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Bundesblatt 100. Jahrgang.

Bern, den 25. November 1948.

Band III.

Erscheint wöchentlich. Preis US Franken im Jahr, 16 Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr.

Einrückungsgebühr : 50 Rappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an Stämpfli & de. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreuend die Abänderung des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung .

.' ·

(Vom 16. November 1948)

: Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Das Bundesgesetz vom 27. Januar 1892 über das "Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung (A. S.

12, 885) ist in seiner Anwendung öfters auf Schwierigkeiten gestossen. Das hat drei Postulate ausgelöst, die eine Abänderung dieses Gesetzes in verschiedenen.

Punkten verlangen. Sie haben folgenden Wortlaut : Das Postulat Häberlin vom 11. Oktober 1946 sagt: Zweimal ---im Falle der Initiativen «Für die Familie» und «Brecht auf Arbeit» -- hat der ßundesrat in letzter Zeit bei der Prüfung von Initiativen feststellen müssen, dass der Text in den drei Landessprachen nicht: übereinstimmte, sondern erhebliche materielle Differenzen auf wies.

Da über das Vorgehen in solchen Fällen keine Klarheit besteht, wird der Bundesrat: eingeladen, die Frage zu prüfen, ob nicht durch eine Revision ; des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung, das Verfahren bei der Bereinigung des Textes von Initiativen eindeutig festgelegt werden sollte.

Das Postulat Odermatt vom 9. Juni 1948 sagt: Am 3. September 1946 wurden bei der Bundeskanzlei zwei Volks: begehren eingereicht, die beide eine Abänderung respektive Ergänzung des Bundesblatt. 100. Jahrg. Bd. III.

63 :

910

*

Artikels 89Ms der Bundesverfassung fordern. Zwischen beiden Begehren besteht ein enger Zusammenhang. Sie können jedoch gestützt auf die geltende Fassung von Artikel 15 des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung nicht gemeinsam behandelt und der Volksabstimmung unterbreitet ·werden/Ähnliche Situationen könnten auch in Zukunft sich wieder einstellen.

Der Bundesrat wird daher eingeladen, die Abänderung von Artikel 15 des Bundesgesetzes über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung zu prüfen und Antrag zu stellen, damit die gleichzeitige parlamentarische Behandlung und nachfolgende Volksabstimmung materiell gleichgerichteter Begehren auf Partialrevision der Bundesverfassung ermöglicht wird.

Das Postulat der nationalrätlichen Kommission zur Behandlung des Volksbegehrens vom 3. Oktober 1934 betreffend den Schutz der Armee und gegen ausländische Spitzel vom 12. März 1948 sagt: · , Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, ob nicht die im Bundesgesetz vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung angesetzte Jahresfrist für die Stellungnahme der Bundesversammlung angemessen zu verlängern sei, und ob nicht die Möglichkeit geschaffen werden könne, gegenstandslos gewordene Initiativbegehren ohne Abstimmung durch die eidgenössischen Räte zu erledigen.

Indem wir den in diesen drei Postulaten geäusserten Wünschen Folge geben, beehren wir uns, im Folgenden zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen und Ihnen einen Entwurf für die Abänderung des Gesetzes zu unterbreiten.

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: ..

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I. Die Verlängerung der Jahresfrist (Art. 7 und 8)

Das Postulat, der nationalrätlicben Kommission beauftragt den Bundesrat in seinem ersten Teil mit der Prüfung der Frage, ob nicht die im Bündesgesetz angesetzte Frist für die Stellungnahme der Bundesversammlung zu Initiativen angemessen zu verlängern sei. Damit werden die Artikel 7, Absatz l und 3, und Artikel 8 visiert, welche sich auf,die Initiative betreffend Teilrevision, der Bundesverfassung beziehen.

Artikel 7, Absatz l, lautet: «Verlangt das Revisionsbegehren Erlass, Aufhebung oder Abänderung bestimmter Artikel der Bundesverfassung und ist dasselbe in der Form der allgemeinen Anregung gestellt, so haben sich die eidgenössischen Räte spätestens binnen Jahresfrist darüber schlüssig zu machen, ob sie mit dem, Begehren einverstanden sind oder nicht.» Absatz 8 dieses Artikels sagt: «Lehnen sie dasselbe ab oder kommt ein Beschluss binnen obiger Frist darüber nicht zustande, so ordnet der Bundesrat über das gestellte Begehren die Vornahme der allgemeinen Volksabstimmung an.» Artikel 8 hat folgenden Wortlaut: «Ist, das Partialrevisionsbegehren in der Form eines aus-

911 gearbeiteten Entwurfes gestellt, so haben die eidgenössischen Räte spätestens binnen Jahresfrist darüber Beschluss zu fassen, ob sie dem Initiativentwurf, so wie derselbe lautet, zustimmen oder nicht.» Sowohl Artikel 7 wie Artikel 8 verlangen, dass die eidgenössischen Eäte spätestens binnen Jahresfrist darüber Beschluss zu fassen haben, ob sie einem auf Partialrevision der Bundesverfassung gerichteten Volksbegehren zustimmen oder nicht. Und zwar bezieht sieh Artikel 7 auf den Fall, wo die Initiative nur eine allgemeine Anregung macht, während Artikel 8 anwendbar ist, wenn ein ausgearbeiteter Entwurf, d. h. ein formulierter Text für die Teilrevision vorgeschlagen wird. Praktisch ist !vor allem Artikel 8 von Bedeutung, da fast alle bisher zustandegekommenen Initiativen formulierte Vorschläge gemacht haben. Wir prüfen daher die Frage der Fristverlängerung vorerst für den Artikel 8 und hierauf für den Artikel 7.

i l . Die Notwendigkeit einer Verlängerung Die in Artikel 8 aufgestellte Frist von einem Jahr für die Ausarbeitung des Berichts und für die Beschlussfassung beider Eäte ist schon lange als zu kurz empfunden worden. Schon im Dezember 1922 ist daher im Ständerat eine Verlängerung der Frist angeregt worden, und zwar durch die Motion Brügger, welche eine Frist von drei Jahren vorschlug. Diese Motion wurde zwar abgelehnt, jedoch im wesentlichen nicht wegen der vorgeschlagenen Verlängerung der Frist, sondern weil sie mit einer Reihe unannehmbarer Forderungen belastet war, welche die Ausübung des Initiativrechts selbst eingeschränkt hätten (vgl.

Burckhardt, Bundesrecht, Nr. 572, III). Seither, namentlich in den letzten 15 Jahren, sind Überschreitungen der Frist noch häufiger und in stärkerem Masse vorgekommen. Im Zusammenhang mit der Interpellation Perréard vom 11. Dezember 1946, welche die baldige Anordnung der Volksabstimmung über zwölf schon vor mehreren Jahren eingereichte Initiativen anregte, wurde die Frage der Einführung einer längeren Frist neuerdings erörtert. Der Bundesrat hat sowohl bei der Beantwortung der Interpellation Chaudet zu den beiden Initiativen betreffend die Rückkehr zur direkten Demokratie, wie auch im Bericht vom 27. Februar 1948 über das erste dieser Volksbegehren (BB1. 1948, I, 1066) auf diese Frage hingewiesen.

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Seit der Einführung der Initiative für die
Teilrevision der Bundesverfassung, d. h. seit dem Jahre 1891, sind im ganzen 55 Initiativen dieser Art eingereicht worden. Eine, davon wurde als nicht zustandegekommen erklärt, während eine andere (nämlich1 die zweite Initiative betreffend Rückkehr zur direkten Demokratie) nur noch bedingt zustande gekommen ist. Bezüglich der übrigen 58 Initiativen gibt die nachstehende Tabelle Auskunft darüber, wieviel Zeit aufgewendet wurde bis und mit der Vorlegung des Berichts einerseits bezw. der Beschlussfassung beider Räte anderseits. Dabei unterschieden wir vier Zeitabschnitte: Die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, diejenige während desselben, die Zeit nach Beendigung des Weltkrieges bis Ende 1983 und die letzten 15 Jahre.

