08.011 Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht und Rechnungslegungsrecht sowie Anpassungen im Recht der Kollektiv- und der Kommanditgesellschaft, im GmbH-Recht, Genossenschafts-, Handelsregister- sowie Firmenrecht) vom 21. Dezember 2007

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Obligationenrechts (Aktien- und Rechnungslegungsrecht sowie Anpassungen im Recht der Kollektiv- und der Kommanditgesellschaft, im GmbH-Recht, Genossenschafts-, Handelsregister- sowie Firmenrecht) mit dem Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2002 M 01.3261

Mehr Schutz für Minderheitsaktionäre (S 5.6.02, Leutenegger Oberholzer)

2002 M 01.3329

Corporate Governance in der Aktiengesellschaft (überwiesen als Postulat, S 5.6.02, Walker)

2002 P

02.3045

Rechtliche Analyse als Folge des Swissair-Debakels (S 5.6.02, Wicki)

2002 P

02.3086

Corporate Governance. Anlegerschutz (N 21.6.02, Walker)

2003 M 02.3470

Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen zur Rechnungslegung und Unternehmenskontrolle (N 4.6.03, Geschäftsprüfungskommission SR)

2002 M 02.3489

Rechnungslegungsrecht und Revision (Ziff. 1­5; 7­9) (überwiesen als Postulat, N 31.12.02, Leutenegger Oberholzer)

2006 P

Freier Internetzugriff auf Handelsregisterdaten (N 23.6.06, Imfeld)

2007-1831

06.3026

1589

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

21. Dezember 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

1590

Übersicht Der Entwurf des Bundesrats verfolgt vier Hauptziele: ­

Die Corporate Governance wird verbessert: Die Vorlage stärkt insbesondere die Stellung der Aktionärinnen und Aktionäre als Eigentümerinnen und Eigentümer der Gesellschaft. Die Informationsrechte werden klarer geregelt. Bei Privatgesellschaften wird ein schriftliches Auskunftsrecht geschaffen. Die Schwellenwerte für die Ausübung verschiedener Aktionärsrechte werden gesenkt (Recht auf Sonderuntersuchung, Einberufungsrecht, Traktandierungsrecht, Auflösungsklage).

Der Entwurf stellt klar, dass die Generalversammlung berechtigt ist, Bestimmungen betreffend die Entschädigungen an den Verwaltungsrat in den Statuten vorzusehen. Die Statuten können zudem festlegen, dass bestimmte Entscheide des Verwaltungsrats der Genehmigung durch die Generalversammlung bedürfen. In privaten Aktiengesellschaften wird ein Recht auf Auskunft über die Höhe der Vergütungen des obersten Managements geschaffen, da diese Unternehmen - anders als Publikumsgesellschaften - nicht verpflichtet sind, die Entschädigungen im Anhang zur Jahresrechnung bekannt zu geben.

Das Depotstimmrecht der Banken und die Organvertretung werden abgeschafft und durch die Stimmrechtsvertretung durch eine unabhängige Person ersetzt. Die Stimmrechtsvertreterin oder der Stimmrechtsvertreter darf grundsätzlich das Stimmrecht nur ausüben, wenn sie oder er Weisungen für die Stimmabgabe erhalten hat.

Der Entwurf sieht vor, dass Gesellschaften die Anerkennung von Erwerberinnen und Erwerbern vinkulierter Aktien verweigern können, sofern die Aktien im Rahmen einer Effektenleihe (engl. securities lending) erworben wurden. Diesfalls kann die Erwerberin oder der Erwerber nicht an der Generalversammlung teilnehmen. Hat die Gesellschaft eigene Aktien durch ein solches Rechtsgeschäft veräussert, so ruht das Stimmrecht aus den Aktien zwingend.

Weitere Neuerungen betreffen die jährliche Wahl des Verwaltungsrats und die Einzelwahl seiner Mitglieder. Explizit geregelt wird die Handhabung von Interessenkonflikten im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung. In Publikumsgesellschaften muss zudem eine gegenseitige Einflussnahme von Verwaltungsratsmitgliedern auf die Festlegung ihrer Entschädigungen vermieden werden.

Die Haftung der Revisionsstelle wird für Schäden, die sie lediglich fahrlässig verursacht hat, auf den Betrag begrenzt, für den sie zufolge Rückgriffs aufkommen muss.

­

Die Regelung der Kapitalstrukturen wird flexibler ausgestaltet: Mittels eines sog. Kapitalbands kann die Generalversammlung den Verwaltungsrat ermächtigen, das Aktienkapital innerhalb einer bestimmten Bandbreite wie-

1591

derholt herauf- und herabzusetzen. Weiter wird auf einen festen Mindestnennwert verzichtet; d.h. der Nennwert kann beliebig null angenähert werden. Zudem entfällt bei börsenkotierten Partizipationsscheinen die bisherige Beschränkung des Partizipationskapitals auf das Doppelte des Aktienkapitals. Die Bildung und Verwendung von Reserven werden neu geregelt.

­

Die Ordnung der Generalversammlung wird aktualisiert: Den Unternehmen wird ermöglicht, bei der Vorbereitung und der Durchführung der Generalversammlung elektronische Mittel zu nutzen. Die Generalversammlung an mehreren Tagungsorten und die Durchführung im Ausland werden gesetzlich geregelt. Unter bestimmten Voraussetzungen kann gänzlich auf einen räumlichen Tagungsort verzichtet werden (sog. elektronische oder virtuelle Generalversammlung).

­

Das sachlich veraltete Rechnungslegungsrecht wird umfassend revidiert: Der Entwurf schafft eine einheitliche Ordnung für alle Rechtsformen des Privatrechts. Die Anforderungen werden nach der wirtschaftlichen Bedeutung des Unternehmens differenziert. Die Vorlage enthält allgemeine Vorschriften, die auf alle buchführungs- und rechnungslegungspflichtigen Rechtsträger Anwendung finden. Sie widerspiegeln den Status quo der Buchführung und Rechnungslegung eines gut geführten KMU. Weitergehende Bestimmungen gelten für Grossunternehmen und Konzerne. Unter bestimmten Voraussetzungen muss ein Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung (z.B. Swiss GAAP oder IFRS) erstellt werden. Dieser gibt die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Unternehmens wieder (sog. «fair presentation»). Ein Abschluss nach einem entsprechenden Standard ist zu erstellen, soweit dies im Interesse des Kapitalmarkts oder zum Schutz von Personen mit Minderheitsbeteiligungen erforderlich ist. Es wird die Möglichkeit geschaffen, die Jahresrechnung ausschliesslich nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung zu erstellen. Wird die Rechnungslegung in den ersten drei Geschäftsjahren nach dem Inkrafttreten der Revision umgestellt, so werden die dadurch aufgelösten stillen Reserven gestaffelt besteuert.

Die Neuregelung wird im Übrigen steuerneutral ausgestaltet.

Neu geregelt werden auch die Bestimmungen zur Rechnungslegung von Konzernen. Kleinkonzerne sind unter bestimmten Voraussetzungen von der Pflicht zur Erstellung einer Konzernrechnung befreit. Die Konzernrechnungslegung erfolgt zwingend nach den Vorgaben eines anerkannten Standards zur Rechnungslegung.

1592

Inhaltsverzeichnis Übersicht

1591

1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Die bisherigen Reformen 1.1.2 Neue Bedürfnisse ­ neue gesetzliche Regeln 1.1.2.1 Der Handlungsbedarf beim Buchführungs- und Rechnungslegungsrecht im Besonderen 1.2 Reformgeschichte 1.2.1 Revision des Aktienrechts 1.2.1.1 Vorarbeiten 1.2.1.2 Vernehmlassungsverfahren 1.2.1.3 Erarbeitung des Entwurfs 1.2.2 Revision des Buchführungs- und Rechnungslegungsrechts 1.2.2.1 Vorarbeiten 1.2.2.2 Wiederaufnahme der Revisionsarbeiten 1.2.2.3 Vernehmlassungsverfahren 1.2.2.4 Erarbeitung des Entwurfs 1.3 Die zentralen Revisionsanliegen 1.3.1 Die Aktiengesellschaft als Rechtsform für Klein- und Grossunternehmen 1.3.2 Verbesserung der Corporate Governance 1.3.2.1 Ausbau der Aktionärsrechte 1.3.2.2 Organisation des Verwaltungsrats 1.3.2.3 Stimmrechtsvertretung 1.3.3 Flexibilisierung im Bereich der Kapitalstrukturen 1.3.3.1 Kapitalband 1.3.3.2 Nennwert 1.3.3.3 Partizipationsscheine 1.3.3.4 Inhaberaktien 1.3.3.5 Dispoaktien 1.3.4 Modernisierung der Generalversammlung 1.3.5 Zeitgemässes Buchführungs- und Rechnungslegungsrecht 1.3.5.1 Wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung von Buchführung und Rechnungslegung 1.3.5.2 Einheitliche Regelung für alle Rechtsformen des Privatrechts im OR 1.3.5.3 Differenzierung nach Unternehmensgrösse 1.3.5.4 Schlanke Gliederungs- und Bewertungsvorschriften 1.3.5.5 Zur Zielsetzung der «fair presentation» 1.3.5.6 Steuerneutrale Regelung 1.3.5.7 Erhöhung der Transparenz und Stärkung des Minderheitenschutzes 1.3.5.8 Moderne Konzernrechnungslegung 1.4 Parlamentarische Vorstösse 1.4.1 Zu erledigende parlamentarische Vorstösse

1597 1597 1597 1597 1598 1599 1599 1599 1600 1601 1601 1601 1603 1603 1605 1605 1605 1606 1607 1612 1613 1615 1615 1616 1617 1617 1619 1621 1622 1622 1623 1624 1625 1625 1626 1626 1627 1628 1628 1593

1.4.2 Vom Parlament noch nicht beratene Vorstösse 1.5 Verhältnis zum europäischen Recht 1.5.1 Richtlinie über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften 1.5.2 Empfehlung betreffend die Aufgaben von Direktoren und Aufsichtsratsmitgliedern sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- und Aufsichtsrats von Publikumsgesellschaften 1.5.3 Empfehlung betreffend angemessene Regelung der Vergütungen der Unternehmensleitung von Publikumsgesellschaften 1.5.4 Kapitalrichtlinie 1.5.5 Publizitätsrichtlinie 1.5.6 4. Richtlinie über den Jahresabschluss von Gesellschaften/7. Richtlinie über den konsolidierten Abschluss 1.6 Umsetzung

1629 1630

2 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 2.1 Die Aktiengesellschaft 2.1.1 Ausgestaltung der Aktiengesellschaft 2.1.2 Liberierung und Sachübernahme 2.1.3 Besondere Vorteile 2.1.4 Ordentliche Kapitalerhöhung 2.1.5 Bedingte Kapitalerhöhung 2.1.6 Ordentliche Kapitalherabsetzung 2.1.7 Sonderformen der Kapitalherabsetzung 2.1.8 Kapitalband 2.1.9 Partizipationsscheine 2.1.10 Erwerb eigener Aktien 2.1.11 Aufhebung der aktienrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften 2.1.12 Reserven 2.1.13 Zwischendividenden 2.1.14 Rückerstattung von ungerechtfertigten Leistungen 2.1.15 Leistungspflicht des Aktionärs 2.1.16 Vinkulierung von börsenkotierten Namenaktien 2.1.17 Vertretung in der Generalversammlung 2.1.18 Stimmrecht in der Generalversammlung 2.1.19 Bekanntgabe des Geschäftsberichts 2.1.20 Auskunft- und Einsichtsrecht 2.1.21 Offenlegung von Managemententschädigungen und Beteiligungsverhältnissen 2.1.22 Sonderuntersuchung 2.1.23 Offenlegung der Jahres- und Konzernrechnung 2.1.24 Unübertragbare Kompetenzen der Generalversammlung 2.1.25 Einberufung der Generalversammlung und Traktandierung 2.1.26 Vorbereitung der Generalversammlung 2.1.27 Tagungsort der Generalversammlung 2.1.28 Verwendung elektronischer Mittel 2.1.29 Durchführung der Generalversammlung 2.1.30 Der Verwaltungsrat

1636 1636 1636 1638 1643 1643 1646 1648 1651 1652 1656 1657 1658 1658 1662 1663 1664 1665 1665 1669 1670 1670

1594

1630 1631 1632 1632 1633 1634 1636

1673 1674 1676 1676 1676 1679 1680 1681 1683 1685

2.1.31 Haftung für Organe 2.1.32 Anzeigepflichten und Konkurs 2.1.33 Mängel in der Organisation der Gesellschaft 2.1.34 Kapitalherabsetzung 2.1.35 Auflösung der Gesellschaft 2.1.36 Organverantwortlichkeit 2.2 Buchführung und Rechnungslegung 2.2.1 Allgemeine Bestimmungen 2.2.2 Jahresrechnung 2.2.3 Rechnungslegung für grössere Unternehmen 2.2.4 Abschluss nach anerkanntem Standard zur Rechnungslegung 2.2.5 Konzernrechnung 2.3 Änderung weiterer Bestimmungen des Obligationenrechts 2.3.1 Der Einzelarbeitsvertrag 2.3.2 Die Kollektivgesellschaft 2.3.3 Die Kommanditgesellschaft 2.3.4 Kommanditaktiengesellschaft 2.3.5 Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) 2.3.6 Das Handelsregister 2.3.7 Die Geschäftsfirmen 2.3.8 Übergangsbestimmungen 2.4 Änderungen weiterer Erlasse 2.4.1 Bundespersonalgesetz 2.4.2 Zivilgesetzbuch 2.4.2.1 Vereinsrecht 2.4.2.2 Stiftungsrecht 2.4.3 Fusionsgesetz 2.4.4 Revisionsaufsichtsgesetz vom 16. Dezember 2005 2.4.5 Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer 2.4.6 Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden 2.4.7 Mehrwertsteuergesetz vom 2. September 1999 2.4.8 Bankengesetz vom 8. November 1934 Börsengesetz vom 24. März 1995 2.4.10 Versicherungsaufsichtsgesetz vom 17. Dezember 2004 3 Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf den Bund 3.2 Auswirkungen auf die Kantone 3.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 3.4 Auswirkungen auf die Informatik

1689 1689 1692 1692 1692 1693 1696 1696 1705 1715 1719 1722 1725 1725 1725 1725 1725 1726 1728 1733 1735 1736 1736 1737 1737 1738 1739 1739 1740 1741 1741 1742 1743 1744 1745 1745 1745 1746 1748

1595

4 Verhältnis zur Legislaturplanung

1748

5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 5.3 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

1748 1748 1748 1748

Obligationenrecht (Aktienrecht und Rechnungslegungsrecht sowie Anpassungen im Recht der Kollektiv- und der Kommanditgesellschaft, im GmbH-Recht, Genossenschafts-, Handelsregister- sowie Firmenrecht) (Entwurf)

1751

1596

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Die bisherigen Reformen

Das Aktienrecht blieb zwischen 1936 und 1991 ganze 55 Jahre lang unverändert.

Diese rechtliche Beständigkeit entsprach einem über Jahrzehnte hinweg recht statischen wirtschaftlichen Umfeld. 1991 wurde das Aktienrecht umfassend revidiert.

Das neue Recht hat sich in der Praxis im Allgemeinen gut bewährt. Verschiedene Neuerungen haben sich sogar als zukunftsweisend herausgestellt, so namentlich die Verbesserung der gesellschaftsinternen Kontrolle.

Bei der Revision von 1991 handelte es sich zwar formell nur um eine Partialrevision, doch wurde unter Ausklammerung weniger Gebiete materiell fast der ganze sechsundzwanzigste Titel des Obligationenrechts erneuert. Von den ersten Expertenarbeiten bis zur Inkraftsetzung dauerte die Revision denn auch 27 Jahre. Diese Revisionsdauer hatte zur Folge, dass das neue Aktienrecht im Zeitpunkt seiner Verabschiedung durch das Parlament in einzelnen Punkten durch die Entwicklung bereits wieder überholt war.

Nach Abschluss der Revision wurde deshalb eine Groupe de réflexion «Gesellschaftsrecht» beauftragt, den weiteren Handlungsbedarf im Gesellschaftsrecht umfassend zu prüfen. Gestützt auf diese Analyse und politische Vorstösse wurden seit 1991 die folgenden Sachbereiche umgestaltet: ­

Die rechtliche Restrukturierung von Unternehmen wurde mit dem Bundesgesetz über die Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung (Fusionsgesetz) neu geregelt und erleichtert.

­

Mit einer punktuellen Revision wurde der Mindestnennwert von Aktien von einem Franken auf einen Rappen herabgesetzt.

­

Anlässlich der Totalrevision des GmbH-Rechts wurden wichtige Neuerungen bei der GmbH auch für die Aktiengesellschaft übernommen, so etwa die Möglichkeit der Gründung von Einpersonengesellschaften.

­

Für sämtliche Rechtsformen des Privatrechts wurde eine harmonisierte Neuordnung der Revisionsstellen vorgesehen. Die Revisionsstellen von Publikumsgesellschaften wurden einer staatlichen Aufsicht unterstellt.

­

Die Offenlegung der Bezüge und der Beteiligungen der Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung wurde für Gesellschaften mit börsenkotierten Aktien gesetzlich geregelt.

1.1.2

Neue Bedürfnisse ­ neue gesetzliche Regeln

Im ausgehenden 20. Jahrhundert ist die Wirtschaft von tiefgreifenden Veränderungsprozessen erfasst worden. Die normativ relevante Entwicklung ist insbesondere durch drei Faktoren gekennzeichnet, die zum Teil in einer Wechselwirkung zueinander stehen: 1597

­

Durch die Integration der Märkte haben sich die internationalen Interdependenzen erheblich verstärkt.

­

Die früher über Jahrzehnte recht statische schweizerische Unternehmenswelt wurde von einer zunehmenden wirtschaftlichen Dynamik erfasst.

­

Die Informatisierung der Gesellschaft hat auch die Unternehmen massgeblich geprägt.

Diese Entwicklungen haben seit der Aktienrechtsrevision von 1991 zu neuen Bedürfnissen bezüglich der rechtlichen Grundlagen von Unternehmen geführt.

Zudem hat sich das Verständnis des Unternehmens gewandelt. Mit der zunehmenden Bedeutung der internationalen Kapitalmärkte gewinnt eine eigentumsbezogene Betrachtung vermehrt an Bedeutung; die Interessen der Aktionärinnen und Aktionäre werden neu und stärker gewichtet. Angesprochen wird damit zum einen der Shareholdervalue-Gedanke, zum andern die Corporate Governance1. Ferner hat der Zusammenbruch einzelner bedeutender Unternehmen die öffentliche Diskussion der letzten Jahre geprägt und zu einer neuen Sicht der Unternehmenskontrolle geführt.

Verlangt werden bessere Kautelen, damit Fehlentwicklungen so weit wie möglich verhindert werden.

Wie auch die zahlreichen politischen Vorstösse belegen (s. hinten Ziff. 1.4.1 f.), ist das Aktienrecht diesen veränderten Gegebenheiten und einem zeitgemässen Unternehmensverständnis anzupassen. Allerdings darf trotz vieler Forderungen nach Neuerungen nicht vergessen werden, dass die Wirtschaft auf eine stabile und verlässliche Grundordnung der rechtlichen Unternehmensstrukturen angewiesen ist.

Jede Rechtsänderung führt zu Rechtsunsicherheiten, bis sich die Praxis konsolidiert hat. Bei einer Revision des Gesellschaftsrechts gilt es daher stets, die Interessen an einer aktualitätsbezogenen Gesetzgebung einerseits und die Interessen an der rechtlichen Stabilität der Rechtsformen andererseits gegeneinander abzuwägen.

1.1.2.1

Der Handlungsbedarf beim Buchführungs- und Rechnungslegungsrecht im Besonderen

Das geltende allgemeine Buchführungs- und Rechnungslegungsrecht (Art. 957 ff.

OR) stammt aus dem Jahr 1936. Es orientiert sich, dem traditionellen handelsrechtlichen Ansatz entsprechend, vorab am Gläubigerschutz und vermag den heutigen Informationsbedürfnissen der Gesellschafterinnen und Gesellschafter sowie weiterer Interessengruppen nicht mehr zu genügen. Aufgrund dieser Mängel wurden Sondervorschriften für einzelne Rechtsformen (so für die Aktiengesellschaft, Art. 662 ff. OR) und für bestimmte Branchen (z.B. für Banken2) geschaffen. Der bei Kapitalgesellschaften ansonsten gut verankerte Minderheitenschutz fehlt aber im geltenden Buchführungs- und Rechnungslegungsrecht weitgehend. Für die Konzernrechnung finden sich keine klaren Vorgaben. Zwischen verschiedenen Rechtsformen bestehen zudem sachlich nicht begründbare Unterschiede. Die heutige Ordnung der Buchführung und Rechnungslegung ist somit lückenhaft und sachlich veraltet, soweit nicht private Standards zur Rechnungslegung herangezogen werden ­ wie

1 2

Zum Begriff der Corporate Governance s. hinten Ziffer 1.3.2.

Bundesgesetz vom 8. November 1934 über die Banken und Sparkassen (Bankengesetz; BankG); SR 952.0.

1598

dies für Publikumsgesellschaften aufgrund börsenrechtlicher Vorgaben zwingend ist.

Die Weiterentwicklung der massgebenden Normen erfolgt heute primär im Rahmen dieser global angewendeten, privaten Standards zur Rechnungslegung, die von internationalen Fachgremien erarbeitet werden. Im Vordergrund stehen die International Financial Reporting Standards (IFRS) und die US-amerikanischen Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP). In der Schweiz finden zudem die Fachempfehlungen zur Rechnungslegung (Swiss GAAP FER) breite Beachtung. Die Tatsache, dass die relevanten Standards sich immer mehr an den Interessen des Kapitalmarktes orientieren, schafft aber ein Spannungsverhältnis zu den Bedürfnissen von kleinen und mittleren Unternehmen, denen bei der Revision Rechnung getragen werden muss Mit der Informatisierung hat sich auch die Art, wie die Unternehmen Daten bearbeiten, speichern und aufbewahren, in den letzten 30 Jahren stark verändert. Trotz einer ersten Änderung der Bestimmungen betreffend die Aufbewahrung der Geschäftsbücher von 19993 macht auch diese Entwicklung weitere Anpassungen und Ergänzungen der gesetzlichen Regelung erforderlich.

1.2

Reformgeschichte

1.2.1

Revision des Aktienrechts

1.2.1.1

Vorarbeiten

In den Eidg. Räten wurden zahlreiche parlamentarische Vorstösse eingereicht, die eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen im Bereich der «Corporate Governance» verlangten. Im Oktober 2002 beauftragte das Bundesamt für Justiz deshalb die Professoren Peter Böckli, Basel, Claire Huguenin, Zürich, und François Dessemontet, Lausanne, den Handlungsbedarf zu analysieren und Vorschläge für eine Verbesserung der Corporate Governance auszuarbeiten. Die Experten legten am 25. März 2003 einen Zwischenbericht über die Offenlegung der Vergütungen an Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung vor. Gestützt darauf wurde eine entsprechende Gesetzesvorlage ausgearbeitet4, die am 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist. Der ausführliche Schlussbericht der Experten zum gesamten Aktienrecht folgte am 30. September 20035.

Ein weiterer Expertenbericht6 von Prof. Dr. Hans Caspar von der Crone, Zürich, befasste sich ebenfalls mit Aspekten von Corporate Governance. Dieser unterbreitete ferner Vorschläge zur Neuregelung der institutionellen Stimmrechtsvertretung 3

4

5 6

Änderung des Obligationenrechts vom 22. Dezember 1999, in Kraft seit 1. Juni 2002 (AS 2002 949). Vgl. die Botschaft des Bundesrats vom 31. März 1999 zur Revision des Zweiundreissigsten Titels des Obligationenrechts (Die kaufmännische Buchführung), BBl 1999 5149.

Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Transparenz betreffend Vergütungen an Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung) vom 23. Juni 2004, BBl 2004 4471 ff.

Böckli / Huguenin / Dessemontet, Expertenbericht der Arbeitsgruppe «Corporate Governance» zur Teilrevision des Aktienrechts, Zürich 2004.

Bericht zu einer Teilrevision des Aktienrechts: Corporate Governance / Unternehmenssanierung vom 4. September 2002, S. 1 ff.; Hans Caspar von der Crone, Bericht zu einer Teilrevision des Aktienrechts vom 4. September 2002: Generalversammlung.

1599

betreffend die Vorbereitung und Durchführung der Generalversammlung (GV) sowie zur Flexibilisierung der Verfahren zur Erhöhung und Herabsetzung des Aktienkapitals. Ferner befasste er sich mit dem Problem der sog. Dispoaktien7, d.h.

von Namenaktien, deren Eigentümer auf eine Eintragung ins Aktienbuch verzichtet.

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) erarbeitete in der Folge einen Vorentwurf mit Begleitbericht zu einer Revision des Aktienrechts, der sich in drei Themengebiete aufgliederte8: ­

Corporate Governance;

­

Kapitalstrukturen;

­

Modernisierung der GV.

Der Vorentwurf verband die Revision des Aktienrechts zudem mit einer integralen Neuregelung der Rechnungslegung für alle Rechtsformen des Privatrechts (s. hinten Ziff. 1.2.2).

1.2.1.2

Vernehmlassungsverfahren

Am 2. Dezember 2005 eröffnete der Bundesrat das Vernehmlassungsverfahren; dieses dauerte bis zum 31. Mai 2006. Insgesamt wurden 104 Stellungnahmen eingereicht. Die Mehrzahl der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer standen dem Vorentwurf positiv gegenüber und bejahten das Bedürfnis nach einer Revision.

Zu den einzelnen Regelungsvorschlägen wurden allerdings auch Vorbehalte angemeldet:

7

8

­

Die Vorschläge zur Verbesserung der Corporate Governance wurden kontrovers aufgenommen. Zwar begrüssten zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Neuerungen. Der Ausbau der Aktionärsrechte sowie die Neuregelung der institutionellen Stimmrechtsvertretung stiessen jedoch auf Widerstand von Seiten der Unternehmen. Umstritten waren ferner die Bestimmungen betreffend die Vergütungen des obersten Managements sowie die jährliche Wahl des Verwaltungsrats. Des Weiteren wurde angeregt, das Problem der sogenannten Dispoaktien gesetzlich zu regeln.

­

Die Neuerungen bei den Kapitalstrukturen stiessen auf breite Zustimmung.

Insbesondere die Einführung des sogenannten Kapitalbands wurde überwiegend gutgeheissen. Die Mehrheit der Stellungnahmen sprach sich jedoch gegen die Abschaffung der Inhaberaktie aus. Teilweise wurde vorgeschlagen, vermehrt differenzierte Regelungen für kotierte und nichtkotierte Unternehmen zu schaffen.

­

Der Vorentwurf regelte die Verwendung elektronischer Mittel bei der Vorbereitung und Durchführung der GV. Die grosse Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüsste die Vorschläge zur Modernisierung der GV.

Hans Caspar von der Crone, Bericht zu einer Teilrevision des Aktienrechts: Nennwertlose Aktien, REPRAX 1/02 S. 1 ff., S. 16 ff.; Hans Caspar von der Crone, Bericht zu einer Teilrevision des Aktienrechts: Stimmrechtsvertretung / Dispoaktien, REPRAX 2/03 S. 1 ff., S. 11 f.

Vorentwurf und Begleitbericht zu einer Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom 2. Dezember 2005.

1600

Auf wichtige Diskussionspunkte aus dem Vernehmlassungsverfahren wird bei der Erläuterung der einzelnen Bestimmungen des Entwurfs eingegangen.

1.2.1.3

Erarbeitung des Entwurfs

Der Bundesrat nahm von den Ergebnissen der Vernehmlassung am 14. Februar 2007 Kenntnis9. Er beauftragte das EJPD mit der Erarbeitung einer Botschaft. Das Bundesamt für Justiz überarbeitete in der Folge den Vorentwurf im Lichte der Vernehmlassungsergebnisse. Zur Abklärung einzelner Fragen wurden Expertinnen und Experten beigezogen. Der Vorsteher des EJPD führte im Oktober 2007 zudem eingehende Hearings mit Vertreterinnen und Vertretern von grossen, mittleren und kleinen Unternehmen durch. Verschiedene Vorschläge der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden in den Entwurf aufgenommen.

1.2.2

Revision des Buchführungs- und Rechnungslegungsrechts

1.2.2.1

Vorarbeiten

Gestützt auf den Bericht der Groupe de réflexion beauftragte das EJPD 1995 eine Expertenkommission, Vorschläge für eine Neuregelung der Rechnungslegung, der Berichterstattung (Publizität) und der Anforderungen an besonders befähigte Revisorinnen und Revisoren auszuarbeiten.

Der Expertenkommission gehörten an: Dr. iur. Peider Mengiardi, Basel/Oberwil (Präsident); Prof. Dr. Dr. Ann-Kristin Achleitner, St. Gallen/Oestrich-Winkel (D); Prof. Dr. iur. Giorgio Behr, Rechtsanwalt, dipl. Wirtschaftsprüfer, Schaffhausen; lic. oec. Peter Bertschinger, dipl. Wirtschaftsprüfer, Zürich; Ancillo Canepa, dipl.

Wirtschaftsprüfer, dipl. Betriebsökonom, Zürich; lic. rer. pol. Angelo Digeronimo, Experte für Steuerfragen EStV, Bern; Prof. Dr. iur. Jean Nicolas Druey, St. Gallen; Prof. Dr. oec. Carl Helbling, dipl. Wirtschaftsprüfer, Zürich; lic. sc. pol. Beat Kappeler, Wirtschaftsjournalist, Herrenschwanden; Dr. iur. Arnold Knechtle, Rechtsanwalt, Industrie-Holding, Bern; lic. iur. Daniel Lehmann, Schweizerischer Gewerbeverband, Bern; Prof. Dr. iur. Georges Muller, avocat-conseil, Lausanne; Prof. Dr. oec. Alfred Stettler, Ecole des HEC, Lausanne.

Die Expertenkommission legte am 29. Juni 1998 die Vorentwürfe zu einem Bundesgesetz über die Rechnungslegung und Revision (VE RRG) und zu einer Verordnung über die Zulassung von Abschlussprüfern (VZA) vor10.

9 10

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007.

Der Expertenbericht zu einem Bundesgesetz über die Rechnungslegung und Revision (RRG) und zu einer Verordnung über die Zulassung von Abschlussprüfer (VZA) vom 29. Juni 1998 kann beim Bundesamt für Bauten und Logistik, Vertrieb Publikationen, 3003 Bern, bezogen werden.

1601

Die Vorentwürfe wurden vom Bundesrat im Oktober 1998 unverändert in Vernehmlassung gegeben. Insgesamt gingen 76 Stellungnahmen ein11. Zur Neuregelung Rechnungslegung12 wurden namentlich die folgenden Standpunkte eingebracht:

11 12

­

Verschiedentlich wurde vorgeschlagen, die Buchführung und die Rechnungslegung nicht ­ wie von der Expertenkommission vorgesehen ­ in einem eigenständigen Gesetz, sondern ­ aus Gründen der Benutzerfreundlichkeit ­ weiterhin im Obligationenrecht zur regeln. Dagegen wurde der Vorschlag, Buchführung und Rechnungslegung unabhängig von der gewählten Rechtsform zu regeln, überwiegend begrüsst. Auch die Differenzierung der gesetzlichen Anforderungen nach der Unternehmensgrösse stiess grundsätzlich auf Zustimmung. Allerdings wurde kritisiert, dass der Vorentwurf auf den Vorschriften für grössere Unternehmen aufgebaut ist und die Ordnung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) lediglich in der Form von Erleichterungen gegenüber den allgemeinen Normen vorgesehen wird.

­

Die Vorgabe einer dreiteiligen Jahresrechnung, bestehend aus Bilanz, Erfolgsrechnung und einem Anhang (ähnlich wie im heutigen Aktienrecht, s. Art. 663 ff. OR), wurde gut aufgenommen. Zusätzliche Vorschriften für einen Teil der KMU, wie die Erstellung eines Lageberichts (im geltenden Recht: Jahresbericht) oder einer Geldflussrechnung, wurden hingegen weitgehend abgelehnt.

­

Gegen das vorgeschlagene Prinzip der «fair presentation» (die wirtschaftliche Lage des Unternehmens ist so darzustellen, dass sich Dritte darüber ein zuverlässiges Urteil bilden können) wurde eingewendet, dass dadurch ein erheblicher Mehraufwand drohe. Zudem würde der steuerliche Handlungsspielraum namentlich für KMU unnötig eingeschränkt.

­

Ein wesentlicher Kritikpunkt betraf das Verhältnis zwischen Rechnungslegung und Steuerrecht (Art. 34 VE RRG). Der Vorentwurf hielt zwar am Massgeblichkeitsprinzip fest, wollte aber für grössere Unternehmen eine betriebswirtschaftlich orientierte Rechnungslegung einführen. Zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer wiesen indessen darauf hin, dass der Vorschlag ohne Änderung der Konzeption des Steuerrechts nicht sinnvoll umgesetzt werden könne. Die Möglichkeit der Bildung stiller Reserven sei im Übrigen unter steuerlichen Aspekten sehr attraktiv und stelle einen erheblichen Wettbewerbsfaktor dar.

­

Nach dem Vorentwurf RRG sollte die Konsolidierungspflicht auf alle rechnungslegungspflichtigen juristischen Personen ausgedehnt werden. Für die Regelung der Konsolidierung wurde auf anerkannte Standards zur Rechnungslegung verwiesen. Verschiedene Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer wollten die Verpflichtung zur Konsolidierung auch für Personengesellschaften vorsehen. Die Konsolidierungspflicht für kleine Konzerne wurde teilweise begrüsst; andere Stellungnahmen wünschten aber eine Lockerung: So wurde unter anderem vorgeschlagen, dass kleine KapitalDie Zusammenstellung der Vernehmlassungen kann beim Bundesamt für Bauten und Logistik, Vertrieb Publikationen, 3003 Bern, bezogen werden.

Zu den wesentlichen Ergebnissen der Vernehmlassung im Bereich des Revisionsrechts: s. die Botschaft des Bundesrats vom 23. Juni 2004 zur Änderung der Obligationenrechts (Revisionspflicht im Gesellschaftsrecht) sowie zum Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung der Revisorinnen und Revisoren, BBl 2004 3969 ff., 3982.

1602

gesellschaften und Genossenschaften auf die Erstellung einer konsolidierten Rechnung verzichten dürfen, wenn alle Gesellschafterinnen und Gesellschafter einverstanden sind. Vereinzelt wurde gefordert, Stiftungen und Vereine der Konsolidierungspflicht nicht zu unterstellen.

Im Hinblick insbesondere auf die Steuerproblematik wurden die Revisionsarbeiten vorläufig nicht weitergeführt.

1.2.2.2

Wiederaufnahme der Revisionsarbeiten

Seit dem Vernehmlassungsverfahren von 1998/1999 zum Vorentwurf RRG haben verschiedene Problemfälle in der in- und ausländischen Wirtschaft die Notwendigkeit einer gesetzlichen Neuregelung verdeutlicht. Der Bundesrat beauftragte deshalb das EJPD am 29. Januar 2003, den Vorentwurf RRG zu überarbeiten. Angesichts der Dringlichkeit einer Neuregelung der Revisionsstelle und vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklungen entschloss man sich, die Vorlage aufzuteilen: ­

In einem ersten Schritt wurden die Vorschriften zur Revisionspflicht und zur Revisionsstelle umfassend neu geregelt und eine Revisionsaufsicht geschaffen. Die Botschaft wurde dem Parlament am 23. Juni 2004 zugeleitet13. Die Eidg. Räte haben die Vorlage am 16. Dezember 2005 verabschiedet. Das neue Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung der Revisorinnen und Revisoren (RAG)14 ist am 1. September 2007 mit Ausnahme eines Artikels in Kraft getreten; die Regeln zur Revisionspflicht und zur Revisionsstelle im Obligationenrecht werden gemeinsam mit dem neuen GmbHRecht auf den 1. Januar 2008 in Kraft treten.

­

Prof. Dr. Giorgio Behr, St. Gallen/Schaffhausen, wurde beauftragt, gestützt auf die Erkenntnisse aus dem Vernehmlassungsverfahren zum RRG einen neuen Vorschlag für eine Totalrevision des Buchführungs- und des Rechnungslegungsrechts auszuarbeiten. Die Vorschläge wurden anschliessend vom Bundesamt für Justiz in enger Zusammenarbeit mit dem Experten bereinigt, in den Vorentwurf für die Revision des Aktienrechts im Obligationenrecht integriert und am 2. Dezember 2005 in die Vernehmlassung geschickt.

1.2.2.3

Vernehmlassungsverfahren

Die vorgeschlagene umfassende Neuordnung des Buchführungs- und Rechnungslegungsrechts wurde grundsätzlich positiv aufgenommen. Die wesentlichen Neuerungen wurden folgendermassen kommentiert: ­

13

14

Die Schaffung einer einheitlichen Regelung für alle Rechtsformen des Privatrechts im Obligationenrecht wurde überwiegend begrüsst. Verschiedene Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer bezweifelten jedoch, ob eine inhaltliche Gleichbehandlung in jedem Fall berechtigt sei und den Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Revisionspflicht im Gesellschaftsrecht) sowie zum Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung der Revisorinnen und Revisoren vom 23. Juni 2004, BBl 2004 3969.

SR 221.302

1603

Besonderheiten einzelner Rechtsformen oder Branchen genügend Rechnung trage.

­

Die vorgeschlagene Differenzierung nach der Unternehmensgrösse wurde ebenfalls positiv bewertet. Teilweise wurde aber die Belastung für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) als zu hoch eingeschätzt. Insbesondere wurde gefordert, den Anhang der Jahresrechnung für KMU zu kürzen oder ganz darauf zu verzichten. Allgemein wurde begrüsst, dass KMU beziehungsweise kleine Aktiengesellschaften keinen Lagebericht mehr erstellen müssen.

­

Am Konzept der Bewertung wurde kritisiert, dass die Schaffung von mehr Transparenz bei gleichzeitiger Wahrung der Steuerneutralität unweigerlich zu Widersprüchen führe. Das Verbot der gewillkürten Reserven (Art. 960 Abs. 2 VE OR) wurde in vielen Stellungnahmen kritisch kommentiert. Die Tatsache, dass auf die Auflösung nicht mehr begründeter Abschreibungen und Wertberichtigungen verzichtet werden darf (Art. 960a Abs. 4 VE OR), wurde in zweierlei Hinsicht kritisiert: Zum einen liege ein Verstoss zum Verbot der gewillkürten Reserven vor. Zum anderen gehe das Steuerrecht von der Auflösung nicht mehr begründeter Abschreibungen und Wertberichtigungen aus. Dadurch entstehe ein Widerspruch.

­

Mit Blick auf das Verhältnis zwischen Rechnungslegungs- und Steuerrecht sah der Vorentwurf eine sogenannte «umgekehrte Massgeblichkeit» vor: Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen, die von den Steuerbehörden nicht anerkannt würden, hätten in der Jahresrechnung aufgelöst werden sollen (Art. 960f VE OR). Diese Regelung wurde in einer grossen Anzahl von Stellungnahmen abgelehnt. Unter anderem wurde vorgebracht, dass es paradox sei, wenn letztlich das Steuerrecht und nicht die buchhalterische Analyse für die Jahresrechnung ausschlaggebend sei. In der Steuerpraxis der Kantone bestünden zudem grosse Unterschiede, was die Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse stark beeinträchtige. Die vorgeschlagene Regelung verletze zudem das Periodizitätsprinzip: Die definitive steuerliche Beurteilung erfolge je nach Umständen erst Jahre nach dem relevanten Geschäftsjahr und nach der Genehmigung der Jahresrechnung; dies beeinträchtige eine zuverlässige Beurteilung der Jahresrechnung durch Dritte.

­

Für die Rechnungslegung von grösseren Unternehmen (Art. 961 ff. VE OR) wurden Vereinfachungen v.a. für Konzerngesellschaften gewünscht.

­

Unter gewissen Voraussetzungen sollen Unternehmen nach dem Vorentwurf zusätzlich einen Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung erstellen müssen (Art. 962 f. VE OR). Dieser Vorschlag wurde von einem Teil der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer insbesondere aus Gründen des Minderheitenschutzes begrüsst. Andere Stellungnahmen wiesen demgegenüber auf die finanziellen Folgen hin. Teilweise wurde die Einschränkung der Pflicht zu einem Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung gefordert, so für bestimmte Rechtsformen, Branchen oder Unternehmensgrössen. Gewünscht wurde weiter, dass auf einen Abschluss nach Obligationenrecht verzichtet werden dürfe, wenn bereits ein Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung vorliege.

1604

­

Positiv wurde aufgenommen, dass sich die Konzernrechnung (Art. 963 ff.

VE OR) nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung richten muss. Die Konsolidierungspflicht für Kleinkonzerne wurde aber aus Kostengründen kritisiert. Kleinkonzerne sollten sich zumindest dadurch entlasten können, dass sie nur die Kern-FER15 und Swiss GAAP FER 30 einhalten müssen. Ebenfalls vorgeschlagen wurde die Befreiung von Unterkonzernen, die vollständig vom Hauptkonzern kontrolliert werden. Von anderer Seite wurde demgegenüber ausdrücklich begrüsst, dass es von der Konsolidierungspflicht keine Ausnahmen mehr geben soll. Vereinzelt wurde gefordert, auf die Konsolidierungspflicht für Vereine und Stiftungen zu verzichten.

1.2.2.4

Erarbeitung des Entwurfs

Nachdem die Neuregelung der Buchführung und der Rechnungslegung im Vernehmlassungsverfahren grundsätzlich begrüsst worden war, beauftragte das EJPD Prof. Dr. Giorgio Behr, den Vorentwurf zusammen mit dem Bundesamt für Justiz im Lichte der Vernehmlassungsergebnisse zu bereinigen. Insbesondere sei das Verhältnis zum Steuerrecht noch einmal zu überprüfen (s. vorne Ziff. 1.2.2.3). Prof. Dr.

Max Boemle wurde mit der Begutachtung der Europa-Kompatibilität des Vorentwurfs beauftragt.

Am 3. April 2007 wurde der neue Vorentwurf unter der Leitung von Bundesrat Christoph Blocher ausführlich an einem Expertenhearing diskutiert. Daran nahmen teil: Prof. Dr. Giorgio Behr, Hanspeter Berger, Eidg. Steuerverwaltung; Peter Bertschinger, dipl. Wirtschaftsprüfer; Prof. Dr. Max Boemle, Universität Fribourg; Malcolm Cheetham, Basel; Prof. Dr. Peter Leibfried, Universität St. Gallen; Dr. Markus Neuhaus, dipl. Steuerexperte, Zürich; Peter Spori, Fürsprecher, Bern; Hansjörg Stöckli, dipl. Wirtschaftsprüfer, Solothurn; Urs Ursprung, Direktor der Eidgenössischen Steuerverwaltung, Bern; Daniel Zuberbühler, Direktor der Eidgenössischen Bankenkommission, Bern.

1.3

Die zentralen Revisionsanliegen

1.3.1

Die Aktiengesellschaft als Rechtsform für Klein- und Grossunternehmen

Die Botschaft des Bundesrates zur Revision von 1991 ging noch weitgehend von der Einheit des Aktienrechts aus16. Ohne dass dies explizit festgehalten worden wäre, hat der Gesetzgeber jedoch im Laufe der Revisionsarbeiten dieses Prinzip in wichtigen Fragen durchbrochen. Ausdrückliche oder faktische Sondervorschriften für bestimmte Kategorien von Aktiengesellschaften finden sich insbesondere bei der Vinkulierung, der Prospektpflicht, der Konsolidierung, der Stimmrechtsvertretung, der Sonderprüfung, der Offenlegung und der Revisionspflicht.

15 16

Bei dem Kern-FER handelt es sich um spezifische Standards der Swiss GAAP FER für die Rechnungslegung von kleinen Unternehmen.

Botschaft über die Revision des Aktienrechts, BBl 1983 II 747 ff., 772.

1605

Das Aktienrecht orientiert sich heute am Modell einer punktuellen, materiellen Differenzierung in Bereichen, in denen sachliche Gründe unterschiedliche Regelungen gebieten. Eine formelle Zweiteilung des Aktienrechts wurde von der Groupe de réflexion zwar geprüft, erwies sich aber als wenig adäquat17. Insbesondere hätten einheitliche Abgrenzungskriterien für Klein- und Grossgesellschaften sachlich nicht befriedigt. Im Unterschied zu einer formellen Zweiteilung ermöglicht das Konzept der punktuellen materiellen Differenzierung die Verwendung spezifischer, sachgerechter Abgrenzungskriterien je nach Regelungsgegenstand.

Mit der Totalrevision des GmbH-Rechts wurde die Gesellschaft mit beschränkter Haftung klarer konzipiert und konsequent als personenbezogene Kapitalgesellschaft ausgestaltet. Sie orientiert sich an den Bedürfnissen von Unternehmen mit einem beschränkten, eher eng gefassten Kreis von Gesellschafterinnen und Gesellschaftern.

Auf Regelungen, die auf den Kapitalmarkt ausgerichtet sind, wurde bewusst verzichtet18.

Mit der Ausrichtung der GmbH auf die Bedürfnisse von Unternehmen mit nur wenigen Beteiligten treten auch die Konturen der Aktiengesellschaft deutlicher hervor: Das rechtliche Konzept der AG baut auf der Kapitalbeteiligung der Aktionärinnen und Aktionäre auf. Die Persönlichkeit der Beteiligten bleibt idealtypischerweise ­ im Gegensatz zur GmbH ­ von geringer Bedeutung. Man spricht daher von einer «kapitalbezogenen Kapitalgesellschaft».

Auch wenn sich die Revision des Aktienrechts an dieser klaren Ausrichtung orientieren muss, darf nicht vergessen werden, dass die Aktiengesellschaft in der Schweiz (im Unterschied zu den meisten andern Ländern) für sehr unterschiedliche Zwecke verwendet wird. Sie dient sowohl multinationalen Konzernen und Grossgesellschaften als auch Familienunternehmen, Kleinbetrieben und Einpersonengesellschaften als rechtliche Struktur. Aufgabe der Revision ist es deshalb, mit einem pragmatischen Ansatz der breiten Verwendung der Aktiengesellschaft für sehr unterschiedliche Bedürfnisse Rechnung zu tragen19. Insbesondere gilt es, die grosse Elastizität des schweizerischen Aktienrechts zu bewahren und die neuen Regelungen flexibel zu gestalten, denn die grosse Mehrheit der Aktiengesellschaften dürften auch weiterhin kleinere Unternehmen sein.

1.3.2

Verbesserung der Corporate Governance

Der Ausdruck Corporate Governance stammt aus dem angelsächsischen Raum. Die Corporate Governance bezweckt ein funktionales Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Organen der Gesellschaft (checks and balances), eine ausreichende

17 18

19

Groupe de réflexion «Gesellschaftsrecht», Schlussbericht vom 24. September 1993, S. 26 f.

Botschaft zur Revision des Obligationenrechts (GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht) vom 19. Dezember 2001, BBl 2002 3148.

Ende 2006 waren 175 459 Aktiengesellschaften im Handelsregister eingetragen; REPRAX 1/07, 62 ff. Die Anzahl der GmbH ist seit Ende 1992 sprunghaft angestiegen, während die Anzahl der Aktiengesellschaften seit 1992 stagniert. Die Verschiebung der Präferenzen zeigt, dass die Praxis die lange verschmähte GmbH für die Bedürfnisse von kleineren Unternehmen dienlich zu machen wusste.

1606

Transparenz der gesellschaftsinternen Vorgänge und die Sicherung der Rechtsstellung der Aktionärinnen und Aktionäre.

Die Corporate Governance im schweizerischen Aktienrecht soll verbessert werden.

Dabei geht es um drei Ziele: ­

Die Eigentumsrechte der Aktionäre und Aktionärinnen sind inhaltlich besser zu schützen.

­

Durch eine effiziente unternehmensinterne Kontrolle sollen wirtschaftliche Fehlentwicklungen im volkswirtschaftlichen Interesse so weit wie möglich vermieden werden.

­

Mängel bei der Corporate Governance können sich auf die Anlageentscheide insbesondere institutioneller und ausländischer Investoren auswirken. Verbesserungen der rechtlichen Vorgaben dienen daher auch dem schweizerischen Kapitalmarkt und der Kapitalbeschaffung von Unternehmen.

Nachfolgend findet sich ein Überblick über die Massnahmen zur Verbesserung der Corporate Governance. Weitere Neuerungen, die ebenfalls für die Corporate Governance von Bedeutung sind, werden im Abschnitt über die GV und über die Buchführung und die Rechnungslegung erläutert (s. hinten Ziff. 1.3.4 f.).

1.3.2.1

Ausbau der Aktionärsrechte

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Aktionärinnen und Aktionäre ihre Interessen ­ namentlich in Grossgesellschaften mit stark zersplittertem Aktionariat ­ häufig nicht gebührend wahrnehmen können. Tendenziell besteht oft ein gewisses faktisches Machtgefälle zwischen der Unternehmensführung und den Eigentümerinnen und Eigentümern der Gesellschaft. Hinzu kommt, dass im Bereich der Aktionärsrechte die Selbstregulierung aus sachlichen Gründen von beschränkter Tragweite ist20. Die Stärkung der Aktionärsrechte durch Schaffung zwingender, prozessual durchsetzbarer Rechtsansprüche ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers. Der Entwurf enthält deshalb verschiedene Vorschläge zur Stärkung der Aktionärsrechte.

20

Vor 5 Jahren wurden auf dem Weg der Selbstregulierung der Wirtschaft zwei Kodizes zur Corporate Governance geschaffen: Swiss Code of Best Practice der economiesuisse: Es handelt sich dabei um rechtlich nicht verbindliche Empfehlungen, die sich vor allem mit der Zusammensetzung, der Organisation und den Aufgaben des Verwaltungsrats befassen.

Corporate Governance-Richtlinie der Swiss Exchange (SWX): Für Unternehmen, deren Beteiligungspapiere an der Schweizer Börse kotiert sind, wird die Offenlegung kapitalmarktrelevanter Schlüsselinformationen verlangt. Die Richtlinie beruht auf dem Prinzip «comply or explain»: Unterbleiben erforderliche Informationen, so müssen die Gründe dafür angegeben werden. In jedem Fall zwingend ist die Offenlegung der Entschädigungen des Managements. Die Corporate Governance-Richtlinie der SWX erfasst nur kotierte Gesellschaften. Mängel bei der Corporate Governance bestehen aber auch bei nicht kotierten Unternehmen. Zudem zeigt das Prinzip des «comply or explain» Schwächen bei der Durchsetzung. Die Richtlinie der SWX befasst sich im Übrigen nur mit einem Teilaspekt der Corporate Governance, nämlich der Transparenz kapitalmarktrelevanter Informationen. Andere wichtige Elemente einer wirkungsvollen Corporate Governance bleiben ausgeklammert, so die Stärkung der Stellung der Generalversammlung und eine Verbesserung der Effizienz der Kontroll- und Mitwirkungsrechte der Aktionärinnen und Aktionäre.

1607

Auskunfts- und Einsichtsrecht Das Auskunfts- und das Einsichtsrecht dienen der gesellschaftsinternen Transparenz und sind für den Rechtsschutz der Aktionärinnen und Aktionäre von grosser Bedeutung: Mit ihrer Hilfe kann abgeklärt werden, ob weitere Massnahmen zu ergreifen sind, insbesondere ob eine Sonderuntersuchung eingeleitet (Art. 697a ff.; s. dazu sogleich21) oder eine Verantwortlichkeitsklage (Art. 754 OR) beziehungsweise eine Klage auf Rückerstattung ungerechtfertigter Leistungen (Art. 678; s. hinten Ziff. 2.1.14) eingereicht werden soll.

Heute stehen Gesellschafterinnen und Gesellschaftern nichtkotierter Unternehmen nur beschränkte Mittel zur Verfügung, um an gesellschaftsrelevante Informationen zu gelangen. Sie können ihren Informationsanspruch lediglich in der GV geltend machen. Der Entwurf sieht deshalb vor, dass jeder Aktionär und jede Aktionärin einer Gesellschaft, deren Aktien nicht an der Börse kotiert sind, vom Verwaltungsrat jederzeit schriftlich Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen kann (Art. 697 Abs. 2), soweit dies zur Ausübung der Aktionärsrechte erforderlich ist und keine Geschäftsgeheimnisse oder andere vorrangige Interessen der Gesellschaft entgegenstehen (Art. 697 Abs. 3). Die erteilten Auskünfte sind an der nächsten GV zur Einsicht aufzulegen oder unverzüglich elektronisch zu publizieren.

Im Unterschied zum Vorentwurf wird auf die Einführung eines ganzjährigen schriftlichen Auskunftsrechts bei Publikumgesellschaften verzichtet. In der Vernehmlassung22 wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass kotierte Unternehmen zusätzlich den strengen Informationspflichten des Börsenrechts (z.B. den Regeln betreffend die ad hoc-Publizität kursrelevanter Informationen)23 unterliegen. Die Information der Investoren ist in diesem Rahmen gewährleistet.

Das Einsichtsrecht wird grundsätzlich unverändert beibehalten. Neu soll im Gesetz aber ausdrücklich festgehalten werden, dass Aktionärinnen und Aktionäre einer Konzernobergesellschaft in die Geschäftsunterlagen einer Konzernuntergesellschaft Einsicht nehmen können. Das Bundesgericht anerkennt dieses Einsichtsrecht im Konzern bereits heute24.

Auskunftsrecht betreffend die Vergütungen an das oberste Management Am 1. Januar 2007 sind die Vorschriften betreffend die Offenlegung der Vergütungen an Mitglieder des Verwaltungsrats
und der Geschäftsleitung in Kraft getreten.

Die neuen Transparenzvorschriften erfassen indessen nur Publikumsgesellschaften (Art. 663bbis OR)25.

Aber auch bei privaten Aktiengesellschaften können sich insbesondere bei der Festsetzung der eigenen Vergütungen durch den Verwaltungsrat Probleme ergeben.

Namentlich ist der Rechtsschutz der nicht an der Geschäftsführung beteiligten Aktionärinnen und Aktionäre, insbesondere der Minderheitsbeteiligten, prekär.

21 22 23 24 25

Artikel ohne Gesetzesangabe beziehen sich auf den vorliegenden Entwurf für eine Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts.

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 17.

Bundesgesetz vom 24. März 1995 über die Börsen und den Effektenhandel (Börsengesetz, BHEG), SR 954.1.

BGE 132 III 71 ff. (in casu wurde das Einsichtsrecht abgelehnt).

Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Transparenz betreffend Vergütungen an Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung) vom 23. Juni 2004, BBl 2004 4471.

1608

Inwieweit de lege lata ein Recht auf Information betreffend die Bezüge des Verwaltungsrats besteht, ist umstritten. Die Kenntnis der Entschädigungen ist aber oftmals Voraussetzung für die Ausübung verschiedener Schutzrechte der Aktionärinnen und Aktionäre, so für die Klage auf Rückerstattung ungerechtfertigter Leistungen (Art. 678; s. hinten Ziff. 2.1.14), die Verantwortlichkeitsklage (Art. 754 OR) und das Recht auf Durchführung einer Sonderprüfung (neu: «Sonderuntersuchung», Art. 697a).

Zum Schutz der Aktionärinnen und Aktionäre soll deshalb die Transparenz betreffend die ausgerichteten Vergütungen auch in Aktiengesellschaften ohne kotierte Aktien verbessert werden. Dabei ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das legitime Bedürfnis nach Vertraulichkeit bei diesen Gesellschaften grösser ist als bei Unternehmen, die den öffentlichen Kapitalmarkt beanspruchen. Die Gesellschaften sollen deshalb nicht verpflichtet werden, die Bezüge im Anhang zum Geschäftsbericht bekannt zu geben. Der Entwurf räumt den Aktionärinnen und Aktionären aber ein spezifisches Auskunftsrecht ein: Sie können verlangen, dass der Verwaltungsrat ihnen die Höhe der Entschädigungen bekannt gibt (Art. 697quinquies).

Ein Auskunftsrecht betreffend Vergütungen der Verwaltung soll neu auch Genossenschafterinnen und Genossenschaftern zustehen. Grossgenossenschaften unterliegen derselben Offenlegungspflicht wie kotierte Aktiengesellschaften (Art. 857 Abs. 2bis).

Kompetenz der GV zur Festsetzung der Entschädigungspolitik der Gesellschaft In der Lehre ist umstritten, inwieweit die GV de lege lata befugt ist, in den Statuten Richtlinien betreffend die Vergütungspolitik des Unternehmens oder die Entschädigungen des Verwaltungsrats festzulegen. Der Entwurf hält nun ausdrücklich fest, dass die Aktionärinnen und Aktionäre als Eigentümerinnen und Eigentümer der Gesellschaft befugt sind, auf die Entschädigungen der obersten Unternehmensspitze Einfluss zu nehmen, sofern sie dies wünschen. Deshalb werden der GV entsprechende Kompetenzen im Hinblick auf die Entschädigungen an Mitglieder des Verwaltungsrats sowie auf Aktien- und Optionspläne zugewiesen (Art. 627 Ziff. 4).

Damit wird eine Mittellösung vorgeschlagen, nachdem im Vernehmlassungsverfahren26 ein Teil der Stellungnahmen die Einführung einer zwingenden Kompetenz der GV zur Festsetzung
der Gehälter der obersten Unternehmensführung forderte, eine andere Gruppe dagegen die GV als nicht geeignet zur Festlegung der Entschädigungspolitik erachtete.

Neue Schwellenwerte für die Ausübung von Aktionärsrechten Die Hürden für die Ausübung verschiedener Aktionärsrechte sind heute zu hoch.

Insbesondere wird das Recht auf Einleitung einer Sonderprüfung (Art. 697a ff. OR) kaum je in Anspruch genommen. Bei kotierten Unternehmen mit breit gestreutem Aktionariat ist auch die Ausübung des Rechts auf Einberufung der GV sowie des Traktandierungsrechts praktisch ausgeschlossen. Der Entwurf will deshalb die bestehenden Aktionärsrechte so modifizieren, dass sie besser geltend gemacht werden können. Um den unterschiedlichen Beteiligungsverhältnissen bei kotierten und nichtkotierten Gesellschaften gebührend Rechnung zu tragen, werden (im Unterschied zum geltenden Recht und zum Vorentwurf) differenzierte Schwellen26

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 7, 18 f.

1609

werte für Gesellschaften mit kotierten und nicht kotierten Aktien vorgesehen. Den Vernehmlassungsergebnissen Rechnung tragend, wird auf die Einführung des Börsenwerts als neuen Parameter verzichtet27.

Die Sonderuntersuchung (bisher Sonderprüfung, vgl. Art. 697a ff.) kann namentlich dazu verwendet werden, kritische Sachverhalte im Hinblick auf eine Verantwortlichkeitsklage oder eine Klage auf Rückerstattung ungerechtfertigter Leistungen abzuklären. Sie dient dem Schutz des Eigentums der Aktionärinnen und Aktionäre.

Der Entwurf setzt die Schwellenwerte daher massgeblich herab (Art. 697b Abs. 1).

Er berücksichtigt aber die unterschiedlichen Gegebenheiten und Bedürfnisse in Publikumsgesellschaften und in KMU durch eine sachbezogene Differenzierung.

Bei der Festlegung der Schwellenwerte muss in Betracht gezogen werden, dass für die Sonderuntersuchung zudem auch materielle Voraussetzungen gegeben sein müssen: Die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller müssen immer eine Verletzung des Gesetzes oder der Statuten sowie die Möglichkeit einer Schädigung der Gesellschaft glaubhaft machen (Art. 697b Abs. 3). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so liegt eine genauere Abklärung im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft.

Beim Einberufungs- und Traktandierungsrecht (Art. 699 ff.) werden die Schwellenwerte für das Geltendmachen dieser Rechte ebenfalls neu bestimmt (Art. 699 Abs. 3). Dabei muss jedoch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Kosten für die Durchführung einer GV beträchtlich sein können, so insbesondere bei Publikumsgesellschaften. Die Schwellenwerte für die Ausübung des Einberufungsrechts dürfen daher hier nicht zu tief angesetzt werden. Die Geltendmachung des Traktandierungsrechts verursacht demgegenüber für die Gesellschaften nur einen beschränkten Aufwand. Der Zugang zum Traktandierungsrecht darf daher nicht übermässig erschwert werden.

Der bisherige Schwellenwert für eine Klage auf Auflösung der Gesellschaft durch das Gericht (Art. 736) wird halbiert (d.h. von 10 Prozent auf 5 Prozent des Aktienkapitals gesenkt). Zudem wird neu (wie bei den oben erwähnten Rechten) alternativ auf den Nennwert abgestellt. Die Klage auf Auflösung ist in der Praxis nur da von Bedeutung, wo für die Aktien einer Gesellschaft kein Markt besteht. Bei entsprechenden Gesellschaften ist die Auflösungsklage
für den Schutz von Personen mit Minderheitsbeteiligungen von erheblicher Bedeutung. Es ist zu beachten, dass stets eine richterliche Interessenabwägung erfolgt und das Gericht zudem auf eine andere sachgemässe und den Beteiligten zumutbare Lösung erkennen kann. Die Auflösungsklage führt also keineswegs ohne weiteres zur Auflösung der Gesellschaft, sondern steht funktional an der Stelle des Austritts aus wichtigen Gründen bei anderen Gesellschaftsformen. Die Schwellenwerte dürfen daher zum Schutz der an einer Gesellschaft finanziell beteiligten Personen nicht zu hoch angesetzt werden.

Klage auf Rückerstattung ungerechtfertigter Leistungen Die Klage auf Rückerstattung ungerechtfertigter Leistungen hat sich im geltenden Recht als nicht operabel erwiesen und muss daher verbessert werden (Art. 678).

Inskünftig sollen ­ neben den Mitgliedern des Verwaltungsrats ­ auch die Mitglieder der Geschäftsleitung zur Rückerstattung verpflichtet sein. Weiter soll die Rückerstattungspflicht inskünftig unabhängig vom guten oder bösen Glauben der Empfängerin oder des Empfängers gegeben sein. Ist allerdings der gutgläubige Rücker27

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 20 f.

1610

stattungspflichtige zum Zeitpunkt der Geltendmachung der Klage nicht mehr bereichert, muss er die Leistung nicht mehr zurückgeben. Artikel 678 Absatz 3 enthält einen entsprechenden Verweis auf die Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 64 OR).

Der Vorentwurf sah noch eine Ausweitung der Klageberechtigung auf die Gesellschaftsgläubigerinnen und -gläubiger, einen gänzlichen Verzicht auf die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens sowie eine Verlängerung der Verjährungsfrist vor. Diese Neuerungen sind im Vernehmlassungsverfahren aber stark kritisiert worden; sie wurden daher nicht in den Entwurf aufgenommen.

Genehmigung von Verwaltungsratsentscheiden durch die GV Die geltende Aufgabenteilung zwischen GV und Verwaltungsrat basiert auf dem sogenannten Paritätsprinzip: Jedes Organ hat bestimmte spezifische, ihm zwingend zugewiesene Aufgaben. Es gibt aber Situationen, in der es im Interesse der Aktionärinnen und Aktionäre als Eigentümerinnen und Eigentümer der Gesellschaft liegt, zu Entscheiden des Verwaltungsrats Stellung nehmen zu können.

Der Entwurf sieht deshalb in Anlehnung an das neue GmbH-Recht vor (Art. 811 OR28), dass die Statuten bestimmte Entscheide des Verwaltungsrats der Genehmigung durch die GV unterstellen können (Art. 716b Abs. 1; sog. obligatorischer Genehmigungsvorbehalt). Aus sachlichen Gründen davon ausgenommen sind jedoch Beschlüsse, die Aufgaben betreffen, die ihrem Inhalt nach nur durch den Verwaltungsrat erfüllt werden können wie die Oberaufsicht über die Geschäftsführung oder die Benachrichtigung des Gerichts im Falle der Überschuldung der Gesellschaft (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3­7).

Der Entwurf sieht keine eigentliche Verschiebung der Zuständigkeiten des Verwaltungsrats zugunsten der GV vor, sondern die Möglichkeit einer obligatorischen Genehmigungskompetenz: Die Genehmigung von Entscheiden des Verwaltungsrats durch die GV darf nicht dazu führen, dass sich das oberste Führungsorgan der Gesellschaft seiner Verantwortung entziehen kann. Da die GV grundsätzlich nicht für ihre Beschlüsse haftet, gilt es zu vermeiden, dass potenziell haftungsrelevante Entscheide zum Schaden Dritter an die GV übertragen werden. Der Verwaltungsrat hat also in jedem Fall der GV einen konkreten Antrag zu unterbreiten.

Artikel 716b Absatz 3 stellt demgemäss klar, dass
die Genehmigung der GV die Haftung des Verwaltungsrats grundsätzlich nicht tangiert. Die Zustimmung der GV kann je nach den Umständen aber dennoch einer Entlastung gleichkommen (s. Art. 758 OR)29.

28 29

Fassung vom 16. Dezember 2005, (BBl 2005 7289 ff.), in Kraft am 1. Januar 2008.

S. dazu auch die Ausführungen zu Artikel 811 OR in der Botschaft zur Revision des Obligationenrechts vom 19. Dezember 2001 (GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht), BBl 2002 3148 3213 f.

1611

1.3.2.2

Organisation des Verwaltungsrats

Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrats In der Praxis sind Globalwahlen des gesamten Verwaltungsrats für eine relativ lange Amtsdauer weit verbreitet. Dies entspricht indessen nicht einer guten Corporate Governance und mindert faktisch die Effektivität des Wahlrechts der Aktionärinnen und Aktionäre. Der Vorentwurf stellte daher die Einzelwahl aller Mitglieder des Verwaltungsrats auf jeweils ein Jahr zur Diskussion (Art. 710).

Die Vernehmlassungsadressaten äusserten sich ­ mit wenigen Ausnahmen ­ positiv zur Einzelwahl. Umstritten war dagegen die Beschränkung der Amtsdauer auf ein Jahr30. Gegen die jährliche Wiederwahl wurde namentlich geltend gemacht, sie sei der Qualität der Arbeit des Verwaltungsrats abträglich. Eine Staffelung der Wahl der Verwaltungsratsmitglieder würde verunmöglicht, was die Kontinuität der Arbeit des obersten Führungsgremiums des Unternehmens beeinträchtigen könne. Diese Kritik überzeugt nicht. Auch bei einer einjährigen Wiederwahl ist die Kontinuität der Arbeit des Verwaltungsrats nicht grundsätzlich gefährdet, da davon auszugehen ist, dass die Verwaltungsratsmitglieder in aller Regel durch die GV in ihrem Amt bestätigt werden. Bereits heute stellen sich die Verwaltungsräte verschiedener börsenkotierter Unternehmen jährlich der Wahl durch die GV. Der Entwurf verzichtet darauf vorzusehen, dass die Managemententschädigungen zwingend durch die GV zu bestätigen sind; im Gegenzug muss dem Aktionariat aber die Möglichkeit eingeräumt werden, unter Berücksichtigung der ausgerichteten Entschädigungen jährlich über die Erneuerung des Mandats der Mitglieder des Verwaltungsrats entscheiden zu können.

