten Garantie unterliegen20: Sowohl das öffentlich-rechtliche Gemeinwesen als auch der Sicherheitsfonds garantieren die Leistungen der ÖrVE im Falle der Zahlungsunfähigkeit, wobei die Garantie des Gemeinwesens unbegrenzt ist, während die Leistungspflicht des Sicherheitsfonds auf das Anderthalbfache des oberen Grenzbetrages (Art. 8 Abs. 1 BVG) beschränkt ist.21 Das Gesetz enthält keine Regelung über die Konkurrenz der beiden Garantiebestimmungen. Es muss aber wohl davon ausgegangen werden, dass die gesetzlich verankerte Garantie des Gemeinwesens Vorrang vor Insolvenzleistungen des Sicherheitsfonds hat. Da der Sicherheitsfonds erst Leistungen erbringt, nachdem sämtliche Sanierungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind, auferlegt die Subsidiarität der Leistungspflicht des Sicherheitsfonds den ÖrVE mit Staatsgarantie eine vorgängige Sanierungspflicht. Eine Leistungspflicht des Sicherheitsfonds ist damit bei ÖrVE namentlich in jenen Fällen gegeben, in denen ein Gemeinwesen zahlungsunfähig wird.

1.1.10

Teilliquidation ÖrVE

Die geltenden gesetzlichen Bestimmungen regeln nicht, wer im Falle einer Teilliquidation den Fehlbetrag zu tragen hat. Würde dieser der Vorsorgeeinrichtung auferlegt, so würde sich der Fehlbetrag bei den verbleibenden Versicherten vergrössern. Bei einem starken Absinken des Deckungsgrades könnte dies dazu führen, dass die verbleibenden Versicherten im Rahmen von Sanierungsmassnahmen die Auswirkungen von Entscheiden ihres Arbeitgebers mitzutragen haben. Dies kann zwar auch bei privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen nicht ausgeschlossen werden, doch muss hier der Arbeitgeber seine finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Vorsorgeeinrichtung jederzeit voll erfüllen.

20 21

Vgl. PRASA, S. 10.

2008: 119 340 Fr.

8425

Kommt es zur Teilliquidation einer ÖrVE, weil eine Verwaltungseinheit ausgelagert oder eine öffentlich-rechtliche Anstalt privatisiert wird, darf der versicherungstechnische Fehlbetrag nicht von den Freizügigkeitsleistungen der austretenden Versicherten abgezogen werden (Art. 19 FZG). In der Praxis22 wird der Fehlbetrag: ­

entweder von der Vorsorgeeinrichtung getragen, womit der Fehlbetrag der in der Vorsorgeeinrichtung verbleibenden Versicherten steigt (Art. 53d BVG23; allerdings ist fraglich, ob derartige Regelungen mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind), oder

­

von einer externen Stelle getragen, z.B. von der Institution, die den Austrittsentscheid veranlasst hat.

1.1.11

Aufsicht über die ÖrVE

1.1.11.1

Organisation und Struktur der Aufsicht in den Kantonen

Kantonale Aufsichtsbehörden In der Regel unterstehen ÖrVE den gleichen Aufsichtsbehörden wie die privatrechtlichen Einrichtungen.24 Das geltende Recht sieht denn auch keine separate Aufsichtsbehörde für ÖrVE vor (Art. 61 Abs. 1 BVG und Art. 1 Abs. 1 BVV 1). Allenfalls ist eine beschränkte Delegation von Aufgaben an weitere Kantons- und Gemeindeinstanzen zur Unterstützung der zentralen kantonalen Aufsichtsbehörde möglich (Art. 1 Abs. 2 BVV 1).

Mit Ausnahme der Vorschrift, dass pro Kanton eine einzige zentrale kantonale Instanz als Aufsichtsbehörde tätig sein muss (Art. 1 BVV 1), regelt das Bundesrecht weder auf Gesetzes- noch auf Verordnungsstufe, nach welchen Grundsätzen und wie die kantonale Aufsichtsbehörde organisiert sein soll. Die Kantone können daher in diesem Bereich Ausführungsbestimmungen zum BVG erlassen. Es gehört somit zur verfassungsmässigen Organisationsfreiheit der Kantone, die BVG-Aufsichtsbehörde innerhalb der kantonalen Verwaltung am geeigneten Ort anzugliedern. In der Regel ist sie einem kantonalen Departement oder einer kantonalen Direktion (z.B. der Finanz- oder der Justizdirektion) angegliedert und administrativ unterstellt. Auch wenn das jeweils zuständige Mitglied der Kantonsregierung materiell keine Weisungsbefugnis gegenüber der kantonalen BVG-Aufsichtsbehörde hat ­ diese ist ausschliesslich dem Bundesrat unterstellt (Art. 64 BVG) ­, ist eine faktische Einflussnahme nicht auszuschliessen, zumal der Kanton als öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber von allfälligen aufsichtsrechtlichen Massnahmen betroffen sein kann.

Tendenz zur Regionalisierung der Aufsicht Die Zentralschweizer Kantone haben die Aufsicht über Vorsorgeeinrichtungen und Stiftungen in einer regionalen Aufsichtsbehörde zusammengefasst, die ihre Tätigkeit am 1. Januar 2006 aufgenommen hat. Diese Aufsichtsbehörde ist eine öffentlich22 23 24

Vgl. PRASA, S.12.

Vgl. dazu Jacques-André Schneider, Caisses de pensions publiques: garantie étatique et modification du plan de prestations in SVZ 68 (2000), S. 65 ff.

Vgl. Christina Ruggli, Die behördliche Aufsicht über Vorsorgeeinrichtungen, Diss.

Basel 1992, S. 107.

8426

rechtliche Anstalt der Konkordatskantone Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Zug mit eigener Rechtspersönlichkeit25. Der aus Mitgliedern der Regierungen dieser Kantone zusammengesetzte Konkordatsrat erteilt der Anstalt in der Regel für eine Periode von vier Jahren einen Leistungsauftrag mit Globalkredit, wobei dieser Leistungsauftrag der Genehmigung aller betroffenen Regierungen bedarf.26 Die Tätigkeit dieser Anstalt wird über Gebühren finanziert.27 In der Ostschweiz wurden die Aufsichtsbehörden der Kantone St. Gallen, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Thurgau, Glarus und Graubünden per 1. Januar 2008 in der Ostschweizer Aufsichtsbehörde zusammengefasst. Die Aufsicht über die Einrichtungen der beruflichen Vorsorge mit Sitz im Kanton Schaffhausen wurde Ende Februar 2007 rückwirkend auf den 1. Januar 2007 auf den Kanton Zürich übertragen28. Mit der Botschaft zur Strukturreform (BBl 2007 5669) in der beruflichen Vorsorge werden deshalb Anreize vorgeschlagen, um die Regionalisierung der Aufsichtstätigkeit weiter zu fördern. Dieser Regionalisierungsprozess stellt einen ersten Schritt in Richtung einer grösseren Unabhängigkeit der BVGFachaufsichtsbehörden gegenüber den kantonalen politischen Behörden dar.

1.1.11.2

Allgemeine Aufgaben der Aufsicht

Die Aufsichtsbehörde nimmt bei der Beaufsichtigung von ÖrVE grundsätzlich die gleichen Aufgaben wahr wie bei privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen.29 Das Gesetz trifft mit Bezug auf die Ausübung der Aufsicht über die registrierten Vorsorgeeinrichtungen keine Unterscheidung, ob eine Vorsorgeeinrichtung auf privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Grundlage gegründet wurde (Art. 48 BVG). Die Aufsicht muss also über beide Rechtsformen von Vorsorgeeinrichtungen nach den gleichen fachlichen Kriterien ausgeübt werden. Das Prinzip der Kontrollpyramide gilt auch bei der Beaufsichtigung von ÖrVE; das bedeutet, dass die Aufsichtsbehörde auf den Bericht der Kontrollstelle (Art. 36 Abs. 1 BVV 2) sowie den periodischen Bericht des Experten für berufliche Vorsorge (Art. 53 Abs. 2 BVG) angewiesen ist, damit sie ihre Funktionen wahrnehmen kann.

Seit 1. Januar 2008 wird bezüglich der Anforderungen für Kontrollstellen auf das Revisionsaufsichtsgesetz abgestellt (Art. 33 Abs. 1 BVV 2): Eidgenössische und kantonale Finanzkontrollstellen dürfen die buchhalterische Kontrolle nur noch durchführen, sofern sie von der Revisionsaufsichtsbehörde als Revisionsexperten im Sinne des Revisionsaufsichtsgesetzes zugelassen worden sind (Art. 33 Abs. 2 BVV 2). Bei ÖrVE kann dies unter Umständen wegen bestehender Abhängigkeiten und mangelnder Fachkompetenz im Bereich der beruflichen Vorsorge problematisch sein.30 Mit der Botschaft zur Strukturreform schlägt der Bundesrat u.a. vor, dass die vorsorgespezifische Ausbildung und Berufserfahrung sowie Kenntnis der entsprechenden vorsorgespezifischen Bestimmungen zwingende Voraussetzungen für die 25 26 27 28 29 30

Konkordat über die Zentralschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht vom 19. April 2004, Art. 1.

Art. 5, Art. 6 Bst. b und Art. 13 des Konkordates vom 19. April 2004.

Art. 19 des Konkordates vom 19. April 2004.

Vgl. Amtsblatt des Kantons Schaffhausen, Nr. 37, S. 1245.

Vgl. Art. 48 BVG in Verbindung mit Art. 11 BVV 1, Art. 62 BVG und Art. 84 ZGB.

Vgl. Art. 33 Bst. b BVV 2 in der Fassung vom 18. April 1984 und Ruggli, a.a.O., S. 108 oben.

8427

Zulassung zur Revisionstätigkeit in der zweiten Säule sein sollen.31 Diese Anforderungen sind an das Revisionsaufsichtsgesetz anzupassen, sobald dieses in Kraft getreten ist.

Die überwiegende Zahl der ÖrVE unterstehen in der Schweiz einer kantonalen oder einer regionalen Aufsichtsbehörde. Vier ÖrVE ­ die Vorsorgeeinrichtungen der SBB, der Nationalbank und der Suva sowie die Pensionskasse des Bundes (PUBLICA) ­ befinden sich hingegen unter der Aufsicht einer Bundesbehörde, nämlich des BSV.32

1.1.11.3

Besondere Aufgaben der Aufsicht

Die kantonale Aufsichtsbehörde spielt bei der Beaufsichtigung von ÖrVE von Gesetzes wegen in folgenden Bereichen eine wichtige Rolle:

31 32 33 34 35 36 37 38

­

Im Zusammenhang mit der Urkunden- und Reglementsprüfung bei der definitiven Registrierung einer ÖrVE hat die Aufsichtsbehörde zwar nicht die Kompetenz, einzelne Dekrets- oder Verordnungsbestimmungen ausser Kraft zu setzen33, sie kann aber die Registrierung verweigern, was faktisch auf die Rechtswidrigkeitserklärung des Dekrets oder der Verordnung herausläuft.

­

Sie trägt der Aufsicht Rechnung, die nach dem geltenden Recht bereits durch eine andere kantonale Behörde über die ÖrVE ausgeübt wird (Art. 1 BVV 1). Diese Vorschrift ist restriktiv zu interpretieren, wenn man davon ausgeht, dass die Artikel 61 ff. BVG eine umfassende Fachaufsicht der Aufsichtsbehörde verankern.34

­

Sie ist zuständig für die Genehmigung einer Teilkapitalisierung von ÖrVE: Diese können mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde vom Grundsatz der Bilanzierung in geschlossener Kasse abweichen, wenn für die BVG-Leistungen eine Leistungsgarantie der öffentlichen Hand (Bund, Kantone oder Gemeinden) vorliegt.35 Der Bilanzierungsgrundsatz bzw. die Voraussetzungen für die Abweichung von diesem Grundsatz gelten auch im Bereich der überobligatorischen Leistungen.36

­

Sie kann eine befristete Unterdeckung einer ÖrVE zulassen, welche nicht über eine Staatsgarantie verfügt, sofern die Voraussetzungen von Artikel 65c BVG erfüllt sind.37

­

Bei der Prüfung der Parität muss sie beachten, dass bei der ÖrVE lediglich ein Anhörungsrecht des paritätischen Organs beim Erlass reglementarischer Bestimmungen besteht (Art. 51 Abs. 5 BVG).38

Vgl. BBl 2007 5701.

Vgl. Art. 3 Abs. 1 Bst. b BVV 1.

Vgl. Ruggli, S. 108.

Vgl. Ruggli, S. 108.

Vgl. Art. 69 Abs. 2 BVG und Art. 45 BVV 2.

Vgl. Ruggli, S. 109.

Vgl. Art. 44 Abs. 2 BVV 2.

Vgl. Ruggli, S. 110.

8428

1.1.11.4

Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde

Es stellt sich die Frage nach der Unabhängigkeit einer in eine kantonale Verwaltung eingebundenen BVG-Aufsichtsbehörde gegenüber der Kantonsregierung bzw.

gegenüber der Departementsleitung oder der Direktion, der sie administrativ unterstellt ist. Denkbar sind Fälle, in denen es zu Interessenkonflikten kommen kann, wenn die kantonale Aufsicht gegenüber einer ÖrVE z.B. Massnahmen zur Behebung einer Unterdeckung durchsetzen will (sofern diese Vorsorgeeinrichtung nicht über eine Staatsgarantie verfügt), die unter Umständen den finanziellen Interessen des Kantons als Arbeitgeber zuwiderlaufen.

Bereits mit der Botschaft zur Strukturreform (BBl 2007 5703 f.) schlug der Bundesrat vor, Artikel 61 Absatz 3 BVG so anzupassen, dass die gemäss Absatz 1 zuständige Aufsichtsbehörde in rechtlicher, finanzieller und administrativer Hinsicht unabhängig zu sein hat. In den Erläuterungen zu dieser Bestimmung heisst es u.a., dass die Aufsichtsbehörde keinesfalls weisungsgebunden sein und das Personal nicht von der Budgetpolitik des Kantons abhängen dürfe.

1.2

Probleme der heutigen Regelungen

1.2.1

Fehlende Unabhängigkeit von politischen Behörden

Bund, Kantone und Gemeinden können die wesentlichen Bestimmungen einer Vorsorgeeinrichtung durch Erlasse regeln. Sie haben damit Einwirkungsmöglichkeiten, die ein privater Arbeitgeber nicht hat. Das geltende Recht gibt den öffentlichrechtlichen Körperschaften insbesondere die Möglichkeit, die berufliche Vorsorge im Rahmen einer unselbstständigen öffentlich-rechtlichen Anstalt oder gar einer Verwaltungseinheit zu führen. In diesen Fällen kann die fehlende Unabhängigkeit der Vorsorgeeinrichtung vom Gemeinwesen insbesondere dann problematisch werden, wenn das Vorsorgevermögen direkt durch die Finanzverwaltung des Gemeinwesens bewirtschaftet wird.39 Derartige Konstellationen beinhalten immer die Gefahr von Interessenkollisionen und begünstigen den Einfluss sachfremder Kriterien auf die Anlagetätigkeit der Vorsorgeeinrichtung.40 Werden die Zuständigkeitsgrenzen zwischen Vorsorgeeinrichtung und Arbeitgeber verwischt, so kann sich dies aber auch negativ auf das öffentlich-rechtliche Gemeinwesen als Arbeitgeber auswirken.41

39

40 41

Vgl. Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission des Kantons Basel-Stadt zur Aufklärung der Vorkommnisse bei der Pensionskasse des Basler Staatspersonals sowie bei weiteren von der Finanzverwaltung verwalteten Fonds vom 20. Dezember 2004.

Vgl. Gutachten der Ernst & Young über die Kreditgewährung des Kantons Zürich an den Ferienverein POSCOM.

Vgl. Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission über die Organisationsund Führungsprobleme bei der Pensionskasse des Bundes (PKB) und über die Rolle des Eidg. Finanzdepartements in Bezug auf die PKB, BBl 1996 V 324.

8429

1.2.2

Mangelnde Kompetenzen des obersten Organs

Steht dem obersten Organ einer Vorsorgeeinrichtung lediglich ein Anhörungs- und eventuell ein Antragsrecht zu und sind gleichzeitig sowohl die Beiträge als auch die Leistungen in einem Erlass des Gemeinwesens geregelt, welcher allenfalls noch dem Referendum untersteht, so kann die Sanierung oder Ausfinanzierung einer Vorsorgeeinrichtung erheblich erschwert werden.

1.2.3

Abhängigkeit der Aufsichtsbehörde

Die Aufsicht über eine ÖrVE wird erschwert, wenn die Aufsichtsbehörde eine Verwaltungseinheit des Gemeinwesens (allenfalls noch desselben Departements) ist, dessen ÖrVE beaufsichtigt werden soll.42 Interessenkollisionen und politische Einflussnahme lassen sich aufgrund der fehlenden Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde kaum vermeiden. Auch im Fall, dass die Aufsichtsbehörde rechtlich verselbstständigt ist, kann sie nur schwer Massnahmen gegen eine Vorsorgeeinrichtung durchsetzen, die Teil der Zentralverwaltung des Gemeinwesens ist. Die schwierigste Konstellation ergibt sich, wenn neben der Führung der Vorsorgeeinrichtung auch die Funktionen der Revisionsstelle und der Aufsicht vom selben Departement wahrgenommen werden, wie dies z.B. bis 1997 bei der Pensionskasse des Bundes der Fall war.

1.3

Zielsetzungen für ein künftiges Finanzierungsmodell

Die finanzielle Stabilität einer ÖrVE wird am besten durch eine Ausfinanzierung der heute noch im Teilkapitalisierungsverfahren geführten Einrichtungen gewährleistet.

Im Vordergrund steht deshalb die Angleichung der rechtlichen Rahmenbedingungen für ÖrVE an jene für privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen. Der Wechsel vom Teil- zum Vollkapitalisierungssystem kann angesichts der grundlegend unterschiedlichen finanziellen Ausgangslage der betroffenen Vorsorgeeinrichtungen jedoch erst mittelfristig erfolgen, d.h. innert einer Erwerbsgeneration von 40 Jahren. Ein in diesem Zeitraum von der Vorsorgeeinrichtung angewandtes Teilkapitalisierungsmodell hat zudem mindestens folgenden Zielsetzungen zu genügen:

42

­

Die einzelnen Versichertengenerationen sollen gleich behandelt werden.

Keine Generation soll gegenüber einer anderen bevorzugt oder benachteiligt werden (Generationengerechtigkeit).

­

Die Verpflichtungen des zugehörigen Gemeinwesens müssen eindeutig identifiziert werden und die finanziellen Folgen müssen vorhersehbar sein (unerwünschte Überraschungen vermeiden).

­

Das Finanzierungsmodell soll in gleicher Weise wie bei privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen die Festlegung der notwendigen Vermögensrendite und der Risikofähigkeit gestatten, um so die Grundlage für eine professionelle Vermögensanlage zu bieten.

Vgl. Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission über die Organisationsund Führungsprobleme bei der Pensionskasse des Bundes (PKB) und über die Rolle des Eidg. Finanzdepartements in Bezug auf die PKB, BBl 1996 V 367, insbes. 415 ff.

8430

­

Die vorgeschlagene Lösung muss alle ÖrVE gleich behandeln. Für alle Einrichtungen müssen die gleichen Rahmenbedingungen gelten. Damit soll vermieden werden, dass verschiedene Kategorien zu schaffen sind, verbunden mit der heiklen Aufgabe, die einzelne Einrichtung anhand objektiver Kriterien einer solchen Kategorie zuzuteilen.

1.4

Untersuchte und verworfene Lösungsmöglichkeiten

Die vom EDI eingesetzte Expertenkommission (vgl. Ziff. 1.1) untersuchte verschiedene Modelle der Teil- und Vollkapitalisierung der ÖrVE. Die Subkommission BVG der SGK-N unterstützte im Rahmen der Behandlung der parlamentarischen Initiative Beck schliesslich das von der Expertenkommission vorgeschlagene Modell des differenzierten Zieldeckungsgrades, das auch Bestandteil des bundesrätlichen Lösungsvorschlages ist (siehe Ziff. 1.5.2). Im Folgenden werden drei verworfene Varianten vorgestellt.

1.4.1

Einhalten eines globalen Zieldeckungsgrades

Der Begriff «Deckungsgrad» wird in Artikel 44 BVV 2 und im Anhang dazu präzisiert. Der Deckungsgrad drückt das Verhältnis aus zwischen dem Vermögen der ÖrVE (zum Marktwert, inkl. Arbeitergeberbeitragsreserven mit Verwendungsverzicht und Wertschwankungsreserven, abzüglich der passiven Rechnungsabgrenzungen) und ihren Verpflichtungen (versicherungsmathematisch notwendiges Vorsorgekapital und notwendige Verstärkungen). Er misst die Höhe der Teilkapitalisierung der ÖrVE.

Beispiel 1 Vermögen im Sinne von Art. 44 BVV 2

300 Mio.

Verpflichtungen im Sinne von Art. 44 BVV 2

400 Mio.

Deckungsgrad

75 % (= 300 : 400)

Unterdeckung

100 Mio. (= 400 ./. 300)

In der Praxis wird bei der Variante mit Einhaltung eines Zieldeckungsgrades in einem ersten Schritt der an die Verhältnisse der ÖrVE angepasste Deckungsgrad festgelegt. Diese Einschätzung hängt stark von den spezifischen Merkmalen der ÖrVE ab und muss deshalb im Einvernehmen mit dem Experten für berufliche Vorsorge vorgenommen werden. Für die ÖrVE entspricht der so bestimmte Wert dem Zieldeckungsgrad. Die fragliche Vorsorgeeinrichtung muss dafür sorgen, dass ihr Deckungsgrad Jahr für Jahr regelmässig oberhalb dieser Zielvorgabe zu liegen kommt.