'

912 Nicht behandelt

Bis und mit Beschluss der beiden Kate

Bis und mit Vorlegung des Berichts

Anzahl Jahre

Total

der Überder mehr Bück- pen- Initiaschreitungen als 4 zug dent tiven Zahl | %

0-1

1-2

2-3

3-4

1891--1913

11

--

--

--

--

--

11

0

0

1914--1919

1

2

--

--

--

4

3

75

1920--1933

6

4

--

--

1

1

12

6

50

1934--1948

9

4

1

3

1

4

4

26

17

65

Zusammen

27

10

2 . 3

2

5

4

53

26

49

1891--1913

8

1 --

--

--

9

1

11

1914--1919

1

1 --

3

--

--

6 . 5

83

1920--1933

2

5

2

1

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12

10

83

1934--1948

5

4

8

2

1

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26

21

77

Zusammen

16

11

5

3

5

6

. 7

53

37

70

1

-- 1

--

Wie die vorstehende Tabelle zeigt, erfolgte die Beschlussfassung der beiden Räte innerhalb der gesetzlichen Frist nur in 16 Fällen (= 30 %), in den letzten 15 Jahren sogar nur in 5 (von 26) Fällen (= 20 %). Sehr oft konnte nicht einmal der Bericht innerhalb eines Jahres vorgelegt werden. Nur- in 27 Fällen (= 50 %) lag er vor Ablauf dur Jahresfrist bereit; in den letzten 15 Jahren nur in 9 (von 26) Fällen (= 35 %). Solche Zahlen mahnen zum Aufsehen und Verlangen nach einer Abhilfe. Vorschriften, die nicht eingehalten werden, verfehlen nicht nur ihren Zweck; schlimmer ist, dass die dauernde Nichteinhaltung von Vorschriften durch die Behörden, das Vertrauen in diese und den Eespekt vor den Gesetzen, die beide in der Demokratie von,besonderer Wichtigkeit sind, untergräbt, selbst wenn sich für die Überschreitung gute Gründe anführen lassen.

Ist nun für die Beseitigung dieses Übelstandes eine Verlängerung der gesetzlichen Frist notwendig ? Der Bundesrat glaubt diese Frage auf Grund der folgenden Überlegungen bejahen zu Sollen.

Eine Prüfung der Verhältnisse zeigt, dass die Frist zu kurz ist. Innerhalb eines Jahres hat nämlich nach geltendem Recht folgendes zu geschehen. Zuerst haben beide Räte --nacheinander -- zur Frage des Zustandekommens Stellung zu nehmen. Dann geht die Initiative an den Bundesrat zurück zur materiellen Berichterstattung. Da es sich um die Revision der Verfassung handelt, erfor-

913 dert die Ausarbeitung eines Entwurfes für den Bericht und eventuell für einen Gegenvorschlag durch die zuständige Verwaltungsabteilung meistens einen erheblichen Arbeitsaufwand, der Monate in Anspruch nehmen kann. Dies besonders dann, wenn ein weitschichtiges Material gesammelt, die Hilfe von Verbänden oder von schweizerischen Gesandtschaften für die Beschaffung von Unterlagen zur ÌBechtsvergleichung in Anspruch genommen oder Gutachten eingeholt werden müssen. Hierauf muss der Entwurf vorerst innerhalb des Departements bereinigt werden. In den Fällen, in denen auch andere Departemente an der Vorlage unmittelbar beteiligt sind -- was häufig zutrifft --, muss sie diesen Departementen zum Mitbericht an den Bundesrat zugestellt werden. Weichen die Auffassungen voneinander ab, so ist ein Meinungsaustausch durchzuführen, der wiederum viel Zeit beanspruchen kann. Es folgen die Übersetzung, die Drucklegung und die Beratung im Bundesrat. Erst dann werden die Bäte mit der Vorlage'befasst. In diesem Moment ist aber die Jahresfrist oft schon erheblich überschritten, selbst bei rascher Erledigung. Das Gesetz verlangt jedoch, dass vor Ablauf der Jahresfrist auch die beiden Eäte Beschluss gefasst haben müssen. Dass dieses Verfahren allein (mit den Kommissionsberatungen, den Verhandlungen im Plenum, den Differenzbereinigungen usW.)

in vielen Fällen ein Jahr und mehr in Anspruch nimmt, bedarf wohl keiner näheren Ausführungen.

D,abei ist noch unklar, in welchem Zeitpunkt die einjährige Frist zu laufen beginnt. Die Praxis nimmt an, sie beginne im Moment, in dem der Bundesrat die Initiative mit seinem Bericht über ihr Zustandekommen den beiden Bäten zustellt (Burckhardt, Kommentar, S. 819). Berechnet man die Frist aber (wie z. B. v. Waldkirch: Mitwirkung des Volkes bei der Eechtssetzung, S. 20) vom Moment der Eiureichung der Initiative an, so würde auch die Ausarbeitung des Berichtes über das Zustandekommen der Initiative in die Jahresfrist einbezogen.

Es ist freilich richtig, dass in den ersten 25 Jahren alle sechs Initiativen innerhalb der Jahresfrist erledigt werden konnten. Aber schon 1907 -- unter normalen Verhältnissen -- wurde die Frist in einem Falle um mehr als zwei Monate überschritten. Während des ersten Weltkrieges konnten 'dann von sechs Initiativen nur eine, in der folgenden Periode bis Ende 1938
von zwölf Initiativen nur zwei und in den letzten 15 Jahren -- wie bereits erwähnt -- von 26 nur fünf rechtzeitig erledigt werden. Eine Prüfung der einzelnen Fälle zeigt nun, dass die Einhaltung der Frist sehr oft ohne Gefährdung wichtiger Lebensinteressen gar nicht möglich war. So namentlich während der beiden Weltkriege und unter den ausserordentlichen Verhältnissen unmittelbar vorund nachher, als man gezwungen war, zum Notrecht zu greifen. Zu diesen Fällen gehören die meisten Initiativen, die während mehrerer Jahre nicht behandelt wurden, insbesondere jene, die zur Interpellation Perréard geführt haben. Von den übrigen Initiativen -- die von den Notrechtsverhältnissen nicht direkt berührt wurden -- sind einzelne rechtzeitig behandelt und zur Volksabstimmung gebracht worden, und zwar sogar während der Kriegszeit.

914 Bei andern ist die gesetzliche Frist allerdings nicht eingehalten worden. Auch bei solchen hat sich die Frist von einem Jahr jedoch als zu kurz erwiesen.

Konnte diese noch vor dem ersten "Weltkrieg fast immer eingehalten werden,.

so ist das heute oft nicht mehr der Fall, weil die Verhältnisse sich in verschiedener Hinsicht geändert haben. Schon die Zahl der Initiativen hat erheblich zugenommen, so dass des öftern die Anregung gemacht wurde, die Zahl der erforderlichen Unterschriften zu erhöhen^ So sind z. B. in den ersten 15 Jahren nur sechs: Initiativen eingereicht worden, in den letzten 15 Jahren dagegen deren 26.

Im Jahre 1985 allein sind nicht weniger als sechs Initiativen zustande gekommen, also gleichviel wie in den ersten 15 Jahren zusammen. Hinzu kommt, dass die Arbeitslast bei allen Departementen stark zugenommen hat, während anderseits die Erledigung der Initiativen aus verschiedenen Gründen -- z. B.

wegen der Fühlungnahme mit den Interessentengruppen und einer eingehenderen Berichterstattung des Bundesrates -- zeitraubender geworden ist.

Demnach ist vor allem in Notrechtszeiten, aber auch in den sog. normalen Zeiten die Einhaltung der einjährigen Frist oft nicht mehr möglich. Da aber nichts geeigneter ist, den Eespekt vor dem Gesetz zu erschüttern, als Vorschriften, die nicht eingehalten werden können, nicht einmal von den Behörden selbst, empfiehlt es sich, den Artikel 8 zu ändern und die Frist in angemessener Weise zu verlängern.

Für die Abänderung des Artikels 7 können nicht praktische Erfahrungen angerufen werden, da er bisher überhaupt nicht zur Anwendung gekommen ist.

Es ist hier aber die gleiche Frist aufgestellt, innerhalb welcher ebenfalls die Ausarbeitung eines Berichtes und die Beschlussfassung beider Bäte zur Frage einer Verfassungsrevision verlangt wird. Deshalb rechtfertigt es sich, auch hier in gleicher Weise eine Fristverlängerung vorzunehmen, um, ähnliche Schwierigkeiten zu vermeiden, falls in Zukunft von der allgemeinen Anregung Gebrauch gemacht werden sollte.