Kreuzweise Einsitznahme in den Vergütungsausschüssen kotierter Unternehmen In der Praxis kommt es vor, dass dieselben Personen in Verwaltungsräten verschiedener Gesellschaften sitzen und gegenseitig die Vergütungen für ihre Arbeit in diesen Unternehmen festlegen. In Ergänzung zu den Vorschriften über die Offenlegung der Bezüge verpflichtete deshalb der Entwurf Gesellschaften mit kotierten Aktien, die gegenseitige Einflussnahme auf die Festsetzung der Honorare auszuschliessen (Art. 717b Abs. 1). Diese Neuerung war im Vernehmlassungsverfahren mehrheitlich begrüsst worden31. Entsprechend einem in der Vernehmlassung eingebrachten Vorschlag wird die Sanktion bei Verletzung der Vorschrift
ausdrücklich geregelt. Beschlüsse über die Höhe der Vergütungen, die unter Missachtung von Artikel 717b Absatz 1 getroffen werden, sollen nichtig sein (Art. 717b Abs. 2). Die Entschädigungen können in diesem Fall mit der Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung zurückgefordert werden (Art. 62 ff. OR). Unter bestimmten Voraussetzungen kommen auch die Klage auf Rückerstattung ungerechtfertigter Leistungen sowie die Vorschriften zur aktienrechtlichen Verantwortlichkeit zur Anwendung (Art. 678 sowie Art. 754 OR).

30 31

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 23.

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 22.

1612

1.3.2.3

Stimmrechtsvertretung

Unabhängige Stimmrechtsvertretung, Depot- und Organvertretung Bei der institutionellen Stimmrechtsvertretung handelt es sich um gesetzlich vorgesehene Sonderformen der Stellvertretung, die spezifisch für die Vertretung zahlreicher Aktionärinnen und Aktionäre in der GV konzipiert wurden. Die Revision von 1991 hat die institutionelle Stimmrechtsvertretung (Organvertretung/unabhängige Stimmrechtsvertretung/Depotvertretung) neu geregelt (Art. 689c f. OR). Mit der Pflicht der Banken zur Einholung von Weisungen konnte eine Verbesserung erzielt werden. Dennoch bleibt die gesetzliche Regelung des Depotstimmrechts sachlich unbefriedigend. Aktionärinnen und Aktionäre sind sich häufig nicht bewusst, dass sie im Rahmen eines Depotvertrags der Bank eine Vertretungsvollmacht einräumen.

Das Ersuchen der Banken um Weisungen für die Ausübung des Stimmrechts (Art. 689d Abs. 1 OR) bleibt in der Praxis oftmals unbeantwortet. Bei der Organvertretung und der unabhängigen Stimmrechtsvertretung fehlt zudem jegliche gesetzliche Bestimmung zum Einholen von Weisungen. Ein Teil der Lehre geht deshalb davon aus, dass die Stimmrechtsvertreterin oder der Stimmrechtsvertreter ohne Weisungen wie der Depotvertreter gemäss den Anträgen des Verwaltungsrats zu stimmen hat. Die Stimmrechtsunterlagen des Unternehmens enthalten häufig einen entsprechenden Passus. Formulare zur Vollmachtserteilung sehen sogar vor, dass die Organvertreterin oder der Organvertreter stets gemäss den Anträgen des Verwaltungsrats abzustimmen hat.

Probleme mit der Stimmrechtsvertretung ergeben sich auch bei Kleingesellschaften, wenn die Aktionärinnen und Aktionäre zerstritten sind und das Vertretungsrecht auf Mitaktionärinnen beziehungsweise Mitaktionäre beschränkt ist. Unter gewissen Voraussetzungen bejaht die Rechtsprechung diesfalls schon heute einen Anspruch auf eine unabhängige Stimmrechtsvertretung32.

Im Hinblick auf diese unbefriedigende Situation sieht der Entwurf (wie schon der Vorentwurf) folgende Neuordnung vor (Art. 689c f.):

32

­

Die Vertretung kann neu nur noch in Privatgesellschaften auf andere Aktionärinnen und Aktionäre beschränkt werden.

­

Ist dies der Fall, so muss auf Verlangen einer Aktionärin oder eines Aktionärs eine unabhängige Person als Vertreterin oder Vertreter bezeichnet werden.

­

Die Depot- und die Organvertretung werden sowohl im Hinblick auf kotierte als auch auf nichtkotierte Gesellschaften abgeschafft.

­

Gesellschaften mit börsenkotierten Aktien müssen eine unabhängige Stimmrechtsvertreterin oder einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter einsetzen.

­

Erhält die unabhängige Stimmrechtsvertreterin oder der unabhängige Stimmrechtsvertreter keine Weisungen, so enthält sie oder er sich der Stimme. Bei nicht angekündigten Anträgen stimmt er ­ mangels einer besonderen Weisung ­ gemäss den Empfehlungen des Verwaltungsrats.

Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Aargau vom 26. Januar 2001, ZBGR 2002 Nr. 43.

1613

In der Vernehmlassung wurde die Befürchtung geäussert, dass insbesondere die Abschaffung der Organvertretung in Verbindung mit der Neuregelung des Weisungsrechts der Gesellschaft schaden könne. Sie begünstige Zufallsentscheidungen und benachteilige die schweigende Mehrheit der zufriedenen Aktionärinnen und Aktionäre33. Diese Argumentation vermag indessen nicht zu überzeugen. Eine unverfälschte Willensbildung in der GV ist nur dann gewährleistet, wenn alle Gesellschafterinnen und Gesellschafter, die eine Person mit der Vertretung beauftragen, klare Angaben zur Ausübung des Stimmenrechts machen. Die Qualität der Willensbildung wird nicht dadurch verbessert, dass Personen Vollmachten erteilen, ohne die Vertreterin oder den Vertreter zumindest durch einfaches Ankreuzen auf dem Vollmachtsformular anzuweisen, gemäss den Anträgen des Verwaltungsrats zu stimmen. Für den Fall, dass an einer GV nicht angekündigte Anträge gestellt werden, sieht der Entwurf jedoch neu eine Sonderregelung zugunsten der Empfehlungen des Verwaltungsrats vor.

Effektenleihe und Repo-Geschäfte In der Vernehmlassung wurde verschiedentlich auf das Problem der Effektenleihe (englisch: securities lending) hingewiesen34. Bei der Effektenleihe veräussert eine Person ihre Aktien an einen Dritten, wobei vereinbart wird, dass sie nach Ablauf einer bestimmten Frist Aktien der gleichen Gesellschaft in gleicher Anzahl zurückerhält.

Beim sogenannten Repo-Geschäft, einer Form des Kreditgeschäfts, kommt es ebenfalls zur Veräusserung von Aktien mit anschliessender «Rückübertragung» von Aktien desselben Unternehmens. Beide Rechtsgeschäfte sind dadurch gekennzeichnet, dass die «Ausleiherin» oder der «Ausleiher» das Eigentum an den Aktien verliert und demzufolge während der Dauer der Effektenleihe oder des Repo-Geschäfts nicht Aktionärin oder Aktionär der Gesellschaft ist. Handelt es sich um vinkulierte Namenaktien, muss die Bank die Übertragung der Gesellschaft melden (Art. 685e OR). Die Erwerberin oder der Erwerber der Aktien können sich als neue Eigentümerin beziehungsweise als neuen Eigentümer beim Unternehmen melden. Nach der Anerkennung durch die Gesellschaft dürfen sie an der GV teilnehmen (Art. 689a OR).

Es kommt vor, dass Depotkundinnen oder Depotkunden einer Bank anlässlich des Erwerbs von Aktien oder bei der Kontoeröffnung einer
Effektenleihe zustimmen, ohne sich über die Rechtsfolgen einer «Ausleihe» ihrer Aktien Rechenschaft zu geben. Wollen sie bei der GV dabei sein, stellen sie plötzlich fest, dass eine Teilnahme nicht möglich ist, weil ihre Aktien «ausgeliehen» worden sind. Die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) ist sich der Problematik einer entsprechenden Vollmachtserteilung bewusst. Sie hat deshalb klargestellt, dass Bestimmungen zur Effektenleihe nicht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder im Depotreglement der Bank enthalten sein dürfen35. Die schriftliche Zustimmung der Kundinnen und des Kunden muss vielmehr explizit eingeholt werden. Eine ähnliche Regelung

33 34 35

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 17 f.

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 17 f.

Jahresbericht der Eidg. Bankenkommission von 2002, Ziff. 2.5.3.2.

1614

findet sich auch in Artikel 22 des Entwurfs zu einem Bucheffektengesetz36. Eine Regelung der Vollmachtserteilung im OR erscheint daher nicht notwendig.

Der Entwurf sieht aber eine Ausweitung der Vinkulierungsbestimmungen für kotierte Namenaktien vor. Neu sollen die Gesellschaften die Anerkennung von Personen, die Aktien erworben haben, auch verweigern können, wenn der Erwerb im Rahmen einer Effektenleihe oder eines ähnlichen Rechtsgeschäfts erfolgt ist (Art. 685d Abs. 2). Das Unternehmen kann von der Erwerberin oder vom Erwerber für die Anerkennung eine entsprechende Erklärung verlangen. Lehnt die Gesellschaft die Anerkennung ab, so stehen der Aktionärin oder dem Aktionär zwar alle vermögensmässigen Rechte (bspw. Anspruch auf Dividenden) zu; die betroffenen Personen dürfen jedoch nicht an der GV teilnehmen. Das Stimmrecht der Aktien ruht (Art. 685f Abs. 2 OR).

Die Effektenleihe und ähnliche Geschäfte können auch von der Unternehmensspitze dazu genutzt werden, verdeckt Einfluss auf die Willensbildung in der GV zu nehmen, indem eigene Aktien der Gesellschaft im Rahmen einer Effektenleihe auf eine Drittperson übertragen werden. Diese übt dann das Stimmrecht aus den Aktien gemäss den Weisungen des Managements aus. Nach Ablauf der Effektenleihe erhält das Unternehmen die Aktien zurück. Der Entwurf will dies unterbinden. Gemäss geltendem Recht ruht das Stimmrecht aus eigenen Aktien des Unternehmens (Art. 659a Abs. 1 OR). Künftig soll das Stimmrecht auch dann ruhen, wenn die Aktien veräussert werden und gleichzeitig vereinbart wird, dass die Gesellschaft eigene Aktien zu einem späteren Zeitpunkt zurückerhält (Art. 659a Abs. 2). Übt die Erwerberin oder der Erwerber der Aktien in diesen Fällen das Stimmrecht trotzdem aus, so können die entsprechenden Beschlüsse der GV angefochten werden (Art. 659a Abs. 3).

1.3.3

Flexibilisierung im Bereich der Kapitalstrukturen

1.3.3.1

Kapitalband

Mittels eines sog. Kapitalbands soll die GV den Verwaltungsrat ermächtigen können, das Aktienkapital während einer Dauer von maximal drei Jahren innerhalb einer bestimmten Bandbreite herauf- und herabzusetzen (Art. 653s ff.). Der Beschluss wird ins Handelsregister eingetragen. Nach unten wird das Kapitalband durch das sog. Basiskapital begrenzt, das das Aktienkapital höchstens um die Hälfte unterschreiten darf. Das Basiskapital übernimmt beim Kapitalband die Funktion einer Sperrziffer, wie sie nach geltendem Recht dem Aktienkapital zukommt. Nach oben wird das Kapitalband durch das Maximalkapital begrenzt. Dieses darf das im Handelsregister eingetragene Kapital um höchstens die Hälfte überschreiten.

Bei der Kapitalherabsetzung wird der Gläubigerschutz zum Teil auf den Zeitpunkt der Schaffung des Kapitalbands vorverlegt (Art. 653w Abs. 1). Dies ermöglicht dem Verwaltungsrat, die Kapitalherabsetzungen ohne vorgängige Aufforderung an die Gläubiger und ohne Prüfungsbestätigung durch eine Revisorin oder einen Revisor vorzunehmen.

36

Botschaft zu einem Bundesgesetz über Bucheffekten (Bucheffektengesetz, BEG) BBl 2006 9315 9366.

1615

Die GV kann den Ermessensspielraum des Verwaltungsrats einschränken. So kann sie beispielsweise bestimmen, dass der Verwaltungsrat das Aktienkapital nur heraufsetzen darf. Das Kapitalband gleicht sich in diesem Fall im Ergebnis der heutigen genehmigten Kapitalerhöhung an. Ermächtigt die GV dagegen den Verwaltungsrat nur zur Herabsetzung des Kapitals, so entspricht das Kapitalband praktisch einer genehmigten Kapitalherabsetzung. Ein entsprechendes Rechtsinstitut wurde im Vernehmlassungsverfahren noch alternativ zum Kapitalband zur Diskussion gestellt37.

Die überwältigende Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer sprach sich jedoch für das Kapitalband aus. Es wurde als flexibleres und einfacheres Instrument für die Erhöhung und Herabsetzung des Aktienkapitals angesehen38.

Neben dem Kapitalband besteht kein echter Bedarf für eine genehmigte Kapitalherauf- oder -herabsetzung, auch wenn sich im Vernehmlassungsverfahren einzelne Stimmen dafür ausgesprochen haben. Eine Vielfalt nicht zwingend erforderlicher rechtlicher Instrumente wäre der Rechtssicherheit abträglich.

1.3.3.2

Nennwert

Das geltende Aktienrecht beruht auf dem System der Nennwertaktie: Die Statuten weisen der Aktie einen bezifferten Anteil am Aktienkapital zu. Das Gesetz schreibt einen sog. Mindestnennwert vor, der nicht unterschritten werden darf. Die positive wirtschaftliche Entwicklung vieler Gesellschaften führt nun aber dazu, dass der wirkliche Wert der Aktien den rein rechnerischen Nennwert um ein Mehrfaches übersteigt. Aufgrund des Mindestnennwerts ist eine neue Stückelung oftmals jedoch nicht mehr möglich. Der hoch angesetzte Mindestnennwert des Aktienrechts von 1936 hat deshalb die Handelbarkeit der Titel negativ beeinflusst. Aus diesem Grund wurde der Mindestnennwert mit der Aktienrechtsrevision von 1991 von 100 auf 10 Franken herabgesetzt. Im Jahre 2001 erfolgte eine weitere Senkung auf einen Rappen (Art. 622 Abs. 4 OR). Auf dem Kapitalmarkt können sich aber selbst Aktien mit einem Nennwert von einem Rappen noch als suboptimal erweisen. Auch bei diesen Aktien kann das Bedürfnis nach einem Aktiensplitting oder einer Nennwertreduktion bestehen. Der Entwurf schreibt deshalb neu nur noch vor, dass die Aktien einen Nennwert aufweisen müssen, der grösser ist als Null (Art. 622 Abs. 4). Dieser Vorschlag ist in der Vernehmlassung auf breite Zustimmung gestossen.

Im Gegenzug wird auf die Schaffung der sog. unechten nennwertlosen Aktie verzichtet. Es handelt sich dabei um eine Aktie, die über keinen festen Nennwert verfügt. Ihr Nennwert kann aber berechnet werden, in dem man das Aktienkapital durch die Anzahl der Aktien teilt. Diese Aktienform ermöglicht insbesondere ebenfalls das unbegrenzte Splitting von Aktien. Die Einführung der unechten nennwertlosen Aktien würde jedoch die Anpassung zahlreicher aktienrechtlicher Regelungen erfordern. Materiell heikel wäre insbesondere die zwingende Neuordnung der Stimmrechtsaktie (Art. 693 Abs. 1 OR).

37 38

Begleitbericht zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrecht im Obligationenrecht vom 2. Dezember 2005, S. 23 f.

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 8, 13, 36.

1616

Mit der vorgeschlagenen Herabsetzung des Nennwerts auf einen beliebigen Bruchteil eines Rappens kann praktisch dasselbe Mass an Flexibilität gewonnen werden wie mit der nennwertlosen Aktie, ohne dass dafür aber grössere Neuregelungen notwendig sind39. Nachteilig ist allerdings, dass allfällige Aktientitel bei einem Splitting oder einer Nennwertherabsetzung ausgetauscht werden müssen. Bereits heute verzichten jedoch zahlreiche Unternehmen auf die Ausgabe von Aktientiteln.

Die Verbriefung dürfte mit dem geplanten neuen Bundesgesetz über die Verwahrung und Übertragung von Bucheffekten (Bucheffektengesetz)40 noch weiter zurückgehen. Der erwähnte Nachteil ist daher für die Praxis von sehr beschränkter Bedeutung.

1.3.3.3

Partizipationsscheine

Den Partizipanten stehen in erster Linie vermögensrechtliche Ansprüche zu, während ihnen das Stimmrecht und alle damit zusammenhängenden Rechte grundsätzlich fehlen (Art. 656c ff. OR). Sie tragen jedoch dasselbe finanzielle Risiko wie die Aktionäre.

Gemäss Artikel 656b Absatz 1 OR darf das Partizipationskapital das Doppelte des Aktienkapitals nicht übersteigen. Bei Publikumsgesellschaften soll diese Obergrenze inskünftig entfallen. Unternehmen mit kotierten Partizipationsscheinensollen demnach die Höhe ihres Partizipationskapitals ­ unabhängig von der Höhe ihres Aktienkapitals ­ frei bestimmen können (Art. 656b Abs. 1).

Im Gegensatz zum Vorentwurf lässt der Entwurf bei privaten Gesellschaften die heutige Regelung unverändert. Der Verzicht auf eine Obergrenze des Partizipationskapitals erscheint problematisch, wenn die Partizipationsscheine nicht oder nur schwer handelbar sind: Die Partizipanten haben diesfalls nicht die Möglichkeit, ihre Beteiligung zu verkaufen. Sie sind in der Gesellschaft «gefangen» und können auf die Unternehmensführung ­ aufgrund des fehlenden Stimmrechts ­ keinen Einfluss nehmen.

1.3.3.4

Inhaberaktien

Die Groupe d'action financière (GAFI) ist 1989 geschaffen worden mit dem Ziel, die Geldwäscherei und die Finanzierung des Terrorismus zu bekämpfen. Die revidierte Empfehlung Nr. 33 der GAFI von 2003 schreibt u.a. vor, dass die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass die Inhaberaktie nicht zur Geldwäscherei verwendet werden kann. Der nationale Gesetzgeber hat deshalb für eine ausreichende Transparenz bei Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien besorgt zu sein. Insbesondere soll gewährleistet sein, dass Behörden und Finanzintermediäre innert nützlicher Frist Kenntnis von den Eigentümern eines Unternehmens (Aktionäre/wirtschaftliche Berechtigte) erhalten können.

39 40

Begleitbericht zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom 2. Dezember 2005, S. 24 f.

Botschaft zum Bucheffektengesetz und zum Haager Wertpapierübereinkommen vom 15. November 2006, BBl 2006 9315 ff.

1617

Der Bundesrat schickte 2005 einen ­ unter der Federführung des Eidgenössischen Finanzdepartementes ausgearbeiteten ­ Vorentwurf zu einem Bundesgesetz über die Umsetzung der revidierten Empfehlungen der GAFI in die Vernehmlassung. Unter anderem war darin vorgesehen, dass Inhaberaktionärinnen und Inhaberaktionäre, die direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten mindestens 10 Prozent der Stimmrechte kontrollieren, einer Meldepflicht an die Gesellschaft unterliegen, sofern sie an der GV teilnehmen.41 Dieser Vorschlag war im Vernehmlassungsverfahren sehr umstritten42. Die grosse Mehrheit der Stellungnahmen lehnte ihn klar ab, insbesondere mit der Begründung, dass er mit dem Begriff der Aktiengesellschaft als kapitalbezogener Kapitalgesellschaft nicht vereinbar sei und es sich nicht rechtfertige, Inhaberaktien strenger zu behandeln als Namenaktien. Zudem sei der Grenzwert von 10 Prozent zu niedrig. Im Hinblick auf dieses Vernehmlassungsergebnis, aber auch weil die GAFI den entsprechenden Regelungsvorschlag der Schweiz im Rahmen eines Länderexamens als ungenügend beurteilte43, entschied der Bundesrat, diesen Lösungsansatz nicht weiter zu verfolgen.

Im Vorentwurf für die Revision des Aktienrechts schlug der Bundesrat daher einen Verzicht auf die Inhaberaktien vor. Die grosse Mehrheit der Gesellschaften zieht nämlich schon heute die Ausgabe von Namenaktien vor, um ihre Aktionärinnen und Aktionäre zu kennen. Die Aufgabe der Inhaberaktien stiess jedoch im Vernehmlassungsverfahren auf grossen Widerstand. Die Mehrheit der Vernehmlasserinnen und Vernehmlasser ist der Auffassung, der Gefahr der Geldwäscherei könne mit weniger einschneidenden Mitteln entgegengewirkt werden. Zudem könne den rund 30 000 Gesellschaften mit Inhaberaktien eine Umstellung nicht zugemutet werden. Bei Gesellschaften mit börsenkotierten Aktien sei die Transparenz dank den börsenrechtlichen Meldepflichten (Art. 20 BHEG) bereits heute gewährleistet44.

Es ist davon auszugehen, dass die Schweiz aufgrund der Möglichkeit der Ausgabe von Inhaberaktien auf internationaler Ebene zukünftig zunehmendem Druck ausgesetzt sein wird. Unter Berücksichtigung der klaren Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens wird jedoch im Rahmen des vorliegenden Entwurfs an den Inhaberaktien festgehalten.

Mit Blick auf die Empfehlungen der GAFI wurde
jedoch geprüft, ob für nichtkotierte Inhaberaktien eine ganzjährige Meldepflicht eingeführt werden soll: Ab einer bestimmten Beteiligungsquote müsste jeder Eigentümerwechsel der Gesellschaft angezeigt werden. Diese wäre verpflichtet, die Eigentümerinnen und Eigentümer von Inhaberaktien, die in einem bestimmten Umfang an der Gesellschaft beteiligt sind, zu registrieren. Die Inhaberaktie würde dadurch in den meisten Gesellschaften faktisch zur Namenaktie. Weil private Aktiengesellschaften meist über einen relativ engen Kreis von Aktionärinnen und Aktionären verfügen, kennen sie deren Identität. Eine Meldepflicht ist demnach sachlich überflüssig. Im Hinblick 41 42 43

44

Vorentwurf und erläuternder Begleitbericht zum Bundesgesetz über die Umsetzung der revidierten Empfehlungen der GAFI vom 13. Januar 2005.

Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens zum Vorentwurf zu einem Bundesgesetz über die Umsetzung der revidierten Empfehlungen der GAFI, S. 27.

GAFI, 3ème Rapport d'évaluation mutuelle de la lutte anti-blanchiment de capitaux et contre le financement du terrorisme, Schweiz, Synthese vom 14. Oktober 2005, Ziffer 20, 54 sowie Anhang S. 20.

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 10 f.

1618

auf die Anforderungen der GAFI müsste die Verletzung der Meldepflicht ferner sanktioniert werden. Die Einführung einer Strafbestimmung könnte aber bei Kleinunternehmen zu stossenden Ergebnissen führen. Übertrüge beispielsweise ein Vater seine Aktien an seine Nachkommen und würde dabei die Mitteilung des Eigentümerwechsels an die Gesellschaft vergessen, so könnte dies ein strafbares Verhalten darstellen. Der Entwurf verzichtet aus diesen Gründen auf die Einführung einer Meldepflicht. Er sieht aber vor, die Umwandlung von Inhaber- in Namenaktien zu erleichtern (Art. 704a).

1.3.3.5

Dispoaktien

Nach dem geltenden Recht muss beim börsenmässigen Verkauf kotierter Namenaktien die Veräussererbank der Gesellschaft den Namen der Veräussererin oder des Veräusserers melden (Art. 685e OR). Die Gesellschaft streicht daraufhin den entsprechenden Eintrag im Aktienbuch. Die Erwerberin oder der Erwerber wird im Rahmen allfälliger statutarischer Vinkulierungsbestimmungen anerkannt und im Aktienbuch eingetragen, sobald sie oder er sich bei der Gesellschaft meldet (Art. 685f ff. OR). Gibt sich die neue Eigentümerin oder der neue Eigentümer der Aktien jedoch nicht zu erkennen, bleibt die betreffende Stelle im Aktienbuch leer.

Es entstehen sogenannte Dispoaktien. In der Praxis überweisen die Unternehmen in diesem Fall die Dividenden über die Banken an die ihnen unbekannten Aktionärinnen und Aktionäre. Diese können jedoch keine Mitwirkungsrechte ausüben (Art. 685f Abs. 2 und 3, Art. 689a Abs. 1 OR).

In den letzten Jahren hat die Zahl der Aktionärinnen und Aktionäre, die auf eine Anerkennung durch die Gesellschaft verzichten, massiv zugenommen. Die Aktien wechseln oft mehrmals die Hand, bevor sich einer Erwerberin oder ein Erwerber bei der Gesellschaft meldet. Dies führt dazu, dass bei Publikumsgesellschaften ein wesentlicher Teil der Aktionärinnen und Aktionäre zwar Dividenden bezieht, aber an der Willensbildung in der GV nicht teilnimmt. Sehen die Statuten für bestimmte Beschlüsse hohe Präsenzquoren vor, so kann das Ansteigen des Bestandes an Dispoaktien zur Folge haben, dass statutarische Mehrheitserfordernisse nicht mehr erreicht werden können. Weiter wird auch Sinn und Zweck der Ausgabe von Namenaktien in Frage gestellt, da die Gesellschaften bei Dispoaktien ihre Gesellschafterinnen und Gesellschafter nicht mehr kennen. Damit verbunden ist die Gefahr einer sog. «feindlichen Übernahme»: Zum einen ist es möglich, verdeckt neue Beteiligungspositionen aufzubauen; zum andern reicht bei einem hohen Anteil an nicht stimmberechtigten Dispoaktien bereits eine verhältnismässig kleine Beteiligung aus, um die Kontrolle über eine Gesellschaft zu erringen.

Bereits im Rahmen der Ausarbeitung des Vorentwurfs wurden verschiedene Vorschläge zur Lösung dieses Problems vertieft geprüft. Da aber kein Vorschlag zu überzeugen vermochte, verzichtete der Vorentwurf auf entsprechende Bestimmungen45. Zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer griffen jedoch das Problem der Dispoaktien auf und verlangten eine gesetzliche Regelung46.

45 46

Begleitbericht zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom 2. Dezember 2005, S. 9.

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 8 f.

1619

Folgende Lösungsansätze stehen zur Diskussion:

47 48

­

Nominee-System: Die depotführende Bank oder der Effektenhändler wird verpflichtet, sich als «Nominee» treuhänderisch ins Aktienbuch eintragen zu lassen, sofern die Aktionärin oder der Aktionär sich nicht selbst bei der Gesellschaft meldet47. Mit einer entsprechenden Regelung könnten zwar die Dispoaktien praktisch zum Verschwinden gebracht werden, doch würden die Unternehmen die Identität der effektiven Aktionärinnen und Aktionäre nach wie vor nicht kennen. Vielmehr dürfte die Zahl der unbekannten Beteiligten aufgrund der Möglichkeit einer formalisierten treuhänderischen Eintragung noch ansteigen. Die Eigentümerinnen und Eigentümer der Aktien hätten die Möglichkeit, unter Wahrung ihrer Anonymität neu mittels der Vertretung durch den «Nominee» die Mitwirkungsrechte in der GV auszuüben. Zudem könnten statutarische Vinkulierungsbestimmungen umgangen werden. Da der Entwurf vorsieht, das Depotstimmrecht durch eine unabhängige Stimmrechtsvertretung zu ersetzen48, wäre es auch wenig kohärent, gleichzeitig mit einem «Nominee»-System ein neues Modell der treuhänderischen Ausübung der Mitwirkungsrechte durch Banken zu schaffen.

­

Keine Dividende für Personen mit Dispoaktien: Namenaktionärinnen und -aktionäre, die sich nicht bei der Gesellschaft melden, hätten keinen Anspruch auf Dividende und andere vermögensmässige Rechte. Eine solche Regelung stünde jedoch im Widerspruch zu den Gepflogenheiten des internationalen Kapitalmarkts und wäre namentlich ausländischen Investorinnen und Investoren nur schwer zu vermitteln. Weiter ergäben sich Probleme bei der Verwaltung und der Zuweisung der auflaufenden Dividenden.

­

Auszahlung einer höheren Dividende für Personen, die an der GV teilnehmen: Eine solche Bestimmung würde Aktionärinnen und Aktionäre vermehrt dazu veranlassen, sich von der Gesellschaft anerkennen zu lassen, um an der GV teilnehmen zu können. Dieser Lösungsansatz hätte aber zur Folge, dass die Summe der gesamthaft ausbezahlenden Dividende erst nach der Durchführung der GV feststände, da erst zu diesem Zeitpunkt bekannt wäre, wie viele Gesellschafterinnen und Gesellschafter direkt oder indirekt an der GV teilgenommen haben. Der Verwaltungsrat hätte einen Maximalbetrag für die auszurichtenden Dividenden festzusetzen, der nach der GV je nach der Höhe der Teilnahmequote nach unten korrigiert werden müsste. Zudem würde die Auszahlung der Dividende an die einzelnen Aktionärinnen und Aktionäre in administrativer Hinsicht erschwert.

­

Schaffung einer Bestimmung, wonach Quoren, die vor der Aktienrechtrevision von 1991 (d.h. noch ohne Beachtung der Voraussetzung von Art. 704 Abs. 2 OR) in die Statuten aufgenommen wurden, unter bestimmten Voraussetzungen durch die GV oder durch das Gericht aufgehoben werden können.

Eine solche Regelung würde es ermöglichen, altrechtliche statutarischer Quoren, die faktisch nicht mehr zu erreichen sind, zu beseitigen. Qualifizierte Quoren werden jedoch häufig zum Schutz von Personen mit Minderheitsbeteiligungen ­ beispielsweise im Rahmen einer Nachfolgeregelung ­ eingeführt. Eine Vorschrift zur erleichterten Abschaffung solcher Quoren Hans Caspar von der Crone, Bericht zu einer Teilrevision des Aktienrechts: Stimmrechtsvertretung / Dispoaktien, REPRAX 2/03 S. 1 ff., S. 11 f.

S. vorne Ziffer 1.3.2.3.

1620

könnte den legitimen Interessen von Minderheiten zuwider laufen. Es ist zudem davon auszugehen, dass die Gerichte bereits unter dem geltendem Recht «petrifizierte» Statutenklauseln als ungültig erklären können49. Die Schaffung einer entsprechenden Norm erscheint deshalb nicht sinnvoll.

Weil sich sämtliche geprüften Lösungen sachlich als nicht unproblematisch erweisen, verzichtet der Entwurf auf eine gesetzliche Regelung der Dispoaktien.

1.3.4

Modernisierung der Generalversammlung

Die heutigen elektronischen Kommunikationsmittel eröffnen neue Möglichkeiten für die Durchführung der GV. Insbesondere in Grossgesellschaften, aber auch in kleineren Gesellschaften, deren Aktionärinnen und Aktionäre weit voneinander entfernt wohnen, können elektronische Hilfsmittel Erleichterungen bringen und die Kosten verringern. Durch den Einsatz elektronischer Instrumente dürfte sich zudem die aktive Beteiligung der Aktionärinnen und Aktionäre an der GV fördern lassen. Dies stärkt die Funktion der GV im Prozess der innergesellschaftlichen Willensbildung und dient somit einer guten Corporate Governance.

Mit der Revision sollen aktuelle gesetzliche Grundlagen für die GV geschaffen werden. Es gilt, die Rechtssicherheit bei der Durchführung der Versammlung zu gewährleisten, eine Verfälschung der Willensbildung zu vermeiden und die Ausübung der Mitwirkungsrechte der Aktionärinnen und Aktionäre in qualitativ guter Form sicherzustellen. Die Vorschläge zur Modernisierung der GV wurden in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst. Nur vereinzelt wurden Bedenken geäussert, so namentlich im Hinblick auf die Sicherheit der verwendeten technischen Verfahren50.

Mehrere Tagungsorte; Tagungsort im Ausland Einzelne Publikumsgesellschaften haben in den letzten Jahren ihre GV an verschiedenen Orten gleichzeitig durchgeführt. Eine Mehrzahl von Tagungsorten wirft jedoch rechtliche Fragen auf. Der Entwurf erlaubt die Durchführung der GV an verschiedenen Tagungsorten (multilokale GV) unter der Voraussetzung, dass die Voten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer unmittelbar in Bild und Ton an sämtliche Tagungsorte übertragen werden. Der Verwaltungsrat hat zudem einen Haupttagungsort zu bestimmen, von dem aus die Versammlung geleitet wird und an dem die Beschlüsse beurkundet werden (Art. 701a).

Der Tagungsort kann auch im Ausland festgelegt werden, sofern die Statuen dies vorsehen oder sämtliche Aktionärinnen und Aktionäre damit einverstanden sind (Art. 701b Abs. 1).

Elektronische Einberufung der GV Der Entwurf ermöglicht, die GV elektronisch einzuberufen und die Unterlagen elektronisch zu übermitteln (Art. 700 Abs. 1). Da die elektronische Kommunikation niemandem aufgezwungen werden kann, wird für die elektronische Übermittlung jedoch die Zustimmung der Aktionärinnen und Aktionäre verlangt.

49 50

S. den gestützt auf das alte Aktienrecht ergangenen BGE 117 II 290 ff., 314 f.

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 21 f.

1621

Elektronische Vollmacht zur Stimmrechtsvertretung Die elektronische Übermittlung einer Vollmacht kann die Vollmachterteilung erleichtern. Unter Berücksichtigung der Bedürfnisse kleiner Betriebe wird die Möglichkeit zur elektronischen Übermittlung einer Vollmacht aber nicht zwingend vorgesehen. Nach dem Entwurf soll vielmehr der Verwaltungsrat entscheiden, ob er elektronische Vollmachten mit einer qualifizierten elektronischen Unterschrift (vgl.

Art. 14 Abs. 2bis OR) entgegen nimmt (Art. 689a Abs. 1bis). Den Aktionärinnen oder Aktionären darf die elektronische Form der Vollmachterteilung auf keinen Fall aufgezwungen werden.

Verwendung elektronischer Mittel in der Generalversammlung Die Aktionärinnen und Aktionäre sollen ihre Rechte an der GV auf elektronischem Weg ausüben können, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 701c und 701e). Es wird somit möglich, dass die Aktionärinnen und Aktionäre von zu Hause aus via Videokonferenz an einer GV teilnehmen.

Elektronische Generalversammlung Mit Einverständnis aller Aktionärinnen und Aktionäre soll auf eine herkömmliche Versammlung an einem Tagungsort gänzlich verzichtet werden können (Art. 701d).

Die GV wird in diesem Fall ausschliesslich mittels elektronischer Medien (Intranet, Internet) durchgeführt. Im Vernehmlassungsverfahren ist der Einwand erhoben worden, die Voraussetzung der Zustimmung aller Aktionärinnen und Aktionäre verunmögliche die Durchführung einer elektronischen GV bei Gesellschaften mit breit gestreutem Aktionariat51. Bei der Teilnahme an der GV handelt es sich jedoch um ein fundamentales Aktionärsrecht. Würde für die Durchführung einer rein elektronischen GV ein einfacher oder qualifizierter Mehrheitsbeschluss genügen, könnten Aktionärinnen und Aktionäre, die über keinen Zugang zum Internet verfügen, dauer-haft an der Teilnahme an der GV gehindert werden. Eine entsprechende faktische Einschränkung der Rechtsstellung einzelner Aktionärinnen und Aktionäre kann nicht hingenommen werden.

1.3.5

Zeitgemässes Buchführungs- und Rechnungslegungsrecht

1.3.5.1

Wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung von Buchführung und Rechnungslegung

Buchführung und Rechnungslegung dienen in erster Linie der Selbstinformation des Unternehmens und dadurch der Förderung und dem Schutz der Interessen sämtlicher an einer Gesellschaft beteiligter Personen (Gesellschafterinnen und Gesellschafter, Management, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Gläubiger und Gläubigerinnen). Sie bilden eine zentrale Grundlage für die Entscheidfindung der Gesellschaftsorgane und sind ein wichtiges Führungsinstrument.

51

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 22.

1622

Die Gesellschafterinnen und Gesellschafter sollen durch die Buchführung und die Rechnungslegung einen verlässlichen Überblick über die Vermögens-, Finanzierungs- und Ertragslage des Unternehmens erhalten. Gestützt darauf können sie beurteilen, ob ihr Kapital gewinnbringend und sicher investiert ist. Eine zuverlässige Information über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft ist für die Gesellschafterinnen und Gesellschafter eine unabdingbare Voraussetzung für eine sachgerechte Ausübung ihrer gesetzlichen Rechte.

Buchführung und Rechnungslegung dienen weiter dem Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger, und sie sind Grundlage für die Entscheidungen von Investorinnen und Investoren. Als Instrument der gesellschaftsinternen und -externen Kontrolle der Wirtschaftssubjekte kommt der Buchführung und der Rechnungslegung insgesamt eine erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung zu.

Auch für staatliche Aufgaben sind die Buchführung und die Rechnungslegung relevant, so als Grundlage für die Steuerveranlagung und für die Erhebung von Abgaben im Sozialversicherungsbereich. Ferner liefern sie auch den Aufsichts- oder Strafverfolgungsbehörden notwendige Informationen. Nicht zuletzt dienen Buchführung und Rechnungslegung auch der Vermeidung und Aufdeckung von Korruption.

Der Entwurf berücksichtigt in dieser Hinsicht die in den letzten Jahren verstärkten internationalen Bemühungen, namentlich jene im Zusammenhang mit den Antikorruptionskonventionen der OECD (durch die Schweiz ratifiziert im Jahr 2000), des Europarats (ratifiziert 2006) sowie der UNO (Ratifikation in Vorbereitung).

Die Informationsbedürfnisse der verschiedenen Adressatinnen und Adressaten der Buchführung und der Rechnungslegung sind teilweise unterschiedlich. Im Kern sind sie alle jedoch auf eine getreue Darstellung der Vermögens-, Finanzierungs- und Ertragslage eines Unternehmens ausgerichtet, damit dessen wirtschaftliche Lage zuverlässig beurteilt werden kann.

1.3.5.2

Einheitliche Regelung für alle Rechtsformen des Privatrechts im OR

Angestrebt wird eine schlanke Regelung der Buchführung und Rechnungslegung, die nicht in einem separaten Bundesgesetz, sondern im Zweiundreissigsten Titel des Obligationenrechts (Art. 957 ff. OR) verankert werden soll. Das lücken- und mangelhafte geltende Recht wird durch eine übersichtliche Ordnung ersetzt, die sich auf die wesentlichen Vorgaben beschränkt und der modernen Praxis zur Rechnungslegung entspricht.

Eine allgemeine Differenzierung der Vorschriften zur Buchführung und Rechnungslegung nach der Rechtsform lässt sich sachlich nicht begründen: Die Rechnungslegung dient stets der Berichterstattung über die Geschäftstätigkeit. Aus der Rechtsform lässt sich nichts zur Art und zum Umfang dieser Geschäftstätigkeit ableiten.

Der Entwurf sieht daher ein rechtsformneutrales Konzept vor, entsprechend dem System der Revisionspflicht52. Die Neuregelung ersetzt somit insbesondere auch die heutigen rechtsformspezifischen Vorschriften des Aktienrechts (Art. 662 ff. OR).

52

Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Revisionspflicht im Gesellschaftsrecht) sowie zum Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung der Revisorinnen und Revisoren vom 23. Juni 2004, BBl 2004 3969.

1623

Die neue Ordnung der Buchführung und der Rechnungslegung gilt grundsätzlich für alle Rechtsträger des Privatrechts (Art. 957 Abs. 1). Sie sieht jedoch differenzierte Anforderungen je nach der wirtschaftlichen Bedeutung des Unternehmens vor.

Zudem bleiben strengere spezialgesetzliche Vorschriften vorbehalten, sofern die wirtschaftliche Lage des Unternehmens gleichwertig dargestellt wird. (Art. 957 Abs. 3).

Für die Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung wird weiterhin an die Pflicht zur Eintragung ins Handelsregister angeknüpft. Für nicht eintragungspflichtige Unternehmen, Vereine und Stiftungen genügt grundsätzlich eine einfache Buchhaltung, die lediglich die Einnahmen und Ausgaben erfasst und die Vermögenslage wiedergibt («Milchbüchlein-Rechnung»; Art. 957 Abs. 2).

1.3.5.3

Differenzierung nach Unternehmensgrösse

Bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) soll der jährlich vorzulegende Geschäftsbericht nur den eigentlichen Kern der Rechnungslegung umfassen, nämlich die Jahresrechnung. Diese ist knapp und übersichtlich strukturiert und besteht aus Bilanz, Erfolgsrechnung und Anhang (Art. 958 Abs. 2, 959 ff.). Insbesondere entfallen für KMU der Lagebericht (im geltenden Recht als Jahresbericht bezeichnet) und die Geldflussrechnung.

Grössere Unternehmen werden wie im Revisionsrecht53 strengeren Vorschriften unterworfen (Art. 961 ff.). Abgrenzungskriterium ist die Pflicht zu einer ordentlichen Revision. Als grössere Unternehmen gelten demnach solche, die zwei von drei Kriterien (10 Mio. Franken Bilanzsumme, 20 Mio. Franken Umsatzerlös und 50 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt) in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren überschreiten (s. Art. 727 Abs. 1 Ziff. 2 OR54). Vorsichtig geschätzt dürften somit von den insgesamt rund 484 222 im Handelsregister eingetragenen Rechtsträgern55 weniger als 10 000 den anspruchsvolleren Bestimmungen unterstellt sein.

Diese Unternehmen müssen im Anhang der Jahresrechnung zusätzliche Angaben machen und haben einen Lagebericht (bisher: «Jahresbericht» sowie eine Geldflussrechnung zu erstellen.

Einzelunternehmen und Personengesellschaften können ­ einem Vorschlag aus dem Vernehmlassungsverfahren folgend (s. vorne Ziff. 1.2.2.3) ­ auf die Erstellung des Anhangs zur Jahresrechnung verzichten, wenn sie nicht die Kriterien für grössere Unternehmen erfüllen (Art. 959c Abs. 3).

Im Sinne einer Entlastung wird vorgesehen, dass ein Unternehmen auf die Erstellung eines erweiterten Anhangs, eines Lageberichts und einer Geldflussrechnung verzichten kann, wenn es selbst oder eine juristische Person, die das Unternehmen kontrolliert, eine Konzernrechnung nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung erstellt. Diese Entlastung steht aber unter dem Vorbehalt, dass keine Minderheit der Gesellschafterinnen und Gesellschafter einen Geschäftsbericht nach den umfassenderen Vorschriften verlangt (Art. 961d).

53

54 55

Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Revisionspflicht im Gesellschaftsrecht) sowie zum Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung der Revisorinnen und Revisoren vom 23. Juni 2004, BBl 2004 3969 3991 f.

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289), in Kraft am 1. Januar 2008.

Stand Ende 2006 (s. SHAB Nr. 12 vom 18. Januar 2007).

1624

1.3.5.4

Schlanke Gliederungs- und Bewertungsvorschriften

Anders als im Vorentwurf RRG (s. vorne Ziff. 1.2.2.1) orientiert sich die Mindestgliederung von Bilanz und Erfolgsrechnung nicht an den EG-Richtlinien, sondern am verkürzten Konzept der International Financial Reporting Standards (IFRS). Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) wird damit ein leicht verständliches, mit wenig Aufwand zu bewältigendes Buchführungs- und Rechnungslegungskonzept vorgeschlagen (Art. 959 ff.).

Zudem werden leicht fassbare Bewertungsgrundsätze vorgesehen, die in allgemeine Vorgaben und spezifische Regeln für bestimmte Aktiven und Verbindlichkeiten gegliedert sind (Art. 960 ff.). Das in der Vernehmlassung kritisierte Verbot der gewillkürten Reserven (s. vorne Ziff. 1.2.2.3) wurde konkretisiert: Die Bewertung muss zwar vorsichtig erfolgen, darf aber die zuverlässige Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens nicht verhindern.

1.3.5.5

Zur Zielsetzung der «fair presentation»

Im Zusammenhang mit der modernen Rechnungslegung ist häufig von «fair presentation» oder «true and fair view» die Rede. Dabei wird oft unterstellt, dass in vielen Industriestaaten die Rechnungslegung diesem Prinzip entsprechen müsse. Genauer betrachtet gelten jedoch zumindest für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Vorschriften, die stark auf steuerrechtlichen Überlegungen basieren, und zwar nicht nur in denjenigen Staaten, die ­ wie die Schweiz ­ das Prinzip der Massgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbemessung kennen. In den USA beispielsweise müssen solche Unternehmen die allgemein anerkannten Grundsätze der Rechnungslegung (US-GAAP) nicht von Gesetzes wegen anwenden. Eine strenge «fair presentation» ­ oder wie es im EG-Recht heisst: «eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Darstellung der Vermögens-, Finanzierungs- und Ertragslage» ­ wird im Ausland meist nur für Publikumsgesellschaften oder für wirtschaftlich bedeutende Unternehmen verlangt.

Für Publikumsgesellschaften in der Schweiz gilt die «fair presentation» im Sinne der internationalen Standards bereits aufgrund der Vorschriften der Schweizer Börse.

Folglich kann sich die Vorlage auf die Bedürfnisse der nicht börsenkotierten Unternehmen konzentrieren. Auch für diese ist aber mit Blick auf die Informations- und Entscheidungsfunktion der Rechnungslegung eine «fair presentation» der wirtschaftlichen Lage wichtig (s. vorne Ziff. 1.3.5.1).

Die «fair presentation» stellt allerdings keinen absoluten Massstab dar und lässt sich nicht in allgemein gültiger Weise definieren. Unbestritten ist zwar, dass die Darstellung der Rechnungslegung frei von willkürlichen Überlegungen sein muss und dass die Bewertung sich an betriebswirtschaftlichen Kriterien zu orientieren hat. Weitere generelle Aussagen zur «fair presentation» sind jedoch kaum möglich. Die verschiedenen in der Lehre vertretenen Ansichten beruhen oft auf persönlichen Präferenzen oder auf Untersuchungen, die sich spezifisch mit den IFRS, den US-GAAP oder den Swiss GAAP FER befassen. Der Inhalt des Begriffs der «fair presentation» wird somit primär durch Einzelregeln des jeweiligen Standardsetters oder des jeweiligen Gesetzgebers bestimmt.

1625

Nach dem Entwurf bedeutet «fair presentation», dass die Rechnungslegung die wirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen soll, dass sich Dritte ein zuverlässiges Urteil bilden können (Art. 958 Abs. 1). Nur für Publikumsgesellschaften, grosse Genossenschaften und Stiftungen, die zur ordentlichen Revision verpflichtetet sind, sowie für Konzerne schreibt der Entwurf die Rechnungslegung nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung vor. Die «fair presentation» wird somit konsequent im Sinne der international üblichen Standards umgesetzt. Bei Unternehmen, in denen dies nicht notwendig ist, wird mit Blick auf das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen und aufgrund der individuellen Steuerplanung die Bildung stiller Reserven zugelassen soweit, diese nicht willkürlich sind (vgl. dazu auch Art. 669 Abs. 3 OR im geltenden Recht).

1.3.5.6

Steuerneutrale Regelung

Die Rechnungslegung nach Obligationenrecht bildet im geltenden Recht die Grundlage für die Steuerbemessung (Massgeblichkeitsprinzip). Diese knüpft in der Schweiz an den Einzel-, nicht an den Konzernabschluss an.

Aufgrund teilweise heftiger Kritik in der Vernehmlassung wird auf die Einführung einer sogenannten umgekehrten Massgeblichkeit verzichtet (s. vorne Ziff. 1.2.2.3)56.

Für das Verhältnis zwischen Handels- und Steuerrecht wird am geltenden Massgeblichkeitsprinzip festgehalten. Wertberichtigungen, Abschreibungen und Rückstellungen sind demnach im Abschluss nach Obligationenrecht zu erfassen, damit sie steuerlich anerkannt werden. Die Steuerneutralität der Neuordnung bleibt somit gewährleistet. Von den Steuerbehörden nicht anerkannte Abschreibungen, Wertberichtigungen oder Rückstellungen müssen dafür wie in der Vernehmlassung vorgeschlagen (s. vorne Ziff. 1.2.2.3) als Gesamtbetrag im Anhang offengelegt werden.

Auf diese Offenlegung kann verzichtet werden, wenn das Unternehmen die Auflösung der steuerlich nicht anerkannten Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen direkt in der Bilanz nachvollzieht. Unternehmen, die keinen Anhang der Jahresrechnung erstellen, sind zu diesem Nachvollzug verpflichtet (Art. 960f).

Es wird weiter die Möglichkeit geschaffen, auf eine Jahresrechnung nach den Bestimmungen des Obligationenrechts zu verzichten, wenn ein Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung vorliegt (s. hinten Ziff. 1.3.5.7).

1.3.5.7

Erhöhung der Transparenz und Stärkung des Minderheitenschutzes

Wird am Massgeblichkeitsprinzip festgehalten (s. vorne Ziff. 1.3.5.6), so ist es nur beschränkt möglich, die Transparenz des Abschlusses nach Obligationenrecht zu verbessern. Immerhin bewirkt die Neuregelung des Entwurfs in formeller Hinsicht eine bessere Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit. Eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Darstellung der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens und die Wahrung der Steuerneutralität schliessen sich jedoch sachlich aus.

56

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 32 f.

1626

Der Entwurf sieht deshalb vor, dass unter bestimmten Voraussetzungen neben dem steuerrelevanten Jahresabschluss nach den Vorschriften des Obligationenrechts zusätzlich ein Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung zu erstellen ist. Dieser Abschluss vermittelt eine erhöhte Transparenz, bleibt aber steuerrechtlich unbeachtlich (Art. 962 ff.). Dieser Abschluss gibt die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Unternehmens wieder und muss einem vom Bundesrat anerkannten Standard folgen (z.B. den Swiss GAAP FER, den IFRS oder den US-GAAP).

Zu einem Abschluss nach anerkanntem Standard verpflichtet werden lediglich Publikumsgesellschaften, grosse Genossenschaften und grosse Stiftungen (s. zu den Grössenkriterien vorne Ziff. 1.3.5.3). In den übrigen Gesellschaften wird aber Gesellschafterinnen und Gesellschaftern, die mindestens 10 Prozent des Grundkapitals vertreten, das Recht eingeräumt, einen Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung zu verlangen. Ähnliche Vorschriften sind für Genossenschafterinnen und Genossenschafter ohne Anteilscheine, für Vereinsmitglieder und für Personen vorgesehen, die einer persönlichen Haftung oder einer Nachschusspflicht unterliegen. Damit wird der Rechtsschutz der am Unternehmen beteiligten Personen massgeblich verbessert. Ein Einzelabschluss nach einem anerkannten Standard ist allerdings nicht erforderlich, wenn ein Konzernabschluss erstellt wird. Für die steuerliche Gewinn- und Kapitalermittlung ist ausschliesslich der Einzelabschluss nach OR (d.h. je nach den Umständen auch ein Einzelabschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung, s. Art. 962 Abs. 1) massgebend.

Der Dualismus zwischen einem Abschluss nach Obligationenrecht und einem Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung ist in der Praxis heute schon verbreitet. Viele Unternehmen erstellen neben dem handelsrechtlichen Abschluss einen solchen nach Swiss GAAP FER oder IFRS.

Einer Anregung aus der Vernehmlassung folgend, wird die Möglichkeit geschaffen, die Jahresrechnung nicht nach den Vorschriften des Obligationenrechts (Art. 958 ff.), sondern ausschliesslich nach den Bestimmungen eines anerkannten Standards zur Rechnungslegung zu erstellen (Art. 962 Abs. 1).

1.3.5.8

Moderne Konzernrechnungslegung

Die Konzernrechnungspflicht wird durch die Artikel 963 ff. geregelt (s. hinten Ziff. 2.2.5). Der Vorentwurf sah ­ im Gegensatz zum geltenden Aktienrecht ­ für Kleinkonzerne keine Befreiung von der Konsolidierungspflicht vor. In gut geführten Unternehmen hätte dies an sich keine grössere zusätzliche Belastung zur Folge. Falls beim Konsolidieren aber umfangreiche Abklärungen notwendig werden, so ist dies letztlich ein Hinweis darauf, dass eine konsolidierte Rechnungslegung nach den konkreten Umständen notwendig ist, damit sich die am Unternehmen beteiligten Personen ein zuverlässiges Urteil über die wirtschaftliche Lage bilden können.

Der Kritik in der Vernehmlassung entsprechend wird die Konsolidierungspflicht im Entwurf jedoch abgeschwächt: Kleinkonzerne sind von der Pflicht zur Erstellung einer Konzernrechnung befreit, wenn sie zusammen mit den kontrollierten Unternehmen zwei von drei Grössen (Bilanzsumme von 10 Millionen Franken, Umsatzerlös von 20 Millionen Franken, 50 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt) in zwei 1627

aufeinander folgenden Geschäftsjahren nicht überschreiten oder wenn sie von einem Unternehmen kontrolliert werden, dessen Konzernrechnung nach schweizerischen oder gleichwertigen ausländischen Vorschriften erstellt und ordentlich geprüft wurde. Im Sinne einer Gegenausnahme ist eine Konzernrechnung aber dennoch zu erstellen, wenn dies für eine möglichst zuverlässige Beurteilung der Vermögensund Ertragslage notwendig ist oder eine Gesellschafterin oder ein Gesellschafter, 20 Prozent der Vereinsmitglieder oder die Stiftungsaufsichtsbehörde dies verlangen.

Die Konzernrechnungslegung erfolgt zwingend nach den Vorgaben eines anerkannten Standards zur Rechnungslegung (d.h. insbesondere nach IFRS, US-GAAP oder Swiss GAAP FER).

1.4

Parlamentarische Vorstösse

1.4.1

Zu erledigende parlamentarische Vorstösse

Die folgenden parlamentarischen Vorstösse verlangen Verbesserungen im Aktienrecht:

57 58 59 60 61 62 63 64

­

Motion Leutenegger Oberholzer vom 9. Mai 2001 betreffend «Mehr Schutz für Minderheitsaktionäre»57 (überwiesen);

­

Motion Walker vom 20. Juni 2001 betreffend «Corporate Governance in der Aktiengesellschaft»58 (überwiesen als Postulat);

­

Parlamentarische Initiative der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei vom 6. März 2002 betreffend «Neuregelung der Übertragung von Mitgliedschaftsrechten bei börsenkotierten Firmen»59 (der Initiative wurde Folge gegeben);

­

Postulat Wicki betreffend «Rechtliche Analyse als Folge des SwissairDebakels»60 vom 12. März 2002 (überwiesen);

­

Postulat Walker vom 20. März 2002 betreffend «Corporate Governance.

Anlegerschutz»61 (überwiesen);

­

Motion der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 19. September 2002 betreffend «Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen zur Rechnungslegung und Unternehmenskontrolle»62 (überwiesen);

­

Motion Leutenegger Oberholzer betreffend «Rechnungslegungsrecht und Revision»63 (Ziff. 1­5; 7­9) vom 25. September 2002 (überwiesen als Postulat);

­

Postulat Imfeld vom 8. März 2006 betreffend «Freier Internetzugriff auf Handelsregisterdaten»64.

01.3261 n; AB 2001 N 1436, AB 2002 N 186 f., AB 2002 S 309 ff., AB 2002 S 323 ff.

01.3329 n; AB 2001 N 1436, AB 2002 S 309 ff., AB 2002 S 323 ff.

02.407 n; AB 2003 N 831 02.3045 s; AB 2002 S 331 f.

02.3086 n; AB 2002 N 1128 02.3470 s; AB 2002 S 1299, AB N 2003 827 02.3489 n; AB 2002 N 2159 06.3026 n AB 2006 N 1116

1628

Um die Kohärenz des Aktienrechts und die erforderliche Rechtssicherheit nicht durch eine Abfolge von mehreren Revisionen zu gefährden, wurden die verschiedenen Anliegen zu einem grösseren Reformpaket zusammengefasst. Die vorgebrachten Begehren wurden eingehend geprüft und im Entwurf sehr weitgehend berücksichtigt. Es wird auf die Ausführungen zu den einzelnen Sachgebieten verwiesen. Die hier aufgeführten Motionen und Postulate können abgeschrieben werden.

1.4.2

Vom Parlament noch nicht beratene Vorstösse

Zahlreiche weitere parlamentarische Vorstösse wurden bis jetzt vom Parlament noch nicht behandelt:

65 66 67 68 69 70 71 72 73

­

Motion Leutenegger Oberholzer vom 16. Juni 2005 betreffend «Revision des Gesellschaftsrechts. Unabhängige Expertinnen»65;

­

Motion Sozialdemokratische Fraktion vom 16. Juni 2005 betreffend «Mehr Rechte für die Aktionärinnen. Gewaltentrennung an der Spitze stärkt Checks and Balances»66;

­

Motion Sozialdemokratische Fraktion vom 16. Juni 2005 betreffend «Mehr Rechte für die Aktionäre. Begrenzung von Anzahl und Dauer der Verwaltungsratsmandate»67;

­

Motion Sozialdemokratische Fraktion vom 16. Juni 2005 betreffend «Mehr Demokratie in den Generalversammlungen der Aktiengesellschaften.

Stimmabgabe über Internet»68;

­

Motion Sozialdemokratische Fraktion vom 16. Juni 2005 betreffend «Mehr Rechte für die Aktionärinnen. Aktionärsklagen im beschleunigten Verfahren»69;

­

Motion Sozialdemokratische Fraktion vom 16. Juni 2005 betreffend «Mehr Rechte für die Aktionärinnen. Klagerecht auf Abberufung des Verwaltungsrates»70;

­

Parlamentarische Initiative Fässler-Osterwalder vom 17. Juni 2005 betreffend «Mehr Rechte für Aktionäre. Das Einberufungs- und Traktandierungsrecht erleichtern»71;

­

Parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer vom 11. Mai 2006 betreffend «Für angemessene Bezüge und gegen Lohnexzesse an der Spitze.

Änderungen des Obligationenrechts»72;

­

Motion Leutenegger Oberholzer vom 23 Juni 2006 betreffend «Lohntransparenz bei Organisationen mit öffentlichen Aufgaben»73;

05.3343 n.

05.3331 n.

05.3332 n.

05.3333 n.

05.3334 n.

05.3335 n.

05.417 n.

06.433 n.

06.3364 n.

1629

­

Motion Hubmann vom 13. Dezember 2006 betreffend «Verordnung über das Schweizerische Handelsamtsblatt Änderung von Artikel 9»74;

­

Motion Recordon vom 21. Juni 2007 betreffend «Schaffung eines schweizerischen Rechts für Unternehmensgruppen»75.

1.5

Verhältnis zum europäischen Recht

Die Schweiz ist staatsvertraglich nicht zur Übernahme des einschlägigen Sekundärrechts der Europäischen Gemeinschaft (EG) im Bereich des Gesellschafts- und Rechnungslegungsrechts verpflichtet. Der vorliegende Entwurf steht demnach in keinem Widerspruch zu etwaigen internationalen Verpflichtungen gegenüber der EG.

Nichtsdestotrotz wäre eine völlig eigenständige Rechtsentwicklung des schweizerischen Gesellschafts- und Rechnungslegungsrechts problematisch76. Der Entwurf steht in weiten Teilen mit dem massgeblichen EG-Recht im Einklang. Auf eine Übernahme der einschlägigen Vorschriften der EG wurde jedoch insbesondere dort verzichtet, wo diese materiell nicht zu überzeugen vermögen.

1.5.1

Richtlinie über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften

Es stellt sich die Frage, wie weit die Regelungen des Entwurfs zur Corporate Governance der kürzlich verabschiedeten Richtlinie über die grenzüberschreitende Ausübung bestimmter Aktionärsrechte entsprechen77. Die Richtlinie bezweckt primär, in Publikumsgesellschaften die Teilnahme von gebietsfremden Aktionärinnen und Aktionären an der GV zu erleichtern. Der Entwurf weicht in folgenden Punkten von der Richtlinie ab:

74 75 76 77

­

Die Einberufung für die GV hat wie bisher spätestens 20 Tage vor der Versammlung zu erfolgen (Art. 700 Abs. 1). Artikel 5 der Richtlinie sieht 21 Tage vor; unter bestimmten Voraussetzungen kann die Frist aber auf 14 Tage verkürzt werden. Die Richtlinie enthält weiter ausführliche Vorgaben zur Form und zum Inhalt der Einladung und zur Publikation der entsprechenden Angaben auf der Internetseite des Unternehmens (Art. 5).

Demgegenüber verzichtet der Entwurf auf die Regelung solcher Detailfragen.

­

Der Entwurf knüpft die Durchführung einer elektronischen GV an bestimmte Voraussetzungen (Art. 701d Abs. 1). Diese Einschränkung dürfte

06.3693 n.

07.3479 n.

S. dazu die Ausführungen im Schlussbericht der Groupe de réflexion «Gesellschaftsrecht» vom 24. September 1993, S. 8.

Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (ABl. L. 184 vom 14.07,2007, S. 17).

1630

in einem gewissen Widerspruch zu Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie stehen, entspricht aber dem Schutz von Personen mit Minderheitsbeteiligungen78.

­

Artikel 689c Absatz 3 sieht vor, dass die unabhängige Stimmrechtsvertreterin oder der unabhängige Stimmrechtsvertreter sich der Stimme enthalten muss, wenn sie oder er keine Weisungen erhalten hat. Eine solche Regelung ist mit der Richtlinie insoweit vereinbar, als sie der Vermeidung von Interessenskonflikten dient (Art. 10 Abs. 3; die Richtlinie ist in dieser Frage allerdings wenig klar).

­

Gemäss der EG-Richtlinie muss es den Aktionärinnen und Aktionären möglich sein, ihre Vollmacht zur Teilnahme an der GV auf elektronischem Weg zu erteilen (Art. 11 Abs. 1). Demgegenüber können die Gesellschaften nach dem Entwurf frei darüber entscheiden, ob sie die elektronische Vollmachtserteilung zulassen wollen (Art. 689a Abs. 1bis).

­

Im Unterschied zum Gemeinschaftsrecht ist die briefliche Stimmabgabe im Entwurf nicht vorgesehen (Art. 12), weil dies mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der GV nicht vereinbar wäre.

­

Die EG-Richtlinie verlangt, dass die Abstimmungsergebnisse der GV spätestens nach 15 Tagen auf der Internetseite der Gesellschaft zu publizieren sind (Art. 14). Der Entwurf schreibt demgegenüber vor, dass das gesamte Protokoll der GV spätestens 20 Tage nach der GV den Gesellschafterinnen und Gesellschaftern auf elektronischem Weg zugänglich gemacht oder in Papierform gestellt werden muss (Art. 702 Abs. 3).

1.5.2

Empfehlung betreffend die Aufgaben von Direktoren und Aufsichtsratsmitgliedern sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- und Aufsichtsrats von Publikumsgesellschaften

Eine Empfehlung der Europäischen Kommission befasst sich mit der Stärkung der Aktionärsrechte sowie mit der Verbesserung des Schutzes der Gläubigerinnen und Gläubiger, der Beschäftigten und Dritter79 in börsennotierten Gesellschaften. Es geht dabei in erster Linie um die Regelung von Interessenkonflikten und um die Aufsicht über Vorstandsmitglieder und geschäftsführende Personen. Unter anderem soll eine ausgewogene Zusammensetzung der obersten Führungsgremien von Unternehmen sichergestellt werden. Der Entwurf des Bundesrates lässt den Gesellschaften mehr Gestaltungsspielraum bei der Festlegung ihrer inneren Organisation als die Empfehlung, doch ist zu berücksichtigen, dass Empfehlungen der Europäischen Kommission nie zwingender Natur sind.

78

79

Das Teilnahmerecht an der GV ist ein fundamentales Aktionärsrecht. Der Entwurf sieht deshalb im Unterschied zur Richtlinie vor, dass eine virtuelle GV nicht gegen den Willen der Aktionärinnen und Aktionäre stattfinden kann. Diese Regelung dient namentlich dem Schutz von Personen, die mit den modernen Kommunikationsmitteln (z.B. Internet) nicht vertraut sind beziehungsweise keinen Zugang dazu haben.

Empfehlung 2005/162/EG der Europäischen Kommission vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- /Aufsichtsrats (ABl. L 52 vom 25.02.2005, S. 51).

1631

1.5.3

Empfehlung betreffend angemessene Regelung der Vergütungen der Unternehmensleitung von Publikumsgesellschaften

Die Europäische Kommission hat eine weitere Empfehlung zur Offenlegung von Vergütungen der obersten Führungsorgane börsennotierter Gesellschaften herausgegeben80. Die Mitgliedstaaten werden dazu angehalten, kotierte Unternehmen zu verpflichten, eine Erklärung über ihre Vergütungspolitik abzugeben. Ferner sind die gesamten Bezüge der einzelnen Mitglieder der Unternehmensleitung in der Jahresrechnung, im Anhang oder in einem Vergütungsbericht bekannt zu geben. Leistungen in Form von Aktien oder Optionen müssen von der GV gutgeheissen werden.

Das schweizerische Recht kennt seit dem 1. Januar 2007 die zwingende Bekanntgabe der Bezüge von kotierten Unternehmen (Art. 663bbis OR). Der Entwurf sieht ferner vor, dass die Statuten vorsehen können, dass Aktien- und Optionspläne der Genehmigung durch die GV unterliegen (Art. 627 Ziff. 4). Erklärungen zur Vergütungspolitik im Geschäftsbericht sind nicht zwingend; die Corporate Governance Richtlinie der SWX hält die Unternehmen jedoch dazu an, im Geschäftsbericht entsprechende Ausführungen zu machen (Art. 5 RLCG81).

1.5.4

Kapitalrichtlinie

Für verschiedene Neuerungen des Entwurfs ist ferner die sogenannte Kapitalrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft (EG) von Bedeutung82. Die Vorlage steht mit den einschlägigen Vorschriften der Richtlinie in weiten Teilen in Einklang. Diskrepanzen bestehen nur in wenigen Bereichen:

80

81 82

­

Das Kapitalband dürfte mit den gemeinschaftsrechtlichen Rahmenvorgaben grundsätzlich vereinbar sein. Eine abweichende Regelung besteht lediglich in Bezug auf die maximale Dauer des Kapitalbands (Art. 653s Abs. 1). Diese beträgt nur 3 Jahre, während die Kapitalrichtlinie für das genehmigte Kapital eine Höchstgrenze von 5 Jahren vorsieht (Art. 25 Abs. 2).

­

Die heutigen Vorschriften zur Prüfung von Sacheinlagen durch eine zugelassene Revisorin oder einen zugelassenen Revisor (Art. 635a OR) sind weniger streng als diejenigen des Gemeinschaftsrechts (Art. 10a und 10b).

Dies gilt sowohl für den Inhalt der Prüfungsbestätigung als auch für die fehlende Zulassung der Revisorinnen und Revisoren; Unterschiede bestehen

Empfehlung 2004/913/EG der Europäischen Kommission vom 14. Dezember 2004 zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütungen von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften (ABl. L 385 vom 29.12.2004, S. 55).

Richtlinie der Schweizer Börse betr. Information zur Corporate Governance (Corporate Governance Richtlinie, RLCG) vom 17. April 2002 sowie vom 29. März 2006.

Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten [Kapitalrichtlinie] (ABl. L 26 vom 31.01.1977, S. 1, in der Fassung der Richtlinie 2006/68/EG vom 6. September 2006, ABl. L 264 vom 25.09.2006, S. 32).