Wird der Zieldeckungsgrad nicht erreicht, muss für den entsprechenden Teil von einer reellen Unterdeckung gesprochen werden, die nötigenfalls beseitigt werden muss. Wird der Zieldeckungsgrad übertroffen, so sind die überschüssigen Mittel zuallererst für die Bildung sämtlicher technischen Rückstellungen und anderer notwendigen Reserven einzusetzen. Erst dann kann man den allfälligen Saldo zu den «freien Mittel» zählen und eine Verwendung zugunsten der Versicherten der ÖrVE 8431

in Erwägung ziehen (solange die Finanzierung adäquat ist). Bezüglich des minimalen Deckungsgrades tendieren die Experten der beruflichen Vorsorge zu einem Wert von 60 %43, der vernünftigerweise nicht unterschritten werden soll.

Beispiel 2 Vermögen im Sinne von Art. 44 BVV 2

500 Mio.

Verpflichtungen im Sinne von Art. 44 BVV 2

800 Mio.

Deckungsgrad

62,5 % (= 500 : 800)

Unterdeckung

300 Mio. (= 800 ./. 500)

Zieldeckungsgrad

66,7 %

Schwellenwert Nichtkapitalisierung in %

33,3 % (= 1 ./. 66,7 %)

Schwellenwert Nichtkapitalisierung in Fr.

266,4 Mio. (= 800 × 33,3 %)

Reelle Unterdeckung in Fr.

33,6 Mio. (= 300 ./. 266,4)

In diesem Beispiel befindet sich die ÖrVE in Teilkapitalisierung mit einem Zieldeckungsgrad von 66,7 % (es wird angenommen, dass dieser gemeinsam mit dem Experten für berufliche Vorsorge festgelegt wurde). Der Deckungsgrad beträgt jedoch 62,5 % und liegt somit unter dem Schwellenwert. Innerhalb der Unterdeckung von 300 Millionen bedeutet der Teilbetrag von 33,6 Millionen eine reelle Unterdeckung und muss saniert werden.

Das geeignete Finanzierungssystem für diese Variante ist eine Mischfinanzierung: Für den durch das Vermögen zu deckenden Teil erfolgt die Finanzierung über eine Kapitalisierung, während der nicht kapitalisierte Teil im Umlageverfahren finanziert wird.

Darüber hinaus muss natürlich auch das Finanzierungsniveau angemessen sein, weshalb sich die Frage der Finanzierungsmodalitäten stellt. Obwohl theoretische Berechnungen möglich sind, zieht die Praxis in der Regel ein pragmatisches Vorgehen vor. Theoretisch berechnen lässt sich nämlich nur der Teil der Finanzierung, der über Kapitaldeckung läuft. Hingegen ist der im Umlageverfahren finanzierte Teil hauptsächlich von der jeweiligen demografischen Ausgangslage abhängig, weshalb es keine vordefinierte Regel dafür gibt. Für die Finanzierung mit einer Mischung aus Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren gibt es folglich keine rein mathematische Berechnungsformel.

Der pragmatische Ansatz besteht in einer Simulation der möglichen finanziellen Entwicklung der ÖrVE. Es werden also zukunftsgerichtete Annahmen benötigt (Wie wird sich die Anzahl der aktiven Versicherten entwickeln? Und wie die Summe der versicherten Löhne? Wie werden die Versicherungsfälle zunehmen? Wie hoch wird der durchschnittliche Vermögensertrag sein? usw.). Diese Hypothesen sollten natürlich stichhaltig sein. Deshalb empfiehlt es sich, unterschiedliche Szenarien auszuarbeiten (Vermögensertrag optimistisch/vorsichtig, Finanzierung aktuell/mit Zunahme usw.), um die wahrscheinliche Entwicklung und die Auswirkungen von möglichen Massnahmen besser vorhersehen zu können.

43

Vgl. Pittet und Prasa Hewitt.

8432

Die Deckungsgrade für zukünftige Jahre werden mit dem Ziel verglichen. Besonders diese Analyse und deren Interpretation durch den Experten für berufliche Vorsorge erlauben es den Verantwortlichen der ÖrVE, in voller Kenntnis der Sachlage Entscheide zur Finanzierung zu treffen.

Beispiel 3 (aus Beispiel 2 übernommen) Vermögen im Sinne von Art. 44 BVV 2

500 Mio.

Verpflichtungen im Sinne von Art. 44 BVV 2

800 Mio.

Deckungsgrad

62,5 % (= 500 : 800)

Unterdeckung

300 Mio. (= 800 ./. 500)

Zieldeckungsgrad

66,7 %

Schwellenwert Nichtkapitalisierung %

33,3 % (= 1 ./. 66,7 %)

Schwellenwert Nichtkapitalisierung in Fr.

266,4 Mio. (= 800 × 33,3 %)

Eff. Unterdeckung in Fr.

33,6 Mio. (= 300 ./. 266,4)

Übersicht über die voraussichtliche finanzielle Entwicklung (Deckungsgrad) gemäss unterschiedlichen Szenarien:

Aktueller Beitragssatz (22 %) optimistischer Ertrag (4,5 %) Aktueller Beitragssatz (22 %) vorsichtiger Ertrag (3,5 %) Beitragssatz + 3 % (25 %) optimistischer Ertrag (4,5 %) Beitragssatz + 3 % (25 %) vorsichtiger Ertrag (3,5 %)

aktuell

+ 1 Jahr

+ 2 Jahre

+ 3 Jahre

+ 4 Jahre

+ 5 Jahre

62,5 %

63,6 %

64,7 %

65,7 %

66,5 %

67,2 %

62,5 %

62,3 %

62,0 %

61,6 %

61,2 %

60,7 %

62,5 %

64,6 %

66,6 %

68,5 %

70,1 %

71,6 %

62,5 %

63,5 %

64,4 %

65,3 %

66,1 %

66,9 %

In diesem Beispiel weist die ÖrVE heute einen unterhalb ihres Ziels liegenden Deckungsgrad auf (62,5 % gegenüber 66,7 %).

Die Simulationen zeigen jedoch, dass sich die Lage unter optimistischen Annahmen in 5 Jahren erholen sollte, und zwar ohne Erhöhung der Finanzierung, aber mit Hilfe von guten Vermögenserträgen (67,2 %). Mit einem vorsichtig veranschlagten Ertrag und ohne Erhöhung der Finanzierung verschlechtert sich die Situation hingegen (60,7 %). Basierend auf der Hypothese mit einem vorsichtig veranschlagten Ertrag ist eine Erhöhung der Finanzierung um 3 % notwendig (66,9 %).

1.4.2

Einfrieren der Unterdeckung

Kernstück dieser Variante ist das Einfrieren der Unterdeckung (in Franken) der Vorsorgeeinrichtung, indem die zugehörige öffentlich-rechtliche Körperschaft einen Zins auf diese Unterdeckung bezahlt.

8433

Konkret heisst dies: ­

Die ÖrVE behält ihre Teilkapitalisierung bei, d.h. es bleibt eine (eingefrorene) Unterdeckung bestehen. In der Buchhaltung wird unter den Aktiven der technischen Bilanz der ÖrVE ein zusätzlicher Posten unter der Bezeichnung «Eingefrorene Fehlbeträge» geführt, wobei der einmal festgesetzte Frankenbetrag unverändert bleibt.

­

Adäquat ist eine Finanzierung dann, wenn (neben der Verzinsung der Unterdeckung) unter Berücksichtung der «Eingefrorenen Fehlbeträge» jederzeit eine ausgeglichene technische Bilanz der ÖrVE ausgewiesen werden kann.

Um diese Finanzierung festzulegen, geht man in der Praxis vorzugsweise von einem pragmatischen Ansatz aus, der darin besteht, die voraussichtliche finanzielle Entwicklung der ÖrVE zu simulieren.

­

Eine adäquate Finanzierung garantiert somit eine ausgeglichene, in der Regel aber langfristig angelegte technische Bilanz. In der Praxis ist somit von Jahr zu Jahr ersichtlich, wenn die Bilanz nicht ausgeglichen ist. In der technischen Bilanz werden Abweichungen unter den Aktiven als «reelle Unterdeckung» und auf der Passivseite als «freie Mittel» geführt (sofern zuvor alle technischen Rückstellungen und notwendigen Reserven vollumfänglich gebildet worden sind).

­

Massnahmen sind hingegen zu ergreifen, wenn entgegen den Prognosen das längerfristige Gleichgewicht plötzlich nicht mehr gegeben ist (z.B. infolge eines Börsencrashs). In Frage kommen in diesem Fall Sanierungsmassnahmen oder die Verteilung der freien Mittel.

­

Mit einer Verzinsung der Unterdeckung hat die ÖrVE keine Vermögensertragseinbussen (es ist so, als verfügte sie über ein Vermögen in der Höhe ihrer Verpflichtungen), und die oben erwähnte adäquate Finanzierung kommt somit einer Vollkapitalisierung nahe.

­

Was den Zins betrifft, so sollte dieser so angesetzt sein, dass er den entgangenen Vermögensertrag kompensiert. In diesem Sinne sollte der Zins einem voraussichtlichen durchschnittlichen langfristigen Ertrag entsprechen. Da eine klare Bezugsgrösse vorzuziehen ist, würde man diesen Zins wahrscheinlich an einem um 0,5 % erhöhten technischen Zins der ÖrVE ausrichten.44 Die Unterdeckung könnte mit rund 4 % (= technischer Zinssatz von 3,5 % + 0,5 %) verzinst werden, da davon ausgegangen werden kann, dass der von den ÖrVE verwendete technische Zinssatz in naher Zukunft 3,5 % betragen dürfte.

Technisch gesehen, ergeben sich bei dieser Variante die gleichen Auswirkungen wie bei der vollständigen Ausfinanzierung. Der Unterschied ist aus Sicht der ÖrVE rein buchhalterischer Art: Zwar weist die Einrichtung ein Vermögen auf, dieses entspricht aber nicht der Gesamtheit ihrer Verpflichtungen. In beiden Fällen verfügt sie jedoch über dasselbe damit verbundene Einkommen. Aus der Sicht des Garantie gebenden Gemeinwesens besteht hingegen buchhalterisch ein grosser Unterschied

44

Die Schweizerische Kammer der Pensionskassen-Experten empfiehlt, den technischen Zins nach den angenommenen durchschnittlichen langfristigen Erträgen mit einem Abschlag von ungefähr 0,5 % auszurichten, um der zukünftigen Verlängerung der Lebenserwartung Rechnung zu tragen.

8434

zwischen der blossen Verzinsung der eingefrorenen Unterdeckung und ihrer Anerkennung als Schuld.

Das Einfrieren der Unterdeckung (in Franken) und die Verzinsung derselben stellen keine eigentliche Sanierungsmassnahme dar. Sie könnten sich aber positiv auf die Entwicklung der Finanzen der ÖrVE und speziell auf den Deckungsgrad auswirken, denn: ­

ein eingefrorener Betrag verliert inflationsbedingt über die Jahre an Realwert und «verkleinert» sich dadurch;

­

man kann davon ausgehen, dass das Vermögen und die Verpflichtungen der ÖrVE im Sinne von Artikel 44 BVV 2 mit der Zeit ansteigen; da die Unterdeckung in Franken jedoch eingefroren bleibt, steigt der Deckungsgrad parallel zu diesem Anstieg.45

Die eingefrorene Unterdeckung könnte mit der Zeit auf einen derart tiefen Stand sinken, dass die öffentlich-rechtliche Körperschaft veranlasst sein könnte, sie auszugleichen. Wann genau dieser Zeitpunkt erreicht ist, hängt von verschiedenen individuellen Faktoren der jeweiligen Vorsorgeeinrichtung ab.

Beispiele

Vermögen gem. Art. 44 BVV 2

Fiktives Beispiel, heute und in 10 Jahren

Bernische Pensionskasse, 1990 und 1995

heute

1990

600 Mio.

2427 Mio.

Verpflichtungen nach Art. 44 BVV 2

800 Mio.

3749 Mio.

Unterdeckung

200 Mio. (= 800 ./. 600)

1322 Mio.

Deckungsgrad

75 % (= 600 : 800)

64,7 %

in 10 Jahren

1995

700 Mio.

3880 Mio.

Vermögen gem. Art. 44 BVV 2 Verpflichtungen nach Art. 44 BVV 2

900 Mio.

5202 Mio.

Unterdeckung

200 Mio. (= 900 ./. 700)

1322 Mio.

Unterdeckung zu heutigen Kosten

172 Mio. (200 auf 10 Jahre hochgerechnet mit einer Inflation von 1,5 %)

Deckungsgrad

77,8 % (= 700 : 900)

74,6 %

Im fiktiven Beispiel beträgt die Unterdeckung immer 200 Millionen Franken, wohingegen der Deckungsgrad innert 10 Jahren leicht von 75 % auf 77,8 % steigt. Die 200 Millionen werden durch eine moderate Inflation von 1,5 % auf einen Betrag von 172 Millionen «abgewertet», was einem Sanierungseffekt gleichkommt.

45

Die Entwicklung verläuft allerdings genau umgekehrt, wenn die Beträge sich rückläufig entwickeln!

8435

Im Beispiel zur Bernischen Pensionskasse wurde die Anfang der 1990er-Jahre eingetretene hohe Inflation miteinbezogen, die den Deckungsgrad rascher steigen liess.

Diese Variante trägt der Generationengerechtigkeit Rechnung (vgl. Ziff. 1.3), da das Einfrieren der Unterdeckung eine gewisse Kontinuität in die Entwicklung der ÖrVE hineinbringt. Die eingefrorene Unterdeckung wird nicht den aktiven Versicherten aufgebürdet, und es lässt sich vermeiden, dass die Finanzierung der Leistungen einer bestimmten Generation auf Kosten künftiger Generationen erfolgt.

Die öffentlich-rechtliche Körperschaft muss nicht nur ihre reglementarischen Beiträge, sondern auch die eingefrorene Unterdeckung verzinsen und garantieren. Ob eine Rückzahlung des eingefrorenen Fehlbetrags angebracht ist oder nicht, liegt in ihrem Ermessen. Da die Verzinsung nach vorgängig festgelegten Regeln erfolgt, hätte die öffentlich-rechtliche Körperschaft keine weiteren finanziellen Verpflichtungen zu gewärtigen, womit auch mit dieser Variante das Ziel der voraussehbaren Kosten erfüllt wäre.

1.4.3

Kapitalisierung neuer Verpflichtungen

Ab einem bestimmten Zeitpunkt werden alle Verpflichtungen, die der ÖrVE ab diesem Zeitpunkt entstehen, voll kapitalisiert. Nur die in diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Verpflichtungen bleiben teilkapitalisiert, wobei die damit verbundene Unterdeckung verzinst werden muss.

Konkret gilt ab diesem Zeitpunkt: ­

Für aktive Versicherte: Die vor der Anwendung dieses Prinzips bestehende Verpflichtung wird nicht ausfinanziert, doch die Erhöhung dieser Verpflichtung muss von da an voll kapitalisiert werden.

­

Für aktive Versicherte, die Rentenbeziehende generieren: Die Deckungskapitalien der Renten müssen voll im Kapitalisierungsverfahren gebildet werden (finanziert durch die ordentlichen Beiträge).

­

Für Rentenbeziehende, die andere Rentenbeziehende generieren: Die Deckungskapitalien der Renten müssen voll im Kapitalisierungsverfahren gebildet werden.

Sobald alle bei Inkrafttreten dieses Prinzips vorhandenen aktiven Versicherten Rentenbeziehende generiert haben bzw. wenn alle aktiven Versicherten ausgetreten sind und alle bei Inkrafttreten dieses Prinzips vorhandenen Rentenbeziehenden gestorben sind, ist die ÖrVE vollständig ausfinanziert.

Die Anwendung dieses Prinzips hat zur Folge, dass sich die Unterdeckung in Franken mit der Zeit verringert. Denn diese Unterdeckung entspricht den nicht kapitalisierten Verpflichtungen, also jenen Verpflichtungen, die vor dem Beginn der Anwendung dieses Prinzips entstanden sind. Diese werden sich natürlich mit der Zeit verringern und langfristig sogar ganz verschwinden. Dann wird die ÖrVE völlig saniert sein.

Folglich kann diese Variante als verbesserte Variante der oben beschriebenen eingefrorenen Unterdeckung angesehen werden; verbessert deshalb, weil die Unter-

8436

deckung nicht mehr nur in Franken eingefroren, sondern nach und nach behoben wird.

Diese Lösung kann einen erheblichen Mehrbedarf an jährlichen Finanzmitteln nach sich ziehen, beispielsweise, wenn eine relativ grosse Zahl von Versicherten im betreffenden Jahr pensioniert wird. Deren geäufnete Altersguthaben sind nicht vollständig ausfinanziert, da die volle Kapitalisierung der (späteren) Verpflichtungen in diesen Fällen erst seit dem Stichtag (vorher aufgelaufene Verpflichtungen können teilkapitalisiert, danach entstehende müssen vollkapitalisiert sein) erfolgt ist. Man muss sie also bis zur Höhe des Deckungskapitals der neuen Renten aufstocken, da dieses grundsätzlich 100 % entsprechen muss. Mit einem langfristigen Finanzierungsziel (Festlegung von ausgeglichenen Beiträgen) lässt sich dieser Nachteil jedoch in Grenzen halten.

Beispiel Vermögen im Sinne von Art. 44 BVV 2

600 Mio.

Verpflichtungen im Sinne von Art. 44 BVV 2

800 Mio.

Unterdeckung

200 Mio. (= 800 ./. 600)

Deckungsgrad

75 % (= 600 : 800)

Nach 10 Jahren Vermögen im Sinne von Art. 44 BVV 2

750 Mio.

Verpflichtungen im Sinne von Art. 44 BVV 2

900 Mio.

Unterdeckung

150 Mio. (= 900 ./. 750)

Deckungsgrad

83,3 % (= 750 : 900)

Nach 50 Jahren Vermögen im Sinne von Art. 44 BVV 2

1500 Mio.

Verpflichtungen im Sinne von Art. 44 BVV 2

1500 Mio.

Unterdeckung

­.­ (= 1500 ./. 1500)

Deckungsgrad

100,0 % (= 1500 : 1500)

Die Überlegungen, die zur oben behandelten Variante der eingefrorenen Unterdeckung angebracht wurden, sind auch für diese Variante gültig.

1.4.4

Nachteile der verworfenen Finanzierungsmodelle

Die drei hiervor dargestellten Finanzierungsmodelle wurden aus folgenden Gründen verworfen: Einhalten eines globalen Zieldeckungsgrades: Die ÖrVE würden am wenigsten eingeschränkt, wenn man sich auf die Erhaltung des aktuellen Deckungsgrades beschränken würde. Auf diese Variante wurde jedoch verzichtet, weil sie nicht zu einer Sanierung ­ soweit diese machbar ist ­ führen würde. Zudem würde sie die ÖrVE nicht vor allfälligen ungünstigen Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung schützen.

8437

Die Variante hätte in Betracht gezogen werden können, sofern damit eine jährliche Erhöhung des globalen Deckungsgrades ­ zum Beispiel um 0,5 Prozentpunkte ­ verbunden gewesen wäre. Eine solche «pauschale» Massnahme hätte jedoch nicht bei allen betroffenen ÖrVE die gleichen Effekte und wäre administrativ etwas komplizierter zu handhaben. Auch deshalb wurde sie fallengelassen.

Ein globaler Zieldeckungsgrad von zum Beispiel mindestens 80 % hätte im konkreten Einzelfall ganz unterschiedliche Auswirkungen ­ insbesondere wäre er für ÖrVE mit einem gegenwärtig sehr tiefen Deckungsgrad nur schwer realisierbar.

Einfrieren der Unterdeckung Dieser Ansatz wäre sicherlich am transparentesten und am einfachsten zu planen. Er würde jedoch sehr hohe Kosten verursachen (vgl. Anhang). Diese Lösung funktioniert nur dann, wenn der Versichertenbestand der ÖrVE zunimmt und/oder wenn eine hohe Inflation herrscht, die einen starken Lohnanstieg zur Folge hat.

Kapitalisierung der neuen Verpflichtungen Dieser Lösungsansatz würde zwar mittel- oder langfristig zur vollen Ausfinanzierung führen, hätte aber hohe und mit den Jahren ungleich verteilte Kosten zur Folge (vgl. Anhang).

1.5

Die beantragte Neuregelung

Nach dem hier vorgeschlagenen Modell werden Vorsorgeeinrichtungen deren Deckungsgrad am Tag des Inkrafttretens der Neuregelung (Stichtag) mindestens 100 % beträgt, im System der Vollkapitalisierung weitergeführt. Die Berechnung des Deckungsgrades erfolgt gemäss Anhang zur BVV 2 unter (einmaligem) Abzug von Wertschwankungs- und Umlageschwankungsreserven (vgl. Ziff. 1.5.2). Die ÖrVE, die nach dieser Berechnungsmethode einen Deckungsgrad von 100 % oder mehr aufweisen, gelten als vollkapitalisiert im Sinne von Artikel 65 Absatz 1 BVG.

Vorsorgeeinrichtungen, die nach dieser Berechnungsmethode einen Deckungsgrad unter 100 % aufweisen, über eine Garantie des Gemeinwesens und über einen von der Aufsichtsbehörde genehmigten Finanzierungsplan verfügen, können bis zu ihrer vollständigen Ausfinanzierung im System der Teilkapitalisierung und nach dem Finanzierungsmodell des differenzierten Zieldeckungsgrades oder nach einem anderen, restriktiveren Finanzierungsmodell weitergeführt werden. Die Vorsorgeeinrichtungen entscheiden selbstständig, bis wann die vollständige Ausfinanzierung realisiert werden soll.

1.5.1

Ausfinanzierung innert 40 Jahren

Die Perennität des Bestandes der aktiven Versicherten bei ÖrVE sowie der langfristige Fortbestand von Gemeinwesen wie Bund, Kanton und Gemeinde waren beim Inkrafttreten des BVG grundlegende Voraussetzungen dafür, dass ÖrVE das System der Teilkapitalisierung beibehalten konnten. Während das Prinzip des langfristigen Fortbestands von Gemeinwesen weiterhin gilt, ist die Erhaltung des Bestandes der aktiven Versicherten der ÖrVE wegen der Tendenz zur Auslagerung staatlicher Aufgaben nicht mehr gegeben. Eine Finanzierung im Umlageverfahren ist jedoch 8438

nur möglich, wenn der Bestand der aktiven Versicherten langfristig erhalten bleibt, weil die laufenden Rentenleistungen durch deren Beiträge mitfinanziert werden.