2. Wie soll revidiert werden ?

Die m Artikel 8 aufgestellte Frist will den Initianten Gewähr dafür geben, dass ihre Vorschläge dem Volk und den Ständen ohne Verzug zur Abstimmung vorgelegt werden. Der Appell an das Volk soll nicht dadurch illusorisch gemacht werden können, dass die Behandlung einer
Initiative -- sei es auch in guter Absicht -- auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben und die Volksabstimmung vielleicht erst vorgenommen wird, wenn es für die Erreichung der von der Initiative angestrebten Ziele zu spät ist. Es kann nun, wie der Bundesrat bereits in seinem Bericht vom, 27. Februar 1948 zum ersten Volksbegehren über die Bückkehr zur direkten Demokratie (BB1.1948, I, 1066) bemerkte, keine Bede davon sein, das Volksrecht der Verfassungsinitiative, das zu den Grundpfeilern unserer Verfassung gehört, zu beschränken oder in seiner Wirksamkeit zu verringern. Deshalb kann es auch nicht in Frage kommen, .die zeitliche Schranke für die Erledigung einer Initiative überhaupt fallen zu lassen.

915

Die Schwierigkeit einer Regelung besteht darin, die Frist so zu bestimmen, dass sie bei gutem Willen immer eingehalten werden kann, dassaber anderseits das Recht der Initiative in seiner Wirkung nicht zu sehr gehemmt wird. Wie kann diesen beiden Erfordernissen zugleich genügt werden?

Wenn immer möglich, sollte eine Eegelung getroffen werden, die für alle Verhältnisse Geltung hat, also nicht nur für die «normalen», sondern auch für die ausserordentlichen Zeiten des Notrechtes. Nun können aber in Notrechtszeiten die Verhältnisse von denjenigen ordentlicher Zeiten so sehr abweichen, dass es nicht möglich ist, eine bestimmte Frist aufzustellen, die für beide in gleicher Weise Geltung hätte. Denn eine Frist, die auch für ausserordentliche Zeiten ausreichen würde, wäre für ordentliche Zeiten unnötigerweise lang und böte nicht genügend Gewähr für das richtige Funktionieren der Initiative, während umgekehrt eine auf die ordentlichen Verhältnisse eingestellte Frist in ausserordentlichen Zeiten zu kurz, wäre. Aber auch die Aufstellung von zwei verschiedenen Fristen würde sich .nicht empfehlen, da es kaum möglich, sein dürfte, zwischen diesen Zeiten eine klare und zweckmässige Abgrenzung zu finden.

Diesen beiden Lösungen wäre jedenfalls der bisher geltende Grundsatz -vorzuziehen, wonach eine fixe Frist aufgestellt würde, die nur auf die ordentlichen Zeiten eingestellt ist, wogegen man in ausserordentlichen Zeiten auch künftig mit Überschreitungen der Frist rechnen müsste. Es würde sich also nur darum handeln, diese Frist angemessen zu verlängern. Für die Vorlegung des Berichts allein würde eine Frist von zwei Jahren genügen. Die Initiativen, für welche die Ausarbeitung des Berichts mehr als zwei Jahre in Anspruch nahm, fallen wohl alle in ausserordentliche Zeiten und hängen mit dem Notrecht zusammen. So war die Überschreitung der Frist durch den Staatsnptstand bedingt z. B. bei den Initiativen betr. die ausserordentliche Kriegssteuer 1988, den Schutz der Armee gegen ausländische Spitzel 1934, die Wahrung der Volksrechte in Steuersachen 1934, die Pressefreiheit 1935, die Arbeitslosenversicherung 1936, die Gütertransportordnung 1988, die Alters- und Hinterbliebenenversicherungskassen 1942, das Eecht auf Arbeit 1943, Wirtschaftsreform und Rechte der Arbeit 1943 und Schutz des Bodens und der Arbeit 1943. Eine
Ausnahme machte die Branhtweininitiative vom 10. November 1921, für welche die Botschaft erst nach mehr als sechs Jahren vorgelegt wurde.

Fraglich erscheint es allerdings, ob die Frist von zwei Jahren auch genügen würde für die Beschlussfassung beider Räte. Bisher sind in dieser Frist nur 27 Fälle (= 50%) durch die Räte erledigt worden. Innerhalb drei Jahren waren es 32 Fälle (= 60%). Im dritten Jahr sind bisher namentlich Initiativen erledigt worden, die zu grösseren Diskussionen Anlass gaben, wie jene über die Invaliditäts-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung (Initiative Rothenberger) 1920, über das Ordensverbot 1928, über das Verbot der Freimaurerei 1934, über die Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates .und dio Wahl des Bundesrates durch das Volk 1939 und über den Schutz der Familie 1942.

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Zum Teil fallen sie allerdings in ausserordentliche Zeiten und sind durch -den Staatsnotstand beeinflusst. Trotzdem wäre es wohl notwendig, die Frist auf drei Jahre zu verlängern, wenn man es nicht vorzieht, für die Vorlegung des Berichts zwei Jahre Zeit zu geben und zu verlangen, dass spätestens innerhalb eines; weiteren Jahres die Beschlussfassung der beiden Eäte zu erfolgen hat.

Bei diesem Anlass wäre auch, klarzustellen, in welchem Zeitpunkt die Frist zu laufen beginnt. Wählt mau eine Frist von drei Jahren, so könnte wohl auf den Moment der Einreichung der Initiative abgestellt werden.

Eine solche Regelung hätte aber den Nachteil, dass es unter ausserordentlichen Verhältnissen auch künftig Fälle geben könnte, in denen die gesetzliche Frist nicht eingehalten werden kann. Eine Ordnung, die auch das vermeidet, kann nur in einer allgemeinen Formulierung gefunden werden. Statt «spätestens binnen Jahresfrist» hätte die Beschlussfassung der eidgenössischen Eäte etwa zu erfolgen «sobald als möglich», «sobald die Umstände es gestatten», «mit tunlichster Beschleunigung» oder «nach den gegebenen Umständen ohne Zeitverlust». Alle diese Formulierungen haben allerdings, wie jede elastische Lösung, notwendigerweise den Nachteil der Unbestimmtheit. Sie vermeiden zwar Härten und Unbilligkeiten, sind aber dafür weniger einfach und wirksam..

Eine solche Eegelung wäre indessen auf alle Fälle wirksamer als die Festsetzung einer Frist, die lange genug wäre, um auch für Nötrechtszeiten zu genügen, und sie wäre zweckmässiger als die Aufstellung von zwei verschiedenen Fristen.

Es fragt sich dann nur noch, ob man eine fixe Frist vorzieht, die aber nur für normale Verhältnisse gilt, oder ob man eine Ordnung für alle Fälle aufstellen will, was nur mit einer allgemeinen Formel geschehen könnte. Wir würden dieser letzteren Lösung den Vorzug geben. Sie ist elastisch genug, um auch die ausserordentlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, ohne jedoch das richtige Funktionieren der Initiativen in normalen Zeiten zu gefährden.

Wir schlagen daher vor, dem Artikel 8 folgende Fassung zu geben: «Ist das Partialrevisionsbegehren in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfes gestellt, so haben die eidgenössischen Eäte nach den gegebenen umständen ohne Zeitverlust darüber Beschluss zu fassen, ob sie dem Initiativentwurf, so wie
derselbe lautet, zustimmen oder nicht.» Ebenso wären in Artikel 7, Absatz l, die Worte «spätestens binnen Jahresfrist» zu ersetzen durch die Worte «nach den gegebenen Umständen ohne Zeitverlust». Dagegen kann der Text von Absatz 8 dieses Artikels unverändert bleiben.

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II. Gegenstandslos, gewordene Initiativen Das Postulat der nationalrätlichen Kommission wünscht ferner eine Prüfung der Frage, «ob nicht die Möglichkeit geschaffen werden könne, gegenstandslos gewordene Initiativbegehren ohne Abstimmung des Volkes durch die eidgenössischen Eäte zu erledigen». Veranlassung zu diesem Begehren war die Tatsache, dass mehrere weit zurückliegende Initiativen, die wegen der ausserordentlichen Verhältnisse nicht zur Volksabstimmung gekommen waren, nach-

917 träglich dem Volk und den Ständen vorgelegt werden mussten, obsction sie inzwischen überholt oder gegenstandslos geworden waren. Da Volksabstimmungen über solche Initiativen als sinnlos oder zum mindesten als «Leerlauf der Demokratie» empfunden wurden, ist es verständlich, dass man sich überlegte, ob nicht schon nach geltendem Recht unter solchen Umständen auf die Durchführung der Volksabstimmung verzichtet werden könnte. Mangels einer besonderen Vorschrift, auf die man sich hätte stützen können, fragte man sich, ob nicht die Analogie zur Ungültigerklärung einer Initiative ausreichen würde, um die Durchführung einer Volksabstimmung zu unterlassen.