1632

ferner beim Zeitpunkt der Leistung von Sacheinlagen83 (Art. 9 Abs. 2 der Kapitalrichtlinie) sowie bei Einzelfragen der Bewertung von Sacheinlagen (Art. 10a der Kapitalrichtlinie). Der Entwurf beseitigt diese Unterschiede nicht. Demgegenüber sind die schweizerischen Formvorschriften zur beabsichtigten Sachübernahme (Art 634a) teilweise strenger als diejenigen der Kapitalrichtlinie (Art. 11).

­

Die Möglichkeit der Ausrichtung von Bauzinsen an die Aktionärinnen und Aktionäre (Art. 676) läuft der Kapitalrichtlinie (Art. 15) zuwider. Der Entwurf ändert nichts an dieser Regelung.

­

Kleinere Unterschiede bestehen ­ bereits de lege lata ­ auch beim Bezugsrecht, so namentlich hinsichtlich von Personen mit Vorzugsaktien (Art. 656 Abs. 2 OR, Art. 29 Abs. 4 Kapitalschutzrichtlinie). Die neue Regelung des Entwurfs betreffend die Wahrung des Bezugsrechts bei Festübernahmen (Art. 652b Abs. 1bis) entspricht demgegenüber der Kapitalrichtlinie (Art. 29 Abs. 7).

­

Die Neuordnung der ordentlichen Kapitalherabsetzung (Art. 653j ff.) entspricht grundsätzlich den Vorgaben der Kapitalrichtlinie. Im Unterschied zum europäischen Recht verlangt jedoch weder das geltende Recht noch der Entwurf ein qualifiziertes Quorum für den Herabsetzungsbeschluss der GV (Art. 703 f., Art. 30 i.V.m. Art. 40 Kapitalrichtlinie). Zudem schreibt das OR bei der Aufhebung von Stimmrechtsaktien keine Sonderversammlung der betroffenen Aktionärinnen und Aktionäre vor (Art. 31 Kapitalrichtlinie). Im Unterschied zur Kapitalrichtlinie (Art. 10) muss weiter der Zweck der Kapitalherabsetzung weder im Herabsetzungsbeschluss noch an anderer Stelle explizit erwähnt werden (Art. 653n Abs. 1).

1.5.5

Publizitätsrichtlinie

Die sogenannte Publizitätsrichtlinie84 der EG schreibt vor, dass auf Briefen und Bestellscheinen verschiedene Informationen über die Gesellschaft aufzuführen sind (Angabe des zuständigen Handelsregisters, der Unternehmensidentifikationsnummer, des Gesellschaftssitzes etc.; Art. 4 Publizitätsrichtlinie). Was die Angabe der Rechtsform betrifft, so gewährleistet neu auch das schweizerische Recht die erforderliche Transparenz (Art. 950 i.V.m. 954a OR85). Weitere Angaben müssen dagegen nicht gemacht werden. Der Entwurf ändert daran nichts. Kleinere Unterschiede bestehen ferner de lege lata bei den Rechtswirkungen von Handelsregistereinträgen und von Handlungen vertretungsberechtigter Personen (Art. 932 f., Art. 718a OR; Art. 9 Publizitätsrichtlinie). Der Entwurf bringt in diesem Bereich keine Neuerungen.

83 84

85

Für Einzelheiten s. Roger Fankhauser, Gemeinschaftsrechtliche Publizitäts- und KapitalRichtlinie: Anpassungsbedarf des Schweizer Rechts, Diss. Bern 2001, S. 57.

Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (Publizitätsrichtlinie; ABl. L 65 vom 14.03.1968, S. 8, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/99/EG vom 20. November 2006, ABl. L 363 vom 20.12.2006, S. 137).

Die Bestimmungen treten als Teil der GmbH-Vorlage am 1. Januar 2008 in Kraft.

1633

1.5.6

4. Richtlinie über den Jahresabschluss von Gesellschaften/7. Richtlinie über den konsolidierten Abschluss

Die Europäische Gemeinschaft hat im Bereich der Buchführung und Rechnungslegung zwei Richtlinien geschaffen, die dem Zweck der Harmonisierung der nationalen Regelungen dienen: ­

die Vierte Richtlinie über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen von 197886;

­

die Siebente Richtlinie über den konsolidierten Abschluss von 198387.

Seit dem Erlass der EG-Richtlinien haben sich die Anforderungen an die finanzielle Berichterstattung von Unternehmen, die den Kapitalmarkt beanspruchen, deutlich erhöht. Die Rechnungslegung nach den EG-Richtlinien entspricht immer weniger den Informationsbedürfnissen der Finanzmärkte. Zudem haben EG-Richtlinien zur Buchführung und Rechnungslegung im Verhältnis zu den Regelwerken privater Standardsetter an Bedeutung verloren (s. vorne Ziff. 1.1.2.1).

Unter diesen Umständen scheint die Überarbeitung der Richtlinien aus den 1970erund 1980er-Jahren für die Gemeinschaft nicht dringlich zu sein. Immerhin wurde 2003 eine bescheidene Modernisierung der Richtlinien beschlossen88. Nach den Bilanzskandalen zu Beginn dieses Jahrzehnts wurden zwar erhöhte Ansprüche an die finanzielle Berichterstattung gefordert, aber bis jetzt nicht verwirklicht.

Einen deutlichen Bedeutungsverlust erlitten die EG-Richtlinien durch den Entscheid der EG im Jahr 2002, die International Financial Reporting Standards (IFRS) für die Konzernrechnungen aller börsenkotierten Gesellschaften als verbindlich zu erklären89.

In der Gemeinschaft bestehen durchaus Bestrebungen zur Weiterentwicklung des Rechnungslegungsrechts. Zu erwähnen ist insbesondere auch die Mitteilung der Europäischen Kommission über ein vereinfachtes Unternehmensumfeld in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Rechnungslegung und Abschlussprüfung vom 10. Juli 200790. Die Europäische Kommission schlägt u.a. vor, KMU vom Anwendungsbereich der beiden erwähnten Richtlinien auszunehmen. Die künftigen Entwicklungen sind zu beobachten.

86

87

88

89 90

Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222 vom 14.08.1978, S. 11, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/46/EG vom 14. Juni 2006, Abl. L 224 vom 16.08.2006, S. 1).

Siebente Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluss (ABl. L 193 vom 18.07.1983, S. 1, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/99/EG vom 20. November 2006, ABl. L 363 vom 20.12.2006, S. 137).

Richtlinie 2003/38/EG des Rates vom 15. Mai 2003 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG (ABl. L. 120 vom 15.05.2003); Richtlinie 2003/51/EG des Rates vom 18. Juli 2003 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG, 83/349/EWG, 86/635/EWG und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, von Banken und anderen Finanzinstituten sowie von Versicherungsunternehmen (ABl L 178 vom 17.07.2003).

Näheres unter http://ec.europa.eu/internal_market/accounting/ias_de.htm.

KOM (2007) 394 endg.

1634

Aufgrund des zunehmend grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Handelns ist es grundsätzlich angezeigt, bei der Neuregelung der Buchführung und der Rechnungslegung den Grundlinien des Rechts der EG Rechnung zu tragen, soweit dieses sachlich zu überzeugen vermag. Da für die Schweiz keine Verpflichtung besteht, ihre Gesetzgebung in diesem Bereich dem Gemeinschaftsrecht anzugleichen, erscheint es nach einer Abwägung der konkreten Vor- und Nachteile (verursachte Kosten, notwendige Normierungsdichte) angebracht, einige Vorgaben aus sachlichen Gründen nicht zu übernehmen. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, ob es sich um börsenkotierte oder private Unternehmen handelt.

Im Verhältnis zum Gemeinschaftsrecht ist namentlich auf die folgenden Punkte hinzuweisen: ­

Die Richtlinien der EG gelten nur für Kapitalgesellschaften (AG, Kommandit-AG und GmbH). Das Rechnungslegungsrecht des Entwurfs ist umfassender konzipiert und findet auch auf Einzelunternehmen, Personengesellschaften, Genossenschaften, Vereine und Stiftungen Anwendung. Hieraus ergeben sich allerdings keine Unvereinbarkeiten mit dem EG-Recht.

­

In der Schweiz sind für die Rechnungslegung börsenkotierter Gesellschaften die Vorschriften der Schweizer Börse SWX massgebend. Die Gesellschaften im Hauptsegment sind seit 2005 verpflichtet, entweder IFRS oder US-GAAP anzuwenden. Für das Segment der Local Cap sowie für Immobilien- und Investmentgesellschaften sind auch die Swiss GAAP FER anerkannt; diese gewährleisten ebenfalls eine Darstellung nach dem Prinzip der «fair presentation». Der Entwurf ist daher für kapitalmarktorientierte Unternehmen EG-konform. Auch nicht börsenkotierte Unternehmen, die nach einem anerkannten Standard Rechnung legen (s. Art. 962 ff.), und Unternehmen, die zur Erstellung von Konzernrechnungen verpflichtet sind (s. Art. 963 ff.), erstellen gemeinschaftsrechtskonforme Abschlüsse.

­

Das EG-Recht verlangt grundsätzlich eine Rechnungslegung, die ein den tatsächlichen Verhältnissen der Vermögens-, Finanzierungs- und Ertragslage entsprechendes Bild vermittelt. Dies gilt grundsätzlich auch für private Kapitalgesellschaften. Für sie enthält der Entwurf keine EG-kompatible Regelung im strengen Sinn. Allerdings ist auf zweierlei hinzuweisen: Zum einen bestehen auch in den Handels- oder Steuerrechten verschiedener EG-Mitgliedstaaten insbesondere für KMU Möglichkeiten zur Bildung von stillen Reserven (s. vorne Ziff. 1.3.5.5). Zum anderen ist eine strenge Umsetzung des Gemeinschaftsrechts nicht möglich, wenn die Revision des Rechnungslegungsrechts steuerneutral erfolgen soll (s. vorne Ziff. 1.3.5.6).

­

Nach dem Entwurf besteht die Jahresrechnung aus Bilanz, Erfolgsrechnung und Anhang. Dies entspricht dem europäischen Recht. Die vorgesehenen Mindestgliederungen sind allerdings für grössere Kapitalgesellschaften weniger detailliert als in den EG-Richtlinien. Mit der zunehmenden Abstützung der Rechnungslegung auf die IFRS hat die EG ihre strenge Regelung jedoch abgeschwächt, da die IFRS nur rudimentäre Gliederungsvorschriften vorgeben (s. vorne Ziff. 1.3.5.4). Der Entwurf dürfte somit ein gleichwertiges Lösungskonzept beinhalten. Was die Gliederung der Bilanz, der Erfolgsrechnung und des Anhangs von kleineren Kapitalgesellschaften betrifft, ist der Entwurf demgegenüber weitestgehend mit dem EG-Recht kompatibel.

1635

1.6

Umsetzung

Die HRegV muss den Neuregelungen im Obligationenrecht angepasst werden, so namentlich betreffend die Erhöhung und die Herabsetzung des Aktienkapitals sowie im Hinblick auf die Einführung des Kapitalbands (Art. 650 ff.).

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

2.1

Die Aktiengesellschaft

2.1.1

Ausgestaltung der Aktiengesellschaft

Art. 620

Begriff

Die heutige Legaldefinition der Aktiengesellschaft in Artikel 620 OR befriedigt nicht. Einerseits enthält sie Unwesentliches (z.B. Hinweis auf Firma); andererseits werden wichtige Strukturelemente nicht erwähnt. Der Entwurf bringt eine neue Legaldefinition, die sich an der ebenfalls neuen, bereits vom Gesetzgeber beschlossenen Umschreibung der GmbH (Art. 772 OR91) orientiert. Die gesetzlichen Begriffe der Rechtsformen müssen aus Gründen der Rechtsklarheit und der Kohärenz des Gesellschaftsrechts parallel formuliert werden. Nach der Neuregelung für die GmbH ist daher der Inhalt von Artikel 620 weitgehend vorgegeben. Absatz 1 umschreibt die Grundstruktur der Gesellschaft, während Absatz 2 die Rechtsstellung der Gesellschafterinnen und Gesellschafter, d.h. der Aktionärinnen und Aktionäre umreisst (vgl. die beiden Absätze des neuen Art. 772 OR92). Materielle Änderungen ergeben sich aus der neuen Legaldefinition nicht.

Die Grundstruktur der Aktiengesellschaft entspricht derjenigen einer sogenannten «kapitalbezogenen» Kapitalgesellschaft93 mit einem in den Statuten bestimmten Aktienkapital. Verfügt die Gesellschaft über ein bedingtes Kapital oder ein Kapitalband, so lässt sich aus den Statuten zwar die aktuelle Höhe des ausgegebenen Kapitals nicht zwingend ersehen, aber die maximale Höhe des Aktienkapitals ist statutarisch festgelegt.

Für die Schulden des Unternehmens haftet ausschliesslich das Gesellschaftsvermögen. Bei den Aktionärinnen und Aktionären kann es sich um natürliche oder juristische Personen handeln. Auch Handelsgesellschaften (Kollektiv- und Kommanditgesellschaften) dürfen sich an einer Aktiengesellschaft beteiligen. Jede Aktionärin und jeder Aktionär muss mindestens über eine Aktie verfügen.

Die Gesellschafterinnen und Gesellschafter sind lediglich zur Liberierung der Anteile verpflichtet. Die Gesellschaft darf ihnen keine Pflichten auferlegen, die im Gesetz nicht vorgesehen sind (s. dazu Art. 680 Abs. 1).

Zwar sieht Artikel 627 Ziffer 8 die Möglichkeit vor, in den Statuten eine Konventionalstrafe für nicht rechtzeitig geleistete Einlagen vorzusehen. Dabei handelt es sich 91 92 93

Fassung vom 16. Dezember 2005, (BBl 2005 7289 ff.), in Kraft am 1. Januar 2008.

Fassung vom 16. Dezember 2005, (BBl 2005 7289 ff.), in Kraft am 1. Januar 2008.

Zum Begriff der Kapitalgesellschaft s. insbes. Gottfried Weiss, Zum schweizerischen Aktienrecht, Berner Kommentar, Separatdruck, Bern 1968, N 59 ff. (mit weiteren Hinweisen); zur kapitalbezogenen Organisation s. Arthur Meier-Hayoz/Peter Forstmoser, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 10. Auflage, Bern 2007, § 3 N 8 ff., § 16 N 29.

1636

aber nicht um eine eigenständige Pflicht der Aktionärinnen und Aktionäre; vielmehr ist die Leistung einer Konventionalstrafe an die originäre Pflicht zur Liberierung des Aktienkapitals geknüpft. Auf einen entsprechenden Vorbehalt in der Legaldefinition kann deshalb verzichtet werden.

Ein ausdrücklicher Hinweis, dass die Aktiengesellschaft sowohl wirtschaftliche wie nichtwirtschaftliche Zwecke verfolgen kann, erübrigt sich (wie bei anderen Gesellschaftsformen). Der bisherige Absatz 3 ist daher zu streichen. Eine materielle Änderung ergibt sich daraus nicht.

Art. 622 Abs. 4 und 5

Aktien; Arten

Artikel 622 Absatz 4 sieht vor, dass der Nennwert der Aktien zukünftig unter einem Rappen liegen kann. Er muss lediglich höher als null sein. Damit können die Gesellschaften sogenannte schwere Aktien, d.h. Beteiligungspapiere, deren Handelbarkeit durch einen hohen Börsenpreis erschwert ist, beliebig in Anteile mit kleinerem Nennwert aufteilen. Die Unternehmen erhalten dadurch faktisch Flexibilität für die Einteilung ihres Aktienkapitals wie mit unechten nennwertlosen Aktien, ohne dass aber ein grundsätzlicher Systemwechsel im Aktienrecht erforderlich ist (s. vorne Ziff. 1.3.3.2).

Artikel 622 Absatz 5 wird den Bedürfnissen der Praxis angepasst. Mit der neuen Formulierung wird klargestellt, dass Gesellschaften nicht verpflichtet sind, Aktientitel auszugeben. Die Unterzeichnung der Aktientitel durch ein Mitglied des Verwaltungsrats kann ­ wie bis anhin ­ eigenhändig oder durch Faksimileunterschrift erfolgen (Art. 14 OR).

Art. 623 Abs. 2 zweiter Satz

Zerlegung und Zusammenlegung

Das Zusammenlegen von Aktien bedarf der Zustimmung der betroffenen Aktionärinnen und Aktionäre. Bei kotierten Gesellschaften mit breit gestreutem Aktionariat führt dies häufig zu unüberwindbaren Problemen, so etwa bei Sanierungen.

Artikel 623 Absatz 2 sieht deshalb neu vor, dass für das Zusammenlegen börsenkotierter Aktien ein qualifizierter Mehrheitsbeschluss der GV genügt (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 2).

Im Unterschied dazu bedarf es bei privaten Unternehmen nach wie vor der Zustimmung aller betroffenen Personen. Würde auch hier ein qualifizierter Mehrheitsbeschluss genügen, so könnte die Zusammenlegung von Aktien gezielt dazu genutzt werden, Minderheitsaktionärinnen und -aktionäre faktisch zum Ausscheiden aus der Gesellschaft zu zwingen. Würde der neue Nennwert der Aktien hoch angesetzt, so müssen sich die Betroffenen entscheiden, ob sie in erheblichem Mass in die Gesellschaft investieren oder ihre Beteiligung verkaufen wollen. Die Veräusserung der Aktien zu ihrem wirklichen Wert ist aber aufgrund des fehlenden Marktes meist schwierig.

Art. 627

Weitere Bestimmungen

Artikel 627 zählt Möglichkeiten zur Ausgestaltung der Gesellschaft auf, die zu ihrer Verbindlichkeit der Aufnahme in den Statuten bedürfen. Die heutige Regelung ist jedoch lückenhaft und wird vervollständigt.

1637

In Ziffer 4 wird ausdrücklich festgehalten, dass die GV sich in den Statuten Zuständigkeiten betreffend die Festlegung der Bezüge der Mitglieder des Verwaltungsrats (sowie ihnen nahestehender Personen) vorbehalten kann. Das gleiche gilt für die Ausrichtung von Aktien und Optionen an Mitarbeitende. Der Entwurf ist bewusst offen formuliert und ermöglicht damit verschiedene Formen von Zuständigkeiten der Generalversammlung entsprechend den konkreten Bedürfnissen.

Weitere Ergänzungen betreffen die Liberierung des Aktienkapitals durch Verrechnung (Ziff. 6; s. dazu Art. 634b), die Ausrichtung einer Zwischendividende (Ziff. 11; s. dazu Art. 675a), die Genehmigung von Entscheiden des Verwaltungsrats durch die GV (Ziff. 14; s. dazu Art. 716b), die Beschränkung der Vertretung der Aktionärinnen und Aktionäre in privaten Gesellschaften (Ziff. 15; s. dazu Art. 689d Abs. 1), die Neuregelung der GV (Ziff. 16 und 17; s. dazu Art. 701 ff.) und die Erweiterung der Pflicht des Verwaltungsrates, die GV oder das Gericht zu benachrichtigen (Ziff. 22; s. dazu Art. 725 ff.). In Artikel 627 wird jedoch nur festgehalten, dass entsprechende Regelungen gegebenenfalls in den Statuten verankert werden müssen; die materielle Ordnung der betreffenden Rechtsinstitute erfolgt in anderen Bestimmungen des Entwurfs (s. dazu die hier in den Klammern angefügten Verweisungen). Zudem wird Artikel 627 Ziffer 25 gestützt auf das neue Bucheffektengesetz94 in das OR eingeführt und hier dementsprechend übernommen.

2.1.2 Art. 628

Liberierung und Sachübernahme Aufgehoben

Diese Bestimmung wird durch die Neuregelung der Liberierung und der Sachübernahme in den Artikeln 632 ff. ersetzt; sie ist demnach aufzuheben.

Art. 632 Abs. 1

Einlagen und Sachübernahmen; Mindesteinlage

Gemäss Artikel 632 Absatz 1 wird die Mindestliberierung jeder Aktie von 20 auf 25 Prozent erhöht und damit in Übereinstimmung mit dem EG-Recht gebracht95.

Diese Neuerung ist für die Praxis nur von sehr beschränkter Bedeutung, da die überwiegende Mehrheit der Aktien zu 100 Prozent liberiert werden. Selbst bei Teilliberierung beträgt der Liberierungsgrad meist 50 Prozent. Die Erhöhung der Mindestliberierung betrifft zudem nur Aktien, die nach dem Inkrafttreten des revidierten Rechts neu ausgegeben werden (s. Art. 2 Abs. 3 E Ueb.Best). Sie ist in der Vernehmlassung auch praktisch kaum auf Widerstand gestossen. Die Mindesteinlage auf das Aktienkapital beträgt unverändert 50 000 Franken96.

Art. 633 Abs. 3

Leistung der Einlagen; Einzahlungen

Artikel 633 Absatz 3 stellt klar, dass es sich bei der Liberierung mittels einer frei konvertiblen Fremdwährung um eine Barliberierung handelt und nicht um eine Sacheinlage. Dies entspricht der Praxis des Eidgenössischen Amts für das Handels94 95 96

SR ...; BBl 2006 9315 Artikel 9 der Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 (Zweite EG-Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts); s. dazu vorne Ziff. 1.5.1.4.

Hans Caspar von der Crone, Bericht zu einer Teilrevision des Aktienrechts: Nennwertlose Aktie, REPRAX 1/02 S. 1 ff., S. 12.

1638

register (EHRA) seit 199997. Die eingebrachte Summe in Fremdwährung muss im Zeitpunkt der Eintragung im Handelsregister umgerechnet zumindest dem zu liberierenden Kapital entsprechen. Es ist deshalb im Hinblick auf Kursschwankungen angebracht, bei der Einzahlung der Fremdwährung bei einem dem Bankengesetz unterstellen Institut (Art. 633 Abs. 1 OR) eine Sicherheitsmarge vorzusehen.

Art. 634

Sacheinlagen

Absatz 1 kodifiziert die geltende Praxis: Ein Vermögenswert kann in Form einer Sacheinlage in eine Gesellschaft eingebracht werden, wenn er kumulativ aktivierbar, frei übertragbar, frei verfügbar und verwertbar ist98.

In der Vernehmlassung wurde geltend gemacht, dass die fehlende Verwertbarkeit eines Vermögenswerts keinen Einfluss auf dessen Sacheinlagefähigkeit haben soll99.

Die Sacheinlagevorschriften sollen verhindern, dass das Aktienkapital mit Gegenständen liberiert wird, die für die Gläubigerinnen und Gläubiger kein Haftungssubstrat darstellen (Scheinliberierung). Die ständige und langjährige Praxis der Handelsregisterbehörden setzt daher für die Sacheinlagefähigkeit voraus, dass ein Vermögenswert verwertbar ist. Der in der Vernehmlassung eingebrachte Hinweis auf die heute übliche Bewertung der Sacheinlage zum Fortführungswert und nicht zum Liquidationswert ändert daran nichts.

Absatz 2 entspricht inhaltlich der bisherigen Ziffer 1 von Artikel 634 OR.

In Anlehnung an Artikel 70 Absatz 2 des Fusionsgesetzes (FusG)100 sieht Absatz 3 vor, dass neu eine einzige öffentliche Urkunde genügt, wenn mehrere Grundstücke Gegenstand derselben Sacheinlage sind, dies selbst wenn sie in verschiedenen Kantonen liegen. Zuständig für die Beurkundung ist die Urkundsperson am Sitz der Gesellschaft. Aus sachlichen Gründen erscheint eine identische Regelung wie bei der Vermögensübertragung im Fusionsgesetz angezeigt101. Artikel 70 Absatz 2 FusG wird in sprachlicher Hinsicht an Artikel 634 Absatz 3 angeglichen.

Absatz 4 verlangt Angaben zur Sacheinlage in den Statuten. Der Vorentwurf wollte hierauf verzichten, doch wurde im Vernehmlassungsverfahren eingewendet, die Nennung in den Statuten erleichtere der Handelsregisterführerin beziehungsweise dem Handelsregisterführer die Prüfung der Rechtmässigkeit einer Sacheinlage oder einer Sachübernahme. Der Entwurf hält daher an Angaben in den Statuten fest.

Entsprechende Statutenbestimmungen können nach zehn Jahren aufgehoben werden.

Nach Absatz 5 sind der Gegenstand der Sacheinlage und die dafür ausgegebenen Aktien wie bisher ins Handelsregister einzutragen.

97 98

Dazu Paul Tahlmann, Bares ist Wahres, REPRAX 4/2003, 19 ff.

Mitteilung des Eidg. Amts für das Handelsregister betr. Sacheinlage und Sachübernahme vom 15. August 2001, REPRAX 2/01, S. 59 ff., 60 f.

99 Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 11.

100 Bundesgesetz vom 3. Oktober 2003 über Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung (Fusionsgesetz, FusG), SR 221.301.

101 Zur Regelung im Fusionsgesetz s. AB 2003 N 242 f.

1639

Art. 634a

Sachübernahmen

Absatz 1 entspricht grundsätzlich Artikel 628 Absatz 2 OR, wie er im Rahmen der GmbH-Revision ins Gesetz aufgenommen wurde102). Übernimmt die Gesellschaft von Aktionärinnen und Aktionären oder diesen nahestehenden Personen Vermögenswerte oder beabsichtigt sie den Erwerb solcher Gegenstände, so muss sie ­ wie bisher ­ die Statuten entsprechend anpassen und die Sachübernahme beim Handelsregisteramt zur Eintragung anmelden. Der Vorentwurf hatte demgegenüber auf eine Erwähnung der Sachübernahmen in den Statuten verzichtet. Aufgrund der negativen Vernehmlassungsergebnisse wird aber an entsprechenden Angaben in den Stauten festgehalten (s. dazu die Ausführungen zu Art. 634 Abs. 4).

Die Bestimmungen zur Sachübernahme sollen primär verhindern, dass die Vorschriften zur Sacheinlage umgangen werden. Die Offenlegung von Sachübernahmen dient daneben aber generell dem Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger namentlich in der ersten Phase der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens nach seiner Gründung. Deshalb müssen die Sachübernahmevorschriften ­ entgegen einzelnen Stellungnahmen in der Vernehmlassung ­ bei jeder Gründung oder Kapitalerhöhung zur Anwendung kommen, gleichgültig in welcher Form die Liberierung des Aktienkapitals erfolgt. Ferner ist für die Frage, ob eine Offenlegung erfolgen muss ­ entgegen einem Entscheid des Bundesgerichts103 ­, ohne Belang, welcher Zweck eine Gesellschaft mit einem bestimmten Rechtsgeschäft verfolgt. Nach BGE 83 II 289 versteht es sich von selbst, dass nicht jede geringfügige Anschaffung von Möbeln, Büromaterial und dergleichen für die künftige Gesellschaft eine Sachübernahme darstellt. Gemeint sind nur Geschäfte von grösserer wirtschaftlicher Bedeutung.

Keine Sachübernahmen liegen insbesondere dann vor, wenn lediglich Verträge für den gewöhnlichen Geschäftsgang abgeschlossen werden.

In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Unternehmen den Erwerb von Vermögensgegenständen als Sachübernahme anmelden, die nicht Gegenstand einer Sacheinlage sein können (z.B. sogenannte Domain-Names). Gemäss der bisherigen Lehre und Praxis, die in Artikel 634a Absatz 2 kodifiziert wird, ist aber nur sachübernahmefähig, was auch sacheinlagefähig ist104. Rechtsgeschäfte, deren Gegenstand keine Sacheinlage darstellen kann, sind daher nicht als Sachübernahme im Handelsregister einzutragen. Um
den Wunsch von Gesellschaften nach Bekanntgabe des Erwerbs solcher Gegenstände aus Transparenzgründen dennoch zu entsprechen, tragen einige Handelsregisterämter das Rechtsgeschäft diesfalls unter der Rubrik «Bemerkungen» ein. Absatz 4 hält neu fest, dass es der Gesellschaft freisteht, weitere Rechtsgeschäfte mittels eines Handelsregistereintrags bekannt zu geben; eine entsprechende Pflicht besteht aber nicht. Freiwillig im Handelsregister offengelegte Rechtsgeschäfte bedürfen keiner Erwähnung in den Statuten.

Das heutige Gesetz regelt die Rechtsfolgen einer Verletzung der Offenlegungsvorschriften für Sachübernahmen nicht. Gemäss Bundesgericht handelt es sich bei den einschlägigen Bestimmungen um Formvorschriften. Eine Verletzung dieser Regeln führt deshalb zur Nichtigkeit der Sachübernahme ex tunc. Die strenge Praxis des 102 103 104

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289 ff., 7322), in Kraft am 1. Januar 2008.

S. BGE 128 III 178 ff.

Nach eingehender Prüfung wurde im Vorentwurf darauf verzichtet, für Sacheinlage und Sachübernahmen unterschiedliche Kriterien zu schaffen. Eine Ausweitung des Begriffs der Sachübernahme würde zu schwierigen Abgrenzungsfragen zwischen sachübernahmefähigen und nicht sachübernahmefähigen Vermögenswerten führen.

1640

Bundesgerichts ist in der Lehre teilweise auf Kritik gestossen. Auch in der Vernehmlassung wurde vereinzelt gefordert, im Gesetz eine andere Rechtsfolge vorzusehen. Die Verletzung der Sachübernahmenvorschriften bedarf jedoch einer angemessenen Sanktion. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass in der Praxis verbreitet darauf verzichtet würde, Sachübernahmen offenzulegen; die Sacheinlagebestimmungen könnten so einfach umgangen werden. Die Vorschriften zur Gründerhaftung und zur Haftung der Gesellschaftsorgane (Art. 753 f. OR) kämen aber in solchen Fällen häufig nicht zur Anwendung, da die Voraussetzungen für eine Klage auf Schadenersatz schwer nachzuweisen wären. Die Gläubigerinnen und Gläubiger sowie die potenziellen Investorinnen und Investoren haben ein legitimes Interesse an der Offenlegung von Sachübernahmen. Die Durchsetzung der zwingenden Vorschriften des Gesetzes bedingt auch eine Sanktionierung. Es wird aber der bundesgerichtlichen Praxis überlassen, eine den konkreten Umständen des Einzelfalls entsprechende Lösung zu finden. Die Problematik der Rechtsfolgen der Missachtung der Offenlegungspflicht wird dadurch massgeblich entschärft, dass der Anwendungsbereich der Sachübernahmevorschriften im Rahmen der GmbH-Revision auf Geschäfte mit Aktionärinnen und Aktionären und diesen nahestehenden Personen105 beschränkt wurde. In diesem Rahmen müssen die gesetzlichen Vorschriften aber durchgesetzt werden, wenn Schwindelgründungen verhindert werden sollen.

Art. 634b (neu)

Leistung der Einlagen durch Verrechnung

Im geltenden Recht ist die Liberierung durch Verrechnung äusserst lückenhaft geregelt. Artikel 634b kodifiziert die geltende Praxis, schafft für bestimmte, in der Lehre umstrittene Fragen Klarheit und schliesst missbräuchliche Verrechnungen aus.

Absatz 1 hält fest, dass eine Verrechnung nur bei Forderungen für Leistungen erfolgen darf, die Gegenstand einer Bar- oder Sacheinlage sein könnten. Die Verrechnung darf nicht dazu verwendet werden, die gesetzlichen Schranken der Sacheinlage zu umgehen. Erwirbt die Gesellschaft etwas, das nicht als Sacheinlage eingelegt werden dürfte, so darf eine aus diesem Rechtsgeschäft entstehende Forderung gegen die Gesellschaft nicht mit einer Liberierungsforderung verrechnet werden.

Ausgeschlossen ist weiter eine Verrechnung mit Forderungen für zukünftige Leistungen. Zulässig ist demgegenüber die Verrechnung mit Forderungen, für die ein Rangrücktritt besteht.

Absatz 2 behandelt die in der Lehre und Praxis umstrittene Frage nach der Zulässigkeit der Verrechnungsliberierung bei der Kapitalerhöhung zum Zweck der Sanierung. Die Forderung, die mit der Liberierungsforderung der Gesellschaft zur Verrechnung gebracht werden soll, ist im Sanierungsfall durch die Aktiven des Unternehmens meist nicht mehr voll gedeckt; sie ist nicht mehr im vollen Umfang werthaltig. Trotzdem führt die Verrechnung zur Verminderung der finanziellen Verpflichtungen der Gesellschaft. Zwar fliessen dieser keine neuen Mittel zu, doch vermindert sich das Fremdkapital der Gesellschaft. Die Verrechnung verbessert daher die Lage der übrigen Gläubigerinnen und Gläubiger. Die verrechnende Person 105

Der Begriff der «nahestehenden Personen» wird im Obligationenrecht bereits an verschiedenen Orten verwendet. Er ist einheitlich auszulegen: Erfasst werden Partnerschaften sowie nahe verwandtschaftliche oder enge freundschaftliche Beziehungen. Massgebend für die Beurteilung einer Beziehung ist die Einschätzung der Umstände durch einen Dritten aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung; eine subjektiv empfundene Unabhängigkeit bleibt dabei ohne Belang.

1641

wird allerdings insofern gegenüber den andern Aktionärinnen und Aktionären bevorteilt, als sie den Ausgabebetrag der Aktien mit einer Forderung verrechnet, die im Zeitpunkt der Liberierung nur noch beschränkt werthaltig ist. Da die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital die finanzielle Lage der Gesellschaft verbessern kann, widerspricht die Verrechnung dennoch nicht zwingend den vom Gesetzgeber zu schützenden Rechten und Interessen der übrigen Aktionärinnen und Aktionäre. Es erscheint deshalb aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll, die Verrechnungsliberierung auch im Fall einer Sanierung zuzulassen. Der Entwurf hält deshalb ­ trotz kontroverser Reaktion in der Vernehmlassung106 ­ am entsprechenden Regelungsvorschlag fest.

Bei der Verrechnung im Falle der Sanierung bleiben stets die Bestimmungen über den Kapitalverlust und die Überschuldung vorbehalten; es ergibt sich namentlich keine Einschränkung der Meldepflichten des Verwaltungsrates nach Artikel 725 ff.

Für die Verrechnung kommen die allgemeinen Regeln über die Verrechnung (Art. 7 des Zivilgesetzbuchs [ZGB]107 i.V.m. Art. 120 ff. OR) zur Anwendung. Eine Ausnahme besteht aber für bestrittene Forderungen: Während im Allgemeinen auch bestrittene Forderungen zur Verrechnung gebracht werden können, ist dies bei der Verrechnung mit Liberierungsforderungen ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus den Artikeln 635 Ziffer 2 und 652e Ziffer 3 OR, die vorschreiben, dass die Gründerinnen und Gründer beziehungsweise der Verwaltungsrat in einem Bericht über Bestand und Verrechenbarkeit der Schuld Rechenschaft abzulegen haben.

Nach dem geltenden Recht musste die Liberierung durch Verrechnung ­ im Unterschied zur Liberierung durch Sacheinlage ­ weder in den Statuten noch im Handelsregister offengelegt werden. Diese Inkongruenz ist jedoch sachlich verfehlt. Zwar können Dritte schon bisher beim Handelsregister in den Gründer- respektive Kapitalerhöhungsbericht Einsicht nehmen; sie erhalten dadurch auch Kenntnis von einer Verrechnungsliberierung. Dennoch ist eine von der Sacheinlage abweichende Regelung der Offenlegung nicht zu begründen. Die Angabe der Verrechnung in den Statuten und im Handelsregister entspricht daher einem alten Postulat der Lehre.

Die Absätze 3 und 4 verbessern dadurch die Transparenz zugunsten der Gläubigerinnen, Gläubiger, Investorinnen und
Investoren. Für die Gesellschaft bedeutet die Aufnahme in die Statuten und ins Handelsregister keine wesentliche Mehrbelastung, da sie die entsprechenden Belege bei der Gründung beziehungsweise der Kapitalerhöhung bereits heute beim Handelsregisteramt einzureichen hat. Werden die neuen Absätze 3 und 4 nicht beachtet, so ist die Liberierung nicht in rechtsgenügender Weise erfolgt.

Wie bei der Kapitalerhöhung aus Eigenkapital oder gegen Sacheinlage bedarf es bei der Liberierung durch Verrechnung neu der qualifizierten Beschlussfassung gemäss Artikel 704 Absatz 1 Ziffer 3.

Art. 634c (neu), 634d (neu)

Nachträgliche Leistung; Herabsetzung des Betrags der geleisteten Einlagen

Artikel 634c entspricht dem heutigen Artikel 634a OR.

106

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 11.

107 Zivilgesetzbuch (ZGB), SR 210.

1642

Die Herabsetzung des Grads der Liberierung mittels Beschluss der GV wird ­ trotz fehlender gesetzlicher Regelung ­ bereits heute in der Praxis zugelassen. Bleibt die Höhe des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals unverändert, wird aber der Umfang der Liberierung herabgesetzt (Deliberierung), so findet ein Mittelabfluss aus dem Unternehmen statt. Im Hinblick auf den Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger ist es deshalb erforderlich, dass die gleichen Verfahrensvorschriften wie bei einer Herabsetzung des nominellen Aktienkapitals beachtet werden (Art. 653j ff.). Absatz 1 stellt klar, dass eine Deliberierung unter dieser Voraussetzung zulässig ist. Nach Absatz 2 sind die Vorschriften über die Mindesteinlagen stets zu beachten (s. Art. 632): Die Aktien müssen auch nach der Herabsetzung mindestens zu 25 Prozent liberiert sein, und die Höhe der insgesamt geleisteten Einlagen darf nicht unter 50 000 Franken sinken.

2.1.3 Art. 636

Besondere Vorteile Besondere Vorteile

Die bisherigen Artikel 628 Absatz 1 und Artikel 641 Ziffer 6 OR über die besonderen Vorteile finden sich im Entwurf ­ neu formuliert ­ in Artikel 636 wieder. Die begünstigten Personen sind in den Statuten namentlich aufzuführen. Gemäss Anregungen in der Vernehmlassung ist neben der Art und dem Wert der besonderen Vorteile auch deren Inhalt in den Statuten anzugeben. Auf die Eintragung des Namens der begünstigten Personen im Handelsregister kann dagegen verzichtet werden.

2.1.4

Ordentliche Kapitalerhöhung

Das bisherige Verfahren der ordentlichen Kapitalerhöhung wird grundsätzlich beibehalten. Kleinere Modifikationen sind bedingt durch die Änderungen in anderen Bereichen. Zudem werden bestehende Schwachstellen der Regelung beseitigt.

Zum Zeitpunkt des GV-Beschlusses über die Kapitalerhöhung ist manchmal noch unklar, wie viele Aktien gezeichnet werden. Die GV legt diesfalls ­ neben dem Höchstbetrag ­ einen minimalen Nennbetrag fest, in dessen Umfang Aktien gezeichnet werden müssen, damit die Kapitalerhöhung durchgeführt werden kann.

Diese ordentliche Kapitalerhöhung mit Minimal- und Maximalbetrag ist gesetzlich nicht geregelt. Der Entwurf verzichtet auf die Einführung entsprechender Bestimmungen, da aufgrund der Erfahrungen in der Praxis kein Handlungsbedarf besteht.

Art. 650

Ordentliche Kapitalerhöhung; Beschluss der GV

Der Entwurf vervollständigt die Liste betreffend den Inhalt des Kapitalerhöhungsbeschlusses der GV, so namentlich betreffend die Liberierung durch Verrechnung (Abs. 2 Ziff. 6).

Das heutige Recht räumt dem Verwaltungsrat zur Durchführung der ordentlichen Kapitalerhöhung eine Frist von 3 Monaten ein (Art. 650 Abs. 1 OR). In der Praxis erweist sich diese Frist häufig als zu kurz. Absatz 3 sieht deshalb neu eine Frist von 6 Monaten vor. Die GV kann diese Frist im Rahmen ihres Erhöhungsbeschlusses 1643

verkürzen, nicht aber verlängern. Es wird weiter klargestellt, dass die Frist mit der Beschlussfassung durch die GV zu laufen beginnt. Entgegen dem bisherigen Absatz 3 reicht es zur Einhaltung der Frist aus, dass der Verwaltungsrat die Kapitalerhöhung in rechtsgenügender Form beim zuständigen Handelsregister anmeldet.

Eine fristgerechte Anmeldung ist rechtsgenügend, wenn sie den Vorschriften des Gesetzes und der Handelsregisterverordnung entspricht und die erforderlichen Belege angefügt sind (Art. 931a Abs. 3; s. auch Art. 15, 20 ff. der neuen HRegV108).

Für die Wahrung der Frist ist demgegenüber nicht massgebend, wann die Kapitalerhöhung im Handelsregister eingetragen wird, da die Eintragung durch das Handelsregisteramt bestimmt wird. Wird die Frist zur Anmeldung beim Handelsregister nicht eingehalten, so fällt der Erhöhungsbeschluss ex tunc dahin.

Art. 651 und 651a

Aufgehoben

Mit der Einführung des Kapitalbands kann das Institut der genehmigten Kapitalerhöhung aufgehoben werden (s. vorne Ziff. 1.3.3.1).

Art. 652 Randtitel und Abs. 3

Aktienzeichnung

Die in Artikel 652 Absatz 3 OR vorgesehene Frist für die Verbindlichkeit des Zeichnungsscheins wird an Artikel 650 Absatz 3 angeglichen und von 3 Monaten auf 6 Monate verlängert. Massgeblich für die Einhaltung der Frist ist ebenfalls der Zeitpunkt der rechtsgenügenden Anmeldung beim Handelsregister (vgl. dazu die Ausführungen zu Art. 931a).

Art. 652a Randtitel, Abs. 1 Ziff. 1­3 und 5 sowie Abs. 4 (neu)

Emissionsprospekt

Absatz 1 Ziffer 5 stellt klar, unter welchen Voraussetzungen für den Emissionsprospekt eine Zwischenbilanz zu erstellen ist.

Nach Absatz 4 darf auf einen Emissionsprospekt verzichtet werden, wenn die Aktien ausschliesslich qualifizierten Anlegerinnen und Anlegern im Sinne des Kollektivanlagengesetzes109 angeboten werden.

Art. 652b Abs. 1bis sowie Abs. 4­5 (neu)

Bezugsrecht

Absatz 1bis regelt das Bezugsrecht im Rahmen einer sogenannten Festübernahme.

Bei der Festübernahme verpflichtet sich der Festübernehmer ­ in aller Regel eine Bank ­ vertraglich gegenüber der Gesellschaft, sämtliche Aktien, die im Rahmen einer Kapitalerhöhung ausgegeben werden, zu zeichnen und anschliessend den Aktionärinnen und Aktionären oder Dritten zum Kauf anzubieten. Das Bezugsrecht bei einer Festübernahme bleibt nach dem Entwurf gewahrt, wenn die Aktien den Aktionärinnen und Aktionären gemäss ihrer bisherigen Beteiligung angeboten werden und die Festübernahme durch ein dem Bankengesetz unterstelltes Institut oder einen beaufsichtigten Effektenhändler (s. Art. 10 BEGH; Art. 17 BEHV110) 108 109

Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.)

Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die kollektiven Kapitalanlagen (Kollektivanlagengesetz, KAG), SR 951.31.

110 Verordnung vom 2. Dezember 1996 über die Börsen und den Effektenhandel (Börsenverordnung, BEHV), SR. 954.11.

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erfolgt. Die Voraussetzung dabei ist, dass die Bank oder der Effektenhändler die für die jeweilige Tätigkeit erforderliche Bewilligung vor der Durchführung der Festübernahme erhalten hat. Auf den Einbezug ausländischer Banken und Effektenhändler wurde verzichtet, da nicht gewährleistet ist, dass auch in deren Sitzstaat eine vergleichbare staatliche Aufsicht besteht. Die Vorschrift erfasst ferner den Fall nicht, dass die Gesellschaft selbst die Aktien zeichnet, da andernfalls die Schutzbestimmungen zum Bezugsrecht umgangen werden könnten.

Handelt es sich beim Festübernehmer nicht um eine Bank oder einen Effektenhändler, so sind die Regeln über den Entzug des Bezugsrechts zu beachten (so namentlich das Mehrheitserfordernis von Art. 704 Abs. 1 Ziff. 3). Unerheblich ist dagegen, ob der Festübernehmer selber die Platzierung der Aktien übernimmt oder durch eine andere Bank oder einen Effektenhändler durchführen lässt.

Der Vertrag zwischen der Gesellschaft und dem Festübernehmer betreffend das Angebot der Aktien an die Aktionärinnen und Aktionäre gemäss ihrer bisherigen Beteiligung stellt einen echten Vertrag zugunsten Dritter dar (s. Art. 112 OR). Hält sich der Festübernehmer nicht an seine entsprechende Verpflichtung, so steht den übergangenen Aktionärinnen und Aktionären der Klageweg gegen die Bank oder den Effektenhändler offen. Die Beachtung der Bezugsrechte wird zudem durch aufsichtsrechtliche Instrumente gesichert. Dem Ergebnis der Vernehmlassung111 folgend kann daher darauf verzichtet werden, eine vertragswidrige Abgabe von Aktien (wie im Vorentwurf) als nichtig zu bezeichnen; dies hätte Probleme betreffend die Verkehrssicherheit der Aktien zur Folge.

Verzichtet eine Aktionärin oder ein Aktionär auf die Ausübung des Bezugsrechts, so kann der Festübernehmer die entsprechenden Aktien rechtmässig an Drittpersonen veräussern.

Absatz 4 konkretisiert das Rechtsmissbrauchsverbots und dient insbesondere dem Schutz von Personen mit Minderheitsbeteiligungen. Eine Kapitalerhöhung darf nicht dazu benutzt werden, die Stellung solcher Aktionärinnen und Aktionäre zu schwächen. So ist es beispielsweise unzulässig, eine wirtschaftlich nicht erforderliche Kapitalerhöhung ohne Vorliegen sachlicher Gründe zu einem Zeitpunkt durchzuführen, in dem eine Aktionärin oder ein Aktionär aufgrund eines finanziellen
Engpasses nicht in der Lage ist, das Bezugsrecht auszuüben. Eine unsachliche Erschwerung der Ausübung des Bezugsrechts liegt auch dann vor, wenn die Modalitäten der Bezugsrechtsausübung so ausgestaltet werden, dass Personen mit Minderheitsbeteiligungen davon abgehalten werden, die Aktien zu zeichnen, beispielsweise durch die Festsetzung eines aussergewöhnlich hohen Nennwerts oder Ausgabebetrags. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Modalitäten der Bezugsrechtsausübung rechtsmissbräuchlich festgelegt wurden, kommt dem relativen Gleichbehandlungsgebot der Aktionärinnen und Aktionäre eine zentrale Rolle zu (Art. 717 Abs. 2 OR).

Der Ausgabepreis für den Bezug neuer Aktien darf nach Absatz 5 nicht wesentlich tiefer liegen als deren wirklicher Wert112, es sei denn, das Bezugsrecht sei handelbar oder sämtliche Aktionärinnen und Aktionäre hätten dem Ausgabebetrag zugestimmt.

Mit dieser Regelung wird zum Schutz des Eigentums der Aktionärinnen und Aktio111

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 11 f.

112 Beim «wirklichen Wert» handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der bereits im OR und Fusionsgesetz verwendet wird (s. z.B. Art. 670 Abs. 1 OR, Art. 7 Abs. 2 FusG).

1645

näre ausgeschlossen, dass durch eine Kapitalerhöhung der Substanzwert ihrer Aktien verwässert wird, wenn sie sich nicht an der Erhöhung beteiligen können oder wollen. Die Handelbarkeit der Bezugsrechte im Sinne dieser Bestimmung setzt einen genügenden Markt für eine dem wirklichen Wert entsprechende Preisbildung voraus. Es genügt somit nicht, dass einzelne Personen den Erwerb der Bezugsrechte zu einem zu tiefen Preis anbieten; denkbar ist aber beispielsweise die Durchführung einer organisierten Versteigerung. Mit der Möglichkeit der Zustimmung aller Aktionärinnen und Aktionäre zu einem tiefen Ausgabepreis wird insbesondere den Bedürfnissen von KMU Rechnung getragen.

Legt die GV die Modalitäten der Bezugsrechtsausübung oder den Ausgabepreis in missbräuchlicher Weise fest, so ist der betreffende Beschluss anfechtbar (Art. 706 OR). Der Entwurf verzichtet darauf, Verwaltungsratsbeschlüsse über das Bezugsrecht oder den Ausgabepreis, die im Rahmen eines Kapitalbands gefällt werden, der Anfechtung durch die Aktionärinnen und die Aktionäre zu unterstellen. Ein derartiges Anfechtungsrecht würde zu einem Systemwechsel im Aktienrecht führen.

Vorbehalten bleiben aber Schadenersatzansprüche.

Art. 652d Randtitel, Abs. 2

Erhöhung aus Eigenkapital

In Artikel 652d Absatz 2 wird der Begriff des Zwischenabschlusses durch denjenigen der Zwischenbilanz ersetzt. Es handelt sich um eine Anpassung an die im Obligationenrecht und im Fusionsgesetz allgemein verwendete Terminologie. Materiell ändert sich dadurch nichts. Die Erstellung einer Zwischenbilanz setzt in jedem Fall eine zumindest summarische Erfolgsrechnung voraus. Ein Anhang ist erforderlich, soweit die darin enthaltenen Informationen wesentliche Auswirkungen auf die Beurteilung der Bilanz haben können.

Art. 652g Randtitel und Abs. 3, 652h Randtitel, Abs. 1 und 2

Anpassung der Statuten; Eintragung in das Handelsregister

Artikel 652g Absatz 3 und Artikel 652h Absatz 2 werden aufgehoben. Zukünftig sollen die beim Handelsregister einzureichenden Belege einheitlich in der HRegV geregelt werden (s. dazu Art. 43 f. und 46 ff. HRegV113).

Artikel 652h Absatz 1 wird begrifflich angepasst: Statt «Handelsregister» muss es «Handelsregisteramt» heissen.

2.1.5

Bedingte Kapitalerhöhung

Das heutige Regelungskonzept der bedingten Kapitalerhöhung wird grundsätzlich beibehalten. Es werden lediglich punktuelle Anpassungen vorgenommen.

Art. 653, 653b Abs. 1 Ziff. 4

Bedingte Kapitalerhöhung; Beschluss der GV

In Artikel 653 Absatz 1 werden neu auch die Aktionärinnen und Aktionäre sowie die Mitglieder des Verwaltungsrats als mögliche Adressaten einer bedingten Kapitalerhöhung aufgeführt. Bereits nach der heutigen Praxis können sogenannte Gratisoder Aktionärsoptionen im Rahmen einer bedingten Kapitalerhöhung ausgegeben 113

Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.)

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werden. Verbreitet ist auch die Ausrichtung von Optionen als Teil der Entschädigung für den Verwaltungsrat. Die gesetzliche Regelung ist entsprechend zu ergänzen. Weiter wird klargestellt, dass das eingeräumte Recht auf Bezug neuer Aktien die Aktien einer andern Konzerngesellschaft betreffen kann (Art. 653 Abs. 1 Ziff. 1­4 i.V.m. Abs. 2). Auch in diesem Fall darf das Bezugs- oder das Vorwegzeichnungsrecht der Aktionärinnen und Aktionäre der Gesellschaft, welche die bedingte Kapitalerhöhung durchführt, nur unter den Voraussetzungen von Artikel 653c beschränkt oder entzogen werden.

Nach Absatz 1 Ziffer 5 ist es neu möglich, Optionen auch an Gläubiger abzugeben, so namentlich zu Sanierungszwecken: Den Gläubigerinnen und Gläubigern, die im Rahmen einer Sanierung bereit sind, auf einen Teil ihrer Forderung zu verzichten, können Optionen zum Bezug von Aktien der sanierungsbedürftigen Gesellschaft eingeräumt werden. Entsprechende Optionen können eine interessante Alternative zur Ausgabe von Genussscheinen darstellen.

Absatz 3 setzt dem Verwaltungsrat ­ wie bei der ordentlichen Kapitalerhöhung ­ eine Frist von dreissig Tagen zur Anmeldung der bedingten Kapitalerhöhung beim Handelsregisteramt. Die bedingte Kapitalerhöhung wird neu im Handelsregister eingetragen. Insbesondere für potenzielle Investorinnen und Investoren kann die Tatsache, dass eine bedingte Kapitalerhöhung beschlossen ist, von Bedeutung für einen Anlageentscheid sein.

Artikel 653b Absatz 1 Ziffer 4 stellt klar, dass die allfällige Aufhebung oder Beschränkung des Bezugsrechts in den Statuten vorzusehen ist.

Art. 653c und 653d Abs. 1

Schutz der Aktionäre

Artikel 653c Absatz 1 sieht vor, dass die Bestimmungen über das Bezugsrecht bei der ordentlichen Kapitalerhöhung zur Anwendung kommen (Art. 652b), wenn den Gesellschafterinnen und Gesellschaftern Optionsrechte eingeräumt werden. Die gesetzliche Verweisung ist auch für die Ausübung des Bezugsrechts und die Festsetzung des Ausgabepreises massgebend. Der bisherige Absatz 1 wird in Absatz 2 verschoben.

Nach Absatz 3 soll das Vorwegzeichnungsrecht neu bei Publikumsgesellschaften auch ohne Vorliegen wichtiger Gründe beschränkt oder aufgehoben werden können, wenn die Aktionärinnen und Aktionäre die Möglichkeit haben, die entsprechenden Titel zu angemessenen Bedingungen an der Börse zu erwerben. Die Aktionärinnen und Aktionäre können dabei ihre Interessen durch einen Zukauf am Markt wahren.

In Artikel 653d Absatz 1 werden aufgrund der Änderung in Artikel 653 Absatz 1 die Begriffe «Aktionär» und «Mitglied des Verwaltungsrats» eingefügt.

Art. 653f, 653g, 653i

Prüfungsbestätigung; Anpassung der Statuten; Streichung

Die Änderungen in Artikel 653f und Artikel 653g sind in erster Linie formaler Natur. Sie dienen dem besseren Verständnis und der Vereinheitlichung der Terminologie. Artikel 653g Absatz 2 stellt klar, dass die Anpassung der Statuten öffentlich zu beurkunden ist. Die Regelung entspricht Artikel 652g Absatz 2 OR.

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Eine materielle Neuerung findet sich in Artikel 653i: In der Praxis hat sich gezeigt, dass Gesellschaften gelegentlich eine bedingte Kapitalerhöhung beschliessen, dann aber davon absehen, sie durchzuführen, oder diese vorzeitig abbrechen möchten. Die Bestimmung regelt die Modalitäten, die in einem solchen Fall zu beachten sind.

Der Verwaltungsrat ist grundsätzlich verpflichtet, die Beschlüsse der GV auszuführen (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 6 OR). Tut er dies nicht, so haftet er im Schadensfall nach Artikel 754 OR. Dies gilt auch, wenn er ohne Zustimmung der GV auf die Durchführung einer beschlossenen bedingten Kapitalerhöhung verzichtet. Die neuen Vorschriften des Artikels 653i ändern an dieser Ausgangslage nichts.

Artikel 653i Absatz 1 Ziffer 3 und Absatz 2 regeln den Fall, dass bereits Wandeloder Optionsrechte eingeräumt wurden. Die Statutenbestimmung zur bedingten Kapitalerhöhung kann diesfalls nur aufgehoben werden, wenn ein zugelassener Revisionsexperte schriftlich bestätigt, dass alle Berechtigten auf die Ausübung ihrer Rechte schriftlich verzichtet haben. Willigt nur ein Teil der Inhaber der Wandeloder Optionsrechte in den Verzicht ein, so darf die Statutenbestimmung nicht gestrichen werden, doch bleibt eine Anpassung möglich.

Eine allfällige Entschädigung für den Verzicht auf die Ausübung der Wandel- oder Optionsrechte kann in bar oder auf andere Weise erfolgen (z.B. durch Abgabe von Aktien). Die Höhe der Entschädigung sollte im Geschäftsbericht aus Transparenzgründen offengelegt werden. Der Entwurf verzichtet aber auf eine entsprechende Vorschrift.

Der Vorentwurf schrieb keine öffentliche Beurkundung der Statutenänderung mehr vor. In der Vernehmlassung stiess der Vorschlag jedoch mehrheitlich auf Kritik; namentlich für kleinere Unternehmen wurde die Hilfe einer Urkundsperson als nötig erachtet. Absatz 3 hält deshalb am Erfordernis der öffentlichen Beurkundung fest.

2.1.6

Ordentliche Kapitalherabsetzung

Die heutige gesetzliche Regelung der Kapitalherabsetzung ist ­ im Unterschied zur Kapitalerhöhung ­ rudimentär und weist Unklarheiten und Lücken auf. Sie ist zudem auch sachlich problematisch, so insbesondere wenn vorgesehen wird, dass der Revisionsbericht vor dem Aufruf an die Gläubigerinnen und Gläubiger erstellt wird. Zu diesem Zeitpunkt steht noch nicht fest, ob Forderungen gegenüber der Gesellschaft bestehen, die in den Geschäftsbüchern nicht verzeichnet sind. Weiter geht die gesetzliche Regelung eigentlich davon aus, dass zwei Beschlüsse der GV erforderlich sind; dies ist für die Praxis aber oft zu schwerfällig. Aufgrund der Mängel des geltenden Rechts ist eine Neuordnung erforderlich. Im Rahmen einer konsolidierten Konzeption wird die Kapitalherabsetzung mit den verschiedenen Arten der Kapitalerhöhung neu in einem Kapitel zu den Kapitaländerungsverfahren zusammengefasst.

Auf eine Regelung der Kapitalherabsetzung mit Maximal- und Minimalbetrag wird hingegen verzichtet. Für ein entsprechendes Vorhaben steht neu das Rechtsinstitut des Kapitalbands zur Verfügung: Der Verwaltungsrat kann hier den Betrag, um den das Aktienkapital herabgesetzt wird, innerhalb des Kapitalbands beliebig festsetzen (Art. 653s ff.).

1648

Art. 653j (neu)

Ordentliche Kapitalherabsetzung; Grundsätze

Absatz 1 weist der GV die Kompetenz zu, über den Umfang der Kapitalherabsetzung zu entscheiden. Dem Verwaltungsrat obliegen ­ wie bis anhin ­ die Vorbereitung und die Durchführung der Kapitalherabsetzung.

Absatz 2 stellt klar, dass die Herabsetzung entweder durch die Senkung des Nennwerts oder durch Vernichtung der Aktien erfolgen kann. Der Herabsetzungsbeschluss der GV hat entsprechende Angaben zu enthalten (Art. 653n Abs. 1 Ziff. 2).

Nach Absatz 3 darf das Aktienkapital ­ wie bisher ­ nur unter das gesetzlich vorgesehene Mindestkapital von 100 000 Franken herabgesetzt werden (Art. 621 OR), wenn es gleichzeitig bis zum Betrag von 100 000 Franken durch neues Kapital ersetzt wird. Zulässig ist auch eine Sacheinlage oder eine Liberierung durch Verrechnung. Diesfalls gelangen aber die Sacheinlage- und Liberierungsvorschriften zur Anwendung. Im Unterschied zum geltenden Recht muss das Kapital nach der Herabsetzung aber nicht zwingend voll liberiert sein. Die Vorschriften zur Mindestliberierung sind jedoch stets einzuhalten (Art. 632).

Art. 653k (neu)

Gläubigerschutz

Artikel 653k regelt die Aufforderung an die Gläubigerinnen und Gläubiger. Die Gesellschaft kann die Aufforderung vor oder nach dem Herabsetzungsbeschluss der GV durchführen (Art. 653k Abs. 1). Diese Wahlmöglichkeit eröffnet dem Verwaltungsrat einen grösseren Spielraum in organisatorischer Hinsicht. Der Transparenz für die Aktionärinnen und Aktionäre ist es grundsätzlich dienlich, wenn die Aufforderung an die Gläubigerinnen und Gläubiger und die Prüfung durch die zugelassene Revisionsexpertin oder den zugelassenen Revisionsexperten vor der GV durchgeführt werden. Die GV kann so vor dem Beschluss über die Kapitalherabsetzung über die Ergebnisse der Aufforderung und der Prüfung informiert werden. Dies ist aber sachlich nicht in jedem Fall zwingend erforderlich, da in den relevanten Fragen meist klare Verhältnisse bestehen. Es soll daher ermöglicht werden, die GV bereits vor (oder während) der Aufforderung an die Gläubigerinnen und Gläubiger durchzuführen. Dies erlaubt ein rascheres Vorgehen. Es kann ferner auch sinnvoll sein, vor Veröffentlichung einer entsprechenden Aufforderung klarzustellen, ob die GV der Kapitalherabsetzung überhaupt zustimmt. Die Durchsetzung der gesetzlichen Vorschriften zum Gläubigerschutz wird (in jedem Fall) bei der Eintragung ins Handelsregister gesichert (s. Art. 653o Abs. 4 und 5).

Der Entwurf verkürzt den Zeitraum, in dem die Gläubigerinnen und Gläubiger ihre Forderungen anmelden können, von zwei Monaten auf einen Monat (Abs. 2). Die Dauer der Durchführung der Kapitalherabsetzung wird auf diese Weise verkürzt, was den Interessen der Gesellschaften dient. Den Gläubigerinnen und Gläubigern bleibt trotz der Verkürzung der Frist ausreichend Zeit, ihre Forderungen anzumelden.

Die Absätze 3 und 4 entsprechen weitgehend denjenigen über die Aufforderung an die Gläubigerinnen und Gläubiger gemäss Fusionsgesetz (Art. 25 FusG). Die Gesellschaft kann sich von der Sicherstellung der angemeldeten Forderungen befreien, wenn sie nachweist, dass die Kapitalherabsetzung die Erfüllung der fraglichen Ansprüche nicht gefährdet (Abs. 3). In der Regel wird als Nachweis die Bestätigung der zugelassenen Revisionsexpertin oder des zugelassenen Revisionsexperten, wonach das Fremdkapital auch nach der Herabsetzung des Aktienkapitals 1649

vollständig gedeckt ist, genügen. In besonderen Fällen wird jedoch diese Prüfungsbestätigung allein nicht ausreichen, so ­ je nach den Umständen ­ bei Forderungen, die erst lange nach der Herabsetzung fällig werden.

Gläubigerinnen und Gläubiger, die Sicherstellung verlangen, sind nicht besserzustellen, als wenn keine Kapitalherabsetzung durchgeführt würde. Führt die Kapitalherabsetzung zu einer Verringerung des gesperrten, d.h. des nicht verwendbaren Eigenkapitals, so haben die Gläubigerinnen und Gläubiger höchstens Anspruch auf Sicherstellung ihrer Forderung im entsprechenden Umfang. Werden die Forderungen vor der GV sichergestellt und lehnt diese die Herabsetzung des Kapitals ab, so fallen die Sicherheiten dahin.

Anstelle einer Sicherstellung kann die Gesellschaft nach Absatz 4 die Forderungen auch erfüllen, sofern dadurch die übrigen Gläubigerinnen und Gläubiger nicht benachteiligt werden (betreibungsrechtliches Gleichbehandlungsgebot). Zudem ist erforderlich, dass die Forderung gemäss Artikel 81 OR erfüllbar ist. Eine vorzeitige Erfüllung ist demnach nur zulässig, soweit ihr die Natur des Rechtsgeschäfts und der Wille der Vertragsparteien nicht entgegenstehen.

Art. 653l (neu), 653m (neu)

Zwischenbilanz; Prüfungsbestätigung

Artikel 653l sieht ­ im Einklang zur heute allgemein gültigen Praxis ­ vor, dass die Gesellschaft eine Zwischenbilanz erstellen muss, wenn die letzte Bilanz älter als sechs Monate ist. Die gesetzlichen Anforderungen an den Inhalt der Zwischenbilanz entsprechen denjenigen des Artikels 11 FusG. Der Schutzgedanke, welcher der Pflicht zum Einholen einer Zwischenbilanz zugrunde liegt, ist bei der Kapitalherabsetzung derselbe wie bei der Umstrukturierung von Rechtsträgern. Es ist daher sachlich angezeigt, die entsprechenden fusionsrechtlichen Bestimmungen zu übernehmen.

Artikel 653m regelt die Prüfungsbestätigung einer zugelassenen Revisionsexpertin oder eines zugelassenen Revisionsexperten. Die Bestätigung muss zukünftig zwingend auf das Ergebnis der Aufforderung an die Gläubigerinnen und Gläubiger Bezug nehmen (Abs. 2). Dadurch wird die Aussagekraft der Bestätigung gegenüber dem geltenden Recht verbessert.

Bei Gesellschaften, die über keine Revisionsstelle verfügen, und in Fällen, in denen es sich bei den beauftragten zugelassenen Revisionsexpertinnen oder Revisionsexperten nicht um die Revisionsstelle der betreffenden Gesellschaft handelt, haben die beauftragten Personen zu beurteilen, inwieweit die ihnen vorgelegte Bilanz für die Abgabe der erforderlichen Prüfungsbestätigung geprüft werden muss.

Liegt die Prüfungsbestätigung bereits zum Zeitpunkt der Durchführung der GV vor, so informiert der Verwaltungsrat die Aktionärinnen und Aktionäre vor der Beschlussfassung über die Kapitalherabsetzung (Abs. 3). Die zugelassene Revisionsexpertin oder der zugelassene Revisionsexperte muss diesfalls bei der GV anwesend sein. Wie bei der Verabschiedung der Jahresrechnung (Art. 731 Abs. 2 OR114) kann die GV aber auf die Anwesenheit verzichten.

114

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7330), in Kraft am 1. Januar 2008.

1650

Art. 653n (neu), 653o (neu)

Beschluss der GV; Anpassung der Statuten

Artikel 653n regelt den Inhalt und die Form des Kapitalherabsetzungsbeschlusses der GV.

Artikel 653o legt die Pflichten des Verwaltungsrats bei der Durchführung der von der GV beschlossenen Kapitalherabsetzung fest. Für die Anmeldung der vorzunehmenden Statutenänderung gilt nach Absatz 3 wie bei der ordentlichen Kapitalerhöhung eine Frist von dreissig Tagen (s. dazu die Ausführungen zu Art. 650).

Artikel 653o Absatz 4 hält fest, dass das Handelsregisteramt die Kapitalherabsetzung nur im Handelsregister eintragen darf, sofern eine rechtsgenügende Prüfungsbestätigung vorliegt: Das Handelsregisteramt muss die Eintragung zum Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger verweigern, wenn die Prüfungsbestätigung einen Vorbehalt oder eine Einschränkung des Prüfungsergebnisses enthält. Das Handelsregisteramt hat dabei lediglich eine formelle Prüfung vorzunehmen.

Die durch die Herabsetzung des Aktienkapitals frei werdenden Mittel dürfen den Aktionärinnen und Aktionären nach 653o Absatz 5 erst nach der Eintragung ins Handelsregister ausgerichtet werden.

2.1.7

Sonderformen der Kapitalherabsetzung

Art. 653p (neu), 653q (neu)

Gleichzeitige Herab- und Heraufsetzung des Aktienkapitals

Bereits das geltende Recht kennt die sogenannte Harmonika, bei der das Kapital herabgesetzt und unmittelbar danach im gleichen Umfang wieder erhöht wird, ohne dass der Liberierungsbetrag sich ändert. Neu wird diese Sonderform einer Kapitalherabsetzung in einer eigenen Bestimmung geregelt, bleibt aber inhaltlich grundsätzlich unverändert (Art. 653p). Eine Neuerung findet sich im Hinblick auf den Grad der Liberierung: Das neue Kapital ist ­ anders als heute ­ nicht mehr zwingend voll zu liberieren; es genügt (wie bei Art. 653j Abs. 3), wenn der bisherige Liberierungsgrad unverändert beibehalten wird.