Mit der vermehrten Tendenz zur Auslagerung öffentlicher Aufgaben an (private) Dritte und dem häufig damit einhergehenden Übertritt in eine privatrechtliche Vorsorgeeinrichtung reduziert sich der Bestand an aktiven Versicherten in ÖrVE. Deren Belastung durch die Mitfinanzierung der laufenden Rentenleistungen nimmt durch diese Entwicklung weiter zu. Diese Mehrbelastung trifft die (verbleibenden) aktiven Versicherten von Vorsorgeeinrichtungen mit tiefem Deckungsgrad besonders stark.

Eine Ausfinanzierung wirkt dieser zunehmenden Belastung entgegen, indem auch für ÖrVE eine generationengerechte Finanzierung der Rentenleistungen angestrebt wird. Da die meisten ÖrVE ausserdem bereits heute vollständig oder beinahe vollständig ausfinanziert sind, rechtfertigt sich auch von daher eine Angleichung der Rahmenbedingungen an jene für privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen. Damit die Ausfinanzierung auch für Vorsorgeeinrichtungen mit besonders tiefem Deckungsgrad finanziell tragbar ist, muss dafür ein genügend langer Zeitraum vorgesehen werden. Diesen Anforderungen trägt eine Frist von 40 Jahren Rechnung.

1.5.2

Finanzierungsmodell des differenzierten Zieldeckungsgrades

Funktionsweise des Modells Während der Ausfinanzierungsfrist müssen finanzierungsseitig mindestens folgende Anforderungen erfüllt sein: Für jede Vorsorgeeinrichtung werden zwei Anfangsdeckungsgrade (ADG) bestimmt46, die nicht mehr unterschritten werden dürfen, ohne dass Sanierungsmassnahmen zu treffen sind: ­

ADGGesamt bezieht sich auf die Verpflichtungen der ÖrVE gegenüber dem gesamten Versichertenbestand (Aktive und Rentenbeziehende),

­

ADGAktive bezieht sich auf die Verpflichtungen der ÖrVE gegenüber den aktiven Versicherten.

Ausserdem müssen fällige Alters- und Hinterlassenenrenten sowie Risiko- und Austrittsleistungen immer zu 100 % erbracht werden können und damit jederzeit gedeckt sein. Soweit das vorhandene Deckungskapital dafür nicht ausreicht, ist im entsprechenden Umfang die Staatsgarantie zu leisten, d.h. die benötigten Beträge sind vom Gemeinwesen ab diesem Zeitpunkt buchhalterisch als verzinsliche Verpflichtung zu bilanzieren. Dies gilt z.B. im Fall der Teilliquidation einerseits bezüglich des nicht gedeckten Betrags für das austretende Vorsorgewerk. Andererseits ist in diesem Fall auch der Fehlbetrag als Verpflichtung zu aktivieren, der dem verbleibenden Versichertenbestand dadurch entsteht, dass der ADGGesamt und der ADGAktive durch das austretende Vorsorgewerk absinken. Auf diese Weise ergibt sich selbst bei Vorsorgeeinrichtungen, die die Ausfinanzierung erst gegen Ende der 46

Die Bestimmung der Deckungsgrade basiert auf Art. 44 BVV 2. Abweichend davon kann jedoch vom verfügbaren Vorsorgevermögen eine Wertschwankungsreserve und eine Umlageschwankungsreserve abgezogen werden. Es geht hier darum, die mittelfristig angestrebte Ausfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtung zu sichern.

Die betreffenden Berechnungen sollten jedoch in jedem Fall nach fachlich anerkannten Grundsätzen und auf der Grundlage einer durch den Experten für die berufliche Vorsorge erstellten Analyse durchgeführt werden.

8439

Ausfinanzierungsfrist vornehmen wollen, eine der demografischen Entwicklung entsprechende stetige Verbesserung der finanziellen Situation (vgl. dazu das nachfolgende Beispiel).

In allen übrigen Fällen, in denen einer der beiden ADG unter den Ausgangswert bei Inkrafttreten der Neuregelung fällt, hat die Vorsorgeeinrichtung hingegen Sanierungsmassnahmen einzuleiten. Schwankungen der Deckungsgrade oberhalb des Ausgangswertes sind demgegenüber bis zur vollständigen Ausfinanzierung durch die Staatsgarantie gedeckt. Sobald die Vorsorgeeinrichtung vollständig ausfinanziert ist, d.h. der gemäss Anhang zur BVV 2 berechnete Gesamtdeckungsgrad 100 % erreicht hat, kann das Gemeinwesen die Staatsgarantie aufheben47. Ab diesem Zeitpunkt gelten für diese ÖrVE die gleichen Finanzierungsregeln wie für privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen.

Bei der Festsetzung der ADG können angesichts der mit der Neuregelung verbundenen Beschränkung der Staatsgarantie (vgl. dazu im Einzelnen Ziff. 1.5.7) einerseits Wertschwankungsreserven und andererseits ­ zum Ausgleich von Schwankungen beim Versichertenbestand im Teilkapitalisierungsverfahren ­ eine Umlageschwankungsreserve gebildet werden. Beim Personalbestand öffentlich-rechtlicher Körperschaften kann davon ausgegangen werden, dass die Anstellungs- und Abbauphasen langfristig gesehen in mehr oder weniger regelmässigen Abständen aufeinanderfolgen. Diese Zyklen haben im System der Teilkapitalisierung zur Folge, dass der Mittelbedarf bezüglich der einzelnen aktiven versicherten Person ziemlich schwankungsanfällig ist.48 Eine Umlageschwankungsreserve bietet hier für die verbleibende Übergangsphase bis zur Ausfinanzierung die Sicherheit, dass die «freien Mittel» bei Bedarf auch wirklich «unbelastet» sind. Ihr kommt im Hinblick auf die mittelfristig angestrebte Ausfinanzierung lediglich eine Glättungsfunktion zu. Sie ist im Zeitpunkt des Wechsels zur Vollkapitalisierung aufzulösen.

Weitere Aspekte Während der Dauer der Ausfinanzierung müssen Fragen im Zusammenhang mit der Teilliquidation, der Garantie der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, dem obersten Organ, dem Anschluss weiterer Vorsorgewerke, der Anlagestrategie und der Wertschwankungsreserven sowie der Aufsicht gelöst werden. Der Handlungsspielraum der mit einer teilkapitalisierten ÖrVE verbundenen Akteure wird während
dieser Phase wie bereits heute in gewissem Masse eingeschränkt bleiben.

Die demografische Entwicklung, vor allem die Entwicklung des Zahlenverhältnisses zwischen aktiven Versicherten und Rentenbeziehenden stellt für die teilkapitalisierten ÖrVE eine ernstliche Bedrohung dar. Entsprechend müssen Vorkehrungen getroffen werden.

Der zuständigen Aufsichtsbehörde ist im Hinblick auf die Ausfinanzierung ein Finanzierungsplan vorzulegen, in welchem die Modalitäten im Hinblick auf die Ausfinanzierung detailliert angegeben sind (zusätzlicher Finanzierungsbedarf, Verteilung der Kosten, Simulationen usw.).

47 48

Das Gemeinwesen kann jedoch die Staatsgarantie z.B. auch erst nach erfolgter Äufnung von Wertschwankungsreserven aufheben.

Langfristig gesehen müssen öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen wie alle anderen Vorsorgeeinrichtungen dafür sorgen, dass das Beitragsniveau relativ konstant gehalten werden kann. Ansonsten kommt es zu einer Lastenverschiebung von einer Generation zur nächsten.

8440

Mit der periodischen Überprüfung untersucht der anerkannte Experte für berufliche Vorsorge, ob die angestrebte Ausfinanzierung erreicht und die Zieldeckungsgrade der Vorsorgeeinrichtung eingehalten werden können. Nötigenfalls muss die ÖrVE Massnahmen ergreifen, mit denen sie diese Zielsetzungen erreichen kann. Die Aufsichtsbehörde kann ausserdem Massnahmen verfügen.

Der Bundesrat erstattet dem Parlament periodisch (alle 10 Jahre) Bericht über die finanzielle Situation der ÖrVE. Dieses Vorgehen erlaubt es dem Parlament, hinsichtlich des Zeithorizontes für die vollständige Ausfinanzierung allenfalls notwendige Korrekturen vorzunehmen.

Dieses Modell entspricht den Zielsetzungen für ein künftiges Finanzierungsmodell (vgl. Ziff. 1.3): Die verschiedenen Generationen von Versicherten werden einander gleichgestellt, die Verpflichtungen der betreffenden öffentlich-rechtlichen Körperschaft werden klar ausgewiesen, und die finanzielle Lage der ÖrVE verbessert sich auch in jenen Fällen, in denen der Fehlbetrag der ÖrVE erst gegen Ende der Ausfinanzierungsfrist, z.B. durch eine Einmalzahlung, ausgeglichen werden soll.

Beispiel

demografische Alterung

Vermögen: 950 Mio.

Verpflichtungen gegenüber Rentenbeziehenden: 700 Mio.

Verpflichtungen gegenüber aktiven Versicherten: 500 Mio.

Verpflichtungen total: 1 200 Mio.

globaler Deckungsgrad: 79,2 % Rentenbeziehende: 100 % aktive Versicherte: 50 %

Ausgangslage Vermögen: 750 Mio.

Verpflichtungen gegenüber Rentenbeziehenden: 500 Mio.

Verpflichtungen gegenüber aktiven Versicherten: 500 Mio.

Verpflichtungen total: 1 000 Mio.

globaler Deckungsgrad: 75 % Rentenbeziehende: 100 % aktive Versicherte: 50 %

demografische Verjüngung

Vermögen: 900 Mio.

Verpflichtungen gegenüber Rentenbeziehenden: 500 Mio.

Verpflichtungen gegenüber aktiven Versicherten: 700 Mio.

Verpflichtungen total: 1 200 Mio.

globaler Deckungsgrad: 75 % Rentenbeziehende: 100 % aktive Versicherte: 57,1 %

Mit dem Modell eines differenzierten Zieldeckungsgrades wird sichergestellt, dass: ­

bei einer demografischen Alterung der Deckungsgrad der aktiven Versicherten nicht sinkt und der gesamte Deckungsgrad angemessen ansteigt;

­

bei einer demografischen Verjüngung der gesamte Deckungsgrad nicht sinkt und der Deckungsgrad der aktiven Versicherten angemessen steigt.

8441

1.5.3

Bewertung des vorgeschlagenen Finanzierungsmodells

Entscheidungsspielraum bezüglich Art und Dauer des Wechsels zur Vollkapitalisierung Jede ÖrVE in Teilkapitalisierung entscheidet während der Dauer von 40 Jahren selbstständig darüber, auf welche Art und Weise sowie innert welcher Frist sie die volle Ausfinanzierung vornehmen will. Diejenigen ÖrVE, die Ende 2006 einen tiefen Deckungsgrad verzeichnet haben, werden zumindest entscheiden können, ob sie die Ausfinanzierungsfrist ausschöpfen wollen. Die Notwendigkeit eines Entscheidungsspielraums ergibt sich aus dem Umstand, dass zwischen den ÖrVE erhebliche Unterschiede bestehen, sodass keine einheitliche Lösung vorgesehen werden kann. Unabhängig davon stellt das vorgeschlagene Modell jedoch sicher, dass ÖrVE während dieser Frist über ein Finanzierungssystem verfügen, das den Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf ihre finanzielle Situation durch die punktuelle Realisierung der Staatsgarantie laufend Rechnung trägt und so zu einer schrittweisen Verbesserung der finanziellen Lage beiträgt.

Vorteile des Finanzierungsmodells Die Kombination der Zielsetzungen, ÖrVE in Teilkapitalisierung mittelfristig auszufinanzieren und bis zu diesem Zeitpunkt das Finanzierungsmodell des differenzierten Zieldeckungsgrades anzuwenden, hat folgende Vorteile: ­

Die Ausfinanzierung innert 40 Jahren ist für die betroffenen ÖrVE finanziell tragbar.

­

Dadurch, dass der Deckungsgrad der aktiven Versicherten bis zur Ausfinanzierung nicht unter den ADGAktive fallen darf, wird sichergestellt, dass die demografische Entwicklung die Situation der ÖrVE nicht ungünstig beeinflusst.

­

Mit der Regel, dass der Gesamtdeckungsgrad bis zur Ausfinanzierung der Unterdeckung nicht unter den ADGGesamtfallen darf ­ ohne dass Sanierungsmassnahmen ergriffen werden ­, wird für die ÖrVE zumindest eine stabile Finanzlage sichergestellt. Da zudem der Versichertenbestand tendenziell mehr ältere Personen aufweisen wird, deren Rentenansprüche laufend ausfinanziert werden müssen, sollte sich die Gesamtsituation sogar deutlich verbessern.

Massnahmen zur Wiederherstellung des Gleichgewichts im Finanzierungsmodell des differenzierten Zieldeckungsgrades Die ÖrVE, deren finanzielle Lage sich während der Ausfinanzierungsperiode verschlechtert, müssen geeignete Massnahmen treffen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Nachfolgend werden mögliche Massnahmen (unvollständige Aufzählung) aufgeführt: ­

Anpassung des ordentlichen Beitrags (Leistungsprimat, Risikoprämie);

­

Einschränkung oder zusätzliche Finanzierung der Teuerungsanpassung der laufenden Renten;

8442

­

Abbau des Leistungsniveaus: ­ Einschränkung der Bedingungen für die (vorzeitige) Pensionierung; ­ Kürzung der Rentenleistungen; ­ Kürzung der Hinterlassen- oder Invaliditätsleistungen; ­ Festlegung der Leistungen anhand des Durchschnitts der versicherten Verdienste in den letzten Jahren (im Leistungsprimat); ­ Senken der Sparzinsen (im Beitragsprimat); ­ Beitragsnachforderungen (Einkäufe) bei einer Lohnerhöhung (im Leistungsprimat);

­

Verbesserung der Anlagestrategie;

­

Anforderung einer Einmaleinlage von der öffentlich-rechtlichen Körperschaft;

­

Einführung eines befristeten Sanierungsbeitrags;

­

Einführung einer Garantie der Rendite durch die öffentlich-rechtliche Körperschaft.

Dabei ist zu beachten, dass ein Leistungsabbau wegen des Grundsatzes der Aufrechterhaltung erworbener Rechte in der Regel nur auf dem noch versicherten Anteil der Leistungen (Anwartschaften) erfolgen kann.

Beispielsweise hat die Pensionskasse der Gemeinde Lausanne (CPCL) einen Sanierungsbeitrag in Höhe von 3,5 % der versicherten Verdienste beschlossen, der so lange erhoben wird, bis der Deckungsgrad die 60 % erreicht hat. Bei der Pensionskasse der Stadt Freiburg (CPPVF) soll ein Fehlbetrag von 26,6 Millionen Franken durch die verschiedenen Arbeitgeber, Beitragserhöhungen von 2,5 % des versicherten Verdienstes und einen Indexierungsstopp bei den Renten während der nächsten 5 Jahre finanziert werden.

Amortisationskosten und Einfluss der Amortisationsdauer Die Ausfinanzierung der ÖrVE variiert je nach Länge der gewählten Amortisationsdauer. Für die Zeiträume von 10, 20, 30, 40 und 50 Jahren ergibt sich folgende Übersicht über die Kosten einer Ausfinanzierung ohne Wertschwankungs- und Umlageschwankungsreserven:

8443

Ausfinanzierung der Unterdeckung (pro Kanton)49 Datenbasis: 31.12.06 Kanton

AG BE BL BS FR GE JU LU NE SG SH SO TG TI VD VS Total

Unterdeckung in Mio. Fr.

Annuität in Mio. Fr. bei Ausfinanzierung der Unterdeckung innert 10 Jahren

20 Jahren

30 Jahren

40 Jahren

50 Jahren

606 580 378 1 800 275 3 067 35 25 554 159 9 583 1 1 190 4 067 1 334

75 72 47 222 34 378 4 3 68 20 1 72 0 147 501 164

45 43 28 132 20 226 3 2 41 12 1 43 0 88 299 98

35 34 22 104 16 177 2 1 32 9 1 34 0 69 235 77

31 29 19 91 14 155 2 1 28 8 0 29 0 60 205 67

28 27 18 84 13 143 2 1 26 7 0 27 0 55 189 62

14 663

1 808

1 081

848

739

682

Mit zunehmender Amortisationsdauer sinken die jährlichen Kosten zur Ausfinanzierung der bestehenden Unterdeckungen deutlich. Sie betragen bei der vorgeschlagenen Frist von 40 Jahren noch 739 Millionen Franken. Bei einer Verlängerung der Amortisationsdauer von 40 auf 50 Jahre sinken sie nur noch geringfügig um 57 Millionen.

Amortisationskosten unter Berücksichtigung von Wertschwankungs- und Umlageschwankungsreserven Wie oben ausgeführt, beläuft sich die gesamte Unterdeckung aller ÖrVE per Ende 2006 auf 14,7 Milliarden Franken. Dieser Betrag ergibt sich aus einer Berechnung der Unterdeckung nach Artikel 44 BVV 2, bei der keine Wertschwankungsreserven vom Vermögen abgezogen werden können.

Die hier vorgeschlagene Vorlage sieht jedoch in Artikel 72b Absatz 3 BVG vor, dass bei der Berechnung der ADG Wertschwankungs- und Umlageschwankungsreserven vom Vorsorgevermögen abgezogen werden dürfen. Die ÖrVE werden daher bei Inkrafttreten der Vorlage eine höhere Unterdeckung als die erwähnten 14,7 Milliarden Franken aufweisen.

49

Aufgeführt sind nur die Kantone, auf deren Gebiet ÖrVE mit Unterdeckung ihren Sitz haben.

8444

Die genaue Höhe der unter diesen Voraussetzungen zu erwartenden Unterdeckung kann nicht beziffert werden, da es Sache des obersten Organs sein wird, gemeinsam mit dem Experten für berufliche Vorsorge die angemessene Höhe dieser Schwankungsreserven festzulegen. Im Rahmen der vorliegenden Botschaft wird davon ausgegangen, dass sich die Schwankungsreserven insgesamt auf rund 10 % der Verpflichtungen belaufen werden, sodass sich die Unterdeckung insgesamt um rund 10 Milliarden Franken erhöhen wird.

Die Höhe der beiden Reserven wird sich im Übrigen im Verlauf der 40-jährigen Übergangsfrist verändern: ­

Die Wertschwankungsreserve wird sich schrittweise während der Ausfinanzierung erhöhen (zunehmendes Kapital führt zu mehr Anlagen und damit zu höheren Wertschwankungsreserven).

­

Die Umlageschwankungsreserve wird sich hingegen vermindern (der umlagefinanzierte Anteil entwickelt sich gegenläufig zum Kapitalanteil).

Am Ende der 40-jährigen Ausfinanzierungsfrist wird sich der Anteil der Wertschwankungsreserve (da am Ende nur diese weiterbestehen wird) auf ungefähr 15 % der Vorsorgeverpflichtungen belaufen, was die Unterdeckung auf der Basis des heutigen Werts der Wertschwankungsreserven um rund 5,5 Milliarden Franken vergrössern wird.

Zusammenfassend präsentiert sich die Situation wie folgt (Datenbasis per Ende 2006): Unterdeckung gesamt nach Art. 44 BVV 2: Erhöhung nach Berücksichtigung der beiden Schwankungsreserven bei Inkrafttreten: Erhöhung aufgrund der weiteren Entwicklung der beiden Schwankungsreserven: Total

14,7 Mrd.

+ 10,0 Mrd.

+ 5,5 Mrd.

30,2 Mrd.

Wie sich diese 30,2 Milliarden Franken auf die Kantone sowie auf die jährlich notwendigen Zahlungen verteilen, ist aus der nachstehenden Tabelle ersichtlich.

8445

Ausfinanzierungsbetrag zum Ausgleich der Unterdeckung50 (inkl. Reserven nach Kanton) Basis: 31.12.06 Kanton

Unterdeckung in Mio.

Jahresbeiträge in Mio. zum Ausgleich der Unterdeckung innert: 10 Jahren

20 Jahren

30 Jahren

40 Jahren

50 Jahren

AG BE BL BS FR GE GL GR JU LU NE NW SG SH SO SZ TG TI VD VS ZG ZH

1 607 1 627 1 193 3 263 701 5 301 1 211 194 214 988 69 771 11 1 082 109 28 1 904 6 279 1 788 85 2 822

198 201 147 402 86 654 0 26 24 26 122 8 95 1 133 13 3 235 774 220 11 348

118 120 88 240 52 390 0 15 14 16 73 5 57 1 80 8 2 140 462 132 6 208

93 94 69 189 41 307 0 12 11 12 57 4 45 1 63 6 2 110 363 103 5 163

81 82 60 165 35 268 0 11 10 11 50 3 39 1 55 6 1 96 317 90 4 143

75 76 56 152 33 247 0 10 9 10 46 3 36 1 50 5 1 89 292 83 4 131

Total

30 248

3 727

2 227

1 750

1 528

1 409

1.5.4

Umsetzung des Finanzierungsmodells während der Ausfinanzierungsfrist

Im Hinblick auf den angestrebten Ausfinanzierungszeitpunkt unterbreiten die ÖrVE ihren Aufsichtsbehörden einen (zeitlich etappierten Plan), der aufzeigt, mit welchen Massnahmen und in welchen Zeiträumen die Vollkapitalisierung erreicht werden soll. Schliesslich soll der Plan auch aufzeigen, wie die Vorsorgeeinrichtung vorgehen wird, wenn sie einen erheblichen Rückstand auf den Finanzierungsplan aufweist.

Den Vorsorgeeinrichtungen stehen verschiedene Optionen zur Erreichung des Ziels offen. Entscheidend ist, dass sie die Ausfinanzierung anstreben und Massnahmen ergreifen, wenn sich der Grad der Ausfinanzierung der Vorsorgeeinrichtung verschlechtert.