Die Justizabteilung erklärte diese Analogie in einem Bericht:vom 27. Februar 1947 als unzulässig, indem sie ausführte: «Dort handelt es sich um die Feststellung des gültigen Zustandekommens der Initiative. Zu diesem Zweck muss das Vorhandensein von formellen Voraussetzungen geprüft: werden, die im Gesetz ausdrücklich als Gültigkeitserfordernisse bezeichnet sind und für deren Überprüfung die Bundesversammlung (gemäss Art. 5, Abs. 4, des Gesetzes vom Jahre 1892) zuständig ist. Das gleiche muss auch gelten für die Prüfung, ob die in Artikel 121, Absatz 3, Bundesverfassung aufgestellte Voraussetzung der Einheit der Materie erfüllt ist. -- Um etwas wesentlich anderes handelt es sich bei der nachträglichen Abschreibung einer Initiative wegen Gegenstandslosigkeit. Hier geht es nicht mehr um das Vorhandensein gesetzlich genau umschriebener Gültigkeitsvoraussetzungen, sondern um die inhaltliche Zulässigkeit und Zweckmässigkeit der Initiative, d. h. um die Frage, ob es überhaupt noch nötig sei, die yon der Initiative verlangten Änderungen in der Verfassung durchzuführen. Zu diesem Punkte bemerkt Burckhardt (S. 815): «DemInhalte nach kann die Verfassungsrevision nicht beschränkt werden, gehe sie nun von der Bundesversammlung oder dem Volke aus; es bleibt den Vorschlagsberechtigten und in letzter Linie dem Volke und den Ständen überlassen, zu entscheiden, welche Materien sich zur Aufnahme in die Bundesverfassung eignen.

Ein formelles Hindernis steht also nicht entgegen, dass das Volk auf dem Wege der Verfassungsinitiative mit Zustimmung der Stände dasjenige erreiche, was auf dem Wege der Gesetzesinitiative nicht erreicht werden kann; es kann auch auf diesem
Wege der Gestzgeber zum Erlass bestimmter, nach bestimmten Grundsätzen zu redigierender; Gesetze verpflichtet werden, was Benziger im Nationalrat 1894 mit Unrecht bezweifelte (Sten. Bull. 3, 607); Fleiner 898» (vgl. in diesem Sinne Büeler: Die Entwicklung und Geltendmachung des schweizerischen Volksinitiativrechts, Diss. Zürich 1925, S. 59). Insbesondere muss den Vorschlagsberechtigten, d. h. den Unterzeichnern der Initiative, sowie dem Volke und den Ständen überlassen bleiben, darüber zu befinden, ob inzwischen erfolgte Änderungen in der Verfassung oder Gesetzgebung den Zwecken der Initiative ebensogut oder noch besser dienen als die vorgeschlagene Änderung. Aus diesem Grunde muss denn auch der in der Initiative formulierte Entwurf so, wie er lautet, dem Volk und den Ständen zur Abstimmung vorgelegt werden (vgl. Art. 8 des Bundesgesetzes vom Jahre 1892; Burckhardt, S. 816; Büeler, S. 74). Die herrschende Auffassung gibt der Bundesversammlung nicht

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einmal die Befugnis, eine Initiative, die zwei Gegenstände behandelt, in zwei Initiativen aufzuteilen, so dass eine solche Initiative als ganze ungültig erklärt werden'inuss (Burckhardt, S. 816 und dortige Zitate, sowie Giaeometti in JZ 32, 96). Das Ergebnis dieser Lösung mag in einzelnen Fällen unerwünscht sein. Eine gewisse Korrektur ist gegeben in der Möglichkeit des Bückzuges, soweit einer Gruppe von Initianten hiezu Vollmacht erteilt worden ist. Im übrigen wird in solchen Fällen die Durchführung der Abstimmung mit der Empfehlung zur Verwerfung der richtige Weg sein.» Mit Becht stellte deshalb der Bundesrat in seinem Bericht vom 27. November 1947 über das (inzwischen zurückgezogene) Volksbegehren betreffend den Schutz der Armee und gegen ausländische Spitzel (BEI. 1947, III, 707) fest, dass solche Initiativen der Volksabstimmung unterworfen werden müssen, soweit sie nicht zurückgezogen worden sind.

Das Postulat will nun solche Situationen durch eine Gesetzesänderung für die Zukunft vermeiden. Das ist. an sich zweifellos zu begmssen, zumal auch künftig ausserordentliche Verhältnisse in eine'Solche Zwangslage führen können und die Möglichkeit des Bückzuges der Initiative nicht immer gegeben ist. Andererseits ist es klar, dass die Schaffung einer Möglichkeit, ein Volksbegehren der Abstimmung des Volkes und der Stände zu entziehen, nur dann in Frage kommen kann, wenn das ohne erhebliche Beeinträchtigung oder Gefährdung dieses wichtigen Volksrechts möglich ist.

Die Lösung wird vom Bostulat darin erblickt, dass die eidgenössischen Bäte ermächtigt werden sollen, gegenstandslos gewordene Initiativbegehren ohne Volksabstimmung zu erledigen. Diese Neuerung |würde aber das Institut der Initiative in seinem Kern berühren, denn sie würde die Entscheidung über die inhaltliche Zulässigkeit und Zweckmässigkeit der von der Initiative angestrebten Verfassungsänderung den Unterzeichnern entziehen und in die Hände der beiden Eäte legen. Diese wären freilich verpflichtet, von ihrer Befugnis nicht willkürlichen Gebrauch zu machen, sondern nur dann, wenn eine Initiative wirklich «gegenstandslos» wäre/Das kann in einem Fall klar sein, in einem andern können die Auffassungen darüber in guten Tireuen auseinandergehen, da man es mit einem elastischen Begriff zu tun hat, welcher der Auslegung und dem freien Ermessen
einen weiten Spielraum lässt. Während nämlich die formellen Voraussetzungen des Zustandekommens einer Initiative genügend scharf umschrieben werden können, um Schwierigkeiten zu vermeiden, trifft das hinsichtlich des materiellen Inhalts nicht 'zu. Angesichts der unübersehbaren Möglichkeiten muss man sich hier mit einer allgemeinen Umschreibung begnügen. Es wäre allerdings möglich, gewisse Schranken aufzurichten. Diese könnten aber kaum über Selbstverständlichkeiten hinausgehen und vermöchten keine Gewähr dafür zu schaffen, dass die Ausübung der Initiative nicht, ernstlich gehemmt würde. Wenn die Entscheidung über den Inhalt des Volksbegehrens nicht mehr den Initianten frei überlassen wird, büsst dieses einen guten Teil seines Sinnes und seiner Wirksamkeit ein. Aus ähnlichen Erwägungen hat auch der Ständerat in seiner Sitzung;vom 26. April 1923 die Motion

9Ì9 Brügger abgelehnt, welche u.a. vorgeschlagen hatte, zu bestimmen: «Unvernünftige oder revolutionäre Initiativen sollen als unzulässig erklärt werden können, so z. B. eine Initiative auf Sozialisierung der Frauen und Kinder, Aufhebung der Ehe und der : Familie oder Aufhebung des Privateigentums.» Der Entscheid hierüber wäre der Bundesversammlung überlassen gewesen.

Ebenso wurde die gleichzeitig eingereichte Motion Maillefer abgelehnt, welche eine Revision von Artikel 121 Bundesverfassung «zwecks Ausschaltung rnissbräuchlicher Ausübung des Initiativrechts» verlangt hatte (vgl. Burckhardt.

Bundesrecht Nr. 572, III und IV).

Soll die vom Postulat vorgeschlagene Lösung nicht auf eine Gefährdung des Initiativrechts hinauslaufen, so müsste also unter allen Umständen eine Sicherung eingebaut werden. In diesem Sinne ist erwogen worden, eine Korrektur des Beschlusses der beiden Bäte in der Weise zu ermöglichen, dass 50 000 stimmberechtigte Schweizer Bürger binnen 90 Tagen die Durchführung der Abstimmung des Volkes und der Stände verlangen könnten. Da aber schon nach geltendem Recht 50 000 Stimmberechtigte eine gleichlautende Initiative jederzeit, also ohne Beschränkung auf 90 Tage, vorlegen können, hätte ein solches «Referendum» wenig Zweck. Sachlich läge überdies eine Erschwerung der Initiative vor, und zwar auch dann, wenn die erforderliche Zähl der Stimmberechtigten herabgesetzt würde, z. B. auf 30 000.

Die Initiative ist nicht nur eines unserer wichtigsten Volksrechte, sondern sie gehört auch zu jenen, welche keine inhaltlichen Einschränkungen ertragen.