Die Bestimmungen über die ordentliche Kapitalherabsetzung gelangen im Falle einer Harmonika grundsätzlich nicht zur Anwendung. Ändert jedoch beispielsweise die Anzahl der Aktien oder deren Nennwert, so sind die Statuten entsprechend anzupassen.

Wird das Kapital auf null herabgesetzt und anschliessend wieder erhöht, so müssen die bisherigen Aktien nach Artikel 653q vernichtet und neue ausgegeben werden.

Den Aktionärinnen und Aktionären steht im Gegenzug zur Vernichtung der Aktien ein unentziehbares Bezugsrecht zu. Bereits der neue Artikel 732a115 sieht eine gleichlautende Regelung vor. Dient die Harmonika nicht der Sanierung, so darf die Vernichtung der Aktien nur mit Zustimmung der betroffenen Aktionärinnen und Aktionäre erfolgen, da sie sonst eine Enteignung darstellen und gegen den verfassungsmässigen Schutz des Eigentums (Art. 26 BV)116 verstossen würde. Im Falle der Sanierung ist dieser Eingriff aber sachrichtig, da der bisherige Anteil am Risi115 116

Fassung vom16. Dezember 2005, (BBl 2005 7289 ff., 7322), in Kraft am 1. Januar 2008.

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV); SR 101.

1651

kokapital verloren ist und die Ansprüche auf Dividenden und auf Anteil am Liquidationserlös wertlos geworden sind.

Art. 653r (neu)

Kapitalherabsetzung im Falle einer Unterbilanz

Die Vorschrift über die Kapitalherabsetzung zur Beseitigung einer Unterbilanz wird lediglich sprachlich leicht verändert (Abs. 1; vormals Art. 735 OR). Absatz 2 stellt klar, dass ­ unter Vorbehalt abweichender gesetzlicher Regeln ­ die Bestimmungen über die ordentliche Kapitalherabsetzung zur Anwendung kommen.

2.1.8

Kapitalband

Der Entwurf sieht die Einführung des sogenannten Kapitalbands vor. Es handelt sich dabei um ein neues Rechtsinstitut, das dazu dient, die Verfahren zur Erhöhung und Herabsetzung des Aktienkapitals flexibler zu gestalten. Der Vorentwurf hat neben dem Kapitalband im Sinne eines Alternativvorschlags die sogenannte genehmigte Kapitalherabsetzung zur Diskussion gestellt. Die Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer sprachen sich jedoch klar für das Kapitalband aus (s. vorne Ziff. 1.3.3.1)117. Das Kapitalband ersetzt auch die heutige genehmigte Kapitalerhöhung.

Art. 653s (neu), 653t (neu)

Ermächtigung; statutarische Grundlagen

Die GV kann neu den Verwaltungsrat ermächtigen, innerhalb zweier «Sperrziffern» das Aktienkapital frei herauf- und herabzusetzen (Art. 653s Abs. 1; s. vorne Ziff. 1.3.3.1). Der Beschluss erfordert ­ wie bisher bei der genehmigten Kapitalerhöhung ­ ein qualifiziertes Mehr (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 5) und ist öffentlich zu beurkunden (Art. 653s Abs. 7).

Die GV legt in ihrem Beschluss ein sogenanntes Maximalkapital fest. Bis zu dieser «Sperrziffer» darf der Verwaltungsrat das Kapital erhöhen. Nach unten begrenzt das sogenannte Basiskapital das Ermessen des Verwaltungsrats. Unter diese Sperrziffer darf das Aktienkapital nicht herabgesetzt werden. Dritter Parameter ist das sogenannte ausgegebene Aktienkapital, das grundsätzlich dem heutigen Begriff des Aktienkapitals entspricht und dessen aktuellen Stand wiedergibt.

Innerhalb des Maximal- und des Basiskapitals kann der Verwaltungsrat ­ sofern die GV nichts anderes beschliesst ­ das ausgegebene Aktienkapital herauf- und herabsetzen. Die Dauer der Ermächtigung beträgt nach Absatz 1 maximal drei Jahre. Der Vorentwurf sah eine Frist von fünf Jahren vor. Verschiedene Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer erachteten diese Frist jedoch ­ im Hinblick auf den Gläubigerschutz und unter dem Blickwinkel der Corporate Governance ­ als zu lang118.

Die Frist beginnt mit der Beschlussfassung durch die GV zu laufen (Art. 653s Abs. 6). Nach Ablauf der Frist streicht der Verwaltungsrat die Bestimmungen über das Kapitalband aus den Statuten, sofern die GV die Ermächtigung des Verwal117

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2006, S. 8.

118 Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2006, S. 13.

1652

tungsrats nicht verlängert (Art. 653t Abs. 2). Der Vorentwurf verzichtete auf die öffentliche Beurkundung der Streichung. Aufgrund der Reaktionen in der Vernehmlassung wird jedoch von einer Durchbrechung der allgemeinen Beurkundungspflicht abgesehen119.

Das Maximalkapital darf höchstens 50 Prozent über dem bisher im Handelsregister eingetragenen Aktienkapital liegen. Das Basiskapital darf nicht weniger als die Hälfe des eingetragenen Kapitals betragen (Art. 653s Abs. 2). Dabei ist stets das gesetzliche Mindestkapital von 100 000 Franken zu beachten (Art. 621 OR).

In der Vernehmlassung wurde vereinzelt gefordert, die Obergrenze für das Maximalkapital sowie die Untergrenze für das Basiskapital herauf- beziehungsweise herunterzusetzen. Dies würde den Ermessenspielraum des Verwaltungsrats aber über Gebühr erweitern. Es wird deshalb an den im Vorentwurf vorgesehenen Grenzwerten festgehalten120. Auch so kann die GV dem Verwaltungsrat durchaus einen beträchtlichen Spielraum für die Gestaltung der Kapitalstrukturen einräumen.

Die GV ist frei, den Ermessensspielraum des Verwaltungsrats einzugrenzen. Sie darf Auflagen oder Bedingungen vorsehen (Art. 653s Abs. 3, Art. 653t Abs. 1 Ziff. 3).

So kann sie insbesondere bestimmen, dass der Verwaltungsrat das Aktienkapital nur erhöhen oder nur herabsetzen darf. Wenn der Verwaltungsrat das Aktienkapital nur erhöhen kann, entspricht das Kapitalband praktisch der heutigen genehmigten Kapitalerhöhung. Diese wird daher überflüssig und kann aufgehoben werden. Räumt die GV dem Verwaltungsrat demgegenüber lediglich die Möglichkeit ein, das Kapital herabzusetzen, so kann im Ergebnis eine nach dem geltenden Recht nicht zulässige genehmigte Kapitalherabsetzung realisiert werden.

Während die GV frei ist, gewisse Entscheide beispielsweise bezüglich des Bezugsrechts dem Verwaltungsrat zu überlassen (Art. 653t Abs. 1 Ziff. 7), muss sie zwingend über bestimmte Punkte selbst beschliessen121. So hat der Generalversammlungsbeschluss stets das Maximal- und das Basiskapital, die Befristung des Kapitalbands sowie Anzahl und Nennwert der Aktien aufzuführen (Art. 653t Abs. 1 Ziff. 1, 2, 4). Andere Modalitäten (z.B. die Vinkulierung von Aktien) bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Aufnahme in die Statuten (Art. 653t Abs. 1 Ziff. 6). Die GV muss auch die Voraussetzungen für die Ausübung
vertraglich erworbener Bezugsrechte regeln; dabei handelt es sich um eine Ergänzung der Vinkulierung für den originären Erwerb von Aktien.

Artikel 653s Absatz 4 stellt klar, dass das Aktienkapital innerhalb des Kapitalbands auch mittels einer bedingten Kapitalerhöhung erhöht werden kann. In diesem Fall kommen kumulativ sowohl die Bestimmungen über das Kapitalband als auch diejenigen über die bedingte Kapitalerhöhung zur Anwendung, wobei stets der strengeren Regelung Rechnung zu tragen ist. Der Beschluss zur Durchführung einer bedingten Kapitalerhöhung ist von der GV zu treffen. Er kann nicht an den Verwaltungsrat delegiert werden.

119

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2006, S. 12.

120 Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2006, S. 13.

121 Unübertragbare und unverzichtbare Entscheidungsbefugnisse der GV finden sich bereits heute bei der genehmigten Kapitalerhöhung (Art. 651 OR).

1653

Der Beschluss der GV betreffend die Einführung eines Kapitalbands muss innert dreissig Tagen nach der Beschlussfassung beim Handelsregisteramt angemeldet werden (Art. 653s Abs. 5).

Art. 653u (neu), 653v (neu)

Erhöhung und Herabsetzung des Aktienkapitals innerhalb des Kapitalbands

Im Rahmen der Ermächtigung durch die GV kann der Verwaltungsrat grundsätzlich das Kapital herauf- und herabsetzen (Art. 653u Abs. 1). So steht es ihm beispielsweise frei, bei einem Maximalkapital von 600 000 Franken, einem Basiskapital von 200 000 Franken und einem zum Zeitpunkt der Einführung des Kapitalbands eingetragenen Aktienkapital von 400 000 Franken das Kapital zuerst auf 500 000 Franken heraufzusetzen, anschliessend auf 200 000 Franken herabzusetzen und dann wieder auf 600 000 Franken zu erhöhen.

Bei jeder Erhöhung oder Herabsetzung des Aktienkapitals nimmt der Verwaltungsrat die erforderlichen Feststellungen vor und passt die Statuten entsprechend an. Er erlässt die notwendigen Bestimmungen, soweit diese nicht bereits im Generalversammlungsbeschluss über das Kapitalband enthalten sind. Nach Durchführung der Kapitaländerung hat er dreissig Tage Zeit, diese in rechtsgenügender Form beim Handelsregisteramt anzumelden (Art. 653u Abs. 3 i.V.m. Art. 931a). Es handelt sich dabei um eine Ordnungsvorschrift.

Die Bestimmungen über die ordentliche und die bedingte Kapitalerhöhung sowie über die ordentliche Kapitalherabsetzung kommen ­ sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt ­ sinngemäss zur Anwendung (Art. 653u Abs. 4). So hat zum Beispiel der Kapitalerhöhungsbeschluss des Verwaltungsrats Angaben zur Art der Einlagen (z.B. Sacheinlage, Liberierung mit Eigenkapital) zu machen, wenn die GV sich den Entscheid über die Form der Liberierung nicht selber vorbehalten hat.

Das aktuell massgebende Aktienkapital (ausgegebenes Aktienkapital) ist aus Gründen der Transparenz und der Rechtssicherheit ins Handelsregister einzutragen (Art. 653u Abs. 3). Der daraus entstehende Aufwand ist gering.

Während der Gültigkeitsdauer des Kapitalbands kann die GV beschliessen, das ausgegebene Aktienkapital mittels einer ordentlichen Kapitalerhöhung oder Kapitalherabsetzung zu ändern. Mit dem Erhöhungs- oder Herabsetzungsbeschluss fällt jedoch der Beschluss über das Kapitalband aus Gründen der Rechtssicherheit zwingend dahin. Die Statuten sind entsprechend anzupassen (Art. 653v). Es steht der GV aber frei, nach dem Beschluss über eine ordentliche Herauf- oder Herabsetzung des Kapitals erneut ein Kapitalband vorzusehen.

Art. 653w (neu)

Gläubigerschutz

Die Aufforderung an die Gläubigerinnen und Gläubiger wird nicht anlässlich der einzelnen Beschlüsse des Verwaltungsrats über eine Kapitalherabsetzung durchgeführt. Vielmehr wird beim Kapitalband der Gläubigerschutz vorverschoben: Die Aufforderung an die Gläubigerinnen und Gläubiger erfolgt bereits vor dem Beschluss der GV über die Schaffung des Kapitalbands. Das Gleiche gilt auch für die Erstellung einer Prüfungsbestätigung durch eine zugelassene Revisionsexpertin oder einen zugelassen Revisionsexperten (Art. 653m f., 653w Abs. 1). Die Bestätigung beschränkt sich hier darauf festzustellen, ob das Aktienkapital nach der Herabsetzung des Basiskapitals noch gedeckt ist. Etwelche Aussagen in Bezug auf allfäl1654

lige spätere Kapitalherabsetzungen innerhalb des Kapitalbands sind aus faktischen Gründen ausgeschlossen. Aufgrund der Eintragung des Kapitalbands im Handelsregister können Gläubigerinnen und Gläubiger aber wissen, dass das Aktienkapital bis auf das offengelegte Basiskapital herabgesetzt werden kann.

Sowohl die Aufforderung an die Gläubigerinnen und Gläubiger als auch die Einholung einer Prüfungsbestätigung sind nicht erforderlich, wenn das Kapitalband bereits anlässlich der Gründung der Gesellschaft eingeführt oder wenn das Basiskapital nicht tiefer festgesetzt wird als das im Handelsregister eingetragene Aktienkapital (Art. 653w Abs. 1 Ingress und Abs. 2).

Voraussetzung für jede Kapitalherabsetzung im Rahmen eines Kapitalbands ist, dass die Forderungen der Gläubiger durch die Herabsetzung nicht gefährdet werden (Art. 653w Abs. 4). Der Verwaltungsrat trägt dafür die Verantwortung und haftet gemäss den aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsregeln (Art. 754 OR). Um das Risiko zu beschränken, kann er je nach den Umständen freiwillig eine Aufforderung an die Gläubigerinnen und Gläubiger durchführen.

Verschiedene Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer äusserten Bedenken hinsichtlich der Lockerung der Gläubigerschutzvorschriften bei Kapitalherabsetzungen innerhalb des Kapitalbands122. Ein entscheidendes Wesensmerkmal des Kapitalbands liegt jedoch darin, dass das im Handelsregister eingetragene Basiskapital im Kapitalband dieselbe Funktion als Sperrziffer einnimmt wie das eingetragene Aktienkapital im geltenden Recht. Für die Gläubigerinnen und Gläubiger ist also primär das Basiskapital von Bedeutung. Dieses kann aber nur mittels eines ordentlichen Kapitalherabsetzungsverfahrens gesenkt werden. Der Gläubigerschutz erscheint somit sachgerecht (s. zudem Art. 653x). Der Entwurf hält deshalb am ursprünglichen Vorschlag fest, beschränkt aber die Maximaldauer der Ermächtigung der GV auf drei Jahre (Art. 653s Abs. 1).

Der Vorentwurf sah in Artikel 653w vor, dass der Verwaltungsrat unter bestimmten Voraussetzungen Aktien bereits vor der Eintragung des neuen Aktienkapitals ausgeben darf. In der Vernehmlassung wurde auf die Problematik einer vorzeitigen Ausgabe von Aktien hingewiesen, so namentlich wenn sich die Eintragung einer Kapitalerhöhung im Handelsregister verzögert123. Zudem wäre die Regelung
­ aufgrund börsenrechtlicher Bestimmungen (Art. 52 Ziff. 6 Kotierungsreglement der SWX) ­ nur für private Aktiengesellschaften von Bedeutung gewesen. Der Entwurf verzichtet daher auf eine entsprechende Ausnahmebestimmung.

Art. 653x (neu), 653y (neu)

Prüfungsbestätigung; Angaben im Anhang zur Jahresrechnung

Artikel 653x Absatz 1 schreibt vor, dass der Verwaltungsrat am Ende des Geschäftsjahres eine Prüfungsbestätigung einer zugelassenen Revisionsexpertin oder eines zugelassenen Revisionsexperten (vgl. Art. 653m bei der ordentlichen Kapitalherabsetzung) einholen muss, falls das Aktienkapital innerhalb dieses Jahres herabgesetzt wurde. Die Expertin oder der Experte muss bestätigen, dass das Fremdkapital trotz der Herabsetzung des Aktienkapitals vollständig gedeckt bleibt. Die Prüfungsbestä122

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 13.

123 Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 13.

1655

tigung ist gemäss Absatz 2 nach Ablauf des Geschäftsjahres beim Handelsregisteramt einzureichen.

Artikel 653y sieht vor, dass der wesentliche Inhalt dieser Prüfungsbestätigung im Anhang zur Jahresrechnung wiederzugeben ist. Weiter müssen Angaben zu sämtlichen Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen durch den Verwaltungsrat gemacht werden. Damit wird die Information der Aktionärinnen und Aktionäre gewährleistet.

2.1.9

Partizipationsscheine

Art. 656a Abs. 4 (neu), 656b

Partizipations- und Aktienkapital

Auf die bisherige Beschränkung des Partizipationskapitals (PS-Kapital) auf das Doppelte des Aktienkapitals wird bei börsenkotierten Partizipationsscheinen verzichtet. Die betreffenden Gesellschaften können die Höhe ihres PS-Kapitals unabhängig von der Höhe ihres Aktienkapitals festsetzen und verfügen somit über einen grösseren Spielraum bei der Ausgestaltung ihrer Kapitalstrukturen. Diese Regelung erscheint unproblematisch, weil die Partizipationsscheine an der Börse frei veräussert werden können, wenn die Partizipanten mit der Unternehmensführung nicht einverstanden sind. Das Fehlen von Mitwirkungsrechten wird gewissermassen durch die stets gegebene Möglichkeit der Veräusserung der Partizipationsscheine kompensiert. Demgegenüber ist die Veräusserung von nicht kotierten Partizipationsscheinen je nach den Umständen oft schwierig oder sogar praktisch ausgeschlossen. Das Fehlen von Mitwirkungsrechten kann sich hier für den Rechtsschutz des Eigentums als problematisch erweisen. Die bisherige Obergrenze für die Ausgabe von Partizipationsscheinen (Art. 656b Abs. 1 OR) wird daher für nicht börsenkotierte Titel beibehalten, um ein gewisses Verhältnis zwischen «stimmberechtigtem» und «nicht stimmberechtigtem» Risikokapital zu gewährleisten.

Die Neufassung von Artikel 656b trägt dem teilweisen Wegfall der Obergrenze für das PS-Kapital Rechnung. Sind die Partizipationsscheine an der Börse kotiert, so wird das PS-Kapital bei der Berechnung der Höchstgrenze für den Rückkauf von Aktien nicht mehr zum Aktienkapital gezählt (Art. 656b Abs. 5 i.V.m. Art. 659).

Vielmehr werden Aktien- und PS-Kapital getrennt berechnet. Da das PS-Kapital bei kotierten Partizipationsscheinen das Aktienkapital zukünftig um ein Vielfaches übersteigen kann, wäre es andernfalls möglich, dass eine Gesellschaft sämtliche eigenen Aktien bis auf eine einzige erwerben könnte. Die Gesellschaft würde in diesem Fall nur noch über eine Aktionärin oder einen Aktionär verfügen, die oder der mittels einer minimalen finanziellen Beteiligung das Unternehmen beherrschen würde (Art. 659 Abs. 1). Die Aktiengesellschaft könnte auf diese Weise denaturiert werden124.

Die Trennung von Aktionärinnen und Aktionären einerseits und Partizipantinnen und Partizipanten andererseits gilt auch für die Einleitung einer Sonderuntersuchung (Art. 697b). Dies hat zwar
den Nachteil, dass die in unterschiedlicher Form beteiligten Personen sich nicht mehr zusammenschliessen können, um die Einsetzung einer Sonderuntersuchung zu verlangen. Die getrennte Berechnung stellt aber sicher, dass die Aktionärinnen und Aktionäre auch dann eine Sonderuntersuchung veranlassen können, wenn das Aktienkapital im Vergleich zum PS-Kapital relativ gering ist. Für 124

Der bisherige Absatz 2 von Artikel 656b wird unverändert übernommen.

1656

die Partizipantinnen und Partizipanten ihrerseits ist das Recht auf Einleitung einer Sonderuntersuchung sowie die Auflösungsklage (Art. 656c Abs. 3) von erheblicher Bedeutung, da sie keine Möglichkeit haben, auf die Willensbildung des Unternehmens Einfluss zu nehmen, obwohl sie dasselbe wirtschaftliche Risiko tragen wie die Aktionärinnen und Aktionäre. Das Gesetz muss daher einen minimalen Schutz ihres Eigentums sicherstellen.

Art. 656c Abs. 3, 656d Randtitel, Abs. 2

Rechtsstellung des Partizipanten; Information über die GV-Beschlüsse

Die Änderungen in Artikel 656c Absatz 3 sind vorwiegend formeller Natur (Verwendung des Begriffs «Sonderuntersuchung» anstelle «Sonderprüfung» etc.125).

Im Sinne einer verbesserten Corporate Governance sieht Artikel 702 Absatz 3 neu vor, dass das Generalversammlungsprotokoll den Aktionärinnen und Aktionären auf elektronischem Weg oder via Post zugänglich zu machen ist. Artikel 656d Absatz 2 hält ausdrücklich fest, dass die Partizipantinnen und Partizipanten über dasselbe Einsichtsrecht verfügen. Die Informationsbeschaffung wird damit insbesondere für Personen mit ausländischem Wohnsitz verbessert.

2.1.10 Art. 659, 659a

Erwerb eigener Aktien Einschränkung des Erwerbs; Folgen des Erwerbs

Artikel 659 regelt den Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft. Die Gesellschaft kann ­ wie bisher ­ im Allgemeinen eigene Aktien bis zu einer maximalen Höhe von 10 Prozent des Aktienkapitals erwerben. Die bisherige besondere Obergrenze von 20 Prozent für den Erwerb im Zusammenhang mit einer Übertragbarkeitsbeschränkung wird auf den Fall einer Auflösungsklage ausgedehnt (Art. 736 Abs. 1 Ziff. 4). Diese Liberalisierung soll ermöglichen, dass im Falle einer Klage auf Auflösung der Gesellschaft vermehrt die Alternative der Übernahme der Aktien durch die Gesellschaft realisiert werden kann. Das Ausscheiden von Personen mit Minderheitsbeteiligung aus einer privaten Aktiengesellschaft wird dadurch erleichtert.

Der Erwerb eigener teilliberierter Aktien ist rechtlich ausgeschlossen, da die Gesellschaft nicht eine Liberierungsforderung gegen sich selbst erwerben kann.

Im Falle eines Kapitalbands berechnet sich die Obergrenze für den Erwerb eigener Aktien auf der Grundlage des ausgegebenen Kapitals.

Das Stimmrecht aus eigenen Aktien ruht (Art. 659a Abs. 1126). Der Verwaltungsrat darf demnach das Stimmrecht aus solchen Aktien nicht ausüben. Artikel 659a Absatz 2 stellt klar, dass dies auch dann gilt, wenn die eigenen Aktien im Rahmen einer Effektenleihe, eines Repo-Geschäfts oder eines ähnlichen Rechtsgeschäfts veräussert werden. Erfasst werden sämtliche Rechtsgeschäfte über eigene Aktien, bei denen es sich wirtschaftlich gesehen um eine Leihe handelt (s. dazu auch Art. 12 125

Im Hinblick auf das Recht der Partizipanten auf Einleitung einer Sonderuntersuchung, s. Artikel 697a ff.

126 Artikel 659a Absatz 1 wird aus gesetzestechnischen Gründen umformuliert. Materiell ändert sich nichts.

1657

Börsenverordnung-EBK127). Die dem Rechtsgeschäft zugrunde liegenden Motive bleiben aus Gründen der Rechtssicherheit und der Praktikabilität ohne Belang (s.

dazu vorne Ziff. 1.3.2.3).

2.1.11

Aufhebung der aktienrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften

Die Buchführung und die Rechnungslegung (Art. 662 ff. OR) werden in den Artikeln 957 ff. umfassend neu geordnet (s. hinten Ziff. 2.2). Die Artikel 662­670 werden daher aufgehoben.

2.1.12 Art. 670

Reserven Aufgehoben

Das geltende Aktienrecht lässt die Aufwertung von Grundstücken und Beteiligungen zur Beseitigung einer Unterbilanz zu, wenn der wirkliche Wert der Grundstücke oder Beteiligungen über die Anschaffungs- oder Herstellungskosten gestiegen ist.

Der Aufwendungsbetrag ist auf der Seite der Passiven gesondert als Aufwertungsreserve auszuweisen (s. Art. 671b OR).

Sind Grundstücke oder Beteiligungen nicht betriebsnotwendig, so können sie ohne weiteres veräussert werden. Der Wert des Grundstücks oder der Beteiligung wird bei der Veräusserung realisiert, und der Gesellschaft fliessen die entsprechenden Mittel zu. Mit der Regelung des geltenden Rechts wird somit lediglich offen dargelegt, was meistens ohnehin bekannt ist, nämlich dass durch die Veräusserung der Grundstücke oder Beteiligungen gegenüber dem Buchwert ein Mehrwert erzielt werden kann.

Sind Grundstücke oder Beteiligungen jedoch betriebsnotwendig, so kann deren Aufwertung zwar rein rechnerisch eine Unterbilanz beseitigen, führt der Gesellschaft aber keine Liquidität zu. Sind Grundstücke oder Beteiligungen für die Geschäftstätigkeit wesentlich und können sie daher nicht veräussert werden, so ist mit der reinen Aufwertung nichts gewonnen. Es kommt lediglich zu einer buchmässigen Neuschöpfung von Aktiven und aufgrund der doppelten Buchhaltung zu einer betragsgleichen Bildung von Eigenkapital auf der Passivseite. Die bilanztechnische Massnahme der Aufwertung ist daher nicht geeignet, die Ursachen der Unterbilanz zu beseitigen und eine effektive Verbesserung der Unternehmenssituation zu bewirken. Eine eigentliche Sanierung der Gesellschaft findet nicht statt. Auf die Möglichkeit der Aufwertung ist daher zu verzichten; Artikel 670 und 671b OR werden gestrichen.

Die Streichung von Artikel 670 schliesst die Auflösung früherer Abschreibungen oder Wertberichtigungen nicht aus, sofern die Bestimmungen zur Offenlegung beachtet werden (s. Art. 960a Abs. 5).

127

Verordnung der Eidgenössischen Bankenkommission vom 25. Juni 1997 über die Börsen und den Effektenhandel (Börsenverordnung-EBK, BEHV-EBK) SR 954.193.

1658

Art. 671

Gesetzliche Kapitalreserve

Bei Kapitalgesellschaften wird augrund der Rechnungslegung insbesondere auch ermittelt, ob und in welchem Umfange Gewinne an die Aktionärinnen und Aktionäre ausgeschüttet werden dürfen128. Zusammen mit dem Rechnungslegungsrecht soll im Entwurf daher auch die Reservenbildung neu geregelt werden.

Vorab ist festzuhalten, dass Reserven keine realen Grössen oder Finanzierungsquellen sind, aus denen Investitionen getätigt werden können. Es handelt sich vielmehr um rein rechnerische Grössen.

Für die Neuregelung der Reservenbildung sind die Fragen der Ausschüttbarkeit der Reserven und der Offenlegung der Herkunft entscheidend. Die Regelung des Entwurfs lehnt sich an die Vorschläge im Vorentwurf zu einem Bundesgesetz über die Rechnungslegung und Revision (RRG)129 an. Ziel ist es, die Vorschriften des geltenden Rechts zu vereinfachen und den internationalen Gepflogenheiten anzupassen.

So wird neu insbesondere zwischen Kapital- und Gewinnreserven unterschieden (s. Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 Bst. b bis d).

Bei der gesetzlichen Kapitalreserve handelt es sich um Mittel, die von den Eigenkapitalgeberinnen und -gebern einbezahlt wurden. Der Kapitalreserve ist nach Absatz 1 Ziffer 1 der Erlös zuzuweisen, der bei der Ausgabe von Aktien über den Nennwert und die Ausgabekosten hinaus erzielt wird (sog. Agio). Ferner ist der Kapitalreserve nach Ziffer 2 im Falle einer Kaduzierung die zurückbehaltene Einzahlung auf Aktien zuzuweisen, soweit für die neu ausgegebenen Aktien kein Mindererlös erzielt wird (sog. Kaduzierungsgewinn).

Nach Ziffer 3 werden neu auch Einlagen und Zuschüsse, die durch Inhaberinnen und Inhaber von Beteiligungspapieren geleistet wurden, der Kapitalreserve zugewiesen.

Dieser Vorschlag steht im Zusammenhang mit der Unternehmenssteuerreform II und der beabsichtigten Änderung von Artikel 20 Absatz 3 DBG130. Demnach sollen diese Leistungen sowie Aufgelder gemäss Ziffer 1 bei einer Rückzahlung in das Privatvermögen der Aktionärinnen und Aktionäre wie die Rückzahlung von Aktienkapital, d.h. wie die Rückzahlung von Nennwert-Kapital, behandelt werden und daher steuerfrei bleiben (sog. Kapitaleinlageprinzip). Zu diesem Zweck sind Aufgelder, Einlagen und Zuschüsse allerdings in der Handelsbilanz auf einem gesonderten Konto auszuweisen. Damit soll die Doppelbesteuerung der eingeschossenen Mittel vermieden
werden. Die Buchung in die gesetzlichen Kapitalreserven hat den Vorteil, dass aus der Bilanz ersichtlich ist, dass diese Mittel nicht aus unternehmerischer Tätigkeit stammen. Nachteilig ist hingegen, dass die Kapitalreserve in ihrer Verwendbarkeit beschränkt ist (s. Abs. 2).

128

Die vorliegenden Regelungen kommen bei den übrigen Kapitalgesellschaften durch Verweis sinngemäss zur Anwendung, s. Art. 764 Abs. 2 OR für die Kommandit-Aktiengesellschaft und Art. 801 OR für die GmbH (Fassung vom 16. Dezember 2005, BBl 2005 7307; in Kraft am 1. Januar 2008).

129 Vorentwürfe und Begleitbericht zu einem Bundesgesetz über die Rechnungslegung und Revision (RRG) und zu einer Verordnung über die Zulassung von Abschlussprüfern (VZA) vom 29. Juni 1998.

130 Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkten Bundessteuern (SR 642.11), Art. 20 Abs. 3 in der Fassung nach dem Bundesgesetz über die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für unternehmerische Tätigkeiten und Investitionen (Unternehmenssteuerreformgesetz II) vom 23. März 2007, BBl 2007 2321 ff., 2323.

1659

Nach Ziffer 4 ist ein aus der Kapitalherabsetzung sich ergebender Buchgewinn ebenfalls der Kapitalreserve zuzuweisen, soweit er nicht zur Abschreibung gefährdeter Aktiven oder zu Rückstellungen für solche Aktiven verwendet wird.

Die gesetzliche Kapitalreserve darf nach Absatz 2 nur verwendet werden zur Deckung von Verlusten (Ziff. 1), für Massnahmen zur Weiterführung des Unternehmens bei schlechtem Geschäftsgang (Ziff. 2) sowie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Milderung ihrer Folgen (Ziff. 3).

Die in der Lehre umstrittene Frage, ob Agio an die Aktionärinnen und Aktionäre ausgeschüttet werden darf, wird mit dem Entwurf ablehnend entschieden. Entgegen der heutigen systemwidrigen Regelung darf das Agio zudem nicht mehr für Abschreibungen oder Wohlfahrtszwecke verwendet werden, damit der Erfolgsausweis nicht verfälscht werden kann.

Art. 671a

Aufgehoben

Die Gesellschaft muss im geltenden Recht die erworbenen eigenen Aktien als Vermögenswert unter den Aktiven bilanzieren. Gleichzeitig ist auf der Passivseite eine dem Anschaffungswert der Aktien entsprechende Reserve für eigene Aktien zu bilden. Damit soll die mit dem Erwerb verbundene Reduktion des Haftungssubstrates aufgezeigt werden. Die Aufstellung als separate Reserve ist allerdings irreführend, weil die aus der Gesellschaft abgeflossenen Mittel immer noch im vollen Umfang bilanziert werden.

Auf internationaler Ebene ist daher eine Darstellung üblich, die das wirtschaftliche Ergebnis des Erwerbs eigener Aktien besser wiedergibt: Die eigenen Aktien werden nämlich im Umfang ihres Anschaffungswerts vom Eigenkapital abgezogen.

Der Grund hierfür besteht darin, dass eigene Aktien keine Vermögenswerte darstellen, die wie Forderungen oder Waren im normalen Geschäftsverkehr veräussert werden können; das gilt grundsätzlich auch für kotierte Aktien. Zudem wird die Bilanz unnötig verlängert. Im Ergebnis widerspiegeln wichtige Kennzahlen wie die Eigenkapitalquote nicht die wirtschaftliche Realität. Wo Marktwerte bestehen, zwingt die heutige Regelung ferner zu einer laufenden Anpassung der Bewertung.

Die Regelung des Entwurfs (s. Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 Bst. e) führt zu einem Bruttoausweis: Wie bisher wird das Aktienkapital ungekürzt unter den Passiven bilanziert. Neu werden die eigenen Aktien dagegen bis zu ihrer Veräusserung vom Eigenkapital abgezogen, und zwar in der Höhe ihres Anschaffungswerts (Kaufpreis).

Die bisherige Reserve für eigene Aktien wird neu als Minusposten gezeigt und nicht mehr als separate Reserve. Diese Darstellung vermittelt den wirtschaftlichen Sachverhalt transparenter: Die für den Erwerb verwendeten Mittel sind bis zur Weiterveräusserung der eigenen Aktien weder für Ausschüttungen an die Aktionärinnen und Aktionäre noch als Haftungssubstrat für die Gläubigerinnen und Gläubiger greifbar.

Mit diesem Bruttoausweis und den notwendigen Angaben im Anhang (s. Art. 959c Abs. 2 Ziff. 4 und 5) liegen (wie im geltendem Recht) die für das Steuerrecht notwendigen Informationen vor.

Art. 671b

Aufgehoben

Es wird auf die Ausführungen vorne zu Artikel 670 OR verwiesen.

1660

Art. 672

Gesetzliche Gewinnreserve

Die Gewinnreserve umfasst sämtliche Reserven, die aus einbehaltenen Gewinnen gebildet werden. Begrifflich wird sie unterteilt in gesetzliche Gewinnreserven (Art. 672) und freiwillige Gewinnreserven (Art. 673).

Fünf Prozent des Jahresgewinnes (s. Art. 959b Abs. 2 Ziff. 10 und Abs. 3 Ziff. 7) sind nach Absatz 1 der gesetzlichen Gewinnreserve zuzuweisen. Vor der Zuweisung an die Reserve ist ein allfälliger Verlustvortrag zu decken.

Die gesetzliche Gewinnreserve ist gemäss Absatz 2 zu äufnen, bis sie die Höhe von 50 Prozent des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals erreicht. Massgebend ist neu das ausgegebene Aktienkapital; auf den Grad der Liberierung wird nicht mehr abgestellt (s. Art. 671 Abs. 1 OR des geltenden Rechts). Einerseits wird der Maximalbetrag der gesetzlichen Reserve von bisher 20 Prozent des liberierten Aktienkapitals auf neu 50 Prozent des gesamten ausgegebenen Aktienkapitals erhöht; andererseits entfällt aber die bisherige sog. zweite Zuweisung an die gesetzliche Reserve (s. Art. 671 Abs. 2 Ziff. 3 OR). Die Reservenbildung wird mit der Neuregelung also vereinfacht.

Das Partizipationskapital ist dem Aktienkapital für die Berechnung der gesetzlichen Gewinnreserven gleichgestellt (s. Art. 656b Abs. 3 Ziff. 1). Selbstverständlich ist es nach wie vor möglich, statutarisch oder durch Beschluss der GV die Höhe der Zuweisung aus dem Jahresgewinn oder die maximale Höhe der Gewinnreserve anzuheben. Dadurch wird die Ausschüttungssperre für erarbeitete Mittel erweitert.

Eine Absenkung ist hingegen nicht zulässig.

Bei Gesellschaften, deren Zweck hauptsächlich in der Beteiligung an anderen Unternehmen besteht (Holdinggesellschaften), ist die gesetzliche Gewinnreserve zu äufnen, bis sie die Höhe von 20 Prozent des eingetragenen Aktienkapitals erreicht.

Für Holdinggesellschaften bestehen bereits im geltenden Recht Erleichterungen (s. Art. 671 Abs. 4 OR), die vom Entwurf an die neue Systematik angeglichen werden.

Aufgrund des Verweises in Absatz 3 darf die gesetzliche Gewinnreserve nur zur Deckung von Verlusten, für Massnahmen zur Weiterführung des Unternehmens bei schlechtem Geschäftsgang oder zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Milderung ihrer Folgen verwendet werden (s. Art. 671 Abs. 2).

Die Dividende darf nach Absatz 4 erst festgesetzt werden, nachdem die Zuweisung an
die gesetzliche Gewinnreserve erfolgt ist.

Die bisherige Ausnahmebestimmung für konzessionierte Transportunternehmen (Art. 671 Abs. 5 OR) wird gestrichen, da schon heute entsprechende spezialgesetzliche Vorschriften dem Obligationenrecht vorgehen (s. auch Art. 957 Abs. 3).

Art. 673

Freiwillige Gewinnreserven

Die GV kann gemäss Absatz 1 in den Statuten oder durch Beschluss die Bildung zusätzlicher freiwilliger Gewinnreserven vorsehen.

Freiwillige Gewinnreserven dürfen nach Absatz 2 nur gebildet werden, wenn das dauernde Gedeihen des Unternehmens unter Berücksichtigung der Interessen aller Aktionärinnen und Aktionäre dies rechtfertigt. Die Bildung zusätzlicher Reserven ist demnach mit Blick auf den Schutz von Personen mit Minderheitsbeteiligungen nicht nach freiem Ermessen zulässig. Nicht zulässig ist die Bildung von Reserven bei1661

spielsweise dann, wenn sie unternehmensfremden Zwecken, der «Aushungerung» von Personen mit Minderheitsbeteiligungen oder einem missbräuchlichen Tiefhalten des Aktienkurses durch tiefe Dividendenausschüttungen dient. Sinnwidrig ist weiter auch die Schaffung von Reserven zum Zweck einer gleichmässigen Ausrichtung von Dividenden. Die Aktionärinnen und Aktionäre als Eigentümerinnen und Eigentümer der Gesellschaft werden durch die Schaffung und Auflösung entsprechender Reserven über den wirklichen Geschäftsverlauf getäuscht. Dies kann zur Folge haben, dass notwendige Gegenmassnahmen nicht rechtzeitig ergriffen werden.

Wie im geltenden Recht (s. Art. 674 Abs. 2 Ziff. 1 OR) ist die Bildung von Reserven zu Wiederbeschaffungszwecken zulässig, da sie dem dauernden Gedeihen des Unternehmens dient. Eine ausdrückliche Erwähnung im Gesetz ist daher nicht notwendig.

Unter Vorbehalt der Bestimmungen über die Behandlung von Verlusten regelt gemäss Absatz 3 die GV die Verwendung freiwilliger Gewinnreserven (s. nachstehend Art. 674). Die Verwendung statutarischer und beschlussmässiger Reserven richtet sich so lange nach ihrer Zweckbestimmung, als keine Verluste vorliegen.

Nach Absatz 4 darf die Dividende erst festgesetzt werden, nachdem die Zuweisung an die freiwilligen Gewinnreserven erfolgt ist.

Aufgehoben werden die Artikel 673 und 674 Absatz 3 OR betreffend die Schaffung von Reserven zu Wohlfahrtszwecken für die Beschäftigten, da solche Zuwendungen gemäss Artikel 331 Absatz 1 OR auf andere Rechtsträger (z.B. auf Personalfürsorgestiftungen) zu übertragen sind.

Art. 674

Verrechnung mit Verlusten

Verluste müssen gemäss Absatz 1 in folgender Reihenfolge verrechnet werden: mit dem Gewinnvortrag (Ziff. 1), mit freiwilligen Gewinnreserven (Ziff. 2), mit der gesetzlichen Gewinnreserve (Ziff. 3) und mit der gesetzlichen Kapitalreserve (Ziff. 4).

Anstelle der Verrechnung mit der gesetzlichen Gewinnreserve oder mit der gesetzlichen Kapitalreserve können nach Absatz 2 verbleibende Verluste teilweise oder ganz auf die neue Jahresrechnung vorgetragen werden.

2.1.13

Zwischendividenden

Art. 675a (neu) In der Praxis zeigt sich ein verstärktes Bedürfnis betreffend die Ausrichtung von Zwischen- oder Interimsdividenden. Der Entwurf bringt diesbezüglich klare rechtliche Grundlagen: Es ist vorauszusetzen, dass die Statuten die Ausrichtung von Zwischendividenden explizit vorsehen. Weiter muss die Ausrichtung durch die GV auf der Grundlage einer Zwischenbilanz beschlossen werden, die nicht älter sein darf als sechs Monate (Art. 675a Abs. 1; Art. 698 Abs. 2 Ziff. 5).

Die gesetzliche Regelung der Zwischendividende schliesst nicht aus, dass auf der Grundlage der letzten Jahresbilanz mehrere Ausschüttungen erfolgen können. Dabei handelt es sich aber nicht um Zwischendividenden, sondern um Ausschüttungen aus dem Vorjahr.

1662

Die Erstellung einer Zwischenbilanz setzt in jedem Fall eine zumindest summarische Erfolgsrechnung voraus. Ein Anhang ist erforderlich, soweit die darin enthaltenen Informationen wesentliche Auswirkungen auf die Beurteilung der Bilanz haben können. Ist die Gesellschaft verpflichtet, eine Revision durchzuführen, so muss die Zwischenbilanz vor dem Beschluss der GV ebenfalls geprüft werden (Abs. 2).

Für die Ausrichtung von Zwischendividenden sind des Weiteren die Bestimmungen zur Dividende zu beachten (Abs. 3).

2.1.14 Art. 678

Rückerstattung von ungerechtfertigten Leistungen Rückerstattung von Leistungen; Im Allgemeinen

Aktionärinnen und Aktionäre, Verwaltungsratsmitglieder und ihnen nahestehende Personen sind zur Rückerstattung ungerechtfertigt bezogener Leistungen verpflichtet. Anspruchsberechtigt ist die Gesellschaft. Zur Klage legitimiert sind aber auch die Aktionärinnen und Aktionäre. Es handelt sich bei dieser Regelung um einen Sonderfall der ungerechtfertigten Bereicherung.

Die bisherige Regelung der Rückerstattungsklage hat sich in der Praxis nichtbewährt131. Der Entwurf sieht deshalb Verbesserungen vor.

Eine operable Regelung der Rückforderungsansprüche des Unternehmens ist von Bedeutung für eine gute Corporate Governance: Das Recht auf Rückerstattung stellt ein Element der innergesellschaftlichen Kontrolle dar und dient letztlich der Wahrung der Eigentumsrechte der an einem Unternehmen beteiligten Personen. Es bezweckt insbesondere den Schutz von Personen mit Minderheitsbeteiligungen gegen materiell nicht gerechtfertigte Leistungen an Mehrheitsaktionärinnen und Mehrheitsaktionäre, die dem Verwaltungsrat angehören. Indirekt schützt die Regelung aber auch die Interessen der Gläubigerinnen und Gläubiger.

Der Kreis der zur Rückerstattung verpflichteten Personen wird auf die Mitglieder der Geschäftsleitung ausgedehnt. Neben den Mitgliedern des Verwaltungsrats müssen auch Personen des obersten Managements nach denselben Regeln zur Rückgabe ungerechtfertigter Leistungen verpflichtet werden können. Unter der Geschäftsleitung ist das oberste operative Führungsorgan zu verstehen, das hierarchisch unmittelbar dem Verwaltungsrat untergeordnet ist. Erfasst werden weiter auch Personen, die Gesellschafterinnen und Gesellschaftern, Mitgliedern des Verwaltungsrats sowie Mitgliedern der Geschäftsleitung nahestehen132.

Das geltende Recht hat für die Rückerstattung die Bösgläubigkeit des Empfängers vorausgesetzt (Art. 678 Abs. 1 OR). Auf dieses Erfordernis ist zu verzichten. Der böse Glaube ist als innerer, subjektiver Sachverhalt meist kaum nachzuweisen. Ob eine sachlich ungerechtfertigte Leistung zurückzuerstatten ist, darf daher nicht vom Nachweis der Bösgläubigkeit abhängig gemacht werden, wenn die Rückerstattungsklage nicht von vornherein ins Leere laufen soll. Mit Blick auf den Schutz des Eigentums der Gesellschaft gibt es keinen Grund, hier von den allgemeinen Regeln zur ungerechtfertigten Bereicherung abzuweichen, die ebenfalls vorsehen, dass die 131

Böckli / Huguenin / Dessemontet, Expertenbericht der Arbeitsgruppe «Corporate Governance» zur Teilrevision des Aktienrechts, Zürich 2004, S. 138 ff., 182 ff.

132 Zum Begriff der nahestehenden Personen, s. Kommentar zu Art. 634a.

1663

zu Unrecht bereicherte Person grundsätzlich auch dann zur Rückerstattung verpflichtet ist, wenn sie die Leistung im guten Glauben empfangen hat (Art. 62 Abs. 1 OR). Um den in der Vernehmlassung geäusserten Bedenken Rechnung zu tragen133, sieht der Entwurf aber vor, dass die gutgläubige Empfängerin oder der gutgläubige Empfänger die Leistung nur dann zurückerstatten muss, wenn sie oder er zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs noch bereichert ist (Abs. 3, der auf Art. 64 OR verweist).

Das geltende Recht verlangt eine Rückerstattung weiter nur unter der Voraussetzung, dass die ungerechtfertigte Leistung in einem offensichtlichen Missverhältnis zur Gegenleistung und zur wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft steht (Art. 678 Abs. 2 OR). Das Erfordernis eines offensichtlichen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ist materiell begründet, weil die Preisbildung gerichtlich nicht überprüft werden soll, solange sie Marktgrundsätzen folgt. Demgegenüber ist der Schutz des Eigentums der Gesellschaft grundsätzlich angezeigt, wenn ein evidentes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vorliegt. Eine richterliche Überprüfung soll aber nur dann möglich sein, wenn auch ein offensichtliches Missverhältnis zur Ertragslage der Gesellschaft besteht. Das geltende Recht hat in diesem Punkt auf die gesamte wirtschaftliche Lage des Unternehmens abgestellt. Dies geht jedoch zu weit, da namentlich auch die Reserven der Gesellschaft in die Beurteilung einbezogen wurden. Eine Berücksichtigung der Ertragslage erscheint sachgerechter.

Der Vorentwurf wollte gänzlich auf ein entsprechendes Kriterium verzichten. In der Vernehmlassung wurde jedoch befürchtet, dass die Rückforderungsklage in dieser Form für eine richterliche Beurteilung der Angemessenheit der Entschädigungen verwendet werden könnte.134 Der Vorentwurf sah ferner vor, dass auch Gläubigerinnen und Gläubiger zur Klageerhebung berechtigt sein sollten. Weiter wurde die Verlängerung der Verjährungsfrist auf zehn Jahre vorgeschlagen. Aufgrund der überwiegend negativen Reaktionen in der Vernehmlassung135 hält der Entwurf in diesen Punkten am geltenden Recht fest (Abs. 4 und 5).

2.1.15

Leistungspflicht des Aktionärs

Art. 680 Artikel 680 wird seiner zentralen Bedeutung gemäss verdeutlicht. Absatz 1 hält den Grundsatz fest, dass die Gesellschaft ohne gesetzliche Grundlage den Aktionärinnen und Aktionären keine Pflichten auferlegen darf. Es handelt sich bei dieser Bestimmung um eine Art Magna Charta des Aktienrechts136. Absatz 2 enthält eine Konkretisierung dieses Grundsatzes in Bezug auf die Einlagepflicht der Aktionärinnen und

133

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 15.

134 Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 15.

135 Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 15 f.

136 S. Alfred Wieland, Haben statutarische Vorkaufsrechte an Aktien obligatorische oder aktienrechtliche (dingliche) Wirkung?, SAG 27, 1954/55, 154.

1664

Aktionäre (vgl. im geltenden Recht Art. 680 Abs. 1 OR). Der bisherige Absatz 2 wird unverändert in Absatz 3 übernommen.

2.1.16 Art. 685d Abs. 2

Vinkulierung von börsenkotierten Namenaktien Voraussetzungen der Ablehnung

Den Gesellschaften soll die Möglichkeit eröffnet werden, die missbräuchliche Verwendung der Effektenleihe und ähnlicher Rechtsgeschäfte zur Einflussnahme auf die Abstimmungen und Wahlen in der GV zu verhindern. Artikel 685d Absatz 2 sieht deshalb vor, dass die Gesellschaft die Zulassung einer Erwerberin oder eines Erwerbers von vinkulierten kotierten Namenaktien zur Ausübung des Stimmrechts verweigern kann (s. Art. 685f Abs. 2), wenn sie oder er nicht erklären, dass die Aktien nicht im Rahmen eines «Leihgeschäfts» erworben wurden. Es wird somit dieselbe Regelung vorgesehen wie für Personen, die Aktien treuhänderisch erwerben. Die Bestimmung wird ferner an die Formulierung von Artikel 685d Abs. 1 angepasst, weil die Eintragung in das Aktienbuch für die materielle Rechtslage nicht konstitutiv ist.

Auf die Einführung eines generellen Verbots der Ausübung der Stimmrechte aus Beteiligungen, die durch eine Effektenleihe oder ein ähnliches Rechtsgeschäft erworben wurden, wird verzichtet, da es den Gesellschaften überlassen werden soll, zu entscheiden, inwieweit sie die Ausübung von Stimmen aus Aktien, die im Rahmen eines «Leihgeschäfts» erworben wurden, unterbinden wollen. Es soll den Publikumsgesellschaften grundsätzlich überlassen werden, ob sie von der neuen Vinkulierungsbestimmung Gebrauch machen wollen. Eine Ausnahme findet sich in Bezug auf eigene Aktien der Gesellschaft, die im Rahmen einer Effektenleihe veräussert werden. Das Stimmrecht aus diesen Aktien ruht zwingend (Art. 659a Abs. 2).

Der Entwurf sieht ­ abgesehen von der Streichung der Eintragung im Aktienbuch (Art. 686a OR) ­ keine explizite Sanktion für die Abgabe einer wahrheitswidrigen Erklärung der Erwerberin oder des Erwerbers vor. Erfolgt die Eintragung ins Aktienbuch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und nehmen die betreffenden Personen an der GV teil, sind die in der GV gefassten Beschlüsse grundsätzlich gültig gefasst. Die Anfechtungsmöglichkeit, wie sie in Artikel 659a Absatz 3 vorgesehen ist, erscheint als nicht gerechtfertigt. Anders als bei der Ausübung der Stimmen aus «ausgeliehenen» eigenen Aktien der Gesellschaft trägt das Unternehmen hier keine Mitverantwortung für das missbräuchliche Verhalten der Erwerberin oder des Erwerbers.

2.1.17

Vertretung in der Generalversammlung

Der Entwurf sieht eine Neuregelung der Vertretung in der GV vor. Die bereits heute bestehende Unterscheidung zwischen der sogenannten gewillkürten (oder bürgerlichen) Stellvertretung und der sogenannten institutionellen Stimmrechtsvertretung wird beibehalten.

Bei der gewillkürten Stellvertretung bevollmächtigt eine Aktionärin oder ein Aktionär individuell eine Privatperson mit ihrer Vertretung in der GV. Es kommen 1665

die allgemeinen Regeln des Auftragsrechts zum Zug (Art. 394 ff. OR). Bei der institu-tionellen Stimmrechtsvertretung dagegen handelt es sich um gesetzlich vorgesehene Sonderformen der Stellvertretung in der GV. Neben den auftragsrechtlichen Vorschriften kommen hier spezifische aktienrechtliche Bestimmungen zur Anwendung. Das geltende Recht kennt drei Formen der institutionellen Stimmrechtsvertretung: die Organ-, die Depot- und die unabhängige Stimmrechtsvertretung (Art. 689c ff. OR).

Die heutige Regelung der Stimmrechtsvertretung vermag unter dem Blickwinkel der Corporate Governance nicht in allen Punkten zu überzeugen. Dies gilt insbesondere für die institutionelle Stimmrechtsvertretung bei Publikumsgesellschaften. Aber auch bei privaten Gesellschaften besteht ein Handlungsbedarf.

Art. 689 Abs. 2, 689a Abs. 1bis (neu), Abs. 3 (neu), Art. 689b Abs. 2

Teilnahme an der GV; Grundsatz; Berechtigung gegenüber der Gesellschaft

Artikel 689 Absatz 2 hält als Grundsatz fest, dass die Aktionärinnen und Aktionäre entweder selber an der GV teilnehmen oder sich vertreten lassen können.

Neu kann der Verwaltungsrat vorsehen, dass anstelle einer schriftlichen Vertretungsvollmacht eine elektronische Vollmacht eingereicht werden darf (Art. 689a Abs. 1bis). Voraussetzung ist jedoch, dass diese mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen wird (Art. 14 Abs. 2bis OR)137. Generalversammlungsbeschlüsse, die unter Beteiligung ungenügend bevollmächtigter Personen gefasst werden, unterliegen der Anfechtung nach Artikel 691 Absatz 3 OR.

Mit Rücksicht auf die Bedürfnisse von Kleingesellschaften wird einerseits vorgesehen, dass der Verwaltungsrat nicht verpflichtet ist, elektronische Vollmachten entgegenzunehmen. Artikel 689a Absatz 1bis stellt in dieser Hinsicht eine lex specialis zur allgemeinen Regel von Artikel 14 Absatz 2bis OR dar. Andererseits dürfen die Aktionärinnen und Aktionäre auch nicht gezwungen werden, eine elektronische Vollmacht zu verwenden, sondern sie können weiterhin eine eigenhändig signierte Vollmacht in Papierform einreichen (Art. 14 Abs. 1 OR).

Der neue Artikel 689a Absatz 3 übernimmt wörtlich den heutigen Artikel 689b Absatz 2.

Art. 689c

In Gesellschaften mit börsenkotierten Aktien

Artikel 689c regelt die institutionelle Stimmrechtsvertretung bei kotierten Gesellschaften. Der Entwurf schafft die Organ- und die Depotvertretung ab (Abs. 1 und 5; zu den Gründen s. vorne Ziff. 1.3.2.3). Neu gibt es nur noch eine Form der institutionellen Stimmrechtsvertretung, die sogenannte unabhängige Stimmrechtsvertretung.

Absatz 5 stellt dies ausdrücklich klar.

Publikumsgesellschaften sind nach Absatz 1 verpflichtet, für jede GV eine unabhängige Stimmrechtsvertreterin oder einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter einzusetzen. Da die Unabhängigkeit für das Vertrauen der Aktionärinnen und Aktionäre wesentlich ist, muss neben der inneren, subjektiven (für Dritte kaum feststellbaren)

137

Artikel 2 und 7 des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 2003 über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Signatur (Bundesgesetz über die elektronische Signatur, ZertES), SR 943.03.

1666

Unabhängigkeit auch der äussere, objektive Anschein der Unabhängigkeit gegeben sein138.

Es steht der Gesellschaft frei, die Stimmrechtsvertreterin oder den Stimmrechtsvertreter durch die GV zu wählen. Die Wahl erfolgt diesfalls jeweils im Voraus für die nächste GV.

Nach Absatz 2 ist die Erteilung von Dauervollmachten an die unabhängige Stimmrechtsvertreterin oder den unabhängigen Stimmrechtsvertreter bei kotierten Aktien unzulässig. Diese Anordnung gewährleistet, dass eine Vertretung nicht automatisch und ohne den klaren Willen der Aktionärinnen und Aktionäre erfolgt, sich an einer bestimmten GV vertreten zu lassen. Demgegenüber sind Dauervollmachten bei der gewillkürten Stellvertretung durch Privatpersonen möglich und können dort auch sinnvoll sein (so bspw. die dauerhafte Stellvertretung der Mutter durch ihre Tochter).

Damit der wirkliche Wille der Aktionärinnen und Aktionäre bei der Entscheidbildung der Gesellschaft möglichst unverfälscht zum Ausdruck kommt, sieht Absatz 3 vor, dass die unabhängige Stimmrechtsvertreterin oder der unabhängige Stimmrechtsvertreter sich der Stimme enthalten muss, wenn sie oder er bei angekündigten Anträgen von der Vollmachtgeberin oder vom Vollmachgeber keine Weisungen zur Stimmabgabe erhalten hat. Bisher stimmte die institutionelle Stimmrechtsvertreterin oder der institutionelle Stimmrechtsvertreter bei Fehlen spezifischer Weisungen in der Regel gemäss den Anträgen des Verwaltungsrats; dies entspricht jedoch nicht ohne Weiteres dem wirklichen Willen der vertretenen Personen.

Um der neuen Regelung von Absatz 3 Rechnung zu tragen, wird Artikel 703 modifiziert. Neu beschliesst die GV mit der absoluten Mehrheit der abgegebenen Aktienstimmen, wobei Enthaltungen nicht als abgegebene Stimmen gerechnet werden.

Dies hat zur Folge, dass Enthaltungen für den Ausgang von Abstimmungen anders als bisher nicht mehr von Bedeutung sind.

Wenn unabhängige Stimmrechtsvertreterinnen und ­vertreter, die keine Weisung erhalten haben, sich der Stimme generell enthalten müssten, wäre dies im Hinblick auf nicht angekündigte Anträge, die erst in der GV gestellt werden, nicht unproblematisch. Eine zwingende Stimmenthaltung könnte dazu führen, dass in der GV gezielt neue Anträge eingereicht würden, um die Mehrheitsverhältnisse zu verändern. Absatz 4 sieht daher vor, dass die unabhängige
Stimmrechtvertreterin oder der Stimmrechtsvertreter bei nicht angekündigten Anträgen grundsätzlich dem Verwaltungsrat zustimmt. Es steht den Aktionärinnen und Aktionären jedoch offen, der unabhängigen Stimmrechtsvertreterin oder dem unabhängigen Stimmrechtsvertreter für nicht angekündigte Anträge explizit Weisungen zu erteilen, die der Regelung von Absatz 4 vorgehen. Unter nicht angekündigten Anträgen im Sinne des Entwurfs sind sämtliche Anträge zu verstehen, die in der Einladung zur GV nicht aufgeführt werden.

In der Vernehmlassung wurden die Vorschläge des Vorentwurfs kontrovers aufgenommen. Namentlich die Wirtschaftsverbände lehnen die Abschaffung der Organ-

138

Für Einzelheiten s. auch die Ausführungen zur Unabhängigkeit der Revisionsstelle in der Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Revisionspflicht im Gesellschaftsrecht) sowie zum Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung der Revisorinnen und Revisoren vom 23. Juni 2004; BBl 2004 3969 ff., 3999 f.

1667

vertretung und die Neuregelung des Weisungsrechts ab139. Es wird insbesondere geltend gemacht, dass kritische Aktionärsgruppen zu grossen Einfluss auf die Willensbildung der GV erhalten, während die schweigende Mehrheit der zufriedenen Gesellschafterinnen und Gesellschafter benachteiligt würde.

Diese Einwände vermögen jedoch nicht zu überzeugen: Bereits heute versenden zahlreiche Publikumsgesellschaften zusammen mit der Einladung zur GV Formulare zur Erteilung von Vollmachten an die unabhängige Stimmrechtsvertreterin oder den unabhängigen Stimmrechtsvertreter. Häufig sind die Vollmachtsformulare so ausgestaltet, dass die Vollmachtgeberinnen und Vollmachtgeber lediglich ankreuzen können, dass sie eine Stimmabgabe gemäss den Anträgen des Verwaltungsrats wünschen (die Anweisung zur Ausübung des Stimmrechts kann so formuliert werden, dass sie auch nicht traktandierte Anträge umfasst; s. Abs. 4). Diese Praxis zeigt, dass die Neuregelung der Stimmrechtsvertretung relativ einfach umgesetzt werden kann, wenn der Wille dazu da ist. Der Entwurf trägt zudem mit der Sonderregelung von Absatz 4 einem berechtigten Anliegen Rechnung.

Im Hinblick auf den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Aktionärinnen und Aktionären und der institutionellen Stimmrechtsvertreterin beziehungsweise dem institutionellen Stimmrechtsvertreter erscheint es als sinnvoll, dass die Vollmacht mit den Weisungen der Vertreterin oder dem Vertreter direkt zugeschickt wird und nicht vorgängig der Gesellschaft zugestellt werden muss.

Es wird ferner darauf hingewiesen, dass das Verbot der Organ- und Depotvertretung nicht auf dem Weg einer gewillkürten Stellvertretung umgangen werden darf. So würde beispielsweise die Vertretung von Depotkundinnen und -kunden durch Banken gestützt auf eine Dauervollmacht und ohne konkrete Weisung gegen Absatz 2 verstossen.

Art. 689d

In Gesellschaften ohne börsenkotierte Aktien

Private Aktiengesellschaften haben gestützt auf Absatz 1 nach wie vor die Möglichkeit, in ihren Statuten vorzusehen, dass sich die Aktionärinnen und Aktionäre nur durch eine Mitaktionärin oder einen Mitaktionär vertreten lassen können. Diese Regelung dient der Durchsetzung der statutarischen Vinkulierung: Sie erlaubt, die Einflussnahme von Personen auszuschliessen, an welche die Aktien gemäss den Statuten nicht übertragen werden können.

Macht die Gesellschaft von dieser Möglichkeit Gebrauch, so ist sie nach Absatz 2 künftig verpflichtet, auf Verlangen einer Gesellschafterin oder eines Gesellschafters eine unabhängige Stimmrechtsvertreterin oder einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu ernennen. Dadurch wird gewährleistet, dass die Aktionärinnen und Aktionäre sich in jedem Fall durch eine neutrale Person vertreten lassen können. Diese Regelung ist insbesondere in Gesellschaften mit nur wenigen Aktionären von Bedeutung, da sich sonst Aktionärinnen oder Aktionäre gezwungen sehen könnten, sich durch Personen vertreten zu lassen, die ihre Ansichten nicht teilen.

Aktionärinnen und Aktionäre haben nach Absatz 3 ein Gesuch um Bezeichnung einer unabhängigen Stimmrechtsvertreterin oder eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters bis spätestens 14 Tage vor der GV bei der Gesellschaft einzureichen.

139

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 16 f.

1668

Diese Frist berücksichtigt, dass die Einladung spätestens 20 Tage vor der GV erfolgt (Art. 700 Abs. 1; das Gesuch nach Abs. 2 und 3 kann selbstverständlich schon vor der Einladung zur GV eingereicht werden). Die Gesellschaft ihrerseits muss den Namen der unabhängigen Stimmrechtsvertreterin oder des unabhängigen Stimmrechtsvertreters nach Absatz 4 spätestens 8 Tage vor der GV allen Aktionärinnen und Aktionären schriftlich bekannt geben. Diese Fristen sind zwar knapp bemessen, da nur so eine Verschiebung der GV vermieden werden kann. Sie sind aber genügend, weil es nur einfache Fragen zu entscheiden gilt.

Es steht der Gesellschaft zudem frei, schon anlässlich der Einladung zur GV eine unabhängige Stimmrechtsvertreterin oder einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu bezeichnen. Sie kann aber auch auf die Ernennung einer unabhängigen Stimmrechtsvertreterin oder eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters verzichten und in Kauf nehmen, dass sich die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller diesfalls nach Absatz 5 durch eine beliebige Drittperson vertreten lassen darf. So ist es insbesondere auch möglich, dass eine Aktionärin oder ein Aktionär der Gesellschaft mitteilt, dass sie oder er an der Teilnahme an der GV verhindert ist und sich durch eine bestimmte Person vertreten lassen möchte, die nach den Statuten nicht zur Vertretung zugelassen ist, weil sie nicht Aktionärin ist (s. Abs. 1). Wenn die Gesellschaft damit einverstanden ist (was der Regelfall sein dürfte), so kann sie einfach auf die Bezeichnung einer unabhängigen Stimmrechtsvertreterin oder eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters verzichten (s. Abs. 5). Diese relativ einfache Lösung gewährleistet die Praxistauglichkeit der Regelung auch für kleine Gesellschaften.

Im Unterschied zu Publikumsgesellschaften können Aktionärinnen und Aktionäre der unabhängigen Stimmrechtsvertreterin oder dem unabhängigen Stimmrechtsvertreter eine Dauervollmacht erteilen (vgl. Art. 689c Abs. 2 für Gesellschaften mit börsenkotierten Aktien). Die soll namentlich den administrativen Aufwand in KMU verringern.

Art. 689e Abs. 1 erster Satz, Abs. 2 erster Satz

Bekanntgabe

Die Regelung der Bekanntgabe der institutionellen Stimmrechtsvertretung in der GV muss der Neuregelung in Artikel 689c und 698d angepasst werden.

2.1.18

Stimmrecht in der Generalversammlung

Art. 692 Abs. 3 , 693 Abs. 3 Ziff. 3­4, Ziff. 5 (neu)

Stimmrechtsaktien

Die Aktionärinnen und Aktionäre üben ihr Stimmrecht in der GV grundsätzlich nach dem Verhältnis des gesamten Nennwerts der von ihnen vertretenen Aktien aus, wobei jede Aktie zumindest über eine Stimme verfügen muss (Art. 692 Abs. 1 und 2 OR). Eine Ausnahme besteht bei der Herabsetzung des Nennwerts von Aktien bei einer Sanierung. Gemäss Artikel 692 Absatz 3 OR kann die GV in diesem Fall vorsehen, dass das Stimmrecht gemäss dem ursprünglichen Nennwert beibehalten wird. Es handelt sich dabei faktisch um eine Sonderform unechter Stimmrechtsaktien (vgl. Art. 693 OR).

Diese Privilegierung der bisherigen Aktionärinnen und Aktionäre ist jedoch nicht unproblematisch. Zum einen sind sie bei kleineren Gesellschaften häufig an der Geschäftsführung beteiligt und somit mitverantwortlich für die wirtschaftlichen 1669

Probleme des Unternehmens. Zum anderen handelt es sich bei den neuen Kapitalgebern oft um bisherige Gläubigerinnen und Gläubiger, die sich bei der Umwandlung ihrer Forderungen in Aktienkapital anlässlich einer Sanierung in einer gewissen Zwangslage befinden.

Der Entwurf verzichtet deshalb auf das sachlich fragliche und in der Aktiengesellschaft systemwidrige Ausnahmeprivileg von Artikel 692 Absatz 3 OR. Es besteht aber nach wie vor die Möglichkeit, bei der Herabsetzung des Nennwerts der Aktien im Fall der Sanierung die bisherigen Aktien in Stimmrechtsaktien im Sinne von Artikel 693 OR umzuwandeln. Der Nennwert der übrigen Aktien darf allerdings das Zehnfache des Nennwerts der Stimmrechtsaktien nicht übersteigen (Art. 693 Abs. 2 OR). Diese Lösung schafft einen besseren Interessenausgleich als die heutige Sonderbestimmung. Die Streichung von Artikel 692 Absatz 3 OR erscheint zudem auch im Hinblick auf das Erlöschen der Aktionärsrechte bei einer Kapitalherabsetzung auf Null gemäss Artikel 653q als folgerichtig. In der Vernehmlassung ist die Aufhebung der Bestimmung lediglich von einer einzigen Vernehmlassungsteilnehmerin kritisiert worden.

Die Änderungen in Artikel 693 Absatz 3 Ziffern 3 und 4 sind terminologischer Natur. Eine materielle Neuerung findet sich in Ziffer 5: Auch bei Klagen auf Rückerstattung von ungerechtfertigten Leistungen (Art. 678) soll sich das Stimmrecht zwingend nach dem Nennwert der Aktien richten. Die erhöhte Stimmkraft der Stimmrechtsaktionärinnen und Stimmrechtsaktionäre muss sachrichtigerweise ­ gleich wie bei der Verantwortlichkeitsklage (Art. 756 OR) und bei der Klage auf Einsetzung einer Sonderuntersuchung (Art. 697a OR) ­ entfallen.