50

Aufgeführt sind nur die Kantone, auf deren Gebiet ÖrVE mit Unterdeckung ihren Sitz haben.

8446

Während der Ausfinanzierungsperiode stellen sich die Fragen der Staatsgarantie und der institutionellen Aspekte anders als nach Abschluss der vollen Kapitalisierung der ÖrVE.

1.5.5

Finanzielle Auswirkungen für die Beteiligten

1.5.5.1

Finanzielle Auswirkungen für die einzelnen Vorsorgeeinrichtungen

In der vorgeschlagenen Fassung beinhaltet die Vorlage für die einzelnen Vorsorgeeinrichtungen unterschiedlich grosse Kosten. Die gesamte Ausfinanzierung für alle ÖrVE mit einem Deckungsgrad unter 91 % per Ende 2006 kommt auf über 13,8 Milliarden zu stehen. Unabhängig von der Art und Weise, wie die aufgezeigten Kosten verteilt werden, käme es in zahlreichen Fällen nicht in Frage, eine vollständige Ausfinanzierung vorzuschreiben. Aus diesem Grund ist in der Vorlage die vollständige Ausfinanzierung aller ÖrVE erst nach Ablauf einer Frist von 40 Jahren vorgesehen (vgl. Art. 72a Abs. 1 Bst. c).

Die nachfolgende Ausführungen berücksichtigen die nach Artikel 44 BVV 2 und dessen Anhang festgelegten Deckungsgrade. Der mögliche Abzug von Wertschwankungs- und Umlageschwankungsreserven (vgl. Ziff. 1.5.3 am Schluss) kann hingegen nicht berücksichtigt werden.51 Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass sich die für eine Berechnung der Ausfinanzierungskosten relevanten Kosten hauptsächlich aus den am Stichtag (Inkrafttreten der neuen Regelung) berechneten ADG ergeben werden. Berücksichtigt man die aktuelle Situation auf den Finanzmärkten, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Deckungsgrade kurz- bis mittelfristig noch weiter sinken werden. Effektiv hat die Überschwemmung der Märkte mit minderwertigen Anleihen («Subprime») zu ausserordentlich grossen52 Verlusten geführt, die selbst mittelfristig nicht vollumfänglich aufgefangen werden können. Es ist im jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar, in welchem Ausmass die im Rahmen konzertierter Aktionen eingebrachten massiven Finanzspritzen der Zentralbanken genügen werden, um eine globale Kreditkrise zu vermeiden und einer drohenden wirtschaftlichen Rezession zu begegnen. Gleichzeitig verstärkt die beschränkte Liquidität auf den Märkten, verbunden mit einer Politik tiefer Zinsen, die Gefahr einer nicht zu vernachlässigenden Inflation, die durch die steigenden Rohstoffpreise angeheizt wird. Der monatliche Pictet-Index BVG 2553 betrug im Dezember 2006 noch 127,47. Er stieg bis Ende Oktober 2007 auf einen Höchstwert von 131,09 und sank bis Ende 2007 auf 128,67. Die deutlichsten Einbussen folgten im ersten Quartal 2008 mit einen sukzessiven Rückgang über 125,64 (Januar) und 124,58 (Februar) auf 122,04 (März). Im Verlauf des zweiten Quartals 2008 deutete sich eine leichte 51

52

53

Eine erschöpfende Abschätzung der möglichen finanziellen Auswirkungen der Vorlage ist wegen der spezifischen Parameter der betreffenden öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtung im Einzelfall (z.B. technischer Zinssatz) und aufgrund der komplexen Berechnungen und Simulationen nicht möglich.

Der letzte vom IWF veröffentliche Bericht vom April 2008 über die finanzielle Stabilität («Rapport sur la stabilité financère dans le monde» [avril 2008]) schätzt den Gesamtverlust auf rund 935 Mrd. Dollar.

Der Pictet-Index BVG 25 dient als Grundlage für die Bemessung der Performance der schweizerischen Pensionskassen.

8447

vorübergehende Erholung an (125,17 Ende April, 125,35 Ende Mai). Diese Phase erreichte mit 126,90 im Verlaufe des Monates Mai ihr Maximum, bevor der Index wieder auf 125,35 Ende Mai und 121,56 Ende Juni sank. Am 15. Juli 2008 stand der Index auf 120,58. Auf dieser Basis ist für das laufende Jahr mit einer Performance von ­6,37 % zu rechnen. Vor diesem Hintergrund kann die eingangs erwähnte Hypothese einer weiter zunehmenden Unterdeckung nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden, falls die beim Inkrafttreten der Neuregelung festzulegenden Deckungsgrade unter den Werten von Ende 2007, allenfalls sogar unter jenen von Ende 2006 liegen. Bewahrheitet sich diese Prognose, so erweist sich eine ausreichend lange Frist für die Ausfinanzierung erst recht als notwendig.

Modularität und stabilisierende Wirkungen Die Modularität des Finanzierungsmodells ergibt sich durch den Umstand, dass die Aufsichtsbehörden ermächtigt sind, die Weiterführung der Finanzierung im System der Teilkapitalisierung während längstens 40 Jahren zu erlauben, wenn der ADGGesamt am Stichtag unter 100 % liegt (vgl. Art. 72a Abs. 2).

Die stabilisierende Wirkung ergibt sich dadurch, dass die am Stichtag durch die im System der Teilkapitalisierung geführten ÖrVE ermittelten Deckungsgrade als minimale Deckungsgrade gelten, das heisst als Schwellenwerte, die nicht mehr unterschritten werden dürfen. Zudem ist die Weiterführung eines gemischten Finanzierungssystems an die Bedingung geknüpft, dass eine Staatsgarantie vorliegt und dass die Vorsorgeeinrichtung einen Finanzierungsplan vorlegt, mit welchem ihr finanzielles Gleichgewicht langfristig gesichert ist und die Ausfinanzierung innert längstens 40 Jahren erreicht werden kann. Dabei müssen die Verpflichtungen gegenüber den Rentenempfängern voll gedeckt sein und die Deckungsgrade für die Verpflichtungen gegenüber den aktiven Versicherten sowie für die gesamten Vorsorgeverpflichtungen langfristig gewahrt bleiben (vgl. Art. 72a Abs. 1 Bst. a und b).

Schliesslich ergibt sich die stabilisierende Wirkung auch aus dem Umstand, dass die Erlaubnis für die Weiterführung eines gemischten Finanzierungssystems jenen ÖrVE vorbehalten bleibt, welche am Stichtag eine Unterdeckung aufweisen. Diejenigen, die am gleichen Stichtag einen Deckungsgrad von 100 % oder darüber verzeichnen, dürfen nur noch im System
der Vollkapitalisierung weitergeführt werden.

Vorsorgeeinrichtungen mit einem Gesamtdeckungsgrad 100 % Diese erste Vorbedingung mag ökonomisch gesehen auf den ersten Blick neutral erscheinen. Dies wäre jedoch nicht mehr der Fall, wenn wichtige Veränderungen, wie eine insgesamt negative Entwicklung der Vermögenserträge oder hohe Fluktuationen in den Beständen, eintreten würden. Gemäss den Angaben von Ende 2006 wären 42 ÖrVE mit annähernd 137 000 aktiven und rund 47 000 rentenbeziehenden Versicherten betroffen. Bei einer negativen Entwicklung wären die betreffenden ÖrVE ebenso wie die privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen verpflichtet, Sanierungsmassnahmen zu ergreifen.

Vorsorgeeinrichtungen mit einem Gesamtdeckungsgrad < 100 % Die ÖrVE, bei denen am Stichtag eine Unterdeckung besteht, würden dazu verpflichtet, zumindest die am Stichtag errechneten ADG einzuhalten und spätestens nach Ablauf von 40 Jahren ausfinanziert zu sein. Ergäben sich ungünstige Umstände (z.B. Kurseinbruch auf den Märkten oder Verschlechterung des demografischen Verhältnisses), welche dazu führten, dass der Deckungsgrad unter den ADG sinken 8448

würde, so müssten auch diese Vorsorgeeinrichtungen Sanierungsmassnahmen ergreifen. Diese Massnahmen hätten sowohl für den Arbeitgeber (die öffentlichrechtliche Körperschaft) wie auch für die aktiven Versicherten und in geringerem Masse für die Rentenbeziehenden spürbare Konsequenzen. Gestützt auf die Daten von Ende 2006 könnten 27 ÖrVE davon betroffen sein, denen etwa 245 000 aktive Versicherte und rund 100 000 Rentenbeziehende angehören.

Vorsorgeeinrichtungen mit einem Gesamtdeckungsgrad zwischen 91 % und 99 % Es ist anzunehmen, dass zumindest die Mehrheit der ÖrVE, deren Deckungsgrad Ende 2006 zwischen 91 und 99 % lag, sich vorzeitig für die Vollkapitalisierung entscheiden wird (das sind 6 ÖrVE mit rund 33 000 aktiven Versicherten und über 13 000 Rentenbeziehenden). Der entsprechende Ausfinanzierungsbedarf beläuft sich derzeit auf 788 Millionen Franken.

Vorsorgeeinrichtungen mit einem Gesamtdeckungsgrad zwischen 61 % und 90 % Für die ÖrVE mit einem Deckungsgrad zwischen 61 % und 90 % sind Schätzungen schwieriger. Mit mehr als 11 Milliarden Franken ist der Finanzbedarf erheblich höher (zu dieser Gruppe von Vorsorgeeinrichtungen gehören ungefähr 200 000 aktive Versicherte und mehr als 80 000 Rentenbeziehende). Daher ist damit zu rechnen, dass in dieser zweiten Gruppe eine Vollkapitalisierung erst in einem späteren Zeitpunkt erfolgt; für jede ÖrVE ist der Fehlbetrag in absoluten Zahlen massgeblich. Bei dieser Wahl werden die Parameter und Simulationen ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen. Zum Vergleich kann man mehrere Fälle anführen, in denen sich ÖrVE mit einem aktuell tiefen Deckungsgrad für Zieldeckungsgrade zwischen 60 und 70 %, seltener für 80 % oder darüber entschieden haben. Daher scheint die Bandbreite zwischen 60 % bis 70 % ein impliziter Referenzwert in Bezug auf die längere Beibehaltung von gemischten Finanzierungssystemen zu sein.

Vorsorgeeinrichtungen mit einem Gesamtdeckungsgrad < 60 % Die kleine Anzahl ÖrVE mit einem sehr tiefen Deckungsgrad wird das Ziel der Vollkapitalisierung kaum vor Ablauf der in der Vernehmlassungsvorlage vorgesehenen 40-jährigen Frist erreichen. In diesem Zusammenhang ist jedoch auf die in Artikel 72g vorgesehene periodische Berichterstattungspflicht des Bundesrates hinzuweisen, wonach das Parlament alle 10 Jahre über die finanzielle Situation der
ÖrVE zu informieren ist, sodass gegebenenfalls Korrekturen bezüglich des Zeithorizontes für die Ausfinanzierung vorgenommen werden können. Die Möglichkeit, die Ausfinanzierungsfrist überprüfen zu können, ist mit Blick auf Vorsorgeeinrichtungen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der vorgeschlagenen Neuregelung einen sehr tiefen Deckungsgrad aufweisen, notwendig. Denn der Finanzierungsplan und die dafür vom Experten für berufliche Vorsorge erstellten notwendigen Simulationen basieren auf Hypothesen. Exogene makroökonomische Faktoren können eine ÖrVE während einer Frist von 40 Jahren dazu zwingen, Anpassungen vorzunehmen.

Ungünstige Rahmenbedingungen können dazu führen, dass bei einem sinkenden Deckungsgrad neben Sanierungs- auch Finanzierungsmassnahmen ergriffen werden müssen, damit die Ausfinanzierung erreicht werden kann. Die Möglichkeit zur Überprüfung der Ausfinanzierungsfrist soll hingegen nicht dazu dienen, die Ausfinanzierungsstrategie der Vorsorgeeinrichtungen zu erschweren, sondern vielmehr dazu beitragen, dass die Belastung der Vorsorgeeinrichtungen trotz widriger Umstände, beispielsweise einer langen Krise der Finanzmärkte, tragbar ist.

8449

1.5.5.2

Finanzielle Auswirkungen für die übrigen Beteiligten

Die Vorlage verpflichtet die ÖrVE, die sich für die Weiterführung einer gemischten Finanzierung entscheiden, während längstens 40 Jahren zumindest ein auf differenzierten Deckungsgraden basierendes Finanzierungssystem zu verwenden (wobei die Verpflichtungen gegenüber den Rentenbeziehenden vollumfänglich gedeckt sind).

Die ÖrVE können während dieser Zeit aber andere Varianten wählen, sofern diese genügend verbindlich sind. Aus ökonomischer Sicht lässt sich kaum abschätzen, welche Finanzierungsmodalitäten für die ÖrVE in Frage kommen könnten. Je tiefer der ADG ist, desto mehr kostet die Ausfinanzierung: Ausgehend von dieser Feststellung werden die Unterschiede zwischen den verschiedenen möglichen Ausfinanzierungsvarianten im Einzelfall anhand von Simulationen aufgezeigt werden müssen, die für die Finanzierungspläne benötigt und von den Aufsichtsbehörden genehmigt werden müssen. Anhand mehrerer konkreter Fälle, in denen bereits Ausfinanzierungsmassnahmen ergriffen wurden, ist von folgenden Auswirkungen auszugehen: Öffentlich-rechtliche Körperschaft/Arbeitgeber In mehreren Fällen, vor allem bei jenen Einrichtungen, die kurzfristig eine volle Ausfinanzierung anstreben, hat die öffentlich-rechtliche Körperschaft einen bedeutenden Teil der Ausfinanzierung übernommen, wobei am häufigsten eine Anleihe aufgenommen wurde (dies lässt sich durch die aktuell tiefen Zinssätze erklären). In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berücksichtigen, dass die in der Vorlage vorgesehene Frist zur vollständigen Ausfinanzierung nicht notwendigerweise mit dem Zeitraum identisch sein muss, innert dem das zuständige Gemeinwesen die mit einer Ausfinanzierung zusammenhängenden Kosten amortisiert. Nimmt das Gemeinwesen z.B. zwecks einer Einmaleinlage Geld am Kapitalmarkt auf, so richtet sich dessen Rückzahlung unabhängig von der in der Vorlage vorgesehenen Frist zur Ausfinanzierung nach den im Einzelfall vereinbarten Bedingungen. Die damit verbundenen Zinskosten können jedoch nicht geschätzt werden, da sie mit der vom Gemeinwesen gewählten Form der Ausfinanzierung, seiner Bonität sowie vom unterstellten Zeithorizont abhängen. Eine andere Möglichkeit der Beteiligung des Arbeitgebers besteht in der Erhöhung der Beiträge, von denen er definitionsgemäss mindestens die Hälfte übernimmt.

Versicherte Geht man von den bekannten Fällen
und den vorgesehenen Massnahmen aus, so müssen die Versicherten damit rechnen, dass sie sich in unterschiedlicher Form an der Ausfinanzierung beteiligen müssen, wobei die Möglichkeiten kumulierbar sind: Zu den häufigsten Massnahmen gehören die Verlängerung der verlangten Versicherungsdauer für den Bezug einer vollen Rente, die Erhöhung der Beiträge oder Einführung von befristeten Sanierungsbeiträgen sowie die Einführung oder Erhöhung der Beteiligung an der Finanzierung von Frührenten. Dabei ist jedoch zu beachten, dass ein Leistungsabbau im Allgemeinen nur bei dem noch versicherten Anteil der Leistungen (Leistungsanwartschaften) vorgenommen werden kann, nicht jedoch bei dem Teil der erworbenen Leistungen, dies aufgrund des Grundsatzes der Aufrechterhaltung erworbener Rechte. Mit Hilfe des Experten für die berufliche Vorsorge erstellte Finanzierungspläne werden dazu beitragen, die Finanzierungslücken der verschiedenen Vorsorgepläne zum Vorschein zu bringen. Daher ist damit zu rech8450

nen, dass die Ausfinanzierungsverfahren über die oben erwähnten Korrekturmassnahmen hinaus eine Anpassung der Vorsorgepläne «nach unten», ja sogar die Streichung von finanziell nicht oder ungenügend gedeckten Leistungen zur Folge haben werden. Daraus könnten sich geringere Leistungsanwartschaften ergeben, eine Wirkung, die mit den auf zusätzliche Finanzierungseinlagen angelegten Massnahmen kombiniert werden kann.

Rentenbeziehender Der Grundsatz der erworbenen Rechte setzt den möglichen Beteiligungen der Rentnerinnen und Rentner an der (Aus-)Finanzierung enge Grenzen. Sie können jedoch indirekt beteiligt werden, insbesondere indem die Renten nicht oder nur teilweise an die Teuerung angepasst werden.

Steuerpflichtige Die Gefahr von teilweisen Abwälzungen auf die Steuerzahler lässt sich in Fällen, wo die Körperschaft bereits einen erheblichen Teil der Refinanzierung trägt, nicht ganz ausschliessen. Die politischen Vorgaben und allfällige Budgetentscheidungen können jedoch dieses Risiko eindämmen.

Die negativen Auswirkungen werden jedoch durch den Umstand relativiert, dass die Vorlage keine drastischen Massnahmen ­ wie etwa eine Vollkapitalisierung innert einer zu kurzen Frist ­ auferlegt. Angestrebt werden eine Stabilisierung und ein Ausgleich im Rahmen einer Übergangsphase, deren Dauer so festgelegt wird, dass die Gefahr spürbarer Kürzungen der verfügbaren Einkommen sowohl der Erwerbstätigen als auch der Rentenbeziehenden abgewendet werden kann.

1.5.6

Organisatorische Auswirkungen für Vorsorgeeinrichtungen

Die Vorlage hat für die ÖrVE auch organisatorische Konsequenzen, darunter insbesondere die folgenden: ­

Die ÖrVE werden vermehrt Experten für die berufliche Vorsorge beiziehen, da sie die Aufgabe haben werden, auf der Grundlage von Simulationen und ihrer spezifischen Parameter Finanzierungspläne zu erarbeiten (dynamische Betrachtung, mit der sich überprüfen lässt, ob das finanzielle Gleichgewicht langfristig gesichert ist). Zwar geben die ÖrVE bereits heute regelmässig versicherungstechnische Expertisen in Auftrag, doch die Vorlage wird dazu führen, dass diese systematisch erstellt werden, was erhebliche Kosten mit sich bringt.

­

Die Rolle des Führungsorgans wird ausgebaut. Zudem erhält dieses Organ gegenüber der betreffenden öffentlich-rechtlichen Körperschaft eine grössere Selbstständigkeit. Dies fördert die Professionalität, indem fachlich kompetente Personen beigezogen oder gewisse operationelle Führungsaufgaben (gegen entsprechende Entschädigung) ausgelagert werden (z.B. der Anlagebereich, da die Vorlage insgesamt darauf angelegt ist, die Kapitalisierungskomponente gegenüber der Umverteilungskomponente stärker zu gewichten).

8451

­

Die Rolle der Aufsichts- und Kontrollorgane wird verstärkt. Deren Aufgabe wird sich nicht mehr darauf beschränken, die Einhaltung der Gesetzesbestimmungen zu prüfen und die üblichen Berichte und Unterlagen abzuliefern. Die Aufsichtsbehörden werden künftig auch Finanzierungspläne zu genehmigen und deren Umsetzung zu überwachen haben. Zudem werden sie die Aufgabe haben, die Anwendung der Sanierungsmassnahmen durch all jene ÖrVE zu überwachen, deren vollständige Deckung gefährdet ist oder deren Deckungsgrad unter den am Stichtag ermittelten Wert sinkt. Bei einer wirtschaftlich oder demografisch ungünstigen Entwicklung könnten erheblich mehr solche Fälle auftreten als in den vergangenen Jahren, da die Garantie allzu häufig dazu verleitet hat, auf das Ergreifen angemessener Massnahmen zur Sicherung einer ausreichenden Finanzierung zu verzichten.

Andererseits kann insofern von einer Rationalisierung der Aufsichtstätigkeit ausgegangen werden, als die Aufhebung des Teilkapitalisierungssystems nach 40 Jahren dazu führt, dass ÖrVE ab diesem Zeitpunkt einer inhaltlich gleichen Aufsicht unterstehen werden wie privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen.

1.5.7

Staatsgarantie

1.5.7.1

Allgemeines

Die Staatsgarantie wird als Ausfallgarantie des Gemeinwesens für fällige Alters-, Risiko- und Freizügigkeitsleistungen des obligatorischen wie des überobligatorischen Bereichs konzipiert, falls diese ganz oder teilweise nicht mehr von der ÖrVE erbracht werden können. Die Staatsgarantie ist betragsmässig grundsätzlich nicht beschränkt, wird jedoch durch die Festlegung zweier Ausgangsdeckungsgrade (ADGAktive oder ADGglobal) insofern limitiert, als bei deren Unterschreitung Sanierungsmassnahmen zu ergreifen sind und nicht die Staatsgarantie aktiviert wird.

ADGglobal wird in sinngemässer Anwendung von Artikel 44 BVV 2 bestimmt.

Jedoch kann in Abweichung zu dieser Bestimmung vom verfügbaren Vorsorgevermögen (Fp) eine Wertschwankungsreserve (RFV) und eine Umlageschwankungsreserve (RU) in Abzug gebracht werden, wobei diese Reserven nach fachlich anerkannten Grundsätzen und auf der Grundlage einer durch den Experten für die berufliche Vorsorge erstellten Analyse errechnet werden, bevor der ADGglobal mit dem versicherungstechnisch notwendigen Vorsorgekapital (Cp) verglichen wird:

(Fp - RFV - RU) × 100 = ADGglobal in % Cp Zur Berechnung des ADGAktive wird das versicherungstechnisch notwendige Vorsorgekapital für die Rentenbeziehenden (Cp/BR) vom verfügbaren Vorsorgevermögen (Fp) in Abzug gebracht, von dem eventuell bereits eine Wertschwankungsreserve (RFV) und eine Umlageschwankungsreserve (RU) abgezogen wurden, bevor der ADGAktive mit dem versicherungstechnisch notwendigen Vorsorgekapital für aktive Versicherte (Cp/AA) verglichen wird: (Fp - RFV - RU - Cp/BR) × 100 = ADGAktive in % Cp/AA

8452

Voraussetzung einer Staatsgarantie ist, dass das Institut selbst, seine Voraussetzungen und die Erlöschensgründe in einem öffentlich-rechtlichen Erlass des Gemeinwesens geregelt sind. Die Staatsgarantie bleibt mindestens so lange bestehen, bis ein Gesamtdeckungsgrad von 100 % erreicht ist.