Sie kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn den Initianten in der Bestimmung des Inhalts volle Freiheit gelassen wird, im Vertrauen darauf, dass Volk und Stände bei der Abstimmung zum Rechten sehen werden. Wie immer man sich eine inhaltliche Beschränkung vorstellen mag, sie scheint uns -- schon wegen der Erschütterung des Vertrauens in die demokratischen V°lksrechte··-- das grössere Übel zu sein als die Durchführung einer Volksabstimmung über eine Initiative, die vielen Bürgern, vielleicht der grossen Mehrheit, als gegenstandslos erscheint. Inhaltliche Beschränkungen glauben wir also ablehnen zu sollen.

Praktisch bestand die Schwierigkeit bei den unerledigten Initiativen indessen bloss darin, dass sie nicht zurückgezogen werden konnten, weil die
Initiative keine Rückzugsklausel enthielt. Man könnte deshalb daran denken, das Initiativkomitee von Gesetzes wegen, und zwar durch eine zwingende Bestimmung, zum Rückzug zu ermächtigen. Wir halten das aber für einen zu schweren Eingriff in das Recht der Initiative, denn die Unterzeichner können gute Gründe hab«n, den Rückzug nicht vom Belieben eines Komitees abhängig zu machen. In Frage kommt dagegen eine Interpretationsregel, wonach mangels einer gegenteiligen Bestimmung das Komitee zum Rückzug berechtigt sein soll. Eine solche Regel könnte wohl nicht als eine inhaltliche Beschränkung des Initiativrechts angesehen werden. Sie könnte andererseits gute Dienste leisten, nicht nur für die Fälle, wo die Aufnahme einer Rückzugsklausel aus Versehen unterbleiben würde, sondern auch für jene, wo die Initianten sich aus Prestigegründen scheuen, von Anfang an in den Initiativbogen die Rückzugs-

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möglichkeit vorzusehen. Bedenken könnten höchstens etwa nach der Eichtung bestehen, dass das Initiativkomitee dadurch einen zu grossen Einfluss erhalten könnte. Schon unter dem bisherigen Eecht hat aber das Komitee des öftern diese Befugnis erhalten und von ihr Gebrauch gemacht, ohne dass Missbräuche bekannt geworden sind.

Wir schlagen daher vor, den Artikel 4 des Gesetzes durch folgenden Absatz 2 zu ergänzen: «Falls das Volksbegehren nicht eine gegenteilige Bestimmung enthält, gilt das Initiativkomitee als ermächtigt, den Eückzug des Volksbegehrens zu beschliessen.» III. Die gleichzeitige Erledigung mehrerer Initiativen über den gleichen Gegenstand Gemäss dem Postulat Odermatt ist zu untersuchen, ob nicht Artikel 15 in dem Sinne abzuändern sei, dass die gleichzeitige Behandlung und nachfolgende Volksabstimmung gleichgerichteter Begehren auf Partialrevisoiien der Bundesverfassung ermöglicht wird. Dieser Artikel 15 hat folgenden Wortlaut: « Sind in bezug auf die nämliche Verfassungsmaterie eine Mehrzahl von Initiativ begehren bei der Bundeskanzlei eingereicht worden, so ist zunächst das ersteingereichte Begehren durch die Bundesversammlung zu behandeln und zur Volksabstimmung zu bringen.

Die übrigen Begehren werden in der Eeihenfolge ihres Einganges je nach Erledigung der früher eingereichten behandelt. » Die äussere Veranlassung zum Postulat auf Abänderung dieser Vorschrift war der Umstand, dass der Bundesrat in seinem Bericht vom 27. Februar 1948 (BB1.1948, I, 'S. 1054) unter Berufung auf sie vorgeschlagen hatte, die zweite Initiative betr. Eückkehr zur direkten Demokratie erst zu behandeln, wenn die erste Initiative über den gleichen Gegenstand in der Volksabstimmung angenommen sein werde. Ist eine solche Abänderung des Artikels 1.5 zu empfehlen?

1. Das in Artikel 15 vorgeschriebene Verfahren kann in der Tat den Eindruck erwecken, dass es dem Grundsatz der Ökonomie der Kräfte wenig Eechnung trage und auch einer gründlichen Erörterung der aufgeworfenen Fragen nicht dienlich sei. Wer eine Vorschrift über irgend einen Gegenstand aufstellen will, wird vernünftigerweise von Anfang an alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen, sie gegeneinander abwägen und sich für jene Lösung entscheiden, die ihm die beste zu sein scheint. In entsprechender Weise wird auch in den Bäten vorgegangen, wenn mehrere Anträge
zum gleichen Gegenstand vorliegen: Alle Anträge werden gleichzeitig behandelt und miteinander zur Abstimmung gebracht; durch mehrere Abstimmungen und Eventualabstimmungen werden sie einander gegenübergestellt, um zu ermitteln, welcher Antrag vor dem andern den Vorzug erhalte. Es muss daher, auffallen, dass gerade dieses Vorgehen verboten sein soll, wenn mehrere Volksinitiativen über den gleichen Gegenstand zu

921 behandeln sind, und nur in diesem Falle. Diese Abweichung vom gewöhnlichen Vorgehen hat aber --- wie sich bei näherem Zusehen ergibt -- ilire guten Gründe, die mit dem Wesen des Volksrechtes der Initiative zusammenhängen. Es sind namentlich die folgenden: Die Eegelung des Artikels 15 bezieht sich nur auf Initiativen, welche die gleiche Materie betreffen. Sie gilt nicht für Initiativen, die keine Berührungspunkte miteinander haben; denn bei diesen hat die Annahme oder Ablehnung der einen keine Eückwirkungen auf die Erledigung der andern. Deshalb bestehen keine Bedenken, z. B. eine Initiative über die dringlichen Bundesbeschlüsse und eine solche über die Einführung einer neuen Bundessteuer am gleichen Tage zur Volksabstimmung zu bringen. Anders bei Initiativen über die gleiche Materie. Unter diesen sind solche zu verstehen, welche innerlich so zusammenhängen, dass die Annahme oder Ablehnung der einen nicht ohne Eückwirkung bleibt auf die Behandlung der andern.

!

Dabei sind zwei Arten des Zusammenhanges zu unterscheiden: Entweder stehen die Initiativen im Verhältnis der Über- und Unterordnung zueinander, oder sie sind einander gleichgeordnet, d. h. sie stehen im gleichen Eahg.

2. Im ersteren Falle handelt es sich um zwei (oder mehrere) Initiativen, von denen die eine (d. h. die spätere) der andern so untergeordnet ist, dass sie nur dann einen Sinn hat, wenn die frühere in der Volksabstimmung angenommen wird.

So trifft das zu, wenn z. B. die zweite Initiative nur eine Ergänzung der ersten verlangt, wie das gerade Dei der zweiten Initiative betr. Bückkehr zur direkten Demokratie der Fall ist. Das Zustandekommen der zweiten Initiative ist dann von den Unterzeichnern an die Bedingung geknüpft, dass die erste vom Volk und von den Ständen angenommen wird. Wenn die erste Initiative abgelehnt wird, so ist damit die zweite gegenstandslos und hinfällig geworden.

Sie darf infolgedessen nicht zur Volksabstimmung gebracht werden, weil keine gültige Initiative mehr vorliegt (vgl. BB1.1948, I, 1055, 1948, II, 980 ff.).

In einem solchen Falle ist es daher ausgeschlossen, beide Initiativen gleichzeitig zur Volksabstimmung zu bringen, es sei denn, dass über die zweite nur eine bedingte Abstimmung vorgenommen wird. Bei Ablehnung der ersten müsste die zweite ebenfalls als abgelehnt gelten, und zwar selbst dann,
wenn die Mehrheit von Volk und Ständen sich zu ihren Gunsten ausgesprochen hätte.

Andernfalls könnte der Fall eintreten, dass die Ergänzung einer gar .nicht bestehenden Vorschrift beschlossen würde.

Zu der Gruppe der Über- und Unterordnung sind ferner auch jene Fälle zu rechnen, wo .die zweite Initiative eine Abänderung zur ersten vorschlägt.

Für den Fall, dass aie erste in der Volksabstimmung angenommen wird, soll in einzelnen-Punkten eine Abänderung vorgenommen werden. Auch hier ist die zweite Initiative unter die Bedingung gestellt, dass die erste in der Volksabstimmung angenommen werde.