2.1.19

Bekanntgabe des Geschäftsberichts

Art. 696 Abs. 3 Die Bestimmung stellt klar, dass die Aktionärinnen und Aktionäre die kostenlose Zustellung des Geschäfts- und des Revisionsberichts verlangen können. Der Vorentwurf sah für Publikumsgesellschaften zudem eine elektronische Veröffentlichung des Geschäftsberichts durch das Handelsregisteramt vor (Art. 958d Abs. 2 VE OR).

Aufgrund der überwiegend negativen Vernehmlassungsergebnisse140 verzichtet der Entwurf auf diese Form der Publikation.

2.1.20

Auskunft- und Einsichtsrecht

Das Auskunfts- und das Einsichtsrecht dienen der Informationsbeschaffung der Aktionärinnen und Aktionäre; sie stellen eine wichtige Grundlage für die Wahrung der Eigentümerinteressen der beteiligten Personen dar. Die heutige Regelung ist indessen lückenhaft und vermag nicht in allen Punkten den Anforderungen einer sachgerechten Corporate Governance zu genügen.

140

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 26.

1670

Art. 697 Randititel, Abs. 2­4

Auskunft

Der Vorentwurf sah die Einführung eines ganzjährigen schriftlichen Auskunftsrechts der Aktionärinnen und Aktionäre vor (Art. 697 Abs. 1 VE OR). In der Vernehmlassung wurde diese Neuerung teilweise kritisch beurteilt und insbesondere für Publikumsgesellschaften eine grosse administrative Mehrbelastung befürchtet141. Der Entwurf verzichtet daher auf die Einführung eines schriftlichen Auskunftsrechts für kotierte Unternehmen. Die Publizitätsvorschriften der Börse gewährleisten für diese Gesellschaften eine hinreichende Information des Aktionariats.

Anders sieht die Informationslage demgegenüber bei privaten Aktiengesellschaften aus. Namentlich Personen mit Minderheitsbeteiligungen verfügen heute über keine ausreichenden Mittel, sich die erforderliche Information während des Geschäftsjahres zu beschaffen. Die meisten privaten Gesellschaften haben nur eine eng begrenzte Anzahl von Aktionärinnen und Aktionären. Die administrative Mehrbelastung, die sich aus einem dauernden Auskunftsrecht ergibt, dürfte deshalb im Allgemeinen gering sein. Die Möglichkeit, auf schriftlichem Weg Auskünfte zu erhalten, wird zudem eine Entlastung der GV von Auskunftsbegehren bewirken. Ein dauerndes schriftliches Auskunftsrecht erscheint bei nichtkotierten Unternehmen als sachgerecht (Art. 697 Abs. 2). Demgegenüber können Fragen an die Revisionsstelle weiterhin nur während der GV gestellt werden. Da sie sachnotwendigerweise die Prüfung der Rechnungslegung am Ende des Geschäftsjahres betreffen, stellt das mündliche Auskunftsgesuch in der GV die richtige Form dar.

Die Erteilung von schriftlichen Auskünften bei privaten Gesellschaften ist an dieselben Voraussetzungen geknüpft, wie sie für das Auskunftsrecht in der GV gelten (s. Art. 697 Abs. 1 und 2 OR): Das Unternehmen kann die Auskunft verweigern, soweit sie nicht für die Ausübung der Aktionärsrechte erforderlich ist oder Geschäftsgeheimnisse oder andere vorrangige Interessen gefährdet (z.B. den Persönlichkeitsschutz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gesellschaft oder die Beachtung des Datenschutzes). Der Begriff der «vorrangigen Interessen» macht deutlich, dass Unternehmensinteressen eine Verweigerung der Auskunft nur zu rechtfertigen vermögen, wenn sie im Rahmen einer Abwägung höher einzustufen sind als die Interessen der Aktionärin oder des Aktionärs an der
Kenntnisnahme der betreffenden Tatsache (Art. 697 Abs. 3). Die Erteilung oder die Verweigerung der Auskunft liegt also nicht im freien Ermessen des Verwaltungsrats. Sind die Voraussetzungen für die Ausübung des Auskunftsrechts erfüllt und liegen keine Gründe vor, welche die Ablehnung des Gesuchs rechtfertigen, so ist die Auskunft zu erteilen.

Die Verweigerung der Auskunft ist sowohl bei mündlichen als auch bei schriftlichen Auskunftsbegehren schriftlich zu begründen. Wird die Anfrage im Rahmen der GV gestellt und die Auskunft verweigert, so hat die Gesellschaft eine schriftliche Begründung zuhanden der Antragsstellerin oder des Antragsstellers nachzuliefern (Art. 697 Abs. 3). Zudem kann jede andere Aktionärin und jeder andere Aktionär die Zustellung der Begründung verlangen und gegen die Ablehnung eines Auskunftsbegehrens den Rechtsweg beschreiten (Art. 697ter).

Der Verwaltungsrat hat nach Eingang des Auskunftsbegehrens 90 Tage Zeit, schriftlich zu antworten. Um die Gleichbehandlung aller Aktionärinnen und Aktionäre bei 141

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 18 f.

1671

der Information zu gewährleisten (Art. 717 Abs. 2 OR), müssen schriftlich erteilte Auskünfte entweder an der nächsten GV aufgelegt oder von der Gesellschaft elektronisch publiziert werden. Die Bekanntgabe der Auskunftsbegehren kann in anonymisierter Form erfolgen.

Art. 697bis (neu)

Einsicht

Das heutige Einsichtsrecht besteht grundsätzlich in unveränderter Form weiter (Abs. 1): Geschäftsbücher und Korrespondenz können mit Zustimmung der GV oder des Verwaltungsrats eingesehen werden. Die Gesellschaft ist befugt, die Einsicht aus denselben Gründen zu verweigern wie die Auskunftserteilung (Abs. 2; vgl. Art. 697 Abs. 3). Neu hält Absatz 2 ausdrücklich fest, dass die Einsicht nicht gewährt werden muss, wenn vorrangige Interessen der Gesellschaft der Einsichtsnahme entgegenstehen (der Gesetzestext erwähnt bisher nur das Geschäftsgeheimnis). Materiell ändert sich durch diese Klarstellung nichts. Der Verwaltungsrat ist beim Entscheid über die Gewährung des Einsichtsrechts an die Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft (Art. 717 Abs. 1 OR) gebunden und muss daher die Einsichtnahme verweigern, wenn vorrangige Interessen der Gesellschaft gefährdet werden.

Die Ablehnung eines Gesuchs ist vom Verwaltungsrat schriftlich zu begründen. Dies gilt auch dann, wenn die GV die Einsicht verweigert hat.

Eine Neuerung findet sich in Absatz 3: Es wird klargestellt, dass jede Aktionärin und jeder Aktionär in die Geschäftsbücher und Korrespondenz einer Konzernuntergesellschaft nehmen kann, sofern die Voraussetzungen von Absatz 2 erfüllt sind.

Bereits heute anerkennt das Bundesgericht grundsätzlich das Einsichtsrecht im Konzern. Massgebend für die Frage, wann ein Konzernverhältnis vorliegt, ist Artikel 963.

Art. 697ter (neu)

Ablehnung des Begehrens um Auskunft oder Einsicht

Wird das Gesuch um Auskunft oder Einsicht abgelehnt, so ist jede Aktionärin und jeder Aktionär wie bisher befugt (Art. 697 Abs. 4 OR), das Gericht anzurufen (Art. 697ter)142. Es handelt sich um eine eigenständige Klage, die sich sowohl gegen den Beschluss der GV als auch gegen den Entscheid des Verwaltungsrats richten kann143.

142

Die schweizerische Zivilprozessordnung, die sich zurzeit in der parlamentarischen Beratung befindet, regelt die Frage der Kostentragung (Art. 102 ff E ZPO); s. dazu Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7221, 7296 ff.

143 Anders als bei der «normalen» Anfechtungsklage betreffend Generalversammlungsbeschlüssen gemäss Artikel 706 OR ist keine Frist für die Klageerhebung vorgesehen. Die Aktionärin oder der Aktionär muss aber innert nützlicher Frist ihre beziehungsweise seine Klage einreichen (Rechtsschutzinteresse). Dasselbe gilt auch für die Anfechtung eines Verwaltungsratsbeschlusses.

1672

2.1.21

Offenlegung von Managemententschädigungen und Beteiligungsverhältnissen

Art. 697quater (neu), 697quinquies (neu), 697sexies (neu)

Besondere Informationen

Artikel 697quater entspricht grundsätzlich dem bisherigen Artikel 663bbis OR144 (in Kraft seit dem 1. Januar 2007; s. vorne Ziff. 1.3.2.1). Er regelt die Offenlegung der Vergütungen des obersten Managements bei Publikumsgesellschaften. Da der Entwurf die Rechnungslegungsvorschriften des Aktienrechts durch Artikel 957 ff.

ersetzt (s. vorne Ziff. 1.3.5.2), muss die Bestimmung verschoben werden. Zudem ist eine Vereinheitlichung der Terminologie erforderlich.

Die Bestimmung wird zudem in Absatz 1 Ziffer 2 punktuell ergänzt: Um die Transparenz zu verbessern, werden kotierte Gesellschaften verpflichtet, die vereinbarte Dauer der Verträge (insbesondere Arbeitsverträge und Aufträge) bekannt zu geben, die den Vergütungen zu Grunde liegen.

Neu ist Artikel 697quinquies. Den Aktionärinnen und Aktionären von privaten Aktiengesellschaften wird ein Auskunftsrecht betreffend die ausgerichteten Vergütungen an den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung eingeräumt. Welche Vergütungen erfasst werden, richtet sich nach Artikel 697quater. Im Hinblick auf den Schutz des Eigentums der Aktionärinnen und Aktionäre ist eine verbesserte Transparenz über die bezogenen Vergütungen gerade auch bei nicht börsenkotierten Gesellschaften von erheblicher Bedeutung. Ein offenes Fairplay stärkt zudem die Corporate Governance (s. dazu auch Ziff. 1.3.2.1).

Der Verwaltungsrat kann frei über die Form der Auskunftserteilung bestimmen (mündlich, in Briefform etc.). Nach Erhalt der Anfrage hat er 45 Tage Zeit, die gewünschte Information bereitzustellen. Es steht dem Verwaltungsrat aber auch frei, von vornherein die Höhe der Vergütungen im Geschäftsbericht den Aktionärinnen und Aktionären gegenüber offenzulegen, um allfälligen Auskunftsbegehren zuvorzukommen.

In der Vernehmlassung wurde der Vorschlag mehrheitlich positiv aufgenommen145.

Nur vereinzelt wurde die Befürchtung geäussert, dass die Regelung ­ insbesondere in Familienunternehmen ­ zu Streitigkeiten führen könnte. Gerade Personen mit Minderheitsbeteiligungen in privaten Unternehmen haben jedoch ein massgebliches und durchaus legitimes Interesse daran, die Höhe der Vergütungen der Unternehmensführung zu erfahren. Werden einerseits geringe Dividenden ausgerichtet, andererseits aber hohe Entschädigungen bezahlt, so ist für den rechtlichen Schutz des Eigentums aller an einem
Unternehmen beteiligten Personen erforderlich, dass diese auf Begehren die entsprechenden Aufschlüsse erhalten.

Die Schwelle für die Meldepflicht nach Artikel 20 des Börsengesetzes wird auf den 1. Dezember 2007 von 5 Prozent auf 3 Prozent gesenkt.146 In Artikel 697sexies Absatz 2 wird die Pflicht zur Bekanntgabe der wesentlichen Aktionäre im Anhang 144

Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Transparenz betreffend Vergütungen an Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung vom 23. Juni 2004, BBl 2004 4471; AB 2005 N 106, AB 2005 S 538.; BBl 2005 5963.

145 Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 18.

146 Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel, Änderung vom 22. Juni 2007, BBl 2007 4533., SR 954.1

1673

zur Bilanz dementsprechend angepasst. Ferner wird eine terminologische Bereinigung vorgenommen.

2.1.22

Sonderuntersuchung

Der Entwurf ersetzt den Begriff «Sonderprüfung» durch «Sonderuntersuchung», um die Natur dieses Rechtsinstituts klarer zum Ausdruck zu bringen und Assoziationen mit der Tätigkeit der Revisionsstelle zu vermeiden.

Art. 697a Abs. 2

Recht auf Einleitung einer Sonderuntersuchung; mit Genehmigung der GV

Die Änderungen sind terminologischer Natur.

Art. 697b

Bei Ablehnung durch die GV

In der Praxis haben sich die Hürden für eine Sonderuntersuchung als zu hoch erwiesen; die bisherige «Sonderprüfung» blieb weitgehend ohne Bedeutung (s. vorne Ziff. 1.3.2.1). Um den Anliegen einer verbesserten Corporate Governance Rechnung zu tragen, regelt der Entwurf die Voraussetzungen daher neu147: Lehnt die GV den Antrag auf Einleitung einer Sonderuntersuchung ab, so können Aktionärinnen und Aktionäre ein entsprechendes Gesuch beim Gericht einreichen, sofern sie (allein oder gemeinsam) eine Beteiligung vertreten, die zumindest einen der drei gesetzlich vorgesehenen Schwellenwerte erreicht. Für Publikumsgesellschaften sind folgende Schwellenwerte massgebend (Abs. 1 Ziff. 1): ­

0,5 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen;

­

Aktien im Nennwert von mindestens einer Millionen Franken.

Bei Gesellschaften ohne börsenkotierte Aktien gelten die folgenden Schwellenwerte (Abs. 1 Ziff. 2): ­

5 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen;

­

Aktien im Nennwert von mindestens 250 000 Franken.

Die Senkung der Schwellenwerte verbessert für die am Unternehmen finanziell beteiligten Personen die Möglichkeit, ihr Recht auf Durchführung einer Sonderuntersuchung auszuüben. Zur differenzierenden Festsetzung der Schwellenwerte wird auf Ziffer 1.3.2.1 verwiesen.

Das alternative Abstellen auf den Nennwert dient dem Schutz der Aktionärinnen und Aktionäre in Unternehmen mit einem relativ hohen Aktienkapital. Die Berücksichtigung des Anteils an den gesamten Stimmen ist nur für Unternehmen, die über Stimmrechtsaktien verfügen, von Bedeutung. Die Rechtsstellung der Inhaberinnen und Inhaber von Stimmrechtsaktien wird dadurch verbessert, ohne dass Personen mit Stammaktien einen Nachteil erleiden.

Der Entwurf stellt klar, dass das Gesuch für eine Sonderuntersuchung sich auf alle Fragen erstrecken darf, die im Rahmen eines Begehrens um Auskunft oder Einsicht 147

Böckli / Huguenin / Dessemontet, Expertenbericht der Arbeitsgruppe «Corporate Governance» zur Teilrevision des Aktienrechts, Zürich 2004, S. 191 ff.

1674

gestellt wurden. Ferner können auch Fragen Gegenstand des Gesuchs sein, die bei der Diskussion des Antrags auf Sonderuntersuchung in der GV zur Sprache kamen, sofern sie Gegenstand eines Auskunfts- oder Einsichtsbegehren sein können (Art. 697b Abs. 2).

Das Gericht ordnet die Sonderuntersuchung an, wenn die Gesuchstellerinnen oder Gesuchsteller glaubhaft machen, dass Gründerinnen, Gründer oder Organe das Gesetz oder die Statuten verletzt haben und dass diese Verletzung geeignet ist, die Gesellschaft oder die Aktionärinnen oder Aktionäre zu schädigen (Art. 697b Abs. 3). Blosse Behauptungen genügen dabei nicht. Vielmehr sind die verlangten Voraussetzungen hinreichend überzeugend darzulegen. Im Unterschied zum geltenden Recht wird jedoch nicht mehr verlangt, dass ein bereits eingetretener Schaden glaubhaft gemacht wird, sondern es reicht aus, dass eine Rechtsverletzung geeignet ist, einen Schaden zu bewirken. Haben Gesellschaftsorgane dem Anschein nach gegen Gesetz oder Statuten verstossen und kann dies zu einem Schaden führen, ist nicht einzusehen, weshalb mit der Durchführung einer Sonderuntersuchung zugewartet werden muss, bis der Schaden tatsächlich eingetreten ist.

Um sicherzustellen, dass das Gericht innert nützlicher Frist eine Sonderuntersuchung einleitet, sieht der Entwurf einer schweizerischen Zivilprozessordnung vor, dass das Gericht im summarischen Verfahren über das Begehren entscheidet (Art. 246 Bst. c Ziff. 8 E ZPO)148. Die Kantone sollen für die Prüfung des Antrags eine einzige kantonale Instanz bestimmen. Die Verkürzung des Instanzenzugs trägt dem Umstand Rechnung, dass die Sonderuntersuchung als mögliche Vorstufe zu einer Verantwortlichkeitsklage oder zu einer andern Aktionärsklage konzipiert ist.

Zudem muss die Sonderuntersuchung zügig durchgeführt werden, wenn damit ein drohender Schaden abgewendet werden soll. Ein langes Verfahren läuft daher dem Sinn und Zweck des Rechtsinstituts zuwider.

Art. 697c, 697d Randtitel, Abs. 2­4, 697e, 697g

Verfahren vor Gericht; Durchführung der Sonderuntersuchung; Bericht; Kosten der Sonderuntersuchung

Die Regelung zur Einleitung einer Sonderuntersuchung durch das Gericht bleibt weitgehend unverändert. Die vorgesehenen Anpassungen sind vorwiegend sprachlicher und terminologischer Natur (Art. 697c).

Materiell unverändert bleiben auch die Bestimmungen über die Durchführung der Sonderuntersuchung und den Bericht der Sachverständigen (Art. 697d und 697e).

Sämtliche Änderungen sind terminologisch oder gesetzestechnisch bedingt. Es versteht sich von selbst, dass das Gericht eine oder mehrere Personen als Sachverständige bezeichnen kann.

148

Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7221.

1675

Die heutige Regelung der Kosten der Sonderuntersuchung bleibt materiell grundsätzlich unverändert, wird aber gestrafft (Art. 697g)149: Die Gesellschaft hat in der Regel die Kosten unter Einschluss eines Kostenvorschusses zu übernehmen, gleichgültig, ob die Sonderuntersuchung von der GV oder vom Gericht angeordnet wird.

Vorbehalten bleibt dabei stets die Auferlegung der Kosten an die Gesuchstellerin oder den Gesuchsteller im Falle des Rechtsmissbrauchs. Da aber die Einleitung einer Sonderuntersuchung durch das Gericht an strenge Voraussetzungen geknüpft ist, dürfte die missbräuchliche Geltendmachung des Rechts auf Sonderprüfung selten sein.

2.1.23 Art. 697h

Offenlegung der Jahres- und Konzernrechnung Aufgehoben

Die Bestimmung wird im Rahmen der Neuregelung des Rechnungslegungsrechts aufgehoben (s. hinten Ziff. 2.2).

2.1.24

Unübertragbare Kompetenzen der Generalversammlung

Art. 698 Abs. 2, Ziffer 3 und 5­7 (neu)

Befugnisse

Die Änderung in Ziffer 3 ist rein terminologischer Natur («Lagebericht» anstelle «Jahresbericht»).

Die neue Ziffer 5 stellt klar, dass die Ausrichtung einer Zwischendividende (Art. 675a) der Genehmigung durch die GV bedarf. Ziffer 6 entspricht der bisherigen Ziffer 5 und Ziffer 7 der bisherigen Ziffer 6.

2.1.25

Einberufung der Generalversammlung und Traktandierung

Was den Kreis der Personen betrifft, die an die GV einzuladen sind, ist zu beachten, dass allfällige statutarische Sperrfristen für die Anerkennung von Aktionärinnen und Aktionären im Vorfeld zur GV so angesetzt werden müssen, dass die Teilnahme an der GV und die Ausübung des Traktandierungsrechts nicht unnötig erschwert werden. Im Unterschied zu einer neuen Richtlinie der EU150 verzichtet der Entwurf auf eine explizite Regelung im Gesetz, weil sich bereits aus Artikel 685g OR eine 149

Sowohl der geltende wie der neue Artikel 697g befasst sich nur mit den Kosten für die Durchführung des Sonderuntersuchung an sich. Nicht erfasst werden die Kosten für die Durchführung des Verfahrens auf Einleitung der Sonderuntersuchung vor Gericht. Wer für die Prozess- und Parteikosten aufkommen muss, ist heute in den kantonalen Zivilprozessordnungen geregelt. Zukünftig wird die Frage in Artikel 102 ff. E ZPO geregelt (Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7221.).

150 Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften.

1676

oberste Schranke für die Sperrfrist ergibt: Werden die Erwerberinnen und Erwerber von kotierten Aktien nicht innerhalb von 20 Tagen von der Gesellschaft abgelehnt, so gelten sie als vollberechtigte Aktionärinnen und Aktionäre151.

Art. 699 Abs. 3 und 4 sowie 5 und 6 (neu)

Einberufung und Durchführung derGV; Einberufung

Wie bei der Sonderuntersuchung (Art. 697b Abs. 1 Ziff. 1 f.; s. vorne Ziff. 1.3.2.1) sieht der Entwurf eine Herabsetzung der Schwellenwerte vor. Die Lockerung soll die Rechtsstellung der Aktionärinnen und Aktionäre im Sinne einer guten Corporate Governance stärken. Die Durchführung einer GV ist allerdings bei Grossgesellschaften mit hohen Kosten verbunden. Zudem ist die Ausübung des Einberufungsrechts ­ anders als das Recht auf Einleitung einer Sonderuntersuchung ­ nicht zusätzlich an materielle Voraussetzungen geknüpft. Die Schwelle für das Einberufungsrecht darf deshalb nicht zu tief angesetzt werden.

Bei Publikumsgesellschaften wird der Wert auf 2,5 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen festgesetzt (Abs. 3 Ziff. 1 Bst. a). Demgegenüber wird bei Gesellschaften ohne börsenkotierte Aktien mit Blick auf die Verhältnisse in KMU am bisher geltenden Schwellenwert von 10 Prozent des Aktienkapitals festgehalten (Abs. 3 Ziff. 2 Bst. a).

Sowohl bei Gesellschaften mit kotierten als auch bei Gesellschaften ohne kotierte Aktien wird neu alternativ auch auf die Beteiligungsquote an den Stimmen abgestellt; dadurch wird der Schutz der Inhaberinnen und Inhaber von Stimmrechtsaktien verbessert. Betreffend die Beteiligung an den Stimmrechten gelten die gleichen Schwellenwerte wie bei der Beteiligung am Aktienkapital (2,5 bzw. 10 Prozent).

Sowohl bei Gesellschaften mit kotierten als auch bei solchen ohne kotierte Aktien ist weiter ein alternativer Schwellenwert vorgesehen, der sich auf den Nennwert bezieht und nur für Gesellschaften mit einem relativ hohen Aktienkapital von Bedeutung ist.

Der entsprechende Grenzwert will den Schutz einer verhältnismässig bedeutenden Investition auch da gewährleisten, wo die andern Schwellenwerte nicht erreicht werden. Es wird ein Schwellenwert von einer Million Franken vorgesehen (Abs. 3 Ziff. 1 Bst. b und Ziff. 2 Bst. b).

Die Änderungen in Absatz 4 sind rein sprachlicher Natur.

Absatz 5 setzt dem Verwaltungsrat für die Einberufung einer ausserordentlichen GV neu eine Frist von 60 Tagen. Die bisherige Regelung, die lediglich verlangt, dass der Verwaltungsrat innert angemessener Frist tätig wird, ist für die Durchsetzung des Einberufungsrechts zu wenig konkret. Die Frist beginnt mit dem Eingang des Gesuchs um Durchführung einer GV zu laufen und wird durch die Zustellung
der Einladung gewahrt. Bleibt der Verwaltungsrat untätig, so erfolgt die Einberufung ­ wie bisher ­ durch das Gericht. Gemäss dem Entwurf zur Schweizerischen Zivilprozessordnung soll das Gericht ­ gleich wie bei der Einsetzung einer Sonderuntersuchung ­ im summarischen Verfahren entscheiden (Art. 246 Bst. c Ziff. 9 E ZPO152), damit die GV innert nützlicher Frist stattfinden kann.

151 152

S. Hanspeter Kläy, Die Vinkulierung, Basel 1997, S. 368 ff.

Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7221.

1677

Gemäss der neuen Regelung der Revision können Minderheitsaktionärinnen und Minderheitsaktionäre in Gesellschaften, die an sich auf eine Revision verzichtet haben, spätestens 10 Tage vor der GV dennoch die Durchführung einer eingeschränkten Revision verlangen («Opting in»; Art. 727a Abs. 4 OR153). An der ordentlichen GV ist diesfalls eine Revisionsstelle zu wählen (es sei denn, die Gesellschaft habe für diesen Fall bereits präventiv eine Revisionsstelle gewählt). Nach Absatz 6 ist anschliessend innerhalb einer Ordnungsfrist von 3 Monaten nach der ordentlichen GV eine zusätzliche GV einzuberufen, an welcher der Geschäftsbericht genehmigt wird.

Art. 699a

Traktandierung und Anträge

Die Schwellenwerte für die Traktandierung eines Verhandlungsgegenstands werden erheblich gesenkt. Da die Aufnahme eines zusätzlichen Punkts auf die Traktandenliste im Gegensatz zur Einberufung einer GV und zur Durchführung einer Sonderuntersuchung für die Gesellschaft nur mit sehr geringem Aufwand verbunden ist, setzt der Entwurf die Schwellenwerte für die Ausübung des Traktandierungsrechts tiefer an als bei den beiden andern erwähnten Aktionärsrechten. Rechtsvergleichend ist darauf hinzuweisen, dass auch in andern Ländern für die Ausübung des Traktandierungsrechts relativ tiefe Schranken gelten: So können beispielsweise in Grossbritannien 100 Aktionärinnen und Aktionäre zusammen die Traktandierung eines Gegenstands verlangen (dies unabhängig von der Höhe ihrer Beteiligung). In der Vernehmlassung waren die neuen Schwellenwerte beim Traktandierungsrecht weniger umstritten als beim Einberufungsrecht und bei der Sonderuntersuchung154.

Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Schwellenwerte für Publikumsgesellschaften und für Privatunternehmen zu differenzieren sind, weil der unterschiedlichen Struktur des Aktionariats Rechnung getragen werden muss. Nach dem Entwurf genügen bei Publikumsgesellschaften für die Ausübung des Traktandierungsrechts neu 0,25 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen oder eine Beteiligung mit einem Nennwert von einer Million Franken. Bei privaten Gesellschaften sind 2,5 Prozent des Aktienkapitals oder der Stimmen oder eine Beteiligung mit einem Nennwert von 250 000 Franken erforderlich. (Abs. 1 Ziff. 1 und 2).

Unter den gleichen Voraussetzungen können Aktionärinnen und Aktionäre nach Absatz 2 die Aufnahme von Anträgen zu Verhandlungsgegenständen in die Einladung zur Generalversammlung verlangen. Damit sich die Aktionärinnen und Aktionäre eine Meinung bilden können, ist auch eine kurze Begründung zu den Anträgen in die Einladung aufzunehmen, sofern die Antragsstellerin oder der Antragssteller dies wünscht. Der Verwaltungsrat kann die Begründung erforderlichenfalls auf das Notwendige kürzen.

Die im Gesetz vorgesehenen Hürden für die Ausübung der Aktionärsrechte können in den Statuten herabgesetzt, aber nicht erhöht werden.

Begehren um Traktandierung eines Verhandlungsgegenstands und Begehren um Aufnahme eines Antrags zu einem Verhandlungsgegenstand müssen nach Absatz 3 spätestens 50 Tage vor der GV der Gesellschaft eingereicht werden. Die gesetzliche 153 154

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7330), am 1. Januar 2008 in Kraft.

S. dazu den Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2006, S. 7 f., 20 f.

1678

Vorgabe einer klaren Frist dient der Rechtsklarheit. Die Frist muss so angesetzt werden, dass die Gesellschaft die Anträge rechtzeitig in die (noch zu druckende) Einladung zur GV aufnehmen kann (die Einladungsfrist beträgt 20 Tage; s. Art. 700 Abs. 1 und 3). Soweit das Datum der GV noch nicht feststeht, müssen Aktionärinnen und Aktionäre, die ihr Traktandierungsrecht ausüben wollen, sich erforderlichenfalls bei der Gesellschaft erkundigen. In jedem Fall können sie aber bereits vor der gesetzlichen Frist Traktandierungsbegehren für die nächste GV einreichen. Es steht den Gesellschaften frei, in den Statuten eine kürzere Frist vorzusehen, was namentlich den Bedürfnissen von Gesellschaften mit nur wenigen Aktionärinnen und Aktionären entsprechen kann. Die gesetzliche Frist darf in den Statuten aber nicht verlängert werden. Lehnt die Gesellschaft ein Begehren um Traktandierung oder um Bekanntgabe eines Antrags in der Einladung zur GV ab, so können die Aktionärinnen und Aktionäre ihren Anspruch nach Absatz 4 ­ wie bis anhin ­auf dem Rechtsweg durchsetzen. Der Entwurf für die neue Schweizerische Zivilprozessordnung sieht vor, dass die Beurteilung des Begehrens im summarischen Verfahren erfolgt (Art. 246 Bst. c Ziff. 9155). Die Festlegung einer Frist analog zu Artikel 699 Absatz 5 ist nicht notwendig, da spätestens bei Erhalt der Einladung zur GV festgestellt werden kann, ob einem eingereichten Begehren Rechnung getragen wurde.

Absatz 5 stellt klar, dass jede Aktionärin und jeder Aktionär an der GV Anträge zu den traktandierten Verhandlungsgegenständen stellen kann (s. dazu auch Art. 700 Abs. 6). Diese Regelung entspricht der gängigen Praxis. Ausserhalb des Rahmens der traktandierten Verhandlungsgegenstände können zudem die in Artikel 700 Absatz 5 erwähnten Anträge gestellt werden.

2.1.26 Art. 700

Vorbereitung der Generalversammlung Form

Um der fortschreitenden Informatisierung Rechnung zu tragen, schlägt der Entwurf in Absatz 1 vor, dass Gesellschaften die Einladung zur GV und weitere Unterlagen den Aktionärinnen und Aktionären auf elektronischem Weg zukommen lassen können. Zulässig ist auch die Übermittlung via Telefax. Voraussetzung ist allerdings das Einverständnis der betreffenden Aktionärin oder des betreffenden Aktionärs, da niemand gezwungen werden soll, sich im Kontakt mit der Gesellschaft elektronischer Mittel zu bedienen.

Die erforderliche Einwilligung der Aktionärinnen und Aktionäre kann auf verschiedene Weise eingeholt werden. Enthalten die Statuten keine entsprechenden Bestimmungen, so legt der Verwaltungsrat nach Absatz 4 die Modalitäten fest.

Die Gesellschaft trägt die Verantwortung für eine korrekte elektronische Übermittlung der Unterlagen. Treten Mängel auf, so kann das Teilnahmerecht der Aktionärinnen und Aktionäre verletzt sein (Art. 691 Abs. 3, 706 OR).

Absatz 3 sieht vor, was in der Einberufung zur GV aufgeführt sein muss. Die Bestimmung wird im Interesse der Verständlichkeit neu gegliedert. Ferner wird 155

Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7221.

1679

ausdrücklich festgehalten, dass bei Anträgen von Aktionärinnen und Aktionären eine Zusammenfassung der Begründung in der Einladung enthalten sein muss (Ziff. 3). Bei Gesellschaften mit kotierten Aktien ist in der Einladung zudem die unabhängige Stimmrechtsvertreterin oder der unabhängige Stimmrechtsvertreter sowie der prozentuale Anteil von Dispoaktien am Aktienkapital anzugeben (Ziff. 4).

Damit soll die Transparenz betreffend die Stimmrechtsverhältnisse in der GV verbessert werden.

Die Absätze 5 und 6 entsprechen den bisherigen Absätzen 3 und 4156. Die Bestimmungen bleiben unverändert.

2.1.27

Tagungsort der Generalversammlung

Die Entwicklung neuer technischer Mittel eröffnet zusätzliche Möglichkeiten für die Durchführung der GV. Bereits heute führen einzelne Gesellschaften ihre GV an verschiedenen Tagungsorten gleichzeitig durch. Mit der Verwendung der neuen Kommunikationsmittel sind aber Fragen rechtlicher Natur verbunden, die im Gesetz geklärt werden sollten (s. vorne Ziff. 1.3.4).

Art. 701a (neu), 701b (neu)

Tagungsort

Sehen die Statuten nichts anderes vor, so bestimmt der Verwaltungsrat den Ort der GV (Art. 701a Abs. 1). Der Tagungsort darf jedoch nicht so gewählt werden, dass ein wesentlicher Teil des Aktionariats an der Teilnahme gehindert wird. Andernfalls können die betreffenden Generalversammlungsbeschlüsse angefochten werden (Art. 706 OR).

Die GV darf an verschiedenen Tagungsorten parallel durchgeführt werden, sofern die Voten unmittelbar in Bild und Ton an die andern Tagungsorte übertragen werden (Art. 701a Abs. 2 und 3). Zulässig ist auch die Durchführung an mehreren Tagungsorten im Ausland.

Die Statuten oder der Verwaltungsrat haben zwingend einen Haupttagungsort zu bestimmen. Der Leiter oder die Leiterin der GV muss sich am Haupttagungsort befinden. Dasselbe gilt auch für die Revisorin beziehungsweise den Revisor und ­ falls beurkundungspflichtige Beschlüsse zu fassen sind ­ für die Urkundsperson (Art. 701a Abs. 4 Ziff. 1­3).

Die GV kann auch im Ausland stattfinden, sofern entweder die Statuten dies vorsehen oder alle Eigentümerinnen und Eigentümer der Aktien beziehungsweise ihre Vertreterinnen und Vertreter mit einem entsprechenden Tagungsort einverstanden sind (Art. 701b157). Werden die Modalitäten betreffend des Einholens der Zustimmung nicht in den Statuten geregelt, so werden sie durch den Verwaltungsrat festgelegt (Art. 701b Abs. 2). Wird ein ausländischer Tagungsort in den Statuten verankert, so können betreffende GV-Beschlüsse dennoch in krassen Fällen nichtig sein, wenn dadurch faktisch das Teilnahmerecht des Aktionariats aufgehoben oder eingeschränkt wird (Art. 706b Ziff. 1 OR). Unzulässig wäre auch die Wahl einer Verhandlungssprache, die von vornherein von der Mehrzahl der Aktionärinnen und 156 157

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7323), in Kraft am 1. Januar 2008.

Die Festlegung eines ausländischen Tagungsorts in den Statuten kann nur mit einem qualifizierten Mehr beschlossen werden (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 10).

1680

Aktionäre nicht verstanden wird. Die Vorschriften betreffend eine Mehrzahl von Tagungsorten finden auch Anwendung, wenn der Haupttagungsort im Ausland liegt.

Findet die GV im Ausland statt und werden Beschlüsse gefasst, die der öffentlichen Beurkundung unterliegen, so kommt der neue Artikel 25 HRegV158 zur Anwendung.

2.1.28

Verwendung elektronischer Mittel

Art. 701c (neu)

Verwendung elektronischer Mittel; Ausübung der Aktionärsrechte

Aktionärinnen und Aktionäre sollen inskünftig mittels elektronischer Medien aus Distanz an der GV teilnehmen können, sofern die Statuten dies ausdrücklich zulassen. Angesprochen wird damit in erster Linie die Übertragung der GV vom Tagungsort übers Internet oder auf andere Weise, so dass ortsabwesende Personen auf elektronischem Weg aktiv an der GV teilnehmen können. Denkbar ist auch die Durchführung einer Versammlung unter Nutzung von Bildtelefonen. Der Einsatz dieser neuen Technologien trägt unter anderem der verstärkten Globalisierung des Aktionariats Rechnung.

Die Voten der aus Distanz teilnehmenden Aktionärinnen und Aktionäre müssen an den Tagungsort übertragen werden (Ziff. 3). Zudem muss sichergestellt sein, dass die Identität der teilnehmenden und der votierenden Personen eindeutig feststeht und die Abstimmungsergebnisse nicht verfälscht werden (Art. 701e). Der Verwaltungsrat trägt dafür die Verantwortung und haftet im Schadensfall (Art. 754 OR).

Die Gesellschaften sind nicht verpflichtet, die Teilnahme an der GV aus Distanz zu zulassen. Die Verwendung der entsprechenden elektronischen Mittel sowie die Gewährleistung einer ausreichenden Identifikation von ortsabwesenden Aktionärinnen und Aktionäre ist mit einem gewissen Aufwand verbunden, dies namentlich für Unternehmen mit einem grossen Aktionariat. Es soll deshalb den Gesellschaften überlassen bleiben zu entscheiden, inwieweit sie sich der neuen Kommunikationsmittel bedienen wollen.

Art. 701d (neu)

Elektronische GV

Auch die Durchführung einer rein elektronischen GV soll möglich sein. Darunter ist eine sogenannte virtuelle oder Cyber-Generalversammlung verstehen, bei der kein räumlicher Tagungsort mehr besteht. Auch hier sind die Vorgaben von Artikel 701e einzuhalten. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen in der Lage sein, die Voten der andern Beteiligten mitzuverfolgen. Zudem setzt die Durchführung einer solchen GV voraus, dass sämtliche Aktionärinnen und Aktionäre oder deren Vertreterinnen oder Vertreter zustimmen. Eine elektronische GV ist allerdings ausgeschlossen, wenn die zu fassenden Beschlüsse öffentlich zu beurkunden sind. Die Grundprinzipien der öffentlichen Beurkundung lassen eine Verurkundung ohne räumlichen Tagungsort nicht zu (dies folgt namentlich aus den Prinzipien der Einheit des Beurkundungsakts und der Einheit des Orts159).

158 159

Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.)

S. Christian Brückner, Schweizerisches Beurkundungsrecht, Zürich 1993, RZ 2047 ff.; Peter Ruf, Notariatsrecht, Langenthal 1995, RZ 1477 ff.

1681

Sehen die Statuten keine Regelung vor, so ist es am Verwaltungsrat zu bestimmen, wie und in welcher Form die Zustimmung der Aktionärinnen und Aktionäre zur Durchführung einer elektronischen GV eingeholt wird. Fehlt es an der erforderlichen Einwilligung und wird dadurch das Recht auf Teilnahme an der GV verletzt, so sind die Beschlüsse nichtig (Art. 706b Ziff. 1 OR).

In der Vernehmlassung wurde der Wunsch geäussert, dass die Durchführung einer elektronischen GV nicht an die Zustimmung aller Aktionärinnen und Aktionäre geknüpft wird160. Ein qualifiziertes Mehr solle genügen. Zwar würde dies Gesellschaften mit einem grossen Aktionariat ermöglichen, auf einen räumlichen Tagungsort zu verzichten. Das Teilnahmerecht an der GV gehört aber zu den absolut zentralen Aktionärsrechten. Es erscheint daher nicht vertretbar, Aktionärinnen und Aktionäre ohne Zugang zum Internet von der Partizipation an der GV auszuschliessen.

Art. 701e (neu)

Voraussetzungen für die Verwendung elektronischer Mittel

Diese Bestimmung regelt die Voraussetzungen der Verwendung elektronischer Mittel bei der Durchführung der GV. Gemäss dem Unmittelbarkeitsprinzip sollen sich die Aktionärinnen und Aktionäre ihre Meinung gestützt auf die Voten des Verwaltungsrats und der Mitaktionärinnen und Mitaktionäre bilden können. Es muss daher sichergestellt werden, dass jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer sich aktiv an der GV beteiligen und Anträge stellen kann (Ziff. 2).

Art. 701f (neu)

Technische Probleme

Kann die GV aufgrund von technischen Problemen nicht in der vom Gesetz oder den Statuten vorgesehenen Form durchgeführt werden, ist sie zu wiederholen (Abs. 1).

Die in Artikel 700 Absatz 1 vorgesehene Frist zur Einladung zur GV ist diesfalls nicht zu beachten. Es genügt, wenn das Datum für die GV so angesetzt wird, dass die Mehrheit der Aktionärinnen und Aktionäre nicht von vornherein von der Teilnahme ausgeschlossen ist.

Verhandlungsgegenstände, die vor dem Auftreten der technischen Schwierigkeiten behandelt wurden, müssen nicht nochmals traktandiert werden. Die entsprechenden Beschlüsse sind grundsätzlich rechtsgültig zustande gekommen (Abs. 2); eine allfällige Anfechtung bleibt dabei vorbehalten.

Sind technische Probleme aufgetreten, so muss die Abstimmung oder Wahl in jedem Fall wiederholt werden. Die Gesellschaft kann sich von dieser Pflicht nicht mit dem Nachweis befreien, dass die technischen Probleme keinen Einfluss auf das Abstimmungs- oder Wahlresultat gehabt haben. Das Aktionariat hat einen unverzichtbaren Anspruch darauf, dass die im Gesetz vorgesehen Abstimmungen und Wahlen auch wirklich durchgeführt werden.

160

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 22.

1682

2.1.29

Durchführung der Generalversammlung

Art. 702 Abs. 2 und 3

Vorbereitende Massnahmen; Protokoll

Die Revision von Artikel 702 betreffend den Inhalt des Protokolls der GV trägt der Neuregelung der Stimmrechtsvertretung Rechnung (Abs. 2 Ziff. 1, 689 ff. Im Protokoll wiederzugeben sind u.a. die Beschlüsse und Wahlergebnisse unter Angabe der Stimmverhältnisse. Weitere Änderungen stehen in Zusammenhang mit der Zulassung elektronischer Medien bei der Durchführung der GV (Art. 701c ff.). So muss das Protokoll Angaben enthalten über die allfällige Verwendung elektronischer Mittel, die Anzahl elektronisch abgegebener Stimmen und das Auftreten technischer Probleme bei der Durchführung der GV (Abs. 2 Ziff. 5 und 7). Wird auf einen räumlichen Tagungsort verzichtet und eine elektronische GV durchgeführt, so ist im Protokoll festzuhalten, dass die Zustimmung aller Aktionärinnen und Aktionäre bzw. ihrer Vertreterinnen oder Vertreter vorliegt (Abs. 2 Ziff. 6).

Ferner stellt Absatz 2 Ziffer 3 klar, dass Auskunftsbegehren und die darauf erteilten Antworten nur im Protokoll aufzuführen sind, wenn die Fragen in der GV behandelt wurden. Schriftliche Auskunftsbegehren im Sinne von Artikel 697 Absatz 2 werden demnach nicht erfasst.

Für das Einsichtsrecht der Gesellschafterinnen und Gesellschafter ins Protokoll der GV ist den technischen Entwicklungen Rechnung zu tragen: Den Aktionärinnen und Aktionären ist das Protokoll innert 20 Tagen nach der Durchführung der GV entweder auf elektronischem Weg zugänglich zu machen, oder es ist Ihnen auf ihren Wunsch hin zu zustellen. Die Versendung kann gegebenenfalls auch per E-Mail erfolgen. Die Gesellschaft trägt die Kosten (Abs. 3).

Art. 702a

Teilnahme der Mitglieder des Verwaltungsrats

Nach Artikel 707 OR161 müssen die Mitglieder des Verwaltungsrats nicht mehr Aktionärinnen oder Aktionäre sein. Die vorliegende Bestimmung stellt nun klar, dass die Mitglieder des Verwaltungsrates, die über keine Aktien der Gesellschaft verfügen, dennoch an einer Universalversammlung teilnehmen dürfen (Art. 701 OR). Die Universalversammlung kann jedoch ohne ihre Zustimmung einberufen werden. Die Mitglieder des Verwaltungsrats müssen nicht zwingend an der GV teilnehmen.

Ist die oder der Vorsitzende des Verwaltungsrats nicht anwesend, so betraut die GV ein anderes Verwaltungsratsmitglied mit der Leitung der GV. Nimmt kein Mitglied des Verwaltungsrats an der Universalversammlung teil, so überträgt die GV den Vorsitz einer Aktionärin oder einem Aktionär.

Art. 703, 704 Abs. 1 und 2, 704a (neu)

Beschlussfassung und Wahlen; Wichtige Beschlüsse; Umwandlung von Inhaber- in Namenaktien

Artikel 703 wird im Hinblick auf die Neuregelung des Weisungsrechts bei der institutionellen Stimmrechtsvertretung (Art. 689c f.; siehe vorne Ziff. 1.3.2.3) geändert: Massgebend sind nicht mehr die vertretenen, sondern die abgegebenen Aktien161

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7324), in Kraft am 1. Januar 2008.

1683

stimmen. Der neue Absatz 2 ist zwingender Natur: Enthaltungen werden nie zu den abgegebenen Aktienstimmen gezählt.

Der Ingress von Artikel 704 Absatz 1 wird an Artikel 703 angeglichen. Auch hier wird zukünftig auf die abgegebenen Stimmen abgestellt. Der Ausdruck «absolut» wird gestrichen, da bei Abstimmungen über Sachthemen kein Unterschied zwischen dem Begriff der «absoluten Mehrheit» und demjenigen der «einfachen Mehrheit» besteht. Das absolute Mehr ist nur bei Wahlen von Bedeutung. Für die Wahl von Verwaltungsratsmitgliedern sowie der Verwaltungsratspräsidentin oder des Verwaltungsratpräsidenten genügt aber das einfache Mehr nach Artikel 703. Dasselbe gilt für die Wahl der Revisionsstelle.

Die Aufzählung der Beschlüsse, die ein qualifiziertes Mehr voraussetzen, wird der Gesetzessystematik angepasst und ergänzt (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 1­12): Neu aufgeführt werden das Zusammenlegen von kotierten Aktien (Ziff. 2), die Einlage durch Verrechnung (Ziff. 3), die Einführung eines Kapitalbands (Ziff. 5), die Umwandlung von Partizipationsscheinen in Aktien (Ziff. 6), die Einführung eines obligatorischen Genehmigungsvorbehalts der GV nach Artikel 716b (Ziff. 9) und die Festlegung eines ausländischen Tagungsorts der GV in den Statuten (Ziff. 10).

Klargestellt wird ferner, dass Statutenbestimmungen, die nur mit qualifiziertem Mehr beschlossen werden können, auch nur mit qualifiziertem Mehr aufgehoben werden dürfen (Art. 704 Abs. 2). Andernfalls könnten statutarische Klauseln, die zum Schutz von Personen mit Minderheitsbeteiligungen für bestimmte Beschlüsse ein qualifiziertes Quorum vorsehen, durch ein einfaches Mehr wieder gestrichen werden; statutarische Quoren würden dadurch im Ergebnis gegenstandslos.

Bei Publikumsgesellschaften mit einem hohen Bestand an Dispoaktien kann es sich ergeben, dass statutarische Quoren, die nicht auf die an der GV vertretenen Aktienstimmen, sondern auf das gesamte Aktienkapital Bezug nehmen, de facto nicht mehr erreicht werden können (s. vorne Ziff. 1.3.3.5). In einem solchen Fall ist es Sache des Gerichts, die entsprechende Statutenklausel ungültig zu erklären162.

Der Beschluss zur Umwandlung von Inhaber- in Namenaktien erfolgt mit dem einfachen Mehr gemäss Artikel 704a. Die Statuten dürfen neu kein erhöhtes Quorum für eine entsprechende Statutenänderung mehr vorsehen. Bisherige
statutarische Quoren entfallen nach Ablauf der Frist zur Anpassung der Statuten an das revidierte Recht (s. Art. 2 E Ueb.Best). Diese Regelung will die Umwandlung von Inhaber- in Nameaktien erleichtern (zu den Gründen s. vorne Ziff. 1.3.3.4). Weiter ist es nicht mehr erforderlich, dass die Statuten die Umwandlung von Inhaberaktien in Namenaktien explizit vorsehen (Art. 627 Ziff. 7 OR wird gestrichen).

Art. 706a Abs. 3

Aufgehoben

Artikel 706a Absatz. 3 wird aufgehoben, da die Bestimmung durch die geplante schweizerische Zivilprozessordnung ihre Bedeutung verliert (Art. 105 E ZPO163).

162 163

S. den gestützt auf das alte Aktienrecht ergangene BGE 117 II 290 ff., 314 f.

Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7221 ff.

1684

2.1.30 Art. 707

Der Verwaltungsrat Im Allgemeinen; Wählbarkeit

Die Anpassungen in Artikel 707 Absätze 1 und 2 dienen der Klarstellung. Materiell ändert sich nichts. Absatz 2 hält fest, dass juristische Personen oder Handelsgesellschaften sich durch eine natürliche Person im Verwaltungsrat einer Gesellschaft vertreten lassen können. Aus diesem Vertretungsverhältnis ergibt sich, dass die Vertreterin oder der Vertreter die Auftraggeberin über die Arbeit des Verwaltungsrats informieren darf. Die persönliche Verantwortlichkeit der Mitglieder des Verwaltungsrats wird dadurch nicht berührt. Absatz 2 wird beibehalten, obwohl Vertreterinnen und Vertreter keine Pflichtaktie mehr besitzen müssen, weil mit dieser Bestimmung das besondere Rechtsverhältnis der Vertretung juristischer Personen im Verwaltungsrat angesprochen wird.

Art. 710 Randtitel , Abs. 1

Wahl und Amtsdauer

Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Corporate Governance leistet die Neuregelung der Amtsdauer der Verwaltungsratsmitglieder (Art. 710 Abs. 1.; s. vorne Ziff. 1.3.2.2). Inskünftig soll sich der Verwaltungsrat jährlich zur Wahl durch die GV stellen müssen. Die Mitglieder sind einzeln zu wählen. Eine Wahl in corpore ist ausgeschlossen. Die Wiederwahl bleibt selbstverständlich möglich (Art. 710 Abs. 2 OR). Das Aktionariat erhält damit die Möglichkeit, jedes Jahr die Leistung der Verwaltungsratsmitglieder individuell zu «bewerten». Insbesondere kann es auf diese Weise indirekt zur Höhe der Vergütungen an den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung Stellung nehmen.

Während die Einzelwahl in der Vernehmlassung nur beschränkt kritisiert wurde, ist die jährliche Wiederwahl auf teilweise heftigen Widerstand gestossen. Namentlich wurde befürchtet, dass die Arbeit des Verwaltungsrats qualitativ Schaden nehmen könnte, da es an der erforderlichen Kontinuität fehle. Eine einjährige Amtsdauer sei im Hinblick auf die Einarbeitungszeit eines neuen Mitglieds des Verwaltungsrats zu kurz164.

Die Abwahl eines Verwaltungsratsmitglieds durch die GV dürfte jedoch nur ausnahmsweise erfolgen; die Kontinuität der Arbeit wird dadurch im Allgemeinen nicht berührt. Es liegt durchaus im Interesse des Aktionariats, einen gut funktionierenden Verwaltungsrat im Amt zu bestätigen. Die jährliche Wiederwahl wird nur in Problemfällen effektiv zu einer Änderung der Zusammensetzung des Verwaltungsrats führen; gerade hier ist sie aber nötig.

Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3

Unübertragbare Aufgaben

Die Änderungen in Artikel 716a Absatz 1 Ziffer 3 sind ausschliesslich terminologischer Natur. Dadurch wird die neue Fassung von Ziffer 3 partiell an den Wortlaut von Artikel 1 der Geschäftsbücherverordnung165 angeglichen.

164

Ergebnisbericht betr. die Zusammenfassung der Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 22 f.

165 Verordnung vom 24. April 2002 über die Führung und Aufbewahrung der Geschäftsbücher (Geschäftsbücherverordnung; GeBüV); SR 221.431.

1685

Art. 716b

Genehmigung durch die Generalversammlung

Der Entwurf ermöglicht, in den Statuten vorzusehen, dass bestimmte Entscheide des Verwaltungsrats der GV zur Genehmigung unterbreitet werden müssen (Abs. 1). Die Einführung eines entsprechenden Genehmigungsvorbehalts bedarf eines qualifizierten Mehrs (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 9). Die Statuten müssen die vom Genehmigungsvorbehalt erfassten Entscheide unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit möglichst genau umschreiben. Im Zweifelsfalle gelten Entscheide des Verwaltungsrats entsprechend der gesetzlichen Grundordnung des Aktienrechts als nicht genehmigungsbedürftig (dies entspricht auch dem Grundsatz in dubio contra stipulatorem).

Aus Gründen der Verantwortlichkeit wird nur eine Genehmigungskompetenz der GV vorgesehen. Der Verwaltungsrat muss ihr in jedem Fall einen Antrag stellen.

Die GV kann in der Folge nur diesen Antrag genehmigen oder ablehnen, nicht dagegen einen anderen Entscheid fällen. In kleinen Gesellschaften kann es aber im Rahmen der GV ohne Weiteres zu einem spontanen Hin und Her zwischen Verwaltungsrat und dem Aktionariat kommen.

Im Unterschied zur GmbH ist es bei der AG nicht möglich, dass der Verwaltungsrat freiwillig von sich aus beliebige Entscheide der GV vorlegen kann (sog. fakultativer Genehmigungsvorbehalt). Die sehr weitgehende Gestaltungsmöglichkeit ist Ausdruck der flexiblen, personenbezogenen Organisationsstruktur der GmbH166. Bei der AG ist die Geschäftsführung demgegenüber klarer von den Funktionen der GV zu trennen. Eine inhaltlich flexible Kompetenzverschiebung ad hoc vom Verwaltungsrat zur GV ist mit der Struktur der AG nicht vereinbar. Wo in der Praxis entsprechende Bedürfnisse bestehen, ist die dafür besser geeignete Rechtsform der GmbH zu wählen.

Absatz 1 hält fest, dass bestimmte Entscheide des Verwaltungsrats nicht der Genehmigung durch die GV unterstellt werden können. Es geht dabei um Beschlüsse, die naturgemäss durch den Verwaltungsrat als Geschäftsführungsorgan wahrgenommen werden müssen (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3­7 OR).

Werden bestimmte Beschlüsse des Verwaltungsrats dem Erfordernis der Genehmigung der GV unterstellt, so können die Aktionärinnen und Aktionäre nur dann einen sachgerechten Beschluss fällen, wenn sie über ausreichende Informationen verfügen.

Der Verwaltungsrat muss der GV deshalb aus sachlichen Gründen zwingend alle entscheidrelevanten
Tatsachen darlegen (Abs. 2). Je nach den konkreten Gegebenheiten kann dies allerdings mit negativen Konsequenzen verbunden sein, weil das Aktionariat ­ anders als der Verwaltungsrat ­ keiner Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft unterliegt. Es besteht somit unter anderem die Gefahr, dass wichtige Informationen nach Aussen gelangen. Die Aufnahme eines Genehmigungsvorbehaltes in die Statuten ist daher nicht unproblematisch und will stets wohl erwogen sein.

Dennoch erscheint es sinnvoll, den Gesellschaften diese Gestaltungsmöglichkeit zur Verfügung zu stellen.

Die Genehmigung der GV hat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Haftung des Verwaltungsrats (Abs. 3): Schädigt ein Beschluss des Verwaltungsrats die Gesellschaft adäquat kausal und handelt der Verwaltungsrat schuldhaft, so hat er für den Schaden grundsätzlich auch dann einzustehen, wenn die GV seinen Beschluss 166

S. dazu Botschaft zur Revision des Obligationenrechts vom 19. Dezember 2001 (GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts- Handelsregister- und Firmenrecht; BBl 2002 3148 3213 f.

1686

genehmigt hat. Je nach den konkreten Umständen kann dem Genehmigungsbeschluss der GV aber die Wirkung eines Entlastungsbeschlusses gemäss Artikel 758 OR zukommen. Die Genehmigung zeitigt jedoch nur gesellschaftsintern und nur in Bezug auf offengelegte Tatsachen Wirkung167. Was die Rechte Dritter betrifft, bleibt die Genehmigung grundsätzlich ohne Bedeutung. Allfällige Ansprüche der Gläubigerinnen und Gläubiger werden dadurch also nicht berührt.

Die GV haftet grundsätzlich nicht für ihre Beschlüsse. Dies gilt auch für Genehmigungsbeschlüsse gemäss Artikel 716b. Es sei aber darauf hingewiesen, dass in Ausnahmefällen die an der GV teilnehmenden Aktionärinnen und Aktionäre zu faktischen Organen im Sinne der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit werden können, wenn sie Aufgaben des Verwaltungsrats übernehmen und funktional an dessen Stelle treten.

Art. 716c (neu)

Übertragung der Geschäftsführung

Die Bestimmung betreffend die Übertragung der Geschäftsführung (bisher Art. 716b OR) wird nach hinten verschoben (Art. 716c).

Die Bestimmung über das Organisationsreglement wird neu strukturiert und in materieller Hinsicht ergänzt. Die innere Organisation der Geschäftsführung und allfälliger Verwaltungsratsausschüsse sind im Organisationsreglement aufzuführen (Art. 716c Abs. 2 Ziff. 1). Ferner hat das Reglement die wichtigen Geschäfte aufzulisten, die der Genehmigung durch den Verwaltungsrat unterliegen (Art. 716c Abs. 2 Ziff. 4). Absatz 2 umschreibt den zwingenden Mindestinhalt des Organisationsreglements. Fakultativ können zusätzliche Punkte aufgenommen werden.

Der Verwaltungsrat muss jede Aktionärin und jeden Aktionär auf Wunsch schriftlich über die Organisation der Geschäftsführung orientieren; ein Nachweis besonderer Interessen ist dafür nicht erforderlich. Der Informationsanspruch bezieht sich jedoch nur auf Tatsachen, die Teil des zwingenden Inhalts des Organisationsreglements sind (s. Art. 716c Abs. 2). Dadurch soll verhindert werden, dass die Unternehmen sich im Organisationsreglement nur auf das absolut Notwendige beschränken, um bestimmte Informationen nicht offenlegen zu müssen. Auch Gläubigerinnen und Gläubiger der Gesellschaft haben einen Informationsanspruch; sie müssen allerdings ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft machen (Art. 716c Abs. 4).

Art. 717a (neu)

Interessenkonflikte

Eine wichtige Neuerung für eine gute Corporate Governance findet sich in Artikel 717a, der sich mit Interessenkonflikten im Verwaltungsrat und in der obersten Geschäftsleitung befasst. Da eine entsprechende Bestimmung im geltenden Recht fehlt, wurde bisher versucht, die Frage von Interessenskonflikten unter Beizug der Vorschriften zur Treuepflicht des Verwaltungsrats und zur arbeitsvertraglichen Treuepflicht zu lösen (Art. 321a und 717 Abs. 1 OR). Der Entwurf hält neu ausdrücklich fest, dass Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung die Präsidentin oder den Präsidenten des Verwaltungsrats unverzüglich und vollständig über Interessenkonflikte informieren müssen (Abs. 1). Geschäftleitungsmitglieder sind aufgrund arbeitsrechtlicher Bestimmungen überdies verpflichtet (Art. 321a 167

S. für die GmbH Forstmoser / Peyer, Die Einwirkung der Gesellschafterversammlung auf geschäftsführende Entscheide in der GmbH, SJZ 103 (2007) S. 429 ff., S. 430 f.

1687

Abs. 1 OR), die Vorsitzende oder den Vorsitzenden der Geschäftleitung über das Problem in Kenntnis zu setzen. Die Vorsitzende oder der Vorsitzende des Verwaltungsrats wendet sich bei eigenen Interessenkonflikten an ihre oder seine Stellvertreterin beziehungsweise ihren oder seinen Stellvertreter.

Ein Interessenkonflikt kann auch dadurch bestehen, dass das Organmitglied in einer engen Beziehung zu einem Dritten steht, der mit der Gesellschaft geschäftliche Beziehungen knüpft.

Der Verwaltungsrat ist verpflichtet, die nötigen Massnahmen zur Wahrung der Interessen der Gesellschaft zu ergreifen (Abs. 3)168. Selbstverständlich darf das betreffende Verwaltungsratsmitglied an der Beschlussfassung nicht teilnehmen. Dies gilt auch für den Beschluss des Verwaltungsrats, ob überhaupt Massnahmen einzuleiten sind. Der Ausstand kann die Beratung des Geschäfts und die Beschlussfassung oder in weniger gravierenden Fällen nur die Abstimmung umfassen. Verfügt die betroffene Person beispielsweise als einzige über das erforderliche Sachwissen, um das Geschäft zu beurteilen, kann es nötig sein, dass sie an der Beratung teilnimmt und lediglich bei der Abstimmung in Ausstand tritt.

Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsmitglieder sind aufgrund der aktienrechtlichen Treuepflicht (Art. 717 OR) gehalten, das Auftreten von Interessenskonflikten so weit wie möglich zu vermeiden.

Organmitglieder, welche die Gesellschaft aufgrund eines fehlerhaften Umgangs mit einem Interessenkonflikt schädigen, haften gestützt auf Artikel 754 OR. Dies gilt insbesondere auch für die Mitglieder des Verwaltungsrates, wenn dieser entgegen Artikel 717 Absatz 3 untätig bleibt, obwohl er von einem Interessenkonflikt Kenntnis hat.

Art. 717b (neu)

Verbot gegenseitiger Einflussnahme

Artikel 663bbis OR169 verlangt in Gesellschaften mit kotierten Aktien die Offenlegung der Vergütungen an Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung im Anhang zur Bilanz. Es braucht aber weitere rechtliche Vorgaben, um Missbräuche bei der Festsetzung der Vergütungen zu verhindern.

In der Praxis kommt es vor, dass bestimmte Personen gleichzeitig den Verwaltungsräten oder der Geschäftsleitung mehrerer börsekotierter Unternehmen angehören und wechselseitig Einfluss auf die Höhe ihrer Vergütungen nehmen. Der Entwurf will dies unterbinden. Der Verwaltungsrat muss sicherstellen, dass eine derartige gegenseitige Abhängigkeit einzelner Personen bei der Festsetzung ihrer Entschädigungen ausgeschlossen ist (Abs. 1). Es handelt sich dabei aus Praktikabilitätsgründen um keine Wählbarkeitsvoraussetzung. Unzulässig ist aber die gegenseitige Einflussnahme, d.h. die Mitwirkung betroffener Personen bei Beschlüssen über die Höhe der Vergütungen. Dabei ist die Art der Beeinflussung der Festsetzung der Entschädigungen ohne Belang. Unterbunden werden soll insbesondere die kreuzweise Einsitznahme in den Entschädigungsausschüssen der Unternehmen. Werden Entschädigungen unter Missachtung dieser Vorschrift festgesetzt, so sind Beschlüsse 168

S. dazu Böckli / Huguenin / Dessemontet, Expertenbericht der Arbeitsgruppe «Corporate Governance» zur Teilrevision des Aktienrechts, Zürich 2004,S. 208 f.

169 In Kraft seit dem 1. Januar 2007. S. dazu Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Transparenz betreffend Vergütungen an Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung) vom 23. Juni 2004, BBl 2004 4471.

1688

nichtig (Abs. 2). Diesfalls kommen die Bestimmungen über die ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 62 ff. OR) zur Anwendung (liegt ein offensichtliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, so steht auch die Klage auf Rückerstattung ungerechtfertigter Leistungen zur Verfügung; Art. 678). Allenfalls kann weiter die Haftung der Gesellschaftsorgane (Art. 754 OR) gegeben sein. Bei Interessenkonflikten ist ferner auch Artikel 717a zu beachten.

Auf die Einführung einer entsprechenden Bestimmung bei privaten Aktiengesellschaften wird verzichtet, weil bei einem beschränkten Kreis von Personen, die an einem Unternehmen beteiligt sind, eine Einsitznahme derselben Aktionärinnen und Aktionäre in die Verwaltungsräte verschiedener verbundener Unternehmen sachlich erforderlich sein kann, so insbesondere in Familiengesellschaften. Auch hier muss die Transparenz betreffend die Vergütungen aber verbessert werden (s. dazu Art. 697quinquies).

2.1.31

Haftung für Organe

Art. 722 Randtitel

Haftung für Organe

Anlässlich der Revision des GmbH-Rechts wurde die deutschsprachige Marginalie von «Organhaftung» in «Haftung der Organe» geändert. Die Bestimmung statuiert jedoch nicht eine Haftung der Organe, sondern eine Haftung der Gesellschaft. Der Randtitel ist somit nach wie vor missverständlich und wird daher der besser zutreffenden französischen und italienischen Fassung angepasst. Die neue Formulierung nimmt auf die haftungsbegründenden Personen Bezug.

2.1.32

Anzeigepflichten und Konkurs

Die Vorschriften betreffend den Kapitalverlust und die Überschuldung der Gesellschaft werden verdeutlicht, an die Neuordnung der Reserven angepasst und um eine Ordnung des Vorgehens bei Zahlungsunfähigkeit ergänzt. Da zusätzliche Regelungsinhalte aufgenommen werden, wird der bisherige Artikel 725 zum Zweck der besseren Verständlichkeit auf mehrere Bestimmungen aufgeteilt. Die Grundzüge der heutigen Regelung bleiben aber unverändert.

Art. 725

Kapitalverlust

Die Bestimmung wird aus dem geltenden Artikel 725 Absatz 1 übernommen. Die Änderungen sind rein sprachlicher und terminologischer Natur.

Besteht ein Kapitalband (Art. 653s ff.), so muss der Verwaltungsrat die GV einberufen, wenn die Hälfte des ausgegebenen Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt ist.

Art. 725a

Zahlungsunfähigkeit

Der Verwaltungsrat soll die Generalversammlung zukünftig auch bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit benachrichtigen müssen. Im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit hat er vorerst einen Liquiditätsplan zu erstellen (Art. 725a Abs. 1). Beim 1689

Liquiditätsplan handelt es sich um ein Teilbudget des Finanzplans, der alle ein- und ausgehenden Zahlungsströme des Gesamtbudgets innerhalb der betreffenden Budgetperiode zusammenfasst und dazu dient, die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen. Im Gegensatz zum Kapitalbedarfsplan ist der Liquiditätsplan eine kurzfristige Planung für Zahlungsströme mit einem Prognosezeitraum bis zu höchstens einem Jahr. Neben den Einzahlungen und Auszahlungen ist auch der Anfangssaldo der Liquidität (flüssige Mittel) aufzuführen.

Der Verwaltungsrat muss den Liquiditätsplan einer zugelassenen Revisorin oder einem zugelassenen Revisor zur Prüfung unterbreiten Der Berufsstand kann die notwendigen Prüfungshandlungen im Rahmen der Selbstregulierung festlegen.

(Abs. 2). Verfügt die Gesellschaft über eine Revisionsstelle, kann selbstverständlich diese die Prüfung vornehmen, sofern es sich um eine zugelassene Revisorin oder einen zugelassenen Revisor handelt.

Wird nicht die Revisionsstelle, sondern eine andere Person mit der Prüfung des Liquiditätsplans betraut, so obliegen dieser Person dieselben Anzeigepflichten wie der Revisionsstelle. Dies bedeutet, dass nur bei Gesellschaften, die der ordentlichen Revision unterstehen, eine direkte Pflicht zur Information der Generalversammlung besteht, wenn der Verwaltungsrat seine Anzeigepflicht nicht erfüllt (s. Art. 728c Abs. 2 OR und Art. 729c OR170).

Ist die Gesellschaft zahlungsunfähig, so muss der Verwaltungsrat dieselben Massnahmen ergreifen wie bei einem Kapitalverlust (Einberufung der GV, Sanierungsmassnahmen; Abs. 3). Im Unterschied zum Vorentwurf wird aber nicht vorgesehen, dass bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zwingend eine Benachrichtigung des Gerichts erforderlich ist. In der Vernehmlassung wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass die Zahlungsunfähigkeit nicht zwingend bedeutet, dass die Passiven der Gesellschaft nicht mehr gedeckt sind.