1.5.7.2

Bilanzierung und Verzinsung

Künftig ist das Vorliegen einer Staatsgarantie Voraussetzung für die Bewilligung der Teilkapitalisierung einer ÖrVE. Der vom Gemeinwesen garantierte und nicht finanzierte Fehlbetrag muss nicht verzinst werden, solange die Staatsgarantie nicht fällig ist. Wird die Garantie hingegen fällig, ist der Fehlbetrag ab diesem Moment vom Gemeinwesen als Schuld zu bilanzieren und zu verzinsen.54 Für den Bund richtet sich die Rechnungslegung gemäss dem revidierten Finanzhaushaltgesetz künftig nach allgemein anerkannten Standards (Art. 48 Abs. 1 FHG).

Damit sind im heutigen Zeitpunkt die internationalen Qualitätsstandards für die Rechnungslegung öffentlicher Gemeinwesen (International Public Sector Accounting Standards, IPSAS) gemeint, mit welchen die tatsächliche Vermögens-. Finanzund Ertragslage des Gemeinwesens zuverlässig und transparent dargestellt werden soll, sodass diese auch für interessierte Laien verständlich sind. Die standardisierte Rechnungslegung wirkt sich ausserdem auf die Bilanzierung von Vermögen und Verpflichtungen aus. Im Zusammenhang mit der Bilanzierung einer Staatsgarantie bedeutet dies, dass nach dem Passivierungsgrundsatz Verpflichtungen nur in die Bilanz aufgenommen werden dürfen, wenn sie am Bilanzstichtag tatsächlich bestehen und der damit verbundene Mittelabfluss zumindest wahrscheinlich ist. Andernfalls ist die Garantie nicht als Verpflichtung in der Bilanz, sondern als Eventualverpflichtung im Anhang zur Jahresrechnung auszuweisen (Wahrscheinlichkeit des Mittelabflusses grösser als 50 %; vgl. Botschaft zu Art. 49 FHG in BBl 2005 86).

Nur im Sinne einer programmatischen Bestimmung ist der Bundesrat beauftragt, sich für die harmonisierte Rechnungslegung von Bund, Kantonen und Gemeinden einzusetzen (Art. 48 Abs. 4 FHG). Aufgrund der verfassungsrechtlichen Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen stehen in dieser Sache nämlich weder dem Bundesgesetzgeber noch dem Bundesrat eigentliche Regelungskompetenzen zu. Das Engagement des Bundesrates, welches von der Eidgenössischen Finanzverwaltung ausgeübt wird, beschränkte sich in der Praxis auf die Unterstützung der Kantone bei der Revision der Fachempfehlung zur Rechnungslegung für Kantone und Gemeinden.

Für die Kantone sind die Fachempfehlungen zur Rechnungslegung für Kantone und Gemeinden verbindlich. Die überarbeitete und am
25. Februar 2008 von der Finanzdirektorenkonferenz verabschiedete Fachempfehlung zur Rechnungslegung für Kantone und Gemeinden (HRM2) lehnt sich ebenfalls an die IPSAS an und bezweckt einerseits, die Rechnungslegung der Gemeinwesen stärker an diejenige der Privatwirtschaft anzunähern. Andererseits soll mit dem HRM2 auch die Gelegenheit genutzt werden, die Rechnungslegung an das revidierte Rechnungslegungsmodell des Bundes gemäss Finanzhaushaltgesetz anzugleichen, indem ein identischer 54

Je nach Umfang dieser Forderung entsteht ein Widerspruch zu Art. 57 Abs. 1 BVV 2 (ungesicherte Anlage beim Arbeitgeber). Diese Verordnungs-Bestimmungen sind daher entsprechend anzupassen.

8453

Kontenrahmen für Kantone und Gemeinden sowie ein Musterfinanzhaushaltgesetz erarbeitet wurde, das sich eng an das Finanzhaushaltgesetz des Bundes anlehnt.

Gemäss HRM2 sind Verpflichtungen der Gemeinwesen gegenüber den ÖrVE ebenfalls so lange als nicht verzinsliche Eventualverpflichtungen im Anhang zur Bilanz aufzuführen, als sie noch nicht fällig sind (z.B. Teilliquidation, Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung).

1.5.7.3

Teilliquidation als Anwendungsfall der Garantie

Im Fall der Teilliquidation haben die austretenden Versicherten Anspruch auf ihre Freizügigkeitsleistungen sowie einen Anteil an den freien Mitteln der Vorsorgeeinrichtung. Fehlbetragsanteile, die durch eine Staatsgarantie gedeckt sind, dürfen bei ÖrVE auch weiterhin nicht von der Freizügigkeitsleistung abgezogen werden.

Hingegen sollen neu ­ d.h. ab Inkrafttreten der Neuregelung ­ entstandene versicherungstechnische Fehlbeträge wie bei privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen anteilsmässig von der Austrittsleistung abgezogen werden können. Artikel 19 FZG behält somit nur in Bezug auf die von einer Staatsgarantie gedeckten Fehlbetragsanteile seine bisherige Geltung. Im Falle eines kollektiven Austritts (Übertritt als Gruppe in eine neue Vorsorgeeinrichtung) hat das austretende Vorsorgewerk zudem grundsätzlich Anspruch auf einen Anteil an den Reserven und Rückstellungen der abgebenden Vorsorgeeinrichtung. Der Garantiegeber hat in diesem Fall neben einem allenfalls fehlenden Deckungskapital auch den Fehlbetrag auszufinanzieren, der durch die Mitgabe von Reserven und Rückstellungen entsteht, damit weder der Gesamtdeckungsgrad noch der Deckungsgrad bei den aktiven Versicherten nach der Teilliquidation unter den jeweiligen ADG sinkt.

Von der Pflicht zur Ausfinanzierung der austretenden Bestände ausgenommen sind jene Fälle, in denen ein Vorsorgewerk von einer ÖrVE mit Staatsgarantie zu einer anderen ÖrVE mit Staatsgarantie wechselt und beide Einrichtungen einen tieferen Ausfinanzierungsgrad vereinbaren, weil das übertretende Vorsorgewerk vollumfänglich von der Staatsgarantie der aufnehmenden Vorsorgeeinrichtung profitiert und so die Ansprüche der Versicherten durch eine tiefere Freizügigkeitsleistung nicht geschmälert werden. Neben einer vertraglichen Regelung zwischen der abgebenden und der übernehmenden Vorsorgeeinrichtung wird in diesen Fällen weiter vorausgesetzt, dass: ­

auch die übernehmende Vorsorgeeinrichtung über eine Staatsgarantie verfügt, und

­

die abgebende Vorsorgeeinrichtung sich für den übertretenden Versichertenbestand in den Deckungsgrad der übernehmenden Vorsorgeeinrichtung einkauft.

Diese Konstellation kann sich beispielsweise ergeben, wenn sich Gemeinden für bestimmte Aufgaben zu einem Zweckverband zusammenschliessen und aus diesem Grund Angestellte einer Gemeinde in die Vorsorgeeinrichtung des Kantons übertreten. Mit einer derartigen vertraglichen Regelung tritt das übernommene Kollektiv in den Massnahmenplan zur Ausfinanzierung der übernehmenden Vorsorgeeinrichtung ein.

Angesichts dessen, dass die Versicherten in der Vergangenheit weder beitrags- noch leistungsseitig mitbestimmen konnten, weil dem paritätischen Organ bei ÖrVE 8454

lediglich ein Anhörungs- und kein Mitbestimmungsrecht (Art. 51 Abs. 5 BVG) zukam, rechtfertigt es sich, die als Folge der Teilkapitalisierung entstandenen Fehlbeträge unabhängig von ihren konkreten Ursachen ausschliesslich dem Garantiegeber und nicht auch den Versicherten anzulasten. Die Versicherten sollen über die fehlende Mitbestimmung hinaus nicht auch über Sanierungsmassnahmen für die nachträgliche Ausfinanzierung dieser Fehlbeträge herangezogen werden können.

1.5.7.4

Rahmenbedingungen zur Garantie im Allgemeinen

Anwendungsfall der Staatsgarantie ist nicht mehr die Bilanzierung in offener Kasse, sondern die Teilkapitalisierung einer ÖrVE.

Die Anlagestrategie einer ÖrVE richtet sich nach ihrer Risikofähigkeit und damit wie bei privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen nach den Artikeln 71 BVG und 50 ff. BVV 2. Eine Staatsgarantie stellt keine Dispens von diesem Grundsatz dar und hat keine Auswirkungen auf die Notwendigkeit der Beachtung der Anlagevorschriften. Dem ist bei der Beaufsichtigung ÖrVE Rechnung zu tragen.

Die gesetzliche Regelung wird so präzisiert, dass der Fehlbetrag nicht von der Vorsorgeeinrichtung getragen werden darf. Die Übernahme des Fehlbetrages ist entweder im Erlass, welcher der ÖrVE zugrunde liegt, oder im Anschlussvertrag mit dem externen Arbeitgeber zu regeln. Fehlen die Grundlagen zur Übernahme des Fehlbetrages, muss die Aufsichtsbehörde die Teilkapitalisierung verweigern.

Die Garantie muss für die gesetzliche und die weitergehende Vorsorge gleichermassen gelten. Sie darf nicht dazu führen, dass der Deckungsgrad einer ÖrVE sinkt. Es sind vielmehr Mechanismen zu definieren, mit welchen der im Massnahmenplan für die jeweilige Periode vorgesehene Deckungsgrad erreicht werden kann. Die Garantie wird durch die Festlegung der beiden ADG insofern limitiert, als bei deren Unterschreitung Sanierungsmassnahmen zu prüfen sind und nicht die Garantie aktiviert wird.

Die Garantie des Gemeinwesens gilt auch für weitere angeschlossene Arbeitgeber, wenn ein solcher Anschluss in einem öffentlich-rechtlichen Erlass vorgesehen ist. In diesem Fall kann das Gemeinwesen verlangen, dass die Leistungsansprüche anzuschliessender Arbeitgeber im Zeitpunkt des Anschlusses vollständig ausfinanziert sind.

1.5.8

Beiträge an den Sicherheitsfonds

ÖrVE sollen auch künftig Beiträge an den Sicherheitsfonds leisten müssen, und zwar unabhängig davon, ob sie über eine Staatsgarantie verfügen oder nicht. Eine Befreiung der ÖrVE von der Beitragspflicht gegenüber dem Sicherheitsfonds würde schon aus Gründen der Gleichbehandlung mit privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen sehr grosser Betriebe, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nie Leistungen des Sicherheitsfonds beanspruchen, zur Forderung nach risikoabhängigen Beiträgen an den Sicherheitsfonds führen. Dies hätte aber negative Auswirkungen auf die berufliche Vorsorge als Ganzes und im Besonderen auf die kleineren Vorsorgeeinrichtungen.

8455

Eine Befreiung der ÖrVE von Beitragsleistungen an den Sicherheitsfonds würde aber auch insofern zu einer Ungleichbehandlung gegenüber privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen führen, als auch bei diesen die Beitragspflichten und virtuellen Leistungsansprüche nicht kongruent sind. Werden doch die Beiträge an den Sicherheitsfonds auch für Einkommen geschuldet, welche keine Fondsleistungen mehr auslösen können.55 Die Frage der Beitragspflicht der ÖrVE mit Staatsgarantie an den Sicherheitsfonds wurde im Übrigen ebenfalls im Rahmen der 1. BVG-Revision diskutiert, wobei in den parlamentarischen Beratungen Einigkeit darüber bestand, dass keine Sonderregelungen für ÖrVE mit Staatsgarantie geschaffen werden sollen.

1.5.9

Rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen

1.5.9.1

Annäherung der Grundlagen von privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen

Wenn eine ÖrVE einmal voll ausfinanziert ist, besteht kein Grund mehr, sie anders zu behandeln als eine privatrechtliche Vorsorgeeinrichtung. Unterschiede sind lediglich dann noch gerechtfertigt, wenn sie sich aus der besonderen Stellung des öffentlichen Arbeitgebers herleiten lassen. Solange die öffentliche Hand eine Staatsgarantie für die Leistungen einer ÖrVE abgibt, können weitergehende Einflussmöglichkeiten gerechtfertigt sein.

Die Vorsorgeregelung eines Betriebes ist ein wichtiges Element in der Ausgestaltung der arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Eine attraktive Vorsorgeregelung ist trotz zunehmender beruflicher Mobilität ein Element eines umfassenden «salary packages». Darin unterscheidet sich der öffentliche nicht vom privaten Arbeitgeber. In beiden Fällen muss die Vorsorgelösung aber auch den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Arbeitgeber entsprechen. Sowohl private wie auch öffentlich-rechtliche Arbeitgeber haben daher einen legitimen Anspruch auf Einflussnahme auf die Ausgestaltung der Vorsorgelösung. Gleich legitim ist aber der Anspruch der Versicherten auf eine Vorsorgeeinrichtung, in der sie aufgrund der von ihnen geleisteten Beiträge mindestens mitbestimmen können.

Bei privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen wird den Bedürfnissen des Arbeitgebers mit der Möglichkeit der einseitigen Ausgestaltung der Stiftungsurkunde Rechnung getragen und den Ansprüchen der Versicherten mit der paritätischen Verwaltung. Ziel der Vorlage ist es, für die privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen und die ÖrVE praktisch gleich lange Spiesse zu schaffen.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Einflussmöglichkeit des Gemeinwesens gesichert, aber auch begrenzt werden.

55

Isabelle Vetter-Schreiber, Berufliche Vorsorge, S. 209 f., unter Hinweis auf ein Urteil der Beschwerdekommission BVG vom 11.2. 2003.

8456

1.5.9.2

Sicherstellung und Begrenzung der Einflussmöglichkeiten des Gemeinwesens

Organisatorische, rechtliche und finanzielle Unabhängigkeit der Vorsorgeeinrichtung

Die ÖrVE sollen in einem eigenen Rechtsträger verselbständigt werden, sei es in Form einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, sei es in Form einer öffentlich-rechtlichen Stiftung. Mit der rechtlichen Verselbstständigung wird gewährleistet, dass die ÖrVE im operativen Bereich autonom und handlungsfähig ist und nicht mehr oder weniger starkem politischem Druck ausgesetzt ist.56 Kompetenzausscheidung zwischen politischem Organ und Vorsorgeeinrichtung

Der öffentliche Arbeitgeber soll Grundzüge der Vorsorgeeinrichtung regeln können.

Als politische Behörde nimmt er diese Regelung in einem Erlass vor. Dieser sollte sich grundsätzlich auf die folgenden Punkte beschränken: ­

Rechtsform der Vorsorgeeinrichtung;

­

Arbeitgeber, welche der Vorsorgeeinrichtung angehören oder ihr beitreten können;

­

Rentenalter;

­

Beitrags- oder Leistungsprimat;

­

entweder Finanzierung oder Leistungen;

­

Umschreibung des versicherten Verdienstes;

­

Abweichungen von der Beitragsparität zulasten des Arbeitgebers;

­

Grundzüge der Organisation und Verhältnis zur öffentlich-rechtlichen Dienstaufsicht;

­

Voraussetzungen für und Vorgehen bei Sanierungsmassnahmen;

­

Umfang der Staatsgarantie, soweit eine solche vorgesehen ist.

Der Erlass grenzt gleichzeitig die Kompetenzen des Gemeinwesens von jenen des obersten Organs ab. Es gilt eine Regelung zu finden, welche einerseits der besonderen Rolle des Gemeinwesens als Garantiegeber und andererseits der Handlungsfähigkeit des obersten Organs der Vorsorgeeinrichtung Rechnung trägt. Das Gemeinwesen soll die Sicherheit haben, dass seine Verpflichtungen gegenüber der Vorsorgeeinrichtung begrenzt bleiben. Das oberste Organ soll über den Spielraum verfügen, den es braucht, um das finanzielle Gleichgewicht der Vorsorgeeinrichtung sicherzustellen. Deshalb sollen nur entweder die Leistungen oder die Finanzierung gesetzlich geregelt werden dürfen, damit das oberste Organ im Rahmen des für die volle Kapitalisierung notwendigen Massnahmenplans entweder die Leistungen an die vorhandene Finanzierungsgrundlage anpassen kann oder die Beiträge so erhöhen kann, dass die Leistungen im Rahmen des Massnahmenplans ausreichend finanziert sind. Sonderregelungen (Vorsorge von Magistratspersonen, Frühpensionierungen, 56

Der Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission zwecks Klärung und Bewertung der Vorkommnisse und Entwicklungen bei der Bernischen Lehrerversicherungskasse (BLVK) an den Grossen Rat vom 11. August 2005 (S. 285) zeigt, dass auch eine rechtlich selbständige öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtung politischem Druck ausgesetzt sein kann.

8457

Invalidisierungen auf Kosten des Arbeitgebers) einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, die nur durch den Arbeitgeber finanziert werden, sind auf Gesetzesstufe zu regeln.

Die Wahl der Erlassform (Gesetz im formellen Sinn, Erlass der Exekutive, Urkunde für öffentlich-rechtliche Stiftung) ist dem Gemeinwesen überlassen.

Reglemente (kassenspezifische Aspekte)

Die Details der Ausgestaltung der Vorsorge einer ÖrVE sollen Gegenstand des Reglements sein. Dazu gehören insbesondere: ­

Verhältnis zum Arbeitgeber;

­

Versicherteneigenschaft;

­

Koordinationsregelung;

­

externe Mitgliedschaft;

­

Leistungen; ­ Invaliditätsbegriff; ­ flexibles Rentenalter; ­ Hinterlassenenleistungen (Partnerschaftsrente, Todesfallkapital);

­

Massnahmenplan zur Herstellung der vollen Kapitalisierung (Rekapitalisierungsplan);

­

Einkaufsregelung;

­

Organisation und Geschäftsführung;

­

Information;

­

Kontrolle.

Mit der Abgrenzung zwischen den Bereichen, die im Erlass und im Reglement geregelt werden, wird auch über die Kompetenzausscheidung zwischen der politischen Behörde und dem obersten Organ der Vorsorgeeinrichtung entschieden.

Reglementsbestimmungen sollen nicht mehr einem Genehmigungsvorbehalt der politischen Behörde unterstehen. Sie sollen ihr aber, wie jedes Reglement dem Arbeitgeber, zur Kenntnis gebracht werden.

Ausschliessliche operative Verantwortung des obersten Organs

Die operative Verantwortung soll ausschliesslich beim obersten Organ der Vorsorgeeinrichtung liegen. Insbesondere soll dieses für den Anlageprozess verantwortlich sein und die Revisionsstelle sowie den Experten für berufliche Vorsorge bestimmen.

Dadurch wird nicht ausgeschlossen, dass die Vorsorgeeinrichtung mit dem Gemeinwesen für bestimmte Bereiche Leistungsverträge abschliessen kann.

8458

1.5.9.3

Zusammenfassung

Zusammenfassend soll die Unabhängigkeit der ÖrVE mit den folgenden Massnahmen verstärkt werden: ­

Die Rechtsstellung der ÖrVE soll möglichst weitgehend an diejenige der privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen angeglichen werden.

­

Die ÖrVE sollen rechtlich, finanziell und organisatorisch verselbstständigt werden.

­

Die für die Vorsorge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Gemeinwesens sowie für die Vorsorgeeinrichtung massgeblichen Grundsätze sollen in einem Erlass geregelt werden. Die Umsetzung dieser Grundsätze soll hingegen in die Kompetenz des obersten Organs der Vorsorgeeinrichtung gestellt werden, welches das entsprechende Reglement erlässt.

­

Die operative Verantwortung für die Vorsorgeeinrichtung soll ausschliesslich dem obersten Organ zukommen.

1.5.10

Aufgaben der Aufsichtsbehörde

Bei ÖrVE, deren Deckungsgrad am Stichtag weniger als 100 % beträgt, kommt der Aufsichtsbehörde eine Schlüsselstellung zu. Bei Weiterführung der Teilkapitalisierung prüft sie den Finanzierungsplan, mit welchem das finanzielle Gleichgewicht bis zur vollständigen Ausfinanzierung gesichert werden soll. Die Aufsichtsbehörde überwacht, ob die Ausfinanzierung der Vorsorgeeinrichtung wie geplant voranschreitet befindet. Andernfalls verlangt sie eine Anpassung des Massnahmenplans.

Dies gilt umso mehr in den Fällen, in welchen sich der Deckungsrad einer ÖrVE verschlechtert und weitergehende Eingriffe notwendig sind.

Die Aufgabe der Aufsichtsbehörde ist ausgesprochen anspruchsvoll. Je nach Ausgestaltung der rechtlichen Grundlagen der Vorsorgeeinrichtung muss sie sich direkt mit den politischen Behörden auseinandersetzen. Damit sie ihre Aufgaben erfüllen kann, muss sie zwingend von den politischen Instanzen unabhängig sein.

1.5.11

Organisatorische, rechtliche und finanzielle Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde

Die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde kann realisiert werden, indem diese aus der kantonalen Zentralverwaltung in eine separate Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgelagert wird, dies analog zu den kantonalen IV-Stellen oder den kantonalen AHV-Ausgleichskassen.

Wie die Kantone diese Unabhängigkeit umsetzen (regionale Aufsichtsbehörde oder selbstständige öffentlich-rechtliche Anstalt des Kantons), soll dagegen in deren Zuständigkeit und Verantwortung gelegt werden.

Bei dieser Ausgangslage soll keine Sonderaufsicht über ÖrVE zugelassen werden.

Vielmehr sollen die ÖrVE den gleichen kantonalen oder regionalen Aufsichtsbehörden unterstehen wie die privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen.