In beiden Fällen hätte daher die gleichzeitige Beratung und Volksabstimmung über beide Initiativen den Nachteil, dass möglicherweise unnötige

922 Arbeit geleistet wird, da die zweite Initiative gar nicht beraten und zur Volksabstimmung gebracht werden müsste, wenn die erste abgelehnt wird. Auch müsste es eigentümlich berühren, wenn die zweite Initiative unter Umständen als ungültig behandelt werden müsste, obwohl sie von Volk und Ständen angenommen worden wäre, vielleicht sogar mit grosser Mehrheit. Endlich kann diese Lösung zu komplizierten und unklaren Verhältnissen führen. Es ist allerdings denkbar, dass die erste Initiative nur annehmbar erscheint, wenn sie durch die Vorschläge der zweiten korrigiert oder ergänzt wird. Das kann aber auch ohne Änderung des Gesetzes geschehen, und zwar auf dem Wege des Gegenvorschlages der Bundesversammlung. Nichts hindert die Bäte auch, schon bei Erörterung der ersten Initiative die zweite in die Diskussion einzubeziehen, wie das bei den beiden Initiativen! betr. Rückkehr zur direkten Demokratie geschehen ist (vgl. BEI. 1948, II, 981). Dabei kann es von Vorteil sein, wenn zugleich mit dem Bericht über die erste auch derjenige über die zweite Initiative vorgelegt wird. In der Regel wird das aber nicht zutreffen. Oft wird die vorzeitige Ausarbeitung des zweiten Berichtes ebenfalls nur eine unnütze Arbeit und eine unnötige Komplizierung bedeuten. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass möglicherweise die erste Initiative zwar abgelehnt, aber ein Gegenvorschlag der Bundesversammlung angenommen würde. Damit kann sich die Sachlage auch für die zweite Initiative ändern. Hiezu kann aber der Bundesrät erst Stellung nehmen, wenn er weiss, dass ein Gegenvorschlag angenommen worden ist, und wie er lautet. In einem solchen Falle müsste zur zweiten Initiative ein zweiter Bericht vorgelegt werden.

Wir halten deshalb dafür, ,dass die gleichzeitige Beratung und Volksabstimmung bei Initiativen, die im Verhältnis der Über- und Unterordnung zueinander stehen, abgelehnt werden muss.

8. Es bleibt noch die Gruppe der gleichgeordneten Initiativen. Hier handelt es sich um Initiativen, welche den gleichen Gegenstand in verschiedener Weise regeln wollen; sie treten also zueinander in Gegensatz (z. B. die 'eine verlangt die Heraufsetzung der Wahlzahl des Nationalrates auf 25 000, die andere die Herabsetzung auf 20000 Seelen, oder die eine verlangt die Beschränkung der Dringlichkeitsbeschlüsse auf zwei, die andere
auf drei Jahre). Solche Initiativen sind miteinander in dem Sinne unvereinbar, dass sie nicht gleichzeitig angenommen werden und als Verfassungsrecht nebeneinander bestehen können.

Auch für diese Fälle lässt Artikel 15 'keinen Zweifel darüber bestehen, dass mehrere Initiativen getrennt voneinander zu behandeln sind, und zwar so, dass die Bundesversammlung mit der Behandlung der zweiten zuwarten muss, bis die erste die Volksabstimmung passiert hat. Der Grund hiefür ist in diesen Fällen aber ein anderer als in den zuerst behandelten. Hier hängt das Zustandekommen der zweiten Initiative nicht davon ab, ob die erste in der Volks* abstimmung angenommen wird oder nicht. Beide kommen unabhängig voneinander zustande. Aber sie können nicht gleichzeitig angenommen werden, weil sie sich widersprechen. Mit der getrennten Behandlung soll erreicht werden,

923 dass die Bäte und die stimmberechtigten Bürger zur zweiten Initiative erst Stellung nehmen müssen, wenn das Schicksal der ersten endgültig feststeht und ihnen bekannt ist. Je nach dem Ausgang der Volksabstimmung über die erste Initiative wird die Einstellung zur zweiten eine verschiedene sein.

Das trifft zunächst zu für die Stellungnahme der Mitglieder der beiden Eäte. Besonders deutlich zeigt sich das am erwähnten Beispiel der zwei Initiativen, von denen die eine die Gültigkeit eines Dringlichkeitsbeschlusses auf zwei Jahre, die andere auf drei Jahre befristen will. Wird in einer ersten "Volksabstimmung die erste Initiative abgelehnt, so werden möglicherweise, ja aller Wahrscheinlichkeit nach diejenigen Stimmen, welche sich für die erste Initiative mit der stärkeren Beschränkung eingesetzt hatten, in der zweiten Volksabstimmung zugunsten der zweiten Initiative eintreten, damit solche Beschlüsse nicht zeitlich ganz unbeschränkt bleiben. Das gleiche wird aber nicht zutreffen, wenn die erste Vorlage angenommen worden ist; jene Stimmen werden dann die zweite Initiative ablehnen. So kann das Endergebnis, je nach dem: Ausgang der Volksabstimmung über die erste, auch für die zweite ein ganz verschiedenes sein. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass die Eäte das Eesultat der Volksabstimmung über die erste Initiative kennen, bevor sie zur zweiten Stellung nehmen müssen. Deshalb müssen sie mit der zweiten zuwarten, bis die Volksabstimmung über die erste stattgefunden hat. Allerdings wäre es möglich, dem Ergebnis der Volksabstimmung über die erste Initiative in der Weise Eücksicht zu tragen, dass die Eäte bei der zweiten Initiative zwei Beschlüsse fassen würden, einen für den Fall der Annahme der ersten Initiative, den zweiten für den Fall ihrer Ablehnung (vgl. BB1.1948, II, 994 ff.) Dadurch würden die Verhältnisse aber noch komplizierter. Ausserdem wäre der Fall, dass ein Gegenvorschlag angenommen würde, noch nicht berücksichtigt.

Noch wichtiger ist der zweite Zweck des Artikels 15, nämlich zu vermeiden, dass das Volk gleichzeitig über zwei oder mehrere Initiativen über den gleichen Gegenstand abzustimmen hat. Da diese Initiativen untereinander zusammenhängen und die- Stellungnahme des stimmberechtigten Bürgers zu der einen abhängig ist vom Ergebnis der Abstimmung über eine andere, bereitet die Frage,
wie dem Stimmberechtigten Gelegenheit gegeben werden könne, seinen Willen ganz zur Geltung zu bringen, besondere Schwierigkeiten.

Bei mehreren Initiativen, die sich gegenseitig ausschliessen, würden hier -- wenigstens theoretisch -- Eventualabstimmungen die beste Gewähr bieten.

Es müsste festgestellt werden, ob die erste Initiative der zweiten vorgezogen wird oder umgekehrt, und ferner, ob die vorgezogene endgültig angenommen oder abgelehnt wird. Das könnte in der Weise geschehen, dass zwei Volksabstimmungen zeitlich getrennt durchgeführt würden. Wenn die beiden Eäte den zwei Initiativen einen Gegenvorschlag gegenüberstellen, müsste ausserdem eine Abstimmung darüber vorgenommen werden, ob die in der ersten Abstimmung vorgezogene Initiative dem Gegenvorschlag vorgezogen wird oder umgekehrt. Erst dann könnte die definitive, dritte Abstimmung erfolgen.

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Diese Lösung wäre aber nicht- einfacher als diejenige des heutigen Artikels 15, im Gegenteil.

Statt dieser getrennten Volksabstimmungen wäre es auch denkbar, dass dem Volk und den Ständen Eventualfragen vorgelegt würden. Die Abstimmung würde dadurch aber ausserordentlich kompliziert. Wenn z. B. zwei Initiativen und ein Gegenvorschlag gegeben sind, müssten dem Volk und den Ständen folgende Fragen vorgelegt werden: Wird die erste Initiative der zweiten vorgezogen oder umgekehrt?

Wird die erste Initiative dem Gegenvorschlag vorgezogen oder umgekehrt ?

Wird die zweite Initiative dem Gegenvorschlag vorgezogen oder umgekehrt ?

Wird die erste Initiative, falls diese vorgezogen wird, angenommen?

Wird die zweite Initiative, falls sie vorgezogen wird, angenommen?

Wird der Gegenvorschlag, falls er vorgezogen wird, angenommen ?