Art. 725b (neu)

Statutarische Anzeigepflichten

In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass Sanierungsmassnahmen nicht mehr greifen und der Konkurs nicht mehr abgewendet werden kann, wenn das Aktienkapital und die Reserven der Gesellschaft zur Hälfte nicht mehr gedeckt sind (Art. 725). Da jedoch die Finanzstrukturen und der Finanzbedarf in den einzelnen Unternehmen unterschiedlich sind, erweist sich die gesetzliche Verankerung anderer Kriterien als äusserst schwierig. Es soll deshalb den Gesellschaften überlassen werden, gegebenenfalls geeignete zusätzliche Parameter für die Ergreifung von Sanierungsmassnahmen in den Statuten vorzusehen oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Anzeigepflicht zu verschärfen (z.B. Auslösung der Anzeigepflicht bereits dann, wenn ein Viertel des Aktienkapitals und der Reserven nicht mehr gedeckt ist; Art. 725b). Eine Lockerung der Grenzwerte von Artikel 725 ist demgegenüber unzulässig. Diese dürfen auch nicht durch einen gänzlich neuen Parameter ersetzt werden. Andere Kriterien können nur alternativ neben den gesetzlichen Grenzwerten in den Statuten festgelegt werden.

170

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7330); in Kraft am 1. Januar 2008.

1690

Art. 725c (neu)

Überschuldung

Besteht die begründete Besorgnis, dass die Gesellschaft überschuldet ist, so muss der Verwaltungsrat je eine Zwischenbilanz zu Fortführungs- und zu Veräusserungswerten erstellen lassen (Abs. 1). Nach Absatz 2 dürfen in der Zwischenbilanz die Veräusserungswerte höher festgesetzt werden als die gesetzlich vorgesehenen Höchstwerte gemäss den Bewertungsvorschriften, dies aber nur unter der Voraussetzung, dass die entsprechenden Vermögenswerte in den nächsten 12 Monaten veräussert werden sollen. Diese Regelung entspricht der heutigen Praxis. Der Entwurf schreibt ferner vor, dass nachrangige Verbindlichkeiten in der Bilanz gesondert aufzuführen sind. Die Betroffenen können sich so ein besseres Bild von der finanziellen Situation des Unternehmens machen.

Die Zwischenbilanzen müssen durch eine zugelassene Revisorin oder einen zugelassenen Revisor geprüft werden (Abs. 3). Dies kann die Revisionsstelle sein, sofern sie die erforderlichen fachlichen Anforderungen erfüllt. Absatz 3 stellt überdies klar, dass die mit der Prüfung betraute Person in jedem Fall dieselben Anzeigepflichten hat wie die Revisionsstelle: Sie muss erforderlichenfalls das Gericht von der Überschuldung benachrichtigen, wenn der Verwaltungsrat seiner entsprechenden Anzeigepflicht nicht nachkommt (Art. 728c Abs. 3 OR und Art. 729c OR171).

Der Vorentwurf sah vor, dass der Verwaltungsrat das Gericht im Falle einer Überschuldung unverzüglich zu benachrichtigen hat. In der Vernehmlassung wurde der Einwand erhoben, dass dem Verwaltungsrat eine bestimmte Zeitspanne einzuräumen sei, bevor er seiner Anzeigepflicht nachzukommen habe172. Eine zwingende Verpflichtung zur sofortigen Benachrichtigung des Gerichts könne sogenannt «stille Sanierungen» vereiteln. Der Entwurf kehrt daher zur heute geltenden Formulierung zurück. Die oberste Geschäftsführung kann demnach ­ gestützt auf die bundesgerichtliche Praxis ­ die Benachrichtigung des Gerichts kurze Zeit hinausschieben, um Sanierungsmassnahmen zu ergreifen, sofern ernsthaft mit einem Erfolg der Sanierung gerechnet werden darf. Ein Aufschieben der Benachrichtigung um mehr als ca. 4­6 Wochen173 dürfte aber unzulässig sein. Artikel 754 OR bleibt vorbehalten.

Auf die Benachrichtigung des Gerichts darf weiterhin verzichtet werden, wenn Gläubigerinnen und Gläubiger im Ausmass der Unterdeckung der
Verbindlichkeiten im Rang hinter allen anderen Personen, die Forderungen gegenüber der Gesellschaft haben, zurücktreten (Abs. 5). Neu wird aber klargestellt, dass mit dem Rangrücktritt eine Stundung der Forderungen verbunden sein muss. Die Stundung hat sowohl die Grundforderung als auch die Zinsforderungen zu umfassen, und zwar während der gesamten Dauer der Überschuldung. Die Stundung führt für das Unternehmen zu einem entsprechenden Zinszahlungs- und Tilgungsverbot. Nur unter diesen Voraussetzungen kann ein Rangrücktritt die Stellung der andern Gläubigerinnen und Gläubiger verbessern und die finanzielle Situation der Gesellschaft stärken. Die Forderung ist während dieser Zeit nicht nur nicht fällig, sondern sie ist auch nicht erfüllbar, da es sich um einen echten Vertrag zugunsten Dritter handelt. Massgeblich 171 172

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7330); in Kraft am 1. Januar 2008.

Ergebnisbericht betr. die Zusammenfassung der Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 24 f.

173 BGE 116 II 533 ff., 541. S. auch Rico A. Camponovo, Die Benachrichtigung des Konkursrichters durch die aktienrechtliche Revisionsstelle, SZW 1996 S. 211 ff., S. 216 f.

1691

für das Ausmass der Unterdeckung ist die Zwischenbilanz zu Fortführungswerten (Abs. 1).

Art. 725d (neu)

Konkurs

Artikel 725d entspricht dem bisherigen Artikel 725a OR174. Die in Artikel 725d Absätze 1 und 2 vorgesehenen Änderungen sind gesetzestechnisch bedingt. Inhaltlich bleibt die Bestimmung unverändert.

Das Bundesamt für Justiz erteilte im Sommer 2003 einer Expertengruppe den Auftrag, den Reformbedarf im Insolvenzrecht abzuklären. Diese kam zu Schluss, dass der in Artikel 725a OR vorgesehene Konkursaufschub im Rahmen der geplanten Revision des Nachlassverfahrens ins SchKG zu integrieren ist, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden175. Der vorliegende Entwurf verzichtet deshalb auf eine materielle Neuregelung der Vorschrift.

2.1.33

Mängel in der Organisation der Gesellschaft

Art. 731b Abs. 1 erster und zweiter Satz Im Rahmen der Neuregelung des GmbH-Rechts wurde eine neue Vorschrift geschaffen, die sich mit den Folgen von Mängeln in der zwingenden Organisation von Gesellschaften befasst (Art. 731b OR176). In der neuen Bestimmung blieb jedoch das Fehlen eines Rechtsdomizils unerwähnt. Dabei handelt es sich ebenfalls um einen Organisationsmangel. Der Entwurf schliesst diese Lücke (Abs. 1).

2.1.34 Art. 732­735

Kapitalherabsetzung Aufgehoben

Die Regelung der Herabsetzung des Aktienkapitals wird verlegt und mit der Ordnung der Kapitalerhöhung zusammengefasst (Art. 653j ff.).

2.1.35

Auflösung der Gesellschaft

Art. 736 Abs. 1 Ziff. 4, Abs. 2 (neu)

Auflösung im Allgemeinen; Gründe

Im Hinblick auf die angestrebte Verbesserung des Rechtsschutzes von Personen mit Minderheitsbeteiligungen wird der bisherige Schwellenwert für die Einreichung der Auflösungsklage gesenkt; zudem werden zusätzliche alternative Schwellenwerte vorgesehen: Inskünftig sollen Aktionärinnen und Aktionäre aus wichtigen Gründen die Auflösung der Gesellschaft verlangen können, sofern sie entweder mindestens

174 175

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7330), in Kraft am 1. Januar 2008.

Ist das schweizerische Sanierungsrecht revisionsbedürftig? Bericht der Expertengruppe Nachlassverfahren vom 7. Januar 2007, S. 6, 18 f.

176 Fassung vom 16. Dezember 2005, (BBl 2005 7289.), in Kraft am 1. Januar 2008.

1692

fünf Prozent des Aktienkapitals, fünf Prozent der Stimmen oder Aktien im Nennwert von einer Million Franken vertreten. (Art. 736 Abs. 1 Ziff. 4).

Von grosser Bedeutung ist, dass es dem Gericht frei steht, anstelle der Auflösung der Gesellschaft auf eine andere sachgerechte und für die Beteiligten zumutbare Lösung zu erkennen (Art. 736 Abs. 2). Im Vordergrund steht der Erwerb der Aktien der Kläger durch die Gesellschaft. Insbesondere bei privaten Aktiengesellschaften, deren Minderheitsaktionärinnen und Minderheitsaktionäre ihre Anteile faktisch nicht an Dritte verkaufen können, dient das Auflösungsrecht dazu, den Beteiligten in Härtefällen das Ausscheiden zu ermöglichen. Wird die Aktiengesellschaft ­ wie in der Schweiz ­ auch für kleinere Gesellschaften verwendet, deren Aktien faktisch nicht veräussert werden können, weil dafür kein Markt besteht, so kommt der Klage auf Auflösung ­ die eigentlich im Ergebnis eher zu einer Klage auf Ausscheiden aus wichtigen Gründen wird ­ für den Schutz von Personen mit Minderheitsbeteiligungen eine zentrale Funktion zu.

Im Zusammenhang mit Artikel 736 steht auch die Neuregelung des Erwerbs eigener Aktien durch die Gesellschaft. Die Höchstgrenze für den Erwerb wurde im Fall der Auflösungsklage auf 20 Prozent erhöht (Art. 659 Abs. 3).

In der Vernehmlassung ist die Neufestsetzung der Schwellenwerte bei der Klage auf Auflösung der Gesellschaft auf weit geringere Ablehnung gestossen als bei den andern Aktionärsrechten177.

2.1.36

Organverantwortlichkeit

Art. 755 Abs. 2, 756 Abs. 2, 757 Abs. 3

Revisionshaftung; Schaden der Gesellschaft

Art. 755 Abs. 2178 wird lediglich terminologisch bereinigt. («Arbeitnehmer» anstelle «Mitarbeiter»;).

Artikel 756 Absatz 2 über die Tragung der Prozesskosten bei Verantwortlichkeitsklagen wird aufgehoben. Die Kostenverteilung wird künftig in der Schweizerischen Zivilprozessordnung (E ZPO) geregelt179. Gemäss Artikel 105 Absatz 1 Buchstaben b und f E ZPO kann das Gericht bei Abweisung der Klage die Prozesskosten nach seinem Ermessen auf die Parteien verteilen, wenn die Klägerin oder der Kläger das Verfahren in guten Treuen angestrengt hat oder besondere Umstände es rechtfertigen. Reicht demnach eine Aktionärin oder ein Aktionär begründeterweise eine Verantwortlichkeitsklage ein, so kann das Gericht die Kosten auch bei einer Abweisung der Klage ganz oder teilweise der Gesellschaft auferlegen.

Der Vorbehalt des SchKG in Artikel 757 ist überflüssig, da bereits in Artikel 757 Absatz 2 materiell auf Artikel 260 SchKG verwiesen wird. Die Bestimmung wird deshalb aufgehoben.

177

Ergebnisbericht betr. die Zusammenfassung der Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 21.

178 Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7327), in Kraft am 1. Januar 2008.

179 S. dazu Art. 102 ff. E ZPO (Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7221, 7297 f.).

1693

Art. 759 Abs. 1bis (neu)

Differenzierte Solidarität und Rückgriff

Das geltende Recht sieht eine sogenannte «differenzierte Solidarität» vor: Wenn für einen Schaden mehrere Personen ersatzpflichtig sind, so ist jede von ihnen insoweit mit den anderen solidarisch haftbar, als ihr der Schaden aufgrund ihres eigenen Verschuldens und der Umstände persönlich zurechenbar ist (Art. 759 Abs. 1 OR).

Diese Regelung wurde im Rahmen der Revision des Aktienrechts von 1991 ins Gesetz aufgenommen. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass das Verschulden der verschiedenen der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit unterstehenden Personen meist sehr unterschiedlich ist. Insbesondere will die Bestimmung ermöglichen, bei der Verantwortlichkeit der Gesellschaftsorgane zu berücksichtigen, dass der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung einerseits und die Revisionsstelle andererseits funktional anders gelagerte Aufgaben erfüllen. Daraus resultieren häufig kaum zu vergleichende Verschulden.

Die neue Ordnung der Solidarität im Aktienrecht von 1991 hat sich allerdings in der Praxis nicht bewährt. In nicht sachgerechter Weise wurde die Revisionsstelle zunehmend zum Hauptadressat von Verantwortlichkeitsklagen. Ungeachtet des effektiven Verschuldens aller beteiligten Personen wurde nicht selten sogar ausschliesslich die Revisionsstelle ins Recht gefasst, dies namentlich aus folgenden Gründen: ­

Die berufsrechtlichen Normen zur Revision sind umfassend und detailliert.

In einem Verantwortlichkeitsverfahren kann es aus diesem Grund einfacher sein, eine ­ möglicherweise geringfügige ­ Nachlässigkeit der Revisionsstelle zu belegen, als ­ an sich schwerer wiegende ­ Verletzungen der Sorgfaltspflicht durch den Verwaltungsrat oder die Geschäftsleitung nachzuweisen.

­

Die Revisionsunternehmen sind in der Regel solventer als die Mitglieder des Verwaltungsrats oder der Geschäftsleitung; üblicherweise verfügen sie zudem über eine Haftpflichtversicherung.

­

Im Interesse ihres geschäftlichen Ansehens stehen Revisionsunternehmen unter erheblichem Druck, durch einen Vergleich ein gerichtliches Verfahren zu vermeiden. Ferner wirken auch die Haftpflichtversicherer auf eine aussergerichtliche Erledigung von Streitfällen hin.

Rechtspolitisch ist es problematisch, wenn die Revisionsstelle in der Praxis regelmässig trotz nur geringem Verschulden für einen grossen Teil des Schadens aufkommen muss, während Personen mit einem grösseren Verschulden nicht belangt werden. Die Tatsache, dass aktienrechtliche Verantwortlichkeitsklagen vornehmlich gegen die Revisionsstelle gerichtet werden, führt im Ergebnis zu einer Verschiebung von Verantwortlichkeiten der Geschäftsführungsorgane auf die Revisionsstelle. Aus Sicht der Corporate Governance ist deshalb auch im Bereich der Verantwortlichkeit ein besseres Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Organen der Gesellschaft herzustellen. Dabei muss der sekundären Stellung der mit der Revision betrauten Personen im Verhältnis zu den Geschäftsführungsorganen Rechnung getragen werden: Die Revisorinnen und Revisoren können im Rahmen ihrer Kontrollaufgaben die Entstehung eines Schadens nicht verhindern, sondern lediglich die Vergrösserung eines bereits verursachten Schadens beschränken. Die gesetzliche Regelung muss gewährleisten, dass in erster Linie die Geschäftsführungsorgane für Schäden aufkommen, die sich aus ihrer Tätigkeit ergeben haben.

1694

Weiter gilt es, einen funktionierenden Markt mit Revisionsdienstleistungen zu sichern: Es ist zu vermeiden, dass Revisionsstellen auf existenzbedrohende Schadenssummen belangt werden können, obwohl ihr Verschulden im Vergleich mit demjenigen der andern beteiligten Personen sehr gering ist.

Der Vorentwurf sah nach dem Vorbild gewisser ausländischer Rechtsordnungen vor, die solidarische Haftung der Revisionsstelle auf einen Maximalbetrag zu beschränken, soweit sie nur für ein leichtes Verschulden verantwortlich ist. Diese Haftungslimite wurde im Allgemeinen auf 10 Millionen Franken festgesetzt. Für die Revision von Gesellschaften mit börsenkotierten Beteiligungspapieren und für die Revision von andern wirtschaftlich bedeutenden Unternehmen sollte eine erhöhte Schranke von 25 Millionen Franken massgebend sein. Die Stellungnahmen im Vernehmlassungsverfahren waren kontrovers. Eine Mehrheit vertrat die Ansicht, dass die vorgeschlagene Regelung der Revisionsstelle in nicht gerechtfertigter Art Vorteile gegenüber anderen Gesellschaftsorganen einräume. Von anderer Seite wurde eine umfassende Überprüfung der Regelung der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit gefordert, die sich nicht auf die Haftung der Revisionsstelle beschränkt. Nur in einem kleinen Teil der Stellungnahmen wurden die im Vorentwurf vorgesehenen Haftungslimiten begrüsst.

Auf der Grundlage der Vernehmlassungsergebnisse liess der Bundesrat verschiedene Alternativen für eine Verbesserung der gesetzlichen Regelung prüfen. Eine umfassende Neuordnung der Haftung der Gesellschaftsorgane ist nicht erforderlich und könnte schwer absehbare Auswirkungen für die Rechtsanwendung zur Folge haben.

Ebenfalls nicht problemlos erscheint eine generelle Begrenzung der Haftung für Revisionsdienstleistungen auf beispielsweise 25 Prozent des eingetretenen Schadens. Dieser Regelungsvorschlag beruht auf der Generalisierung eines Bundesgerichtsentscheids, der in einem konkreten Fall die solidarische Haftung der Revisionsstelle in Anwendung von Artikel 759 Absatz 1 OR auf einen Viertel des Gesamtschadens begrenzt hat (wobei in casu ein relativ erhebliches Verschulden der Revisionsstelle vorlag)180. Eine entsprechende Regelung würde jedoch eine materiell nicht begründete Pauschalisierung vornehmen. Zudem würde sie der Sachlage bei hohen Schadensummen nicht
gerecht. Vorgeschlagen wurde weiter eine privatautonome Haftungsbegrenzung der Revisionsstelle in den Statuten der zu revidierenden Gesellschaft. Die Höhe der Begrenzung würde von der Gesellschaft mit ihrer Revisionsstelle vereinbart. Dadurch könnte jedoch die Rechtsstellung der Gläubigerinnen und Gläubiger erheblich beeinträchtigt werden; es käme zu einer Art «Vertrag zulasten Dritter». Auch ergäben sich sachlich nicht begründbare Haftungsunterschiede zwischen den Gesellschaften. Eine statutarische Haftungsbegrenzung wäre daher rechtspolitisch bedenklich. Auch eine gesetzliche Begrenzung der Haftung auf ein Vielfaches des Revisionshonorars vermag nicht zu überzeugen: Eine entsprechende Regelung hätte zur Folge, dass das Revisionshonorar nach Möglichkeit künstlich tief gehalten würde, während weitere Dienstleistungen, die über die Grundaufgabe der Revision hinausgehen, separat verrechnet würden. In der Rechtsanwendung könnten sich erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben.

Der Entwurf sieht aus den dargelegten Gründen eine andere Lösung vor und verdeutlicht die bereits im geltenden Recht vorgesehene Regelung der differenzierten Solidarität. Der bisherige Absatz 1 gilt unverändert für die Mitglieder des Verwal180

Urteil des Bundesgerichts 4C.506/1996 vom 3. März 1998 (nicht in der amtlichen Sammlung der Bundesgerichtsentscheide veröffentlicht).

1695

tungsrats und der Geschäftsleitung. Entgegen anderen Annahmen in der Vernehmlassung ist auch für diese Personen nicht die absolute, sondern eine nach dem Verschulden und den Umständen differenzierende Ordnung anwendbar (Art. 759 Abs. 1 OR erfasst nach seinem Wortlaut insbesondere auch die Mitglieder des Verwaltungsrats). Für die Personen, die der Revisionshaftung unterstehen, wird diese in einem neuen Absatz 1bis spezifiziert: Sofern die mit der Revision betrauten Personen im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabe einen Schaden lediglich fahrlässig mitverursachen, haften sie auch gegenüber Dritten bis höchstens zum Betrag, für den sie zufolge Rückgriffs aufkommen müssten (vgl. Art. 759 Abs. 3 OR). Mit dieser Regelung wird sachlich der subsidiären Stellung der Revision Rechnung getragen und vermieden, dass die Revisionsstelle auch bei einem sehr kleinen Verschulden letztlich voll für das Verschulden des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung aufkommen muss. Die vorgesehene Regelung entspricht Entwurf und Botschaft des Bundesrats zur Revision des Aktienrechts vom 23. Februar 1983181. Sie vermeidet pauschale, verschuldensunabhängige Haftungsbeschränkungen und steht daher grundsätzlich in Übereinstimmung mit der differenzierenden Grundregelung von Absatz 1.

Absatz 1bis findet sowohl auf die Revisionsstelle als auch auf andere Personen Anwendung, die vom Gesetz vorgesehene Revisionsdienstleistungen erbringen.

Die Regelung erfasst alle Fälle der fahrlässigen Handlung. Eine Differenzierung zwischen leichter, mittlerer und schwerer Fahrlässigkeit würde für die Praxis zu schwierigen Abgrenzungsproblemen führen, womit sich letztlich dieselben Anwendungsprobleme ergeben würden wie im geltenden Recht. Dennoch findet der Grad der Fahrlässigkeit aber Berücksichtigung, weil die relative Grösse des Verschuldens für die Bemessung des Rückgriffs von zentraler Bedeutung ist. Absatz 1bis ist daher im Fall einer schweren Fahrlässigkeit von geringerer Tragweite als bei einem sehr kleinen Verschulden. Dies erscheint sachgerecht.

2.2

Buchführung und Rechnungslegung

2.2.1

Allgemeine Bestimmungen

Art. 957

Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung

Die Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung wird neu rechtsformüberschreitend konzipiert und erfasst nach Absatz 1 grundsätzlich alle Einzelunternehmen, Personengesellschaften und juristischen Personen, die verpflichtet sind, sich in das Handelsregister eintragen zu lassen. Als juristische Personen werden auch Vereine und Stiftungen einbezogen (s. Art. 69a und 83a E ZGB). Der Entwurf verwendet für alle von der gesetzlichen Regelung erfassten Einheiten, ungeachtet ihrer Rechtsform, den Sammelbegriff des «Unternehmens».

Für Einzelunternehmen (s. Art. 36 ff. HRegV)182, Vereine (s. Art. 61 ZGB) und Stiftungen (s. Art. 52 Abs. 2 ZGB), die sich nicht von Gesetzes wegen in das Handelsregister eintragen lassen müssen, genügt eine einfache Buchhaltung, welche die Einnahmen und Ausgaben erfasst sowie die Vermögenslage wiedergibt (sog.

181 182

BBl 1983 II 194, 248.

Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.).

1696

«Milchbüchlein-Rechnung», Abs. 2). In der Vernehmlassung wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass eine solche Buchhaltung nicht völlig nach Belieben des jeweiligen Unternehmens erfolgen darf. Auch eine «Milchbüchlein-Rechnung» muss sich an gewisse Mindestvorgaben, die sogenannten Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung, halten (s. Art. 957a Abs. 2).

Die freiwillige Eintragung eines Unternehmens in das Handelsregister hat keine Auswirkungen auf die Frage der Buchführungs- und Rechnungslegungspflicht. Die Bestimmungen von Artikel 957 ff. dürfen aber freiwillig befolgt werden.

In der Lehre wird teilweise die Auffassung vertreten, dass nicht kaufmännisch tätige Personengesellschaften trotz Pflicht zur Eintragung in das Handelsregister nicht buchführungspflichtig seien, weil sie kein kaufmännisches Gewerbe betreiben. Für die Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung ist jedoch nicht das Betreiben eines kaufmännischen Gewerbes entscheidend, sondern die Pflicht zur Eintragung in das Handelsregister. Nachdem alle Kollektiv- und Kommanditgesellschaften hierzu verpflichtet sind (s. Art. 552 Abs. 2 und Art. 594 Abs. 3 OR), sind sie somit auch buchführungs- und rechnungslegungspflichtig.

Gemäss Absatz 3 gehen spezialgesetzliche Bestimmungen den Vorschriften der Artikel 957 ff. vor, sofern die wirtschaftliche Lage des Unternehmens (s. Art. 957a Abs. 1) (mindestens) gleichwertig dargestellt wird. Der Vorentwurf hat demgegenüber «strengere spezialgesetzliche Bestimmungen» vorbehalten (s. Art. 957 Abs. 3 VE OR). In der Vernehmlassung wurde jedoch richtigerweise bemängelt, dass nicht immer klar sei, welche Vorschriften als «strenger» zu gelten hätten. Die neue Formulierung des Entwurfs ist in dieser Hinsicht verständlicher. Es besteht zwar Raum für spezialgesetzliche Vorschriften, soweit diese aus sachlichen Gründen erforderlich sind, doch darf das generell massgebende Anforderungsniveau des OR nicht unterlaufen werden. Eine Privilegierung bestimmter Branchen wäre materiell und rechtspolitisch nicht zu vertreten. Zum Verhältnis zu den Vorschriften über die Buchführung und Rechnungslegung von Banken und Versicherungen s. hinten Ziffer 2.4.8 und 2.4.10.

Art. 957a

Buchführung

Die Buchführung bildet nach Absatz 1 die Grundlage der Rechnungslegung. Sie erfasst diejenigen Geschäftsvorfälle und Sachverhalte, die für die Darstellung der Vermögens-, Finanzierungs- und Ertragslage des Unternehmens notwendig sind.

Der in verschiedenen anerkannten Standards zur Rechnungslegung verwendete Begriff der «Finanzlage» wird durch den präziseren Begriff der «Finanzierungslage» ersetzt. Inhaltlich ist damit keine Änderung verbunden.

Die Buchführung ist eine vorwiegend technische Angelegenheit. Der Entwurf beschränkt sich daher auf einige wenige Kernvorschriften, die mit Blick auf die Funktionen der Buchführung (s. dazu vorne Ziff. 1.3.5.1) von grundlegender Bedeutung sind. Diese minimalen Anforderungen an die Buchführung werden als Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung (GoB) bezeichnet. Absatz 2 führt diese aus der Praxis übernommenen Grundsätze auf. Die Aufzählung ist nicht abschliessend und belässt daher genügend Raum für künftige Entwicklungen in Lehre und Rechtsprechung.

Nach Ziffer 1 müssen die Geschäftsvorfälle und Sachverhalte vollständig, wahrheitsgetreu und systematisch erfasst werden. Nach dem Grundsatz der Wahrheit 1697

müssen die vollständig erfassten Daten unverfälscht und richtig verbucht werden.

Weiter ergeben sich aus dieser Vorschrift die Pflicht zur chronologischen und lückenlosen Erfassung von Buchungstatsachen in einem Journal, die Notwendigkeit der Führung einer doppelten Buchhaltung und die Verwendung einer sachlogischen Gliederung aller verbuchten Geschäftsvorfälle in einem Kontenplan, der sich an einem anerkannten Kontenrahmen orientiert183.

Alle Buchungsvorgänge sind gemäss Ziffer 2 mit einem Beleg zu dokumentieren (sog. Belegprinzip). Der Beleg muss den Belegtext, den Buchungsbetrag, den Aussteller des Belegs und das Ausstellungsdatum enthalten.

Der Grundsatz der Klarheit nach Ziffer 3 besagt, dass die Buchführung einer fachkundigen Leserin oder einem fachkundigem Leser in allen Teilen mühelos verständlich sein muss. Zudem müssen die Aufzeichnungen lesbar und eindeutig sein.

Die Buchführung und deren Organisation sind gemäss Ziffer 4 der Art (d.h. insbesondere der Branche) und der Grösse des Unternehmens anzupassen. Dieses sog.

Prinzip der Zweckmässigkeit der Buchführung wird mit Blick auf die ansonsten rechtsformneutrale und weitgehend grössenunabhängige Regelung zur Buchführung ausdrücklich erwähnt. An die Buchführung einer kleinen Bäckerei sind somit andere Anforderungen zu stellen als an jene eines grossen multinationalen Stahlkonzerns.

Die Buchführung muss aufgrund von Ziffer 5 nachprüfbar sein. Für die Zwecke der Rechnungsrevision184 aber auch für gezielte Nachforschungen im Zusammenhang mit der Steuerbemessung oder mit Sozialabgaben müssen die Buchungstatsachen bis zum Ausgangspunkt der ursprünglichen Transaktion zurückverfolgt werden können.

Als Buchungsbelege gelten nach Absatz 3 alle schriftlichen Aufzeichnungen auf Papier oder in elektronischer oder vergleichbarer Form, die notwendig sind, damit ein Geschäftsvorfall oder ein Sachverhalt, der einer Buchung zugrunde liegt, nachvollzogen werden kann. Soweit ein Geschäftsvorfall durch einen Buchungsbeleg nachgewiesen wird, ist eine Geschäftskorrespondenz, die diesen Sachverhalt gleichwertig belegt, nicht aufbewahrungspflichtig (s. dazu die Ausführungen zu Art. 958f). Geschäftskorrespondenz kann jedoch je nach Umständen durchaus als Buchungsbeleg gelten und daher aufbewahrungspflichtig sein.

Es entspricht dem Bedürfnis einer zunehmend
international agierenden Wirtschaft, dass die Buchführung in der für die Geschäftstätigkeit wesentlichen Währung sowie auf Englisch möglich ist. Einengende Vorgaben würden unnötige Kosten verursachen und wären der Attraktivität der Schweiz als Unternehmensstandort abträglich.

Nach Absatz 4 darf die Buchführung daher in der Landeswährung oder in der für die Geschäftstätigkeit des Unternehmens wesentlichen Währung erfolgen. Die Wahl einer ausländischen Währung muss allerdings sachlich begründet sein. In der Praxis kommen wohl vor allem der Euro oder der US-Dollar in Frage. Andere Währungen sind aber nicht ausgeschlossen; allerdings muss es sich dabei um eine frei konvertible Währung handeln. Im Unterschied zur Buchführung muss die Rechnungslegung im Interesse Dritter zusätzlich in Schweizer Franken umgerechnet werden (s. dazu Art. 958d Abs. 3).

183

Vgl. dazu auch die Vorgaben in der Verordnung des Bundesrates vom 24. April 2002 über die Führung und Aufbewahrung der Geschäftsbücher (GeBüV, SR 221.431).

Die GeBüV wird künftig an den Entwurf angepasst.

184 Vgl. dazu Art. 727 ff. OR für die Aktiengesellschaft; Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289 ff.), in Kraft am 1. Januar 2008 in Kraft.

1698

Nach Absatz 5 darf die Buchführung auch auf Englisch erfolgen.

Die Buchführung kann schriftlich, elektronisch oder in vergleichbarer Weise geführt werden. Die Einzelheiten regelt der Bundesrat (s. Art. 958f Abs. 4).

Art. 958

Rechnungslegung; Zweck und Bestandteile

Der Entwurf hält gemäss Absatz 1 am Prinzip des zuverlässigen Urteils über die wirtschaftliche Lage fest (vgl. im Aktienrecht Art. 662a Abs. 1 OR) und geht ­ trotz vereinzelter Kritik in der Vernehmlassung ­ nicht zum Grundsatz der «fair presentation» oder der «true and fair view» über (s. dazu vorne Ziff. 1.3.5.5).

Die Rechnungslegung erfolgt nach Absatz 2 wie im heutigen Aktienrecht im Geschäftsbericht. Dieser enthält die Jahresrechnung (Einzelabschluss), die sich aus der Bilanz, der Erfolgsrechnung und dem Anhang zusammensetzt. In der Praxis verfassen schon heute auch viele rechnungslegungspflichtige Unternehmen, die keine Aktiengesellschaften sind, eine Art Anhang, obwohl von Gesetzes wegen keine Verpflichtung dazu besteht. Kleine Einzelunternehmen und Personengesellschaften sollen auch nach dem neuen Recht auf einen Anhang der Jahresrechnung verzichten können (s. Art. 959c Abs. 3).

Die Vorschriften zur Rechnungslegung für grössere Unternehmen (s. Art. 961 ff.)

und für Konzerne (s. Art. 963 ff.) bleiben vorbehalten.

Absatz 3 sieht vor, dass der Geschäftsbericht innert sechs Monaten nach Ablauf des Geschäftsjahres dem zuständigen Organ oder den zuständigen Personen vorgelegt werden muss. Er ist von der Vorsitzenden oder vom Vorsitzenden des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans sowie von der für die Rechnungslegung zuständigen Person zu unterzeichnen. Die Unterzeichnung bewirkt jedoch keine Einschränkung der Verantwortlichkeit für den Geschäftsbericht: Beispielsweise ist bei der Aktiengesellschaft grundsätzlich der gesamte Verwaltungsrat (s. Art. 716a Abs. 1 Ziff. 6 OR) und nicht nur der unterzeichnende Verwaltungsratspräsident für den Geschäftsbericht verantwortlich.

Die Bestimmungen von Artikel 958 ff. gelten sinngemäss auch für Konzernrechnungen und für Abschlüsse nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung.

Art. 958a

Grundlagen der Rechnungslegung; Annahme der Fortführung

Die Rechnungslegung beruht gemäss Absatz 1 auf der Annahme, dass ein Unternehmen zumindest auf absehbare Zeit fortgeführt wird. Ist die Fortführung infolge Illiquidität, Liefersperre, Zusammenbruch des Marktes, Weggang des Personals oder aus anderen Gründen unmöglich, so muss die Bewertung auf Veräusserungswerte umgestellt werden.

Ist die Einstellung der Tätigkeit oder von Teilen davon in den nächsten 12 Monaten ab Bilanzstichtag beabsichtigt oder voraussichtlich nicht abwendbar, so sind der Rechnungslegung für die betreffenden Unternehmensteile aufgrund von Absatz 2 nicht mehr Fortführungs-, sondern Veräusserungswerte zugrunde zu legen. Der Verkauf von Teilen des Unternehmens gilt nicht als Einstellung der Tätigkeit im Sinne dieser Bestimmung. Auch die Veräusserungswerte sind durch die gesetzlichen Vorschriften zur Höchstbewertung beschränkt (s. Art. 960 ff.). Eine Ausnahme gilt nur für die Fälle der begründeten Besorgnis der Überschuldung oder der Zahlungs-

1699

unfähigkeit (s. Art. 725c Abs. 2). Für die mit der Einstellung der Tätigkeit verbundenen Aufwendungen sind Rückstellungen zu bilden (s. Art. 960e Abs. 2).

Das Kriterium der voraussichtlichen Fortführung ist nicht so zu verstehen, dass die Liquidität für die kommenden Monate gesichert sein muss. Falls aber klare Anzeichen erkennbar sind, dass die Liquidität wahrscheinlich nicht gegeben ist, muss die Fortführbarkeit in Frage gestellt werden.

Abweichungen von der Annahme der Fortführung sind im Anhang (s. Art. 959c Abs. 1) zu vermerken.

Art. 958b

Zeitliche und sachliche Abgrenzung

Aufwände und Erträge müssen gemäss Absatz 1 in zeitlicher und sachlicher Hinsicht voneinander abgegrenzt werden.

Der Grundsatz der zeitlichen oder periodengerechten Abgrenzung besagt, dass Aufwände und Erträge, die zeitraumbezogen anfallen (zu denken ist an Zinsen, Mietzinse u. dgl.), entsprechend abgegrenzt und erfasst werden. Aufwände und Erträge sind unabhängig vom Zeitpunkt der entsprechenden Zahlung in der Jahresrechnung zu berücksichtigen. Geht eine Gegenleistung zeitverschoben zur Ertragsrealisierung ein, ist eine Rechnungsabgrenzung vorzunehmen. Einnahmen vor dem Bilanzstichtag für Erträge, die am Stichtag noch nicht realisiert sind, führen zu einer passiven Rechnungsabgrenzung. Ausgaben vor dem Bilanzstichtag, die noch nicht verursachten Aufwand für einen Zeitraum nach dem Stichtag darstellen, führen zu einer aktiven Rechnungsabgrenzung (s. Art. 959a Abs. 1 Ziff. 1 Bst. e und Abs. 2 Ziff. 1 Bst. d).

Der Grundsatz der sachlichen Abgrenzung verlangt, dass alle Aufwände, die dazu dienen, bestimmte Erträge zu erzielen, entsprechend dem Ertragsanfall in der Erfolgsrechnung (s. Art. 959b) zu berücksichtigen sind (sog. Prinzip des «matching of cost and revenue»). Beispielsweise sind dem Verkaufserlös oder dem Wert fertiggestellter, aber noch nicht veräusserter Produkte im betreffenden Geschäftsjahr nicht nur die angefallenen Aufwendungen für Personal oder Material, sondern auch der Gegenwert für die Nutzung von Maschinen in Form von Abschreibungen gegenüber zu stellen.

Sofern die Nettoerlöse aus Lieferungen und Leistungen (s. Art. 959b Abs. 2 Ziff. 1 und Abs. 3 Ziff. 1) oder die Finanzerträge (s. Art. 959b Abs. 2 Ziff. 7 und Abs. 3 Ziff. 4) 100 000 Franken nicht überschreiten, kann das Unternehmen nach Absatz 2 ausnahmsweise auf die zeitliche Abgrenzung von Aufwand sowie Ertrag verzichten und auf Einnahmen und Ausgaben abstellen. Der Entwurf schreibt die periodengerechte Zuordnung somit nur für Unternehmen vor, die den zukünftigen Schwellenwert für die Steuer- und Buchführungspflicht gemäss der absehbaren Revision des Mehrwertsteuergesetzes überschreiten185. Daraus resultiert eine Erleichterung für Kleinstunternehmen, die ­ sofern sie in der Rechtsform des Einzelunternehmens 185

Art. 21 i.V.m. Art. 58 des Bundesgesetzes vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (Mehrwertsteuergesetz, MWSTG [SR 641.20]) schreibt für Personen ab einem steuerpflichtigen Umsatz von 75 000 Franken eine Buchhaltung vor. Dieser Schwellenwert soll mit dem Bundesgesetz zur Vereinfachung des Bundesgesetzes über die Mehrwertsteuer auf 100 000 Franken angehoben werden (Art. 9 i.V.m Art. 58 VE MWSTG).

Der Bundesrat wird die Vorlage voraussichtlich im Sommer 2008 zuhanden der Eidg.

Räte verabschieden.

1700

betrieben werden ­ keine Buchführung mit zeitlicher und sachlicher Abgrenzung haben müssen, sondern lediglich eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung (s. Art. 957 Abs. 2).

Art. 958c

Grundsätze ordnungsmässiger Rechnungslegung

Wie für die Buchführung (s. Art. 957a Abs. 2) haben sich in der Praxis auch für die Rechnungslegung gewisse Grundsätze herausgebildet, deren Einhaltung die Adressatinnen und Adressaten der Rechnungslegung voraussetzen dürfen.

Diese minimalen Anforderungen werden als Grundsätze ordnungsmässiger Rechnungslegung bezeichnet (GoR; vgl. im geltenden Aktienrecht Art. 662a Abs. 2 OR) und gelten gemäss Absatz 1 neu für alle Unternehmen. Die festgelegten Grundsätze sind im Vergleich zum bisherigen Aktienrecht weder völlig neu noch revolutionär.

Die GoR stellen weder Gewohnheitsrecht noch Handelsbrauch dar, sondern werden durch Lehre und Rechtsprechung weiterentwickelt. Sie werden in den verschiedenen Standards und Lehrbüchern allerdings unterschiedlich gruppiert, weil eine klare Abgrenzung zwischen den einzelnen Prinzipien schwierig ist. Die Aufzählung im Entwurf ist nicht abschliessend und belässt daher Raum für künftige Entwicklungen durch Lehre und Rechtsprechung.

Der Grundsatz der Klarheit nach Ziffer 1 bezieht sich auf die formelle Gestaltung der Jahresrechnung und verlangt insbesondere eine übersichtliche und sachgerechte Gliederung, unter Umständen auch den Ausweis von Einzelheiten im Anhang.

Weiter gehört hierzu auch die Verwendung von sorgfältigen und genauen Bezeichnungen für die einzelnen Positionen in der Jahresrechnung.

Der Grundsatz der Verständlichkeit verlangt, dass die Rechnungslegung Adressatinnen und Adressaten, die angemessene Kenntnisse der Rechnungslegung haben, in allen Teilen mühelos verständlich sein muss.

Die Vollständigkeit nach Ziffer 2 verlangt die Offenlegung aller Informationen, die für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens (s. vorne Art. 957a Abs. 1) massgeblich sind, und insbesondere die vollständige Erfassung aller Verbindlichkeiten.

Nach dem Grundsatz der Verlässlichkeit dürfen die in der Rechnungslegung vermittelten Informationen nach Ziffer 3 keine wesentlichen Fehler enthalten und dürfen nicht verzerrt sein. Die Adressatinnen und Adressaten der Jahresrechnung müssen sich auf diese verlassen können. Im Grundsatz der Verlässlichkeit sind auch die Prinzipien der Richtigkeit beziehungsweise der Bilanzwahrheit und der Willkürfreiheit enthalten.

Das Vorsichtsprinzip des geltenden Aktienrechts (vgl. Art. 662a Abs. 2 Ziff. 3 OR) wird nicht mehr als
GoR aufgeführt, gilt aber neu als Grundsatz des Bewertungsrechts (s. Art. 960 Abs. 2 und 3).

Die Rechnungslegung dient nicht der Befriedigung der Neugierde, sondern der Information der Beteiligten, damit diese ihre Rechte sinnvoll ausüben können. Bei der Rechnungslegung kommt es daher nicht auf die absolute Genauigkeit an. Unbedeutende Grössen, die das Urteil der Adressatinnen und Adressaten der Rechnungslegung nicht beeinflussen (s. Art. 958 Abs. 1), können ausser Acht gelassen werden.

Weil die Fülle von Transaktionen und Sachverhalten eines Geschäftes meist zu einer unübersichtlichen Auflistung vieler Details verleiten würde, schafft der Gesetzgeber 1701

mit dem Grundsatz der Wesentlichkeit nach Ziffer 4 für die Darstellung und Bewertung einerseits einen gewissen Spielraum und zwingt andererseits auch dazu, auf das Überladen der Berichterstattung mit Einzelheiten zu verzichten. Eine Bilanzierung in Franken und Rappen bei einem Weltkonzern würde eine überhaupt nicht mögliche Genauigkeit vortäuschen und den Blick auf die wesentlichen Aspekte erschweren.

Informationen sind dann wesentlich, wenn ihr Weglassen oder ihre fehlerhafte Darstellung die aufgrund der Jahresrechnung zu treffenden Entscheidungen beeinflussen könnten. Um zu bestimmen, ob ein Geschäftsvorfall oder Sachverhalt wesentlich ist, gibt es keine generellen Vorgaben; es handelt sich um eine Beurteilung im Einzelfall. Das Unternehmen hat das damit verbundene Ermessen pflichtgemäss und mit Blick auf die Zielsetzung der Rechnungslegung auszuüben.

Der Grundsatz der Stetigkeit der Darstellung und der Bewertung nach Ziffer 5 ergibt sich bereits aus den vorstehenden Grundsätzen. Mit Blick auf die grosse praktische Bedeutung wird dieses Prinzip jedoch ausdrücklich aufgeführt. Die Adressatinnen und Adressaten der Rechnungslegung müssen beim Vergleich der Daten über mehrere Perioden hinweg davon ausgehen können, dass stets die gleichen Grundsätze für die Darstellung und Bewertung befolgt wurden. Die formelle Stetigkeit verlangt, dass die Gliederung und die Form der Darstellung unverändert bleiben. In materieller Sicht verlangt der Grundsatz die kontinuierliche Anwendung der gewählten Bewertungs- und Offenlegungsgrundsätze. Die Vorschriften zur Bewertung (s. Art. 960 ff.) belassen allerdings mit Blick auf die Steuerbemessung einen grossen Spielraum, der nicht in jeder Periode in gleichem Masse genutzt werden muss oder genutzt wird. Für die Darstellung gilt der Grundsatz der Stetigkeit dagegen uneingeschränkt.

Der Entwurf verzichtet auf die Statuierung der Vergleichbarkeit, weil sich hieraus der Eindruck ergeben könnte, dass ein Abschluss nach OR der Vergleichung mit anderen Unternehmen diene. Der Grundsatz der Stetigkeit stellt vielmehr die zeitliche Vergleichbarkeit aufeinander folgender Jahresrechnungen desselben Unternehmens sicher.

Die Klarheit der Darstellung wird erheblich gestört, wenn Aktiven und Passiven sowie Aufwand und Ertrag verrechnet beziehungsweise netto ausgewiesen werden.
Ziffer 6 sieht daher die Unzulässigkeit der Verrechnung von Aktiven und Passiven sowie von Aufwand und Ertrag (sog. Bruttodarstellung) vor. Es geht allerdings nicht darum, generell die Verrechnung von Soll- mit Haben-Positionen zu verbieten.

Entscheidend sind die Grundsätze der Klarheit und der Verständlichkeit: Unzulässig ist unter diesem Gesichtspunkt beispielsweise die Verrechnung von ausserordentlichen Aufwänden, die ­ wenn auch aus unterschiedlichen Gründen ­ mit einer gewissen Regelmässigkeit anfallen, mit ausserordentlichen Erträgen, die eher den Charakter «nicht wiederkehrender» Ereignisse haben (z.B. Veräusserung von unterbewerteten, nicht betriebsnotwendigen Vermögensteilen Der Bestand der einzelnen Positionen in der Bilanz und im Anhang ist gemäss Absatz 2 durch ein Inventar oder auf andere Art nachzuweisen. Die Inventarpflicht wird gegenüber dem geltenden Recht (s. Art. 958 OR) einerseits klarer formuliert und auf alle wesentlichen Vermögenspositionen ausgedehnt, andererseits aber nicht mehr so stark in den Vordergrund gestellt.

Nach Absatz 3 ist die Rechnungslegung unter Wahrung des gesetzlichen Mindestinhalts den Besonderheiten des Unternehmens und der Branche anzupassen. Insbe1702

sondere ist den entsprechenden Besonderheiten durch angemessene Bezeichnungen und Darstellungen Rechnung zu tragen.

Art. 958d

Darstellung, Währung und Sprache

Für die Darstellung von Bilanz und Erfolgsrechnung kann das Unternehmen nach Absatz 1 zwischen der Kontoform und der Staffelform wählen. Die Kontenform weist im Soll die Aktiven beziehungsweise den Aufwand und im Haben die Passiven beziehungsweise den Ertrag aus. Die Staffelform findet in der Praxis allerdings fast nur auf die Erfolgsrechnung Anwendung (s. Art. 959b). Sie fasst die jeweils wirtschaftlich verknüpften Erträge und Aufwendungen zusammen und zeigt zudem das jeweilige Nettoresultat.

Positionen, die keinen oder nur einen unwesentlichen Wert aufweisen, brauchen nicht separat aufgeführt zu werden, sondern können nach dem Grundsatz der Wesentlichkeit (s. Art. 958c Abs. 1 Ziff. 4) mit Positionen ähnlicher Natur oder Funktion zusammengefasst werden.

Gemäss Absatz 2 sind in der Jahresrechnung neben den Zahlen für das Geschäftsjahr die Werte des Vorjahres anzugeben. Auf diese Weise wird der Vergleich erleichtert und die Einhaltung der Bilanzkontinuität kann besser überprüft werden (vgl.

auch die Ausführungen zu Art. 958c Abs. 1 Ziff. 5). Die Vorschrift bezieht sich auf die ganze Rechnungslegung und erfasst somit auch die Zahlen im Anhang.

Betreffend Währung und Sprache wird wie bei der Buchführung (s. Art. 957a Abs. 4 und 5) auch für die Rechnungslegung eine liberale Lösung vorgeschlagen: Gemäss den Absätzen 3 und 4 dürfen die für die Geschäftstätigkeit wesentliche Währung sowie die englische Sprache verwendet werden. Da die Jahresrechnung eine erheblich grössere Aussenwirkung erzielt als die Buchführung und weil von den Adressatinnen und Adressaten der Rechnungslegung nicht erwartet werden kann, dass sie die Umrechnung selbst vornehmen, wird ­ im Gegensatz zur Buchführung ­ eine zusätzliche Angabe in der Landeswährung verlangt. Zudem ist die Jahresrechnung nach OR für die Steuerbemessung massgebend, die ebenfalls auf die Landeswährung abstellt.

Die verwendeten Umrechnungskurse sind im Anhang (s. Art. 959c) offenzulegen.

Der Entwurf lässt eine Mehrzahl von Umrechnungskursen zu und eröffnet damit die Verwendung unterschiedlicher Umrechnungsmethoden (z.B. Stichtagskurs für die Bilanz und Durchschnittskurs für die Erfolgsrechnung). Die blosse Offenlegung des Kurses ist allerdings nicht immer genügend. Aus Gründen der Verständlichkeit müssen Erläuterungen angebracht werden, wenn verschiedene Kurse auf unterschiedlichen Positionen verwendet werden.

Art. 958e

Offenlegung und Einsichtnahme

Die Vorschriften zur Offenlegung und Einsichtnahme entsprechen der heutigen Regelung im Aktienrecht (s. Art. 697h OR). Die Formulierung wurde leicht angepasst, um eine rechtsformneutrale Regelung zu schaffen.

Wenn ein Unternehmen Anleihensobligationen ausstehend oder Beteiligungspapiere an einer Börse kotiert hat, dann sind die Jahresrechnung und die Konzernrechnung gemäss Absatz 1 nach der Genehmigung durch das zuständige Organ zusammen mit den Revisionsberichten entweder im SHAB zu veröffentlichen oder jeder Person, die es innerhalb eines Jahres verlangt, auf deren Kosten in einer Ausfertigung zuzu1703

stellen. Die Offenlegungspflicht beschränkt sich somit grundsätzlich auf Unternehmen, die am Kapitalmarkt aktiv sind.

Bei allen übrigen Unternehmen muss den Gläubigerinnen und Gläubigern, die ein schutzwürdiges Interesse nachweisen, gemäss Absatz 2 Einsicht in den Geschäftsbericht und in die Revisionsberichte gewährt werden. Dies entspricht der bewährten Regelung im Aktienrecht. Ein schutzwürdiges Interesse wird in der Praxis nicht leichthin angenommen. Die Einsicht darf nicht dazu dienen, Neugierde zu befriedigen oder Geschäftsgeheimnisse auszukundschaften. Vielmehr muss nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts die Forderung der Gläubigerin oder des Gläubigers in ihrer Einbringlichkeit konkret gefährdet erscheinen. Zudem muss auch die Höhe der Forderung im Verhältnis zu den vermögensrechtlichen Verhältnissen der Gläubigerin oder des Gläubigers eine Einsichtnahme rechtfertigen.

Ein allfälliger zusätzlicher Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung (s. Art. 962 ff.) bildet nicht Teil des Geschäftsberichts. Wird jedoch ausschliesslich ein Abschluss nach einem anerkannten Standard erstellt, so ersetzt dieser den Abschluss nach OR, bildet Teil des Geschäftsberichtes und kann somit unter den erwähnten Voraussetzungen eingesehen werden.

Art. 958f

Führung und Aufbewahrung der Geschäftsbücher

Die Geschäftsbücher und die Buchungsbelege sowie der Geschäftsbericht und der Revisionsbericht sind gemäss Absatz 1 während zehn Jahren aufzubewahren. Die Aufbewahrungsfrist beginnt mit dem Ablauf des Geschäftsjahres zu laufen.

Absatz 2 schreibt vor, dass der Geschäftsbericht und der Revisionsbericht auf Papier und unterzeichnet ­ also im Original ­ aufzubewahren sind. Werden sie in elektronischer Form aufbewahrt, so sind die Geschäftsbücher und Buchungsbelege mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen186.

Die Geschäftsbücher187 und die Buchungsbelege dürfen nach Absatz 3 schriftlich, elektronisch oder in vergleichbarer Weise aufbewahrt werden, soweit dadurch die Übereinstimmung mit den zu Grunde liegenden Geschäftsvorfällen und Sachverhalten gewährleistet ist und wenn sie jederzeit wieder lesbar gemacht werden können.

Nach dem geltenden Recht ist die gesamte Geschäftskorrespondenz aufzubewahren (s. Art. 957 Abs. 2 OR). In vielen Fällen ist die Geschäftskorrespondenz jedoch für die Zwecke der Buchführung und Rechnungslegung ohne Erkenntniswert. Die damit verbundenen Kosten können eingespart werden. Der Entwurf beschränkt sich daher auf eine Aufbewahrungspflicht für die Buchungsbelege (zum Buchungsbeleg s. Art. 957a Abs. 2 Ziff. 2 und 5 sowie Abs. 3).

186

Der in der Botschaft zur Revision der kaufmännischen Buchführung (Aufbewahrung der Geschäftsbücher) enthaltene Hinweis, wonach diese Bestimmungen voraussichtlich bei der Einführung der elektronischen Signatur entsprechend angepasst werden müssten (Botschaft zur Revision des Zweiunddreissigsten Titels des Obligationenrechts [Die kaufmännische Buchführung] vom 31. März 1999, BBl 1999 514 ff., 5163), hat sich mit der Inkraftsetzung der Vorschriften über die Anerkennung der elektronischen Signatur erübrigt, s. Art. 14 OR sowie das Bundesgesetz vom 19. Dezember 2003 über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Signatur (Bundesgesetz über die elektronische Signatur, ZertES; SR 943.03).

187 S. dazu die Verordnung des Bundesrates vom 24. April 2002 über die Führung und Aufbewahrung der Geschäftsbücher (Geschäftsbücherverordnung); SR 221.431.

1704

Absatz 4 sieht eine Delegation der Regelung der Einzelheiten an den Bundesrat vor, die den Inhalt der geltenden Geschäftsbücherverordnung188 abdeckt.

2.2.2 Art. 959

Jahresrechnung Bilanz; Zweck der Bilanz, Bilanzierungspflicht und Bilanzierungsfähigkeit

Der Entwurf umschreibt die wichtigsten Grundbegriffe des Bilanzrechts und füllt damit die entsprechenden Lücken im geltenden Recht.

Die Bilanz stellt nach Absatz 1 die Vermögens- und Finanzierungslage des Unternehmens am Bilanzstichtag dar.

Vermögenswerte müssen gemäss Absatz 2 als Aktiven bilanziert werden, wenn aufgrund vergangener Ereignisse über sie verfügt werden kann, ein Mittelzufluss wahrscheinlich ist und ihr Wert verlässlich geschätzt werden kann. Andere Vermögenswerte dürfen nicht als Aktiven bilanziert werden.

Gemäss geltendem Recht können die Gründungs-, Kapitalerhöhungs- und Organisationskosten, die aus der Errichtung, der Erweiterung oder der Umstellung des Geschäfts entstehen, bilanziert werden; diese Kosten werden gesondert ausgewiesen und innerhalb von fünf Jahren abgeschrieben (s. Art. 664 OR). Gründungskosten stellen jedoch Aufwand und keine übertragbaren oder verwertbaren Aktiven dar. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass mehr Haftungssubstrat besteht als tatsächlich vorhanden ist. Gründungs-, Kapitalerhöhungs- und Organisationskosten können daher nach dem Entwurf und im Einklang mit der internationalen Entwicklung nicht mehr aktiviert werden. Dagegen besteht die Möglichkeit Rückstellung für Sanierungen oder Restrukturierungen zu bilden (s. Art. 960e Abs. 3 Ziff. 2 und 3). Zudem sind bestimmte Organisationskosten, wie beispielsweise für die Entwicklung eines Marktes, Teil der immateriellen Werte und können als solche aktiviert werden (s. Art. 959a Abs. 1 Ziff. 3 Bst. d).

Die flüssigen Mittel sind nach Absatz 3 als Umlaufvermögen zu bilanzieren. Dies gilt auch für andere Aktiven, die voraussichtlich innerhalb eines Jahres ab Bilanzstichtag oder innerhalb des normalen Geschäftszyklus zu flüssigen Mitteln werden oder die anderweitig realisiert werden. Als Anlagevermögen müssen alle übrigen Aktiven bilanziert werden (s. Art. 959a Abs. 1 Ziff. 1 und 2).

Verpflichtungen müssen aufgrund von Absatz 5 als Verbindlichkeiten bilanziert werden, wenn sie durch vergangene Ereignisse bewirkt wurden, ein Mittelabfluss wahrscheinlich ist und ihre Höhe verlässlich geschätzt werden kann. Insbesondere dürfen keine fiktiven Verbindlichkeiten bilanziert werden.

Als kurzfristig müssen nach Absatz 6 diejenigen Verbindlichkeiten bilanziert werden, die voraussichtlich innerhalb eines Jahres
ab Bilanzstichtag oder innerhalb des normalen Geschäftszyklus zur Zahlung fällig werden. Als langfristig müssen alle übrigen Verbindlichkeiten bilanziert werden (s. Art. 959a Abs. 2 Ziff. 1 und 2).

188

Verordnung des Bundesrates vom 24. April 2002 über die Führung und Aufbewahrung der Geschäftsbücher (Geschäftsbücherverordnung); SR 221.431.

1705

Gemäss Absatz 7 ist das Eigenkapital ­ also die Differenz zwischen den Aktiven und den Verbindlichkeiten ­ der Rechtsform entsprechend auszuweisen und zu gliedern.

Art. 959a

Mindestgliederung

Die Vorschriften zur Mindestgliederung der Bilanz werden fast unverändert aus dem geltenden Aktienrecht übernommen (s. Art. 663a OR); sie beschränken sich auf ein Minimum. Im Vordergrund steht die Klarheit und Verständlichkeit der Bilanz. Zu viele Details wirken eher verwirrend denn erhellend. Auf eine detaillierte Gliederung in Anlehnung an die EG-Richtlinien oder den Vorentwurf RRG wird daher verzichtet. Die Mindestgliederung orientiert sich vielmehr an der knappen Regelung der anerkannten Standards zur Rechnungslegung wie den IFRS oder den US-GAAP.

Die Gliederung der Aktiven gemäss Absatz 1 erfolgt ihrem Liquiditätsgrad entsprechend. Die Zweiteilung der Aktiven in Umlauf- und Anlagevermögen wird beibehalten. Zur Abgrenzung zwischen Umlauf- und Anlagevermögen s. Artikel 959 Absatz 3.

Es ist insbesondere auf folgende Positionen hinzuweisen: ­

In der Bilanz müssen neu eigene Kapitalanteile nicht mehr als Vermögenswert ausgewiesen werden; vielmehr ist die Realität ­ die «Rückzahlung» an die Eigenkapitalgeberinnen und Eigenkapitalgeber und somit die Reduktion des Eigenkapitals ­ abzubilden. Dabei ist zu beachten, dass diese Rückkäufe unter der Bilanzposition «eigene Kapitalanteile» als Minusposten aufzuführen sind (s. Absatz 2 Ziff. 3 Bst. e). Bei einer Verrechnung mit anderen Positionen des Eigenkapitals müsste mit steuerlichen Folgen gerechnet werden.

­

Gemäss Ziffer 1 Buchstabe a sind Aktiven mit Börsenkurs, die in der Absicht einer kurzfristigen Vermögensanlage erworben wurden, neu als Teil des Umlaufvermögens zu zeigen. Als kurzfristig gehaltene Werte gelten Werte, die für weniger als 12 Monate gehalten werden sollen (s. Art. 960d).

Ist dies nicht der Fall, so müssen die Werte als Finanzanlagen bilanziert werden (Ziff. 2 Bst. a). Eine eigene Position «Wertschriften» ist aufgrund dieser Differenzierung nicht notwendig.

­

Sachanlagen im Sinne von Ziffer 2 Buchstabe c sind körperliche Werte, die für die Herstellung von Gütern, für die Erbringung von Dienstleistungen oder zu Anlagenzwecken bestimmt sind. Hierunter fallen insbesondere unbebaute Grundstücke, Grundstücke und Bauten, Anlagen und Einrichtungen sowie Sachanlagen im Bau.

­

Als immaterielle Werte im Sinne von Ziffer 2 Buchstabe d gelten einerseits immaterialgüterrechtlich geschützte, nicht körperliche Rechte, andererseits aber auch weitere nicht körperliche Werte wie aktivierbares Know-how oder derivativer Goodwill, d.h. der bei der Übernahme eines Geschäfts über die Differenz von Aktiven und Verbindlichkeiten hinaus bezahlte Preis.

Die unter den Passiven auszuweisenden Verbindlichkeiten folgen nach Absatz 2 sinngemäss dem gleichen Konzept. Sie sind ihrer Fälligkeit entsprechend zu gliedern und gelten als kurzfristiges Fremdkapital, wenn sie innerhalb eines Jahres ab Bilanzstichtag oder innerhalb des normalen Geschäftszyklus zur Zahlung fällig werden.

1706

Zur Abgrenzung zwischen kurz- und langfristigen Verbindlichkeiten s. Artikel 959 Abs. 6.

Neu ist insbesondere die Pflicht, gemäss Ziffer 1 Buchstaben b und c verzinsliche Verbindlichkeiten (Finanzschulden) separat auszuweisen. Dies ermöglicht die Berechnung und damit auch die Analyse mit Hilfe heute üblicher Kennzahlen wie dem EBIT (d.h. dem Gewinn vor Finanzerfolg und Steuern), was ­ unabhängig von der konkreten Finanzierung eines Geschäftes ­ einen Quervergleich erleichtert.

Weitere Positionen müssen nach Absatz 3 in der Bilanz oder im Anhang (s. Art. 959c) einzeln ausgewiesen werden, sofern dies für die Beurteilung der Vermögens- oder Finanzierungslage durch Dritte wesentlich oder aufgrund der Tätigkeit des Unternehmens üblich ist.

Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber direkt oder indirekt Beteiligten und Organen sowie gegenüber Unternehmen, an denen direkt oder indirekt eine Beteiligung besteht, müssen gemäss Absatz 4 jeweils gesondert in der Bilanz oder im Anhang (s. Art. 959c) ausgewiesen werden.

Art. 959b

Erfolgsrechnung; Mindestgliederung

Die Erfolgsrechnung stellt nach Absatz 1 die Entwicklung der Ertragslage des Unternehmens während des Geschäftsjahrs dar. Der Begriff des «Geschäftsjahres» erfasst auch Kurz- und Langjahre, die sich dann ergeben, wenn ein Unternehmen nicht per Bilanzstichtag gegründet wird.

Die Erfolgsrechnung kann gemäss den Absätzen 2 und 3 als Produktionserfolgsrechnung oder als Absatzerfolgsrechnung dargestellt werden. In der Produktionserfolgsrechnung werden die Kostenarten, beispielsweise der Personalaufwand, in den Vordergrund gerückt, bei der Absatzerfolgsrechnung hingegen die Prozesse der Leistungserbringung.

Es ist insbesondere auf folgende Positionen hinzuweisen: ­

Für die Ermittlung der Nettoerlöse im Sinne von Absatz 2 Ziffer 1 und Absatz 3 Ziffer 1 dürfen von den Bruttoerlösen nur allfällige Rabatte, Skonti und Retouren, nicht aber anderer Aufwand zur Erzielung des Umsatzes abgezogen werden.

­

Als ausserordentliche Aufwände und Erträge gemäss Absatz 2 Ziffer 9 und Absatz 3 Ziffer 6 gelten ungewöhnliche, in der Regel einmalige oder mit dem Geschäftsgang nicht ohne Weiteres zusammenhängende Vorgänge.

­

Noch nicht fakturierte Dienstleistungen sind den noch nicht fertiggestellten Erzeugnissen eines Produktionsbetriebes (Ware in Arbeit) gleichgestellt (Abs. 2 Ziff. 2).

Im Anhang sind bei der Wahl der Absatzerfolgsrechnung gemäss Absatz 4 Personalaufwand sowie Abschreibungen und Wertberichtigungen auf Positionen des Anlagevermögens auszuweisen, weil diese sonst nicht ersichtlich sind.

Im geltenden Recht ist umstritten, ob und wie die Zuteilung von Optionen auf Beteiligungsrechten an das oberste Führungs- oder Verwaltungsorgan, an das Geschäftsführungsorgan und an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Erfolgsrechnung auszuweisen ist. Der Entwurf legt in Absatz 5 fest, dass die Zuteilung von Optionen

1707

erfolgswirksam zu verbuchen ist. Dasselbe gilt auch für die Zuteilung von Beteiligungsrechten.

Art. 959c

Anhang

Der Entwurf übernimmt die im geltenden Aktienrecht bestehende Konzeption des Anhangs zur Jahresrechnung (s. Art. 663b OR) und erklärt diese ­ nach einer inhaltlichen Bereinigung ­ für alle Unternehmen für verbindlich.

Der Anhang hat nach Absatz 1 eine dreifache Funktion: Erstens enthält er Angaben über die in der Jahresrechnung angewandten Grundsätze, soweit diese nicht vom Gesetz vorgeschrieben sind. Zweitens finden sich hier Angaben, Aufschlüsselungen, Gliederungen und Erläuterungen zu den einzelnen Positionen der Bilanz und der Erfolgsrechnung. Drittens werden weitere vom Gesetz verlangte Angaben ausgewiesen. Als solche Angaben gelten beispielsweise die zusätzlichen Angaben bei Gesellschaften mit kotierten Aktien (Art. 663bbis OR) oder die Angaben zum Kapitalband (s. Art. 653y).

Es ist insbesondere in Absatz 2 auf folgende Positionen hinzuweisen:

189 190

­

In der Vernehmlassung wurde verschiedentlich vorgeschlagen, auf die Offenlegung der Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt gemäss Ziffer 2 zu verzichten. Die entsprechende Angabe ist jedoch für die Abgrenzung der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) im Hinblick auf Differenzierungen bei der Rechnungslegung (s. Art. 961 ff.), bei der Revision (s. Art. 727a OR189) und im Hinblick auf das Fusionsgesetz (Art. 2 Bst. e FusG190) erforderlich. Anders als der Vorentwurf verlangt der Entwurf aber nicht die Angabe einer konkreten Zahl, sondern lediglich eine Erklärung, wonach die Anzahl der Vollzeitstellen nicht über zehn beziehungsweise über fünfzig oder über zweihundert liegt. Die genaue Zahl ist aber im Lagebericht offenzulegen (s. Art. 961c Abs. 2 Ziff. 1), der von der Revisionsstelle jedoch nicht geprüft wird.

­

Mit Blick auf die Pflicht zur Erstellung einer Konzernrechnung (s. Art. 963 ff.) sind nach Ziffer 3 auch allfällige direkte oder wesentliche indirekte Beteiligungen an anderen Unternehmen aufzuführen.

­

Als Sicherheiten im Sinne von Ziffer 8 sind insbesondere Bürgschaften, Garantieverpflichtungen, Pfandbestellungen, Sicherungszessionen und Sicherungsübereignungen zu verstehen. Analoges gilt für den Begriff der Sicherung im Sinne von Ziffer 9.

­

Nach Ziffer 12 ist über positive oder negative Ereignisse zu informieren, die zwischen dem Bilanzstichtag und der Genehmigung der Jahresrechnung durch das zuständige Organ eintreten. In der Jahresrechnung sind hingegen alle Ereignisse zu erfassen, deren Auslöser bereits am Bilanzstichtag gegeben war. Wird zum Beispiel über eine Schuldnerin oder einen Schuldner des Unternehmens vor dem Bilanzstichtag der Konkurs eröffnet, so sind die entsprechenden Wertberichtigungen und Rückstellungen bereits in der laufenden Jahresrechnung zu treffen. Ereignisse, die sich nach dem Bilanzstichtag Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7290), in Kraft am 1. Januar 2008.

Bundesgesetz vom 3. Oktober 2003 über Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung (FusG); SR 221.301.