8459

Die Aufsicht über ÖrVE soll nach dem gleichen Grundsatz der Unabhängigkeit wie die Aufsicht über privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen organisiert und durchgeführt werden; d.h. sie muss in rechtlicher, finanzieller und administrativer Hinsicht unabhängig sein. Diesen Kriterien vermag nur eine öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit zu genügen, sei es auf kantonaler oder regionaler Ebene.

1.6

Bewertung der vorgeschlagenen Lösung (Ergebnis der Vernehmlassung)

1.6.1

Unterstützung des vorgeschlagenen Finanzierungsmodells und der institutionellen Massnahmen

Die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Vernehmlassung findet die Angleichung der finanziellen Rahmenbedingungen für ÖrVE tendenziell richtig und stimmt dem Vorschlag zu, dass ÖrVE mit einem Gesamtdeckungsgrad unter 100 % am Stichtag nur dann im System der Teilkapitalisierung weitergeführt werden können, wenn sie über eine Staatsgarantie und einen Finanzierungsplan verfügen.

Das Finanzierungsmodell des differenzierten Zieldeckungsgrades wird mehrheitlich unterstützt. Die Geister scheiden sich jedoch an der Frage, ob und gegebenenfalls wie lange die Teilkapitalisierung zugelassen sein soll. Das vorgeschlagene Modell des differenzierten Zieldeckungsgrades wird vereinzelt ganz abgelehnt, weil entweder ein anderes Modell der Teilkapitalisierung (z.B. gesamtschweizerischer Mindestdeckungsgrad von 80 %) oder die sofortige und vollständige Ausfinanzierung verlangt wird. Die vorgeschlagenen Regeln zur Staatsgarantie und zur Teilliquidation werden mehrheitlich unterstützt.

Unbestritten ist die vorgeschlagene Verpflichtung des Bundesrates, dem Parlament periodisch über die finanzielle Lage ÖrVE Bericht zu erstatten. Die Mehrheit derjenigen, die sich dazu geäussert haben, stimmt dieser Verpflichtung zu.

Mehrheitlich unterstützt werden auch die Vorschläge für eine rechtliche, finanzielle und organisatorische Verselbstständigung der ÖrVE und der Aufsichtsbehörden, die damit verbundene Kompetenzausscheidung zwischen oberstem Organ und Gemeinwesen und die Beibehaltung der Beitragspflicht der ÖrVE gegenüber dem Sicherheitsfonds.

Klar abgelehnt werden hingegen Sonderregeln für ÖrVE mit besonders hoher Unterdeckung sowie die Verpflichtung der ÖrVE, erzielte Überschüsse in erster Linie zur Verbesserung des Deckungsgrades, statt für Leistungsverbesserungen zugunsten der Versicherten zu verwenden.

1.6.2

Mittelfristige Ausfinanzierung umstritten

Stark umstritten war der Vorschlag der Vernehmlassungsvorlage, die Frist zur Ausfinanzierung der teilkapitalisierten ÖrVE auf 30 Jahre zu begrenzen. Zwar unterstützte nur eine Minderheit die vorgeschlagene Frist von 30 Jahren. Es fand sich jedoch weder für die unbefristete Weiterführung der Teilkapitalisierung (Verzicht

8460

auf mittelfristige Ausfinanzierung) noch für eine andere Ausfinanzierungsfrist eine klare Mehrheit.

Die vorgeschlagene 30-jährige Frist zur Ausfinanzierung wird von 16 Kantonen abgelehnt (GR, ZH, TG, JU, AI, VS, TI, SG, NW, FR, BS, VD, GE, NE, AG, SO) und von 10 (AR, GL, ZG, LU, OW, SH, UR, BL, BE, SZ) gutgeheissen. Von den Parteien unterstützen LPS und CVP den Vorschlag, SVP, SP und FDP lehnen ihn ab. Die LPS favorisiert eine Ausfinanzierung innert 50 Jahren anhand eines Finanzierungsplans, der eine stetige Ausfinanzierung vorsieht. Gemäss SP handelte es sich beim System der Teilkapitalisierung um ein bisher zulässiges, bewährtes Finanzierungssystem, dessen Abschaffung unter Berücksichtigung der notwendigen Wertschwankungsreserven rund 50 Milliarden Franken kosten würde. Diese Kosten wären vom Gemeinwesen und nicht von den Versicherten (höhere Beiträge, tiefere Leistungen) zu tragen. Die FDP lehnt einen mittelfristigen Wechsel zur Vollkapitalisierung ab und erachtet den Nutzen einer vollen Ausfinanzierung innert 30 Jahren als zweifelhaft. Die SVP verlangt eine sofortige Ausfinanzierung, mit der die Schuldensituation und der verfälschte Wettbewerb zwischen den öffentlich-rechtlichen Körperschaften bereinigt und die Eigenverantwortung erhöht würde.

Von den gesamtschweizerischen Dachverbänden erachten Swissbanking57 und der Schweizerische Gewerbeverband die volle Ausfinanzierung als richtig. Währenddem der Gewerbeverband jedoch eine maximale Frist von 20 Jahren als angemessen erachtet, plädiert Swissbanking dafür, bei Vorsorgeeinrichtungen mit besonders tiefem Deckungsgrad die Möglichkeit zur Verlängerung der Frist auf 40 oder auch 50 Jahre vorzusehen. Bei den Gegnern stehen die Unvereinbarkeit des differenzierten Zieldeckungsgrades mit dem Endziel einer vollen Ausfinanzierung (Schweizerischer Gewerkschaftsbund, Kaufmännischer Verband Schweiz), die damit verbundenen Kosten, die entstehende Ungleichbehandlung der Generationen und fehlende Bestimmungen über die Durchführung der vollen Ausfinanzierung (travail.suisse) im Vordergrund. Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete verweist in diesem Zusammenhang auf ein Modell eines gesamtschweizerischen Mindestdeckungsgrades von 80 %, der innert 40 Jahren von allen Vorsorgeeinrichtungen erreicht werden müsste.

Von den Behörden, Versicherten-
und Durchführungsinstitutionen unterstützen nur Procap, der Schweizerische Anwaltsverband und der Schweizerische Verband der Sozialversicherungs-Fachleute die Ausfinanzierung innert 30 Jahren. Die Gegner (u.a. Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfe-Organisationen der Schweiz) monieren einerseits, dass das Teilkapitalisierungssystem mittelfristig abgeschafft werde (Treuhand-Kammer, Schweizerischer Pensionskassenverband ASIP) oder das Ziel der Ausfinanzierung nicht mit dem Finanzierungsmodell des differenzierten Zieldeckungsgrades vereinbar sei (Kammer der Pensionskassenexperten). Andererseits wird bezweifelt, dass ÖrVE mit sehr tiefem ADG in der Lage seien, die Deckungslücke innert 30 Jahren auszufinanzieren (Konferenz der BVG- und Stiftungsaufsichtsbehörden). Von den weiteren eingeladenen Organisationen unterstützt nur der Schweizerische Versicherungsverband die Zielsetzung der Ausfinanzierung innert 30 Jahren. Innovation 2. Säule und die Fédération des entreprises romandes lehnen sie hingegen ab, weil die volle Kapitalisierung besser mittels Planverpflichtungen oder durch eine etappenweise Anhebung des Zieldeckungsgrades von 70 % auf 100 % innert 40 Jahren erreicht werden könne.

57

Swissbanking: Schweizerische Bankiervereinigung.

8461

Der Schweizerische Pensionskassenverband sowie die Kantone VD und GE lehnen gemeinsam mit verschiedenen Spontanteilnehmern (Caisse intercommunale de pensions [Lausanne], Conférence des directeurs des Caisses publiques de Suisse romande, CPPVF, CPCL, Les Retraites populaires) die vorgeschlagene Ausfinanzierung der ÖrVE innert 30 Jahren grundsätzlich ab. Sie befürchten den Verlust der Glaubwürdigkeit der zweiten Säule und sprechen sich mit folgenden Argumenten für die Beibehaltung des Systems der Teilkapitalisierung aus: Bei den ÖrVE sei die Perennität weiterhin gegeben, es bestehe keine ökonomische Notwendigkeit zur Aufhebung der Teilkapitalisierung, eine ganze Generation würde als Steuerpflichtige und beitragspflichtige Versicherte gleich doppelt bestraft, die positiven Effekte einer Vollkapitalisierung seien nicht nachgewiesen, die makroökonomischen und sozialen Auswirkungen der Ausfinanzierung seien ungenügend analysiert worden und die Ausfinanzierung innert 30 Jahren würde für verschiedene Gemeinwesen zu untragbaren Lasten führen. Insgesamt sind die spontanen Stellungnahmen jedoch relativ ausgewogen: 59 unterstützen eine volle Ausfinanzierung innert 30 Jahren, 51 lehnen diesen Vorschlag ab. Als Gründe für die Ablehnung werden unbekannte Rahmenbedingungen (Betroffene, Umfang) für die Ausfinanzierung, zu hohe Kosten mit zu hoher Belastung der Steuerpflichtigen, die Ebenbürtigkeit einer korrekt durchgeführten (kostengünstigeren) Teilkapitalisierung, die übermässige Belastung einer Versicherten- bzw. Beitragsgeneration sowie eine zu lange oder auch zu kurze Frist zur Ausfinanzierung genannt. Bei den Befürworterinnen und Befürwortern wird angesichts der mit einer Ausfinanzierung verbundenen Kosten grundsätzlich auch ein Zeithorizont von 40 bis 50 Jahren in Betracht gezogen.

1.7

Weitere Gesetzesänderungen

1.7.1

Redaktionelle Anpassung «Versichertenkollektiv/Vorsorgewerk»

Im BVG und in den Ausführungsverordnungen werden verschiedentlich die Begriffe «Vorsorgewerk» und «Versichertenkollektiv» verwendet, ohne dass sie definiert werden. Eigentlich ist mit beiden Begriffen dasselbe gemeint, nämlich alle versicherten Personen eines angeschlossenen Arbeitgebers (eventuell mehrerer Arbeitgeber, wenn diese gemeinsam einen Anschluss bilden). Weil der Begriff des «Vorsorgewerks» bei Sammel-, nicht aber bei Gemeinschaftseinrichtungen gebräuchlich ist, wurde der Begriff «Versichertenkollektiv» in die Gesetzgebung aufgenommen.

Davon zu unterscheiden ist wiederum der Begriff des «Kollektivs von Versicherten» (vgl. bspw. Art. 1c Abs. 1 BVV 2), der innerhalb der von einem Arbeitgeber angeschlossenen Gruppe Versicherter weitere Untergruppierungen nach Anzahl Dienstjahren, ausgeübter Funktion, hierarchischer Stellung im Betrieb, Alter oder Lohnhöhe ermöglicht. Wenn also innerhalb der angeschlossenen Gruppe eines Arbeitgebers nicht weiter nach einem der genannten Kriterien differenziert wird, können sich die im Versichertenkollektiv/Vorsorgewerk bzw. im Kollektiv der Versicherten zusammengefassten Personengruppen entsprechen. Andernfalls umfassen die Begriffe jedoch verschiedene Personengruppen. Da es somit keinen Grund für eine begriffliche Unterscheidung zwischen Versichertenkollektiv und Vorsorgewerk gibt, der Begriff des «Vorsorgewerks» in der zweiten Säule aber gebräuchlicher ist und nicht mit dem Begriff des «Kollektivs von Versicherten» verwechselt

8462

werden kann, ist der Begriff «Vorsorgewerk» als neutraler, einheitlicher Begriff für die beim gleichen Arbeitgeber angestellte Versichertengruppe zu definieren.

1.7.2

Rechtsform privatrechtlicher Vorsorgeeinrichtungen

Die Motion «Sammelstiftungen. Neue Regelung» (02.3007) wurde am 28. November 2002 überwiesen und verlangt, dass Vorsorgeeinrichtungen anstelle der bisherigen Rechtsformen der Genossenschaft, der Stiftung oder der Einrichtung öffentlichen Rechts eine neue eigene Rechtsform erhalten, weil die seit dem Inkrafttreten des BVG im Bereich der zweiten Säule vorgenommenen Änderungen immer mehr Abweichungen zum eigentlichen Stiftungsrecht aufweisen. Im Weiteren sollten Vorsorgewerke als administrative Einheiten von Sammeleinrichtungen definiert, die Verantwortlichkeitsverhältnisse innerhalb der Vorsorgeeinrichtung geklärt und die rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Vorsorgevermögens sichergestellt werden.

Eine vom EDI im Juli 2003 eingesetzte Expertenkommission58 zur Klärung der Frage einer neuen Rechtsform für Vorsorgeeinrichtungen empfahl in ihrem Bericht vom April 2004, für Vorsorgeeinrichtungen eine neue, eigene Rechtsform zu schaffen, um bestehende rechtsformbezogene Probleme bei der Umsetzung der beruflichen Vorsorge zu lösen. Die BVG-Kommission empfahl dem Bundesrat am 13. Mai 2004 gestützt auf den Bericht der Expertenkommission mit überwiegender Mehrheit, auf eine neue, eigene Rechtsform für Vorsorgeeinrichtungen zu verzichten und stattdessen bestehende rechtsformbezogene Probleme auf der Basis des geltenden Systems anzugehen. Aufgrund dieser klaren Äusserung der wichtigsten Vertreter der beruflichen Vorsorge in der BVG-Kommission entschied der Bundesrat am 24. August 2004, die Frage einer eigenen neuen Rechtsform für Vorsorgeeinrichtungen nach dem Fragenkomplex zur Aufsicht und Oberaufsicht in der beruflichen Vorsorge (Phase 1) und der Finanzierung der ÖrVE (Phase 2) in dritter Priorität anzugehen (Phase 3).

Nach Abschluss der beiden ersten Phasen entschied der Bundesrat am 28. März 2007 aufgrund einer Neubeurteilung der Situation, die noch verbliebenen Fragen im Zusammenhang mit der Rechtsform von Vorsorgeeinrichtung auf der Basis des bestehenden Systems anzugehen und auf eine neue Rechtsform für Vorsorgeeinrichtungen zu verzichten.

Gegenwärtig sind noch 22 privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen (155 582 aktive Versicherte; 34 809 Rentnerinnen und Rentner) als Genossenschaft organisiert, und seit dem Inkrafttreten des BVG wurden keine Vorsorgeeinrichtungen mehr in der Rechtsform
der Genossenschaft gegründet. Die Anzahl genossenschaftlich organisierter Vorsorgeeinrichtungen ist klein und nimmt infolge Fusion oder Auflösung bestehender Vorsorgeeinrichtungen tendenziell eher ab. Für die Aufsicht haben diese Vorsorgeeinrichtungen zu keinerlei Problemen geführt. Die bisher eingeleiteten oder umgesetzten Gesetzesänderungen waren mehrheitlich notwendig geworden, weil sich Probleme im Bereich der (als Stiftungen konzipierten) lebensversicherernahen Sammeleinrichtungen ergeben hatten. Vor diesem Hintergrund erscheint ein grundsätzliches Verbot genossenschaftlich organisierter Vorsorgeeinrichtungen, verbunden mit der Pflicht, diese innert einer Frist in Stiftungen umzuwandeln, der 58

Expertenkommission Rechtsform unter der Leitung von Prof. Hans Michael Riemer.

8463

Problematik nicht angemessen. Hingegen kann insofern eine Bereinigung bezüglich der Rechtsform privatrechtlich organisierter Vorsorgeeinrichtungen erfolgen, als im Sinne eines Auslaufmodells bestehende Vorsorgeeinrichtungen in der Rechtsform der Genossenschaft bis zu ihrer Umwandlung, Auflösung oder Fusion zulässig, Neugründungen privatrechtlicher Vorsorgeeinrichtungen hingegen nur noch in der Rechtsform der Stiftung möglich sein sollen.

Die BVG-Kommission, die die wichtigsten Akteure der zweiten Säule repräsentiert, hat sowohl die Schaffung einer eigenen Rechtsform als auch den in der vorliegenden Botschaft vorgeschlagenen gemässigten Ansatz für eine Bereinigung der Fragen rund um die Rechtsform privatrechtlicher Vorsorgeeinrichtungen an ihren Sitzungen vom 13. Mai 2004 und vom 29. November 2007 vehement abgelehnt und beantragt, auf jedwede Änderung im Zusammenhang mit rechtsformbezogenen Fragestellungen zu verzichten. Sie erachtet nach zahlreichen Reformen nun eine Konsolidierungsphase als notwendig.

1.8

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Die von der SGK-S eingereichte Motion «Sanierungsmassnahmen bei öffentlichen Kassen» (03.3578) wurde am 1. März 2004 überwiesen und verlangt vom Bundesrat einen Gesetzesentwurf, der es ermöglicht, Unterdeckungen bei ÖrVE frühzeitig erkennen und rechtzeitig Massnahmen dagegen ergreifen zu können. Parallel dazu wurde eine parlamentarische Initiative «BVG. Aufhebung von Artikel 69 Absatz 2» lanciert, der der Nationalrat am 28. Februar 2005 Folge gab. Die dafür nötige Behandlungsfrist wurde am 26. Januar 2007 um zwei Jahre verlängert. Die parlamentarische Initiative verlangt mit der Aufhebung von Artikel 69 Absatz 2 BVG für ÖrVE den Wechsel zum System der Vollkapitalisierung und damit die Aufhebung des Teilkapitalisierungsverfahrens.

Diese Vorlage trägt dem Anliegen der parlamentarischen Initiative vollumfänglich Rechnung, indem die vollständige Ausfinanzierung derjenigen ÖrVE innert 40 Jahren vorgeschlagen wird, die bei Inkrafttreten der Neuregelung noch im Teilkapitalisierungsverfahren geführt werden. Dem Anliegen der eingangs erwähnten Motion wird insofern Rechnung getragen, als während der Ausfinanzierungsfrist klare Regeln gelten, wann bei den im Teilkapitalisierungsverfahren geführten ÖrVE Sanierungsmassnahmen getroffen werden müssen und wann es sich um Sachverhalte handelt, die unter die Staatsgarantie fallen. Den Anliegen der Motion «Sammelstiftungen. Neue Regelung» (02.3007; vgl. Ziff. 1.7.2) wird mit der vorliegenden Botschaft teilweise Rechnung getragen: Die Verantwortlichkeitsverhältnisse zwischen den Organen der Vorsorgeeinrichtung sowie die rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Vorsorgevermögens von der Gründerin werden nebst der im Rahmen der 1. BVG-Revision vorgenommenen konsequenten Durchsetzung der Parität im obersten Organ von stiftungsrechtlich organisierten Vorsorgeeinrichtungen und der Abschaffung von Veto- und Mitbestimmungsrechten59 der Gründerin auch mit der Vorlage zur Strukturreform60 sowie dieser Vorlage erreicht: Indem die Aufgaben des obersten Organs sowie der Revisionsstelle und des Experten für

59 60

Vgl. dazu den rechtskräftigen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts C-2371/2006).

Vgl. dazu BBl 2007 5694 f., 5699 ff.

8464

berufliche Vorsorge definiert werden, wird auch Klarheit bezüglich der Verantwortlichkeit geschaffen.

Mit der Vorlage wird sodann im Sinne einer terminologischen Bereinigung der Begriff des «Versichertenkollektivs» durch «Vorsorgewerk» ersetzt, da die Verwendung unterschiedlicher Begriffe für den gleichen Sachverhalt nur historisch, aber nicht sachlich begründet ist. Hingegen wird auf eine Definition der Begriffe Sammel- und Gemeinschaftseinrichtung auf Gesetzesstufe ­ als Voraussetzung für eine terminologische Anbindung des Begriffs des Vorsorgewerks ­ verzichtet: Die bestehenden Vorsorgeeinrichtungen weisen häufig Elemente sowohl der einen als auch der anderen Verwaltungsform auf, sodass Vorsorgeeinrichtungen kaum je klar einer der beiden Verwaltungsformen zugewiesen werden könnten.

Die Vorlage trägt zwar dem Anliegen nach einer neuen, eigenen Rechtsform für Vorsorgeeinrichtungen nicht Rechnung, hingegen wird bezüglich der Rechtsform privatrechtlicher Vorsorgeeinrichtungen insofern eine Bereinigung vorgenommen, als Neugründungen privatrechtlicher Vorsorgeeinrichtungen nur noch in der Rechtsform der Stiftung erfolgen dürfen, währenddem bestehende Vorsorgeeinrichtungen in der Rechtsform der Genossenschaft bis zu ihrer Auflösung oder Umwandlung in eine Stiftung weitergeführt werden dürfen. Diese Änderung wirkt sich auch auf das Fusionsgesetz aus: ÖrVE und bereits bestehende privatrechtliche Genossenschaften könnten sich nur noch in privatrechtliche Stiftungen umwandeln, währenddem sich privatrechtliche Stiftungen und ÖrVE nicht mehr in Genossenschaften umwandeln könnten (Anpassung von Art. 97 FusG). Mittel- bis langfristig wird auf diese Weise ebenfalls eine einheitliche Rechtsform für privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen erreicht.

Beide Vorstösse können somit als erfüllt abgeschrieben werden.

2

Erläuterungen zu einzelnen Gesetzesänderungen

2.1

Änderungen des BVG

Art. 48 Abs. 2 erster Satz

Grundsätze

Artikel 48 Absatz 2 wird dahingehend präzisiert, dass einerseits ÖrVE ­ analog den privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen ­ rechtlich und organisatorisch verselbstständigt werden und andererseits die Neugründung privatrechtlicher Vorsorgeeinrichtungen nur noch in der Rechtsform der Stiftung zulässig ist.

In Bezug auf ÖrVE wird damit die Einflussnahme durch Parlament und Verwaltung beschränkt. Gleichzeitig wird die Stellung des obersten Organs gestärkt (vgl. Erläuterung zu den Art. 50 Abs. 2 und 51 Abs. 5). Klassischerweise umfasst die Bezeichnung der «öffentlich-rechtlichen Einrichtung mit eigener Rechtspersönlichkeit» sowohl die selbstständige öffentlich-rechtliche Anstalt als auch die Stiftung des öffentlichen Rechts.61 Dabei muss beachtet werden, dass die eigene Rechtspersönlichkeit einer Einrichtung öffentlichen Rechts nicht notwendigerweise auch 61

Vgl. dazu Häfelin/Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 4. Auflage, wonach neben der öffentlich-rechtlichen Körperschaft lediglich die öffentlich-rechtliche Anstalt (Rz 1314 ff.) und die öffentlich-rechtliche Stiftung (Rz. 1346 ff.) als Formen der dezentralen Verwaltungsorganisation aufgeführt sind.