Es bedarf wohl keiner näheren Ausführungen darüber, dass dieser Abstimmungsmodus viel zu schwerfällig wäre und trotz seiner logischen Folgerichtigkeit praktisch wenig Gewähr dafür bieten würde, dass er dem wirklichen Volkswillen zur Geltung verhelfen könnte. Der Bundesrat hatte seinerzeit beim Erlass dieser Vorschrift^, aus ähnlichen Überlegungen der sukzessiven Volksabstimmung nicht nur bei mehreren gleichzeitigen Initiativen über den gleichen Gegenstand den Vorzug gegeben, sondern auch, wenn eine Initiative und ein Gegenvorschlag sich gegenüberstanden (BEI. 1891, IV, 20ff.); hierin hat das Gesetz den andern Weg eingeschlagen.

Eichtig ist, dass es auch hier zweckmässig, vielleicht sogar nötig sein kann, für die Beurteilung der ersten Initiative die zweite und ihre allfälligen Auswirkungen in Betracht zu ziehen. Das ist aber -- wie bereits erwähnt -- schon nach der heute geltenden Regelung möglich. Soweit nötig, kann schon der erste Bericht sich mit solchen Argumenten auseinandersetzen. Die gleichzeitige Ausarbeitung beider Berichte wird sich aber aus den bereits oben angeführten Gründen als Eegel nicht empfehlen.

Demnach ist auch bei zwei oder mehreren Initiativen, die einander nebengeordnet sind, eine Änderung des Gesetzes in dem Sinne, dass die gleichzeitige Beratung und Volksabstimmung ermöglicht werden soll, abzulehnen.

4. Man kann sich schliesslich noch fragen, ob nicht die Möglichkeit geschaffen, werden sollte, zwei gleichgerichtete Initiativen zusammenzulegen, In den
meisten Fällen wird die Zusammenlegung schon wegen des Inhalts der beiden Initiativen nicht möglich sein, weil sie sich ganz oder teilweise widersprechen.

Bei den beiden Initiativen, die den Ausgangspunkt des Postulats bilden, besteht zwar kein solcher Widerspruch; eine Zusammenlegung würde also daran nicht scheitern. Es wäre aber gefährlich, für solche Fälle die Möglichkeit der Zusammenlegung zu schaffen. Denn in diesem Falle könnte die erste Initiative durch Einreichung einer zweiten torpediert werden. Ein gutes Beispiel hiefür sind gerade die in Frage stehenden Initiativen: Wenn die erste noch etwelche Aussichten auf Erfolg hätte, so würde sie durch die Verknüpfung

925 mit der zweiten, die schlechthin unannehmbar ist, vollends aussichtslos. Das ist denn auch bisweilen der Grund dafür, dass über den gleichen Gegenstand zwei Initiativen eingereicht werden, auch wenn kein Zweifel darüber besteht, dass die in der zweiten Initiative enthaltenen Begehren in die erste Initiative aufgenommen werden könnten. Wenn die Initianten die Trennung wollen, so muss dieser Wüle respektiert werden. Andernfalls könnte die Verfassungsinitiative, eines unserer wichtigsten Volksrechte, durch Lancierung einer zweiten Initiative mit nachfolgender Zusammenlegung zu einem wesentlichen Teil entwertet werden.

Wir lehnen also auch diese Möglichkeit ab und empfehlen, den Artikel 15 unverändert zu Massen.

IV. Die fehlende Übereinstimmung der Texte Durch das Postulat Häberlin vom 11. Oktober 1946 hat der Bundesrat den Auftrag erhalten, zu prüfen, ob nicht das Verfahren bei der Bereinigung des Textes von Initiativen eindeutig festgelegt werden sollte. Den Anstoss zu diesem Postulat gab wohl die | Initiative betreffend das Eecht auf Arbeit vom 6. Mai 1943, bei welcher der deutsche Text erheblich von den beiden andern Texten abwich (BEI. 1946, II, 777 ff.).

1. Solche Abweichungen der Texte sind auch bei sechs weiteren Initiativen festgestellt worden, nämlich schon bei der ersten Initiative, derjenigen vom 15. September 1892 betreffend das Schächtverbot (BEI. 1892, IV, 389), und bei jenen vom 6. März 1920 betreffend Ausweisung von Ausländern (BB1. 1920, IV, 138), vom 13. September 1921 betreffend einmalige Vermögensabgabe (BB1. 1922, II, 917), vom 22. März 1922 betreffend den Zoll (BEI. 1923, I, 76), vom 31. Oktober 1934 betreffend das Verbot der Freimaurerei (BB1.1934, III, 856) und vom 13. Mai 1942 betreffend den Schutz der Familie (BB1. 1944: 1066). In den ersten Fällen ist nichts unternommen worden, um die Texte in Übereinstimmung zubringen. Infolgedessen stimmt z. B. bei Artikel 25bls BV betreffend das Schächtverbot der Text in den drei Sprachen nicht ganz überein, wie das Bundesgericht (BGE 33,1,723) festgestellt hat. Zum erstenmal hat der Bundesrat bei der Initiative betreffend den Schutz der Familie vorgeschlagen, die beiden Eäte sollen die Texte in Übereinstimmung bringen, und zwar -- dem Kommentar Burckhardt (S. 816) folgend -- in der Weise, dass derjenige Text massgebend sei, der
am meisten Unterschriften auf sich vereinigt (BEI. 1944: 1067 f.). Die beiden Kate folgten diesem Vorschlag und passten infolgedessen den französischen und den italienischen Text dem deutschen an.

In gleicher Weise wurde die Übereinstimmung der, Texte bei der Initiative betreffend das Eecht auf Arbeit hergestellt (BEI. 1946, II, 777 ff.). Da aber keine spezielle Vorschrift vorhanden ist und eine gewisse Unsicherheit besteht, ist der Wunsch nach einer klaren Eegelung naheliegend. Kann ihm entsprochen werden? , : .

2. Gemäss Artikel 5 hat der Bundesrat nach Einreichung einer Initiative zu prüfen, ob sie gültig zustandegekommen ist, und den Bäten darüber Bericht Bundesblatt. 100. Jahrg. Bd. III.

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926 zu erstatten, damit sie Beschlnss fassen können. Diese erklären die Initiative als zustandegekommen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hiefür erfüllt sind. Dazu gehört namentlich, dass 50 000 gültige Unterschriften für das eingereichte Volksbegehren abgegeben worden sind. Was hat nun zu geschehen, wenn die auf den Unterschriftenbogon angegebenen Texte nicht übereinstimmen? Ein Fall, der namentlich eintreten kann, wenn das Begehren in zwei oder drei Amtssprachen eingereicht wird. Meistens handelt es sich dann um ungenaue Übersetzungen. Zunächst fragt es sich, ob die Initiative trotz der Verschiedenheit der Texte überhaupt zustande gekommen ist. Dabei sind folgende Fälle in Betracht zu ziehen.

\ Es ist möglich, dass beide oder alle drei Texte auf allen Bogen wiedergegeben sind. Da man nicht feststellen kann, welchem Text die einzelne Unterschrift gelten soll, muss es in der Eegel genügen, wenn im ganzen mindestens 50 000 gültige Unterschriften vorhanden sind. Die Inititative wird nur dann als ungültig zu betrachten .sein, wenn angenommen werden muss, dass diejenigen, die z. B. dem deutschen Text zugestimmt haben, mit Sicherheit einem andern Text nicht zugestimmt hätten, weil darin ein unlösbarer Widerspruch läge: (so etwa, wenn aus Versehen der französische Text das Gegenteil des deutschen besagen würde). Und auch das bloss dann, wenn nicht offenkundig ist, dass mindestens 50 000 gültige Unterschriften nur auf einen Text bezogen sind.

Statt dessen kann der Fall auch so liegen, dass jeder Unterschriftenbogen den Text des Begehrens nur in einer Sprache wiedergibt. Dann fragt es sich, ob die Unterschriften, die auf verschiedenen Bogen mit abweichenden Texten stehen, zusammengerechnet werden dürfen oder nicht. Das wird man bejahen dürfen, wenn die Abweichungen nur redaktioneller Art sind. Aber auch bei Texten mit materiellen Differenzen wird das anzunehmen sein, falls diese nicht als wesentlich, gelten müssen. Bei wesentlichen Unterschieden dürfen die Unterschriften hingegen nicht zusammengerechnet werden, Ergibt sich auf diese Weise, dass mindestens 50 000 gültige Unterschriften für einen Text, eventuell für zwei übereinstimmende Texte vorhanden sind, so ist die Initiative für diesen oder diese beiden Texte zustande gekommen.

Wird die erforderliche Zahl bei keinem Text erreicht, so ist keine
Initiative zustande gekommen.