1708

ereignen, sind hingegen in der neuen Jahresrechnung abzubilden. Eine Ausnahme gilt nur, wenn ein Ereignis für die Urteilsbildung wesentlich ist. Dies kann beispielsweise bei einem neuen Rechtsstreit der Fall sein. Im Anhang sind die Art des Ereignisses und eine Schätzung der finanziellen Auswirkungen offenzulegen. Ist keine Schätzung möglich (s. Art. 960e Abs. 2), so ist hierauf im Anhang hinzuweisen.

­

Die Gründe für den vorzeitigen Rücktritt der Revisionsstelle müssen gemäss dem neuen Revisionsrecht offengelegt werden191. Die Bestimmung wird aus redaktionellen Gründen umformuliert.

Im geltenden Recht ist u.a. auch die Offenlegung der Brandversicherungswerte der Sachanlagen vorgesehen (s. Art. 663b Ziff. 4 OR). Dies ist international nicht üblich, weil die Aussagekraft dieser Werte begrenzt ist: Die Brandversicherungswerte basieren auf dem Neuwert, währenddem die Sachwerte durch Gebrauch eine Wertverminderung aufweisen. Da die Differenz zwischen dem Versicherungswert und dem Buchwert nicht ohne Weiteres stille Reserven darstellen, können die Brandversicherungswerte zu irreführenden Schlüssen verleiten.

In der Vernehmlassung wurde verschiedentlich gewünscht, dass der Anhang Angaben zu allen Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen enthalten solle. Im geltenden Recht sind diese Angaben im Jahresbericht (s. Art. 663d OR; neu Lagebericht) beziehungsweise im Anhang der Jahresrechnung enthalten (s. Art. 663b Ziff. 11 OR). Diese Informationen müssen aber nicht zwingend im Lagebericht (s. Art. 961c) oder im Anhang offengelegt werden: Jedermann kann sich im Handelsregister über das aktuelle Kapital und über dessen Veränderungen informieren.

Für das Kapitalband gilt eine besondere Bestimmung (s. Art. 653y).

Einzelunternehmen und Personengesellschaften können gemäss Absatz 3 auf die Erstellung des Anhangs verzichten, wenn sie nicht zur Rechnungslegung nach den Vorschriften für grössere Unternehmen verpflichtet sind (s. Art. 961 ff.). Verweisen die Vorschriften zur Mindestgliederung der Bilanz und der Erfolgsrechnung auf zusätzliche Angaben im Anhang und wird auf die Erstellung eines Anhangs verzichtet, so müssen die entsprechenden Angaben direkt in der Bilanz oder in der Erfolgsrechnung gemacht werden.

Unternehmen, die Anleihensobligationen ausstehend haben, müssen aufgrund von Absatz 4 Angaben zu deren Beträgen, Zinssätzen, Fälligkeiten und zu den weiteren Konditionen machen.

Art. 960

Bewertung; Grundsätze

Eine zentrale Frage für die Rechnungslegung ist diejenige der Bewertung. Dabei ist zwei Problemen Rechnung zu tragen: ­

191

Zum einen besteht bei der Bewertung grundsätzlich ein grosses Ermessen.

Während die Bewertung im Zeitpunkt der Ersterfassung insofern relativ einfach ist, als auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten abgestellt werden kann, erfolgt die Folgebewertung an den späteren Bilanzstichtagen nach sehr unterschiedlichen Methoden, die alle sinnvoll sein können. Ein Ermessen besteht selbst bei ausgeklügelten Bewertungsvorgaben, und dies sowohl S. Art. 663b Ziff. 13 OR; Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7322), in Kraft am am 1. Januar 2008.

1709

bei der Bewertung von Vermögenswerten als auch bei der Ermittlung der Höhe von Rückstellungen.

­

Zum anderen ist mit Blick auf die Zielsetzung der Steuerneutralität (s. vorne Ziff. 1.3.5.6) der geltenden Praxis Rechnung zu tragen, wonach durch die Möglichkeit der Bildung steuerlich anerkannter stiller Reserven die Besteuerung der Gewinne aufgeschoben werden kann.

Weiter ist darauf hinzuweisen, dass viele moderne Bewertungsmethoden die Definition anspruchsvoller Annahmen voraussetzen. Das hierfür notwendige Fachwissen dürfte jedoch in den meisten KMU nicht vorhanden sein.

Aus diesen Gründen beschränkt sich der Entwurf auf die Festlegung einiger weniger zentraler Grundsätze und überlässt insbesondere die Beantwortung komplexer Bewertungsfragen entweder dem Unternehmen ­ bei gleichzeitiger Pflicht zur Offenlegung der gewählten Methode im Anhang (s. Art. 959c) ­ oder, sofern ein anerkannter Standard angewendet wird (s. Art. 962 ff.), den entsprechenden Standard-Settern.

Gemäss Absatz 1 gilt der Grundsatz der Einzelbewertung von Aktiven und Verbindlichkeiten. Die Einzelbewertung spielt bei Forderungen (s. Art. 960b) und Warenbeständen (s. Art. 960c) in der Regel keine grosse Rolle. So können für die Ermittlung der Wertberichtigung auf Kundenforderungen alle Inlandforderungen als Gruppe betrachtet werden; die Auslandsforderungen sind je nach Länderrisiko in mehrere Gruppen zu gliedern. Auch im Warenlager kann man gleichartige Einzelpositionen als Einheit betrachten. Dagegen schliesst der Grundsatz der Einzelbewertung aus, dass im Anlagevermögen (s. Art. 960d) beispielsweise Mehr- und Minderwerte auf einzelnen Beteiligungen an anderen Unternehmen oder auf verschiedenen Renditeliegenschaften verrechnet werden.

Es versteht sich von selbst, dass die Bewertung nach Massgabe der Verhältnisse am Bilanzstichtag erfolgen muss (sog. Stichtagsprinzip; Art. 959 Abs. 1).

Die Bewertung muss nach Absatz 2 vorsichtig erfolgen, darf aber die zuverlässige Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens (s. Art. 958 Abs. 1) nicht verhindern. Das Vorsichtsprinzip gebietet es, kein zu optimistisches Bild der wirtschaftlichen Lage zu zeichnen, und verlangt, dass die Nutzungsdauer nicht zu lang, die Wertberichtigung nicht zu knapp und die Risiken nicht zu gering bemessen werden.

Das Vorsichtsprinzip gilt gemäss dem Entwurf nicht mehr als Grundsatz ordnungsmässiger Rechnungslegung (s. Art. 958c Abs. 1 und im geltenden Aktienrecht Art. 662a Abs. 2 Ziff. 3 OR). Die Bewertung von Aktiven und Verbindlichkeiten impliziert einen gewissen Spielraum, der aber nur so genutzt werden darf, dass keine aggressive Bewertung, sondern eine fundiert begründete und für den Zeithorizont der
nächsten 12 Monate realistische Bewertung resultiert. Das Vorsichtsprinzip bildet somit Teil der Konzeption der Bewertung. Soweit eine zu tiefe Bewertung vermieden werden soll, wird dies im Entwurf ausdrücklich festgelegt.

Die moderne Rechnungslegung kann aufgrund veränderter Umweltbedingungen oder Annahmen Überbewertungen zur Folge haben. Bestehen konkrete Anzeichen für eine Überbewertung von Aktiven oder für zu geringe Rückstellungen, so sind aufgrund von Absatz 3 die Werte zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Das sog. Imparitätsprinzip verlangt schon heute, dass erkennbare Verluste ­ im Gegensatz zu künftigen, noch nicht realisierten Verlusten ­ zu berücksichtigen sind.

1710

Art. 960a

Aktiven; Im Allgemeinen

Neu wird zwischen der Bewertung von Aktiven im Zeitpunkt der erstmaligen Erfassung (Ersterfassung) und der Bewertung zu späteren Bilanzstichtagen (Folgebewertung) unterschieden.

Bei ihrer Ersterfassung müssen die Aktiven gemäss Absatz 1 zu den Anschaffungsbeziehungsweise zu den Herstellungskosten (zu den sog. historischen Kosten) bewertet werden.

Bei der Folgebewertung dürfen Aktiven nach Absatz 2 grundsätzlich nicht höher bewertet werden als zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Vorbehalten bleiben Bestimmungen für einzelne Arten von Aktiven (vgl. für kurzfristig gehaltene Aktiven mit Börsenkurs Art. 960b).

Der nutzungs- und altersbedingte Wertverlust von Aktiven muss gemäss Absatz 3 durch Abschreibungen berücksichtigt werden; anderweitigen Wertverlusten ist durch Wertberichtigungen Rechnung zu tragen. Abschreibungen sind systematische, sich wiederholende und in der Regel auf die Nutzungsdauer oder Nutzungskapazität ausgerichtete Wertkorrekturen auf einem Aktivum. Wertberichtigungen stellen demgegenüber Wertkorrekturen dar, die auf einmalige Vorgänge ausgerichtet sind, so beispielsweise auf Verluste auf einer Kundenforderung oder auf ein nicht mehr marktgängiges Produkt. Wertberichtigungen sind insbesondere für Aktiven des Umlaufvermögens wie Forderungen oder Warenlager üblich. Abschreibungen und Wertberichtigungen müssen nach den allgemein anerkannten kaufmännischen Grundsätzen vorgenommen werden. Der Entwurf verzichtet auf die Konkretisierung bestimmter Methoden oder Vorgaben. Die Unternehmen müssen aber die gewählten Methoden und Ansätze im Anhang offenlegen (s. vorne Art. 959c) und im Sinne der Stetigkeit von Geschäftsjahr zu Geschäftsjahr unverändert anwenden (zulässig ist allerdings die Anpassung von Ermessensgrössen wie Nutzungsdauer oder Wertberichtigungssatz). Die üblichen Abschreibungsmethoden (degressive, progressive, lineare Abschreibung oder auch Einmalabschreibung) sind weiterhin zulässig. Im Rahmen der steuerrechtlichen Vorgaben bleiben somit das Pauschaldelkredere von fünf Prozent (Inland) beziehungsweise zehn Prozent (Ausland), das sog. «Warendrittel» sowie Einmalabschreibungen auf Investitionen weiterhin zulässig.

Sofern dies sachlich begründet ist, dürfen innerhalb einer Bilanzposition unterschiedliche Abschreibungskonzepte zur Anwendung kommen. Beispielsweise kann
es innerhalb der Sachanlagen sinnvoll sein, Grossanlagen im Anschaffungsjahr je nach der kantonalen steuerrechtlichen Regelung fast gänzlich abzuschreiben (Einmalabschreibung), während für Maschinen und Fahrzeuge eine degressive Abschreibung zu den von den Steuerbehörden vorgegebenen Maximalsätzen auf dem Restwert erfolgt.

Wertberichtigungen dürfen nur nach Massgabe der durch ein Ereignis tatsächlich eingetretenen Wertverminderungen erfolgen. Eine Antizipation künftiger Verluste ist nicht zulässig. Wertberichtigungen auf Aktiven und Verbindlichkeiten sind demnach dann vorzunehmen, wenn Verluste oder Risiken erkennbar sind und ernsthaft mit ihrer Verwirklichung gerechnet werden muss.

Von solchen Wertberichtigungen ist die planmässige Verteilung der Anschaffungskosten auf die Nutzungsdauer nach dem Abschreibungsprinzip zu unterscheiden.

Eine Wertberichtigung ist dann angezeigt, wenn ein unvorgesehener Umstand, der nicht aus dem bestimmungsgemässen Gebrauch herrührt, eine Wertminderung 1711

verursacht. Ergibt sich hingegen ein Anpassungsbedarf des Abschreibungsplans, so ist dieser zu revidieren und eine planmässige Abschreibung nachzuholen.

Abschreibungen und Wertverluste sind direkt oder indirekt bei den betreffenden Aktiven zulasten der Erfolgsrechnung abzusetzen und dürfen nicht unter den Passiven ausgewiesen werden.

Zu Wiederbeschaffungszwecken sowie zur Sicherung des dauernden Gedeihens des Unternehmens dürfen gemäss Absatz 4 zusätzliche Abschreibungen und Wertberichtigungen vorgenommen werden. Zu den gleichen Zwecken kann davon abgesehen werden, nicht mehr begründete Abschreibungen und Wertberichtigungen aufzulösen. Der Entwurf übernimmt in diesem Punkt das geltende Aktienrecht (s. Art. 669 OR). Die steuerliche Anerkennung solcher Buchungen richtet sich allerdings nach den anwendbaren steuerrechtlichen Vorschriften.

Die Auflösung von nicht mehr benötigten Abschreibungen und Wertberichtigungen aus früheren Geschäftsjahren ist dann gefährlich, wenn durch die Auflösung die Summe der Abschreibungen und Wertberichtigungen des laufenden Geschäftsjahrs übertroffen und dadurch das Ergebnis des laufenden Geschäftsjahres verzerrt wird.

Werden nicht mehr begründete Abschreibungen und Wertberichtigungen aufgelöst, so muss daher nach Absatz 5 deren Gesamtbetrag in der Erfolgsrechnung oder im Anhang der Jahresrechnung gesondert ausgewiesen werden. Die Höchstbewertungsvorschriften sind in jedem Fall zu beachten. Eine analoge Regelung wird für die Rückstellungen vorgesehen (s. Art. 960e Abs. 4 OR).

Art. 960b

Aktiven mit Börsenkurs

In der Folgebewertung dürfen Aktiven mit Börsenkurs nach Absatz 1 zum Kurs am Bilanzstichtag bewertet werden, auch wenn dieser über dem Nennwert beziehungsweise Anschaffungswert liegt.

Als Aktiven mit Börsenkurs gelten vor allem Wertpapiere, aber insbesondere auch Edelmetalle und Handelswaren (sog. Commodities). Aktiven mit Börsenkurs können sowohl als rasch realisierbare Aktiven (Umlaufvermögen) als auch als langfristige Finanzanlagen (Anlagevermögen, s. Art. 960d) bilanziert werden. Der Entwurf lässt in beiden Fällen eine Bewertung zum Börsenkurs zu.

Liegt der Börsenkurs über den Anschaffungskosten, so werden noch nicht realisierte Gewinne bilanziert, was an sich gegen das Grundkonzept der Rechnungslegung verstossen würde (s. Art. 960a). Diese Ausnahme besteht allerdings im Wesentlichen bereits im geltenden Aktienrecht (s. Art. 667 Abs. 1 OR). Der Entwurf sieht aber neu Massnahmen zum Schutz vor Missbräuchen vor: Zum Ersten wird die Möglichkeit einer erhöhten Bewertung auf Aktiven mit Börsenkurs beschränkt. Für strukturierte Produkte ohne echten Markt oder Aktiven, die gelegentlich in einem breiteren Kreis von Marktteilnehmerinnen und -teilnehmern gehandelt werden, besteht kein Börsenkurs im Sinne dieser Bestimmung. Zum Zweiten muss die Bewertung auf alle Aktiven derselben Bilanzposition angewendet werden, die einen Börsenkurs aufweisen. Es ist also nicht möglich, gezielt nur einzelne Aktiven innerhalb einer Bilanzposition zum Börsenkurs zu bewerten, um so das Gesamtergebnis im gewünschten Mass zu verbessern. Zum Dritten wird verlangt, dass Wertschriften insgesamt und allfällige andere Aktiven mit Börsenkurs je separat im Anhang ausgewiesen werden.

1712

Werden Aktiven zum Börsenkurs am Bilanzstichtag bewertet, so darf aufgrund von Absatz 2 eine Wertberichtigung zulasten der Erfolgsrechnung gebildet werden, um Schwankungen im Kursverlauf und damit der Volatilität der Bewertung Rechnung zu tragen. Dieses Konzept ist von der Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen oder Vorsorgeinstitutionen her bekannt und macht auch für andere Unternehmen Sinn, die durch Einbezug der Börsenkurse für mehr Transparenz sorgen wollen. Mit der Möglichkeit, Schwankungsreserven zu bilden, können die Unternehmen die negativen Konsequenzen einer Bewertung zu Marktpreisen wenigstens teilweise kontrollieren. Solche Wertberichtigungen sind jedoch nicht zulässig, wenn dadurch sowohl der Anschaffungswert als auch der allenfalls tiefere Kurswert unterschritten würde.

Art. 960c

Vorräte und nicht fakturierte Dienstleistungen

Liegt in der Folgebewertung von Vorräten und nicht fakturierten Dienstleistungen der Veräusserungswert unter Berücksichtigung noch anfallender Kosten am Bilanzstichtag unter den Anschaffungs- oder Herstellungskosten, so muss nach Absatz 1 dieser Wert eingesetzt werden (sog. Niederstwertprinzip). Diese Bestimmung wird aus dem geltenden Aktienrecht übernommen (s. Art. 666 OR). Neu wird präzisiert, dass der Veräusserungswert vorweg um die für die Vermarktung und den Vertrieb anfallenden Kosten zu kürzen ist. Nicht nötig ist dagegen die Berücksichtigung eines Gewinnes.

Als Vorräte im Sinne von Absatz 2 gelten Rohmaterial, Erzeugnisse in Arbeit, fertige Erzeugnisse und Handelswaren.

Art. 960d

Anlagevermögen

Als Anlagevermögen gelten nach Absatz 1 Werte, die in der Absicht langfristiger Nutzung oder langfristigen Haltens erworben werden. Als langfristig gilt aufgrund von Absatz 2 ein Zeitraum von mehr als zwölf Monaten. Die Bestimmung schafft Klarheit in Bezug auf die Bilanzierung eines Aktivums als Umlaufvermögen beziehungsweise Anlagevermögen (s. Art. 959a Abs. 1 Ziff. 1 und Ziff. 2). Ausschlaggebend ist die Absicht des Unternehmens.

Als Beteiligungen gelten gemäss Absatz 3 Anteile am Kapital eines anderen Unternehmens, die langfristig gehalten werden und einen massgeblichen Einfluss vermitteln. Letzterer wird vermutet, wenn die Anteile mindestens 20 Prozent der Stimmrechte gewähren. Die Bestimmung wird aus dem geltenden Aktienrecht übernommen (s. Art. 665a OR). Neu kann die Vermutung des massgeblichen Einflusses auch widerlegt werden.

Art. 960e

Verbindlichkeiten

Verbindlichkeiten müssen gemäss Absatz 1 zum Nennwert eingesetzt werden.

Der Entwurf definiert neu die Voraussetzungen für die Bildung von Rückstellungen.

Lassen vergangene Ereignisse einen Mittelabfluss in künftigen Geschäftsjahren erwarten, so müssen die voraussichtlich erforderlichen Rückstellungen nach Absatz 2 zulasten der Erfolgsrechnung (s. Art. 959b) gebildet werden.

Im Gegensatz zum geltenden Recht sind nach dem Entwurf auch Sachverhalte offenzulegen, bei denen der Betrag zumindest vorerst nicht verlässlich abgeschätzt 1713

werden kann. Zu denken ist beispielsweise an Fälle der Produktehaftpflicht, in denen vorerst unklar ist, ob das Unternehmen tatsächlich Schadenersatz wird leisten müssen. Im Anhang der Jahresrechnung (s. Art. 959c) sind daher Angaben zum Rückstellungsbedarf zu machen.

Absatz 3 regelt die Fälle, für die Rückstellungen gebildet werden dürfen. Die Aufzählung ist nicht abschliessend.

Nicht mehr begründete Rückstellungen müssen wie im geltenden Aktienrecht (s. Art. 669 Abs. 2 OR) nicht aufgelöst werden. Erfolgt dennoch eine Auflösung, so muss nach Absatz 4 der Gesamtbetrag in der Erfolgsrechnung oder im Anhang der Jahresrechnung gesondert ausgewiesen werden. Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Auflösung nicht mehr begründeter Abschreibungen und Wertberichtigungen (s. Art. 960a Abs. 5).

Art. 960f

Verhältnis zum Steuerrecht

Im geltenden Recht bildet die nach den Vorschriften des OR erstellte Jahresrechnung die Grundlage für die Gewinn-, Ertrags- oder Einkommenssteuereinschätzung durch die Steuerbehörden (sog. Massgeblichkeits- oder Verbuchungsprinzip). Dies gilt grundsätzlich auch für Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen. Demnach müssen Abschreibungen und Wertberichtigungen auf Vermögenswerten sowie Rückstellungen im Abschluss nach OR erfasst werden, damit sie steuerlich anerkannt werden können. Allerdings werden Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen gemäss Handelsbilanz nicht immer steuerlich anerkannt: Sind diese Beträge übermässig, werden sie von den Steuerbehörden teilweise oder ganz aufgerechnet.

Im Vorentwurf wurde aus Transparenzgründen vorgeschlagen, dass solche steuerlichen Aufrechnungen in der Handelsbilanz nachvollzogen werden müssen (Art. 960f VE OR). Übermässige Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen hätten demnach auch handelsrechtlich auf das steuerlich zulässige Mass reduziert werden müssen.

Dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung abgelehnt (s. vorne Ziff. 1.2.2.3). In verschiedenen Stellungnahmen wurde angeregt, den Betrag der nicht steuerlich anerkannten Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen nicht in der Bilanz und in der Erfolgsrechnung nachzuvollziehen, sondern als Gesamtbetrag im Anhang der Jahresrechnung offenzulegen. Diesem Vorschlag kann gefolgt werden, da er die angestrebte Verbesserung der Transparenz wahrt.

Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen, die von den Steuerbehörden nicht anerkannt werden, müssen daher nach Absatz 1 als Gesamtbetrag im Anhang der Jahresrechnung (s. Art. 959c) offengelegt werden. Die Offenlegung erfolgt ab demjenigen Geschäftsjahr, in dem die steuerliche Veranlagung rechtskräftig wurde.

Die Bildung von Bewertungsreserven ­ im schweizerischen Sprachgebrauch meist als «stille Reserven» bezeichnet (s. im geltenden Aktienrecht Art. 669 OR) ­ ist somit handelsrechtlich weiterhin zulässig. Neu haben die Adressatinnen und Adressaten der Jahresrechnung jedoch die Möglichkeit, sich über den Betrag der steuerlich nicht anerkannten stillen Reserven zu informieren.

Auf die Offenlegung im Anhang kann gemäss Absatz 2 verzichtet werden, wenn das Unternehmen die Auflösung der nicht anerkannten Abschreibungen, Wertberichti1714

gungen und Rückstellungen direkt in der Bilanz nachvollzieht. Da die Aufrechnung durch die Steuerbehörden im Ergebnis eine Erhöhung der Gewinne früherer Geschäftsjahre ­ und somit der im Eigenkapital ausgewiesenen einbehaltenen Gewinne (Gewinnreserven) ­ bedeutet, erfolgt die Aufrechnung ausschliesslich in der Bilanz und nicht auch in der Erfolgsrechnung. Als Gegenposition zu den betreffenden Aktiven oder Rückstellungen dienen folglich die Gewinnreserven des Unternehmens. Den Unternehmen steht diese Alternative allerdings schon nach dem geltenden Recht offen. Sie können demnach wählen, ob sie die einbehaltenen Gewinne (Gewinnreserven) und die betroffene Gegenposition in der Bilanz korrigieren oder die entsprechenden Auswirkungen in einem einzigen Gesamtbetrag im Anhang offenlegen wollen. Erfolgt die Korrektur in der Bilanz, so muss sie beim Vermögenswert beziehungsweise bei der Verbindlichkeit vorgenommen werden, die von der steuerlichen Korrektur betroffen ist; die Korrektur darf nicht in einem Sammelposten erfasst werden. Da die Korrektur des Gewinns meist erst nach Jahren definitiv feststeht, erfolgt keine erfolgswirksame Erhöhung des Gewinns des laufenden Geschäftsjahrs, sondern es wird eine Buchung zwischen zwei Bilanzpositionen vorgenommen, welche die Erfolgsrechnung nicht tangiert. Durch diese erfolgsneutrale Korrektur ergibt sich die von den Steuerbehörden als «richtig» erachtete und beispielsweise für die Kapitalbesteuerung massgebliche Höhe des Eigenkapitals.

Aus Absatz 2 ergibt sich weiter, dass Unternehmen, die keinen Anhang erstellen (s. Art. 959c Abs. 3), zum Nachvollzug in der Bilanz verpflichtet sind. Nur so ist gewährleistet, dass auch diese Unternehmen über den Betrag der steuerlich nicht anerkannten Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen informieren.

Artikel 960f gilt nur für den Einzelabschluss nach OR, nicht jedoch für den Einzelabschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung (s. Art. 962 ff) und nicht für den konsolidierten Abschluss (s. Art. 963 ff.). Für die Steuerveranlagung ist ein konsolidierter Abschluss in keinem Fall und ein Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung in aller Regel (s. zur Ausnahme Art. 962 Abs. 1i.V.m. Art. 207b E DBG und Art. 78d E StHG) nicht massgebend.

Der Entwurf sieht vor, dass in der Jahresrechnung
neben den Zahlen des abgeschlossenen Geschäftsjahres auch die Werte des Vorjahres anzugeben sind (s. Art. 958d Abs. 2). Da der Anhang Teil der Jahresrechnung bildet (s. Art. 958 Abs. 2), gilt diese Vorschrift auch für den Anhang und insbesondere für die Offenlegung der steuerlichen Aufrechnungen. Auf diese Weise können die Adressatinnen und Adressaten der Jahresrechnung Veränderungen im Bestand der steuerlich nicht anerkannten stillen Reserven nachvollziehen.

2.2.3 Art. 961

Rechnungslegung für grössere Unternehmen Zusätzliche Anforderungen an den Geschäftsbericht

Der Geschäftsgang von Unternehmen mit einer gewissen Grösse kann je nach den Umständen direkt oder indirekt erhebliche Auswirkungen auf andere Unternehmen, auf das lokale Gewerbe und auf die Behörden haben. Für grössere Unternehmen sieht der Entwurf daher erhöhte Anforderungen an den Geschäftsbericht vor: Sie müssen zusätzliche Angaben im Anhang der Jahresrechnung machen (s. Art. 961a), in der Jahresrechnung eine Geldflussrechnung erstellen (s. Art. 961b) und einen Lagebericht verfassen (s. Art. 961c).

1715

Im Sinne einer konsistenten und klaren Regelung wird für die Abgrenzung zwischen den KMU und den grossen Unternehmen auf das vom Gesetzgeber bereits beschlossene neue Revisionsrecht abgestellt, das am 1. Januar 2008 in Kraft tritt (Art. 727 Abs. 1 OR192). Unterschiedliche Grenzwerte für die Revision der Jahresrechnung und für die Rechnungslegung lassen sich sachlich nicht begründen; es sind daher dieselben Grössenkriterien zu verwenden.

Als grössere Unternehmen gelten demnach solche, die gemäss dem neuen Revisionsrecht von Gesetzes wegen eine ordentliche Revision durchführen müssen. Dies sind Publikumsgesellschaften, andere wirtschaftlich bedeutende Unternehmen (Überschreitung von zwei der drei Grössenkriterien 10 Millionen Franken Bilanzsumme, 20 Millionen Franken Umsatzerlös und 50 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren) und Unternehmen, die eine Konzernrechnung erstellen müssen. Unternehmen, welche diese Kriterien nicht überschreiten (KMU), müssen die vom Entwurf vorgesehenen zusätzlichen Anforderungen nicht erfüllen.

Insgesamt dürften von den rund 400 000 Unternehmen in der Schweiz vorsichtig geschätzt 7000 bis 10 000 Unternehmen unter die Vorschriften für grössere Unternehmen fallen.

Art. 961a

Anhang der Jahresrechnung

Grössere Unternehmen müssen im Anhang der Jahresrechnung (s. Art. 959c) zusätzliche Angaben machen.

Da die Finanzierung mit Fremdkapital bei grossen Unternehmen im Einzelfall bedeutend sein kann, sind gemäss Ziffer 1 Informationen zur Fälligkeitsstruktur der langfristigen verzinslichen Verbindlichkeiten ­ also in erster Linie von Krediten ­ notwendig (s. Art. 959a Abs. 2 Ziff. 2 Bst. a). Verzinsliche Verbindlichkeiten mit einer Fälligkeit von unter einem Jahr ergeben sich bereits aus der Bilanz (s. Art. 959a Abs. 2 Ziff. 1 Bst. b).

Nach Ziffer 2 müssen je gesondert Angaben zum Honorar der Revisionsstelle für Revisionsdienstleistungen und für andere Dienstleistungen gemacht werden.

Der Vorentwurf sah vor, dass die Gesamtbezüge der Mitglieder des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans im Anhang der Jahresrechnung offenzulegen sind (s. Art. 961 Abs. 2 Ziff. 3 VE OR). Im Entwurf ist diese Bestimmung nicht mehr enthalten, weil in diesem Bereich die rechtsformspezifischen Regelungen vorgehen (s. Art. 663bbis OR für die AG, Art. 801 OR für die GmbH193; Art. 857 Abs. 2bis für die Genossenschaft, Art. 65 Abs. 4 E ZGB für den Verein; und Art. 84b E ZGB für die Stiftung).

Der Vorentwurf verlangte von grossen Unternehmen weiter die Offenlegung von Angaben über die Durchführung einer Risikobeurteilung (s. Art. 663b Ziff. 12 OR194). Es wird auf die Ausführungen zu Artikel 961c Absatz 2 Ziff. 2 verwiesen.

Im Falle der Erstellung einer Konzernrechnung kann im Einzelabschluss auf einen erweiterten Anhang der Jahresrechnung verzichtet werden (s. Art. 961d).

192 193 194

BBl 2005 7289.

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289 ff., 7307), in Kraft am 1. Januar 2008.

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289, 7322), in Kraft am 1. Januar 2008.

1716

Art. 961b

Geldflussrechnung

Grössere Unternehmen müssen ihre Jahresrechnung um eine Geldflussrechnung ergänzen. Die Geldflussrechnung stellt die Veränderung der flüssigen Mittel des Unternehmens infolge Ein- und Auszahlungen aus der Geschäftstätigkeit, Investitionstätigkeit und Finanzierungstätigkeit dar. Diese Dreiteilung ist international üblich.

Die Geldflussrechnung vermittelt Informationen über die Investitions- und Finanzierungsvorgänge und die Entwicklung der Finanzlage des Unternehmens aus der Geschäftstätigkeit. Die Geldflussrechnung enthält somit wichtige Zusatzinformationen, die insbesondere für die Beurteilung der Entwicklung der Zahlungsfähigkeit wertvoll sind.

In einfachen Verhältnissen kann die Geldflussrechnung auch sehr kurz sein. Der Entwurf enthält kein fixes Gliederungsschema. Sofern jedoch keine triftigen Gründe für Abweichungen bestehen, richtet sich die Gliederung nach den Vorschriften zur Bilanz (s. Art. 959a). Die Bezugsgrösse für die Geldflussrechnung ­ der sog. Fonds ­ bildet die Bilanzposition «flüssige Mittel» (s. Art. 959a Abs. 1 Ziff. 1 Bst. a).

Im Falle der Erstellung einer Konzernrechnung kann im Einzelabschluss auf eine Geldflussrechnung verzichtet werden (s. Art. 961d).

Art. 961c

Lagebericht

Die Terminologie des geltenden Aktienrechts («Jahresbericht», s. Art. 663d OR) wird durch den inhaltlich präziseren und international gebräuchlichen Begriff des «Lageberichts» ersetzt. Für Aktiengesellschaften besteht bereits heute die Pflicht zur Erstellung eines Lageberichts. Neu müssen nur noch grosse Aktiengesellschaften, zusätzlich aber auch alle anderen Unternehmen, die zu einer ordentlichen Revision verpflichtet sind, einen solchen Bericht vorlegen.

Der Lagebericht stellt nach Absatz 1 den Geschäftsverlauf und die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und gegebenenfalls des Konzerns (s. Art. 963 ff.) dar. Der Lagebericht ist schriftlich zu erstellen; eine mündliche Berichterstattung an der GV genügt nicht. Die Darstellung erfolgt dabei unter Gesichtspunkten, die in der Jahresrechnung nicht zum Ausdruck kommen. Der Lagebericht soll nicht in erster Linie Zahlen nennen, sondern umschreibend Aufschluss geben über wichtige Einflussfaktoren für die Entwicklung des Geschäftsgangs im Geschäftsjahr sowie über Indikatoren der künftigen Geschäftsentwicklung; weiter ist generell eine Beurteilung der geschäftlichen Zukunft vorzunehmen.

Der Lagebericht muss gemäss Absatz 2 namentlich Aufschluss geben über die Anzahl Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt (vgl. dazu die Ausführungen vorne zu Art. 959c Abs. 2 Ziff. 2), die Bestellungs- und Auftragslage, die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit, aussergewöhnliche Ereignisse und die Zukunftsaussichten des Unternehmens in dessen wirtschaftlichem Umfeld. Nicht verlangt sind insbesondere Aussagen zur Gewinnentwicklung des Unternehmens. Die gesetzliche Aufzählung ist nicht abschliessend. Je nach Umständen sind weitere wichtige Aspekte darzulegen.

Ziffer 2 sieht Angaben zur Durchführung einer Risikobeurteilung vor. Diese Vorgabe wird im Rahmen des neuen Revisionsrechts für sämtliche Aktiengesellschaften

1717

eingeführt (s. Art. 663b Ziff. 12 OR195). Allerdings wird diese Bestimmung wie alle aktienrechtlichen Vorschriften zur Rechnungslegung aufgehoben (s. Art. 662 ff.

OR). Der Entwurf beschränkt das Erfordernis zum einen auf grössere Unternehmen.

Kleinere Unternehmen, die künftig keine Angaben zur Durchführung einer Risikobeurteilung mehr machen müssen, werden in der Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des Entwurfs einen Ansatz wählen müssen, der langfristig nachwirkende einmalige Kosten vermeidet. Zum anderen sind die Angaben zur Durchführung einer Risikobeurteilung nicht mehr im Anhang der Jahresrechnung, sondern im Jahresbericht zu machen.

Aufgrund von Absatz 3 darf der Lagebericht der Darstellung der wirtschaftlichen Lage in der Jahresrechnung nicht widersprechen. Der Lagebericht bildet im Gegensatz zum erweiterten Anhang (s. Art. 961a) und zur Geldflussrechnung (s. Art. 961b) nicht Teil der Jahresrechnung. Die Revisionsstelle prüft den Lagebericht nicht. Im Rahmen der ordentlichen Revision muss sie jedoch dem obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgan im umfassenden Revisionsbericht (sog. Management Letter) auf allfällige Widersprüche zwischen der Jahresrechnung und dem Lagebericht hinweisen (vgl. Art. 728b Abs. 1 OR196).

Börsenrechtliche Vorschriften enthalten meist höhere Anforderungen an den Lagebericht (s. Art. 962 ff.). Diese enthalten meist weitere Anforderungen an den Jahresbericht (sog. Management Discussion and Analysis). Die betroffenen Unternehmen dürfen, sofern die Angaben den gesetzlich verlangten Erläuterungen zumindest gleichwertig sind, auf die Angaben im Lagebericht auf solche öffentlich zugängliche Angaben verweisen.

Zum Verzicht auf Angaben zu den im Geschäftsjahr vorgenommenen Kapitalerhöhungen s. vorne die Ausführungen zu Artikel 959c Absatz 2.

Im Falle der Erstellung einer Konzernrechnung kann im Einzelabschluss auf den Lagebericht verzichtet werden (s. Art. 961d).

Art. 961d

Erleichterungen infolge Konzernrechnung

In der Vernehmlassung wurde verschiedentlich die Entlastung von Konzerngesellschaften gefordert. Der Entwurf kommt diesem Anliegen entgegen, ohne aber von den Zielsetzungen der Vorlage abzurücken. Auf die Erstellung eines erweiterten Anhangs (s. Art. 961b), einer Geldflussrechnung (s. Art. 961c) und eines Lageberichts (s. Art. 961d) darf nach Absatz 1 im Einzelabschluss verzichtet werden, wenn das betreffende Unternehmen selbst oder eine juristische Person, die das betreffende Unternehmen kontrolliert, eine Konzernrechnung nach den Vorschriften dieses Gesetzes erstellt (s. dazu hinten Art. 963 ff.). Es erscheint nicht sinnvoll, im Einzelabschluss Angaben zu verlangen, die im Konzernabschluss in meist detaillierter und konsolidierter Form ohnehin vorhanden sind.

Je nach den Umständen besteht jedoch weniger Interesse am übergeordneten Konzernabschluss, sondern primär am Einzelabschluss einer Gesellschaft. Dies gilt beispielsweise für Gesellschafterinnen und Gesellschafter, die nicht an der Muttergesellschaft beteiligt sind. Personen mit Minderheitsbeteiligungen an einer Tochtergesellschaft haben zudem meist keinen Zugriff auf die Konzernrechnung der Mut195 196

Fassung vom 16. Dezember 2005, (BBl 2005 7289, 7322), in Kraft am 1. Januar 2008.

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289 ff., 7292), in Kraft am 1. Januar 2008.

1718

tergesellschaft. Aus diesen Gründen können Gesellschafterinnen und Gesellschafter, die mindestens 10 Prozent des Grundkapitals vertreten, 10 Prozent der Genossenschafter oder 20 Prozent der Vereinsmitglieder sowie jede Gesellschafterin beziehungsweise jeder Gesellschafter oder jedes Mitglied, das einer persönlichen Haftung oder einer Nachschusspflicht unterliegt, nach Absatz 2 dennoch einen Geschäftsbericht nach den Vorschriften dieses Abschnitts verlangen.

2.2.4 Art. 962

Abschluss nach anerkanntem Standard zur Rechnungslegung Im Allgemeinen

Die bisherige Regelung der Rechnungslegung im OR ist vom Grundsatz des Kapitalschutzes und vom Vorsichtsprinzip geprägt; sie orientiert sich somit primär am Gläubigerschutz. Kennzeichnend ist weiter die Massgeblichkeit der Jahresrechnung nach OR für die Steuerveranlagung. Auf internationaler Ebene hat sich dagegen in den letzten Jahrzehnten eine Sichtweise durchgesetzt, die zunehmend auf die Kapitalmärkte und die Informationsvermittlung für Finanzentscheidungen ausgerichtet ist. Adressatinnen und Adressaten der Rechnungslegung sind insbesondere die Kapitalgeberinnen und Kapitalgeber (vorab Personen mit Gesellschaftsanteilen, Anleihensgläubigerinnen und Anleihensgläubigern sowie Fremdkapitalgeberinnen und Fremdkapitalgeber wie insbesondere Banken). Sie sind alle an einem möglichst den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bild der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens interessiert ( zur «fair presentation» s. vorne Ziff. 1.3.5.5).

Dieser Zielsetzung entsprechend stehen in einer betriebswirtschaftlichen Optik der Rechnungslegung eine periodengerechte Zuordnung der Erträge und Aufwendungen sowie die angemessene Bewertung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten im Vordergrund. Die Neuregelung der Rechnungslegung soll jedoch steuerneutral erfolgen (s. vorne Ziff. 1.3.5.6). Es ist daher nur in begrenztem Umfang möglich, im Abschluss nach OR mehr Transparenz zu verwirklichen (s. vorne Ziff. 1.3.5.7).

Der Entwurf löst den Widerspruch zwischen Transparenz und Steuerneutralität dadurch, dass er in bestimmten Fällen zusätzlich die Erstellung eines Abschlusses vorschreibt, welche die tatsächliche wirtschaftliche Lage des betreffenden Unternehmens zum Inhalt hat. Ein entsprechender «Dualismus» zwischen Jahresrechnung nach OR und Abschluss nach anerkanntem Standard (sog. «dual reporting») ist in der Praxis bereits heute üblich: Viele Unternehmen erstellen aus verschiedenen Gründen sowohl eine Jahresrechnung nach OR als auch einen Abschluss nach Swiss GAAP FER oder IFRS.

Gemäss einer Anregung in der Vernehmlassung ermöglicht der Entwurf, das sog.

«dual reporting» zu vermeiden: Erstellt das Unternehmen einen Abschluss nach einem anerkanntem Standard zur Rechnungslegung, so kann es gemäss Absatz 1 auf die Erstellung der Jahresrechnung nach den Vorschriften des OR (s. Art. 957 ff.)

verzichten. Dies
kann zu einer steuerlichen Mehrbelastung führen (s. zur übergangsrechtlichen Regelung im Steuerrecht hinten Ziff. 2.4.5 und 2.4.6), die aber vom Unternehmen in Kauf genommen wird. Die Umstellung auf eine ausschliessliche Rechnungslegung nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung kann da sinnvoll sein, wo die spezialgesetzliche oder börsenrechtliche Berichterstattung

1719

Bewertungsvorgänge und Detailangaben notwendig macht, deren Duplizierung erhebliche Kosten auslöst. Zu denken ist insbesondere an Grossbanken.

Das oberste Leitungs- oder Verwaltungsorgan ist nach Absatz 2 für die Wahl des Standards zuständig, sofern die Statuten, der Gesellschaftsvertrag oder die Stiftungsurkunde keine anderslautenden Vorgaben enthalten oder das oberste Organ den Standard festlegt.

Nach Absatz 3 müssen Unternehmen in folgenden Fällen zwingend ­ und unabhängig von einer allfälligen Jahresrechnung nach OR ­ einen Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung erstellen: ­

Publikumsgesellschaften, wenn die Börse dies verlangt. Mit der Verweisung auf die Vorschriften der Börse werden Widersprüche vermieden. Die Börse verlangt einen Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung für die Konzernrechnung. Emittenten, die keinen Konzernabschluss veröffentlichen, haben einen Einzelabschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung zu erstellen197.

­

Grossgenossenschaften sind in vielerlei Hinsicht mit Publikumsgesellschaften vergleichbar. Im öffentlichen Interesse ist daher erforderlich, dass sie ebenfalls einen den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Jahresabschluss erstellen.

­

Ähnliche Überlegungen gelten auch für wirtschaftlich bedeutende Stiftungen. Eine erhöhte Transparenz ist Voraussetzung für eine sachdienliche Erfüllung der Aufgaben des Stiftungsrates und der stiftungsrechtlichen Aufsichtsbehörde. Der Entwurf nimmt dabei Bezug auf die Grössenkriterien des neuen Revisionsrechts (Überschreitung von zwei der drei folgenden Grössenkriterien in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren: 10 Millionen Franken Bilanzsumme, 20 Millionen Franken Umsatzerlös und 50 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt)198.

Die Pflicht zur Erstellung eines Abschlusses nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung gilt unabhängig davon, ob eine Jahresrechnung nach den Vorschriften von Artikel 957 ff. erstellt wird.

Unter Berücksichtigung der Vernehmlassungsergebnisse wurde im Unterschied zum Vorentwurf darauf verzichtet, auch für Vereine, die von Gesetzes wegen der ordentlichen Revision unterliegen, einen Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung zu verlangen (s. Art. 962 Abs. 1 Ziff. 3 VE OR).

In Unternehmen, in denen ein Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung nicht im öffentlichen Interesse verlangt wird, kann ein solcher Abschluss aber dennoch zum Schutz der Rechte von Personen mit Minderheitsbeteiligungen unabdingbar sein. Je nach den konkreten sachlichen und persönlichen Verhältnissen ist ein Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung insbesondere da wichtig, wo in der Unternehmensführung tätige Personen, welche die Mehrheit der Anteile besitzen, Minderheiten gegenüberstehen, die nicht an der Unternehmensführung beteiligt sind. Nach Absatz 4 können daher Gesellschafterinnen und Gesellschafter, die mindestens 10 Prozent des Grundkapitals 197 198

Art. 66 ff. des Kotierungsreglements der SWX, in der Fassung vom 1. Januar 2007.

Art. 83b Abs. 3 ZGB i.V.m. Art. 727 Abs. 1 Ziff. 2 O; Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289, 7340), in Kraft am 1. Januar 2008.

1720

vertreten (AG, GmbH, Genossenschaft mit Anteilscheinkapital), einen Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung verlangen. Dasselbe Recht steht auch 10 Prozent der Genossenschafter (Genossenschaft ohne Anteilscheinkapital) oder 20 Prozent der Vereinsmitglieder zu. Das höhere Quorum für Vereine soll verhindern, dass dieses Recht missbräuchlich ausgeübt wird. Ferner muss jede Person, die einer persönlichen Haftung oder einer Nachschusspflicht unterliegt, einen Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung verlangen können. Mit dieser Regelung wird gegenüber den Eigentümerinnen und Eigentümern des Unternehmens ein minimales Fairplay bei der jährlichen Berichterstattung sichergestellt.

Die Pflicht zur Erstellung eines Abschlusses nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung entfällt gemäss Absatz 5, wenn eine Konzernrechnung nach den Bestimmungen des OR erstellt wird (s. Art. 963 ff.), wobei immer ein anerkannter Standard zur Rechnungslegung befolgt werden muss (s. Art. 963b). Eine Darstellung der wirtschaftlichen Lage, die den tatsächlichen Verhältnissen entspricht, bleibt damit gewährleistet.

Selbstverständlich können Unternehmen einen Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung auch auf freiwilliger Basis erstellen. Die Artikel 962 und 962a finden diesfalls keine Anwendung.

Im Falle eines «dual reporting» wird für die Steuerbemessung ausschliesslich die Jahresrechnung nach OR herangezogen. Falls einzig ein Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung erstellt wird, ist dieser Abschluss für die Bemessung der Kapital- und Gewinnsteuern durch die zuständigen Steuerbehörden massgeblich. Ausschlaggebend ist in jedem Fall die vom zuständigen Organ genehmigte Jahresrechnung. Für die steuerrechtliche Übergangsregelung wird auf die Ausführungen zu Artikel 207b E DBG verwiesen (s. hinten Ziff. 2.4.5).

Die Rückkehr von einem Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung zu einer Jahresrechnung nach OR ist theoretisch denkbar. In der Praxis dürfte es sich allerdings um Einzelfälle handeln. Für die steuerlich anerkannten Abschreibungen im ersten Geschäftsjahr nach der Rückkehr zur Jahresrechnung nach OR sind als Grundlage die bisherigen Werte dem Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung massgebend. Der
Wechsel zur Jahresrechnung nach OR gibt grundsätzlich keinen Anlass zu ausserordentlichen Abschreibungen. Die Höhe der Abschreibungssätze entspricht demzufolge den üblichen steuerlich zulässigen Werten. Für allfällige Umstellungen während der steuerrechtlichen Übergangsregelung wird auf die Ausführungen zu Artikel 207b Absatz 3 E DBG verwiesen (s. hinten Ziff. 2.4.5).

Art. 962a

Anerkannte Standards zur Rechnungslegung

Wird ein Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung erstellt (s. Art. 962), so muss nach Absatz 1 angegeben werden, nach welchem Standard der Abschluss erstellt wurde und ob der Abschluss an die Stelle der Jahresrechnung nach OR tritt.

Der gewählte Standard muss gemäss Absatz 2 in seiner Gesamtheit und für den ganzen Abschluss übernommen werden. Damit wird das missbräuchliche sog. Standard Picking, also das Zusammensetzen von verschiedenen Standards zur Erreichung eines bestimmten Ziels, ausgeschlossen.

1721

Aufgrund von Absatz 3 muss die Einhaltung des anerkannten Standards durch eine zugelassene Revisionsexpertin oder einen zugelassenen Revisionsexperten geprüft werden. Der Entwurf nimmt damit Bezug auf das neue Revisionsrecht, das am 1. Januar 2008 in Kraft tritt199. Für die Prüfung ist in der Regel die Revisionsstelle zuständig200. Verfügt das Unternehmen über keine Revisionsstelle201, so ist eine Person oder ein Unternehmen mit der Prüfung zu beauftragen, die oder das über die Zulassung als Revisionsexpertin beziehungsweise Revisionsexperte verfügt. Die Vorschriften zur Unabhängigkeit der Revisionsstelle sind dabei selbstverständlich zu beachten202. Es ist eine ordentliche Revision des Abschlusses durchzuführen203.

Erfolgt ein Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung zusätzlich zu einer Jahresrechnung nach OR, so muss er gemäss Absatz 4 dem obersten Organ anlässlich der Genehmigung der Jahresrechnung vorgelegt werden, bedarf aber selber keiner Genehmigung durch dieses Organ.

Wird ein Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung erstellt, so muss dies nach einem national oder international anerkannten Standard erfolgen.

Um künftige Entwicklungen im Bereich der internationalen Rechnungslegung aufzufangen, erhält der Bundesrat in Absatz 5 die Kompetenz, die anerkannten Standards in einer Verordnung zu bezeichnen. Voraussichtlich werden die in der Schweiz üblichen Standards aufgenommen (Swiss GAAP FER, IFRS und US-GAAP). Der Bundesrat kann weitere Standards für anwendbar erklären und bestimmen, welche Anforderungen bei der Wahl oder beim Wechsel des Standards zu befolgen sind. Beispielsweise kann festgelegt werden, dass bei der Wahl eines in der Schweiz nicht üblichen lokalen Standards ein territorialer Konnex zur Unternehmenstätigkeit bestehen muss. Der Bundesrat hat weiter auch festzulegen, unter welchen Umständen der Standard gewechselt werden kann. Dabei ist den Grundsätzen der Stetigkeit der Darstellung und Bewertung sowie der Vergleichbarkeit Rechnung zu tragen.

2.2.5 Art. 963

Konzernrechnung Pflicht zur Erstellung

Die konsolidierte Jahresrechnung (Konzernrechnung) ist eine Zusammenfassung der Einzelabschlüsse der zu einer Gruppe gehörigen Unternehmen, bei der sämtliche Positionen aus gruppeninternen Beziehungen eliminiert werden. Der Konzernabschluss ist ein wichtiges Informations- und Analyseinstrument zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage einer Unternehmensgruppe.

199

200 201 202 203

S. Art. 727b OR gemäss Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289), in Kraft am 1. Januar 2008 in Kraft und Art. 4 Revisionsaufsichtsgesetz, in Kraft seit 1. September 2007.

S. Art. 728a Abs. 1 Ziff. 1 OR gemäss Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289), in Kraft am 1. Januar 2008.

S. Art. 727a OR (sog. Opting-out gemäss Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289), in Kraft am 1. Januar 2008.

S. Art. 728 OR gemäss Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289), in Kraft am 1. Januar 2008.

S. Art. 728 ff. OR gemäss Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289), in Kraft am 1. Januar 2008.

1722

Die Pflicht zur Erstellung einer Konzernrechnung wurde in der Schweiz erst mit der Aktienrechtsrevision von 1991 eingeführt und blieb bisher auf Unternehmen in der Rechtsform der AG beschränkt (s. Art. 663e ff. OR). Ungeachtet der Rechtsform der «Muttergesellschaft» ist aber bei Unternehmensgruppen eine vernünftige Beurteilung der wirtschaftlichen Lage stets nur mit Hilfe einer Konzernrechnung möglich.

Der Entwurf übernimmt die erwähnten Bestimmungen aus dem Aktienrecht und erweitert die Pflicht zur Erstellung einer Konzernrechnung auf alle rechnungslegungspflichtigen juristischen Personen, die andere Unternehmen beherrschen, so auch auf Stiftungen und Vereine. Nicht konsolidierungspflichtig sind demgegenüber Einzelunternehmen und Personengesellschaften. Diese Ausnahme dürfte nur relativ wenige Fälle betreffen. Die fehlende Konsolidierungspflicht wird hier durch die persönliche Haftung der Einzelunternehmerinnen, Einzelunternehmer, Kollektivgesellschafterinnen, Kollektivgesellschafter sowie Komplementärinnen und Komplementäre kompensiert.

Kontrolliert eine rechnungslegungspflichtige juristische Person eines oder mehrere rechnungslegungspflichtige Unternehmen, so muss sie gemäss Absatz 1 für die Gesamtheit der kontrollierten Unternehmen eine Konzernrechnung erstellen. Diese bildet wie im geltenden Aktienrecht (s. Art. 662 Abs. 1 OR) Bestandteil des Geschäftsberichts (s Art. 958 Abs. 2) und stellt, wie der Name sagt, eine Jahresrechnung dar. Folglich setzt sie sich aus denselben Bestandteilen wie eine (Einzel-) Jahresrechnung zusammen (s. Art. 959 ff.). Der Entwurf sieht vor, dass der Lagebericht eines konsolidierungspflichtigen Unternehmens auch Aussagen zur Gruppe als Ganzes enthalten muss (s. Art. 961c Abs. 1); die Erstellung eines separaten Konzernjahresberichts ist daher nicht notwendig.

Absatz 2 legt fest, wann eine juristische Person ein anderes Unternehmen in rechtsrelevanter Weise kontrolliert. Die Konsolidierungspflicht umfasst auch Unternehmen mit Sitz im Ausland. Das geltende Aktienrecht setzt für die Konsolidierungspflicht die einheitliche Leitung, also die tatsächliche Ausübung der Beherrschung, voraus (sog. Leitungsprinzip, s. Art. 663e Abs. 1 OR). Auf dieses Kriterium wird verzichtet, weil die tatsächliche Einflussnahme kaum nachzuweisen ist. Ausschlaggebend ist nach dem Entwurf
ausschliesslich die Beherrschung eines Unternehmens (sog. Kontrollprinzip).

Die Kontrolle eines Unternehmens gilt als gegeben, wenn eine juristische Person direkt oder indirekt über die Mehrheit der Stimmen im obersten Organ (bei der AG in der GV) verfügt. Eine Kontrolle liegt auch dann vor, wenn die juristische Person direkt oder indirekt das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans (bei der AG des Verwaltungsrates) zu bestellen oder abzuberufen. Ein Kontrollverhältnis besteht ferner dann, wenn aufgrund der Statuten, der Stiftungsurkunde, eines Vertrags oder vergleichbarer Instrumente (bspw.

durch ein Trustverhältnis) ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann.

Art. 963a

Befreiung von der Pflicht zur Erstellung

Der Vorentwurf sah auch für Kleinkonzerne eine Konzernrechnungspflicht vor (vgl. Art. 963 VE OR), weil die Gefahr einer irreführenden Darstellung der wirtschaftlichen Lage hier nicht kleiner ist als bei grossen Gruppen. Die Konsolidierung bedeutet zudem in gut geführten Unternehmen keine bedeutende zusätzliche Belastung. Werden umfangreiche Abklärungen notwendig, so ist dies ein Hinweis darauf, dass eine konsolidierte Rechnungslegung notwendig ist, damit die Beteiligten sich 1723

ein zuverlässiges Urteil über die wirtschaftliche Lage bilden können. In der Vernehmlassung wurde eine Konsolidierung demgegenüber nicht als zwingend erachtet.

Es wurde gewünscht, dass bei der Konzernrechnungspflicht der Schutz von Personen mit Minderheitsbeteiligungen in den Vordergrund gerückt wird. Der Entwurf kommt diesem Anliegen entgegen.

Eine juristische Person ist nach Absatz 1 Ziffer 1 von der Pflicht zur Erstellung einer Konzernrechnung befreit, wenn sie zusammen mit den kontrollierten Unternehmen zwei der nachstehenden Grössen in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren nicht überschreitet: eine Bilanzsumme von 10 Millionen Franken, einen Umsatzerlös von 20 Millionen Franken und 50 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt. Die Grössenkriterien entsprechen jenen, die der Gesetzgeber bereits für die Abgrenzung der ordentlichen von der eingeschränkten Revision festgelegt hat. Vorliegend wird allerdings auf eine konsolidierte Sicht abgestellt, d.h. die Grössenkriterien sind nach der Elimination interner Transaktionen und Positionen zu ermitteln.

Eine juristische Person ist nach Ziffer 2 von der Pflicht zur Erstellung einer Konzernrechnung ebenfalls befreit, wenn sie von einem Unternehmen kontrolliert wird, dessen Konzernrechnung nach schweizerischen oder gleichwertigen ausländischen Vorschriften erstellt und ordentlich geprüft worden ist (Unterkonzern; ähnlich bereits im Vorentwurf, vgl. Art. 963a VE OR).

Nach Absatz 2 muss aber in jedem Fall (d.h. in beiden von Absatz 1 erwähnten Ausnahmen) dennoch eine Konzernrechnung erstellt werden, wenn dies für eine möglichst zuverlässige Beurteilung der Vermögens- und Ertragslage notwendig ist oder wenn eine Gesellschafterin, ein Gesellschafter, eine Genossenschafterin, ein Genossenschafter oder die Stiftungsaufsichtsbehörde dies verlangt, beziehungsweise 20 Prozent der Vereinsmitglieder dies verlangen.

Verzichtet eine juristische Person auf die Erstellung einer Konzernrechnung für den Unterkonzern, so muss sie gemäss Absatz 3 die Konzernrechnung des Oberkonzerns nach den Vorschriften für die eigene Jahresrechnung bekannt machen (s. Art. 958e, aber beispielsweise auch Art. 696 Abs. 1 und Abs. 3 OR für die AG). Der Verzicht auf die Unterkonzernrechnung und gegebenenfalls der Hinweis auf die gleichwertige ausländische Konzernrechnung sind im Anhang
der Jahresrechnung aufzuführen und von der Revisionsstelle zu prüfen. Die Prüfung umfasst auch die Frage der Gleichwertigkeit. Unter anderem müssen auch die Sprache und die Währung der Konzernrechnung der Obergesellschaft dem Kriterium der Gleichwertigkeit genügen (s. Art. 958d Abs. 3 und Abs. 4).

Im Gegensatz zum Vorentwurf verzichtet der Entwurf auf eine Bestimmung zum Konsolidierungskreis (s. Art. 963b VE OR), weil die anerkannten Standards zur Rechnungslegung (s. Art. 963b) Umschreibungen des Konsolidierungskreises enthalten (die allerdings nicht zwingend übereinstimmen). Entsprechende gesetzliche Vorschriften würden daher zwangsläufig zu Widersprüchen mit den anerkannten Standards zur Rechnungslegung führen.

Art. 963b

Anerkannte Standards zur Rechnungslegung

Im geltenden Aktienrecht kann jede konsolidierungspflichtige Gesellschaft ihre eigenen Konsolidierungs- und Bewertungsgrundsätze aufstellen (s. Art. 663g OR).

Das hat in der Praxis zum sog. Standard Picking und zu «Eigenkreationen» geführt.

Die Konzernrechnung muss neu zwingend nach einem vom Bundesrat anerkannten 1724

Standard zur Rechnungslegung erstellt werden. Die Artikel 962a Absätze 1-3 sind sinngemäss anwendbar. Sprache und Währung richten sich nach den Bestimmungen in Artikel 958d.

2.3

Änderung weiterer Bestimmungen des Obligationenrechts

2.3.1

Der Einzelarbeitsvertrag

Art. 322a Abs. 3

Anteil am Geschäftsergebnis

Die Änderung ist rein terminologischer Natur («Erfolgsrechnung» anstatt «Gewinnund Verlustrechnung»; s. Art. 958f Abs. 2).

2.3.2

Die Kollektivgesellschaft

Art. 558 Randtitel, Abs. 1 und 559 Abs. 2 und 3

Rechnungslegung

Die Änderungen sind rein terminologischer Natur (Verwendung der Begriffe «Jahresrechnung» und «Geschäftsbericht»; s. Art. 958 Abs. 2).

2.3.3

Die Kommanditgesellschaft

Art. 600 Abs. 3, 611 Abs. 2

Stellung des Kommanditärs; Bezug von Zinsen und Gewinn

Die Änderungen sind rein terminologischer Natur (Einführung der Begriffe «Erfolgsrechnung», «Geschäftsbücher», «Buchungsbelege» etc.; s. Art. 957a Abs. 3, 958 Abs. 2, 958f).

Artikel 611 Absatz 2 wird im Hinblick auf die Neufassung von Artikel 678 geändert: Die Kommanditärin oder der Kommanditär sind grundsätzlich zur Rückerstattung ungerechtfertigt bezogener Zinse oder Gewinne verpflichtet. Vorbehalten bleibt jedoch Artikel 64 OR (s. dazu auch den Kommentar zu Art. 678 Abs. 3).

2.3.4 Art. 765 Abs. 2

Kommanditaktiengesellschaft Verwaltung, Bezeichnung und Befugnisse

Der Entwurf sieht neu ausdrücklich vor, dass bei ausländischen Mitgliedern der Verwaltung sowie bei zur Vertretung befugten Ausländerinnen und Ausländern die Staatsangehörigkeit im Handelsregister anzugeben ist.

1725

2.3.5

Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)

Art. 777c Abs. 2 Ziff. 1 und 2

Einlagen

Der neue Artikel 777c Absatz 2 Ziffer 1 und 2204 verweist auf die Vorschriften des Aktienrechts hinsichtlich der Angabe von Sacheinlagen, Sachübernahmen und besonderer Vorteile in den Statuten sowie deren Eintragung ins Handelsregister. Der Entwurf ergänzt die Bestimmung im Hinblick auf die aktienrechtlichen Vorschriften zur Liberierung durch Verrechnung, da eine Ungleichbehandlung der Verrechnungsliberierung bei der AG und der GmbH nicht gerechtfertigt ist.

Art. 791 Abs. 1

Eintragung ins Handelsregister

Der Entwurf sieht neu ausdrücklich vor, dass bei ausländischen Gesellschafterinnen und Gesellschaftern im Handelsregister die Staatsangehörigkeit anzugeben ist.

Art. 801

Reserven

Die Bestimmungen des Aktienrechts über die Reserven finden bei der GmbH entsprechend Anwendung (s. Art. 671 ff.).

Art. 802 Abs. 2

Auskunfts- und Einsichtsrecht

Die Änderungen von Artikel 802 Absatz 2205 sind rein terminologischer Natur («Geschäftsbücher» statt «Bücher»; s. Art. 985f.).

Art. 804 Abs. 2 Ziff. 3 und 4 sowie 805 Abs. 4 und 5 Ziff. 2

Gesellschafterversammlung; Aufgaben; Einberufung und Durchführung

Infolge der Revision des Rechnungslegungsrechts muss Artikel 804 Absatz 2 Ziffer 3206 angepasst werden: Nach Artikel 728a OR207 prüft die Revisionsstelle bei der Aktiengesellschaft gegebenenfalls auch die Konzernrechnung. Bei der GmbH gilt dasselbe. Der Hinweis auf die Konzernprüfung kann deshalb gestrichen werden. Die Änderung in Ziffer 4 ist rein terminologischer Natur («Lagebericht» anstelle «Jahresbericht»).

Das revidierte GmbH-Recht sieht vor, dass die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung unter bestimmten Voraussetzungen auch auf dem Zirkularweg gefasst werden können. Artikel 805 Absatz 4 Ziffer 2 stellt nun klar, dass die schriftliche Beschlussfassung nur unter der Voraussetzung möglich ist, dass die Beschlüsse nicht der öffentlichen Beurkundung bedürfen (zu den Gründen s. den Kommentar zu Art. 701d). In Artikel 805 Absatz 5 Ziffer 2 wird der Verweis auf das Aktienrecht den neuen Bestimmungen zur Einberufung und Durchführung der Generalversammlung angepasst.

204 205 206 207

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7299), in Kraft am 1. Januar 2008.

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7308), in Kraft am 1. Januar 2008.

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7309), in Kraft am 1. Januar 2008.

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7292), in Kraft am 1. Januar 2008.

1726

Art. 811 Abs. 2 und 3 (neu)

Genehmigung durch die Gesellschafterversammlung

Artikel 811208 wird im Hinblick auf die neue aktienrechtliche Regelung betreffend die Genehmigung von Entscheiden des Verwaltungsrat durch die GV ergänzt (Art. 716b). Das GmbH-Recht geht bisher offenbar davon aus, dass die Genehmigungskompetenz sich nicht auf die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben der Geschäftsführer nach Artikel 810 Absatz 2 und 3 OR beziehen kann. Das revidierte Aktienrecht ermöglicht demgegenüber ­ gemäss den Bedürfnissen der Praxis ­ punktuelle Genehmigungskompetenzen auch im Bereich an sich unübertragbarer und unentziehbarer Aufgaben. Es muss aber deshalb die Genehmigungsmöglichkeiten mit einem sachlich begründeten Ausnahmenkatalog eingrenzen. Die Anpassung des GmbH-Rechts bedeutet in diesem Punkt eine Liberalisierung und erscheint daher sinnvoll. Siehe dazu auch die Ausführungen zu Artikel 716b.

Art. 820

Anzeigepflichten und Konkurs

Für die Anzeigepflichten bei Kapitalverlust, Überschuldung sowie neu auch bei Zahlungsunfähigkeit kommen die aktienrechtlichen Vorschriften zur Anwendung (s. Art. 725 ff.). Weitere Änderungen in Absatz 2 sind rein sprachlicher Natur.

Art. 856

Bekanntgabe des Lageberichts, der Jahresrechnung und der Konzernrechnung

Die Bestimmung muss terminologisch der Neuregelung des Rechnungslegungsrechts angepasst werden (Abs. 1). Absatz 2 wurde der entsprechenden Bestimmung im Aktienrecht nachgebildet (Art. 696 Abs. 3).

Art. 857 Abs. 2bis (neu)

Auskunftserteilung

Die aktienrechtlichen Vorschriften über die Offenlegung der Entschädigungen des Managements sollen sinngemäss auch bei Genossenschaften gelten. Bei Genossenschaften mit mehr als 2000 Mitgliedern erfolgt die Bekanntgabe ­ wie bei Aktiengesellschaften mit börsenkotierten Aktien ­ im Anhang der Jahresrechnung (s. Art. 697quater). Bei den übrigen Genossenschaften kann jede Gesellschafterin und jeder Gesellschafter Auskunft verlangen (s. Art. 697quinquies).

In der Vernehmlassung wurde in einzelnen Stellungnahmen die Ansicht vertreten, dass in der Genossenschaft nicht dieselben Bedürfnisse hinsichtlich der Transparenz bestünden wie bei der Aktiengesellschaft209. Dieser Einwand überzeugt nicht: Wieso in der Genossenschaft keine Transparenz bezüglich der bezogenen Entschädigungen bestehen soll, lässt sich sachlich nicht begründen.

Art. 858

Aufgehoben

Die Bestimmung ist infolge der Neuregelung der Rechnungslegung aufzuheben.

208 209

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7314), in Kraft am 1. Januar 2008.

Ergebnisbericht betr. die Zusammenfassung der Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 26.

1727

Art. 874 Abs. 2

Änderungen der Haftungsbestimmungen

Die Bestimmung muss terminologisch ans Aktienrecht angepasst werden.

Art. 879 Abs. 2 Ziff. 3­6, 879a (neu) Das geltende Genossenschaftsrecht kennt ­ im Unterschied zum Aktienrecht ­ weder einen «Jahresbericht» (neu «Lagebericht») noch eine Konzernrechnung.

Diese Differenzierung ist aufgrund der rechtsformübergreifenden Ausgestaltung des neuen Rechnungslegungsrechts nicht mehr gerechtfertigt. Artikel 879 Absatz 2 Ziffer 3 wird entsprechend angepasst (Übernahme der Formulierung von Artikel 698 Abs. 2 Ziff. 3). Ziffer 4 ist terminologisch an die Neuregelung der Rechnungslegung anzupassen (Verwendung des Begriffs «Jahresrechnung»; s. Art. 958 Abs. 2).

In der Vernehmlassung wurde der Wunsch geäussert, die neuen aktienrechtlichen Bestimmungen betreffend die Verwendung elektronischer Mittel bei der Vorbereitung und Durchführung der GV sollten auch bei der Genossenschaft Anwendung finden210. Der Entwurf enthält eine entsprechende Verweisung (Art. 879a).

Art. 902 Abs. 3

Pflichten. Im Allgemeinen

Die Bestimmung wird aus gesetzestechnischen Gründen neu gegliedert. Im Hinblick auf das revidierte Rechnungslegungsrecht wird neu in Absatz 3 Ziffer 2 der Begriff «Geschäftsbericht» verwendet.