8465

deren (vollständige) Autonomie zur Folge hat. Die öffentlich-rechtliche Körperschaft kann die Selbstständigkeit der ÖrVE grundsätzlich weiterhin durch öffentlichrechtliche Erlasse von Parlament oder Regierung beschränken (vgl. Erläuterung zu den Art. 50 Abs. 2 und 51 Abs. 5).

Die Beschränkung von Neugründungen privatrechtlicher Vorsorgeinrichtungen auf die Rechtsform der Stiftung trägt demgegenüber der Tatsache Rechnung, dass heute nur noch wenige Vorsorgeeinrichtungen genossenschaftlich organisiert sind und privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen seit dem Inkrafttreten des BVG ausschliesslich in der Rechtsform der Stiftung gegründet worden sind. Ausserdem waren notwendig gewordene Gesetzesänderungen im Bereich der zweiten Säulen in der Regel Folge von Problemen im Zusammenhang mit den (als Stiftungen konzipierten) lebensversicherernahen Sammeleinrichtungen. Die revidierten Bestimmungen waren jedoch nicht immer auch auf genossenschaftlich organisierte Vorsorgeeinrichtungen zugeschnitten.

Art. 50 Abs. 2

Reglementarische Bestimmungen

Mit der rechtlichen und organisatorischen Verselbstständigung der ÖrVE (Ausgliederung aus der [Zentral-]Verwaltung) wird die Entpolitisierung der beruflichen Vorsorge bei öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern bezweckt. Dies bedingt, dass auch bei ÖrVE das oberste Organ (und nicht das Gemeinwesen) weitgehend die Verantwortung für die finanzielle Sicherheit der Vorsorgeeinrichtung trägt.

Die Organisationsfreiheit der Kantone wird insofern eingeschränkt, als im Bundesrecht die Rechtsform und ein bestimmter Grad an Autonomie der ÖrVE vorgeschrieben wird. Dies erfolgt jedoch vor dem Hintergrund, dass das BVG den Beteiligten als Rahmengesetz mit Mindestvorschriften einen grossen Entscheidungs- und Organisationsspielraum beim Vollzug der beruflichen Vorsorge belässt. Dementsprechend sollen kantonale und kommunale Parlamente und Verwaltungen grundsätzlich auch weiterhin die Möglichkeit haben, mit einem öffentlich-rechtlichen Erlass (Gesetz, Verordnung oder ein von der Exekutive zu genehmigendes Reglement) finanzierungs- oder leistungsseitig einen gewissen Einfluss auf die Vorsorgeeinrichtung ihres Gemeinwesens nehmen zu können. Anders als heute sollen sich jedoch Legislative und Exekutive auf einen der beiden Parameter (Finanzierung oder Leistung) beschränken und so dem obersten Organ die Möglichkeit und Verantwortung belassen, den anderen Parameter mit Blick auf die finanzielle Sicherheit der Vorsorgeeinrichtung flexibel festzusetzen. Das Gemeinwesen kann jedoch auf die Festsetzung von Beitrags- oder Leistungsparametern verzichten und dem obersten Organ auf diese Weise die volle Autonomie und Verantwortung bezüglich der finanziellen Sicherheit gewähren.

Art. 51 Abs. 5

Paritätische Verwaltung

Mit der Ausgliederung der ÖrVE aus der Verwaltung und der Beschränkung der beitrags- oder leistungsseitigen Einflussnahme von Legislative und Exekutive wird das oberste Organ einer ÖrVE gestärkt. Dem obersten Organ kommen somit in Bezug auf reglementarische Bestimmungen künftig mehr Kompetenzen und Verantwortung zu als beim bisher vorgesehenen Anhörungsrecht. Insbesondere wird ­ je nach Ausgestaltung des Erlasses ­ das oberste Organ über die Finanzierung oder die Leistungen der Vorsorgeeinrichtung zu beschliessen haben. Artikel 51 Absatz 5 wird daher aufgehoben.

8466

Art. 51a (neu)

Aufgaben des obersten Organs

Das geltende BVG enthält keine explizite Aufzählung der Aufgaben des obersten Organs der Vorsorgeeinrichtung. Die gesetzlichen Pflichten richten sich vielmehr an die Vorsorgeeinrichtung an sich. Eine konkretere Zuweisung der Aufgaben des obersten Organs drängt sich schon deshalb auf, weil nur so dessen Verantwortlichkeiten klar von jenen des Experten für berufliche Vorsorge und der Revisionsstelle abgegrenzt werden können.

Absatz 1 fasst die Aufgaben des obersten Organs in Form von Grundsätzen zusammen. Das oberste Organ bestimmt die strategischen Ziele und Grundsätze der Vorsorgeeinrichtung. Dazu gehören in erster Linie das Finanzierungssystem, die Leistungsziele und Leistungspläne sowie die Ziele und Grundsätze der Vermögensanlage. Das oberste Organ entscheidet, unter Berücksichtigung der Risikofähigkeit der Vorsorgeeinrichtung, über die Grundsätze der Anlagetätigkeit. Es legt die Organisation der Vorsorgeeinrichtung und die Mittel zur Zielerreichung fest. Ausserdem ist das oberste Organ für die Erfüllung der Aufgaben verantwortlich, welche vom Gesetz an die Vorsorgeeinrichtung übertragen werden.

Absatz 2 spezifiziert die allgemeinen Grundsätze in Absatz 1, indem die grundlegenden Bereiche genannt werden, die vom obersten Organ zu regeln sind:

­

der Kreis der Versicherten: soweit er einen grösseren Personenkreis (z.B. im Rahmen des Unter- oder Überobligatoriums) als die in den Artikeln 7 ff.

erwähnten versicherten Personen erfasst;

­

die Verantwortung dafür, dass die Versicherten umfassend im Sinne von Artikel 86b BVG informiert werden, liegt beim obersten Organ;

­

die Regelung der Einkaufsvoraussetzungen: Sie beschlägt die Verantwortung für das finanzielle Gleichgewicht der Vorsorgeeinrichtung. Um die Vorsorgeeinrichtung vor ungenügend finanzierten Neueintritten zu bewahren, die die langfristige finanzielle Stabilität der Vorsorgeeinrichtung beeinträchtigen können, muss das oberste Organ bei Neuzugängen die Voraussetzungen eines Einkaufs festlegen können. Bei ÖrVE kann diese Kompetenz durch einen öffentlich-rechtlichen Erlass des Gemeinwesens eingeschränkt sein. In diesen Fällen obliegt es dem obersten Organ, entsprechende Anpassungen auf der Leistungsseite vorzunehmen, um die finanzielle Stabilität der ÖrVE langfristig garantieren zu können.

Der hier vorgeschlagene Artikel 51a lehnt sich an die detailliertere Fassung von Artikel 51a der Botschaft zur Strukturreform an. Er wäre an die dort vorgeschlagene Formulierung anzupassen, sofern die Vorlage zur Strukturreform vorher in Kraft tritt.

Art. 53d Abs. 3

Verfahren bei Teil- oder Gesamtliquidation

Artikel 53d Absatz 3 BVG wird terminologisch an das vorgeschlagene neue Finanzierungskonzept angepasst: Massgebend dafür, ob versicherungstechnische Fehlbeträge im Fall der Teil- oder Gesamtliquidation abgezogen werden dürfen, ist nicht mehr die Bilanzierung in offener oder geschlossener Kasse, sondern ob die Vorsorgeeinrichtung im System der Vollkapitalisierung oder der Teilkapitalisierung mit Staatsgarantie geführt wird. Bei den im System der Vollkapitalisierung geführten Vorsorgeeinrichtungen dürfen versicherungstechnische Fehlbeträge im Fall der Teiloder Gesamtliquidation grundsätzlich von der Austrittsleistung abgezogen werden, 8467

soweit das Altersguthaben dadurch nicht geschmälert wird. Bei den im Teilkapitalisierungsverfahren geführten Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie ist dies jedoch nur zulässig, wenn der versicherungstechnische Fehlbetrag nicht durch die Staatsgarantie gedeckt ist.

Art. 56 Abs. 3 und Art. 56a Abs. 1

Der Begriff des Versichertenkollektivs wird zur Vereinheitlichung der Terminologie durch den gleichbedeutenden Begriff des Vorsorgewerks ersetzt.

Art. 61 Abs. 1 und 3

Aufsichtsbehörde

Absatz 1 wird insofern offener formuliert, als künftig nicht mehr notwendigerweise jeder einzelne Kanton eine eigene Aufsichtsbehörde für die Aufsicht über die berufliche Vorsorge bezeichnen muss. Die gewählte Formulierung lässt Raum dafür, dass sich die Kantone auch zu Aufsichtsregionen zusammenschliessen und eine regionale Aufsichtsbehörde bezeichnen können, die Einrichtungen der beruflichen Vorsorge mit Sitz in der Aufsichtsregion beaufsichtigt. Die gewählte Formulierung unterscheidet bezüglich der Aufsichtszuständigkeit nicht zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen, sodass die vom Kanton bezeichnete Aufsichtsbehörde für beide zuständig ist. Die Aufsichtszuständigkeit für ÖrVE war in der Botschaft zur Strukturreform in der beruflichen Vorsorge mit Verweis auf die Vorlage zur Finanzierung ÖrVE bewusst offen gelassen worden. Die materielle Aufsicht über ÖrVE im System der Teilkapitalisierung unterscheidet sich nicht grundlegend, sondern nur in folgenden Punkten von der Aufsicht über privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen:

­

Seitens der öffentlich-rechtlichen Körperschaft können finanzierungs- oder leistungsseitig Vorschriften gemacht werden.

­

Die Vorsorgeeinrichtung muss gewährleisten, dass die Verpflichtungen im Rahmen des Zieldeckungsgrades bzw. der bundesrechtlichen Minimalanforderungen nach Artikel 72a gedeckt sind und dass gemäss Feststellungen des Experten für berufliche Vorsorge Einnahmen und Ausgaben langfristig im Gleichgewicht bleiben.

­

Die finanzielle Sicherheit der Vorsorgeeinrichtung wird nicht nur durch Beiträge und Anlageergebnisse, sondern auch durch eine staatliche Garantie sichergestellt. Dies stellt im Zeitpunkt der Genehmigung der Teilkapitalisierung (vgl. Erläuterungen zu Art. 72a Abs. 2) und bei Teil- sowie Gesamtliquidationen (vgl. Erläuterungen zu Art. 19 FZG) besondere Anforderungen an die Aufsichtsbehörde.

Absatz 3: Um die Beeinflussungsmöglichkeiten durch die Verwaltung ­ unter Vorbehalt von Artikel 50 Absatz 2 ­ auf ein Minimum zu beschränken, muss neben der ÖrVE auch die zuständige Aufsichtsbehörde juristisch, organisatorisch und finanziell verselbstständigt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Exekutive des Gemeinwesens auf dem Weg der administrativen Weisung oder durch Beschränkung finanzieller und personeller Mittel auf die Geschäftsführung der ÖrVE Einfluss nehmen kann. Folgerichtig sind deshalb auch die von den Kantonen bezeichneten Aufsichtsbehörden konsequent zu verselbstständigen. Die Verselbstständigung der Aufsichtsbehörden schlägt der Bundesrat bereits mit seiner Botschaft zur Strukturreform in der beruflichen Vorsorge vor. Der hier vorgeschlagene

8468

Absatz 3 wird hingegen erst mit dem Inkrafttreten der mit der Strukturreform vorgeschlagenen Änderung von Artikel 61 obsolet, weshalb er vorderhand beibehalten wird.

Art. 65 Abs. 2 und 2bis (neu)

Grundsatz

Absatz 2: Der an und für sich nicht bestrittene buchhalterische Grundsatz der Bilanzierung in geschlossener Kasse wird aus systematischen Gründen neu nicht mehr in Artikel 69 Absatz 1, sondern in Artikel 65 Absatz 2 geregelt.

Absatz 2bis: Der heutige Artikel 69 Absatz 1 BVG verpflichtet die Vorsorgeeinrichtungen, den Grundsatz der Bilanzierung in geschlossener Kasse einzuhalten, und ermächtigt die Aufsichtsbehörden für ÖrVE von diesem Grundsatz Ausnahmen zuzulassen. Damit wurde indirekt der Grundsatz der vollen Kapitaldeckung statuiert.

Dieser Inhalt soll neu ausdrücklich als Bestandteil der Finanzierungsbestimmungen formuliert werden, während die Voraussetzungen zur Führung einer Vorsorgeeinrichtung im Teilkapitalisierungsverfahren neu in einem separaten Artikel 72a geregelt werden.

Art. 69

Finanzielles Gleichgewicht

Bei dem bisher in Artikel 69 verankerten Grundsatz der Bilanzierung in geschlossener Kasse handelt es sich um eine Rechnungslegungsvorschrift für vollkapitalisierte Vorsorgeeinrichtungen. Systematisch sind Rechnungslegungsvorschriften seit Inkrafttreten der Transparenzbestimmungen im Rahmen der 1. BVG-Revision jedoch Bestandteil von Artikel 65a BVG, sodass Artikel 69 keinen eigenständigen Regelungsgehalt mehr aufweist und aufgehoben werden kann.

Art. 72a (neu)

System der Teilkapitalisierung

Absätze 1 und 2: Für dieses System kommen nur ÖrVE in Frage, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Regelung nicht bereits im Vollkapitalisierungssystem geführt werden. Für diese Vorsorgeeinrichtungen gelten die Voraussetzungen, dass eine Staatsgarantie eines Gemeinwesens vorliegen (vgl. Erläuterungen zu Art. 72c) und die finanzielle Entwicklung der Vorsorgeeinrichtung durch einen Finanzierungsplan so geregelt sein muss, dass eine Ausfinanzierung innert 40 Jahren erreicht wird. Die zuständige Aufsichtsbehörde entscheidet darüber, ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind. Die bei Inkrafttreten der neuen Regelung festgelegten Deckungsgrade dürfen bezüglich der Verpflichtungen dieser ÖrVE gegenüber ihren aktiven Versicherten und gegenüber der Gesamtheit ihrer Versicherten bei vollumfänglich vorhandenem Rentendeckungskapital im weiteren Verlauf nicht mehr unterschritten werden (vgl. Ziff. 1.5.2).

Absatz 3: Die Tendenz zur vermehrten Dezentralisierung der Verwaltungstätigkeit hat dazu geführt, dass sich auch der Begriff der Perennität gewandelt hat: Der Fortbestand des Vorsorgewerks einer ÖrVE ist nur noch gesamthaft und nicht mehr auf individueller Ebene gegeben. Somit ist die Perennität des Vorsorgewerks zwar durch den Fortbestand des Gemeinwesens und dessen fortdauernden Bedarf an Personal gegeben. Hingegen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Personalbedarf und damit der Personalbestand stabil bleiben ­ mithin also jeder Austritt aus dem Vorsorgewerk durch einen Eintritt ersetzt wird. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Personalbedarf des Gemeinwesens grösseren oder kleineren Schwankungen

8469

unterliegt. Beispielsweise sind Pensionierungen mehrerer Jahrgänge wegen angekündigter Leistungsverschlechterungen bei einer Vorsorgeeinrichtung und die damit verbundenen zahlenmässig steigenden Verpflichtungen gegenüber Rentnerinnen und Rentnern absehbar. Um sicherzustellen, dass die Verpflichtungen der Vorsorgeeinrichtung dennoch erfüllt werden können, kann diese während der Dauer der Teilkapitalisierung Umlageschwankungsreserven äufnen. Auf diese Weise können voraussehbare Zusatzbelastungen des Vorsorgewerks ausgeglichen werden.

Absatz 4: Da bei Vorsorgeeinrichtungen im Teilkapitalisierungsverfahren wegen des (garantiegedeckten) Fehlbetrags durch den Anstieg eines oder beider Deckungsgrade nicht notwendigerweise freie Mittel entstehen, die ohne weiteres zugunsten der Versicherten (z.B. Anpassung der laufenden Renten an die Teuerung) verwendet werden könnten, erhält der Bundesrat die Kompetenz, den Begriff der freien Mittel im System der Teilkapitalisierung und die Voraussetzungen für ihre Verteilung an die Versicherten zu definieren. Analog zur geltenden Regelung bezüglich des Anspruchs auf einen Anteil der Wertschwankungsreserven im Fall der Teilliquidation erhält der Bundesrat die Kompetenz, den Anspruch eines austretenden Vorsorgewerks auf die Umlageschwankungsreserve im Teilliquidationsfall zu regeln.

Art. 72b (neu)

Ausgangsdeckungsgrade

Absatz 1 definiert den Stichtag und die Berechnung der für das künftig anwendbare Finanzierungssystem massgebenden Ausgangsdeckungsgrade. Die Ausgangsdeckungsgrade bezüglich der Verpflichtungen gegenüber den aktiven Versicherten (ADGAktive) und bezüglich der gesamten Verpflichtungen der Vorsorgeeinrichtung (ADGGesamt) werden bestimmt, nachdem das zur Deckung der fälligen Renten benötigte Deckungskapital vollumfänglich berücksichtigt worden ist (Abs. 2). Zusätzlich dürfen ­ auf der Basis des Berichts des Experten für berufliche Vorsorge und nach anerkannten fachlichen Grundsätzen ermittelte ­ Wertschwankungs- und Umlageschwankungsreserven abgezogen werden (Abs. 3). Die so ermittelten Ausgangsdeckungsgrade bilden die Grundlage für den Entscheid der Aufsichtsbehörde, ob eine Vorsorgeeinrichtung mit einem Gesamtdeckungsgrad von unter 100 Prozent im System der Teilkapitalisierung weitergeführt werden kann oder nicht (vgl. Art. 72a Abs. 2).

Art. 72c (neu)

Staatsgarantie

Die Staatsgarantie war bisher nicht im BVG geregelt, sondern lediglich als Voraussetzung der Genehmigung zur Bilanzierung in offener Kasse auf Verordnungsstufe erwähnt (Art. 45 Abs. 1 BVV 2). Angesichts dessen, dass der Staatsgarantie bis zur vollständigen Ausfinanzierung innert 40 Jahren auch weiterhin zentrale Bedeutung zukommt, rechtfertigt es sich, ihr Wesen, ihren Umfang und ihren Anwendungsbereich auf Gesetzesstufe zu regeln.

Absatz 1 definiert den Begriff der Staatsgarantie: Es handelt sich nicht um eine bilanzierungspflichtige Schuld des Gemeinwesens gegenüber der Vorsorgeeinrichtung, sondern um eine Deckungszusage für bestimmte Leistungen, die als Folge der Teilkapitalisierung bis zum Eintritt besonderer, abschliessend aufgezählter Fallkonstellationen nicht ausfinanziert wurden. In Bezug auf diese nicht finanzierten Anteile liegt insofern eine bedingte Schuldverpflichtung vor, als die Verpflichtungen als Schuld des Gemeinwesens im Anhang zur Bilanz auszuweisen sind (Bst. a+b).

Dabei handelt es sich einerseits um fällige individuelle Ansprüche einzelner Versi-

8470

cherter bei Individualaustritten, andererseits um Ansprüche eines Vorsorgewerks in Teilliquidationsfällen.

Die Staatsgarantie umfasst ausserdem, sofern beim Austritt eines Vorsorgewerks der Deckungsgrad der Vorsorgeeinrichtung absinkt und dadurch ein Fehlbetrag entsteht, ausnahmsweise auch den versicherungstechnischen Fehlbetrag. Aus Gründen der Gleichbehandlung des austretenden mit dem in der Vorsorgeeinrichtung verbleibenden Vorsorgewerk ist dieser Fehlbetrag ebenfalls im Zeitpunkt der Teilliquidation durch die Realisierung der Staatsgarantie im entsprechenden Umfang auszufinanzieren.

Der Umfang der Staatsgarantie ist einerseits auf die Differenz zwischen dem bei Inkrafttreten der Regelung festgesetzten Deckungsgrad und der vom Gemeinwesen in einem öffentlich-rechtlichen Erlass festgesetzten Limite (Deckungsgrad mind.

100 %) beschränkt, andererseits erstreckt sie sich über den obligatorischen Teil hinaus auch auf reglementarische Leistungen. Nur wenn der Deckungsgrad der abgebenden Vorsorgeeinrichtung durch den Austritt eines Vorsorgewerks absinkt, umfasst die Staatsgarantie auch versicherungstechnische Fehlbeträge. Die Staatsgarantie umfasst ausserdem auch Leistungen an Vorsorgewerke, die der ÖrVE angeschlossen wurden. Um das eigene Risiko in Bezug auf die Staatsgarantie zu beschränken, kann das Gemeinwesen im Anschlussvertrag oder in einem öffentlichrechtlichen Erlass voraussetzen, dass Vorsorgewerke von nachträglich anzuschliessenden Arbeitgebern im Zeitpunkt des Anschlusses ausfinanziert sein müssen.

Art. 72d (neu)

Überprüfung durch den Experten für berufliche Vorsorge

Ergänzend zu den in Artikel 53 Absatz 2 aufgeführten Pflichten hat der Experte für berufliche Vorsorge bei den im System der Teilkapitalisierung geführten Vorsorgeeinrichtungen zusätzlich zu prüfen, ob das finanzielle Gleichgewicht der Vorsorgeeinrichtung im Sinne des von der Aufsichtsbehörde genehmigten Finanzierungsplanes langfristig sichergestellt ist. Er hat insbesondere zu prüfen, ob die bei Inkrafttreten der Neuregelung festgelegten Ausgangsdeckungsgrade mit der Umsetzung des Finanzierungsplanes tatsächlich eingehalten werden bzw. ob das oberste Organ andernfalls Sanierungsmassnahmen im Sinne der Artikel 65c­65e ergreifen muss und insbesondere ob das Ziel der Vollkapitalisierung mit der im Finanzierungsplan formulierten Strategie der Vorsorgeeinrichtung erreicht werden kann.