Wenn aber von zwei oder drei wesentlich verschiedenen Texten jeder mindestens 50 000 Unterschriften erhalten hat, so ist für jeden Text eine gültige Initiative vorhanden. Eine Anpassung der Texte kommt bei wesentlichen Differenzen .also nicht in Frage.

Das alles lässt sich wohl aus dem Wesen der Initiative ableiten. Wünschenswert wäre hingegen eine Bestimmung, die besagen würde, wann die Abweichungen als wesentlich zu gelten haben. Es dürfte aber schwer halten, eine hiefür passende Formulierung zu finden, die nicht blosse Selbstverständlichkeiten enthält.

Der Bundesrat ist deshalb der Auffassung, dass vom Erlass einer besondern Vorschrift über das Zustandekommen einer Initiative abgesehen und die Lö-

927 sung im einzelnen Fall getroffen werden muss. Das ist um so mehr gerechtfertigt, als die Fälle einer wesentlichen Divergenz der Texte sehr selten sind.

3. Wenn eine Initiative mit unwesentlichen Abweichungen der Texte zustande kommt, fragt es sich weiter, ob die Übereinstimmung der Texte nachträglich hergestellt werden kann, eventuell von wem und in welcher Weise, und ob das Gesetz zu diesem Zweck abzuändern ist.

Es, kann keinem Zweifel unterliegen, dass in die Bundesverfassung kein Artikel aufgenommen werden darf,'dessen Text in verschiedenen Sprachen eine sachlich abweichende Regelung ergeben würde. Deshalb muss eine Angleichung der Texte vorgenommen werden.-:Als zuständig hiefür werden schon nach dem geltenden Recht die beiden Räte betrachtet. Diese Kompetenz ergibt sich ohne weiteres aus ihrer Befugnis, darüber zu entscheiden, ob eine Initiative gültig zustande gekommen sei oder nicht (vgl. Bericht vom 26. Juni 1946 über das Volksbegehren betreffend das Recht auf Arbeit, BEI. 1946, II, 778). Einer besoudern Vorschrift bedarf es hiefür wohl nicht, da diese Frage bisher nicht zu Zweifeln Anlass gegeben hat.

Nach welchen Grundsätzen ist aber die Übereinstimmung der Texte herzustellen? Es scheint naheliegend zu sein, die Regeln anzuwenden, die bei der Interpretation eines geltenden Verfassungsartikels gelten, bei dem die Texte in drei Sprachen auseinandergehen. Man darf jedoch nicht übersehen, dass zwischen diesen beiden Fällen ein wesentlicher Unterschied besteht. Während es sich beim geltenden Recht darum handelt, festzustellen, wie ein bestimmter Artikel objektiv auszulegen ist, kommt es hier auf die subjektive Auffassung der Unterzeichner an, da es sich fragt, welcher von zwei oder drei verschiedenen Fassungen genügend Unterzeichner zugestimmt haben.

Die Lösung kann deshalb nicht etwa darin erblickt werden, dass bei Übereinstimmung des Textes in zwei Sprachen dieser allein massgebend sei und der in der dritten Sprache abgefasste Text ihm angeglichen werden müsse.

Der Richter wird zwar bei der Auslegung eines geltenden Verfassungsartikels dem Umstand, dass zwei Texte übereinstimmen, neben andern Umständen Rechnung tragen. Bei der Initiative wäre aber auch das höchstens dann möglich, wenn jedem oder beinahe jedem Unterzeichner alle drei Texte vorgelegen hätten. Ausserdem geht es zu weit,
von jedem Unterzeichner vorauszusetzen, dass er alle drei ihm vorgelegten Texte geprüft habe. ·' '.'

Entscheidend kann auch nicht der von den Initianten aufgestellte Originaltext sein. Denn die Stimme der Initianten wiegt nicht mehr als die anderer Unterzeichner; insbesondere ist ihre Stellung nicht mit derjenigen eines Ge-, setzesredaktors zu vergleichen. So dürfte es z. B. klar sein, dass nicht der Originaltext massgebend ist, falls er nur wenige Unterschriften trägt, während für den abweichenden Text mehr als 50 000 gültige Unterschriften abgegeben worden sind. : ; Steht man vor der Frage, welcher der zwei oder drei Texte, die unwesentlich voneinander abweichen, dem Willen der Initianten besser entspricht, so wird man auf die höhere Zahl der Unterschriften abstellen müssen, wie ja über-

928 haupt in der Demokratie das Prinzip der Mehrheit gilt. Am deutlichsten wird das dann, wenn für einen Text allein mehr als 50 000 Unterschriften gegeben worden sind, so dass für diesen sogar die Voraussetzungen einer selbständigen Initiative erfüllt wären. Es : ist allerdings auch möglich, dass für zwei verschiedene Texte je mindestens 50 000 Unterschriften vorhanden, sind. Trotzdem ist nur eine Initiative zustande gekommen, da man nicht annehmen darf, es seien zwei Initiativen mit nur unwesentlichen textlichen Differenzen gewollt.

Entscheidend ist auch hier die höhere Zahl der Unterschriften. Damit gelangen wir zu der Auffassung, die im Kommentar Burckhardt vertreten und bisher von der Praxis anerkannt worden ist.

Die Tatsache, dass nach dieser Auffassung bei einer von der welschen Schweiz ausgehenden Initiative, die mehrheitlich von Deutschschweizern unterzeichnet worden ist, der deutsche Text entscheidend wäre, spricht nicht gegen die Eichtigkeit oder Billigkeit dieser Lösung. Denn umgekehrt wäre für eine in der deutschen Schweiz eingeleitete Initiative der französische Text massgebend, falls sie mehrheitlich von Welschschweizern unterzeichnet würde.

In Frage steht lediglich eine Auswirkung des demokratischen Prinzips der Mehrheit. Es kann auch nicht gesagt werden, dass die sprachlichen Minderheiten dadurch in der Geltendmachung des Initiativrechts .benachteiligt würden.

Denn die Möglichkeit bleibt offen, die Unterschriften nur in einem Sprachgebiet zu sammeln oder die Initiative nur in einer Sprache vorzulegen.

Massgebend ist deshalb unseres Erachtens im Falle einer Divergenz der Texte jener Text, für den die meisten gültigen Unterschriften abgegeben worden sind. Falls eine gesetzliche Eegelung dieser Frage als notwendig angesehen werden sollte, würden wir eine Lösung in diesem Sinne empfehlen. Wir sind aber auch hier der Auffassung, dass die Entscheidung über die selten auftretenden Fälle, wie bisher, der Praxis überlassen werden kann, und dass von der Aufstellung einer gesetzlichen Vorschrift abzusehen ist.

Wir empfehlen Ihnen daher, dem beiliegenden Entwurf für eine Ergänzung und Abänderung des Btindesgesetzes vom 27. Januar 1892 zuzustimmen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 16. November 194S.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Celio Der Bundeskanzler: Leimgruber

929 (Entwurf)

-

Bundesgesetz betreffend

die Abänderung des Bundesgesetzes über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend die Revision der Bundesverfassung Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 16. November 1948.

.beschliesst: : Art. l Dem Artikel 4 des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend die Revision der Bundesverfassung wird folgender Absatz 2 beigefügt : Art. 4, Abs. 2. Falls das Volksbegehren nicht eine gegenteilige Bestimmung enthält, gilt das Initiativkomitee als ermächtigt, den Rückzug des Volksbegehrens zu beschliessen.

. Art - 2 ' · ,'..

Artikel 7, Abs. 1. und Artikel 8 des vorgenannten Gesetzes werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: ,'· ·

Artikel 7, Abs. 1. Verlangt das Revisionsbegehren Erlass, Aufhebung . oder Abänderung bestimmter Artikel, und ist dasselbe in der Form der allgemeinen Anregung gestellt, so haben sich die eidgenössischen Räte nach den gegebenen Umständen ohne Zeitverlust darüber schlüssig zumachen, ob sie mit dem Begehren einverstanden sind oder nicht.

Artikel.8. Ist das Partialrevisionsbegehren in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfes gestellt, so haben die eidgenössischen Räte nach den gegebenen Umständen ohne Zeitverlust darüber Beschluss zu fassen, ob sie dem Initiativentwurf, so wie derselbe lautet, zustimmen oder nicht.

Art. 3 Der Bundesrat ist mit der Durchführung dieses Gesetzes beauftragt.

8239

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Abänderung des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision Bundesverfassung (Vom 16. November 1948)

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Jahr

1948

Année Anno Band

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47

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5535

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

25.11.1948

Date Data Seite

909-929

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