Art. 903

Anzeigepflichten und Konkurs

Die Verweisung betreffend die Anzeigepflichten der Verwaltung ist der revidierten aktienrechtlichen Bestimmung anzupassen.

Ferner wird neu festgehalten, dass das Gericht den Konkurs aufschieben kann, wenn ausstehende Nachschüsse sofort einbezahlt werden und Aussicht auf Sanierung besteht (Abs. 2). Diese Bestimmung trägt der Möglichkeit statutarischer Nachschüsse Rechnung. Wie bei der GmbH ist der Gang zum Gericht nicht erforderlich, wenn die Nachschüsse unverzüglich nach der Feststellung der Überschuldung geleistet werden und der Mittelzufluss ausreicht, um die Überschuldung zu beseitigen. Eine entsprechende Anpassung an die Regelung für die GmbH ist sachlich notwendig. Die Absätze 3 ­ 6 können aufgehoben werden.

2.3.6

Das Handelsregister

Art. 928 und 928a (neu)

Öffentlichkeit; Im Allgemeinen; Veröffentlichungen von Handelsregistereinträgen

Die bisher in Artikel 928 enthaltene Ordnung der Haftung wird in Artikel 929 verschoben. Artikel 928 regelt neu die Öffentlichkeit des Handelsregisters.

210

Ergebnisbericht betr. die Zusammenfassung der Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 26.

1728

Der Umfang der allgemein öffentlichen Daten des Handelsregisters bleibt unverändert. Wie bisher sind Eintragungen211, Anmeldungen und Belege jedermann frei zugänglich (Abs. 1).

Die Nutzung des Internets kann die Einsichtsnahme in die Handelregisterdaten erheblich erleichtern. Im Interesse einer guten Corporate Governance gilt es daher, die gesetzlichen Grundlagen der elektronischen Publikation der Daten anzupassen und dadurch die Transparenz unternehmensrelevanter Tatsachen zu verbessern. Die entsprechenden Vorschläge wurden in der Vernehmlassung ­ insbesondere von Seiten der Wirtschaft und der politischen Parteien ­ begrüsst. Einige Kantone äusserten jedoch Bedenken im Hinblick auf die kostenlose elektronische Einsichtsnahme in Handelsregistereintragungen, Statuten und Stiftungsurkunden (Art. 928 Abs. 2), weil sie finanzielle Einbussen und einen zusätzlichen Aufwand befürchteten212. Auf der Grundlage einer Abwägung der berührten Interessen hält der Entwurf an den Vorschlägen des Vorentwurfs fest. Dadurch wird auch das überwiesene Postulat Imfeld213 erfüllt.

Die im Hinblick auf die Einführung des neuen GmbH-Rechts totalrevidierte Handelsregisterverordnung (HRegV) sieht den gebührenfreien elektronischen Zugriff bereits vor (Art. 12 HRegV214).. Die entsprechende Regelung wird ins OR übernommen.

Der Entwurf sieht darüber hinaus vor, die Offenlegung qualitativ zu verbessern, indem zusätzlich auch die kostenlose Einsichtsnahme in die Statuten und in die Stiftungsurkunde auf Internet ermöglicht wird. Statuten können wichtige Informationen für Gesellschafterinnen, Gesellschafter und Dritte enthalten (so insbesondere für Erwerberinnen und Erwerber von Aktien und Stammanteilen, Investorinnen und Investoren sowie Gläubigerinnen und Gläubiger). Auch die Stiftungsurkunde kann für Dritte relevant sein (so insbesondere für potenzielle Destinatärinnen und Destinatäre). Bereits heute kann deshalb jedermann beim Handelsregisteramt in die entsprechenden Dokumente Einsicht nehmen (Art. 930 OR). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Statuten und Stiftungsurkunden für die beteiligten Personen und Dritte entspricht dies jedoch nicht mehr einer zeit- und bedürfnisgerechten Form der Wirtschaftsinformation.

Teilweise kritisch aufgenommen wurde ferner die Regelung betreffend elektronische Sucheverfahren in den
Handelsregistereinträgen (Art. 928 Abs. 4 VE OR)215. Sämtliche Belege und Einträge im Handelsregister sind aber seit jeher öffentlich zugänglich (Art. 930 OR). Das Handelsregister bezweckt gerade die Offenlegung der eingetragenen Sachverhalte (s. Art. 1 der neuen HRegV216). Im Unterschied zu den anderen Registern des Privatrechts stellt es deshalb ein eigentliches «Offenlegungsregister» dar. Daran soll nichts geändert werden. Die elektronischen Medien schaffen lediglich zeitgerechte Möglichkeiten der Einsichtsnahme und verbessern 211 212 213 214 215 216

Im bisherigen Recht wird die Öffentlichkeit der Eintragungen nicht ausdrücklich erwähnt (vgl. Art. 930 OR). Sie ergibt sich jedoch indirekt aus andern Bestimmungen.

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 26 f.

06.3026 Postulat Imfeld vom 8. März 2006 betreffend «Freier Internetzugriff auf Handelsregisterdaten»; s. auch vorne Ziffer 1.4.1.

Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.).

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 26 f.

Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.).

1729

dadurch die effektive Praktikabilität der Kenntnisnahme von öffentlichen, rechtsrelevanten Daten. Da die Eintragungen im Handelsregister von Gesetzes wegen sogar als bekannt fingiert werden (s. Art. 933 Abs. 1 OR) und folglich jedermann die Eintragungen kennen muss, wenn er keine Rechtsnachteile erleiden will, erscheint es zwingend, die Transparenz den heute bestehenden technischen Mitteln anzupassen.

Verschiedene kantonale Handelsregister bieten daher bereits heute auf Internet entsprechende Suchmöglichkeiten an, die sich in der Praxis bewährt haben. Absatz 4 stellt die Zulässigkeit der Verwendung solcher Verfahren klar. In den elektronischen Publikationen der Handelsregistereintragungen sind entsprechende, bedürfnisgerechte Abfragemöglichkeiten ­ soweit sie noch nicht gegeben sind ­ zu schaffen.

Rechtsmassgebend sind ­ sachlich zwingend ­ in jedem Fall die Eintragungen im Hauptregister des kantonalen Handelsregisters. Auf Internet veröffentlichte Kopien der Eintragungen können daher keine Rechtswirkung entfalten und begründen keine Haftung der Handelsregisterbehörden. Artikel 928 Absatz 5 stellt dies klar217. Die Bestimmung dient unter anderem der Abgrenzung gegenüber der Rechtswirkung von Publikationen im SHAB: Nach Artikel 928a Absatz 1 soll bei den Veröffentlichungen im SHAB die elektronische Bekanntgabe rechtsverbindlich sein und nicht mehr die Veröffentlichung in Papierform. Dies wird bereits heute in Artikel 9 Verordnung SHAB218 vorgesehen219. Das OR ist entsprechend anzupassen.

Weiter wird vorgesehen, dass die Tagebucheintragungen innert zwei Tagen nach ihrer Genehmigung durch das Eidg. Amt für das Handelsregister (EHRA) im SHAB zu veröffentlichen sind (Art. 928a Abs. 1)220. Die kurze Dauer zwischen der Genehmigung der Tagebucheintragung und ihrer Veröffentlichung wird aufgrund der Informatisierung des Registerwesens möglich. Eine raschere Publikation der Handelsregistereinträge entspricht einem verbreiteten Anliegen in der Wirtschaft.

Weitere Änderungen betreffend die Regelung des SHAB in Artikel 928a (vormals Art. 931 OR) sind formaler Natur.

Der Bundesrat kann vorsehen, dass auf die Publikation bestimmter Eintragungen verzichtet werden kann. Es geht dabei primär um massenhafte Änderungen im Hauptregister der kantonalen Handelsregister aufgrund einer Gesetzesänderung (s.

z.B. Art. 177 und 179 der neuen HRegV221).

Art. 929

Haftung

Die Haftung der Handelsregisterbehörden wird neu geregelt (vormals Art. 928). Der Entwurf sieht vor, dass der Kanton für alle Schäden haftet, den die kantonalen Handelsregisterbehörden in rechtswidriger Weise verursacht haben (Abs. 1 und 2).

217 218 219

220 221

Eine gleichlautende Bestimmung findet sich bereits in Artikel 12 Absatz 2 HRegV in der Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.).

Verordnung vom 15. Februar 2006 über das Schweizerische Handelsamtsblatt (Verordnung SHAB); SR 221.415.

Die Motion Hubmann vom 13. Dezember 2006 (06.3693) verlangt die Revision von Artikel 9 der Verordnung SHAB. Rechtsverbindlich sollen die Veröffentlichung des SHAB in Papierform sein (06.3693n Verordnung über das Schweizerische Handelsamtsblatt. Änderung von Artikel 9). Der Bundesrat hat die Abweisung der Motion beantragt, schlägt aber vor, den Wortlaut des Gesetzes mit der Verordnung in Übereinstimmung zu bringen. Der Vorstoss wurde in den Eidg. Räten noch nicht behandelt.

Eine entsprechende Vorschrift findet sich bereits in der revidierten HRegV (Art. 35 Abs. 1); Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.).

Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.).

1730

Die direkte persönliche Haftung des Handelsregisterführers wird ­ da nicht mehr zeitgemäss ­ gestrichen. Die Einführung der primären und kausalen Staatshaftung wie bei den übrigen Registern des Privatrechts (Art. 46 und 955 ZGB) ­ anstelle der persönlichen Verschuldenshaftung ­ entspricht dem Modell einer modernen Haftungsordnung. Zahlreiche kantonale Gesetze sehen bereits heute vor, dass das Gemeinwesen kausal für allfällige Schäden, die durch die Handelsregisterbehörden verursacht werden, einzustehen hat. Die Neuregelung der Haftung wurde in der Vernehmlassung denn auch allgemein begrüsst222.

Den Geschädigten steht gegenüber der Person, die den Schaden verursacht hat, kein direkter Ersatzanspruch zu. Die Regelung allfälliger Regressansprüche des Gemeinwesens bleibt den Kantonen überlassen (Art. 929 Abs. 2 und 3). Das Lösungskonzept entspricht Artikel 454 Absätzez 3 und 4 E ZGB223.

Die Verjährung richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts (Art. 7 ZGB i.V.m. Art. 60 OR). Die absolute zehnjährige Verjährungsfrist beginnt mit der Eintragung ins Tagebuch zu laufen.

Die Haftung der Oberaufsichtsbehörde des Bundes bemisst sich ­ wie bis anhin ­ nach dem Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes224.

Art. 929a (Aufgehoben), 930, 930a (neu)

Verordnung des Bundesrates

Die Regelung der Verordnungskompetenzen des Bundesrats wird neu gegliedert, um die Übersichtlichkeit zu verbessern. Der bisherige Artikel 929 OR225 wird in Artikel 930 verschoben. Die Kompetenzdelegation betreffend die Führung des Handelsregisters mittels Informatik (bisher Art. 929a OR) wird in Artikel 930a verlegt, bleibt aber materiell ebenfalls unverändert.

Art. 931, 931a Randtitel, Abs. 3 (neu)

Einträge; Grundsatz; Anmeldung

Neu wird auf Gesetzesstufe festgehalten, dass die Einträge im Handelsregister der Wahrheit entsprechen müssen, zu keinen Täuschungen Anlass geben und keinen öffentlichen Interessen widersprechen dürfen (Art. 931). Im heutigen Recht findet sich eine entsprechende Bestimmung nur auf Verordnungsstufe (Art. 38 aHRegV bzw. neu Art. 26 HRegV226). Da es sich aber um eine Norm von grundsätzlicher Bedeutung handelt, erscheint ihre Verankerung im OR als gerechtfertigt.

Artikel 931a Absatz 3 kodifiziert die bundesgerichtliche Rechtsprechung und regelt die Voraussetzungen einer rechtsgenügenden Anmeldung von Einträgen227. Die Anmeldung gilt als eingereicht, wenn sämtliche erforderlichen Belege beigefügt sind und sowohl die Anmeldung als auch die Belege den massgebenden rechtlichen Anforderungen genügen. Die HRegV enthält dazu die nötigen Vorgaben. Diese

222 223 224

225 226 227

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 27.

Botschaft zur Änderung des Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindsrecht) vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7001 ff,. 7091 ff.

Art. 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, VG); SR 170.32.

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7330), in Kraft am 1. Januar 2008.

Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.).

BGE 69 I 51 ff., 54.

1731

Regelung ist insbesondere für fristgebundene Anmeldungen von Bedeutung (so bei Erhöhungen und Herabsetzungen des Aktienkapitals, Art. 650 Abs. 3, 653o Abs. 3).

Art. 941

Mahnung. Eintragung von Amtes wegen

Die Eintragung von Amtes wegen wird ausführlicher geregelt. In Absatz 1 wird die Grundsatznorm materiell unverändert aus dem bisherigen Recht übernommen. Nach Absatz 2 kann der Bundesrat Behörden und Gerichte anhalten, dem Handelsregisteramt einzutragende Tatsachen von Amtes wegen zu melden, respektive darüber Auskunft zu erteilen. Diese Regelung dient der erforderlichen Aktualität und Richtigkeit des Handelsregisters im Interesse der Wirtschaft. Die vorgesehenen Mitteilungen umfassen nur Tatsachen, die für die Eintragung relevant sind. Im Falle einer mündlichen Bekanntgabe können die Handelsregisterbehörden eine kurze schriftliche Bestätigung verlangen. Für die betroffenen Behörden und Gerichte besteht keinerlei Nachforschungspflicht; sie müssen lediglich Informationen weiterleiten, von denen sie im Rahmen ihrer laufenden Tätigkeiten Kenntnis erhalten. Sie sind zudem berechtigt, auch von sich aus entsprechende Informationen an das Handelsregister weiterzuleiten. So kann namentlich die Steuerbehörde das Handelsregisteramt ersuchen zu prüfen, ob ein Einzelunternehmen der Eintragungspflicht unterliegt (s. dazu auch den neuen Art. 157 HRegV228).

Die Weitergabe der Informationen erfolgt kostenlos. Dies wird durch die Tatsache gerechtfertigt, dass auch die Handelsregisterbehörden ihre Daten den Behörden und Gerichten gebührenfrei zur Verfügung stellen.

Art. 943

Ordnungsbussen

Der Vorentwurf schlug vor, die Bestimmung zur Verhängung von Ordnungsbussen wegen Missachtung der Eintragungspflicht durch einen Übertretungsstraftatbestand im Strafgesetzbuch229 zu ersetzen (Art. 326quinquies VE StGB). In der Vernehmlassung wurde dieser Vorschlag mehrheitlich abgelehnt und vor einer Kriminalisierung der Betroffenen gewarnt 230. Der Entwurf folgt dem Ergebnis der Vernehmlassung.

In Artikel 943 sind aber sowohl die Unter- als auch die Obergrenze der Busse den veränderten Verhältnissen anzupassen (500­5000 Fr.). Wird die Pflicht zur Eintragung eines Unternehmens im Handelsregister missachtet, so beträgt die Mindestbusse 1000 Franken.

Art. 943a (neu)

Haftung für Gebühren und Auslagen

Die Bestimmung kodifiziert grundsätzlich die Bundesgerichtspraxis231, die bereits in die Gebührenverordnung Eingang gefunden hat (Art. 21 Abs. 1 Gebührenverordnung232). Alle Personen, die an der Vorbereitung einer Eintragung beteiligt sind, haften solidarisch für die Begleichung der Handelsregistergebühren (Abs. 1). Erfasst werden ­ neben dem einzutragenden Rechtssubjekt ­ beispielsweise auch Nota228 229 230

Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.).

Strafgesetzbuch; SR 311.0.

Ergebnisbericht betr. die Vernehmlassungsergebnisse zum Vorentwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts im Obligationenrecht vom Februar 2007, S. 27.

231 BGE 115 II 93 ff., 94 f.

232 Verordnung vom 3. Dezember 1954 über die Gebühren für das Handelsregister, SR 221.411.1.

1732

rinnen und Notare, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte oder Treuhänderinnen und Treuhänder (Abs. 1 Ziff. 1 und 2). Im Unterschied dazu können Behörden, die im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit eine Anmeldung beim Handelsregister vornehmen oder eine Amtshandlung verlangen, selbstverständlich nicht zur Bezahlung der Gebühren herangezogen werden (Abs. 2; vorbehalten bleiben die Gebühren für ihre eigene Eintragung).

2.3.7

Die Geschäftsfirmen

Art. 944 Abs. 2

Grundsätze der Firmenbildung; Allgemeine Bestimmungen

Der Entwurf sieht eine für die Praxis wichtige Liberalisierung des Firmenrechts vor: Unter Vorbehalt der allgemeinen und der rechtsformenspezifischen rechtlichen Anforderungen an den Inhalt der Firma, darf diese neu auch aus reinen Sachbezeichnungen gebildet werden (Art. 944 Abs. 2). So würde beispielsweise de lege ferenda die Eintragung einer Aktiengesellschaft mit der Firma Holzhandel AG zugelassen.

Da reine Sachbezeichnungen jedoch nicht monopolisiert werden dürfen, kann eine solche Firma über keinen Schutz gegenüber ähnlichen, später ins Handelsregister eingetragenen Rechtsträgern verfügen. Artikel 956 Absatz 2 enthält einen entsprechenden Vorbehalt. Wird beispielsweise die Firma «Holzhandel AG» ins Handelsregister eingetragen, so kann das betreffende Unternehmen sich der späteren Eintragung der Firma «H Holzhandel AG» nicht unter Berufung auf den Firmenschutz widersetzen. Die Liberalisierung hat nicht nur Auswirkungen auf den Firmenschutz, sondern indirekt auch auf die Bestimmungen über den unlauteren Wettbewerb. Da das Wettbewerbsrecht das Firmenrecht nicht unterlaufen kann, muss beim Entscheid über das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr (z.B. durch eine jüngere Marke) der auf ein Minimum reduzierte Firmenschutz bei Sachbezeichnungen berücksichtigt werden233. Wer seine Firma aus reinen Sachbezeichnungen bildet, verzichtet damit zwingend auf den Schutz der nicht monopolisierbaren allgemeinen sprachlichen Begriffe (schutzfähig ist demgegenüber eine Kombination von Sachbezeichnungen sofern ihr ein gewisser origineller Charakter zukommt; Bsp. «Schuhwerk GmbH» für ein Schuhgeschäft).

Im Unterschied dazu geniessen Firmen, die eine Phantasiebezeichnung verwenden, einen weitergehenden firmenrechtlichen Schutz. Die betreffenden Gesellschaften können sich deshalb im Rahmen eines Zivilprozesses erfolgreich gegen die spätere Eintragung ähnlicher Firmen zur Wehr setzen.

Nach wie vor ausgeschlossen ist, dass zwei gleichlautende Firmen gleichzeitig im Handelsregister eingetragen sind. Das Verbot des Eintrags identischer Firmen ist gewohnheitsrechtlicher Natur und leitet sich indirekt aus Artikel 951 Absatz 2 OR ab. Auch Firmen, die aus reinen Sachbezeichnungen bestehen, verfügen demnach insofern über einen minimalen firmenrechtlichen Schutz, als die Eintragung einer identischen Firma ausgeschlossen ist.

233

S. Art. 3 Bst. d des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 19. Dezember 1986 (UWG), SR 241.

1733

Die vorgesehene punktuelle Lockerung des Firmenrechts entspricht einem verbreiteten Bedürfnis in der Praxis. Die Gründer eines nur lokal aktiven KMU sind häufig nicht am firmenrechtlichen Schutz interessiert, sondern wollen möglichst rasch und unkompliziert eine Gesellschaft ins Handelsregister eintragen. Verbreitet wird gewünscht, dass die Firma in einfacher Form auf den Tätigkeitsbereich des Unternehmens hinweist. Bei der Wahl der Firma soll es daher den Betroffenen überlassen werden, selbst zu entscheiden, wie viel Wert sie auf den Schutz der Firma legen.

Mit der Zulassung von reinen Sachfirmen wird bewusst ein Unterschied zum Markenrecht geschaffen: Die Firma wird meist unter dem zeitlichen Druck der Gründung einer GmbH oder AG gewählt. Es besteht oft kein Interesse an der Abklärung der Schutzfähigkeit der Firma. Die Hinterlegung einer Marke erfolgt demgegenüber in jedem Fall zum Zweck ihres Rechtsschutzes. Das Eintragungsverfahren hindert die Gesellschaft nicht an der Ausübung geschäftlicher Aktivitäten, und die Marke kann während dem Verfahren bereits verwendet werden.

Die gesetzliche Regelung muss daher den oftmals unterschiedlichen Interessenlagen bei der Eintragung von Firmen und Marken Rechnung tragen. Es erscheint richtig, bei der Markeneintragung höhere Anforderungen an die Unterscheidungskraft des Zeichens zu stellen und gemeinfreien Zeichen die Eintragung als Marke zu verweigern. Als Folge wird eine aus reinen Sachbezeichnungen gebildete Firma nicht als Marke eingetragen werden können. Für die Beurteilung der Frage, ob eine noch nicht eingetragene Marke über eine Verkehrsdurchsetzung gemäss Artikel 2 Buchstabe a des Markenschutzgesetzes234 verfügt, ist zu beachten, dass dafür eine Durchsetzung des Zeichens als Marke für Waren und Dienstleistungen erforderlich ist.

Aus der Verwendung eines Zeichens als Firma ergeben sich daher keine Ansprüche auf die Eintragung einer korrespondierenden Marke. Ferner wird absolut freihaltebedürftigen Zeichen die Eintragung als Marke gänzlich verweigert.

Bereits heute sind im Handelsregister Firmen eingetragen, die aus reinen Sachbegriffen gebildet sind, weil dies nach einer früheren (später geänderten) Praxis des Bundesgerichts zulässig war. Bei der Änderung von Artikel 944 Absatz 2 muss daher verhindert werden, dass bisherige Firmen ihren Schutz
verlieren. Zur Wahrung bestehender Rechte wird im Übergangsrecht vorgesehen, dass Firmen, die vor dem 1. Januar 2008 ins Handelsregister eingetragen wurden, weiterhin dem Firmenschutz des bisherigen Rechts unterstehen (Art. 5 E Ueb.Best.). Als Stichtag wird der 1. Januar 2008 gewählt, um zu vermeiden, dass durch die Eintragung sachbegriffsnaher Firmen noch ein weiter gehender Rechtsschutz erreicht werden kann.

Die bisher in Artikel 944 Absatz 2 vorgesehene Kompetenz des Bundesrats, Bestimmungen über die Verwendung nationaler und territorialer Bezeichnungen bei der Bildung von Firmen zu erlassen (Art. 944 Abs. 2 OR), wird gestrichen. Die entsprechende Verordnung wurde bereits vor einigen Jahren aufgehoben, da die diesbezüglichen Vorschriften nicht mehr zeitgerecht waren. Für die Verwendung nationaler und territorialer Bezeichnungen bleiben jedoch das firmenrechtliche Wahrheitsgebot und das Täuschungsverbot massgebend. Die Firmenbildung darf weiter nicht öffentlichen Interessen zuwiderlaufen (s. Art. 944 Abs. 1 OR). Das

234

Bundesgesetz vom 28. August 1992 über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (Markenschutzgesetz, MSchG); SR 232.11.

1734

EHRA hat diese gesetzlichen Grundsätze in einer steten Praxis konkretisiert und die Einzelheiten im Interesse der Rechtssicherheit in einer Weisung offengelegt235.

Art. 947 Abs. 5 (neu)

Gesellschaftsfirmen

Für Kommanditaktiengesellschaften wird auf Gesetzesstufe klargestellt, dass die Firma zu ändern ist, wenn diese den Name einer Person enthält, die aus der Gesellschaft ausgeschieden ist oder der die Geschäftsführung und Vertretungsbefugnis entzogen wurde (Art. 947 Abs. 5). Die Pflicht zur Anpassung der Firma ergibt sich heute indirekt aus Artikel 947 Absatz 3 OR, wonach nur unbeschränkt haftende Gesellschafterinnen und Gesellschafter namentlich in der Firma aufgeführt werden dürfen236.

Art. 956 Abs. 2 zweiter Satz (neu)

Schutz der Firma

In die Regelung des Firmenschutzes wird ein Vorbehalt betreffend den fehlenden Schutz von reinen Sachbezeichnungen aufgenommen (s. dazu die Ausführungen zu Art. 944).

2.3.8

Übergangsbestimmungen

Art. 1 und 2 E Ueb.Best.

Allgemeine Regel; Anpassung von Statuten und Reglementen

Die Übergangsbestimmungen des Zivilgesetzbuches (Schlusstitel ZGB) finden ­ unter Vorbehalt abweichender Bestimmungen ­ auch für das OR Anwendung (Art. 1 Abs. 1 E Ueb. Best.).

Die Vorschriften des revidierten Rechts gelangen grundsätzlich unmittelbar nach ihrem Inkrafttreten auf alle bestehenden Gesellschaften zur Anwendung (Art. 1 Abs. 2 E Ueb. Best.). Die Unternehmen müssen innerhalb einer Übergangsfrist von zwei Jahren ihre Statuten und Reglemente den neuen Bestimmungen anpassen (Art. 2 Abs. 1 E Ueb. Best.).

Die Aktienrechtsrevision von 1991 sah eine Übergangsfrist von fünf Jahren vor.

Diese Frist hat sich jedoch in der Praxis nicht bewährt, da die Anpassung zuerst aufgeschoben und anschliessend vergessen wurde. Die Übergangsfrist von 1991 wurde daher in der Lehre zu Recht als zu lang kritisiert. Die vom Entwurf vorgesehene Frist von zwei Jahren ist für die Anpassung der Statuten durchaus ausreichend.

Nimmt die Gesellschaft die notwendigen Anpassungen nicht fristgerecht vor, so werden die statutarischen oder reglementarischen Bestimmungen, die nicht in Einklang mit dem neuen Recht stehen, nach Ablauf der Frist ungültig (Art. 2 Abs. 2 E Ueb.Best.).

235

Anleitung und Weisung an die kantonalen Handelsregisterbehörden betreffend die Prüfung von Firmen und Namen vom 1. Januar 1998.

236 S. dazu auch den neuen Artikel 69 Absatz 2 HRegV; Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.).

1735

Art. 3 und 4 E-Ueb. Best

Genehmigte und bedingte Kapitalerhöhung; Rechnungslegung

Hat die GV vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eine bedingte oder eine genehmigte Kapitalerhöhung beschlossen (Art. 651 und 653 OR), so kommt das bisherige Recht weiterhin zu Anwendung. Die Beschlüsse können jedoch nicht verlängert werden (Art. 3 E Ueb. Best.).

Die neuen Rechnungslegungsvorschriften kommen erstmals für das Geschäftsjahr zur Anwendung, das zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes beginnt. Bei den Bestimmungen zur Konzernrechnung beträgt die Frist drei Jahre (Art. 957 ff.

i. V. m. Art. 4 Abs. 1 und 2 E Ueb. Best). Den Unternehmen steht es jedoch frei, ihre Rechnungslegung bereits innerhalb der Zweijahresfrist auf das neue Recht auszurichten.

Für die Frage der Anwendung von Artikel 961 sind die Bilanzsumme, der Umsatzerlös sowie die Anzahl der Vollzeitstellen der letzten beiden Jahre vor dem Inkrafttreten des Gesetzes massgeblich (Art. 4 Abs. 3 E Ueb. Best.).

Während der ersten beiden Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes gelten in Bezug auf die Anwendung der Rechnungslegungsvorschriften gewisse Erleichterungen (Art. 4 Abs. 4 E Ueb. Best.).

Art. 5 E Ueb. Best.

Firmenrecht

Es wird auf die Ausführungen zu Artikel 944 verwiesen.

2.4

Änderungen weiterer Erlasse

2.4.1

Bundespersonalgesetz237

Art. 6a Abs.4 zweiter Satz, Abs. 6 letzter Satz

Entlöhnung und weitere Vertragsbedingungen des obersten Kaders

Die heutige Regelung des Bundespersonalgesetzes (BPG; Art. 6a Abs. 4) betreffend die Bekanntgabe von Vergütungen der obersten Führungsorgane von bundesnahen Betrieben sieht vor, dass neben dem Gesamtbetrag auch die Vergütung für die vorsitzende Person offenzulegen ist. Die Offenlegungspflicht des BPG geht demnach weniger weit als Artikel 663bbis OR. Dieser verpflichtet Publikumsgesellschaften, die Bezüge der Verwaltungsratsmitglieder individuell zu veröffentlichen.

Sofern es sich um privatrechtliche Rechtsträger handelt, kommen auf bundesnahe Betriebe neben Artikel 6a BPG auch die Bestimmungen des OR und des ZGB zur Anwendung. Diesfalls ist die strengere Regelung massgebend, da eine Privilegierung von bundesnahen Betrieben nicht vertretbar wäre. Insbesondere unterliegen bundesnahe Unternehmen zusätzlich den Transparenzvorschriften des OR, sofern es

237

Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (BPG), SR 172.220.1.

1736

sich um börsenkotierte Aktiengesellschaften handelt (Art. 663bbis OR, Art. 65 Abs. 4, 84c E ZGB)238.

Mit Blick auf nicht kotierte bundesnahe Betriebe soll die Vorschrift über die Pflicht zur Bekanntgabe von Vergütungen im BPG inhaltlich der Regelung im OR angeglichen werden. Die Vergütungen der Mitglieder des Verwaltungsrats oder von vergleichbaren obersten Leitungsorganen sollen zukünftig gesondert ausgewiesen werden (Art. 6a Abs. 4 BPG).

Die aktienrechtlichen Bestimmungen über die Offenlegung von Bezügen und Beteiligungen der Unternehmensführung werden neu nummeriert (Art. 697quater, 697sexies). Absatz 6 wird entsprechend angepasst.

2.4.2

Zivilgesetzbuch239

2.4.2.1

Vereinsrecht

Art. 61 Abs. 3 (Aufgehoben)

Eintragung

Die HRegV regelt neu umfassend, welche Belege bei der Anmeldung beim Handelsregisteramt vorzulegen sind (Art. 90 HRegV240). Artikel 61 Absatz 3 ist deshalb überflüssig und wird aufgehoben.

Art. 65 Abs. 4 (neu)

Zuständigkeit

Der Entwurf sieht vor, dass die Vereinsversammlung die Höhe der Entschädigungen des Vereinsvorstands festlegt. Die Statuten können jedoch eine abweichende Regelung vorsehen (Art. 65 Abs. 4 E ZGB). Es wird somit eine dem Verein entsprechende flexible Lösung geschaffen.

Art. 69a

Buchführung

Zukünftig müssen Vereine die Geschäftsbücher nach den Vorschriften des OR führen (Art. 957 ff. E OR). Die entsprechenden Bestimmungen finden sinngemäss Anwendung.

Für Vereine, die nicht im Handelsregister eingetragen sind, sieht Artikel 957 Absatz 2 Erleichterungen bei der Buchführung und Rechnungslegung vor. So müssen sie lediglich Buch führen über Einnahmen und Ausgaben sowie über die Vermögenslage. Es genügt eine sogenannte «Milchbüchlein-Rechnung». Diese Regelung entspricht inhaltlich dem neuen Artikel 69a ZGB, der am 1. Januar 2008 in Kraft treten wird241.

238

Für die GmbH sieht der am 1. Januar 2008 in Kraft tretende Artikel 804 Absatz 2 Ziffer 6 zwingend vor, dass die Gesellschafterversammlung die Bezüge der Geschäftsführer festlegt (s. Botschaft zur Revision des Obligationenrechts [GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrechts] vom 19. Dezember 2001, BBl 2002 3148.

239 SR 210.

240 Fassung vom 17. Oktober 2007; in Kraft am 1. Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.).

241 Fassung vom 19. Dezember 2001 (BBl 2005 7338); in Kraft am 1. Januar 2008.

1737

Art. 69d (neu)

Kapitalverlust, Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit

Neu kommen bei Vereinen, die im Handelsregister eingetragen sind, die aktienrechtlichen Bestimmungen über die Anzeigepflichten bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit zur Anwendung (Art. 69d Abs. 1; Art. 725 ff.). Insbesondere Vereine, die ein kaufmännisches Gewerbe führen oder einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, können beachtliche wirtschaftliche Aktivitäten entfalten. Im Hinblick auf einen angemessenen Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger ist deshalb die sinngemässe Anwendung der Vorschriften des Aktienrechts sachlich angezeigt.

Wie bei der GmbH und der Genossenschaft (Art. 820 Abs. 1 sowie 903 Abs. 2) ist vorgesehen, dass das Gericht den Konkurs aufschieben kann, wenn Nachschüsse unmittelbar einbezahlt werden und Aussicht auf Sanierung besteht (Abs. 2). Der Gang zum Gericht ist nicht notwendig, wenn die Nachschüsse sofort (d.h. spätestens 4­6 Wochen) nach der Feststellung der Überschuldung geleistet werden und die Überschuldung auf diese Weise vollständig beseitigt werden kann.

2.4.2.2 Art. 83a

Stiftungsrecht Buchführung

Wie Vereine müssen Stiftungen ihre Geschäftsbücher künftig nach den Vorschriften des OR führen (s. Art. 957 ff. E OR). Dies gilt weitgehend schon im geltenden Recht (s. Art. 84b ZGB242).

Für Stiftungen, die nicht im Handelsregister eingetragen sind, sieht Artikel 957 Absatz 2 Erleichterungen bei der Buchführung und Rechnungslegung vor. So müssen sie lediglich Buch führen über Einnahmen und Ausgaben sowie über die Vermögenslage. Es genügt einesogenannte «Milchbüchlein-Rechnung».

Art. 84b

Offenlegung von Vergütungen

Der Entwurf sieht vor, dass das oberste Stiftungsorgan gegenüber der Aufsichtsbehörde jährlich die Summe der ihm ausgerichteten Vergütungen offenlegt. Existiert eine Geschäftsleitung, so sind auch deren Entschädigungen der Aufsichtsbehörde bekannt zu geben (Art. 84b E ZGB). Diese wird in der Regel von sich aus die Offenlegung der Höhe der Bezüge verlangen, um ihrer Kontrollfunktion nachzukommen.

Eine Klarstellung im Gesetz erscheint aber sinnvoll.

Die Offenlegungspflicht erfasst unter anderem Honorare und Darlehen. Massgeblich ist die Auflistung in Artikel 697quater243.

Verfügt die Stiftung über keine Aufsichtsbehörde, so erfolgt keine Offenlegung, es sei denn, die Stiftung unterliegt der ordentlichen Revision.

242

Die Bestimmung wird mit dem Inkrafttreten des neuen Revisionsrechts am 1. Januar 2008 aus gesetzessystematischen Gründen durch Artikel 83a ZGB ersetzt (s. BBl 2005 7339).

243 Für Einzelheiten s. Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Transparenz betreffend Vergütungen an Mitglieder des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung) vom 23. Juni 2004, BBl 2004 4471 ff., 4489 f.

1738

2.4.3

Fusionsgesetz244

Art. 6 Abs. 1 und 1bis (neu)

Fusion von Gesellschaften im Fall von Kapitalverlust oder Überschuldung

Die Bestimmung betreffend den Rangrücktritt von Gläubigerinnen und Gläubigern im Falle einer Sanierungsfusion wird an die Neufassung von Artikel 725c Absatz 5 (bisher Art. 725 Abs. 2 OR) angeglichen.

Art. 70 Abs. 2 dritter Satz

Abschluss des Übertragungsvertrags

Die Anpassung in Artikel 70 Absatz 2 ist rein sprachlicher Natur und entspricht Artikel 634 Absatz 3 OR.

2.4.4 Art. 36a (neu)

Revisionsaufsichtsgesetz vom 16. Dezember 2005245 Verantwortlichkeit

Die Eidgenössische Revisionsaufsichtsbehörde (RAB) ist insbesondere für die Zulassung von Revisorinnen und Revisoren sowie für die Beaufsichtigung der Revisionsstellen von Publikumsgesellschaften zuständig. Die RAB hat ihre Tätigkeit am 1. September 2007 aufgenommen.

Die RAB untersteht als öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit der vermögensrechtlichen Verantwortlichkeit nach Artikel 19 Verantwortlichkeitsgesetz (VG)246. Sie haftet demnach für ein allfälliges Fehlverhalten ihrer Organe und Hilfspersonen mit ihrem eigenen Vermögen kausal. Soweit sie den Schaden nicht zu decken vermag, greift die subsidiäre Haftung des Bundes, die ebenfalls verschuldensunabhängig ausgestaltet ist.

Am 22. Juni 2007 haben die eidgenössischen Räte das Bundesgesetz über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMAG) verabschiedet. Mit dem Gesetz werden die EBK, das Bundesamt für Privatversicherungen und die Kontrollstelle für die Bekämpfung der Geldwäscherei in eine öffentlich-rechtliche Anstalt zusammengeführt. Das FINMAG enthält eine vom Revisionsaufsichtsgesetz vom 16. Dezember 2005 abweichende Haftungsordnung: Die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FINMA) haftet zwar ebenfalls unter den Voraussetzungen des Verantwortlichkeitsgesetzes, dies aber nur dann, wenn sie wesentliche Amtspflichten verletzt und der Schaden nicht auf Pflichtverletzungen eines oder einer Beaufsichtigten zurückzuführen ist (Art. 19 Abs. 2 FINMAG247).

Die Aufgabenkreise der RAB und der FINMA berühren sich. Die beiden Aufsichtsbehörden sind daher gesetzlich verpflichtet, ihre Aufsichtstätigkeit zu koordinieren, 244

Bundsgesetz vom 3. Oktober 2003 über Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung (Fusionsgesetz, FusG); SR 221.301.

245 SR 221.302 246 Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördenmitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz; SR 170.32).

247 Bundesgesetz über die Eidg. Finanzmarktaufsicht (Finanzmarktaufsichtsgesetz, FINMAG), BBl 2007 4625 ff., 4631. Vgl. dazu die Ausführungen des Bundesrates in der Botschaft, BBl 2006 2829 ff., 2870 ff.

1739

um Doppelspurigkeiten zu vermeiden (Art. 22 RAG und Art. 28 FINMAG248). Zu diesem Zweck erfüllen sie ihre Aufgaben in einem Modulsystem: Die RAB zeichnet für die allgemeine Aufsicht über die Revisionsstellen von Publikumsgesellschaften verantwortlich, während die FINMA für die ergänzende Aufsicht in den ihr unterstellten Spezialbereichen sorgt.

Aufgrund der sich punktuell überschneidenden Aufgabenbereiche und unter Berücksichtigung der identischen Rechtsform der beiden Behörden ist eine unterschiedliche Regelung der Haftung nicht sachgerecht und kann zu Problemen führen. Staatlich beaufsichtigte Revisionsunternehmen werden durch die RAB beaufsichtigt; sie können als zugelassene Prüfgesellschaften aber zugleich auch der finanzmarktspezifischen Aufsicht der FINMA unterstehen. Entsprechend der gemeinsamen, zu koordinierenden Aufsicht beider staatlicher Behörden muss auch deren Haftung denselben Grundsätzen folgen. Die Regelung des Gesetzgebers für die FINMA würde teilweise ins Leere laufen, wenn der Bund für die gleichen möglichen Sachverhalte für die RAB in anderer Art haftete. Es besteht auch die Gefahr einer Verlagerung von Aufgaben infolge der unterschiedlichen Haftung beider Behörden. Die Haftungsnormen müssen daher harmonisiert werden.

Der Entwurf übernimmt aus diesen Gründen sinngemäss die Regelung von Artikel 19 Absatz 2 FINMAG ins Revisionsaufsichtsgesetz. Die Regelung gilt sowohl für zugelassene natürliche Personen, zugelassene Revisionsunternehmen und staatlich beaufsichtigte Revisionsunternehmen als auch für Personen oder Unternehmen, die zwar eine Zulassung durch die RAB benötigen würden, aber keine solche erhalten haben.

2.4.5

Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990249 über die direkte Bundessteuer

Art. 126 Abs. 3 zweiter Satz

Weitere Mitwirkungspflichten

Das Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG) verweist für die Art und Weise der Führung, der Aufbewahrung und der Edition von Geschäftsbüchern, Aufstellungen und Belegen auf die Bestimmungen des OR. Mit der Neuordnung der entsprechenden Bestimmungen muss auch die Verweisnorm angepasst werden.

Art. 207b

Übergangsbestimmungen zur Änderung des Obligationenrechts

Wird die Jahresrechnung ausschliesslich nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung erstellt, so ist diese für die Bemessung der Kapital- und Gewinnsteuern durch die zuständigen Behörden massgeblich (s. vorne die Ausführungen zu Art. 962 E OR sowie Art. 58 DBG bzw. Art. 24 und 29 StHG).

Wird die Jahresrechnung zum ersten Mal nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung erstellt, so führt dies zu einer steuerwirksamen Auflösung von stillen Reserven und dementsprechend zu höheren Gewinnsteuerwerten. Die im Abschluss nach anerkanntem Standard sichtbare Erhöhung des Eigenkapitals 248 249

BBl 2007 4633.

SR 642.11

1740

(Reserven) ist vollumfänglich im entsprechenden Steuerjahr zu versteuern. Um diese Steuerfolgen zu mildern, wird eine Übergangsregelung geschaffen: Erfolgt die Umstellung auf eine ausschliessliche Rechnungslegung nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung in den ersten drei Geschäftsjahren nach dem Inkrafttreten der Revision des OR, so werden die stillen Reserven gestaffelt besteuert.

Findet die Umstellung nach dieser Übergangsfrist statt, so wird der Gesamtbetrag der aufgelösten stillen Reserven im entsprechenden Steuerjahr steuerlich erfasst.

Während der Übergangsperiode von drei Jahren können die aufgelösten stillen Reserven steuerlich einer Reserve zur gestaffelten Besteuerung zugewiesen werden.

Diese ist Bestandteil des steuerbaren Kapitals. Sie ist in der Steuerperiode der Umstellung und in den beiden nachfolgenden Steuerperioden zu je einem Drittel aufzulösen (Abs. 1 und 2).

Absatz 3 regelt eine allfällige Rückkehr von einem Abschluss nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung zu einer Jahresrechnung nach OR. In diesem Fall sind für die Bemessung des steuerbaren Reingewinns in den betreffenden Steuerperioden in der Regel Abschreibungen und Rückstellungen notwendig. Falls noch eine Reserve zur gestaffelten Besteuerung besteht, sind die Abschreibungen und Rückstellungen mit dieser zu verrechnen.

2.4.6

Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990250 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden

Art. 42 Abs. 3 zweiter Satz

Verfahrenspflichten des Steuerpflichtigen

Es wird sinngemäss auf die Ausführungen zu Artikel 126 E DBG verwiesen (s. vorne Ziff. 2.4.5).

Art. 78d

Übergangsbestimmung zur Änderung des Obligationenrechts

Es wird sinngemäss auf die Ausführungen zu Artikel 207b E DBG verwiesen (s. vorne Ziff. 2.4.5). Das Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (Art. 42 Abs. 3 E StHG251) wird aus denselben Gründen geändert wie das DBG (s. vorne Ziff. 2.4.5).

2.4.7

Mehrwertsteuergesetz vom 2. September 1999252

Art. 58 Abs. 2 zweiter Satz

Buchführung

Das Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer verweist für die Aufbewahrung von Geschäftsbüchern, Belegen, Geschäftspapieren und sonstigen Aufzeichnungen auf die Bestimmungen des OR. Mit der Neuordnung der entsprechenden Bestimmungen muss auch die Verweisnorm angepasst werden.

250 251

SR 642.14 Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG); SR 642.14.

252 SR 641.20

1741

2.4.8 Art. 6

Bankengesetz vom 8. November 1934253 Erstellen von Abschlüssen

Die Rechnungslegung der Banken beruht grundsätzlich auf den Bestimmungen des Aktienrechts (s. Art. 6 Abs. 2 BankG i.V.m. Art. 662 ff. OR). Da sich aus den Besonderheiten des Bankgeschäfts und des Gläubigerschutzes erhöhte Erfordernisse an die Transparenz ergeben, enthalten das Bankengesetz und die darauf gestützten Ausführungsbestimmungen zusätzliche, über das Aktienrecht hinausgehende Vorschriften.

Durch die integrale Neuordnung des Buchführungs- und Rechnungslegungsrechts im OR müssen auch die Rechtsgrundlagen der Buchführung und Rechnungslegung für Banken angepasst werden. Dabei soll der Normtext klarer strukturiert und aktualisiert werden.

Die Bank erstellt wie bisher nach Absatz 1 für jedes Geschäftsjahr einen Geschäftsbericht. Dieser besteht aus der Jahresrechnung, dem Lagebericht und der Konzernrechnung.

Neu müssen gemäss Absatz 2 sämtliche Banken mindestens halbjährlich einen Zwischenabschluss erstellen (Art. 6 Abs. 2 E BankG). Die ordnungsgemässe Führung einer Bank setzt dies heute voraus.

Der Geschäftsbericht und der Zwischenabschluss sind aufgrund von Absatz 3 nach den Vorschriften des 32. Titels des Obligationenrechts (s. Art. 957 ff.) und des Bankengesetzes sowie nach den jeweiligen Ausführungsbestimmungen zu erstellen.

In ausserordentlichen Lagen kann der Bundesrat gemäss Absatz 4 Abweichungen von Absatz 3 beschliessen. Zu denken ist an Ereignisse von bedeutender volkswirtschaftlicher Tragweite, etwa an Krieg oder an einen Börsencrash.

Art. 6a

Veröffentlichung

Die Bestimmung zur Veröffentlichung bleibt im Vergleich zum geltenden Recht grundsätzlich unverändert. Der Geschäftsbericht ist demnach gemäss Absatz 1 der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zwischenabschlüsse sind nach Absatz 2 der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wenn die Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz dies vorsehen.

Die Absätze 1 und 2 finden aufgrund von Absatz 3 nach wie vor keine Anwendung auf Privatbankiers, die sich nicht öffentlich zur Annahme fremder Gelder empfehlen. Neu wird klargestellt, dass wie bei allen übrigen Unternehmen auch Privatbankiers, Gläubigerinnen und Gläubigern Einsicht in den Geschäftsbericht und die Revisionsberichte zu gewähren ist, wenn sie ein schutzwürdiges Interesse nachweisen. Im Streitfall entscheidet das Gericht (s. die Ausführungen zu Art. 958e). Das Einsichtsrecht beschränkt sich allerdings auf den Geschäftsbericht, da Privatbankiers in Rechtsformen organisiert sind, für die gemäss OR kein Revisionsbericht vorgesehen ist.

253

SR 952.0

1742

Art. 6b

Ausführungsbestimmungen

Der Bundesrat erlässt gemäss Absatz 1 wie im geltenden Recht Ausführungsbestimmungen über die Form, den Inhalt und die Veröffentlichung von Geschäftsberichten und Zwischenabschlüssen. Er kann dabei nach Absatz 2 von den Bestimmungen des OR über die Buchführung und Rechnungslegung (s. Art. 957 ff. E OR) abweichen, wenn die Besonderheiten des Bankgeschäfts oder der Gläubigerschutz dies rechtfertigen. Die wirtschaftliche Lage muss jedoch zumindest gleichwertig dargestellt werden (s. die Ausführungen zu Art. 957 Abs. 3 E OR).

Neu kann der Bundesrat die EBK (bzw. künftig die FINMA) aufgrund von Absatz 3 ermächtigen, Bestimmungen in Belangen von beschränkter Tragweite und insbesondere in vorwiegend technischen Angelegenheiten zu erlassen. Dazu können beispielsweise Präzisierungen zu den Bilanzierungs-, Bewertungs- und Gliederungsvorschriften zählen, wie sie zurzeit in den Richtlinien der Eidgenössischen Bankenkommission zu den Rechnungslegungsvorschriften bestehen. Diese Delegationsordnung entspricht der Regelung im neuen Finanzmarktaufsichtsgesetz (Art. 55 Abs. 2254).

Die Rechnungslegung für Banken stellt erhöhte Anforderungen an die Transparenz.

Die EBK kann daher gemäss Absatz 4 die Anwendung anerkannter Standards zur Rechnungslegung im Bereich der Banken unter den Voraussetzungen von Absatz 2 einschränken. Damit wird Bezug genommen auf die Kompetenz des Bundesrates, die anerkannten Standards zur Rechnungslegung in einer Verordnung festzulegen (s. Art. 962a Abs. 1 E OR). Soweit der Bundesrat gestützt auf Absatz 3 darauf verzichtet, die Anwendbarkeit der anerkannten Standards zur Rechnungslegung bei Banken spezifisch zu regeln, soll die EBK aufgrund der grösseren Sachnähe und der zeitlichen Flexibilität die Anwendung der anerkannten Standards zur Rechnungslegung selbst einschränken können.

Den Banken sollen nur die anerkannten Standards zur Auswahl stehen, die den Besonderheiten der Branche ausreichend Rechnung tragen. Da die Swiss GAAP FER nicht auf die Besonderheiten des Bankgeschäfts ausgerichtet sind, werden den Banken vorab nur IFRS und US-GAAP zur Auswahl stehen. Zudem besteht weiterhin die Möglichkeit einer Rechnungslegung nach den Richtlinien der EBK. Diese ist der Rechnungslegung nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung gleichwertig.

2.4.9 Art. 16

Börsengesetz vom 24. März 1995255 Rechnungslegung

Die Rechnungslegung für Effektenhändler nach geltendem Recht beruht wie bei den Banken grundsätzlich auf den Bestimmungen des Aktienrechts (s. Art. 662 ff. OR).

Der Bundesrat kann jedoch abweichende Vorschriften vorsehen (s. Art. 16 Abs. 2 Börsengesetz). Gestützt auf diese Delegationsnorm hat er die Rechnungslegungsvorschriften für Banken auch für Effektenhändler für verbindlich erklärt. Der Bundesrat

254

Bundesgesetz über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht vom 22. Juni 2007, BBl 2007 4625 ff., 4641.

255 SR 954.1

1743

kann die Aufsichtsbehörde zudem ermächtigen, in begründeten Fällen Erleichterungen zu gewähren (Art. 29 Abs. 1 und 2 Bst. a BEHV256).

Durch die integrale Neuordnung des Buchführungs- und Rechnungslegungsrechts im OR (s. Art. 957 ff.) und der daraus folgenden Anpassung der Rechnungslegungsvorschriften für Banken (s. vorne Ziff. 2.2.7.2) müssen auch die Rechtsgrundlagen der Buchführung und Rechnungslegung für Effektenhändler angepasst werden.

Die Bestimmungen des Bankengesetzes gelten nach Absatz 1 sinngemäss auch für Effektenhändler. Neu wird also direkt im Börsengesetz (statt wie bisher in den Ausführungsbestimmungen) auf die für Banken massgeblichen Rechnungslegungsvorschriften verwiesen.

Der Bundesrat kann (unter Beachtung von Art. 957 Abs. 3 E OR, s. dazu vorne) nach Absatz 2 von den in Absatz 1 erwähnten Bestimmungen des Bankengesetzes abweichen, wenn die Besonderheiten des Effektenhandelsgeschäfts dies rechtfertigen. Dies ist insbesondere dort angezeigt, wo sich die im Gläubigerschutz begründeten erhöhten Transparenzerfordernisse für Banken bei Effektenhändlern nicht erforderlich sind. Da Letztere vom Zinsengeschäft ausgeschlossen sind, kommt dem Gläubigerschutz nicht die gleiche Bedeutung zu wie bei den Banken.

2.4.10

Versicherungsaufsichtsgesetz vom 17. Dezember 2004257

Art. 25 Abs. 1 erster Satz

Geschäftsbericht und Aufsichtsbericht

Der Begriff «Jahresbericht» wird durch den im OR neu verwendeten Begriff «Lagebericht» ersetzt (s. Art. 961c E OR).

Art. 26 Abs. 1 und Abs. 3­5

Besondere Bestimmungen betreffend die Rechnungslegung

Versicherungsunternehmen haben gemäss Absatz 1 die gesetzliche Gewinnreserve (s. Art. 672 E OR) nach Massgabe ihres Geschäftsplans zu bilden. Dies gilt bereits im geltenden Recht (s. Art. 26 Abs. 1 VAG i.V.m. Art. 671 OR). Die Aufsichtsbehörde regelt die Höhe der Mindestzuweisung. Sie ist dabei an die gesetzliche Mindestzuweisung nach OR gebunden (s. Art. 672 Abs. 1 E OR).

Im Übrigen (Abs. 3­5) sieht der Entwurf sinngemäss dieselben Kompetenzen für den Bundesrat beziehungsweise das Bundesamt für Privatversicherungen vor wie im Bereich der Rechnungslegung der Banken für den Bundesrat und die EBK (s. Art. 6 ff. E BankenG). Insbesondere kann der Bundesrat nach Absatz 3 von den Bestimmungen des OR über die Buchführung und Rechnungslegung (s. Art. 957 ff.

E OR) abweichen, wenn die Besonderheiten des Versicherungsgeschäfts oder der Versichertenschutz dies rechtfertigen. Unter dem Versichertenschutz wird neben der Solvenzsicherung und dem Missbrauchsschutz auch eine angemessene Transparenz verstanden. Soweit der Bundesrat gestützt auf Absatz 3 darauf verzichtet, die Anwendbarkeit der anerkannten Standards zur Rechnungslegung bei Versicherungs256

Verordnung vom 2. Dezember 2006 über die Börsen und den Effektenhandel (Börsenverordnung, BEHV; SR 954.11).

257 SR 961.01

1744

unternehmen spezifisch zu regeln (s. Art. 962a E OR), soll die Aufsichtsbehörde aufgrund der grösseren Sachnähe und der zeitlichen Flexibilität die Anwendung der anerkannten Standards zur Rechnungslegung selbst einschränken können. Den Versicherungsunternehmen sollen nur die Rechnungslegungsstandards zur Auswahl stehen, die den Besonderheiten der Branche ausreichend Rechnung tragen und die mit den Aufsichtsinstrumenten harmonisiert werden können.

Art. 28 Abs. 1

Externe Revisionsstelle

Das neue Revisionsrecht sieht neu eine rechtsformneutrale Regelung der Revisionspflicht vor. Neu wird für kleine Unternehmen eine sogenannte eingeschränkte Revision und für grössere Unternehmen die sogenannte ordentliche Revision vorgeschrieben (s. Art. 727 ff. OR)258. Die Jahres- und Konzernrechnung von Versicherungsunternehmen muss demgegenüber unabhängig von der Grösse des betreffenden Unternehmens in jedem Fall ordentlich geprüft werden. Zudem wird mit der neuen Formulierung der Hinweis auf die Überprüfung der Geschäftsführung aus dem Gesetz gestrichen. Diese Formulierung hat in der Praxis zu vielen Fragen und Rechtsunsicherheiten geführt.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Vorlage delegiert in verschiedenen Bereichen Rechtsetzungsbefugnisse an den Bundesrat (s. hinten Ziff. 5.2). Die entsprechenden Verordnungen können durch die Bundesverwaltung vorbereitet werden, ohne dass dafür zusätzliches Personal erforderlich ist.

Der Ausbau der Aktionärsrechte (s. vorne Ziff. 1.3.2.1) kann in sehr geringem Ausmass zu einer Zunahme der Verfahren vor Bundesgericht führen.

Auf den Bund dürfte die Neuregelung der Buchführung und Rechnungslegung keine bedeutenden Auswirkungen haben. Buchführung und Rechnungslegung sind für verschiedene staatliche Aufgaben von Bedeutung (s. vorne Ziff. 1.3.5.1); durch die Modernisierung des lückenhaften und veralteten Rechts aus dem Jahr 1936 wird die Arbeit der betroffenen Behörden tendenziell erleichtert.

3.2

Auswirkungen auf die Kantone

Die Vorlage hat namentlich Auswirkungen auf die Kantone im Bereich des Handelsregisters. Gemäss Artikel 928 Absatz 2 sollen Handelsregistereinträge, Statuten und Stiftungsurkunden gesamtschweizerisch auf elektronischem Weg unentgeltlich zugänglich sein. Verschiedene kantonale Registerämter ermöglichen aber bereits heute einen kostenlosen elektronischen Zugriff auf ihre Eintragungen. Mit der Inkraftsetzung der totalrevidierten HRegV auf den 1. Januar 2008 wird der unentgeltliche Zugriff auf die Handelsregistereinträge in der ganzen Schweiz eingeführt (Art. 12 HRegV)259. Der Entwurf bringt in dieser Hinsicht daher keine Neuerung.

258 259

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7289), in Kraft am 1. Januar 2008.

Fassung vom 17. Oktober 2007, in Kraft 1 Januar 2008 (AS 2007 4851 ff.).

1745

Zusatzkosten für die Registerämter dürften jedoch durch das Einscannen von Statuten und Stiftungsurkunden entstehen, soweit diese noch nicht in elektronischer Form vorhanden sind (s. Art. 928). Die Möglichkeit, neu auch Statuten und Stiftungsurkunden via Internet (statt wie bisher am Schalter) einzusehen, wird aber dazu beitragen, den Aufwand der Registerämter mittelfristig zu verringern. Sinken dürfte auch die Zahl der telefonischen Anfragen. Der Aufwand für das Einscannen von Urkunden wird zudem abnehmen, da zukünftig immer mehr Belege in elektronischer Form eingereicht werden dürften.

Die Herabsetzung der rechtlichen Hürden für die Geltendmachung bestimmter Aktionärsrechte kann ­ sehr beschränkt ­ zu einer vermehrten Inanspruchnahme der Gerichte führen. Der daraus resultierende Mehraufwand für die kantonalen Gerichtsinstanzen dürfte jedoch geringfügig sein (s. vorne Ziff. 3.1).

Buchführung und Rechnungslegung sind für verschiedene staatliche Aufgaben von Bedeutung (s. vorne Ziff. 1.3.5.1); durch die Modernisierung des lückenhaften und veralteten Rechts aus dem Jahr 1936 wird die Arbeit der betroffenen Behörden tendenziell erleichtert.

3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Seit der Revision des Aktienrechts von 1991 haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stark verändert. Augrund der Globalisierung und den veränderten Bedürfnissen des Kapitalmarkts müssen namentlich die Bestimmungen über die Kapitalstrukturen der Aktiengesellschaft den gewandelten Umständen angepasst werden. Aus ökonomischer Sicht sind insbesondere folgende Änderungen von Bedeutung: ­

Der Verzicht auf einen festen Mindestnennwert erlaubt den Unternehmen, ihre Aktien beliebig zu splitten (Art. 622 Abs. 4). Die Senkung des Aktienkapitals durch Herabsetzung des Nennwerts wird erleichtert.

­

Die Einführung des Kapitalbands ermöglicht es den Gesellschaften, die Höhe ihres Aktienkapitals den Bedürfnissen des Kapitalmarkts schneller und einfacher anzupassen (Art. 653s ff.).

­

Die Klarstellung betreffend die Zulässigkeit der Liberierung durch Verrechnung im Sanierungsfall erleichtert die Durchführung von Unternehmenssanierungen (Art. 634b Abs. 2). Des Weiteren soll die Regelung der Handlungspflichten des Verwaltungsrats bei Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft dazu beitragen, eine rechtzeitige Sanierung zu fördern (Art. 725a).

­

Die Aufhebung des gesetzlichen Schwellenwerts bei Partizipationsscheinen bringt börsenkotierten Unternehmen mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung ihrer Kapitalstrukturen (Art. 656b Abs. 1).

­

Der Neuregelung der Auskunftsrechte von Aktionärinnen und Aktionäre bei nichtkotierten Unternehmen kann zu einem administrativen Mehraufwand für die Gesellschaften führen (Art. 697 Abs. 2, 697quinquies). Da die weit überwiegende Mehrzahl der privaten Aktiengesellschaften jedoch nur über wenige Gesellschafterinnen und Gesellschafter verfügt, wird sich die Mehrbelastung für die Unternehmen in engen Grenzen halten. Dies gilt in besonderem Masse für diejenigen Gesellschaften, bei denen alle Teilhaberinnen

1746

und Teilhaber an der Geschäftsführung beteiligt sind und deshalb zu allen gesellschaftsrelevanten Informationen Zugang haben.

­

Der Ausbau verschiedener Aktionärsrechte kann eine bescheidene Zunahme gesellschaftsrechtlicher Gerichtsverfahren zur Folge haben (s. dazu vorne Ziff. 3.1 f.). Ein wesentlicher Teil dieser Verfahren liegt aber im wohlverstandenen Interesse der Unternehmen selbst.

­

Die Änderungen bei der Haftung der Revisionsstelle sollen dazu beitragen, das Funktionieren des Marktes für Revisionsunternehmen, die Grosskonzerne prüfen, zu gewährleisten (Art. 759).

­

Die Möglichkeit, zukünftig vermehrt elektronische Mittel bei der Vorbereitung und der Durchführung der GV einzusetzen, wird dazu beitragen, Kosten zu senken (Art. 700 ff.).

­

Die kostenlose elektronische Einsichtnahme in die Handelsregistereinträge und in bestimmte Belege führt zu Kostenersparnissen und zu einer effizienteren Form der Wirtschaftsinformation (Art. 928 Abs. 2; s. dazu auch vorne Ziff. 3.2).

­

Die neuen Rechnungslegungsvorschriften verbessern die Transparenz hinsichtlich der finanziellen Situation der Unternehmen (zum Handlungsbedarf s. vorne Ziffer 1.1.2.13). Dies dient vorab einer sachgerechten Unternehmensführung. Die Gewährleistung einer hinreichenden Transparenz ist daher von erheblicher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung. Sie liegt aber auch im Interesse des Aktionariats, der Investorinnen und Investoren sowie der Gläubigerinnen und Gläubiger.

­

Der Bundesrat hat am 29. Januar 2003 beschlossen, bei der Überarbeitung des Vorentwurfes RRG der Situation der KMU und dem Kosten/NutzenVerhältnis der Neuregelung besondere Beachtung zu schenken (s. vorne Ziff. 1.2.2.3). Die Regelung der Buchführung und Rechnungslegung ist dieser Vorgabe entsprechend sehr knapp gehalten und orientiert sich am Status quo eines gut geführten KMU.

­

Für die Rechnungslegung wirtschaftlich bedeutender Unternehmen werden strengere Vorschriften vorgesehen. Dies kann zu höheren Kosten führen.

Vorsichtig geschätzt dürften aber von den insgesamt rund 400 000 Rechtsträgern weniger als 10 000 den anspruchsvolleren Bestimmungen unterstellt sein. Im Sinne einer Entlastung wird allerdings vorgesehen, dass Unternehmen ­ unter Vorbehalt des Schutzes von Personen mit Minderheitsbeteiligungen ­ ihre Rechnungslegung auf ein Minimum beschränken können, wenn sie selbst oder ihre Muttergesellschaft eine Konzernrechnung erstellen.

­

Für Publikumsgesellschaften ergeben sich im Vergleich zu den geltenden börsenrechtlichen Vorschriften keine Änderungen.

­

Verlangen Gesellschafterinnen und Gesellschafter in einer Privatgesellschaft eine Rechnungslegung nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung (s. Art. 962 f.), so ergeben sich daraus in der Regel zusätzliche Kosten.

Eine verlässliche Berichterstattung ist jedoch für den Schutz des Eigentums am Risikokapital von erheblicher Bedeutung. Die Möglichkeit, eine Berichterstattung nach einem anerkannten Standard zu verlangen, erhöht daher die Standortattraktivität für Investorinnen und Investoren.

1747

3.4

Auswirkungen auf die Informatik

Abgesehen von allfälligen Anpassungen der Software der Handelsregisterbehörden an das neue Recht bleibt der Entwurf ohne Einfluss auf den Bereich der Informatik.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage zum Aktienrecht ist im Bericht über die Legislaturplanung 2003­2007 angekündigt260. Die Neuregelung des Rechnungslegungsrechts wird demgegenüber nicht in den prioritären Legislaturzielen des Bundesrates aufgeführt. Die Integration der Neugestaltung des Rechnungslegungsrechts in die vorliegende Revision ist jedoch aufgrund der bestehenden materiellen Zusammenhänge zwischen dem Aktien- und dem Rechnungslegungsrecht sachlich geboten. Dies gilt umso mehr, als die Revision des Aktienrechts unter anderem dem Ziel der Verbesserung der Corporate Governance dient (s. vorne Ziff. 1.3.2). Der Neuordnung der Rechnungslegung kommt für die Corporate Governance eine zentrale Bedeutung zu.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Der Gesetzesentwurf stützt sich auf Artikel 122 BV, der dem Bund die Zuständigkeit im Bereich des Zivilrechts überträgt.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Schweiz hat im Hinblick auf das Gesellschafts- und Rechnungslegungsrecht kein internationales Abkommen abgeschlossen. Es bestehen demnach in diesem Bereich keine staatsvertraglichen Verpflichtungen.

5.3

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die Revisionsvorlage delegiert die Rechtsetzung in folgenden Punkten an den Bundesrat:

260

­

Erlass von Bestimmungen betreffend die Modalitäten der Öffentlichkeit und der Veröffentlichung von Handelsregistereinträgen und -belegen (Art. 928 Abs. 3).

­

Erlass von Bestimmungen betreffend die Vorschriften über die Einrichtung des SHAB und die Art der Veröffentlichung (Art. 928a).

­

Erlass von Bestimmungen betreffend die Vorschriften über die Einrichtung, die Führung und die Beaufsichtigung des Handelsregisters sowie über das Verfahren, die Anmeldung zur Eintragung, die einzureichenden Belege und BBl 2004 1149 ff. 1163 1193.

1748

deren Prüfung, den Inhalt und die Prüfung des Eintrags, die Gebühren und über die Beschwerdeführung (Art. 930 Abs. 1). Die Delegationsnorm wird jedoch materiell aus dem bestehenden Recht übernommen und lediglich verschoben (vgl. Art. 929 Abs. 1 OR261).

261 262

­

Erlass von Bestimmungen betreffend die Vorschriften über die Führung des Handelsregisters mit elektronischen Mitteln und den elektronischen Datenaustausch zwischen den Handelsregisterbehörden sowie über die Entgegennahme elektronischer Belege, die elektronische Erfassung und die Übermittlung von eingereichten Belegen (Art. 930a). Die Delegationsnorm wird jedoch materiell aus dem bestehenden Recht übernommen und lediglich verschoben (vgl. Art. 929a Abs. 1 OR).

­

Möglichkeit des Erlasses von Bestimmungen betreffend die Vorschriften über die Übermittlung von Information an die kantonalen Handelsregisterämter durch Kantone, Bezirke und Gemeinden (Art. 941 Abs. 2).

­

Nach Artikel 958f Absatz 4 erlässt der Bundesrat die Vorschriften über die zu führenden Geschäftsbücher, die Grundsätze über deren ordnungsgemässe Führung und Aufbewahrung sowie über die verwendbaren Informationsträger. Diese Delegationsnorm wird aus dem geltenden Recht übernommen (s. Art. 957 Abs. 5 OR und Geschäftsbücherverordnung)262.

­

Der Bundesrat bezeichnet nach Artikel 962a Absatz 5 die zulässigen anerkannten Standards zur Rechnungslegung für die Erstellung von Abschlüssen.

Er kann dabei vorsehen, dass ein Standard nur unter bestimmten Voraussetzungen gewählt oder gewechselt werden kann.

Fassung vom 16. Dezember 2005 (BBl 2005 7330), in Kraft am 1. Januar 2008.

Verordnung des Bundesrates vom 24. April 2002 über die Führung und Aufbewahrung der Geschäftsbücher (Geschäftsbücherverordnung; GeBüV), SR 221.431.

1749

1750