Art. 72e (neu)

Unterschreiten der Ausgangsdeckungsgrade

Wird einer der Ausgangsdeckungsgrade im Verlauf der Auskapitalisierungsphase unterschritten oder sind die Ansprüche der Rentnerinnen und Rentner nicht mehr gedeckt, so sind diese Fehlbeträge nicht im Rahmen der Staatsgarantie zu decken, sondern es sind zwingend Sanierungsmassnahmen an die Hand nehmen.

Art. 72f (neu)

Übergang zum System der Vollkapitalisierung

Absatz 1: Sobald die im System der Teilkapitalisierung geführte Vorsorgeeinrichtung nach Ansicht des Experten für berufliche Vorsorge in der Lage ist, in das System der Vollkapitalisierung zu wechseln, gelten für diese Vorsorgeeinrichtung die Finanzierungsbestimmungen für vollkapitalisierte Vorsorgeeinrichtungen.

Absatz 2: Sobald die Vorsorgeeinrichtung die Anforderungen nach Absatz 1 erfüllt, kann das zuständige Gemeinwesen entscheiden, dass es die Staatsgarantie aufhebt.

8471

Das Gemeinwesen entscheidet dabei grundsätzlich frei darüber, ob und wann es die Staatsgarantie aufhebt.

Art. 72g (neu)

Berichterstattung durch den Bundesrat

Der Bundesrat ist verpflichtet, dem Parlament ab Inkrafttreten der Neuregelung periodisch (alle 10 Jahre) Bericht über die finanzielle Situation aller, insbesondere jedoch der im Teilkapitalisierungsverfahren geführten ÖrVE zu erstatten. Dieses Vorgehen erlaubt es dem Parlament, die Entwicklung der finanziellen Lage der im System der Teilkapitalisierung geführten ÖrVE zu verfolgen und allenfalls notwendige Korrekturen an die Hand zu nehmen.

2.2

Änderung des Zivilgesetzbuches

Art. 89bis Abs. 6 Ziff. 14 Anpassung des Verweises.

2.3

Änderung des Fusionsgesetzes

Art. 97 Abs. 1 Anpassung des Verweises.

2.4 Art. 19

Änderungen des Freizügigkeitsgesetzes Versicherungstechnischer Fehlbetrag

Artikel 19 wird neu in zwei separate Absätze gegliedert, die den Individual- bzw.

den Kollektivaustritt (Teil-/Gesamtliquidation) regeln.

Absatz 1 regelt wie bisher, dass versicherungstechnische Fehlbeträge beim Individualaustritt aus einer Vorsorgeeinrichtung nicht von der Austrittsleistung abgezogen werden dürfen.

Absatz 2 regelt demgegenüber für den Fall der Teil- oder Gesamtliquidation, dass versicherungstechnische Fehlbeträge grundsätzlich durch die abgebende Vorsorgeeinrichtung abgezogen werden können, wobei für Vorsorgeeinrichtungen, die im System der Teilkapitalisierung geführt werden, eine Einschränkung gilt: Diese dürfen einen versicherungstechnischen Fehlbetrag nur dann vom Deckungskapital des austretenden Vorsorgewerks abziehen, wenn es sich dabei um eine Deckungslücke handelt, die Folge des Unterschreitens eines oder beider bei Inkrafttreten der Regelung festgesetzten Deckungsgrade handelt. Steht die Deckungslücke hingegen im Zusammenhang mit der Garantie des Gemeinwesens, so muss dieser Fehlbetrag anteilsmässig mitgegeben werden (Ausnahme: zwei ÖrVE mit Staatsgarantie vereinbaren, dass das übertretende Vorsorgewerk einen Deckungsgrad unter 100 Prozent und damit einen tieferen Ausfinanzierungsgrad aufweisen darf).

8472

Art. 23 Abs. 2

Teil- oder Gesamtliquidation

Aufgrund der im Zusammenhang mit der Umlageschwankungsreserve neu eingefügten Sonderbestimmung zur Teilliquidation bei ÖrVE muss der Verweis auf die BVG-Bestimmungen angepasst werden.

2.5

Übergangsbestimmungen

a. Bestimmung des Ausgangsdeckungsgrades

Die Zuständigkeit und die Frist zur Festlegung der für das künftig anwendbare Finanzierungssystem massgebenden Ausgangsdeckungsgrade werden geregelt.

b. Rechtsform der Vorsorgeeinrichtungen

Die Änderung ist anwendbar auf alle im Zeitpunkt des Inkrafttretens hängigen Fälle.

Vor dem Inkrafttreten dieser Regelung als Genossenschaft gegründete Vorsorgeeinrichtungen können bis zur ihrer Aufhebung oder Umwandlung in eine andere Rechtsform in der Rechtsform der Genossenschaft weitergeführt werden. Auf sie finden subsidiär die Bestimmungen über die Genossenschaft nach den Artikeln 828 ff. OR Anwendung. In Gründung befindliche privat-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen dürfen hingegen nur noch stiftungsrechtlich organisiert sein.

3

Auswirkungen

Die vorgeschlagene neue Regelung schafft die Grundlage für eine Verbesserung der finanziellen Situation der ÖrVE durch eine mittelfristigen Ausfinanzierung und eine Annäherung an die privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen. Mit der Erhöhung des Deckungsgrads wird das Ziel verfolgt, die ÖrVE in das System der Vollkapitalisierung zu überführen.

Aus dieser Zielsetzung ergibt sich die Notwendigkeit eines staatlichen Eingreifens.

Das Weiterbestehen von Staatsgarantien für hohe Summen hat zur Folge, dass für einige öffentlich-rechtliche Körperschaften sehr grosse Eventualverpflichtungen fortbestehen. Diese Körperschaften werden sich auf den Kapitalmärkten um finanzielle Mittel bemühen müssen, um sich refinanzieren zu können.

3.1

Auswirkungen für den Bund

Die Vorlage hat für den Bund keine Auswirkungen.

3.2

Auswirkungen für Kantone und Gemeinden

3.2.1

Staatsgarantie

In der Vorlage wird bekräftigt, dass sich die Staatsgarantie auf sämtliche geschuldeten Leistungen erstreckt, also auch auf jene im überobligatorischen Bereich. Daraus folgt, dass die betreffenden Körperschaften bei den Eventualverpflichtungen nicht 8473

mehr nur einen begrenzten Teil der geschuldeten Leistungen werden verbuchen können. Andererseits kann die Staatsgarantie insoweit eingeschränkt werden, als die Differenz zwischen dem tatsächlichen Deckungsgrad und dem Ausgangsdeckungsgrad nicht mehr Bestandteil der Staatsgarantie ist.

Gemäss den Bestimmungen zur Teilliquidation darf der versicherungstechnische Fehlbetrag für die vollkapitalisierten ÖrVE anteilsmässig abgezogen werden. Die im System der Teilkapitalisierung geführten ÖrVE werden verpflichtet, die Austrittsleistungen für austretende Versicherte zu finanzieren, wenn diese Leistungen aufgrund des gemischten Finanzierungssystems nicht gedeckt sind. Die übrigen Versicherten werden gleichgestellt, da die im System der Teilkapitalisierung geführte ÖrVE den beim Austritt eines Vorsorgewerks resultierenden Fehlbetrag gegenüber dem Ausgangsdeckungsgrad auszufinanzieren hat.

Diese verschiedenen Bestimmungen können den betreffenden ÖrVE und öffentlichrechtlichen Körperschaften Mehrkosten bescheren. Diese hängen von der Häufigkeit und dem Umfang der Fälle ab, in denen diese Bestimmungen zur Anwendung kommen werden. Die Zahl solcher Fälle sollte sich jedoch in Grenzen halten.

Die Beschränkung, wonach neue privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen nur noch in der Rechtsform der Stiftung und nicht mehr als Genossenschaft gegründet werden dürfen, sowie die terminologische Bereinigung («Versichertenkollektiv»/«Vorsorgewerk») verursachen keine Mehrkosten.

3.2.2

Personelle Auswirkungen

In Bezug auf die Tätigkeit der hauptsächlich durch die Kantone ausgeübten Aufsicht lässt sich derzeit kaum abschätzen, um wie viele Stellen das Personal aufgestockt werden muss, damit die teilweise neuen Aufgaben bewältigt werden können. Wo der Regionalisierungsprozess der Aufsichtsbehörden bereits genügend vorangeschritten ist, dürften die freigesetzten Synergien es erlauben, die stärkere Arbeitsbelastung aufzufangen und die komplexeren Aufgaben bei der Beaufsichtigung der ÖrVE zu bewältigen. Dagegen ist nicht auszuschliessen, dass die Kantone, in denen dieser Prozess noch nicht angelaufen ist, ihre Aufsichtsbehörde stärker werden ausbauen müssen, wodurch ihnen Mehrkosten entstehen könnten.

Gesamthaft gesehen ist aber nicht damit zu rechnen, dass die Vorlage einen höheren Personalaufwand mit sich bringen wird. Werden die Restrukturierungsprozesse der Aufsicht zu Ende geführt (Vorlage zur Strukturreform in der beruflichen Vorsorge), so werden sich die Auswirkungen der Vorlage auf kleinere Anpassungen beschränken.

3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die Vorlage hat keine besonderen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft.

8474

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft über die Legislaturplanung 2007­2011 als Richtliniengeschäft angekündigt (BBl 2008 797 836). Mit der vollständigen Kapitalisierung der ÖrVE sollen die Sozialwerke saniert und gesichert werden.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 113 der Bundesverfassung (BV)62 fällt die Gesetzgebung über die berufliche Vorsorge in die Kompetenz des Bundes. Dabei handelt es sich um eine umfassende Kompetenz. Aufgrund von Artikel 113 Absatz 4 BV müssen sowohl privatrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen den bundesrechtlichen Mindestanforderungen genügen.

Die Kantone setzen die bundesrechtlichen Bestimmungen um, wobei der Bund ihnen eine möglichst grosse Gestaltungsfreiheit einräumt und auch ihrer finanziellen Belastung Rechnung trägt.63 Mit der Maximalfrist von 40 Jahren für die vollständige Ausfinanzierung der ÖrVE gewährt der Bund den Gemeinwesen den benötigten Spielraum, damit sie die Ausfinanzierung entsprechend ihren jeweiligen Bedürfnissen vornehmen können.

5.2

Verhältnis zum ATSG

Das auf den 1. Januar 2003 in Kraft gesetzte Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)64 ist ­ von wenigen Ausnahmen abgesehen, welche die Koordination und die Vorleistungspflicht betreffen65 ­ grundsätzlich nicht auf die berufliche Vorsorge anwendbar (vgl. Art. 2 ATSG). Die vorgeschlagenen Änderungen des BVG betreffen weder die Koordination noch die Vorleistungspflicht.

5.3

Verhältnis zum europäischen Recht

5.3.1

Europarat

In den Instrumenten des Europarates werden in dem durch diese Revision behandelten Bereich keine Rechtsvorschriften aufgestellt.

62 63 64 65

BV, SR 101 Art. 46 BV SR 830.1 Vgl. Mittelungen des BSV über die berufliche Vorsorge Nr. 66 vom 17.1.2003 Rz 397.

8475

5.3.2

Europäische Union

Das Europaparlament und der EU-Rat haben am 3. Juni 2003 die Richtlinie 2003/41/EG über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen zur betrieblichen Altersversorgung66 verabschiedet.

Diese Richtlinie gehört nicht zum relevanten Gemeinschaftsrecht im Sinne der Abkommen, welche die Schweiz mit der EG und ihren Mitgliedstaaten abgeschlossen hat67, und ist somit für die Schweiz nicht verbindlich. Die Richtlinie 2003/41/EG betrifft Einrichtungen, welche Vorsorgeleistungen anbieten, die im Zusammenhang mit einer Beschäftigung stehen und durch Kapitalisierung finanziert werden.

Bezüglich der Finanzierung der Vorsorgeeinrichtungen sieht die Richtlinie vor, dass jede Einrichtung der betrieblichen Altersvorsorge jederzeit über ausreichende und angemessene Vermögenswerte zur Deckung der technischen Rückstellungen für sämtliche von ihnen verwalteten Altersversorgungssysteme verfügen muss. Ein Mitgliedstaat kann jedoch einer Einrichtung für einen begrenzten Zeitraum gestatten, diese Bedingung nicht zu erfüllen, sofern sie einen konkreten und realisierbaren Plan vorlegt, wie die zur vollständigen Deckung der technischen Rückstellungen erforderlichen Vermögenswerte innerhalb eines angemessenen Zeitraums wiederbeschafft werden sollen. Die Richtlinie gestattet es jedoch den Staaten, diese Regelung nicht auf Einrichtungen anzuwenden, bei denen die betriebliche Altersversorgung gesetzlich vorgeschrieben ist und von einer staatlichen Stelle garantiert wird.

Wie es der vorgeschlagene Artikel 72a BVG vorsieht, muss für eine ÖrVE eine Staatsgarantie vorliegen, damit sie während längstens 40 Jahren im System der Teilkapitalisierung weitergeführt werden kann. Die vorliegende Revisionsvorlage ist somit mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar.

5.4

Verhältnis zum neuen Finanzausgleich

Der Finanzausgleich ist durch die Vorlage nicht tangiert.

5.5

Erlassform

Nach Artikel 164 Absatz 1 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form eines Bundesgesetzes zu erlassen. Die vorliegende Änderung des BVG erfolgt demzufolge im normalen Gesetzgebungsverfahren.

66 67

ABl. L 235 vom 23.9.2003, S. 10 Anhang II, Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, SR 0.142.112.681.

8476

5.6

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Artikel 97 Absatz 1 BVG ermächtigt den Bundesrat, die zur Durchführung der beruflichen Vorsorge notwendigen Massnahmen zu treffen. Die Vorlage sieht in Artikel 72a Absatz 4 eine Rechtsetzungsdelegation an den Bundesrat vor: die Kompetenz, die Berechnung freier Mittel bei ÖrVE im Teilkapitalisierungssystem mit Staatsgarantie zu regeln.

8477

Anhang

Kostenvergleich der jeweiligen Finanzierungsvarianten Einführung Aufgrund der spezifischen Merkmale der ÖrVE müssen die mit den verschiedenen Finanzierungsvarianten verbundenen Kosten ermittelt werden. Hewitt Associates SA, eine Beratungsfirma für die berufliche Vorsorge, hat stellvertretend für viele ÖrVE die Kostenentwicklung verschiedener Finanzierungsvarianten für zwei spezifische ÖrVE simuliert.

Die detaillierten Ergebnisse dieser Simulationen finden sich in Anhang C des Schlussberichts der Expertenkommission vom 19. Dezember 200668. Nachfolgend geben Grafiken der vorgenommenen Simulationen den notwendigen finanziellen Mehrbedarf zur Realisierung der verschiedenen Varianten für die zwei ausgewählten ÖrVE wieder.

ÖrVE A: Pensionskasse des Kantons Neuenburg (Deckungsgrad am 31.12.2005 auf 73,4 %) Übersicht VE A zusätzliche Finanzierung

18.00% 16.00%

% des versicherten Lohnes

14.00% 12.00% 10.00% 8.00% 6.00% 4.00% 2.00% 0.00% 2006

2011

2016

2021

2026

2031

2036

2041

2046

2051

2056

Situation am 1. Januar

Variante A 1

Variante A 2

Variante A 3

Variante A 4

Variante A 5

Variante A1: Einhaltung eines globalen Deckungsgrads von 73,4 % (siehe Ziff. 4.2.1 des Schlussberichts der Expertenkommission)

68

Vgl. http://www.news-service.admin.ch/NSBSubscriber/message/de/attachments/11794/ 24529/7812/070309 _Schlussbericht_ExpK_ÖrVE_DE.pdf.

8478

Variante A2: Einhaltung einer Deckung von 100 % für Rentnerinnen und Rentner und von 52,4 % für aktive Versicherte (siehe Ziff. 4.2.2 des Schlussberichts der Expertenkommission) Variante A3: Einfrieren des versicherungstechnischen Fehlbetrags auf 796 400 000 Franken (siehe Ziff. 4.3 des Schlussberichts der Expertenkommission).

Variante A4: Kapitalisierung der neuen Verpflichtungen (siehe Ziff. 4.3.2 des Schlussberichts der Expertenkommission).

Variante A5: Vollständige Ausfinanzierung in 20 Jahren (siehe Ziff. 4.3.3 des Schlussberichts der Expertenkommission).

Anmerkungen:

­

Im Schnitt kommt das Einfrieren des versicherungstechnischen Fehlbetrags (A3) auf lange Sicht nicht viel teurer zu stehen als die Einhaltung eines globalen Deckungsgrads (A1). Es bewirkt in der dynamischen Betrachtung sogar eine gewisse Sanierung der ÖrVE. In den ersten 20 Jahren ist die Kostendifferenz markant, danach sinken die Kosten durch das Einfrieren des versicherungstechnischen Fehlbetrags. Dieses Einfrieren erfordert eine mehr oder weniger stark abnehmende Kapitalzufuhr von 23 Millionen auf rund 12 Millionen Franken ­, wogegen für die Einhaltung des Deckungsgrads 14 Jahre lang keine Finanzmittel erforderlich sind. Danach ist jedoch eine steigende Kapitalzufuhr bis zu rund 35 Millionen Franken nötig, dies aufgrund der Verschlechterung des demografischen Verhältnisses, das den im Umverteilungsverfahren finanzierten Teil belastet. Somit scheint ein relativ hoher Finanzierungsbedarf in den ersten Jahren (Variante «Einfrieren des versicherungstechnischen Fehlbetrags») den auf ganz lange Sicht absehbaren Finanzierungsbedarf einzudämmen (Variante «Einhaltung eines globalen Deckungsgrads»).

­

Die Einhaltung eines differenzierten Zieldeckungsgrads (A2) kommt kostenmässig zwischen dem Einfrieren des versicherungstechnischen Fehlbetrags (A3) und der Einhaltung eines globalen Deckungsgrads (A1) zu stehen. Diese Variante bietet zudem die grösste Kostenstabilität (Kosten in Prozent der versicherten Verdienste). Vor allem ­ und insbesondere im Vergleich zum Einfrieren des versicherungstechnischen Fehlbetrags (A3) ­ ist die Lösung in den ersten Jahren deutlich kostengünstiger. Zudem bringt sie in der dynamischen Betrachtung einen gewissen Sanierungseffekt für die ÖrVE und passt sie sich an die Bevölkerungsentwicklung an.

­

Die Kapitalisierung der neuen Verpflichtungen (A4) wäre angesichts der hohen Kosten, die sie in den ersten Jahren verursacht, schwierig zu realisieren.

­

Eine vollständige Ausfinanzierung über einen Zeitraum von 20 Jahren (A5) hätte finanzielle Aufwendungen von rund 6,3 % der versicherten Verdienste zur Folge, d.h. eine von ca. 43 Millionen auf etwa 86 Millionen Franken steigende Kapitalzufuhr.

8479

Soll die vollständige Ausfinanzierung mittels der sofortigen Überweisung eines Betrags von rund 796 Millionen Franken erfolgen und nimmt die öffentlichrechtliche Körperschaft dafür eine Anleihe mit gleichen Jahresraten (Annuitäten) über einen Zeitraum von 20 Jahren auf, so würden sich diese auf rund 61 Millionen Franken belaufen, wenn man von einem unveränderten Zinssatz ausgeht (erwartete Rendite = 4,5 %). Diese Summe liegt logischerweise in der Mitte der im letzten Punkt angegebenen Bandbreite.

Zu ergänzen ist, dass die zusätzlichen Finanzmittel für das Einfrieren des versicherungstechnischen Fehlbetrags günstiger zu stehen kommen als die Zahlung eines Zinses auf dem erwähnten Fehlbetrag: Die Kostendifferenz beträgt rund 36 Millionen bei einer erwarteten Rendite von 4,5 % (796 × 4,5 %). Die Verzinsung der Unterdeckung bedingt den Wechsel von einer Mischfinanzierung zur Finanzierung im Kapitaldeckungsverfahren, was im vorliegenden Fall vorteilhafter ist. Der daraus erzielte Gewinn erklärt die Differenz zwischen den oben erwähnten 36 Millionen und der mehr oder weniger stark abnehmenden Kapitalzufuhr von 23 Millionen auf rund 12 Millionen Franken. Als weiterer Faktor kommt hinzu, dass die ÖrVE nicht statisch ist, sondern sich je nach Versichertenbestand sowie den versicherten Leistungen verändert.

ÖrVE B: Pensionskasse der Gemeinde Lausanne (Deckungsgrad am 31.12.2005 auf 44,2 %) Übersicht VE B zusätzliche Finanzierung 18.00% 16.00%

% des versicherten Lohnes

14.00% 12.00% 10.00% 8.00% 6.00% 4.00% 2.00% 0.00% 2006

2011

2016

2021

2026

2031

2036

2041

2046

2051

2056

Si i 1 j i Situation am 1. Januar

Variante B 1

Variante B 2

Variante B 3

Variante B 4

Variante B1: Teilweise Ausfinanzierung von 44,2 % auf 70 % in 30 Jahren.

Variante B2: Einfrieren des versicherungstechnischen Fehlbetrags auf 1 305 300 000 Franken (siehe Ziff. 4.4.3.1 des Schlussberichts der Expertenkommission).

Variante B3: Kapitalisierung der neuen Verpflichtungen (siehe Ziff. 4.3.2 des Schlussberichts der Expertenkommission).

8480

Variante B4: Vollständige Ausfinanzierung in 30 Jahren (siehe Ziff. 4.3.3 des Schlussberichts der Expertenkommission).

Hinweis: Der bis zu einem Deckungsgrad von 60 % vorgesehene Sanierungsbeitrag von 3,5 % der versicherten Löhne ist in den in der Abbildung dargestellten Finanzierungsvarianten nicht enthalten. Er ist also in den ersten Jahren noch hinzuzurechnen.

Die Anmerkungen zur Pensionskasse des Kantons Neuenburg sind sinngemäss auf die Pensionskasse der Gemeinde Lausanne übertragbar, wobei es hier natürlich um höhere Summen geht.

8481

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